Aus dem Bereich der Zweifelhaften Mathematik:
Harry Potter + JK Rowling = urheberrechtlich total korrekt.
Harry Potter + dreistiges Ich = so und so viele Jahre Knast für dreistiges ich (vermute ich mal).
Also:
Harry Potter + JK Rowling - dreistiges ich = urheberrechtlich total korrekt, und ich verschwende immernoch meine Jugend. ^^
********************************************************************************************
05: Nicht denken, nicht fühlen, nicht wissen
Zwei Wochen war er jetzt weg von den Dursleys, zwei Wochen waren bereits in Hogwarts vergangen, und Harry hatte es in all der Zeit irgendwie vermeiden können, an Sirius zu denken.
Zumindest nicht bewußt.
Eigentlich kam es kaum vor, dass er sich nicht daran erinnerte, dass sein Pate tot war. Er wußte es, wußte es die ganze Zeit, vierundzwanzig Stunden am Tag. Aber solange Harry diesen Gedanken unter Ferner Liefen einsortierte, wie "Ich muß noch eine Abhandlung über den Blauäugigkeitstrank schreiben, oder Snape wird mich umbringen" oder "Eventuell sollten meine Haare mal wieder geschnitten werden." oder aber auch "Meine Eltern sind vor ziemlich langer Zeit von einem irren Magier umgebracht worden.", war es erträglich. All diese Gedanken waren zwar gegenwärtig, aber irgendwie verdrängt, unter die Oberfläche seines Bewußtseins, verdeckt von anderen Gedanken wie "Gleich gibt es Frühstück" oder "Heute scheint die Sonne." oder "Völlig egal, in welcher Welt ich lebe, Muggel- oder Zauberer-, beide stinken und beide gehen den Bach runter."
Solange er diesen Zustand beibehielt, mußte er sich damit nicht auseinandersetzen. Solange er seine schlechte Laune pflegte und sich auf Triviale Dinge wie Hausaufgaben und den Untergang des Abendlandes konzentrierte, war er eigentlich ein relativ gut funktionierendes menschliches Wesen.
Doch heute morgen, es war übrigens ein Montag, als er beim Frühstück gerade dabei war, sich einen gebutterten Toast in den Mund zu stecken, um abzubeißen und darauf herumzukauen, brach die Erinnerung völlig unvermutet wieder an die Oberfläche. Harry wußte nicht mal genau warum; vor seinem geistigen Auge fuhr diese eine schreckliche Szene ab, die ihn anfangs nächtelang wachgehalten und sich wieder und wieder und wieder wiederholt hatte...
Sirius. Der Fluch trifft ihn und seine Augen weiten sich für eine Sekunde vor Erstaunen, bevor er in diesem seltsamen Schleier verschwindet...
Und wieder. Und wieder. Harry sah ihn fallen. Sah ihn sterben. Sah seinen Blick.
Realer, körperlicher Schmerz durchfuhr ihn, als hätte ihm jemand gezielt ihn den Magen getreten. Harry ließ seinen Toast auf den Tisch fallen und klappte unwillkürlich den Oberkörper zusammen.
Alles verschwamm um ihn herum. Er merkte kaum, wie Ron, der neben ihm saß, ihn an den Schultern packte und festhielt, er merkte nur noch den Schmerz.
"Harry?"
Er hatte vergessen, wie weh es getan hatte. Er hatte es vergessen, dieses Gefühl, als hätte jemand in seiner Seele ein Vakuum erzeugt, an der Stelle, an der Sirius' Platz gewesen war. Es brannte in seinem Magen, es stach in seinem Herzen, es dröhnte in seinen Ohren...
"Ist alles in Ordnung?"
Es war Ron, der ihn in die Realität zurückholte. Harry blinzelte. Er war immernoch im großen Saal am Frühstückstisch. Es war Montagmorgen und die Sonne schien zu den Fenstern hinein. Und die besorgten Gesichter Rons und Hermiones erschienen in seinem Blickfeld.
"Mann, du bist weiß wie eine Wand!" entfuhr es Ron, der selber irgendwie weiß aussah, unter all seinen Sommersprossen.
"Es..." murmelte Harry. "Ich... muß mal kurz raus..."
Und er sprang auf und rannte davon, in Richtung Toilette.
Es war lang her, seit er sich das letzte Mal übergeben hatte. Er fühlte sich kalt und leer, als endlich nichts mehr kam und er bemerkte, dass seine Hände zitterten.
Warum, dachte er in das Rauschen der Spühlung hinein, bist du tot?
Er mußte eine Weile neben dem Klo gesessen haben. Die Beine dicht an den Körper gezogen, den Umhang eng um sich geschlungen. Er hatte nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen war; er hatte einfach dagesessen, die Wand angestarrt und germerkt, wie es weh tat. Irgendwann kam Ron.
Sein Freund hockte sich ihm gegenüber an die Wand und seufzte. Sein besorgter Blick war voller Mitgefühl und schleichender Verzweiflung.
"Harry..." begann er, und schien nicht zu wissen, was er sagen sollte. Harry konnte es irgendwie nachvollziehen. Für den, der trauert, ist es schwer. Aber für den Freund des Trauernden ist es auch nicht leicht. Besonders, wenn man nicht helfen kann, und das kann man nicht, und das weiß man. Und deshalb fehlen einem in solchen Momenten immer die Worte.
"Ist schon gut.", murmelte Harry. "Ich werd schon klar kommen."
"Wir... wir machen uns Sorgen um dich." Ron klang traurig. "Hermione und ich... du redest nicht mehr mit uns... nicht so wie früher. Du weißt, dass du immer zu uns kommen kannst, wenn du Probleme hast."
"Ich weiß." sagte Harry und lächelte seinen Freund sanft und traurig an. "Das weiß ich doch, Ron."
"Seit du wieder hier bist... es ist, als hättest du zugemacht."
Harry wußte, dass Ron nicht vorwurfsvoll klingen wollte. Niemand wollte das in so einer Situation. Und doch konnte er es nicht wirklich unterdrücken. Harry wußte nicht, ob ihn das wütend oder traurig machen, oder einfach kalt lassen sollte...
Du bist nicht mehr für uns da, sagten Rons Worte. Du läßt uns nicht mehr durchdringen zu dir, sagten seine Augen. Wie sollen wir dir helfen, wenn du dir nicht von uns helfen lassen willst?
Harry wußte all das. Er wußte, dass er sich von Ron und Hermione zurück gezogen hatte, seit er wieder hier war. Es tat ihm selbst leid... aber er wollte nicht, konnte seine Freunde nicht damit belasten. Und irgendwie glaubte er, dass sie auch gar nicht wollten, dass er sie damit belastete; vermutlich wollten sie einfach nur ihren alten, fröhlichen Harry zurück, der oft und gern lachte, Quiddich mochte und ein echter Freund war, ein Typ zum Pferdestehlen, dem man alles anvertrauen und auf den man sich immer verlassen konnte.
Nur, dass dieser Harry gemeinsam mit Sirius gestorben war...
All das blieb unausgesprochen. Es hing in der Luft, wie eine Ahnung. Sie beide wußten es, aber keiner sagte es.
Irgendwann half Ron Harry hoch und nahm ihn wortlos in den Arm. Es war nur kurz, aber trotzdem der Schmerz nicht aus Harry verschwand, wirkte es doch für diesen kurzen Moment beinahe tröstlich.
"Es tut mir leid." murmelte Harry. "Ich kann nicht... reden... nicht im Moment."
"Ist schon gut." murmelte Ron dumpf zurück. "Sag einfach bescheid, wann."
Das würde sich als schwierig herausstellen, wußte Harry.
Die folgenden Nächte und Tage vergingen ereignislos. Bis auf eine Standpauke von Snape, der sich über Harrys, seiner Meinung nach schlechten Aufzsatz über den Blauäugigkeitstrank aufregte; was Harry nicht weiter berührte. Er saß nachmittags lange in der Bibliothek in der Abteilung für Muggelliteratur, las oder starrte manchmal auch nur gedankenverloren aus dem Fenster. Malfoy begegnete er nicht; der Vorfall neulich hatte ihn irgendwie irritiert, auch wenn Harry ihn für nicht weiter wichtig nahm. Malfoy hatte unzählige Dinge, die an ihm unverständlich waren, da machte eine Macke mehr oder weniger nicht viel aus.
Auch wenn er ihn auf seltsame Weise mehr irritierte, als das früher der Fall gewesen war. Oder anders? Malfoy hatte ihn zwar schon früher angestarrt, aber nie so wie neulich am See und hier in der Bibliothek. Damals... bevor... naja, damals eben, waren seine sturmgrauen Augen, wann immer er sie auf Harry richtete, von dieser prinzipiellen Abneigung erfüllt gewesen, die im Zorn auch in abgrundtiefen Hass umgeschlagen war. Dieses Mindestlevel an Abneigung gegeneinander war eine Konstante in Harrys Leben gewesen; zwar keine besonders angenehme, aber man hatte sich zumindest auf sie verlassen können.
Und jetzt... es war seltsam. Irgendetwas an Dracos Blick war... seltsam gewesen. Anders. Aber was genau sich verändert hatte, wußte Harry nicht genau auszumachen...
Schluß, er wollte nicht über Malfoy nachdenken!
Am liebsten wollte er überhaupt nicht mehr nachdenken; über gar nichts.
Harry stellte das Buch, das er in der Hand gehalten hatte, ins Regal zurück. Er wußte nicht, wie lang er so dagestanden, gegrübelt und das dumme Buch über außenpoltische Verhältnisse der beiden Supermächte während des Kalten Krieges in der Hand gehalten hatte. Es passierte ihm in letzter Zeit häufig, dass er die Zeit vergas, wenn er nachdachte.
Er wollte nicht mehr nachdenken. Zuviel schmerzhaftes holte er hervor.
Und er wollte auch nicht über irgend etwas reden. Das tat noch viel mehr weh, als darüber nachzudenken.
Das war auch der Grund für sein Verhalten, für seinen Rückzug. Eigentlich war es dumm, nicht mehr abends mit seinem Freunden Zauberschach oder Snape explodiert oder wußte der Kuckuck was noch zu spielen. Es war dumm, Quiddich zu vernachlässigen. Es war dumm, sich nicht mehr an Gesprächen zu beteiligen, und es war noch dümmer, niemandem anzuvertrauen, wie weh es tat, den einzigen Menschen verloren zu haben, der sowas wie seine Familie gewesen war.
Die Trauer war zu groß, um allein damit fertig zu werden, das wußte er selbst.
Aber wenn er darüber sprach, egal mit wem, würde sie noch größer werden. Solange er mit jemand anderem zusammen war, der ihm helfen konnte, sie zu ertragen, würde es gehen. Aber früher oder später war er wieder allein damit, Nachts, wenn die Dunkelheit ihn umschloß und er trotz der vielen Menschen um sich herum die Einsamkeit nur allzu deutlich spürte. Und dann würde die Trauer noch viel größer sein und noch mehr weh tun als jetzt. Es würde überhaupt nichts nützen, darüber zu reden.
Und außerdem...
Harry hatte sie beobachtet. Ron und Hermione. Mittlerweile war es für jeden offensichtlich, dass sie zusammengehörten. Bis jetzt war noch nichts wirklich geklärt oder gar offiziell, aber Harry hatte, trotz seines Zustandes, immer noch Augen im Kopf. Da waren viele kleine Gesten, das Lächeln, das Hermione nur für Ron hatte. Die Bücher, die Ron Hermione trug, wenn sie zusammen zum Unterricht gingen. Die Art, wie sie miteinander redeten. Hermione, die verstohlen Rons Hand berührte. Ron, der anfing zu strahlen, sobald sie den Raum betrat. Und jede Menge Blicke.
Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis die beiden endlich zusammen sein würden. Vielleicht waren sie es ja schon längst, Harry vermochte es nicht genau zu sagen. Aber er freute sich für sie.
Und wenn er jetzt kam mit "Leute, ich hab ein Problem, es geht mir nicht gut, Sirius ist tot und so..."... nein, das konnte er nicht tun. Er fand, das hatten die beiden nicht verdient. Er wollte nicht stören.
Und eigentlich kam er doch ganz gut klar. Irgendwie jedenfalls. Solange er beschäftig war, war er abgelenkt, und sei es vom Elend in der Welt.
Harry rollte sich seufzend in dem Sessel zusammen, in dem in neulich Draco überrascht hatte, ein Handbuch aufschlagend.
"Dritte-Welt-Länder und ihre Rolle im Welthandel" Er war letztes Mal im Kapitel "Armut" stehen geblieben.
Es lenkte ab von seinem eigenen Elend.
Er wachte wieder auf, als es schon längst dunkel war und ein blasser Halbmond zum Fenster hineinschien.
Harry sah fluchend auf die Uhr. Halb zwölf Uhr nachts.
Na wundervoll. Jetzt mußte er sehen, wie er nach dem Zapfenstreich durch die Gänge zu seinem Schlafsaal kam, ohne erwischt zu werden...
Seufzend sammelte er das Büchlein auf, es war ihm wohl heruntergefallen, als er eingenickt war, stellte es in das Regal zurück und wollte gerade die Bibliothek verlassen, als er etwas bemerkte.
Licht. Warm und diffus.
Als hätte jemand in einer anderen Ecke dieses Bibliotheksteils einen Lumoszauber am laufen.
Seiner Neugier nachgebend schlich Harry in die Richtung, aus der der Lichtschein kam. Einige Regale weiter stieß er auf die Quelle. Und traute seinen Augen nicht.
Über ein Lesepult gebeugt, mit dem Rücken zu ihm saß niemand anders als Draco Malfoy.
Er muß nach mir hier reingekommen sein, dachte Harry. Und er hat mich nicht gesehen, weil dies hier viel näher am Ausgang ist, als die Ecke, in der ich saß. Zumindest hoffe ich das...
Draco hatte den Kopf in die Hände gestützt, die Ellbogen auf der Tischkante, seine Beine baumelten hin und her und er schien sehr in seine Lektüre vertieft zu sein. Vielleicht, dachte Harry, merkt er es nicht mal, wenn ich mich rausschleiche.
Wobei er sich fragte, was er schon wieder hier zu suchen hatte. Er, ein Slytherin. Naja, das sollte seine Sorge nicht sein. Harry machte Anstalten, sich auf Zehenspitzen in Richtung Ausgang zu schleichen, als Draco sich räusperte und ohne sich umzudrehen sagte: "So spät noch unterwegs, Potter?"
Mist, Mist, Mist!
Der blonde Junge drehte sich zu Harry um und sah im Schein des Zauberstabes, der in einer Art Blumenvase auf dem Pult, neben dem dicken Buch, das Draco grade noch gelesen hatte, steckte, seltsam fröhlich aus.
"Und du?" fragte Harry, und kam sich ziemlich blöd vor. "Auch mal wieder hier? Ich dachte, du würdest hier nur die Einsamkeit so sehr schätzen."
"Wahre Worte, Potter. Aber ein gutes Buch hat auch seinen Reiz." kam es zurück.
Harry verdrehte die Augen. Er war zu müde und zu gereizt, um sich jetzt auch noch mit Draco über Bücher zu unterhalten, hin oder her, ob ein Slytherin solche Bücher lesen sollte oder nicht. Er wandte sich um, um zu gehen.
"Hey, warte mal."
"Was?" Harry wandte sich wieder entnervt seinem blonden Gegenüber zu, das aufgestanden war, und sich vor ihn hingestellt hatte.
"Eigentlich," sagte Draco leichthin, "sollte ich deinem Haus einige Punkte abziehen, sagen wie so um die 30, meinst du nicht?"
Natürlich, dachte Harry, er ist ja Prefect, oh, wie konnte ich das nur vergessen; er zuckte die Schultern, sich zum dritten Mal dem Ausgang zuwendend. "Mach was du willst, Malfoy, mir egal."
Doch bevor er gehen konnte, legte sich Dracos Hand auf seine Schulter und hielt ihn davon ab, nicht grob, aber bestimmt.
"Was ist los mit dir; Potter." Der Junge klang erstaunt und, hätte Harry es nicht besser gewußt, auf kranke Art und Weise besorgt. "Normalerweise..."
"Jajaja, aber es ist nunmal nicht normalerweise." fauchte Harry ungewollt heftigt und wand seine Schulter aus Dracos Griff. "Ich könnte dich genausogut fragen, was mit dir los ist, Malfoy."
Draco antwortete nicht und sah unangenehm berührt aus, als hätte er einen wunden Punkt erwischt; Harry stellte verwirrt fest, dass er sich darüber gar nicht freute, wie er das eigentlich erwartet hatte. Es war aber auch zum Auswachsen mit dem Typ. Anstatt sich wie ein komplettes Arschloch zu benehmen, wie er es all die Jahre getan hatte, tauchte er ständig bei Harry auf und redete beinahe menschlich mit ihm, verlor kein böses Wort über ihn oder einen Gryffindor, und das volle zwei Wochen lang, und sorgte sich jetzt augenscheinlich noch um ihn! Und dann las er, der Superreinblütige Überzauberer, plötzlich Muggelbücher? Von Muggeln über Muggel für Muggel!!! Konnte er nicht einfach ein Arschloch sein und Gryffindor 30, 40, warum nicht gleich 50 Punkte abziehen?
Warum war nichts mehr, wie es war? Es machte Harry zornig.
"Keine Ahnung.", brummte der blonde Slytherin schließlich. "Was soll los sein?"
"Zieh mir doch einfach die Punkte ab!" herrschte ihn Harry an. "Warum tust du's nicht? Warum nicht?"
Und dann war Dracos Selbstsicherheit wieder da, aber irgendetwas war anders. Die Züge des Jungen vor ihm hatten nichts mehr von der üblichen Feindseeligkeit, seine Augen spießten Harry nicht mehr mit Blicken auf und in seinen Worten lag keinerlei Hähme, als er sagte: "Vielleicht möchte ich einfach nur wissen, was mit dir los ist."
Harry schluckte. Das war einfach grotesk. Draco Malfoy, von dem er immer felsenfest angenommen hatte, dass er an Harrys Todestag ein Freudenfeuer abbrennen würde, war ganz offensichtlich besorgt! Das war kein Alptraum sondern real!
"Das interessiert dich doch nicht wirklich." sagte Harry gepresst.
Draco lachte kurz auf, als schiene er amüsiert über sich selbst, und schüttelte den Kopf, als er sagte: "Ich kann auch nicht glauben, dass ich dir das jetzt sage... und ich hätte auch nie gedacht, dass sowas irgendwann mal passieren würde, so absurd ist das, aber... bist du sicher, dass es dir wirklich gut geht, Potter? Du siehst aus wie ein Gespenst. Du isst kaum noch, deine Noten gehen in sämtlichen Fächern in den Keller, und das schon nach zwei Wochen Schule, du gehst kaum noch raus, du hängst nicht mal mehr mit deinen Freunden herum, von Quiddich gar nicht erst zu reden; stattdessen verbringst du deine Freizeit hier und liest Bücher wie das hier. Accio!" Ein grau eingebundenes Buch flatterte herbei und landete gezielt in Dracos sauber manikürter Hand. Es war ein Jahrbuch über die amerikanische Außenpolitik der letzten zwölf Monate. Es war neu. Harry errinnerte sich, dass es erst vorgestern hereingekommen war und dass er es innehalb von vier Stunden durchgelesen, und danach noch schlechtere Laune als zuvor gehabt hatte.
"Du hast mich ja ziemlich genau im Auge behalten," bemerkte Harry spitz.
"Gewisse Dinge bleiben selbst mir nicht verborgen." gab Draco zurück. "Ich weiß, was passiert ist, Potter. Und ich weiß, dass es einen fertig macht, wenn sowas passiert, wie es dir passiert ist. Und du tust das dümmste, was man in so einer Situation tun kann, und versuchst, allein damit fertig zu werden. Das ist vielleicht ein nobler Versuch, Potter, und manche können das sogar, aber ich glaube nicht, dass du es kannst. Und das regt mich auf. Und deshalb frage ich."
Harry starrte Draco entgeistert an. Das passierte jetzt nicht, nein, das konnte gar nicht passieren! Wie kam dieser gelackte Affe dazu, ihm irgendwelche Ratschläge zu geben? Heiße Wut stieg in ihm hoch, er konnte spüren, wie sich seine Nackenhaare aufstellten und seine Hände zu zittern anfingen.
"Es geht dich einen Dreck an, wie es mir geht, Draco." grollte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. "Was glaubst du, wer du bist, dass du es wagst, mir zu sagen, was ich tun soll?!!" brach es aus ihm hervor, verschwunden war seine Selbstbeherrschung. " Du bist nichts als ein dummes Arschloch, das sich hinter seinem Vater versteckt!! Du hast keine Ahnung, was es für ein Gefühl ist, allein zu sein, wenn jemand von deiner Familie vor deinen Augen stirbt!!! Du hast keine Ahnung, Malfoy, keine..."
Irgendetwas schien nicht zu stimmen. Er fühlte die Wut, durch seine Venen pumpen, spürte sie tief in sich brennen, aber seine Beine fühlten sich seltsam an, seine Arme wurden schwer wie Kartoffelsäcke. "Du kannst," schrie er fast, und kämpfte gegen die hohen Wellen an, die der Boden unter seinen Füßen plötzlich schlug, ", dir deinen Rat sonstwohin stecken!" seine Stimme klang irgendwie komisch. Wie ein Tonband, das an Geschwindigkeit verlor. Und der Raum war doch sonst nicht so gewölbt. Und dieses weiße Rauschen in seinen Ohren, war auch nicht normal.
"Harry?"
"Verpiss dich einfach..." hauchte Harry und grinste.
Und dann kippten die Wände um, mit ihnen Draco und die Regale. Plötzlich fühlte sich Harry nur noch leicht und heiter, als könne er fliegen, weit weg, hinein in die weißen Wolken, in ein endloses Meer aus Ruhe und Nichts.
Harry Potter + JK Rowling = urheberrechtlich total korrekt.
Harry Potter + dreistiges Ich = so und so viele Jahre Knast für dreistiges ich (vermute ich mal).
Also:
Harry Potter + JK Rowling - dreistiges ich = urheberrechtlich total korrekt, und ich verschwende immernoch meine Jugend. ^^
********************************************************************************************
05: Nicht denken, nicht fühlen, nicht wissen
Zwei Wochen war er jetzt weg von den Dursleys, zwei Wochen waren bereits in Hogwarts vergangen, und Harry hatte es in all der Zeit irgendwie vermeiden können, an Sirius zu denken.
Zumindest nicht bewußt.
Eigentlich kam es kaum vor, dass er sich nicht daran erinnerte, dass sein Pate tot war. Er wußte es, wußte es die ganze Zeit, vierundzwanzig Stunden am Tag. Aber solange Harry diesen Gedanken unter Ferner Liefen einsortierte, wie "Ich muß noch eine Abhandlung über den Blauäugigkeitstrank schreiben, oder Snape wird mich umbringen" oder "Eventuell sollten meine Haare mal wieder geschnitten werden." oder aber auch "Meine Eltern sind vor ziemlich langer Zeit von einem irren Magier umgebracht worden.", war es erträglich. All diese Gedanken waren zwar gegenwärtig, aber irgendwie verdrängt, unter die Oberfläche seines Bewußtseins, verdeckt von anderen Gedanken wie "Gleich gibt es Frühstück" oder "Heute scheint die Sonne." oder "Völlig egal, in welcher Welt ich lebe, Muggel- oder Zauberer-, beide stinken und beide gehen den Bach runter."
Solange er diesen Zustand beibehielt, mußte er sich damit nicht auseinandersetzen. Solange er seine schlechte Laune pflegte und sich auf Triviale Dinge wie Hausaufgaben und den Untergang des Abendlandes konzentrierte, war er eigentlich ein relativ gut funktionierendes menschliches Wesen.
Doch heute morgen, es war übrigens ein Montag, als er beim Frühstück gerade dabei war, sich einen gebutterten Toast in den Mund zu stecken, um abzubeißen und darauf herumzukauen, brach die Erinnerung völlig unvermutet wieder an die Oberfläche. Harry wußte nicht mal genau warum; vor seinem geistigen Auge fuhr diese eine schreckliche Szene ab, die ihn anfangs nächtelang wachgehalten und sich wieder und wieder und wieder wiederholt hatte...
Sirius. Der Fluch trifft ihn und seine Augen weiten sich für eine Sekunde vor Erstaunen, bevor er in diesem seltsamen Schleier verschwindet...
Und wieder. Und wieder. Harry sah ihn fallen. Sah ihn sterben. Sah seinen Blick.
Realer, körperlicher Schmerz durchfuhr ihn, als hätte ihm jemand gezielt ihn den Magen getreten. Harry ließ seinen Toast auf den Tisch fallen und klappte unwillkürlich den Oberkörper zusammen.
Alles verschwamm um ihn herum. Er merkte kaum, wie Ron, der neben ihm saß, ihn an den Schultern packte und festhielt, er merkte nur noch den Schmerz.
"Harry?"
Er hatte vergessen, wie weh es getan hatte. Er hatte es vergessen, dieses Gefühl, als hätte jemand in seiner Seele ein Vakuum erzeugt, an der Stelle, an der Sirius' Platz gewesen war. Es brannte in seinem Magen, es stach in seinem Herzen, es dröhnte in seinen Ohren...
"Ist alles in Ordnung?"
Es war Ron, der ihn in die Realität zurückholte. Harry blinzelte. Er war immernoch im großen Saal am Frühstückstisch. Es war Montagmorgen und die Sonne schien zu den Fenstern hinein. Und die besorgten Gesichter Rons und Hermiones erschienen in seinem Blickfeld.
"Mann, du bist weiß wie eine Wand!" entfuhr es Ron, der selber irgendwie weiß aussah, unter all seinen Sommersprossen.
"Es..." murmelte Harry. "Ich... muß mal kurz raus..."
Und er sprang auf und rannte davon, in Richtung Toilette.
Es war lang her, seit er sich das letzte Mal übergeben hatte. Er fühlte sich kalt und leer, als endlich nichts mehr kam und er bemerkte, dass seine Hände zitterten.
Warum, dachte er in das Rauschen der Spühlung hinein, bist du tot?
Er mußte eine Weile neben dem Klo gesessen haben. Die Beine dicht an den Körper gezogen, den Umhang eng um sich geschlungen. Er hatte nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen war; er hatte einfach dagesessen, die Wand angestarrt und germerkt, wie es weh tat. Irgendwann kam Ron.
Sein Freund hockte sich ihm gegenüber an die Wand und seufzte. Sein besorgter Blick war voller Mitgefühl und schleichender Verzweiflung.
"Harry..." begann er, und schien nicht zu wissen, was er sagen sollte. Harry konnte es irgendwie nachvollziehen. Für den, der trauert, ist es schwer. Aber für den Freund des Trauernden ist es auch nicht leicht. Besonders, wenn man nicht helfen kann, und das kann man nicht, und das weiß man. Und deshalb fehlen einem in solchen Momenten immer die Worte.
"Ist schon gut.", murmelte Harry. "Ich werd schon klar kommen."
"Wir... wir machen uns Sorgen um dich." Ron klang traurig. "Hermione und ich... du redest nicht mehr mit uns... nicht so wie früher. Du weißt, dass du immer zu uns kommen kannst, wenn du Probleme hast."
"Ich weiß." sagte Harry und lächelte seinen Freund sanft und traurig an. "Das weiß ich doch, Ron."
"Seit du wieder hier bist... es ist, als hättest du zugemacht."
Harry wußte, dass Ron nicht vorwurfsvoll klingen wollte. Niemand wollte das in so einer Situation. Und doch konnte er es nicht wirklich unterdrücken. Harry wußte nicht, ob ihn das wütend oder traurig machen, oder einfach kalt lassen sollte...
Du bist nicht mehr für uns da, sagten Rons Worte. Du läßt uns nicht mehr durchdringen zu dir, sagten seine Augen. Wie sollen wir dir helfen, wenn du dir nicht von uns helfen lassen willst?
Harry wußte all das. Er wußte, dass er sich von Ron und Hermione zurück gezogen hatte, seit er wieder hier war. Es tat ihm selbst leid... aber er wollte nicht, konnte seine Freunde nicht damit belasten. Und irgendwie glaubte er, dass sie auch gar nicht wollten, dass er sie damit belastete; vermutlich wollten sie einfach nur ihren alten, fröhlichen Harry zurück, der oft und gern lachte, Quiddich mochte und ein echter Freund war, ein Typ zum Pferdestehlen, dem man alles anvertrauen und auf den man sich immer verlassen konnte.
Nur, dass dieser Harry gemeinsam mit Sirius gestorben war...
All das blieb unausgesprochen. Es hing in der Luft, wie eine Ahnung. Sie beide wußten es, aber keiner sagte es.
Irgendwann half Ron Harry hoch und nahm ihn wortlos in den Arm. Es war nur kurz, aber trotzdem der Schmerz nicht aus Harry verschwand, wirkte es doch für diesen kurzen Moment beinahe tröstlich.
"Es tut mir leid." murmelte Harry. "Ich kann nicht... reden... nicht im Moment."
"Ist schon gut." murmelte Ron dumpf zurück. "Sag einfach bescheid, wann."
Das würde sich als schwierig herausstellen, wußte Harry.
Die folgenden Nächte und Tage vergingen ereignislos. Bis auf eine Standpauke von Snape, der sich über Harrys, seiner Meinung nach schlechten Aufzsatz über den Blauäugigkeitstrank aufregte; was Harry nicht weiter berührte. Er saß nachmittags lange in der Bibliothek in der Abteilung für Muggelliteratur, las oder starrte manchmal auch nur gedankenverloren aus dem Fenster. Malfoy begegnete er nicht; der Vorfall neulich hatte ihn irgendwie irritiert, auch wenn Harry ihn für nicht weiter wichtig nahm. Malfoy hatte unzählige Dinge, die an ihm unverständlich waren, da machte eine Macke mehr oder weniger nicht viel aus.
Auch wenn er ihn auf seltsame Weise mehr irritierte, als das früher der Fall gewesen war. Oder anders? Malfoy hatte ihn zwar schon früher angestarrt, aber nie so wie neulich am See und hier in der Bibliothek. Damals... bevor... naja, damals eben, waren seine sturmgrauen Augen, wann immer er sie auf Harry richtete, von dieser prinzipiellen Abneigung erfüllt gewesen, die im Zorn auch in abgrundtiefen Hass umgeschlagen war. Dieses Mindestlevel an Abneigung gegeneinander war eine Konstante in Harrys Leben gewesen; zwar keine besonders angenehme, aber man hatte sich zumindest auf sie verlassen können.
Und jetzt... es war seltsam. Irgendetwas an Dracos Blick war... seltsam gewesen. Anders. Aber was genau sich verändert hatte, wußte Harry nicht genau auszumachen...
Schluß, er wollte nicht über Malfoy nachdenken!
Am liebsten wollte er überhaupt nicht mehr nachdenken; über gar nichts.
Harry stellte das Buch, das er in der Hand gehalten hatte, ins Regal zurück. Er wußte nicht, wie lang er so dagestanden, gegrübelt und das dumme Buch über außenpoltische Verhältnisse der beiden Supermächte während des Kalten Krieges in der Hand gehalten hatte. Es passierte ihm in letzter Zeit häufig, dass er die Zeit vergas, wenn er nachdachte.
Er wollte nicht mehr nachdenken. Zuviel schmerzhaftes holte er hervor.
Und er wollte auch nicht über irgend etwas reden. Das tat noch viel mehr weh, als darüber nachzudenken.
Das war auch der Grund für sein Verhalten, für seinen Rückzug. Eigentlich war es dumm, nicht mehr abends mit seinem Freunden Zauberschach oder Snape explodiert oder wußte der Kuckuck was noch zu spielen. Es war dumm, Quiddich zu vernachlässigen. Es war dumm, sich nicht mehr an Gesprächen zu beteiligen, und es war noch dümmer, niemandem anzuvertrauen, wie weh es tat, den einzigen Menschen verloren zu haben, der sowas wie seine Familie gewesen war.
Die Trauer war zu groß, um allein damit fertig zu werden, das wußte er selbst.
Aber wenn er darüber sprach, egal mit wem, würde sie noch größer werden. Solange er mit jemand anderem zusammen war, der ihm helfen konnte, sie zu ertragen, würde es gehen. Aber früher oder später war er wieder allein damit, Nachts, wenn die Dunkelheit ihn umschloß und er trotz der vielen Menschen um sich herum die Einsamkeit nur allzu deutlich spürte. Und dann würde die Trauer noch viel größer sein und noch mehr weh tun als jetzt. Es würde überhaupt nichts nützen, darüber zu reden.
Und außerdem...
Harry hatte sie beobachtet. Ron und Hermione. Mittlerweile war es für jeden offensichtlich, dass sie zusammengehörten. Bis jetzt war noch nichts wirklich geklärt oder gar offiziell, aber Harry hatte, trotz seines Zustandes, immer noch Augen im Kopf. Da waren viele kleine Gesten, das Lächeln, das Hermione nur für Ron hatte. Die Bücher, die Ron Hermione trug, wenn sie zusammen zum Unterricht gingen. Die Art, wie sie miteinander redeten. Hermione, die verstohlen Rons Hand berührte. Ron, der anfing zu strahlen, sobald sie den Raum betrat. Und jede Menge Blicke.
Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis die beiden endlich zusammen sein würden. Vielleicht waren sie es ja schon längst, Harry vermochte es nicht genau zu sagen. Aber er freute sich für sie.
Und wenn er jetzt kam mit "Leute, ich hab ein Problem, es geht mir nicht gut, Sirius ist tot und so..."... nein, das konnte er nicht tun. Er fand, das hatten die beiden nicht verdient. Er wollte nicht stören.
Und eigentlich kam er doch ganz gut klar. Irgendwie jedenfalls. Solange er beschäftig war, war er abgelenkt, und sei es vom Elend in der Welt.
Harry rollte sich seufzend in dem Sessel zusammen, in dem in neulich Draco überrascht hatte, ein Handbuch aufschlagend.
"Dritte-Welt-Länder und ihre Rolle im Welthandel" Er war letztes Mal im Kapitel "Armut" stehen geblieben.
Es lenkte ab von seinem eigenen Elend.
Er wachte wieder auf, als es schon längst dunkel war und ein blasser Halbmond zum Fenster hineinschien.
Harry sah fluchend auf die Uhr. Halb zwölf Uhr nachts.
Na wundervoll. Jetzt mußte er sehen, wie er nach dem Zapfenstreich durch die Gänge zu seinem Schlafsaal kam, ohne erwischt zu werden...
Seufzend sammelte er das Büchlein auf, es war ihm wohl heruntergefallen, als er eingenickt war, stellte es in das Regal zurück und wollte gerade die Bibliothek verlassen, als er etwas bemerkte.
Licht. Warm und diffus.
Als hätte jemand in einer anderen Ecke dieses Bibliotheksteils einen Lumoszauber am laufen.
Seiner Neugier nachgebend schlich Harry in die Richtung, aus der der Lichtschein kam. Einige Regale weiter stieß er auf die Quelle. Und traute seinen Augen nicht.
Über ein Lesepult gebeugt, mit dem Rücken zu ihm saß niemand anders als Draco Malfoy.
Er muß nach mir hier reingekommen sein, dachte Harry. Und er hat mich nicht gesehen, weil dies hier viel näher am Ausgang ist, als die Ecke, in der ich saß. Zumindest hoffe ich das...
Draco hatte den Kopf in die Hände gestützt, die Ellbogen auf der Tischkante, seine Beine baumelten hin und her und er schien sehr in seine Lektüre vertieft zu sein. Vielleicht, dachte Harry, merkt er es nicht mal, wenn ich mich rausschleiche.
Wobei er sich fragte, was er schon wieder hier zu suchen hatte. Er, ein Slytherin. Naja, das sollte seine Sorge nicht sein. Harry machte Anstalten, sich auf Zehenspitzen in Richtung Ausgang zu schleichen, als Draco sich räusperte und ohne sich umzudrehen sagte: "So spät noch unterwegs, Potter?"
Mist, Mist, Mist!
Der blonde Junge drehte sich zu Harry um und sah im Schein des Zauberstabes, der in einer Art Blumenvase auf dem Pult, neben dem dicken Buch, das Draco grade noch gelesen hatte, steckte, seltsam fröhlich aus.
"Und du?" fragte Harry, und kam sich ziemlich blöd vor. "Auch mal wieder hier? Ich dachte, du würdest hier nur die Einsamkeit so sehr schätzen."
"Wahre Worte, Potter. Aber ein gutes Buch hat auch seinen Reiz." kam es zurück.
Harry verdrehte die Augen. Er war zu müde und zu gereizt, um sich jetzt auch noch mit Draco über Bücher zu unterhalten, hin oder her, ob ein Slytherin solche Bücher lesen sollte oder nicht. Er wandte sich um, um zu gehen.
"Hey, warte mal."
"Was?" Harry wandte sich wieder entnervt seinem blonden Gegenüber zu, das aufgestanden war, und sich vor ihn hingestellt hatte.
"Eigentlich," sagte Draco leichthin, "sollte ich deinem Haus einige Punkte abziehen, sagen wie so um die 30, meinst du nicht?"
Natürlich, dachte Harry, er ist ja Prefect, oh, wie konnte ich das nur vergessen; er zuckte die Schultern, sich zum dritten Mal dem Ausgang zuwendend. "Mach was du willst, Malfoy, mir egal."
Doch bevor er gehen konnte, legte sich Dracos Hand auf seine Schulter und hielt ihn davon ab, nicht grob, aber bestimmt.
"Was ist los mit dir; Potter." Der Junge klang erstaunt und, hätte Harry es nicht besser gewußt, auf kranke Art und Weise besorgt. "Normalerweise..."
"Jajaja, aber es ist nunmal nicht normalerweise." fauchte Harry ungewollt heftigt und wand seine Schulter aus Dracos Griff. "Ich könnte dich genausogut fragen, was mit dir los ist, Malfoy."
Draco antwortete nicht und sah unangenehm berührt aus, als hätte er einen wunden Punkt erwischt; Harry stellte verwirrt fest, dass er sich darüber gar nicht freute, wie er das eigentlich erwartet hatte. Es war aber auch zum Auswachsen mit dem Typ. Anstatt sich wie ein komplettes Arschloch zu benehmen, wie er es all die Jahre getan hatte, tauchte er ständig bei Harry auf und redete beinahe menschlich mit ihm, verlor kein böses Wort über ihn oder einen Gryffindor, und das volle zwei Wochen lang, und sorgte sich jetzt augenscheinlich noch um ihn! Und dann las er, der Superreinblütige Überzauberer, plötzlich Muggelbücher? Von Muggeln über Muggel für Muggel!!! Konnte er nicht einfach ein Arschloch sein und Gryffindor 30, 40, warum nicht gleich 50 Punkte abziehen?
Warum war nichts mehr, wie es war? Es machte Harry zornig.
"Keine Ahnung.", brummte der blonde Slytherin schließlich. "Was soll los sein?"
"Zieh mir doch einfach die Punkte ab!" herrschte ihn Harry an. "Warum tust du's nicht? Warum nicht?"
Und dann war Dracos Selbstsicherheit wieder da, aber irgendetwas war anders. Die Züge des Jungen vor ihm hatten nichts mehr von der üblichen Feindseeligkeit, seine Augen spießten Harry nicht mehr mit Blicken auf und in seinen Worten lag keinerlei Hähme, als er sagte: "Vielleicht möchte ich einfach nur wissen, was mit dir los ist."
Harry schluckte. Das war einfach grotesk. Draco Malfoy, von dem er immer felsenfest angenommen hatte, dass er an Harrys Todestag ein Freudenfeuer abbrennen würde, war ganz offensichtlich besorgt! Das war kein Alptraum sondern real!
"Das interessiert dich doch nicht wirklich." sagte Harry gepresst.
Draco lachte kurz auf, als schiene er amüsiert über sich selbst, und schüttelte den Kopf, als er sagte: "Ich kann auch nicht glauben, dass ich dir das jetzt sage... und ich hätte auch nie gedacht, dass sowas irgendwann mal passieren würde, so absurd ist das, aber... bist du sicher, dass es dir wirklich gut geht, Potter? Du siehst aus wie ein Gespenst. Du isst kaum noch, deine Noten gehen in sämtlichen Fächern in den Keller, und das schon nach zwei Wochen Schule, du gehst kaum noch raus, du hängst nicht mal mehr mit deinen Freunden herum, von Quiddich gar nicht erst zu reden; stattdessen verbringst du deine Freizeit hier und liest Bücher wie das hier. Accio!" Ein grau eingebundenes Buch flatterte herbei und landete gezielt in Dracos sauber manikürter Hand. Es war ein Jahrbuch über die amerikanische Außenpolitik der letzten zwölf Monate. Es war neu. Harry errinnerte sich, dass es erst vorgestern hereingekommen war und dass er es innehalb von vier Stunden durchgelesen, und danach noch schlechtere Laune als zuvor gehabt hatte.
"Du hast mich ja ziemlich genau im Auge behalten," bemerkte Harry spitz.
"Gewisse Dinge bleiben selbst mir nicht verborgen." gab Draco zurück. "Ich weiß, was passiert ist, Potter. Und ich weiß, dass es einen fertig macht, wenn sowas passiert, wie es dir passiert ist. Und du tust das dümmste, was man in so einer Situation tun kann, und versuchst, allein damit fertig zu werden. Das ist vielleicht ein nobler Versuch, Potter, und manche können das sogar, aber ich glaube nicht, dass du es kannst. Und das regt mich auf. Und deshalb frage ich."
Harry starrte Draco entgeistert an. Das passierte jetzt nicht, nein, das konnte gar nicht passieren! Wie kam dieser gelackte Affe dazu, ihm irgendwelche Ratschläge zu geben? Heiße Wut stieg in ihm hoch, er konnte spüren, wie sich seine Nackenhaare aufstellten und seine Hände zu zittern anfingen.
"Es geht dich einen Dreck an, wie es mir geht, Draco." grollte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. "Was glaubst du, wer du bist, dass du es wagst, mir zu sagen, was ich tun soll?!!" brach es aus ihm hervor, verschwunden war seine Selbstbeherrschung. " Du bist nichts als ein dummes Arschloch, das sich hinter seinem Vater versteckt!! Du hast keine Ahnung, was es für ein Gefühl ist, allein zu sein, wenn jemand von deiner Familie vor deinen Augen stirbt!!! Du hast keine Ahnung, Malfoy, keine..."
Irgendetwas schien nicht zu stimmen. Er fühlte die Wut, durch seine Venen pumpen, spürte sie tief in sich brennen, aber seine Beine fühlten sich seltsam an, seine Arme wurden schwer wie Kartoffelsäcke. "Du kannst," schrie er fast, und kämpfte gegen die hohen Wellen an, die der Boden unter seinen Füßen plötzlich schlug, ", dir deinen Rat sonstwohin stecken!" seine Stimme klang irgendwie komisch. Wie ein Tonband, das an Geschwindigkeit verlor. Und der Raum war doch sonst nicht so gewölbt. Und dieses weiße Rauschen in seinen Ohren, war auch nicht normal.
"Harry?"
"Verpiss dich einfach..." hauchte Harry und grinste.
Und dann kippten die Wände um, mit ihnen Draco und die Regale. Plötzlich fühlte sich Harry nur noch leicht und heiter, als könne er fliegen, weit weg, hinein in die weißen Wolken, in ein endloses Meer aus Ruhe und Nichts.
