Kapitel 4 - Schuld
Am Tag nach dem Jahrmarkt suchte Ukyo voller Zuversicht und freudiger Erwartung den Stadtpark auf, in dem die Entscheidung fallen sollte, die laut Prophezeiung die Heiratsfrage endgültig klären würde. Um Ranma die Entscheidung zu erleichtern, verzichtete Ukyo zum ersten Mal seit vielen Jahren auf die enge Binde, mit der sie sonst immer ihre Brüste versteckt hatte. Als sie begonnen hatte, als Junge zu leben, war jenes Stück Tuch notgedrungen zu ihrem ständigen Begleiter geworden, der ihr half, einen Teil ihres Ichs, den weiblichen Teil, vor ihrer Umwelt zu verbergen. Später, nachdem ihre Tarnung aufgeflogen war, hatte sie die Binde aus reiner Gewohnheit anbehalten. Nun jedoch konnte sie zeigen, daß sie, weibliche Formen betreffend, sich auch vor Shampoo nicht zu verstecken brauchte. Sogar auf ihre sonst übliche Jungenkleidung hatte sie verzichtet. Stattdessen hatte sie einfach Ranmas Stil kopiert, denn was an Ranmas weiblicher Form gut aussah, konnte an ihr ja nicht schlecht aussehen.
Als sie den Park erreicht hatte, fiel ihr sofort die große Menschenmenge auf, die sich in einem Teil des Parks angesammelt hatte. Neugierig geworden mischte sie sich unter die Menge, und entdeckte, daß die Leute ihrem Ranchan bei einer beeindruckenden Demonstration seiner Fähigkeiten zusahen. Zuerst wollte sie zu ihm laufen und ihn begrüßen, aber sie unterdrückte diesen Impuls schnell wieder, da sie ihn nicht beim Training stören wollte.
°Außerdem ist es ein wunderbarer Anblick. Ich könnte ihm stundenlang zusehen. Dieser starke, geschmeidige Körper...° Errötend unterbrach sie ihren Gedankengang, bevor er in Regionen führen konnte, mit denen sie sich in der Öffentlichkeit nicht beschäftigen wollte. Als sie sich umsah, entdeckte sie bei mehr als nur einer jungen Frau unter den Zuschauern einen ähnlichen Gesichtsausdruck, was sie mit einer Mischung aus Amusement und Stolz erfüllte.
°Träumt ruhig von ihm. Aber ich, ich werde meine Zukunft an seiner Seite verbringen.°
Ukyo verfolgte sein Training aufmerksam, und zog sich schließlich in den Hintergrund zurück, als er fertig war, und die Menge sich aufzulösen begann.
Sie konnte jetzt nicht einfach zu ihm gehen und mit ihm reden. Was sie jetzt brauchte, war ein Plan. Ein Plan, wie sie Ranma dazu bringen konnte, sich endlich zu entscheiden. Denn ohne einen solchen Plan, das war ihr klar, würde dieser Versuch, ihm eine Entscheidung abzuringen, genauso enden wie all die erfolglosen Versuche zuvor. Ranma würde erst versuchen sie vom Thema abzulenken, und wenn das keinen Erfolg hatte, würde er weglaufen. Und irgendwie mußte Ukyo ihm nun von Beginn an klar machen, daß er diese Optionen nicht mehr hatte.
Also dachte sie nach, während Ranma sein seltsames Klettertraining absolvierte. Sie kannte ihn inzwischen lange genug, um viele seiner Aktionen vorhersehen zu können. Jetzt mußte sie nur noch eine Aktion ihrerseits finden, die ihn zur gewünschten Reaktion veranlassen würde. Ihr erstes Ziel mußte sein, ihn an der Flucht zu hindern, denn wenn er wegrannte, konnte sie nicht mit ihm reden. Natürlich durfte sie keine Gewalt dabei anwenden, denn das hätte nur den Sturkopf in ihm geweckt und jede weitere Diskussion sinnlos gemacht. Danach mußte sie ihm erklären, warum er sich endlich entscheiden mußte. Das würde nicht einfach werden, aber wenn Ranma dazu gebracht werden konnte, sich dem Gespräch zu stellen, konnte sie sicher das eine oder andere Argument finden. Da sie ja offensichtlich die beste Wahl für ihn unter allen potentiellen Verlobten darstellte, konnte das ja nicht so schwer sein.
Nachdem sie ihre allgemeine Marschroute abgesteckt hatte, fiel es ihr überraschend leicht, einen Ansatz zu finden, mit dem sie ihren Verlobten zum prophezeiten Gespräch zwingen konnte. Es würde ihr nicht leicht fallen so zu handeln, aber die Wahrsagerin hatte ja schließlich gesagt, daß alles beim Alten bleiben würde, wenn sie diese Chance nicht nutzte, und das konnte und wollte Ukyo auf keinen Fall geschehen lassen.
Entschlossen marschierte sie auf Ranma zu, als dieser gerade zum zweiten Mal in Folge seinen Trainingsbaum hinaufgerannt war.
"Hi, Ranchan." Sie schenkte ihrem Verlobten ihr strahlendstes Lächeln, während sie ihm fröhlich zuwinkte.
Ranma sah sich suchend um, und schien Ukyo zuerst gar nicht zu erkennen. Dann jedoch beäugte er sie mißtrauisch, während er langsam näherkam.
"U-ucchan?" fragte er verblüfft.
Ukyo nickte lächelnd.
"Was war denn das für ein seltsames Training?" erkundigte sie sich.
"Oh, du hast´s gesehen?"
"Hmhm."
"Naja, weisst du, da waren diese zwei Eichhörnchen, die wie verrückt den Baum rauf und runter gerannt sind."
"Aha. Und?" machte sie verständnislos.
"Ich hab mich gefragt, wieso die immer im Kreis um den Baum rennen, wo sie doch viel schneller oben wären, wenn sie geradeaus hochlaufen würden. Also hab ich´s selbst ausprobiert."
Ukyo lächelte verstehend.
"Und? Hast du´s rausgefunden?"
"Yep." Ranma deutete auf einen Baum. "Wenn du in gerader Bahn den Stamm hochrennst, bist du zwar schneller oben, aber wenn dein Gegner auf derselben Seite des Stammes steht, die du hinaufrennst, hat er dich die ganze Zeit über im Blick. Rennst du aber in einer Spiralbahn hoch..."
°Typisch für ihn, daß er selbst so triviale Dinge wie Eichhörnchen auf Futtersuche aus dem Blickwinkel eines Kampfsportlers betrachtet.° dachte Ukyo beeindruckt. °Aber deshalb ist er ja auch der Beste.°
"Ah...ich verstehe, Ranchan. Du brauchst zwar länger nach oben, aber die meiste Zeit über hast du Deckung durch den Stamm."
Ranma grinste breit und nickte bestätigend.
"Genau, Ucchan. Außerdem bist du durch die Seitwärtsbewegung schwerer zu treffen. Aber sag mal...", er musterte sie von unten nach oben, "...ist bei dir Waschtag, oder so?"
Ukyo sah errötend zur Seite.
°Ich glaub´s nicht. Er hat tatsächlich bemerkt, daß ich was anderes an habe als sonst.°
"Gefällt dir wie ich aussehe?" fragte sie leise.
Ranma schaute sich panisch um, als er die Frage hörte. Normalerweise mußte jetzt jeden Moment mindestens eine seiner anderen Verlobten und/oder Verehrerinnen auftauchen, was im Idealfall nur in einem fürchterlichen Chaos enden würde. Im Normalfall allerdings würde er auch noch von Akane vermöbelt werden. Und im schlimmsten Fall würden dann noch Mousse, Kuno oder Ryoga – oder alle zusammen – auftauchen, um ihm das Leben schwer zu machen. Es stellte sich allerdings die Frage, ob man bei Schlägen von Akane wirklich den Begriff Normalfall verwenden konnte, wo doch der schlimmste Fall wesentlich häufiger eintrat.
"Hey, hast du deine Sprache verloren, Sugar?"
"Ähm...nein, nein. Ich hab nur gerade über was nachgedacht." erklärte er vage.
"Und?"
"Und...was?"
"Aussehen." gab sie ihm erneut das Stichwort.
"Ähm...sieht auf jeden Fall anders aus als sonst. Aber stört dich die Änderung deines Schwerpunkts nicht?"
°Baka.° dachte sie nur, während sie sich zwang, ruhig und freundlich zu bleiben.
"Nein." antwortete sie knapp. "Aber warum ist es so schwer, zu sagen, ob es dir gefällt?" fragte sie. "Ich hab nur deine Meinung hören wollen. Es ist ja nicht so, als ob ich dich zu ´nem Date eingeladen hätte."
°Das heb ich mir für später auf.°
"Es ist ungewohnt, Ucchan. Irgendwie siehst du aus wie mein Zwilling."
Sie kicherte kurz bei der Vorstellung, während er weitersprach. "Und wenn Akane uns so sieht..."
Sie blieben kurz vor dem Ausgang des Parks stehen.
"Vergiss Akane für einen Moment." unterbrach Ukyo ihn ernst. "Ich muß über etwas mit dir reden. Etwas für mich sehr wichtiges."
Ranma nickte. "Okay. Aber können wir vorher zu dir gehen? Ich hab furchtbaren Hunger und Akane macht heute bei uns das Abendessen."
Nur mit Mühe widerstand Ukyo dem Impuls, ihm zuzustimmen und schüttelte langsam den Kopf.
"Warum nicht, Ucchan?" fragte er überrascht. Seit sie ihr Restaurant besaß, hatte sie ihm noch nie eine Mahlzeit verweigert.
°Weil das der Weg ist, den all die erfolglosen Gesprächsversuche zuvor auch gegangen sind.° dachte sie, entschlossen, frühere Fehler zu vermeiden.
"Weil ich nicht will, daß du bei unserem Gespräch durch irgendetwas abgelenkt wirst." erklärte sie ihm.
"Hm. Okay."
"Ich...Ranchan, ich muß dich etwas fragen, aber vorher muß ich noch etwas klarstellen." Sie atmete noch einmal tief durch, während Ranma sie abwartend anstarrte. Dann sprach sie mit gesenktem Blick weiter. "Ich kenne dich inzwischen gut genug, um zu wissen, daß du dich mit dieser Frage nicht gern auseinandersetzt, aber es ist mir wichtig. Ich brauche eine Antwort von dir, und ich brauche sie jetzt. Wir können darüber reden, aber wenn du dich wieder nur rausredest, oder wegläufst, dann...dann bedeutet das das Ende unserer Freundschaft."
Als sie den Kopf wieder hob, und ihm in die Augen sah, fiel ihm sofort der feuchte Glanz auf, der auf ihnen lag, und er las das stumme Flehen in ihrem Blick. Die Bitte, ihre Bedingung zu akzeptieren. Gleichzeitig hörte er jedoch die Stimme in seinem Kopf, die ihn davor warnte, sich darauf einzulassen. Eine Stimme, die ihm zuschrie, es könne unter diesen Vorbedingungen nur um ein einziges Thema in dem bevorstehenden Gespräch gehen, und darauf dürfe er sich auf keinen Fall einlassen. Stattdessen solle er lieber einen Weg finden, schnellstmöglich von der Bildfläche zu verschwinden.
Ranma gab der Stimme insofern Recht, daß für die Unterhaltung wohl wirklich nur ein Thema in Frage kam. Aber angesichts der Gefahr, die Person, die in seiner Kinderzeit sein bester Freund gewesen war – damals hatte er ja noch geglaubt, Ukyo sei ein Junge – und die auch heute noch zu seinen wenigen guten Freunden zählte, zu verlieren, gab es keine Alternative für ihn.
Er nickte knapp.
"Okay, Ucchan. Ich werde bleiben."
°Auch wenn ich so eine Ahnung habe, daß es nicht angenehm werden wird.°
Ukyo atmete erleichtert auf.
"Danke, Ranchan. Als Ausgleich bekommst du nachher eine extragroße Okonomiyaki."
°Und zur Feier unserer Verlobung werd ich mir besonders viel Mühe geben.°
"Danke."
"Nun zu meiner Frage."
"Du willst mit mir ausgehen." riet er und brachte Ukyo damit kurzzeitig aus dem Konzept.
"Wie bitte?"
"Du willst sicher mit mir ausgehen." wiederholte er seine Vermutung. "Hast du ja vorhin auch schon von gesprochen."
"Ähm...eigentlich wollte ich dich was anderes fragen."
"Oh...na dann."
Sie holte noch einmal tief Luft.
°Mein Gott, warum ist das so schwer, diese Frage zu stellen?°
"Ranchan. WenwürdestdualsVerlobtewählenwenndufreientscheidenkönntest?"
Ranma blinzelte verblüfft. Noch nie hatte er jemanden so schnell sprechen hören. Jedenfalls nicht, ohne daß dieser jemand sich dabei die Zunge verknotete.
"Ähm...ich hab kein Wort verstanden,Ucchan." gestand er.
Ukyo lief knallrot an.
°Meine Güte, jetzt benehme ich mich schon wie eine Grundschülerin beim ersten Rendezvous. Wie peinlich.°
Sie unternahm einen neuen Versuch.
"Ranchan, wenn es deine Entscheidung wäre...wen würdest du wählen?"
"Keinen Schimmer. Politik find ich langweilig. Nur ein Haufen alter Männer wie Pops, die den ganzen Tag Reden halten."
"Argh! Ich meine doch als Verlobte!" fuhr sie ihn an.
"Hey!" rief Ranma protestierend und fuchtelte abwehrend mit den Händen herum. "Du weisst doch genau, daß das nur mein alter, blöder Vater zu verantworten hat. Diese ganzen verdammten Verlobungsversprechen sind alle seine Schuld. Kein Mensch hat mich vorher gefragt."
"Ich frage dich jetzt, Ranchan." erwiderte sie. "Und ich will niemandem an irgendwas die Schuld geben, und mich interessiert es auch nicht, wer die Verantwortung für die Verlobungsversprechen, die dich betreffen, trägt. Alles, was ich wissen will, ist, für wen du dich entscheiden würdest. Sonst nichts."
"Aber ich..." wollte er erneut protestieren, doch Ukyo unterbrach ihn mit einer Handbewegung. "Ranchan." seufzte sie ein wenig resignierend. Sie hatte sich das Ganze leichter vorgestellt. "Ich weiss doch, warum du der Entscheidung immer ausweichst, und ich habe sogar Verständnis dafür."
Ranma machte große Augen.
"Wirklich, Ucchan?"
°Das wäre das erste Mal, daß irgendjemand Verständnis für mich hat.° dachte er erstaunt.
"Natürlich, Sugar. Wenn du eine Entscheidung triffst, würden die beiden anderen potentiellen Verlobten den Kürzeren ziehen und wären, vorsichtig formuliert, ziemlich traurig darüber. Du willst nicht, daß Ak...die beiden Verliererinnen wegen einer Entscheidung, die du getroffen hast, traurig sind, und der Gedanke, der dahintersteckt, ist lobenswert. Aber du begehst dabei einen Irrtum."
Ranma wirkte auf einmal ziemlich nachdenklich und besorgt. Es stimmte. Er wollte nichts tun, was eines der drei Mädchen traurig machen könnte. Genauer gesagt, wollte er nichts tun, was irgendein Mädchen auf der Welt traurig machen würde. Mädchen mußten beschützt werden. Das war ein elementarer Teil seines Martial Arts-Kodex und damit Teil seiner Lebenseinstellung.
"Und...inwiefern irre ich mich?"
"Ganz einfach. Irgendwann, vielleicht heute, vielleicht erst in zehn Jahren, wirst du die Entscheidung, die du jetzt noch vor dir herschiebst, treffen müssen, und je länger du damit wartest, desto länger baut sich auch in den beiden unwissenden Verliererinnen des Verlobungsstreits die Hoffnung auf, dich für sich zu gewinnen." antwortete sie. "Das bedeutet, je länger du mit der Entscheidung wartest, desto größer wird der Schmerz bei den Beiden sein. Sagst du es ihnen aber zu einem frühen Zeitpunkt, wird zuerst natürlich auch ein gewisser Schmerz da sein. Das ist unvermeidlich. Aber Sh...sie werden darüber hinwegkommen und sich auf die Suche nach einer neuen Liebe machen können, ohne vorher die besten Jahre ihrer Jugend mit vergeblicher Warterei verbracht zu haben."
"Hmm." Sein Gesicht wurde noch nachdenklicher, als er versuchte, diese Argumentation zu verarbeiten. Theoretisch hätte er da schon selbst drauf kommen können, aber sein chaotisches Leben hatte ihm bisher kaum Zeit gelassen, mehr als zehn Minuten in die Zukunft zu denken, und selbst das war schon ein seltenes Ereignis gewesen.
"Ich glaube, ich verstehe, was du meinst, Ucchan."
Ukyo lächelte zufrieden.
"Wunderbar, Sugar. Und da es letztlich unvermeidlich ist, Ak...den Verliererinnen emotionalen Schmerz zuzufügen, kannst du es doch genausogut gleich hinter dich bringen, nicht wahr? Zumindest könntest du die Gewinnerin benennen."
°Akane und Shampoo kann er ja später von ihrem Pech in Kenntnis setzen.°
Ranma sah das erwartungsvolle Strahlen in ihren Augen und hatte nur noch einen Gedanken.
°Irgendwie muß ich Zeit gewinnen, ohne daß sie Verdacht schöpft.°
"Ähm...also...du hast natürlich Recht, Ucchan, aber laß mich darüber noch ein oder zwei Tage nachdenken, ja?" Er wandte sich um, um durch den Ausgang des Parks zu verschwinden. "Tja, ist leider schon spät. Muß zum Essen zu Hause sein, also mach´s gut."
Ukyo starrte ihm für einen Moment fassungslos hinterher.
"Aber ich dachte, Akane kocht..." murmelte sie verwirrt.
Dann kamen ihr wieder die Worte der Wahrsagerin in den Sinn: Ihr könnt dieser Entscheidung ausweichen, aber dann wird sich nicht viel zwischen euch ändern. Oder ihr ringt euch dazu durch, diese Entscheidung zu treffen.
°Er MUSS es mir einfach heute sagen!°
"RANCHAN! STOP!"
Als Ranma den anklagenden Unterton in ihrer Stimme hörte, blieb er wie angewurzelt stehen. Das näherkommende Geräusch von knirschendem Kies hinter ihm verriet ihm, daß Ukyo wieder zu ihm aufschloß. Knapp hinter ihm blieb sie stehen.
"Bitte, Ranchan. Du...Ich MUSS es heute wissen. Bitte gib mir die Antwort." drängte sie. "Was machen ein oder zwei Tage? Warum kannst du es nicht jetzt sagen? Dann können wir anschließend zu mir gehen und du bekommst deine Okonomiyaki, damit wir die Verlobung..." Sie verstummte, als Ranma sich umdrehte, und sie den tiefen Schmerz in seinen Augen bemerkte. Das stumme Flehen, ihn jetzt nicht zu einer Antwort zu drängen. Und plötzlich traf sie die Erkenntnis. Wenn er antwortete, würde sie nicht die Gewinnerin sein.
Tränen erschienen in ihren Augen und in der Erkenntnis ihrer Niederlage sackten ihre Schultern herab.
°Aber ich verstehe das nicht. Die Wahrsagerin hat doch gesagt...° Und plötzlich begriff sie ihren Fehler. °In der Tat.° dachte sie bitter. °Es ist zwischen uns jetzt tatsächlich nichts mehr so wie zuvor.°
"Ich...verstehe." wisperte sie tonlos. "Kann man wohl nichts machen, wie?" Wie ein Zombie setzte sie sich in Bewegung und trottete langsam an Ranma vorbei, der nicht wußte, wie er nun reagieren sollte. Die ganze Situation überforderte ihn völlig.
"Dann richte Shampoo meine Glückwünsche aus." murmelte sie im Vorbeigehen.
Ranma starrte ihr verdutzt hinterher. Dann schaltete sich sein Mundwerk ein, und das, wie fast immer, bevor sein Gehirn etwas dazu zu sagen gehabt hatte.
"Was soll ich denn von Shampoo wollen? Die ist doch nur wegen ihres blöden Gesetzes hinter mir her!"
Ukyo erstarrte nach wenigen Schritten mitten in der Bewegung.
°Soll das etwa heissen, ich habe gegen...° Ihr Gehirn weigerte sich schlicht, diesen Gedanken zu Ende zu denken.
Ihr ganzer Körper fing an zu zittern, und sie stiess ein leises, glucksendes Kichern aus, das immer lauter wurde, und sich schließlich zu einem hysterischen Lachen steigerte.
Außer sich wirbelte sie zu Ranma herum, der von dem Bild, das sich ihm bot, derart schockiert war, daß er dastand wie das Reh im Scheinwerferlicht eines heranrasenden Lastwagens.
"Heißt das etwa, du wählst tatsächlich Akane?" fragte sie mit schriller Stimme. "Diese...diese häßliche Furie, die dich grundlos mißhandelt und beschimpft...und die nicht mal Wasser heißmachen kann, ohne daß es anbrennt?"
Ranma starrte seine langjährige Freundin hilflos an. Was sollte er darauf antworten?
"Das...das muß ein Alptraum sein!" rief sie. "Mein Ranchan und Akane! Das glaub ich nicht!"
"Ucchan, bitte!" Ranma trat auf sie zu, um sie zu beruhigen, doch diese drehte sich plötzlich um und rannte davon.
Wie gelähmt starrte er ihr hinterher.
Erst das schrille Kreischen von Bremsen und das infernalische Geräusch einer Hupe rissen ihn aus seiner Erstarrung.
Ranma schien regelrecht zu explodieren, als er sich bewegte, aber aus langjähriger Erfahrung wußte er, daß seine Anstrengung vergeblich sein mußte.
Im letzten Moment vor dem Aufprall schien Ukyo den Lastwagen ebenfalls zu bemerken, ebenso wie die Tatsache, daß sie auf die Straße gelaufen war, aber da war es bereits zu spät. Das schwere Fahrzeug erfasste sie frontal.
Es gab einen dumpfen Knall, dann flog ihr Körper in hohem Bogen durch die Luft, krachte halb auf einen geparkten Wagen, rutschte von da herunter auf den Bürgersteig und blieb dort reglos liegen.
"UCCHAAAAAN!" kreischte Ranma entsetzt, während er ihren Flug verfolgte, ohne etwas unternehmen zu können. Seine Stimme überschlug sich vor Panik.
Als er ihren leblosen Körper erreichte, lag dieser inmitten einer langsam größer werdenden Blutlache da.
"SCHNELL! HOLT EINEN ARZT!" brüllte Ranma einen schockierten Passanten an, der panisch nickte und sein Handy hervorkramte. Dann kniete er sich neben sie und begann vorsichtig, den Körper seiner Freundin zu untersuchen.
Ihr Hemd war eingerissen, und das Blut aus zahlreichen Schnittwunden am ganzen Oberkörper färbte den Stoff bereits an den meisten Stellen tiefrot. Arme und Beine waren unnatürlich verdreht, und mit Sicherheit mehrfach gebrochen. Im rechten Arm hatte sie sogar eine klaffende Wunde, aus der das gesplitterte Ende ihrer Elle herausragte. Außerdem hatte sie eine böse Platzwunde am Kopf, aus der ihr Blut über das ganze Gesicht lief.
"Ucchan." stammelte Ranma verstört. Er war genauso bleich wie Ukyo, deren Atem nur noch flach und stossweise ging. "Mach jetzt nicht schlapp. Ein Arzt kommt gleich. Die bringen dich ins Krankenhaus, und dann wird das schon wieder."
Ukyo öffnete blinzelnd ihre Augen. Vorsichtig wischte Ranma das Blut soweit weg, daß ihre Sicht nicht behindert war.
"Das tut...so weh." keuchte sie. Ein blutiges Rinnsal lief ihr aus dem Mundwinkel, während sie sprach. Ranma mußte sein Ohr ganz dicht an ihren Mund halten, um sie überhaupt zu verstehen.
"Shhh. Streng dich nicht an, Ucchan. Der Arzt ist gleich da."
"...zu spät..." röchelte sie mit glasigem Blick. Ihre linke Hand, die kaum verletzt war, griff nach Ranmas Hand. Ranma nahm ihre Hand und hielt sie fest.
"Das ist alles meine Schuld." jammert er.
"Nein..." Ukyo hustete schwach, und der Blutfluß aus ihrem Mund verstärkte sich etwas. "...nicht...du...hätte nicht...drängen dürfen..." Danach sagte sie noch etwas, was für Ranma wenig Sinn ergab und irgendwie wie 'verdammte Wahrsagerin' klang. Dann begannen ihre Augen langsam zuzufallen.
Ranma bemerkte dies alarmiert.
"Hey, Ucchan!" Er rüttelte sie sanft. Auch wenn ihr das Schmerzen verursachte, war dies nötig, denn wenn sie jetzt die Augen schloß, würde sie sie vielleicht nie wieder aufmachen. "Bleib wach! Nicht die Augen zumachen! Kämpf dagegen an!" Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren spürte Ranma Tränen in seinen Augen.
Sie öffnete die Augen wieder etwas, und Ranma atmete erleichtert auf.
"Bleib mir bloß wach, Ucchan. Wenigstens bis der Krankenwagen da ist, hörst du?"
Ukyos blutige Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln.
"Schon...okay...Sugar." Ihr linkes Bein verrutschte etwas, und der Schmerz ließ sie zusammenzucken.
"Bleib ruhig liegen." ermahnte Ranma sie. "Sonst tut es nur unnötig weh. Du hast da einige gebrochene Knochen."
"...auch egal...gibt schlimmere...Schmerzen." Selbst Ranma begriff, daß sie nicht von körperlichen Leiden sprach, bezweifelte aber, ob er ihr da zustimmen würde. "...bald vorbei..."
Das Grauen presste Ranmas Herz mit eiserner Faust zusammen. Die Vorstellung ihres Todes war fast schon zuviel für ihn.
"Du...du wirst nicht sterben." stammelte er entsetzt. "Die Ärzte heute kriegen sowas wieder hin. Und wenn nicht, hol ich Tofu oder den alten Ghoul. Die machen dich mit links wieder gesund."
Er blickte auf und schaute sich panisch um. Von einem Arzt oder Krankenwagen weit und breit keine Spur.
"WO BLEIBT DENN DER VERDAMMTE ARZT?" brüllte er verzweifelt.
Ukyos Griff um seine Hand verstärkte sich kurz, und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf Ukyo zurück.
"Wir hatten...schöne Zeit...Ranchan. Aber...ohne deine...Liebe..." Ein weiterer Schwall Blut ergoß sich aus ihrem Mund.
Dann fielen ihre Augen zu und ihr Kopf sackte ganz langsam zur Seite.
"Uc...chan..." wisperte Ranma tonlos. "Hey, sag doch was!"
Nichts.
"Ucchan." Er rüttelte sie sanft, aber diesmal blieb eine Reaktion aus.
"Ucchan, komm schon. Das ist nicht lustig. Du wolltest mir doch eine extragroße Okonomiyaki machen, weisst du nicht mehr? Du machst doch schließlich die besten Okonomiyaki der Welt."
Ranma blickte schluchzend auf und in die betroffenen Gesichter umstehender Passanten.
"Sie wird doch wieder gesund werden, nicht wahr?"
Einige wenige nickten mitfühlend, doch die meisten wichen seinem flehenden Blick aus, zu mitgenommen, um den Jungen mit einer so offensichtlichen Lüge zu trösten.
"Das ist alles meine Schuld." heulte er. "Warum muß SIE sterben, wenn es MEINE Schuld ist?" Sein Blick fiel auf das Blut an seinen Händen. Hysterisch kichernd zeigte er sie den Umstehenden. "Seht ihr? IHR Blut klebt an MEINEN Händen! ICH bin schuld! ICH sollte tot sein!"
Unangenehm berührt, und unsicher, wie sie mit der Situation umgehen sollten, wandten die Leute sich ab. Wer konnte wissen, was dieser offensichtlich unter Schock stehende junge Mann nun anstellen würde?
"Ja." flüsterte er heiser. "Schaut nur weg. Zeigt mir eure Verachtung, denn ich hab sie verdient." Ein irres Flackern lag in seinen Augen, als er aufsprang, und unvermittelt losrannte.
Ohne Ziel.
Einfach weg.
Egal wohin.
Hauptsache fort von dem Ort, an dem durch seine Schuld der einzige Freund aus seiner Kinderzeit gestorben war.
Am Tag nach dem Jahrmarkt suchte Ukyo voller Zuversicht und freudiger Erwartung den Stadtpark auf, in dem die Entscheidung fallen sollte, die laut Prophezeiung die Heiratsfrage endgültig klären würde. Um Ranma die Entscheidung zu erleichtern, verzichtete Ukyo zum ersten Mal seit vielen Jahren auf die enge Binde, mit der sie sonst immer ihre Brüste versteckt hatte. Als sie begonnen hatte, als Junge zu leben, war jenes Stück Tuch notgedrungen zu ihrem ständigen Begleiter geworden, der ihr half, einen Teil ihres Ichs, den weiblichen Teil, vor ihrer Umwelt zu verbergen. Später, nachdem ihre Tarnung aufgeflogen war, hatte sie die Binde aus reiner Gewohnheit anbehalten. Nun jedoch konnte sie zeigen, daß sie, weibliche Formen betreffend, sich auch vor Shampoo nicht zu verstecken brauchte. Sogar auf ihre sonst übliche Jungenkleidung hatte sie verzichtet. Stattdessen hatte sie einfach Ranmas Stil kopiert, denn was an Ranmas weiblicher Form gut aussah, konnte an ihr ja nicht schlecht aussehen.
Als sie den Park erreicht hatte, fiel ihr sofort die große Menschenmenge auf, die sich in einem Teil des Parks angesammelt hatte. Neugierig geworden mischte sie sich unter die Menge, und entdeckte, daß die Leute ihrem Ranchan bei einer beeindruckenden Demonstration seiner Fähigkeiten zusahen. Zuerst wollte sie zu ihm laufen und ihn begrüßen, aber sie unterdrückte diesen Impuls schnell wieder, da sie ihn nicht beim Training stören wollte.
°Außerdem ist es ein wunderbarer Anblick. Ich könnte ihm stundenlang zusehen. Dieser starke, geschmeidige Körper...° Errötend unterbrach sie ihren Gedankengang, bevor er in Regionen führen konnte, mit denen sie sich in der Öffentlichkeit nicht beschäftigen wollte. Als sie sich umsah, entdeckte sie bei mehr als nur einer jungen Frau unter den Zuschauern einen ähnlichen Gesichtsausdruck, was sie mit einer Mischung aus Amusement und Stolz erfüllte.
°Träumt ruhig von ihm. Aber ich, ich werde meine Zukunft an seiner Seite verbringen.°
Ukyo verfolgte sein Training aufmerksam, und zog sich schließlich in den Hintergrund zurück, als er fertig war, und die Menge sich aufzulösen begann.
Sie konnte jetzt nicht einfach zu ihm gehen und mit ihm reden. Was sie jetzt brauchte, war ein Plan. Ein Plan, wie sie Ranma dazu bringen konnte, sich endlich zu entscheiden. Denn ohne einen solchen Plan, das war ihr klar, würde dieser Versuch, ihm eine Entscheidung abzuringen, genauso enden wie all die erfolglosen Versuche zuvor. Ranma würde erst versuchen sie vom Thema abzulenken, und wenn das keinen Erfolg hatte, würde er weglaufen. Und irgendwie mußte Ukyo ihm nun von Beginn an klar machen, daß er diese Optionen nicht mehr hatte.
Also dachte sie nach, während Ranma sein seltsames Klettertraining absolvierte. Sie kannte ihn inzwischen lange genug, um viele seiner Aktionen vorhersehen zu können. Jetzt mußte sie nur noch eine Aktion ihrerseits finden, die ihn zur gewünschten Reaktion veranlassen würde. Ihr erstes Ziel mußte sein, ihn an der Flucht zu hindern, denn wenn er wegrannte, konnte sie nicht mit ihm reden. Natürlich durfte sie keine Gewalt dabei anwenden, denn das hätte nur den Sturkopf in ihm geweckt und jede weitere Diskussion sinnlos gemacht. Danach mußte sie ihm erklären, warum er sich endlich entscheiden mußte. Das würde nicht einfach werden, aber wenn Ranma dazu gebracht werden konnte, sich dem Gespräch zu stellen, konnte sie sicher das eine oder andere Argument finden. Da sie ja offensichtlich die beste Wahl für ihn unter allen potentiellen Verlobten darstellte, konnte das ja nicht so schwer sein.
Nachdem sie ihre allgemeine Marschroute abgesteckt hatte, fiel es ihr überraschend leicht, einen Ansatz zu finden, mit dem sie ihren Verlobten zum prophezeiten Gespräch zwingen konnte. Es würde ihr nicht leicht fallen so zu handeln, aber die Wahrsagerin hatte ja schließlich gesagt, daß alles beim Alten bleiben würde, wenn sie diese Chance nicht nutzte, und das konnte und wollte Ukyo auf keinen Fall geschehen lassen.
Entschlossen marschierte sie auf Ranma zu, als dieser gerade zum zweiten Mal in Folge seinen Trainingsbaum hinaufgerannt war.
"Hi, Ranchan." Sie schenkte ihrem Verlobten ihr strahlendstes Lächeln, während sie ihm fröhlich zuwinkte.
Ranma sah sich suchend um, und schien Ukyo zuerst gar nicht zu erkennen. Dann jedoch beäugte er sie mißtrauisch, während er langsam näherkam.
"U-ucchan?" fragte er verblüfft.
Ukyo nickte lächelnd.
"Was war denn das für ein seltsames Training?" erkundigte sie sich.
"Oh, du hast´s gesehen?"
"Hmhm."
"Naja, weisst du, da waren diese zwei Eichhörnchen, die wie verrückt den Baum rauf und runter gerannt sind."
"Aha. Und?" machte sie verständnislos.
"Ich hab mich gefragt, wieso die immer im Kreis um den Baum rennen, wo sie doch viel schneller oben wären, wenn sie geradeaus hochlaufen würden. Also hab ich´s selbst ausprobiert."
Ukyo lächelte verstehend.
"Und? Hast du´s rausgefunden?"
"Yep." Ranma deutete auf einen Baum. "Wenn du in gerader Bahn den Stamm hochrennst, bist du zwar schneller oben, aber wenn dein Gegner auf derselben Seite des Stammes steht, die du hinaufrennst, hat er dich die ganze Zeit über im Blick. Rennst du aber in einer Spiralbahn hoch..."
°Typisch für ihn, daß er selbst so triviale Dinge wie Eichhörnchen auf Futtersuche aus dem Blickwinkel eines Kampfsportlers betrachtet.° dachte Ukyo beeindruckt. °Aber deshalb ist er ja auch der Beste.°
"Ah...ich verstehe, Ranchan. Du brauchst zwar länger nach oben, aber die meiste Zeit über hast du Deckung durch den Stamm."
Ranma grinste breit und nickte bestätigend.
"Genau, Ucchan. Außerdem bist du durch die Seitwärtsbewegung schwerer zu treffen. Aber sag mal...", er musterte sie von unten nach oben, "...ist bei dir Waschtag, oder so?"
Ukyo sah errötend zur Seite.
°Ich glaub´s nicht. Er hat tatsächlich bemerkt, daß ich was anderes an habe als sonst.°
"Gefällt dir wie ich aussehe?" fragte sie leise.
Ranma schaute sich panisch um, als er die Frage hörte. Normalerweise mußte jetzt jeden Moment mindestens eine seiner anderen Verlobten und/oder Verehrerinnen auftauchen, was im Idealfall nur in einem fürchterlichen Chaos enden würde. Im Normalfall allerdings würde er auch noch von Akane vermöbelt werden. Und im schlimmsten Fall würden dann noch Mousse, Kuno oder Ryoga – oder alle zusammen – auftauchen, um ihm das Leben schwer zu machen. Es stellte sich allerdings die Frage, ob man bei Schlägen von Akane wirklich den Begriff Normalfall verwenden konnte, wo doch der schlimmste Fall wesentlich häufiger eintrat.
"Hey, hast du deine Sprache verloren, Sugar?"
"Ähm...nein, nein. Ich hab nur gerade über was nachgedacht." erklärte er vage.
"Und?"
"Und...was?"
"Aussehen." gab sie ihm erneut das Stichwort.
"Ähm...sieht auf jeden Fall anders aus als sonst. Aber stört dich die Änderung deines Schwerpunkts nicht?"
°Baka.° dachte sie nur, während sie sich zwang, ruhig und freundlich zu bleiben.
"Nein." antwortete sie knapp. "Aber warum ist es so schwer, zu sagen, ob es dir gefällt?" fragte sie. "Ich hab nur deine Meinung hören wollen. Es ist ja nicht so, als ob ich dich zu ´nem Date eingeladen hätte."
°Das heb ich mir für später auf.°
"Es ist ungewohnt, Ucchan. Irgendwie siehst du aus wie mein Zwilling."
Sie kicherte kurz bei der Vorstellung, während er weitersprach. "Und wenn Akane uns so sieht..."
Sie blieben kurz vor dem Ausgang des Parks stehen.
"Vergiss Akane für einen Moment." unterbrach Ukyo ihn ernst. "Ich muß über etwas mit dir reden. Etwas für mich sehr wichtiges."
Ranma nickte. "Okay. Aber können wir vorher zu dir gehen? Ich hab furchtbaren Hunger und Akane macht heute bei uns das Abendessen."
Nur mit Mühe widerstand Ukyo dem Impuls, ihm zuzustimmen und schüttelte langsam den Kopf.
"Warum nicht, Ucchan?" fragte er überrascht. Seit sie ihr Restaurant besaß, hatte sie ihm noch nie eine Mahlzeit verweigert.
°Weil das der Weg ist, den all die erfolglosen Gesprächsversuche zuvor auch gegangen sind.° dachte sie, entschlossen, frühere Fehler zu vermeiden.
"Weil ich nicht will, daß du bei unserem Gespräch durch irgendetwas abgelenkt wirst." erklärte sie ihm.
"Hm. Okay."
"Ich...Ranchan, ich muß dich etwas fragen, aber vorher muß ich noch etwas klarstellen." Sie atmete noch einmal tief durch, während Ranma sie abwartend anstarrte. Dann sprach sie mit gesenktem Blick weiter. "Ich kenne dich inzwischen gut genug, um zu wissen, daß du dich mit dieser Frage nicht gern auseinandersetzt, aber es ist mir wichtig. Ich brauche eine Antwort von dir, und ich brauche sie jetzt. Wir können darüber reden, aber wenn du dich wieder nur rausredest, oder wegläufst, dann...dann bedeutet das das Ende unserer Freundschaft."
Als sie den Kopf wieder hob, und ihm in die Augen sah, fiel ihm sofort der feuchte Glanz auf, der auf ihnen lag, und er las das stumme Flehen in ihrem Blick. Die Bitte, ihre Bedingung zu akzeptieren. Gleichzeitig hörte er jedoch die Stimme in seinem Kopf, die ihn davor warnte, sich darauf einzulassen. Eine Stimme, die ihm zuschrie, es könne unter diesen Vorbedingungen nur um ein einziges Thema in dem bevorstehenden Gespräch gehen, und darauf dürfe er sich auf keinen Fall einlassen. Stattdessen solle er lieber einen Weg finden, schnellstmöglich von der Bildfläche zu verschwinden.
Ranma gab der Stimme insofern Recht, daß für die Unterhaltung wohl wirklich nur ein Thema in Frage kam. Aber angesichts der Gefahr, die Person, die in seiner Kinderzeit sein bester Freund gewesen war – damals hatte er ja noch geglaubt, Ukyo sei ein Junge – und die auch heute noch zu seinen wenigen guten Freunden zählte, zu verlieren, gab es keine Alternative für ihn.
Er nickte knapp.
"Okay, Ucchan. Ich werde bleiben."
°Auch wenn ich so eine Ahnung habe, daß es nicht angenehm werden wird.°
Ukyo atmete erleichtert auf.
"Danke, Ranchan. Als Ausgleich bekommst du nachher eine extragroße Okonomiyaki."
°Und zur Feier unserer Verlobung werd ich mir besonders viel Mühe geben.°
"Danke."
"Nun zu meiner Frage."
"Du willst mit mir ausgehen." riet er und brachte Ukyo damit kurzzeitig aus dem Konzept.
"Wie bitte?"
"Du willst sicher mit mir ausgehen." wiederholte er seine Vermutung. "Hast du ja vorhin auch schon von gesprochen."
"Ähm...eigentlich wollte ich dich was anderes fragen."
"Oh...na dann."
Sie holte noch einmal tief Luft.
°Mein Gott, warum ist das so schwer, diese Frage zu stellen?°
"Ranchan. WenwürdestdualsVerlobtewählenwenndufreientscheidenkönntest?"
Ranma blinzelte verblüfft. Noch nie hatte er jemanden so schnell sprechen hören. Jedenfalls nicht, ohne daß dieser jemand sich dabei die Zunge verknotete.
"Ähm...ich hab kein Wort verstanden,Ucchan." gestand er.
Ukyo lief knallrot an.
°Meine Güte, jetzt benehme ich mich schon wie eine Grundschülerin beim ersten Rendezvous. Wie peinlich.°
Sie unternahm einen neuen Versuch.
"Ranchan, wenn es deine Entscheidung wäre...wen würdest du wählen?"
"Keinen Schimmer. Politik find ich langweilig. Nur ein Haufen alter Männer wie Pops, die den ganzen Tag Reden halten."
"Argh! Ich meine doch als Verlobte!" fuhr sie ihn an.
"Hey!" rief Ranma protestierend und fuchtelte abwehrend mit den Händen herum. "Du weisst doch genau, daß das nur mein alter, blöder Vater zu verantworten hat. Diese ganzen verdammten Verlobungsversprechen sind alle seine Schuld. Kein Mensch hat mich vorher gefragt."
"Ich frage dich jetzt, Ranchan." erwiderte sie. "Und ich will niemandem an irgendwas die Schuld geben, und mich interessiert es auch nicht, wer die Verantwortung für die Verlobungsversprechen, die dich betreffen, trägt. Alles, was ich wissen will, ist, für wen du dich entscheiden würdest. Sonst nichts."
"Aber ich..." wollte er erneut protestieren, doch Ukyo unterbrach ihn mit einer Handbewegung. "Ranchan." seufzte sie ein wenig resignierend. Sie hatte sich das Ganze leichter vorgestellt. "Ich weiss doch, warum du der Entscheidung immer ausweichst, und ich habe sogar Verständnis dafür."
Ranma machte große Augen.
"Wirklich, Ucchan?"
°Das wäre das erste Mal, daß irgendjemand Verständnis für mich hat.° dachte er erstaunt.
"Natürlich, Sugar. Wenn du eine Entscheidung triffst, würden die beiden anderen potentiellen Verlobten den Kürzeren ziehen und wären, vorsichtig formuliert, ziemlich traurig darüber. Du willst nicht, daß Ak...die beiden Verliererinnen wegen einer Entscheidung, die du getroffen hast, traurig sind, und der Gedanke, der dahintersteckt, ist lobenswert. Aber du begehst dabei einen Irrtum."
Ranma wirkte auf einmal ziemlich nachdenklich und besorgt. Es stimmte. Er wollte nichts tun, was eines der drei Mädchen traurig machen könnte. Genauer gesagt, wollte er nichts tun, was irgendein Mädchen auf der Welt traurig machen würde. Mädchen mußten beschützt werden. Das war ein elementarer Teil seines Martial Arts-Kodex und damit Teil seiner Lebenseinstellung.
"Und...inwiefern irre ich mich?"
"Ganz einfach. Irgendwann, vielleicht heute, vielleicht erst in zehn Jahren, wirst du die Entscheidung, die du jetzt noch vor dir herschiebst, treffen müssen, und je länger du damit wartest, desto länger baut sich auch in den beiden unwissenden Verliererinnen des Verlobungsstreits die Hoffnung auf, dich für sich zu gewinnen." antwortete sie. "Das bedeutet, je länger du mit der Entscheidung wartest, desto größer wird der Schmerz bei den Beiden sein. Sagst du es ihnen aber zu einem frühen Zeitpunkt, wird zuerst natürlich auch ein gewisser Schmerz da sein. Das ist unvermeidlich. Aber Sh...sie werden darüber hinwegkommen und sich auf die Suche nach einer neuen Liebe machen können, ohne vorher die besten Jahre ihrer Jugend mit vergeblicher Warterei verbracht zu haben."
"Hmm." Sein Gesicht wurde noch nachdenklicher, als er versuchte, diese Argumentation zu verarbeiten. Theoretisch hätte er da schon selbst drauf kommen können, aber sein chaotisches Leben hatte ihm bisher kaum Zeit gelassen, mehr als zehn Minuten in die Zukunft zu denken, und selbst das war schon ein seltenes Ereignis gewesen.
"Ich glaube, ich verstehe, was du meinst, Ucchan."
Ukyo lächelte zufrieden.
"Wunderbar, Sugar. Und da es letztlich unvermeidlich ist, Ak...den Verliererinnen emotionalen Schmerz zuzufügen, kannst du es doch genausogut gleich hinter dich bringen, nicht wahr? Zumindest könntest du die Gewinnerin benennen."
°Akane und Shampoo kann er ja später von ihrem Pech in Kenntnis setzen.°
Ranma sah das erwartungsvolle Strahlen in ihren Augen und hatte nur noch einen Gedanken.
°Irgendwie muß ich Zeit gewinnen, ohne daß sie Verdacht schöpft.°
"Ähm...also...du hast natürlich Recht, Ucchan, aber laß mich darüber noch ein oder zwei Tage nachdenken, ja?" Er wandte sich um, um durch den Ausgang des Parks zu verschwinden. "Tja, ist leider schon spät. Muß zum Essen zu Hause sein, also mach´s gut."
Ukyo starrte ihm für einen Moment fassungslos hinterher.
"Aber ich dachte, Akane kocht..." murmelte sie verwirrt.
Dann kamen ihr wieder die Worte der Wahrsagerin in den Sinn: Ihr könnt dieser Entscheidung ausweichen, aber dann wird sich nicht viel zwischen euch ändern. Oder ihr ringt euch dazu durch, diese Entscheidung zu treffen.
°Er MUSS es mir einfach heute sagen!°
"RANCHAN! STOP!"
Als Ranma den anklagenden Unterton in ihrer Stimme hörte, blieb er wie angewurzelt stehen. Das näherkommende Geräusch von knirschendem Kies hinter ihm verriet ihm, daß Ukyo wieder zu ihm aufschloß. Knapp hinter ihm blieb sie stehen.
"Bitte, Ranchan. Du...Ich MUSS es heute wissen. Bitte gib mir die Antwort." drängte sie. "Was machen ein oder zwei Tage? Warum kannst du es nicht jetzt sagen? Dann können wir anschließend zu mir gehen und du bekommst deine Okonomiyaki, damit wir die Verlobung..." Sie verstummte, als Ranma sich umdrehte, und sie den tiefen Schmerz in seinen Augen bemerkte. Das stumme Flehen, ihn jetzt nicht zu einer Antwort zu drängen. Und plötzlich traf sie die Erkenntnis. Wenn er antwortete, würde sie nicht die Gewinnerin sein.
Tränen erschienen in ihren Augen und in der Erkenntnis ihrer Niederlage sackten ihre Schultern herab.
°Aber ich verstehe das nicht. Die Wahrsagerin hat doch gesagt...° Und plötzlich begriff sie ihren Fehler. °In der Tat.° dachte sie bitter. °Es ist zwischen uns jetzt tatsächlich nichts mehr so wie zuvor.°
"Ich...verstehe." wisperte sie tonlos. "Kann man wohl nichts machen, wie?" Wie ein Zombie setzte sie sich in Bewegung und trottete langsam an Ranma vorbei, der nicht wußte, wie er nun reagieren sollte. Die ganze Situation überforderte ihn völlig.
"Dann richte Shampoo meine Glückwünsche aus." murmelte sie im Vorbeigehen.
Ranma starrte ihr verdutzt hinterher. Dann schaltete sich sein Mundwerk ein, und das, wie fast immer, bevor sein Gehirn etwas dazu zu sagen gehabt hatte.
"Was soll ich denn von Shampoo wollen? Die ist doch nur wegen ihres blöden Gesetzes hinter mir her!"
Ukyo erstarrte nach wenigen Schritten mitten in der Bewegung.
°Soll das etwa heissen, ich habe gegen...° Ihr Gehirn weigerte sich schlicht, diesen Gedanken zu Ende zu denken.
Ihr ganzer Körper fing an zu zittern, und sie stiess ein leises, glucksendes Kichern aus, das immer lauter wurde, und sich schließlich zu einem hysterischen Lachen steigerte.
Außer sich wirbelte sie zu Ranma herum, der von dem Bild, das sich ihm bot, derart schockiert war, daß er dastand wie das Reh im Scheinwerferlicht eines heranrasenden Lastwagens.
"Heißt das etwa, du wählst tatsächlich Akane?" fragte sie mit schriller Stimme. "Diese...diese häßliche Furie, die dich grundlos mißhandelt und beschimpft...und die nicht mal Wasser heißmachen kann, ohne daß es anbrennt?"
Ranma starrte seine langjährige Freundin hilflos an. Was sollte er darauf antworten?
"Das...das muß ein Alptraum sein!" rief sie. "Mein Ranchan und Akane! Das glaub ich nicht!"
"Ucchan, bitte!" Ranma trat auf sie zu, um sie zu beruhigen, doch diese drehte sich plötzlich um und rannte davon.
Wie gelähmt starrte er ihr hinterher.
Erst das schrille Kreischen von Bremsen und das infernalische Geräusch einer Hupe rissen ihn aus seiner Erstarrung.
Ranma schien regelrecht zu explodieren, als er sich bewegte, aber aus langjähriger Erfahrung wußte er, daß seine Anstrengung vergeblich sein mußte.
Im letzten Moment vor dem Aufprall schien Ukyo den Lastwagen ebenfalls zu bemerken, ebenso wie die Tatsache, daß sie auf die Straße gelaufen war, aber da war es bereits zu spät. Das schwere Fahrzeug erfasste sie frontal.
Es gab einen dumpfen Knall, dann flog ihr Körper in hohem Bogen durch die Luft, krachte halb auf einen geparkten Wagen, rutschte von da herunter auf den Bürgersteig und blieb dort reglos liegen.
"UCCHAAAAAN!" kreischte Ranma entsetzt, während er ihren Flug verfolgte, ohne etwas unternehmen zu können. Seine Stimme überschlug sich vor Panik.
Als er ihren leblosen Körper erreichte, lag dieser inmitten einer langsam größer werdenden Blutlache da.
"SCHNELL! HOLT EINEN ARZT!" brüllte Ranma einen schockierten Passanten an, der panisch nickte und sein Handy hervorkramte. Dann kniete er sich neben sie und begann vorsichtig, den Körper seiner Freundin zu untersuchen.
Ihr Hemd war eingerissen, und das Blut aus zahlreichen Schnittwunden am ganzen Oberkörper färbte den Stoff bereits an den meisten Stellen tiefrot. Arme und Beine waren unnatürlich verdreht, und mit Sicherheit mehrfach gebrochen. Im rechten Arm hatte sie sogar eine klaffende Wunde, aus der das gesplitterte Ende ihrer Elle herausragte. Außerdem hatte sie eine böse Platzwunde am Kopf, aus der ihr Blut über das ganze Gesicht lief.
"Ucchan." stammelte Ranma verstört. Er war genauso bleich wie Ukyo, deren Atem nur noch flach und stossweise ging. "Mach jetzt nicht schlapp. Ein Arzt kommt gleich. Die bringen dich ins Krankenhaus, und dann wird das schon wieder."
Ukyo öffnete blinzelnd ihre Augen. Vorsichtig wischte Ranma das Blut soweit weg, daß ihre Sicht nicht behindert war.
"Das tut...so weh." keuchte sie. Ein blutiges Rinnsal lief ihr aus dem Mundwinkel, während sie sprach. Ranma mußte sein Ohr ganz dicht an ihren Mund halten, um sie überhaupt zu verstehen.
"Shhh. Streng dich nicht an, Ucchan. Der Arzt ist gleich da."
"...zu spät..." röchelte sie mit glasigem Blick. Ihre linke Hand, die kaum verletzt war, griff nach Ranmas Hand. Ranma nahm ihre Hand und hielt sie fest.
"Das ist alles meine Schuld." jammert er.
"Nein..." Ukyo hustete schwach, und der Blutfluß aus ihrem Mund verstärkte sich etwas. "...nicht...du...hätte nicht...drängen dürfen..." Danach sagte sie noch etwas, was für Ranma wenig Sinn ergab und irgendwie wie 'verdammte Wahrsagerin' klang. Dann begannen ihre Augen langsam zuzufallen.
Ranma bemerkte dies alarmiert.
"Hey, Ucchan!" Er rüttelte sie sanft. Auch wenn ihr das Schmerzen verursachte, war dies nötig, denn wenn sie jetzt die Augen schloß, würde sie sie vielleicht nie wieder aufmachen. "Bleib wach! Nicht die Augen zumachen! Kämpf dagegen an!" Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren spürte Ranma Tränen in seinen Augen.
Sie öffnete die Augen wieder etwas, und Ranma atmete erleichtert auf.
"Bleib mir bloß wach, Ucchan. Wenigstens bis der Krankenwagen da ist, hörst du?"
Ukyos blutige Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln.
"Schon...okay...Sugar." Ihr linkes Bein verrutschte etwas, und der Schmerz ließ sie zusammenzucken.
"Bleib ruhig liegen." ermahnte Ranma sie. "Sonst tut es nur unnötig weh. Du hast da einige gebrochene Knochen."
"...auch egal...gibt schlimmere...Schmerzen." Selbst Ranma begriff, daß sie nicht von körperlichen Leiden sprach, bezweifelte aber, ob er ihr da zustimmen würde. "...bald vorbei..."
Das Grauen presste Ranmas Herz mit eiserner Faust zusammen. Die Vorstellung ihres Todes war fast schon zuviel für ihn.
"Du...du wirst nicht sterben." stammelte er entsetzt. "Die Ärzte heute kriegen sowas wieder hin. Und wenn nicht, hol ich Tofu oder den alten Ghoul. Die machen dich mit links wieder gesund."
Er blickte auf und schaute sich panisch um. Von einem Arzt oder Krankenwagen weit und breit keine Spur.
"WO BLEIBT DENN DER VERDAMMTE ARZT?" brüllte er verzweifelt.
Ukyos Griff um seine Hand verstärkte sich kurz, und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf Ukyo zurück.
"Wir hatten...schöne Zeit...Ranchan. Aber...ohne deine...Liebe..." Ein weiterer Schwall Blut ergoß sich aus ihrem Mund.
Dann fielen ihre Augen zu und ihr Kopf sackte ganz langsam zur Seite.
"Uc...chan..." wisperte Ranma tonlos. "Hey, sag doch was!"
Nichts.
"Ucchan." Er rüttelte sie sanft, aber diesmal blieb eine Reaktion aus.
"Ucchan, komm schon. Das ist nicht lustig. Du wolltest mir doch eine extragroße Okonomiyaki machen, weisst du nicht mehr? Du machst doch schließlich die besten Okonomiyaki der Welt."
Ranma blickte schluchzend auf und in die betroffenen Gesichter umstehender Passanten.
"Sie wird doch wieder gesund werden, nicht wahr?"
Einige wenige nickten mitfühlend, doch die meisten wichen seinem flehenden Blick aus, zu mitgenommen, um den Jungen mit einer so offensichtlichen Lüge zu trösten.
"Das ist alles meine Schuld." heulte er. "Warum muß SIE sterben, wenn es MEINE Schuld ist?" Sein Blick fiel auf das Blut an seinen Händen. Hysterisch kichernd zeigte er sie den Umstehenden. "Seht ihr? IHR Blut klebt an MEINEN Händen! ICH bin schuld! ICH sollte tot sein!"
Unangenehm berührt, und unsicher, wie sie mit der Situation umgehen sollten, wandten die Leute sich ab. Wer konnte wissen, was dieser offensichtlich unter Schock stehende junge Mann nun anstellen würde?
"Ja." flüsterte er heiser. "Schaut nur weg. Zeigt mir eure Verachtung, denn ich hab sie verdient." Ein irres Flackern lag in seinen Augen, als er aufsprang, und unvermittelt losrannte.
Ohne Ziel.
Einfach weg.
Egal wohin.
Hauptsache fort von dem Ort, an dem durch seine Schuld der einzige Freund aus seiner Kinderzeit gestorben war.
