Der Ausweg

Wie eine Verrückte hämmerte ich an die Tür seines Hauses.

„Sezièl! Ich brauche deine Hilfe!"rief ich aufgeregt. Ich hörte, wie jemand die Treppe herunterkam. Sezièl öffnete die Tür.

„Euer Hoheit. Kommt Ihr doch herein. Ihr werden euch erkälten", sagte er und erst jetzt merkte ich, dass ich im Nachthemd vor ihm stand, doch das war in diesem Augenblick unwichtig.

„Sezièl, diese Nachricht muss sofort nach Edoras. Sie ist nur des Königs Sohn Athaniel zu übergeben. Nur ihm!"sagte ich eindringlich und gab ihm das wichtige Dokument.

„Aber natürlich, Euer Hoheit", sagte er und nahm mir das Schreiben ab. Er holte sich einen Mantel, steckte die Nachricht in seine Tasche und ging aus seinem Haus zu den Ställen.

Von dem Vorplatz des Palastes sah ich ihm noch nach, als er meinen letzten Hilferuf zu meinem Geliebten brachte.

Langsam ging ich zurück in mein Zimmer. Niemand, bis auf die Wachen, hatte mich gesehen, so dass ich wieder unerkannt in mein Zimmer kam.

Für mich hieß es jetzt nur noch warten auf Athaniel, doch ich wurde unruhig. Was wäre, wenn er den Brief nicht bekommen würde? Was wäre, wenn ich ihm egal wäre? Oder was wäre, wenn er mich auch für verrückt halten würde?

Ich zerbrach mir den Kopf über diesen Fragen, doch fand keine Antwort. Ich tigerte in meinem Zimmer auf und ab, bis ich eiskalte Füße hatte und immer und immer wieder husten musste.

Ich ging zu meinem Kleiderschrank, holte mir irgendwelche Anziehsachen aus dem Schrank und zog sie an, doch auch dann wurde mir nicht warm. Immer wieder musste ich an meinen Traum denken. Hatte ich meinen Tod vorausgesehen? Würde Athaniel früh genug kommen, um mich noch einmal lebend in die Arme schließen zu können?

Kopflos, als wäre jemand hinter mir her, hetzte ich kurzerhand aus meinem Zimmer. Zwar wunderte es mich, dass Assentia noch nicht mit dem Frühstück gekommen war, doch ich hatte jetzt eine Aufgabe.

So schnell ich konnte lief ich zu den Pferdeställen. Die Wachen sahen meinen komischen Aufzug mit einem Schmunzeln hinterher, doch ich scherte mich nicht um sie.

Ich hatte das Gefühl, nein, ich wusste, dass ich sterben würde und deshalb musste ich nun selbst nach Edoras reiten, um Athaniel noch einmal sehen zu können.

Im Stall merkte ich nicht einmal, dass ich mir gar nicht mein Pferd schnappte, sondern das eines Soldaten.

Ich führte es aus dem Stall, stieg auf und ritt gemächlich davon. Die wenigen wachen Seelen sahen mich verwundert an, verbeugten sich jedoch vor mir.

Als ob das Pferd wüsste, wohin ich wollte, lief es mit schnellen Schritten los, als wir die Stadt verlassen hatten.

Ich war wie in Trance gefangen und ließ es gewähren. Sicher würde es mich an einen weit entfernten Ort bringen, der wunderschön war, wie in den Geschichten, die ich so liebte...

Ich musste auf dem Rücken des Pferdes eingeschlafen sein, denn ein zurückschnellender Ast ließ mich auffahren.

Wir hatten die Stadt weit hinter uns gelassen. Um mich herum gab es nur die Einöde. Niemand, weder Mensch noch Tier war zu sehen, außer mir und dem Pferd.

Das Pferd hatte sich etwas Ruhe gegönnt und ging etwas langsamer. Wie aus einem schrecklichen Traum erwacht erkannte ich, was ich gerade tat. Hier draußen würde mich sicher der Tod ereilen und niemand würde mich je finden, denn einen Brief hatte ich meiner Familie nicht hinterlassen und auch Athaniel wusste nicht, dass ich ihm auf dem Weg entgegenkam.

Einsamkeit überkam mich und dicke Tränen kullerten mir über die Wangen. Meine Füße waren kalt, ebenso meine Hände und Ohren.

Meine Nase lief unaufhörlich und ich schmeckte Blut in meinem Mund. Erst jetzt dachte ich daran, dass ich mir eine Waffe hätte mitnehmen müssen, doch bei meiner überstürzten Abreise hatte ich daran nicht gedacht.

Plötzlich hörte ich ein Pferd hinter mir im schnellen Galopp herannahmen, doch bevor ich mich umdrehen und den Ankömmling ansehen konnte, wurde ich aus meinem Sattel gerissen.

Ich prallte hart auf dem Boden auf und rollte etwas weiter.

Ich blieb auf dem Rücken liegen und suchte verzweifelt meine Brille, die mir bei dem Sturz von der Nase gefallen war. Ich fand sie etwas entfernt neben mir und setzte sie mir schnell auf. Das eine Glas war etwas zersplittert, doch durchsehen konnte ich noch.

Ich sah den Mann auf mich zukommen. Er trug einen Mantel, der ihm bis tief in das Gesicht hing, so dass ich dieses nicht erkennen konnte.

Mein Pferd hatte sich, durch meinen Sturz verängstigt, aus dem Staub gemacht und niemand sonst war in der Nähe. Ich war ganz allein mit diesem Räuber, der, wie ich glaubte, Geld von mir verlangen würde.

Plötzlich zog dieser sein Schwert und kam auf mich zu. Er legte es mir an die Kehle und fuhr sachte darüber. Ich merkte, wie das warme Blut aus dem Schnitt über meine Haut floss. Unwillkürlich fuhr ich mit der Hand darüber, als ob ich mich vergewissern müsste, dass ich blutete, doch der Mann schlug meine Hand mit der flachen Seite des Schwertes weg und stellte seinen Fuß auf meine Hand. Ich merkte, wie sein Gewicht meine Hand bis aufs Äußerste strapazierte. Die Sehen und Muskeln verkrampften sich unter dieser Last und ich bekam höllische Schmerzen.

„Was wollt ihr?"fragte ich und merkte, wie sich meine Stimme überschlug. Ich konnte die Schmerzen kaum mehr verbergen und ballte die andere Hand zu einer Faust. Hätte ich den Überlebenswillen gehabt, hätte ich ihn schlagen können, um meine Hand zu retten, doch geschwächt durch die vergangenen zwei Wochen, hatte ich keine Kraft.

„Ich will Gerechtigkeit, Niamh!"sagte mein gegenüber. Jetzt erkannte ich die Stimme einer Frau und wunderte mich, wie hart sie mich aus dem Sattel gestoßen hatte und wie schwer sie auf meiner Hand war.

Plötzlich nahm sie sich die Kapuze ab und mir gefror das Blut in den Adern.

Das Kapitel heißt schon wie ein Ende, doch noch ist es nicht ausgestanden...