Harry Potter gehört nicht mir. Er gehört J.K. Rowling, Warner Brothers und noch mehr Leuten, aber leider nicht mir. Nicht mal ansatzweise. Und der Rest auch nicht. ;__;

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01: vager wahnsinn

"Harry, verdammt, schlaf doch nicht ein!"

Er merkte erst jetzt, dass er mit der Stirn auf der Tischplatte lag. Für einen kurzen Moment hatte das Gejohle und Geklatsche um ihn herum aufgehört. Es war ruhig, nett und erholsam gewesen, aber die Sekunde Ruhe war wie weggeblasen, als Harry sich in seiner aktuellen Realität wiederfand. Die sah folgendermaßen aus:

Er saß am Tisch der Gryffindors in der Großen Halle zu Beginn des neuen Schuljahrs. Sämtliche Häuser waren versammelt. Es war zu warm und roch nach verbrauchter Luft. Vorne verkündete eine schnarrende Stimme grade "Gryffindor!" und prompt begannen alle, die um Harry herumsaßen an, zu kreischen, zu johlen und zu klatschen und einen unglaublichen Krach zu machen. Harry verschluckte sich beinahe an seinem Kaugummi.

"Begrüßung der Erstklässler", teilte ihm sein Hirn mit. "Du weißt schon, Einteilen in die Häuser und so. Die Hutnummer."

"Mrrmblgrx" machte Harry hielt sich die klingelnden Ohren zu und dachte: "Die Armen Kinder, wenn die wüßten, in was die hier reingeraten..."

"Alles okay, Harry?" fragte Hermione, die neben ihm saß, besorgt.

"Jaja." murmelte Harry. Er sah das neue Mitglied des Hauses, ein kleines Mädchen mit schwarzem Lockenkopf, das von seinen neuen Kollegen jubelnd gefeiert wurde, als hätte sie den Nobelpreis gewonnen, und nicht recht wußte, wie ihm geschah. "Die Ärmste..."

"Wie bitte?"

"Ach nichts." Harry legte wieder den Kopf auf den Tisch. "Tust du mir einen Gefallen, Herm?"

Er konnte ihren fragenden Blick in seinem Nacken spüren. "Was?"

"Lass meinen Kopf explodieren, okay?"

"Äh..." stotterte Hermione. "Bist du sicher, dass es dir gutgeht?" Doch der Rest ihrer Worte ging in allgemeinem Jubel unter, als schon wieder jemand nach Gryffindor geschickt wurde.

Harry war wieder abgetaucht.

Da war er also wieder. Heim in Hogwarts. Gott, klang das seltsam.

Alles hier fühlte sich seltsam an. Wieder hier zu sein. Als wäre er jahrelang fort gewesen. Weit, weit weg, vielleicht auf dem Neptun.

Dieser Sommer, endlos hatte er sich hingezogen. Mit Hitze ausgefüllte Tage, nicht enden wollende Nächte ohne Schlaf. Nightmare on Ligusterweg. Er war sehr froh gewesen, dass die Dursleys ihn weitgehend sich selbst überlassen hatten. Sie waren sehr selten da gewesen. Seine Tante hatte ihm Essen in den Kühlschrank gestellt oder in die Microwelle, aber er hatte er nur selten angerührt. Er lag oft unter dem Gebüsch hinter der Terasse und grübelte, oder des Nachts kletterte er aus dem Fenster auf das Dach hinaus. Legte sich auf die vom Tag noch warmen Ziegel und starrte stundenlang in den schwarzen Himmel mit seinen Sternen, als würde er dort eine Antwort finden, eine Antwort auf alles, was passiert war.

Er dachte nicht oft "Sirius ist tot." Diesen Gedanken vermied er, zu denken, denn sobald er dessen gewahr wurde, schnürte sich alles in ihm zusammen, er bekam keine Luft mehr und fiel in ein schwarzes Loch. Alles schien sinnlos...

...dann hatte er angefangen zu lesen um den Schmerz zu betäuben. Andere Leute griffen zu Drogen oder suchten Trost in obskuren Sekten und Weltanschauungsvereinen. Harry las Muggelzeitungen. Er dachte zuerste, es würde ihn aufheitern, oder zumindest beruhigen, Dinge zu lesen, die nichts mit der Zaubererwelt zu tun hatten. Dinge, in denen kein durchgedrehter irrer Zauberer wieder auftauchte und Angst und Schrecken verbreitete und so weiter... aber zu seinem Entsetzen mußte er feststellen, dass es auf Muggelseite auch nicht sehr viel besser aussah. Zwar gab es keine irren Zauberer, aber Angst und Schrecken fand er überall, in den Zeitungen, die täglich ins Haus der Dursleys kamen (Onkel Vernon legte viel Wert darauf, zu wissen, was in der Welt vorging), im Fernsehen, im Radio... überall.

Die Tatsache, dass auf einen irren Zauberer mit seinen Mördervasallen mindestens sieben Militärdikaturen kamen, stimmte Harry nicht unbedingt fröhlicher. Aber das Entsetzen machte ihn neugierig und so las er weiter. Er verschwand Stundenlang in der Bibliothek in der Innenstadt und wälzte Geschichtsbücher. Grub Dinge aus der Muggelgeschichte aus, von denen in Hogwarts anscheinend niemand eine Ahnung hatte, mit Ausnahme von Mugglekunde; und wer nahm das schon ernst? Er las über das Ozonloch und Umweltgifte und Waffenschieber. Er fand unheimliche Dinge heraus über Prostitution, Korruption und Foltermethoden. Anscheinend waren nicht nur Zauberer gut darin, sich möglichst grausame Möglichkeiten auszudenken, wie man Leute umbrachte. Man brauchte keinen Cruciatus-Fluch, wenn es doch so formschöne elektrische Stühle gab, oder Gift oder weiß der Kuckuck was noch. Oder Kindersoldaten. Harry fragte sich, ob Voldemort jemals auf so eine kranke Idee gekommen war.

Am Ende der Sommerferien hatte Harry soviel menschliche Abgründe aufgetan und so viel Elend inhaliert, dass er sich allen ernstes fragte, wie er all die Jahre so blind hatte sein können...

"Harry?"

"Hm? Was, ja, ich bin wach, ich bin wach." Er setzte sich hastig auf und blickte in Hermiones besorgtes Gesicht.

"Es gibt Essen." teilte sie ihm mit. "In ein paar Sekunden."

"Oh." er kratzte sich am Kopf. Der Tisch war noch leer.

"Geht es dir wirklich gut?"

Er lächelte verschmitzt. "Um ehrlich zu sein, nein..."

"Was ist los?"

"Weiß auch nicht... vielleicht die Hitze..." er starrte auf seine Handflächen auf seinem Schoß. Alles fühlte sich unecht an. Von irgendwoher war dumpfes Gebrummel zu hören... klar, Dumbledore hielt die übliche Ansprache. Blablabla, Punktabzug. Blablabla, geht nicht in den verbotenen Wald. Blablabla. Rödelrödelrödel.

Im nächsten Moment füllte sich der Tisch plötzlich mit Essen, üppig und überreichlich, und Harry, der sich schon seit Jahren daran gewöhnt hatte, zuckte unwillkürlich zusammen.

Es gab Kartoffelbrei, Salat und Obst, Schweinebraten, Würstchen, Fleischklößchen, Pommes Frittes in Massen und tausend andere Köstlichkeiten. Und alle griffen mit Appetit zu und freuten sich über die leckere Mahlzeit.

Harry sah sich um, betrachtete die Leute, mit denen er all die Jahre gelebt und gelernt, gegessen, gespielt, gelitten und sich gefreut hatte. Er liebte seine Freunde, wüßte nicht, was er ohne Ron oder Hermione machen würde. Er mochte die Gryffindors, er mochte es, ein Gryffindor zu sein. Und normalerweise freute er sich, in ihrer Gesellschaft zu sein... doch nun... Er fühlte eine seltsame Form der Übelkeit aufsteigen, angesichts dieses üppigen Festmahls, den Myraden Kalorien, die sich auf dem Tisch stapelten, ihren verführerischen Duft in sämtliche Richtungen verteilten, angesichts dessen, wie gegessen wurde. Völlig selbstverständlich, ohne jegliche Dankbarkeit...

"Willst du gar nichts essen?" fragte ihn Ron, der links neben ihm saß mit einem vollen Teller herrlichster Spaghettie.

"Äh..."

"Meine Güte, was ist los, mein Freund? Du bist heute schon den ganzen Tag total seltsam." stelle sein rothaariger Freund verwundert fest und wickelte Nudeln auf seine Gabel. "Ist alles in Ordnung?"

"Äh." ähte Harry wieder und wandte sich dann abrupt an Hermione. "Sag mal, was ist eigentlich aus deiner Hilfsorganisation für Hauselfen geworden?"

Hermione verschluckte sich halb an ihrem Salat und fing an zu husten. Als sie fertig war, blickte sie sich ein wenig ratlos nach Harry um. "Also..."

"Es gibt sie doch noch, oder?"

"Nun..."

Harry seufzte ein wenig und starrte dann auf seinen leeren Teller. "Es ist nur, weil..." doch dann überlegte er es sich anders und murmelte etwas. Er stand eilig auf, ohne auf die Proteste seiner beiden Freunde zu achten, und machte, dass er davon kam. Plötzlich wollte er nur noch weg, raus aus der stickigen großen Halle, mit den Tonnen von Lebensmitteln, dem ganzen Überfluß, der ihm unwillkürlich Brechreiz verursachte. Als er die Tür erreichte, rannte er schon, sprintete hinaus, rannte Flure entlang, Treppen hinab, hinaus aus dem Schloß bis er schließlich keuchend im abendlichen Garten stehenblieb und wütend in die Dämmerung starrte, bis es Zeit war, schlafen zu gehen.