Ron kehrte erst spät am Abend in den Gemeinschaftsraum zurück. Ginny war schon zu Bett gegangen. Nur Hermine wartete auf ihn.
„Habt ihr ihn gesehen?" fragte er leise.
Sie umarmte ihn.
„Nein. Haben wir nicht. Mach dir keine Sorgen. Harry wäre nicht Harry, wenn er dir nicht verzeihen würde."
Ron nickte gerührt. Sie gaben sich einen Kuss und dann gingen sie ins Bett.
Die Vorhänge um Harrys Bett waren zugezogen, so konnte er nicht sehen, ob Harry drin war. Er rief leise nach ihm, bekam aber keine Antwort. Ron hatte diese Nacht einen sehr unruhigen Schlaf und wurde von Albträumen geplagt.
Als er erwachte, war Harrys Bett verlassen. Er machte sich fertig und ging hinunter in den Gemeinschaftsraum. Dort warteten Ginny und Hermine auf ihn. Ron sagte ihnen, dass Harry bereits weg war und so machten sie sich auf den Weg in die Große Halle zum Frühstück. Harry war nicht zu sehen, doch Neville bestätigte ihnen, dass Harry da gewesen war. Er sei nach draußen gegangen. Nach dem Frühstück ging Ginny in die Bibliothek, sie musste noch einen Aufsatz schreiben. Hermine und Ron wollten versuchen, Harry zu finden und mit ihm zu reden. Ginny wünschte ihnen viel Glück.
Harry ging, wie so oft, allein an den See und setzte sich unter einen bestimmten Baum. Er dachte über seine Möglichkeiten nach und über die Prophezeiung. Immer wieder fragte er sich, ob er es schaffen würde, Voldemort zu töten. Doch dann erinnerte er sich immer wieder an den Moment im Flugzeug, als er erkannt hatte, was ihm seine Freunde bedeuteten und was er ihnen schuldig war. Er würde nicht aufgeben.
Außerdem trauerte er um Irida. Sie fehlte ihm so sehr. Genau, wie Sirius.
In diesen Momenten gab er sich den Tränen hin.
Ron hatte er inzwischen längst vergeben. Dennoch war er heute morgen nicht in der Stimmung, ihm gegenüber zu treten. Die gestrigen Ereignisse hatten ihn doch sehr aufgewühlt. Ginny behandelte ihn wie einen Freund und er sie wie eine Freundin. Harry war ihr dankbar dafür. Sein Herz trauerte noch. Aber er wusste, dass es so nicht mehr lange weitergehen konnte, sonst würde er Ginny verlieren. Er war sich inzwischen sicher, dass das die große Liebe war, von der Idira gesprochen hatte. Er spürte, wie sich zwischen Ginny und ihm ein starkes Band entwickelte. Er konnte nicht mehr lange warten, denn wenn er Ginny verlieren würde, hätte er auch Idira enttäuscht. Trotzdem konnte er noch immer nicht loslassen.
Als er später vom See in das Schloss zurückkehren wollte, sah er, wie Malfoy sich an Ron und Hermine heranschlich. Die beiden hatten ihn offensichtlich gesucht. Harry näherte sich ihnen leise und unauffällig.
„Na, macht das Wiesel mit seinem Schlammblut wieder einen Ausflug? Du solltest dich nicht mit ihr abgeben, Wiesel. Du bist zwar arm, doch schließlich von reinem Blut. So etwas wie dieses Schlammblut ist selbst unter deiner Würde."
Ron kochte vor Wut und wollte sich auf Malfoy stürzen.
Hermine wollte ihn halten, doch es war zu spät. Ron wurde von Crabbe und Goyle festgehalten, bevor er Malfoy zu nahe kommen konnte.
Er ging auf Ron zu mit einem spöttischen Grinsen auf dem Gesicht. Hermine liefen die Tränen über die Wangen.
„Lass ihn in Ruhe, Malfoy."
„Ich bringe dich um, du Ratte." schrie Ron ihn an.
„Sieht nicht aus, als könntest du im Augenblick irgendetwas tun."
Harry war selbst von kalter Wut erfüllt und entschloss sich, einzugreifen.
In diesem Augenblick verhexte Malfoy Ron mit einem Petrificus Totalus-Zauber, der ihn bewegungsunfähig machte. Malfoy und seine Bodyguards lachten laut.
„Das reicht jetzt, Malfoy. Ich hatte dich gewarnt." sagte Harry mit schneidender Stimme. Hermine bekam bei seinem Auftritt eine Gänsehaut.
Crabbe und Goyle stürzten auf ihn zu. Harry hob cool beide Hände und richtete sie auf die beiden. „Stupor!" Sie gingen betäubt zu Boden.
Hermine sah ihn mit geweiteten Augen an, genau wie Malfoy.
„Was willst du tun, Potter? Wenn du mich verhext, melde ich dich." sagte Malfoy unsicher.
Harry lächelte kalt „Ich fordere dich zu einem Duell, Draco. Nur wir beide. Du wirst sicher nicht die Ehre der Malfoys beschmutzen, in dem du es ablehnst und deine Spatzenhirne auf mich hetzt, oder?"
Malfoy sah ihn erschrocken an. Er dachte nach. Es wäre tatsächlich unehrenhaft gewesen. Er hatte den Eindruck, Potter konnte nun wesentlich besser mit Zaubersprüchen umgehen, als er. Dann grinste er teuflisch.
„In Ordnung, Potter. Ein Duell zwischen uns beiden. Heut Abend nach dem Essen. Hier. Aber keine Zaubersprüche, sondern Waffen."
Harry sah ihn überrascht an.
„Wie du willst. Jeder wählt seine Waffe, ich bestehe nicht auf gleichen Waffen. Und keine Zaubersprüche. Wo bekommen wir die Waffen her?"
Draco sah ihn misstrauisch an. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Potter dieses Duell annehmen würde. Aber er war sich sicher, dass er gewinnen würde, schließlich hatte er seit seinem elften Lebensjahr das Fechten erlernt.
„Wir treffen uns nach dem Essen in der Großen Halle. Ich zeige dir die Waffenkammer. Weck die beiden auf, dann nehme ich den Bann von Weasley."
Harry nickte ihm zu und hob den Zauber von Crabbe und Goyle auf.
Draco machte das gleiche bei Ron.
Dieser wollte sich auf Draco stürzen, doch Harry hielt ihn zurück.
„Nicht. Ich habe ihn zu einem Duell herausgefordert. Du wirst ihm jetzt nichts tun, verstanden." Ron sah an Harrys Augen, dass er keinen Widerspruch dulden würde.
Er fügte sich und Draco mit seinen Schatten zog ab.
„Harry, was gestern passiert ist, tut mir sehr leid. Ich habe das alles in den falschen Hals bekommen. Ich habe nur gesehen, wie Ginny weinend weg gerannt ist. Sie ist doch meine kleine Schwester und ich kann es nicht ertragen, wenn ihr jemand weh tut."
„Ich wollte ihr nicht weh tun, Ron. Ich wollte ihr helfen." sagte Harry leise.
„Ich weiß das jetzt. Ich fühle mich wie ein Idiot. Ginny hat mir alles erklärt. Ich wünschte, du hättest uns erzählt, wie sehr dich das alles bedrückt." antwortete Ron niedergeschlagen.
Harry sah ihn ernst an „Ich weiß, dass ihr beiden mir helfen wollt. Aber es ist schwer für mich, anderen meinen Schmerz mitzuteilen. Ginny ist die erste, der ich mich so weit geöffnet habe. Außerdem habe ich gesehen, wie glücklich ihr beide seid. Warum sollte ich euch damit belasten?"
„Harry, wir sind deine Freunde. Wir sind für dich da. Du belastest uns nicht." Sagte Ron und Hermine nickte bestätigend.
„So einfach ist das nicht. Es gibt Sachen, von denen ihr nichts wisst und das ist im Augenblick auch besser so. Vertraut mir. Wenn es etwas gibt, was ihr für mich tun könnt, lasse ich euch es wissen, Ok?"
Die beiden nickten, wenn auch nicht ganz zufrieden.
„Sind wir noch Freunde?" fragte Ron bedrückt.
Harry sah ihn abschätzend an.
„Ich weiß, dass du nur in Ginnys Interesse gehandelt hast. Dennoch hätte ich gedacht, du würdest mir mehr vertrauen. Ich könnte Ginny nie weh tun. Du hättest mich wenigstens erst mal fragen können, was passiert ist."
Als er sah, wie Ron bei seinen Worten zusammenzuckte, fingen seine Augen wieder an zu strahlen, „Aber ich verzeihe dir natürlich. Selbstverständlich sind wir noch Freunde. Übrigens, du hast einen verdammt harten rechten Haken." lachte er.
Hermine strahlte Harry an, doch Ron sah verlegen zu Boden.
„Das kannst du nicht tun, Harry." sagte Hermine verzweifelt als sie wieder im Gemeinschaftsraum zurück waren. Ginny hatte sich wie immer zu ihnen gesellt.
„Ich habe ihn herausgefordert und ich stehe dazu, genau wie er. Es ist der einzige Weg, ihn von seinen Beleidigungen abzubringen, schließlich ist er bei seiner Ehre gebunden und ich weiß dass die Malfoys solche Sachen ernst nehmen."
„Was kann Harry nicht machen?" fragte Ginny.
„Er hat Malfoy zu einem Duell herausgefordert." antwortete Ron betrübt.
„Na und? Er wird Malfoy vom Platz hexen, ihr habt ihn noch nicht gesehen."
„Ginny, er hat einem Duell mit Waffen eingewilligt. Keine Zauberei." sagte Hermine verzweifelt.
„WAS?" fuhr Ginny ihn an, „Bist du von allen guten Geistern verlassen? Malfoy kann fechten. Er wird dich aufschlitzen, bevor du Quidditch sagen kannst."
Harry sah sie lächelnd an „Vertrau mir. Mir wird nichts geschehen, nur Malfoy wird sich wünschen, nie geboren worden zu sein."
„Ich werde das nicht zulassen." sagte Ginny bestimmt.
Harry sah sie ernst an.
„Ginny, ich weiß mir zu helfen und mir ist durchaus bewusst, dass Malfoy fechten gelernt hat, seit er noch ein Kind war, aber ich werde es nicht zulassen, dass er Hermine oder euch nur noch ein mal beleidigt."
„Wie dem auch sei," lenkte Ron sie ab, „es ist Abendessen angesagt."
Sie gingen in die große Halle, um zu essen.
Nach dem Essen ging Harry mit Ron zu Draco und sie folgten ihm in die Waffenkammer.
„Wow," sagte Ron, „Ich wusste gar nicht, dass Hogwarts so viele Waffen hat."
„Hogwarts ist ein Schloss. Das hättest du dir denken können, Weasley." schnauzte Malfoy.
Draco ging zielstrebig zu dem Waffenständer und nahm sich ein Langschwert.
Gut, dachte sich Harry, damit ist er wenigstens nicht so schnell, wie mit einem Rapier oder einem Degen.
Harry ging zur gegenüberliegenden Wand und nahm sich einen Kampfstab aus dem Ständer. Es war ein zwei Meter langer Eichenstab mit verstärkten Enden.
„Was? Du willst mit einem Stock gegen mich kämpfen?" lachte Malfoy, „Du bist so gut wie erledigt, Potter."
Sie gingen hinaus und vor der Tür nach draußen wurden sie von Ginny, Remus Lupin und Snape erwartet.
„Harry, ich verbiete dir, zu kämpfen." sagte Remus.
Ginny sah Harry triumphierend an.
„Was soll das alles, Draco?" fragte Snape.
„Potter hat mich zu einem Duell gefordert und ich habe mich für Waffen anstatt Zauber entschieden." Snapes Augen blitzten auf.
„Sie haben es gehört, Lupin. Es ist ein Duell. Wir können sie nicht davon abhalten. Habt ihr eure Sekundanten?"
Draco und Harry sahen sich an.
„Gut, wenn du nichts dagegen hast, bin ich dein Sekundant, Draco" sagte Snape, als er ihren Blick bemerkte.
„Harry? Bist du dir sicher?" fragte Lupin und Harry nickte.
„Dann würde ich gern dein Sekundant sein."
Harry nickte nochmals, „Danke, Professor Lupin."
Ginny war blass und blickte voller Unverständnis Remus an. Dieser zuckte hilflos die Schultern, „Sie haben das Recht, sich zu duellieren."
„Aber wir sind doch nicht mehr im Mittelalter." sagte sie verzweifelt.
„Diese Regel ist nie abgeschafft worden, schließlich gibt es noch heute Zaubererduelle, wenn auch nicht mehr mit Waffen."
Harry ging zu ihr. „Ginny, es tut mir leid, wenn du dir sorgen um mich machst, aber es muss sein. Hab Vertrauen."
Dann gingen sie hinaus. Ron und Ginny folgten ihnen.
Draußen stellten sich Harry und Draco gegenüber, die Waffen in Kampfhaltung,
„Das Duell ist beendet, wenn der Gegner blutet." gab Snape bekannt.
„Wenn der Gegner am Körper blutet, Arme, Beine, Kopf sind irrelevant." sagte Malfoy.
„Wie du wünscht, Draco." sagte Harry mit eisiger Stimme und fügte hinzu „und natürlich, wenn du kampfunfähig bist, schließlich ist mein Stab weder eine Schnitt- noch eine Stichwaffe."
Ginny seufzte ängstlich.
„So sei es." sagte Snape und freute sich schon auf Harrys Niederlage.
Remus schaute Harry besorgt an.
„Lass uns beginnen." sagte Draco und Harry nickte.
Zunächst zirkelten die Gegner umeinander und warteten auf den Angriff des anderen. Schließlich startete Draco einen Angriff auf Harry. Dieser parierte das Schwert locker mit seinem Stab und schlug seinerseits zu. Draco wurde überrascht von der Schnelligkeit des Angriffs konnte ihn aber gerade so abwehren.
Er ging nun vorsichtiger vor und startete Finten, um Harry aus der Reserve zu locken. Doch darauf war Harry gefasst. Schließlich startete Draco einen Schlagabtausch. Er täuschte einen tiefen Angriff vor und Harry wehrte ab, doch das entblößte seine linke Schulter. Darauf hatte Draco gewartet und er stach zu. Harry wich aus, doch das Schwert traf ihn am Oberarm. Er spürte, wie sein Hemd und die Haut darunter zerschnitten wurde. Es durchfuhr ihn ein brennender Schmerz, aber er hatte schon schlimmeres überstanden.
Ginny und Remus ächzten auf.
Harry hatte nun die Nase voll. Er wirbelte seinen Stab herum, dass vor ihm nur ein kreisrunder Schemen zu sehen war. Draco war verblüfft. Dann startete Harry blitzschnelle Schläge auf Dracos gesamten Körper, auf die Arme, auf die Beine und den Bauch. Draco schaffte es nicht, alle Schläge abzuwehren und keuchte des öfteren auf. Zu einem Angriff kam er nicht mehr.
Remus, Snape, Ginny und Ron starrten Harry entsetzt an. Sie wussten nicht, dass er überhaupt kämpfen konnte, geschweige denn mit solch einer Anmut und solch flüssigen Bewegungen, wie sie es jetzt vor sich sahen. Es sah bald aus, als würde Harry einen Tanz aufführen.
Dann schließlich drehte sich Harry um sich selbst, den Stab nur an einem Ende mit beiden Händen gefasst, so dass er die volle Länge des Stabs zum Angriff nutzte und traf Draco mit voller Wucht an seinem rechten Oberarm. Er senkte unwillkürlich sein Schwert, da er seinen Arm kaum mehr bewegen konnte. In der selben Bewegung drehte Harry den Stab nun in der Mitte gefasst und hieb ihn auf Dracos rechte Schulter und mit einem eleganten Schwung und einer halben Körperdrehung traf er Draco mit dem anderen Stabende genau auf die ungeschützte Brust.
Snape ächzte, als Draco bewegungslos zu Boden sank.
„Kampfunfähig!" sagte Harry trocken.
Dann schob er mit seinem Fuß Dracos Schwert beiseite und kniete neben ihm nieder. Er untersuchte ihn flüchtig und klatschte ihm kurz rechts und links eine. Draco kam wieder zu sich.
„Du hast verloren und bei deiner Ehre, keine Beleidigungen meiner Freunde mehr, weder von dir noch von deinen Schatten oder ich lasse das nächste Mal keine Gnade walten." flüsterte Harry ihm mit eisiger Stimme zu.
Draco nickte nur geschlagen. Snape stürzte auf ihn zu und zog ihn hoch. Dann führte er ihn ins Schloss und bedachte Harry mit einem letzten ehrfürchtigen Blick.
Ron stürzte auf ihn zu. „Wow, ich wusste gar nicht, dass du so kämpfen kannst. Wo hast du das gelernt?"
Harry war die Aufmerksamkeit peinlich. „Zunächst hat meine Funktion als Sucher meine Reflexe geschärft. Das kam meinem Training zu gute. Aber letztendlich war es wohl nur der Überraschungsmoment. Malfoy hat einfach nicht damit gerechnet, dass ich mich zu wehren weiß und hat mich unterschätzt. Es hätte auch anders ausgehen können." sagte er ernst.
„Wer hat dich denn ausgebildet, Harry?" fragte Ginny. Ihre Erleichterung über den Ausgang des Kampfes war ihr deutlich anzusehen.
„Denron und Idira." antwortete er leise.
„Oh, es tut mir leid, Harry. Ich wollte dich nicht daran erinnern." sagte Ginny einfühlsam.
„Ist schon gut, Gin. Ich bin noch immer nicht darüber hinweg, aber irgendwann muss ich die Trauer überwinden. Und die Vergangenheit zu verdrängen hilft mir auch nicht." sagte Harry mit fester Stimme.
Nun meldete sich Remus zu Wort. „Warum hast du ihn überhaupt herausgefordert, Harry?"
„Ich wollte, dass er aufhört, meine Freunde zu demütigen."
„Ich denke, das hast du jetzt erreicht. Aber sei dir dessen bewusst, dass du dir hier und heute einen Feind geschaffen hast. Unterschätze ihn nicht."
Harry nickte zustimmend.
„OK. Lasst uns zurückgehen. Das war genug Aufregung für einen Abend."
Und auch sie gingen in Richtung des Schlosses.
