Disclaimer: Keine der wundervollen Charaktere Tolkiens gehören mir, allerdings ist der Held der Geschichte meiner Phantasie entsprungen! Rating: PG 13, wegen teilweise blutigen Szenen...

Ameron ging völlig in Gedanken versunken mit schnellem Schritt durch die Gänge. War es richtig gewesen, Pergen das zu unterstellen? Vielleicht hatte er dem jungen Mann soeben Unrecht getan, aber war es nicht besser, vorsichtig zu sein? Was wusste er schon von dem jungen Mann, er konnte Goar absolut hörig sein. Ameron hatte schon einmal von Menschen gehört, die nach einer speziellen Behandlung für ihren Herren in den Tod gingen, wenn es ihnen befohlen wurde. Der Hauptmann ging im Geiste noch einmal die Reaktion Pergens durch, er schien sich keinesfalls ertappt gefühlt zu haben, eher sah er bestürzt ob der Anschuldigung aus. Aber wer konnte schon in eines Menschen Herz blicken? Ameron schüttelte langsam den Kopf. Er konnte es nicht!

In der nächsten Zeit erhielt Pergen immer mehr Freiheiten, was Ameron nicht gerade beruhigte. Sogar Frodo hatte zu dem Mann Vertrauen gefasst, fassungslos sah der junge Hauptmann, dass sein kleiner Freund begonnen hatte, Pergen Unterricht in Elbisch zu geben und der kleine Sam spielte oft mit ihm. Waren alle so leichtsinnig geworden? Oder war er zu misstrauisch? Ameron wusste nicht mehr, was er von dem Ganzen halten sollte, es war einfach verrückt. Der Mann sollte im Kerker bei seinen Freunden sitzen und für sein Verbrechen büßen, immerhin hatte er Frodo vergiftet!

Ameron wurde Pergens ständiger Schatten, zwar hielt er sich meist im Hintergrund, sodass ihn seine Freunde nicht sahen, aber Pergen wusste, dass er da war. Und das war von Ameron auch durchaus beabsichtigt, er sollte es wissen!

„Ameron! Wir möchten gerne mit dir sprechen!" rief Frodo und eilte mit Liliane zu ihm. Der junge Hauptmann war gerade auf dem Weg zu seinem Haus, nachdem er seinen Dienst offiziell beendet hatte. Erstaunt wandte sich Ameron um und sah seine kleinen Freunde an, die nun vor ihm stehengeblieben waren. „Wir haben dich schon überall gesucht, aber du warst ja mal wieder zu beschäftigt!" lachte Frodo und sah ihn mit einem breiten Grinsen an. „Naja, Aragorns Leibwächter haben kein ruhiges Leben, aber was gibt es so aufregendes?" Ameron lächelte seinen Freund an und fragte sich, was der wohl zu berichten hatte.

„Liliane bekommt ein Kind! Ich werde wieder Vater!" platzte es aus dem überglücklichen Hobbit heraus. Amerons Miene erhellte sich mit einem Male: „Das ist nicht wahr. Du...ihr bekommt ein Kind? Das ist ja wundervoll, ich freue mich für euch!" rief der junge Hauptmann freudestrahlend aus und umarmte Liliane und Frodo. „Aber man sieht gar nicht, dass du schwanger bist!" stellte Ameron fest und musterte die Hobbitfrau, die sich das Lachen nicht verkneifen konnte. „Es ist ja auch noch zu klein! Am Anfang einer Schwangerschaft sieht man nun mal nichts, das kommt später!" lachte sie. Amerons Unwissenheit in manchen Belangen ließen ihn wie einen zu groß geratenen Jungen erscheinen. Der junge Mann konnte sich zwar an seine Mutter erinnern, die ein Kind unter ihrem Herzen getragen hatte, aber er hatte damals erst davon erfahren, als der Bauch schon deutlich zu sehen gewesen war.

Ameron war völlig aufgeregt, das Baby ging ihm nicht aus dem Kopf. Wie sehr freute er sich für seine Freunde, sie hatten das Glück nach der schlimmen Zeit, die hinter ihnen lag, mehr als verdient! Gedankenversunken rührte er sein Essen um, das ihm beinahe angebrannt wäre. Ob auch er jemals Vater werden dürfte? Er erinnerte sich an das wundervolle Gefühl, ein kleines Baby in den Armen zu wiegen, der unwiderstehliche Geruch, den so ein kleines Wesen ausströmte...wenn nicht gerade die Windel gewechselt werden musste! Serinas kleine Tochter Samana war nun schon fast drei Jahre alt,

Ameron erinnerte sich noch gut an die Zeit, die er mit dem kleinen Mädchen verbringen durfte. Nach seiner Verwundung und der Sache mit Amrun hatte ihn Aragorn einige Wochen Urlaub zugesprochen, die er bei seiner Familie in Rohan verbracht hatte. Das war eine schöne Zeit gewesen, er fühlte sich völlig geborgen, ein Gefühl, das er in all den Jahren der Einsamkeit des Waldes sehr vermisst hatte!

Nach dem Essen entschloss sich Ameron noch zu einem Spaziergang, die Nacht war sternenklar und zu schön, um sie zu verschlafen! Er nahm wie immer seinen Bogen und die Pfeile, sowie das Schwert mit sich, der junge Hauptmann fühlte sich sicherer, wenn er wusste, dass er sich zu jeder Zeit zu verteidigen wusste. Planlos schlenderte er durch die Gegend und fand sich schließlich im Palastgarten wieder.

Plötzlich durchdrangen die Stille der Nacht Schreie und Kampflärm. Hastig versuchte er dem Ursprung der Laute auf den Grund zu gehen, Ameron lief vorsichtig in den hinteren Teil des Gartens, von wo der Lärm zu kommen schien, deutlich vernahm er Frodos Stimme und die eines Fremden. Sein Freund schien Angst zu haben! Pergen! Der Hauptmann hörte nun auch deutlich die Stimme des jungen Mannes heraus. Was bei den Valar war hier im Gange?

Endlich hatte er die Stelle erreicht, von wo nun deutlich Geräusche eines erbitterten Kampfes zu hören waren. Im hellen Mondenschein sah Ameron deutlich, dass ein großer, schlanker Mann mit gezogenem Messer langsam auf Frodo zuging, der am Boden kniete und starr auf den Mann sah. Erschrocken bemerkte der Hauptmann den Pfeil, der im Arm des Hobbits steckte, ein kurzer Blick in der Runde, Aragorn lag auf dem Boden neben Frodo und ein Stück entfernt sah er Pergen reglos auf dem Rücken liegen. Höchste Eile war nun geboten! Hastig zog Ameron einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn auf die Sehne seines Bogens, er musste sorgfältig zielen, bei dieser Sicht war das Schießen eine echte Kunst. Sirrend schnellte der Pfeil von der Sehne und bohrte sich tief in den Rücken des Mannes, der Frodo beinahe erreicht und das Messer zum tödlichem Stoß erhoben hatte. Wortlos brach er zusammen, das Geschoß hatte sein Herz durchbohrt und ihn sofort getötet.

Rasch war Ameron zu seinen Freunden geeilt und sah, dass Beide nicht lebensgefährlich verletzt waren. Aragorn kam gerade wieder wankend auf die Beine und hielt sich den Kopf und Frodos Wunde blutete nur wenig, also war kein großes Blutgefäß verletzt worden. Der Hobbit ging langsam zu den am Boden liegenden Pergen, dicht gefolgt von Ameron. Der Hauptmann sah sofort den großen Blutfleck, der sich an Pergens linker Brustseite ausgebreitet hatte und wusste, dass hier jede Hilfe zu spät käme. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, hörte er zu, wie Frodo mit dem Sterbenden sprach, es schnürte Ameron die Kehle zu. Seine Blicke begegneten den Augen Pergens, der ihn für einen Augenblick ansah, ehe sein Kopf zur Seite fiel. Der junge Mann war gestorben.

Ameron konnte es noch immer nicht fassen, dass der junge Mann sein Leben für das Aragorns und Frodos gegeben hatte! Welch ein Unrecht hatte er nur begangen! Wie konnte er nur so misstrauisch gewesen sein? Ameron machte sich furchtbare Vorwürfe. Er wollte nicht sehen, dass Pergen ein guter Mensch gewesen war. „Verzeih mir Pergen, dass ich deinen wahren Charakter nicht sehen wollte! Du warst ein guter Mann!" flüsterte er unter Tränen, als er sich zu dem Toten kniete und ihm sanft die Augen schloss. Dann nahm er ihn vorsichtig auf seine Arme und ging gemeinsam mit Aragorn und Frodo in den Palast, wo er Pergen in seinem Zimmer aus das Bett legte. Stumm betrachtete er den jungen Mann, sein Gesicht war sehr blass, aber er sah etwas in diesem Gesicht. das er nie zuvor bei dem jungen Mann gesehen hatte. Es schien Ameron, als hätte Pergen etwas gefunden, was er sehr vermisst hatte im Leben. Frieden!

Ameron fühlte sich furchtbar, er lag in seinem Bett und starrte an die Decke. Immer wieder gingen ihm seine Worte durch den Kopf, die er Pergen an den Kopf geworfen hatte, wie er den jungen Mann behandelt hatte, stets hatte er ihm gezeigt, dass er ihm keine Sekunde lang traute. Und Ameron erinnerte sich an die Augen Pergens, die ihn in den letzten Sekunden seines jungen Lebens noch bittend ansahen, als wollten der junge Mann unbedingt, dass er seine Meinung über ihn noch änderte. Der junge Hauptmann schloss die Augen, Pergen hatte immer versucht, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten, nur damit Ameron sehen konnte, dass er kein Verräter war.

Aber er hatte ihm nicht geglaubt, niemandem hatte er geglaubt, dass Pergen ein guter Mensch war, der nichts böses im Schilde führte. Selbst Frodo ließ seinen kleinen Sohn mit ihm spielen, wo doch gerade er den meisten Grund für Misstrauen hatte! Aber der Hobbit hatte etwas getan, was er, Ameron, nicht geschafft hatte: Er hatte Pergen verziehen! „Verdammt, was hätte ich denn tun sollen? Ich konnte es doch nicht wissen..." flüsterte Ameron mit tränenerstickter Stimme. Er hatte einen riesigen Fehler begangen, vielleicht würde der junge Mann noch leben, wenn er ihm nur vertraut hätte! Nein, vermutlich nicht, Goar wäre so oder so gekommen und Pergen hätte Aragorn und Frodo auf alle Fälle versucht zu schützen. Er hätte nicht anders gehandelt, egal, ob es jemanden gäbe, der ihm misstraute oder nicht! „Wäre ich doch nur eher gekommen, dann hätte ich ihm helfen können! Ich war zu spät! Nur deswegen musste Pergen sterben!" Ameron schluchzte laut auf. Er drehte sich zur Seite und rollte sich zusammen. Sein Gewissen machte es ihm aber unmöglich, Schlaf zu finden.

Am nächsten Morgen erhob sich Ameron müde und am Boden zerstört wieder, keine Sekunde hatte er geschlafen. Bedrückt zog er sich an und ging zum Palast, wo er erfuhr, dass Frodo wirklich nicht schlimm verletzt war und sich auf dem Weg der Besserung befand. Ein wenig erleichtert drehte der junge Hauptmann um und ging in den Garten. Er wollte mit niemandem sprechen, noch immer schämte er sich zu sehr für sein unsinniges, abgrundtiefes Misstrauen Pergen gegenüber, der sein Leben geopfert hatte. Auf einer Bank im hinteren Teil des Gartens saß er und grübelte vor sich hin, immer wieder sah er Pergens Blick vor sich, hörte seine eigenen Worte, die den jungen Mann so verletzt haben mussten. Die Worte des jungen Mannes kamen Ameron wieder in den Sinn: „Nein, Goar! Ich kann das nicht gutheißen, was du tust, ich kann das einfach nicht zulassen. Ich möchte kein Verbrecher mehr sein, ich will ein ehrlicher und aufrechter Mann werden!" Diese Worte hatte Pergen an seinen ehemaligen Meister gerichtet, als er versuchte, Aragorn und Frodo zu töten. Für diesen Wunsch hatte der junge Mann gekämpft und war gestorben – als ehrlicher und aufrechter Mann!

„Ameron, was ist mit dir los?" Der junge Mann sah auf und blickte auf Merry, der zusammen mit Pippin und Aragorn vor ihm standen. „Ich...ich musste gerade an Pergen denken und wie sehr ich ihm unrecht getan habe!" sagte er mit leiser Stimme. Aragorn nickte verstehend, er hatte sehr wohl bemerkt, dass Ameron immer mindestens ein Auge auf den jungen Mann geworfen hatte, seit er ihn freigelassen hatte. Der König hatte sogar schon die Befürchtung gehabt, dass Ameron eifersüchtig auf Pergen war, aber er wusste, was in seinem Hauptmann vorging. Er konnte einfach nicht vergessen, dass der junge Mann Frodo Gift gegeben hatte und damit fast dem Leben des Hobbits ein Ende gesetzt hätte. Der König wusste, dass Ameron gerade Frodo besonders fest ins Herz geschlossen hatte und es ihm anrechnete, dass er aus der Einsamkeit des Waldes erlöst wurde. In Amerons Augen war Pergen nichts weiter als ein Verbrecher gewesen, erst in der letzten Nacht hatte er ihn vom Gegenteil überzeugen können. Leider zu spät, nun konnte Ameron seinen Fehler nicht mehr eingestehen bei dem Mann, dem er Unrecht getan hatte.

„Er verstand dich und deine Einwände, mein Freund. Pergen war nicht dumm, er konnte sich in deine Lage hineinversetzen. Sei nicht zu streng mit dir selber, Ameron. Du hast nur deinem Gefühl gehorcht, das dich bis jetzt auch nie fehlgeleitet hatte." Aragorn hatte seine Hand auf die Schulter seines bedrückten Freundes gelegt und lächelte ihm aufmunternd zu. „Wenn ich früher zur Stelle gewesen wäre, würde er noch leben. Ich habe meine Aufgabe vernachlässigt, eigentlich hätte ich an seiner Stelle stehen müssen. Es wäre meine Pflicht gewesen!" sagte Ameron und sah Aragorn verzweifelt an. Der schüttelte verständnislos den Kopf: „Was soll das, Ameron? Ich hatte dich weggeschickt, dein Dienst war beendet!" – „Aber..." versuchte der junge Mann einzuwenden, doch der König schnitt ihm das Wort ab. „Ameron! Ohne dich hätten Frodo und ich keine Chance gegen Goar gehabt! Du hast deine Pflicht nicht vernachlässigt!" Langsam hob der junge Mann den Kopf und sah seinen Freund an. „Meinst du?" – „Meine ich!" Aragorn lächelte seinen Freund an und freute sich, als er dieses leise erwiderte. Nun fühlte Ameron ein wenig Erleichterung in seinem Herzen.

Später am Tag ging der junge Hauptmann noch einmal in das Zimmer, in dem Pergen aufgebahrt lag. Der junge Mann hatte nun eine Uniform Gondors an, ähnlich wie seine eigene. Ameron wusste, dass Aragorn damit zum Ausdruck bringen wollte, dass Pergen ein würdiger Sohn Gondors war. Er hatte auch gehört, dass Frodo die Mutter des jungen Mannes gefunden hatte, sie sollte schon hier gewesen sein. Die arme Frau! Sie soll jahrelang nach ihrem verschollenen Sohn gesucht haben, nachdem sie ihren Mann und ihr zweites Kind verloren hatte. Nun war Pergen tot. Ameron fühlte plötzlich das Bedürfnis, mit der beklagenswerten Frau zu sprechen, ihr seine Anteilnahme auszusprechen. Er atmete tief durch, morgen nach dem Begräbnis würde er mit ihr sprechen.

Ameron nahm an der Zeremonie als Hauptmann Gondors teil, es war seine Aufgabe, der armen Mutter Pergens Schwert als Andenken zu überreichen. Der junge Mann erschrak, als er in die Augen der Frau sah. Soviel Trauer, Schmerz und Verzweiflung waren in ihnen zu sehen. Mehr, als ein Mensch ertragen konnte, fand er. In diesem Moment war es beschlossen, er würde mit ihr sprechen. Sobald das alles vorüber war, würde er sie in ihrem Zimmer aufsuchen.

So geschah es auch, Ameron ging zu dem Zimmer, in dem Frau Rowhana, Pergens Mutter, einquartiert war und klopfte vorsichtig. Keine Reaktion. Er klopfte wieder, diesmal stärker, aber nichts rührte sich. Unruhe befiel Ameron, er wusste, dass sie da sein musste, warum ging sie nicht zur Tür? Langsam drückte der Hauptmann die Klinke nach unten, die Tür war nicht verschlossen, so trat er ein. Ameron sah die Frau bewegungslos am Fensterbrett sitzen und in die Tiefe starren. Sein Herz schien für einen Moment stillzustehen, sie wollte doch nicht etwa...? „Frau Rowhana?" fragte er vorsichtig. „Ich würde gerne mit euch sprechen!" Die Frau hob den Blick und sah ihn unendlich traurig an. Ameron hatte das Gefühl, dass sie dringend jemanden brauchte, bei dem sie Trost finden konnte. Zaghaft legte er seine Hand auf ihren Arm. „Ich verstehe, dass ihr verzweifelt seid, aber ihr solltet euer Leben nicht wegwerfen, dazu ist es zu kostbar!" Der junge Mann hoffte inständig, dass seine Worte sie von ihrem Vorhaben abbringen würden, sie durfte nicht springen!

„Was soll mein Leben denn noch wert sein? Ich habe soeben meinen Sohn zu Grabe tragen müssen, er war alles, was ich in diesem Leben noch hatte. Was habe ich denn hier noch verloren?" Die Stimme der Frau war leise, voll Trauer und Schmerz. „Frau Rowhana, bitte! So dürft ihr nicht sprechen! Es gibt doch bestimmt Menschen, denen ihr etwas bedeutet!" Ameron versuchte, sich seinen Schrecken nicht anmerken zu lassen. Ihr Kopfschütteln ließ ihn aufseufzen, wie konnte er Pergens Mutter nur überzeugen, dass das Leben zu kostbar ist, als es sinnlos wegwerfen zu können? Erstaunt sah er, dass die Frau leise zu lächeln begann: „Ihr seid sehr nett zu mir, Hauptmann Ameron. Aber ich habe sonst niemanden mehr. Nur die Suche nach Pergen hielt mich hier noch." Ameron wusste nicht, wie er das Verhalten der Frau einstufen sollte, wenn sie doch nur von dem Fenster runterklettern würde! Im Geiste bat er bei den Valar um Beistand. Rowhanas Stimme riss ihn wieder aus seinen Gedanken: „Sagt, Hauptmann, hatte Pergen wirklich Kontakt zu dieser Verbrecherbande, von der ich hörte?" Ameron stockte der Atem. Woher wusste sie davon? Alle hatten strengstes Stillschweigen darüber zu wahren gehabt, aus Rücksicht zu ihr! „Ein Nachbar hatte mir vor einiger Zeit berichtet, dass er meinen Sohn dabei gesehen hatte. Ist es so, war er beteiligt?" Der Blick der Frau hing an Amerons Gesicht. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und nickte schließlich. „Ja, es stimmt. Er war dabei. Aber Pergen war der Mann, der Frodo Beutlin das Leben gerettet hatte. Wäre er nicht gewesen, hätte Frodo keine Chance gehabt. Und auch den König hat er gerettet. Frau Rowhana, ich weiß nicht, ob es euch tröstet, aber euer Sohn ist als ehrlicher, aufrechter Mann gestorben, als Held!" Sie sah ihn an: „Es beruhigt mich sehr, dass Pergen doch noch auf den rechten Weg zurückgefunden hatte, es erfüllt mich mit Stolz." Rowhana war auf Ameron zugekommen und nun lehnte sie weinend an seiner Schulter. Zögernd schloss er sie in die Arme und versuchte sie zu trösten. Aber im Grunde wusste Ameron, dass sie nun einfach ihren Gefühlen freien Lauf lassen musste.

In den nächsten Tagen traf sich Ameron täglich mit Rowhana, er hatte es geschafft, sie aus ihrer tiefsten Verzweiflung zu holen, sie sprachen oft und lange von allem Möglichen. Aber genauso schwieg Rowhana stundenlang und schien einfach nur die Anwesenheit Amerons zu genießen. Der junge Hauptmann fühlte mit ihr, er hatte doch vor vielen Jahren ähnliches durchmachen müssen.

„Wo sind eigentlich eure Eltern, Ameron? Sie müssen doch stolz auf euch sein!" fragte Rowhana unvermittelt und drehte sich zu Ameron um. Er seufzte, irgendwie hatte er diese Frage befürchtet. „Sie wären bestimmt stolz, aber...sie leben beide nicht mehr." Er hatte sich auf eine Bank gesetzt und kämpfte gerade schwer mit den Tränen, die heiß in seinen Augen brannten. Ameron konnte ihren Tod auch nach der langen Zeit nicht verwunden. Rowhana sah, was ihre Frage angerichtet hatte und setzte sich neben den jungen Mann, der betreten zu Boden sah und schluckte. „Ameron...es tut mir leid, ich wusste nicht..." Begann sie vorsichtig, doch Ameron schüttelte den Kopf. „Es ist in Ordnung, Frau Rowhana, ihr Tod liegt viele Jahre zurück, damals war ich zehn Jahre und musste einiges ertragen zu sehen, das ich meinen schlimmsten Feinden nicht wünschen würde."

Die Frau sah den jungen Hauptmann fragend an. „Wollt ihr berichten, was damals vorgefallen ist?" Ameron hob den Blick und sah sie lange an, ehe er langsam nickte: „Damals...damals war ich gerade zehn Jahre alt geworden. Mutter hatte mich um Pilze in den nahen Wald geschickt und mir noch eingeschärft, dass ich so schnell wie möglich heimkommen sollte. Aber ich tat es nicht, über meine Spiele vergaß ich die Zeit, erst als der Abend dämmerte, erreichte ich den Waldrand wieder. Ich sah vom Dorf her Rauchschwaden, ich hörte Schreie. Verzweifelte, laute Schreie, die tief in mein Herz drangen und mich erschreckten. Aber auch Kampgeschrei, Orkgebrüll und Waffenlärm drangen an meine Ohren. In Panik begann ich an einem hohen Baum hinaufzuklettern, in dessen Krone ich mich versteckte. Die ganze Nacht lang. Am nächsten Morgen sah ich, was geschehen war. Das Dorf wurde überfallen und alles Leben vernichtet. Damals, Frau Rowhana, habe ich sehen müssen, wozu Hass fähig ist. Meine Mutter war hochschwanger gewesen, aber sie hatte keine Chance, sie und das ungeborene Kind wurden von Pfeilen getötet. Die...die Bestien haben ihr in den Bauch geschossen." Ameron holte tief Luft. Die Last der Erinnerungen wollte ihn wieder mit voller Wucht treffen, aber er schaffte es dennoch, die Tränen zurückzuhalten. „Meinen Vater fand ich mit durchgeschnittener Kehle vor dem Haus. Ich habe sie beerdigt, ich allein!" Nun verlor der junge Mann den Kampf mit den Tränen. Rowhana streckte ihre Hände aus und schloss Ameron fest in seine Arme. Ihr tat der junge Mann aufrichtig leid. Für eine kurze Zeit vergaß Rowhana ihren Schmerz, sie konzentrierte sich völlig darauf, Ameron zu trösten, der nun begonnen hatte, leise zu weinen.

„Es tut mir leid, ich wollte euch nicht mit meiner Vergangenheit belasten, ihr habt eure eigene Trauer." Sagte Ameron schließlich ein wenig verlegen. Sie schüttelte den Kopf: „Nein, mein lieber Ameron. Ihr habt mir geholfen, euch ein wenig besser zu verstehen!" Er wollte gerade etwas erwidern, als leise Geräusche an seine scharfen Ohren drangen. Konzentriert lauschend wandte Ameron den Tönen den Kopf zu, er vermeinte, Kichern zu hören. Rasch erhob sich der junge Hauptmann und stellte sich vor ein Gebüsch, die Arme lässig vor der Brust verschränkt. „Aber meine Herren! Das ist aber keine noble Beschäftigung, hinter Leuten herzuspionieren!" Mit gespielt strenger Miene musterte er Eldarion und Frodo, Sam´s Sohn, die ihn erschrocken ansahen. Aber die Kinder hatten sich sofort von ihrem Schrecken erholt und begannen Ameron nun zu necken: „Ameron ist verliebt!" riefen die Jungen immer wieder und lachten laut.

Fassungslos starrte der junge Hauptmann sie an, doch mit einem Male schüttelte er ungläubig den Kopf: „Seid ihr verrückt? Das stimmt doch gar nicht, Frau Rowhana und ich sind doch nur...! Mooment mal, was soll das überhaupt? Vor euch Gaunern brauche ich mich bestimmt nicht rechtfertigen!" Mit diesen Worten machte er einige schnelle Schritte auf die Jungen zu, die mit einem lauten Aufschrei davonstoben. Einige Meter später blieben die beiden wieder stehen und lachten, als sie sahen, dass Ameron keine Lust zu haben schien, sie verfolgen zu wollen. Der junge Hauptmann drohte ihnen mit der Faust. „Wartet nur ab, wenn ich euch in die Finger bekomme!" Als sich Ameron kopfschüttelnd umdrehte, sah er verdutzt, dass Rowhana hinter ihm stand dun sich die Seiten vor Lachen hielt. „Die Jungen haben dich ja schön aus der Reserve gelockt! Das Ganze war einfach zu komisch!" kicherte sie. Der junge Hauptmann wusste nichts darauf zu erwidern, aber er sah nun die Frau das erste Mal so. Befreit lachte nun auch er auf, weniger wegen dem Streich der Jungs, sondern weil eine liebgewordene Freundin ihr Lachen wiedergefunden hatte. Er hatte bemerkt, dass Rowhana zum ersten Male ihn mit Du angesprochen hatte, sie wollte sich schon dafür entschuldigen, doch Ameron schüttelte nur den Kopf. Unter Freunden wäre eine förmliche Anrede nicht passend, er wollte es so lieber!

Als ob dieses Lachen in Pergens Mutter etwas ausgelöst hatte, veränderte sie sich im Laufe der Zeit immer mehr. Sie wurde lebenslustiger, man sah sie öfter lächeln und scherzen mit Ameron. Zwar trauerte sie nach wie vor sehr um ihren toten Sohn, doch sie wollte ihm nicht mehr folgen, ihr Leben hatte wieder einen Sinn gefunden.

Rowhana ging eines Tages fort nach Rohan, wo ihr König Elessar eine Stelle als Köchin verschafft hatte. Obwohl der Frau der Abschied schwerfiel, freute sie sich doch sehr auf ihre neuen Aufgaben, und als ihr Ameron das Versprechen gab, sie besuchen zu kommen, umarmte sie den jungen Mann stürmisch und drückte ihn an ihr Herz. Ameron hatte nun wieder mehr Zeit für sich selber, Rowhana fehlte ihm zwar sehr, aber er genoss andererseits wieder seine Ausritte in die Umgebung, außerhalb der lauten Stadt fand er wieder die Ruhe, die er manchmal sehr vermisste. Hier konnte Ameron ungestört seinen Gedanken nachhängen, sich entspannen und Kraft für seine Aufgaben als königlicher Leibwächter und Hauptmann sammeln.

Mittlerweile hatte der Winter in Gondor Einzug gehalten, Ameron freute sich zu hören, dass Frodo, Liliane, Sam und der junge Frodo bis zum Frühjahr hierbleiben wollten. Liliane wollte keiner von ihnen die strapaziöse Rückreise ins Auenland zumuten, sie hatte so schon genug Probleme mit ihrer Schwangerschaft. Mit Freude bemerkte Ameron, dass ihr Bauch sich langsam rundete und das Kind so sichtbar wurde. Der junge Mann war fast genauso gespannt auf das Kind wie die Eltern selber, er konnte die Geburt kaum mehr abwarten.