Der diesjährige Harry-Potter-gehört-nicht-mir-Preis geht an: MICH

********************************************************************************************

12: Ol' Death Whisper

Draco hatte sich immer gefragt, wie es wohl wäre, betrunken zu sein. Nicht, dass er nie etwas getrunken hatte. Bei den Geschäftsessen seines Vaters hatte es für jeden zum guten Ton gehört, von Vaters Hausmarke zu versuchen. Und anschließend gab es dann ein kühles Dribblingsbier. (Sein Vater mochte ein Rassist sein, aber zumindest war er auch ein Gourmet, oder er bezeichnete sich zumindest gern als einen.) Auch für den Sohn des Hauses, obschon seine Mutter stets energisch protestiert hatte.

Aber betrinken? Höchstens daheim, aber sich alleine die Kante zu geben, und sei es mit Vaters Hausmarke, war Draco nie verlockend genug erschienen. Und in Hogwarts? Die Lehrer dort hatten zwar in etwa so viel Ahnung von Pädagogik wie ein cholerischer Eishockeyspieler von Ikebana, aber Besäufnisse wären nicht ohne Konsequenzen geblieben.

Und nun wankte er gegen zehn Uhr nachts aus einer Muggelkneipe in den Nieselregen, leicht benommen von den sieben Bieren, die er intus hatte. Auf ihn stützte sich ein sternhagelvoller Harry Potter und lallte undeutlich irgendeinen Stimmungsschlager vor sich hin.

Was für ein Bild.

Sein Vater würde durchdrehen.

"O~kay, mein Freund..." seine Zunge fühlte sich schwer an. "Weißt du noch, wo es lang ging?"

"Nattchürlich w-weissich wos langeht." erklärte Harry, halb auf seiner Schulter.

"Ich meinte, tzum Hotel."

"Ach so."

Nachdenkliche Stille, und dann: "Keine Ahnung. Versuchssochmal... nach da!"

Draco wandte sich umständlich in die Richtung, in die Harrys wackeliger Finger zeigte und ging los, wobei er das Gefühl hatte, dass er nicht mehr würde bremsen können. Die Trunkenheit waberte sanft und beschwingt durch seinen Geist. Alles an ihm fühlte sich leicht an, besonders sein Kopf. Fühlte sich wirklich nicht schlecht an.

"Nichso schschnell." verlangte Harry.

"Hör ma, immerhin weiß ich noch, wie man gradeaus läuft." meckerte Draco nach links oben.

"Ich komm nichmehr hinterher..." maulte Harry undeutlich.

"Heulsuse."

"Selber."

Draco seufzte und versuchte, seinen Gang etwas zu kontrollieren. Doch, er hatte ordentlich einen im Tee. Das konnte er ohne Übertreibung sagen. Harry allerdings schien noch eine ganze Ecke weniger zu vertragen als er. Aber das hatte ihn anscheinend nicht daran gehindert, ungefähr drei Bier mehr zu trinken.

"La Palomaa Oheeee..." klang es in Dracos Ohr.

Die Schatten, die hinter ihnen aus den Ecken wuchsen, nahm er nicht wahr. Sie flossen langsam durch die Winkel, wie schwarzes Wasser, beinahe unsichtbar für die Passanten. Lautlos nahmen sie die Verfolgung auf...

Komisch, aber er hatte das Gefühl, innerlich immer ruhiger zu werden, je länger er mit diesem... diesem Vollidioten herumhing. Kurzzeitig hatte er mit dem Gedanken gespielt, diese Ruhe zu ignorieren, aber sie war einfach zu angenehm.

Es war schon bei ihrer Ankunft in dieser verrückten Stadt so gewesen. Draco hatte keine Ahnung gehabt, was... naja, er hatte überhaupt keine Ahnung gehabt. Über die Stadt. Über U-Bahnen und Kinos. Oder dass es bei Muggeln genauso ablief, wenn man etwas kaufen wollte. Man gab irgendein Zahlungsmittel her und bekam dafür etwas. Klar, eigentlich hätte man sich sowas denken können. Aber wenn man von Kindheit an eingetrichtert bekommt, das Schl-... Muggel auf dem geistigen Entwicklungsstand einer Protozoe und ohnehin nicht mal den Dreck im Schuhprofil wert sind, beginnt man, sich eine seltsame Phantasiewelt aufzubauen.

Und vor allen Dingen glaubte man, dass eine Welt ohne Magie nicht funktionieren könnte... aber zumindest die Muggel kamen ganz gut damit zurecht, wie es schien. Er hatte bis jetzt noch niemanden lauthals darüber klagen hören, dass sein Auto nicht fliegen könne. (Obschon sich Draco ziemlich sicher war, dass sie es manchmal taten; er hatte den Verkehr in der Innenstadt gesehen.)

Und Harry... wußte all diese Dinge. Er war damit aufgewachsen. Er wußte, wie man hier lebte, wie man sich benahm, was ein Burgel war... Burger, pardon, und dass Zementlaster einem staunenden Landei, das auf der Höhe seines Kulturschocks unvermittelt mitten auf der Straße stehenblieb und glotzte, keinesfalls auswichen... (Hinterher war Draco sich unglaublich dämlich vorgekommen. Natürlich wußte er, was Autos waren. Aber für ihn war es etwas völlig neues, durch die Straßen einer Muggelstadt zu gehen und sie aus der Nähe zu betrachten, nicht nur von Weitem oder vom Inneren eines Wagens selbst...)

Es war seltsam, aber dieser wirre Ameisenhaufen namens Muggellondon funktionierte auch ohne Magie ganz prächtig.

Draco fragte sich, ob sein Vater das wußte.

Und er fragte sich, ob sich, wenn er irgendetwas wüßte, irgendetwas ändern würde.

Eher zweifelhaft. Verbohrte Menschen, mutmaßte Draco, ändern ihre Meinung nur selten, und seien die Argumente noch so einleuchtend.

... und er fragte sich, warum dieser singende Kartoffelsack auf seiner Schulter so viel zu seinem inneren Gleichgewicht beitrug.

Er wußte nicht wieso, aber Harry schien ihn, auf einer unterschwelligen Ebene, zu verstehen. Er hatte das Gefühl, trotz der immensen, Jahre währenden Antiphatie, hatte sich in den letzten Wochen eine unterschwellige Form der Kommunikation entwickelt, die die gewohnten Feindseligkeiten unmöglich zu machen schienen. Vielmehr hatte er das Gefühl, er sagte etwas, und der Junge *wußte* wovon Draco redete.

Allerdings, selbst bevor er das mit der Kommunikation gemerkt hatte, war da dieses kranke Gefühl der Verbundenheit zu seinem Todfeind gewesen, dass ihn Nachts von grünen Augen hatte träumen und ihn sich tagsüber um die schwarzhaarige Jammergestalt sorgen lassen, die angeblich der größte Held der magischen Welt war.

Kurzzeitig, kurz vor der Geschichte im Besenschrank, hatte ihn schleichende Panik erfasst, hatte er sich gefragt, ob er plötzlich schwul geworden wäre und sich in Harry verliebt hätte oder sowas...

...aber es war ganz anders. Vielleicht war es genauso dicht dran, wie es davon entfernt war. Er konnte es nicht sagen. Er wußte nur, dass er sich, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben nicht nur frei sondern auch... verstanden fühlte.

Und das beruhigte ungemein.

Er blinzelte.

Natürlich hatten sie sich verlaufen. Das war so klar, wie dass die Straße plötzlich menschenleer erschien und sie sich in einem düsteren Stadtteil befanden, den vermutlich nicht mal Harry kannte. Alles schien finsterer als nötig. Die Häuser schlossen sich wie steile Wände eines Canyons um sie, hatten ein bedrohliches Schwarz angenommen. Das spärliche Licht der Straßenlaternen schimmerte bläulich-weiß in den Pfützen auf dem Asphalt, und selbst der schien eine angriffslustige Konsistenz gewonnen zu haben.

Das plötzliche Adrenalin in seinem Blut vertrieb das Wabern des Alkohols langsam aus seinem Kopf.

"Todesser!" fuhr es durch seinen Kopf in brennenden Alarmfarben.

Er wußte es!

Sie waren hier, hatten sie gefunden und warteten nur auf den richtigen Moment!

Harry lallte noch immer vor sich hin.

"Potter." zischte er und fummelte in seiner Manteltasche nach seinem Zauberstab. "Komm auf die Füße, hier stimmt was nicht."

"Stimmtwasnich?" murmelte Harry zufrieden in sein Ohr und klammerte sich an ihn. "Isdochalles inordnung, willnich aufstehn"

Draco blickte sich nervös um, konnte in der Finsternis aber nichts entdecken, was das panische Kribbeln in seiner Magengrube erklären könnte. Kein Todesser war zu sehen. Nur nächtliche Finsternis einer nächtlichen Gasse. Aber das mußte leider nichts heißen.

Mist! So ging es, wenn man betrunken in einer Stadt, nein, in einer Welt herumrannte, die man nicht kannte. Dann waren Situationen wie diese quasi vorprogrammiert.

"Lass den Scheiß!" fauchte er und schüttelte Harry ab. Schnell ergriff er seinen Zauberstab und murmelte etwas. An einen Ausnüchterungszauber hätte er gleich denken können, das stimmte. Aber wenn man sich um des Betrunkenseins Willen betrank, machte so was nicht viel Sinn. Jetzt allerdings brauchten sie wenn sie Pech hatten, einen klaren Kopf, um...

Man konnte sehen, wie der Fluch bei Harry wirkte, wie die Trunkenheit von ihm abfiel wie eine zu große Jacke. Er taumelte ein paar Schritte und stand dann kerzengrade.

"Was soll das?" fauchte er. "Ich war grade so gut drauf."

Draco wandte den Zauber auch auf sich selbst an und spürte, wie seine Gedanken wieder klar wurden.

"Irgendjemand ist hier." flüsterte er.

Harrys Gesicht nahm kurz einen erschrockenen Ausdruck an, dann sah er sich um. "Wie hier?" flüsterte er zurück. "Ich sehe niemanden."

"Um so schlimmer." zischte Draco. "Jetzt bräuchte man Besen."

"Malfoy, hier darf man keine Magie anwenden, die Muggel..." begann Harry, fing dann jedoch Dracos Blick auf und schwieg. Sie wußten beide, sollten tatsächlich Todesser hier sein, machte es keinen Unterschied mehr, ob Anwendung von Magie in Muggelnähe verboten war oder nicht.

"Lass uns abhauen." schlug er stattdessen vor, doch bevor sich einer von beiden in irgendeine Richtung bewegen konnte, rief irgendjemand

"Ey!"

Die vier Typen waren wie aus dem Nichts plötzlich auf der Straße aufgetaucht. Groß und bullig, trugen trotz der Dunkelheit Sonnenbrillen. Draco fühlte sich unwillkürlich an die schwarz gekleideten Typen aus dem Film vorhin erinnert. Alle in schwarz, edle Klamotten, wie es schien. Goldkettchen. Zwei von ihnen hatten sich ein weißes Tuch um den Kopf gebunden und einer hatte einen Bart am Rand des Gesichts, der sich wie eine braune Schnur um die Kieferlinie zog. Sah aus wie ein Schmutzrand um Hemdsärmel.

Ruhigen Schrittes kamen sie auf sie zu, breitbeinig, trugen die Selbstsicherheit einer Straßengang für jeden sichtbar. Ihre Hände hatten sie in die Taschen gesteckt, nur einer von ihnen hatte etwas helles in der Hand blitzen. Draco blickte hinter sich und erblickte nochmal drei von der Sorte.

Eingekreist.

Wundervoll.

Es verging vielleicht eine Minute, in denen sich die Typen um sie herum aufbauten und man sich gegenseitig abschätzte, bis schließlich einer von ihnen, vermutlich ihr Chef, aber das war Spekulation, das Wort erhob.

"Was macht ihr zwei Hübschen denn hier?" Er klang wie eine lange nicht mehr geölte Tür.

Eine typische Frage, und Draco ahnte, worauf sie hinauslaufen würde. Unser Revier, blablabla, Gold, in diesem Falle Geld her, blablabla, und am Ende gab es wenn man Glück hatte eine blutige Nase. Aber es waren keine Todesser sondern nur ein paar Muggel, die auf hart machten und allein das beruhigte ihn etwas. Allerdings dieses Gefühl von Panik, dass er eben gehabt hatte, war noch nicht verschwunden. Sie waren noch hier, das wußte er, doch sie hielten sich in den Schatten, warteten, lauerten...

"Ich meine, zwei Schwuchteln wie ihr in unserem Revier" (na bitte) " und da dachten wir uns, wir kommen mal vorbei und kümmern uns um euch."

Noch mehr Messer blitzten im Licht der Straßenbeleuchtung. Jetzt war die Drohung perfekt.

"Wir waren gerade dabei, die malerische Architektur eingehender zu betrachten." erklärte Draco, seine Stimme troff vor Sarkasmus. "Und wie steht's mit euch?"

Wer immer die Kerle waren, vermutlich irgendwelche Jugendliche, die nichts besseres zu tun hatten, als spätabends harmlose Leute aufzumischen, schlechtes Graffity an Wände zu sprühen und sich selbst wahrscheinlich Sharks oder so nannten, mit solchen Antworten schienen sie nicht umgehen zu können. Zumindest dauerte es einige Sekunden und ein verblüfftes Grunzen, bis die Antwort kam.

"Das geht dich nichts an, Wichser."

"Dacht ich mir." knurrte Harry neben ihm.

Draco blickte für einen kurzen Moment zu ihm. Was er sah, war ihm nur allzu bekannt. Er hatte immerhin knapp fünf Jahre Zeit gehabt, Harrys Gesicht eingehend zu studieren, wenn der Junge wütend wurde. Und das hatte er oft getan, sobald Draco in der Nähe gewesen war. Wie ein Pawlowscher Reflex hatten sich seine Brauen zusammengezogen und hatte sich eine steile Falte auf der Stirn gebildet, die seiner Narbe eine zusätzliche Welle verpasste. Sein linkes Augenlied hatte mit der Zeit angefangen, leicht zu zucken und sein Mund wurde zu einem schmalen, verbissenen Strich. Und jedes Mal, kurz bevor er vor der Explosion stand, sträubten sich tatsächlich seine Haare, was nicht weiter auffiel, da sie ohnehin immer in jede Richtung abstanden.

Aber momentan sah Harry aus wie ein Igel.

"Bau keinen Scheiß, Potter." zischte er ihm zu. "Von mir aus sind's nur Muggel, aber sie sehen nicht so aus, als wären sie sehr geduldig und verständnisvoll, was deine pubertären Wutausbrüche angeht."

Doch es war zu spät.

"Glaubt du denn, so ein paar dämliche Pädophile machen mir Angst?" bellte Harry ihn an und dann nochmal :"Glaubt ihr denn, so ein paar dämliche Pferdeficker machen mir Angst?" in Richtung der verdutzten Gang. "Guckt euch doch an. So ein paar lächerliche Jammergestalten mit den Hosen in den Kniekehlen kommen angewackelt und bedrohen uns mit ihrem dämlichen Taschenmesser. Kommt ihr euch nicht selbst erbärmlich vor?"

"Harry..." Draco versuchte es nochmal, doch Harry hatte zu Grinsen angefangen.

"Ich kenne solche Leute." Er sah gruselig aus. "Halten sich für die Größten. Trampeln auf den Kleineren rum und machen einem den ganzen Tag das Leben schwer."

"Hört mal," unterbrach sie diesmal ein anderer Typ, der mit dem Bart und dem Messer. "warum gebt ihr kleinen Weichflöten uns nicht einfach euer Geld, und wir lassen euch vielleicht in Ruhe."

"Ja, dann könnt ihr euch in aller Ruhe gegenseitig einen runterholen."

"Wir werden auch nicht weiter stören."

Gelächter.

Und an Draco flatterte Harry vorbei, die Spitze seines Mantelsaums berührte kurz seine Wange. Und dann war alles voll von Blitzen und Geschrei.

Wie gelähmt stand Draco da und vor ihm lief der seltsamste Film der Welt ab.

Er sah, wie Harry in schnellen Sprüngen auf die Gang zurannte, einer von ihnen bekam einen eleganten Tritt in die Leistengegend. Gleichzeitig beschrieb Harrys Hand einen silbernen Bogen in der Luft und zwei Blitze aus seinem Zauberstab trafen krachend auf zwei weitere Gangmitglieder, die umfielen wie nasse Säcke. Mehr Blitze und immer mehr Blitze. Draco hörte einen der Jungen vor Schmerzen schreien, er sah Harry hochspringen, sah den Anführer der Gang wie er auf Harry zurannte, sah, wie er Harrys Schuh mitten ins Gesicht bekam.

Nie hätte Draco gedacht, dass der Junge zu sowas in der Lage war.

Vielleicht war er es auch gar nicht. Vielleicht war es nur die Wut, die unbändige Wut, die er in Harrys Augen sah, die durch die Venen des Jungen floß. Er konnte sie fast fühlen, als er sah, wie der schwarzhaarige Junge wie ein Racheengel ganz allein sieben großgewachsene Kerle fertigmachte. Konnte fühlen, wie Frust sich seinen Weg bahnte, jahrelanger Ärger, Wut und Zorn, die in diesem Moment, vielleicht beeinflußt vom Restalkohol, der Angst und jugendlicher Raserei über das Elend der Welt, völlig unvermutet hervorgebrochen war, wie ein Staudamm, bei dessen Bau ein winziger Riss übersehen worden war.

Und dann..

Sie rannten davon.

"Verpisst euch!!" schraubte sich Harrys hystersiche Stimme durch die Nacht. Und dann verklang ihr eiliges Getrappel in der Finsternis und es wurde still.

Nur noch sie beide waren da, er und ein schwer atmender Harry. Völlig allein.

Auch die Panik in seinem Magen war verschwunden, wie die wässrige Finsternis, die zurück in die Schatten geflossen war.

Irgendein Brückengeländer.

Irgendeine Schnellstraße in ihrem Rücken.

Die Lichter der Autos hinterließen bunte Schlieren in der Luft.

Es hatte aufgehört zu nieseln.

In stummer Eintracht lehnten sie nebeneinander am Geländer und blickten hinab in die mitternächtliche Schwärze des Wassers unter ihnen.

Die Stadt lag ihnen zu Füßen, leuchtete in die Nacht hinein wie ein bizarres Juwel Milliarden funkelnder Lichter.

"Verstehst du jetzt?"

"Versteh ich was jetzt?"

"Alle sind wahnsinnig. Die Welt ist voll solcher Leute." Harrys Stimme klang dumpf.

"Ganz offensichtlich." Es kam nicht oft vor, dass Draco nicht wußte, was er sagen sollte.

"Es ist, als ob... als ob es nur noch Schlechtes geben würde."

"Zumindest eine ganze Menge davon."

Harry erwiderte nichts. Wortlos nahm er einen tiefen Schluck aus der Whiskeyflasche, die er sich gekauft hatte, nachdem sie wieder wußten, wo sie waren. Offensichtlich hatte er beschlossen, wieder betrunken zu werden. Draco hatte ebenfalls probiert. Es schmeckte wie Möbelpolitur.

Aber es entzündete die angenehm leichte Wärme in seinem Körper erneut.

"Ist es deswegen?"

"Was?"

"Naja, bist du deswegen so mitgenommen? Denkst du, alle Menschen sind ignorante Arschlöcher?"

"Zu einem hoffnungslos großen Teil." murmelte Harry. "Sie benehmen sich zumindest so. Sie sind schlecht und egoistisch und überall herrscht nur Gewalt und Hass. Du solltest mal Nachrichten gucken. Und solche Typen wie eben sind nur die Spitze des Eisbergs."

"Dein Auftritt war aber auch nicht ohne." gab Draco zu bedenken. "Die können von Glück sagen, dass du sie nicht umgebracht hast."

Harry knirschte mit den Zähnen. "Ja." sagte er schließlich.

"Zornig, hm."

"Worauf du wetten kannst." lachte Harry bitter und reichte ihm die Flasche. Draco trank einen weiteren Schluck und fühlte die Flüssigkeit wie öliges Feuer in seinem Rachen.

"Bestens." meinte er nur. "Schön zu wissen, dass auch die Muggelwelt voll von Arschgeigen und Wahnsinnigen ist."

"Das findest du schön?"

"Sagen wir, es bestätigt meine Theorie." sagte er und gab Harry die Flasche zurück. "Es macht sie mehr und mehr gleich."

Er lächelte und sah in verwunderte grüne Augen.

Irgendwann lagen sie auf dem Bett im Hotelzimmer.

Eine halbleere Whiskeyflasche rollte über den Teppich. Draußen rauschte der nächtliche Verkehr.

Über den Fernseher flimmerten vage Bilder von einem Krieg irgendwo in der Wüste. Eine demonstrierende Menschenmasse zog die Fäuse schüttelnd und rufend durch eine mittägliche Straße. Sie trugen etwas, es war länglich, sah menschlich aus und war mit einem weißen Tuch zugedeckt, das mit Blumen geschmückt worden war. Kein Laut war zu hören, denn Harry hatte den Ton abgestellt.

Draco schaltete um.

Fernsehwerbung war zwar faszinierend, aber Draco war zu müde um zu kapieren, was sie von ihm wollten.

"Kein Wunder, dass die Muggel so komisch sind," murmelte er. "den ganzen Tag Bilder vom Krieg zu sehen, und im nächsten Moment das tolle neue Waschpulver sowieso..."

"Ja, ziemlich krank..." murmelte Harry. Der Junge lag in all seiner Schlaksigkeit lang ausgestreckt auf neben Draco auf den weißen Laken, immernoch in Jeans und T-Shirt, und war wohl schon jenseits von gut und böse. Erschöpfung und Alkohol hatten ihn schließlich hingeworfen.

Sie hatten zusammen versucht, den Whiskey leer zu machen, doch es hatte nicht geklappt.

Umso mehr für morgen.

Schließlich schaltete Draco den Fernseher aus, das Bild schrumpfte mit einem traurigen Seufzen in sich zusammen und er ließ sich erschöpft rücklings in die Kissen fallen.

"Warnlangertag..." hörte er Harry neben sich, leise, müde und seltsam melancholisch.

"Ja." murmelte er zurück und fühlte, wie die Müdigkeit seine Beine hochschwappte.

"War trotzdem irgendwie... ein guter Tag."

"Ich... hast recht...das Kino war toll."

"Yo..."

Stille.

"Sag mal..." kam es von Harry, als Draco dachte, er wäre bereits eingeschlafen, "...warst du je am Meer, Draco?"

"Weiß nich..." er wußte es tatsächlich nicht mehr. "Wahrscheinlich nicht..."

"Auch nich."

"Ich würd gern mal hin... ich hab's noch nie gesehen."

"Hm... ja, wär schön..." hörte er sich sagen.

"Lass und hinfahren..."

"Wie bitte?"

"Ans Meer... lass uns ans Meer fahren... bin noch nie dagewesen."

"...hast du schon gesagt... ich auch nicht... hab ich auch schon gesagt, oder?"

"...ja..."

"...'kay, Harry.... lass uns... ans Meer fahren..."

"..."

"..."