(*****Es ist nur fair, wenn ich euch an dieser Stelle warne. Ihr lest das hier auf eigene Verantwortung. Beschwert euch also nicht bei mir! Manche Dinge passieren eben! ;__; Ich hab euch gewarnt!!! Ach ja, kann sein, dass ich alte Ärztesongs auftrage, aber es passte halt ^^;;; HP gehört nicht mir sondern JKR blablablablabla.*****)

16: zu spät

Dampf erfüllte die Luft. Dampf, der nach Zitronen und Minze roch und in seiner Nase kitzelte. Er atmete tief ein, fühlte wie sich alles in ihm entspannte, und ließ sich hinabsinken ein in das heiße, tiefgrüne Wasser unter den weißen Schaumbergen. Nur noch sein Gesicht die Nase aufwärts schaute heraus.

Es tat so unheimlich gut.

Durch das kleine Badezimmerfenster über ihm fiel das rote Licht der Abendsonne in den Raum hinein und schnitt geradlinige Dreiecke in das Dunstgewölk. Wenn Draco die Ohren untertauchte, wurden auch die restlichen Geräusche aus dem Haus von Oma Amber von einer dicken Wand aus heißem, mit Heilkräutern getränkten Wasser erstickt.

Seit vor ein paar Tagen sein Fieber gesunken war und Draco vorsichtig hatte aufstehen können, ohne dass sich gleich wieder alles um ihn herum zu drehen begann, ließ Elisas Oma ihm jeden Tag nach dem Abendbrot ein heißes Kräuterbad ein, dass der Doktor ihm verschrieben hatte. Es war zwar ein Muggeldoktor und Draco wußte nicht wirklich, was Muggelmedizin konnte und wozu sie nicht fähig war, aber irgendwie schien ihm selbst auch, dass es keine schlechte Idee war. Im Gegenteil, er genoß es, hinabzutauchen in grüne Stille und seine Gedanken zu sammeln.

Nie hätte er gedacht, dass er einmal so in der Schuld von Muggeln stehen würde, wie das bei Elisa und ihrer Oma Amber der Fall war. Elisa hatte ihn im Busch entdeckt und Hilfe geholt. Sie hatten ihn in ihr Haus gelassen, ihm geholfen und die alte Dame pflegte ihn anstandslos gesund. Sie ließen ihn von ihrem Essen essen, gaben ihm Medizin, Wärme und ein Bett und, als wäre all das noch nicht genug, das Gefühl, keine zusätzliche Last zu sein, sondern ein willkommener Gast; ein Bekannter, ein Nachbar oder ein Freund, dem man ganz selbstverständlich half, wenn er in Not geriet.

Es war ihm unglaublich unangenehm gewesen, als ihm das vor etwa zwei Tagen bewußt geworden war. Vorher war er noch viel zu geschwächt gewesen, um darüber nachzudenken. Aber jetzt... er fragte sich, ob er das jemals wieder zurückgeben konnte. Vom Materiellen her sicherlich, das wußte Draco. Denn auch wenn er von daheim abgehauen und dem Todessertum den Rücken gekehrt hatte, und ihm dadurch jegliche finanzielle Unterstützung von Seiten seiner Vaters auf jetzt und immerdar versagt war, hatte er viel Geld. Seine Mutter hatte, als er noch ein ganz kleines Kind gewesen war, ein Konto in Gringotts für ihn angelegt und monatlich eine nicht unbeträchtliche Summe aus ihrem eigenen Vermögen darauf gezahlt. Das Gold, dass sich mit den Jahren durch Zins und Zinseszins verdoppelt, verdreifacht, ach was, bestimmt schon versiebenfacht hatte, stand ihm de facto an seinem Siebzehnten Geburtstag zur Verfügung. Praktisch gesehen hätte er also, in einiger Zeit, genug Geld, um zwanzig Jahre sorglos in den Tag hinein zu leben, und zweifelsohne ebenfalls genug Geld, um sich bei der alten Dame und ihrer Enkelin irgendwie erkenntlich zu zeigen, auch wenn sie "nur" Muggel waren...

Aber Draco wußte, darum ging es nicht. Nicht um Geld, nicht um Dinge.

Er verdankte diesen Leuten sein Leben.

Harry hatte ihm vorgestern erzählt, was es mit dem Schutzzauber, der um das Haus und anscheinend auch partiell um das Dorf lag, auf sich hatte, und dass sie hier drin vor Voldemorts Schergen erstmal sicher waren.

Er hatte erzählt, was er von Oma Amber erfahren hatten, dass sie in jener Nacht in der Pension hätten sterben sollen.

Ja, er verdankte der alten Dame, die ihm Schutz gewährt hatte, sein Leben. Das ließ sich schlecht mit Geld begleichen.

Als er heute morgen versucht hatte, ihr das irgendwie klar zu machen und auf irgendeine, zugegebenermaßen ziemlich gestotterte, Weise auszudrücken, wie tief er in ihrer Schuld stand und wie sehr er das zu schätzen wußte, hatte sie nur mit einem fröhlichen Grinsen abgewinkt und gesagt:

"Red nicht so einen elenden Blödsinn, Junge. Ich hab deinem Süßen schon gesagt, das ist selbstverständlich. Und jetzt nimm deine Grippemedizin, bevor ich wirklich grantig werde."

Darauf hatte Draco gehorsam seine Grippemedizin geschluckt und war dankbar in ein weiteres Nickerchen gesunken.

Er mochte Oma Amber irgendwie. Sie strahlte eine autoritäre Ruhe aus, die ihn beruhigte. Sie schien zu sagen, mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich erstmal um alles. Sie machte essen, sorgte dafür, dass er es warm hatte und gesund wurde... sie war mütterlicher zu ihm, als es seine eigene Mutter je gewesen war.

Eine seltsame Erfahrung, dachte Draco. Er hatte zwar immer gewußt, dass seine Mutter ihn liebte, aber die unsichtbare Wand aus Reserviertheit, die die helle, grazile Gestalt seiner Mutter umgeben hatte, seit er zurückdenken konnte, ließ ihn auch immer wissen, dass da etwas fehlte. Nichts Materielles versteht sich. Er hatte alles gehabt, was sich ein Junge nur wünschen konnte. Tonnen von Spielzeug. Die neueste Quiddichausrüstung. Poster. Spiele. Kleidung. Ein großes Zimmer. Das beste Essen. Unterhaltung und Zerstreuhung. Eine exzellente Bildung. Nein, in Malfoy Manor war es ihm nie schlecht gegangen. Zumindest nicht materiell.

Vielleicht wurde ihm die Kälte seiner Eltern erst hier bewußt, in diesem Haus, in dem er mit Wärme empfangen worden war.

Elisa mochte er ebenfalls. Das hatte ihn noch viel mehr verwirrt, denn er hatte immer von sich geglaubt, Kinder nicht ausstehen zu können. Nun, vielleicht stimmte das auch. Aber wenn dem so war, bildete Elisa eine ausgezeichnete Ausnahme der Regel.

Sie war aber auch wirklich zu drollig in ihrer Tapsigkeit. Irgendwie brachte sie ihn immer zum Lächeln.

Schon bei der ersten Begegnung im Zug hierher war es so gewesen, als sie in diesem... in diesem ungünstigsten aller Momente ins Abteil marschiert war. Er wußte, normalerweise hätte er sauer reagiert, aber er konnte der Kleinen einfach nicht böse sein. Im Gegenteil, er konnte sich noch so oft sagen, dass Kinder doof und, inbesondere Muggelkinder, absolut unnütz waren, er mochte Elisa. Da kam er einfach nicht drumherum.

Und es machte ihm auch nichts aus. Ungefähr so hatte er es sich immer vorgestellt, eine kleine Schwester zu haben. Das war vielleicht ein bißchen voreilig zu sagen, immerhin kannte er sie erst seit einiger Zeit. Aber bei manchen Leuten brauchte man eben länger, bis man merkte, dass man sie mochte, und bei anderen funktionierte es auf Anhieb. Und bei Elisa... na gut, sie war noch ein Kind. Sie kannte ihn nicht wirklich, wußte nichts über ihn, sie hatte ihn nicht sechs Jahre lang mit Inbrunst gehasst. Für sie war er einfach nur Draco. Draco, dem sie aus ihrem Märchenbuch vorlas, damit ihm nicht langweilig wurde. (Muggelmärchen. Er wußte gar nicht, dass es sowas gab.) Draco, dem sie zeigte, wie man Kraniche aus Papier faltete. ("Hab ich in meinem alten Kindergarten gelernt.") Draco, den sie immer wieder in Erstaunen versetzte, dadurch, dass sie ihn vergessen ließ, dass sie ein Muggelkind war.

Erst heute morgen wieder, hatte sie ihm zu erklären versucht, dass es überhaupt keine Zauberer gab, und er hatte keinen Grund gesehen, ihr nicht das Gegenteil zu beweisen.

"Wenn ich kein Zauberer bin, kann Mr. Tröte nicht fliegen.", hatte er ihr gesagt und auf ihren Stoffelefanten gezeigt.

"Mr. Tröte kann nicht fliegen." lachte Elisa. "Du bist so doof, Draco."

"Bin ich nicht. Ich kann ihn fliegen lassen. Wirklich. Gib ihn doch mal her."

"Pah! Du wirst ihn hochwerfen. Das ist kein Fliegen. Das kann jeder. Sogar ich." Aber sie hatte das graue, kaputtgeknuddelte Elefantenstofftier auf Dracos Bettdecke gelegt, und er hatte von seinem Nachttisch den Zauberstab genommen um einen Levitationszauber zu machen. Das war einfach. Das hatten sie im ersten Jahr gelernt.

"Vingardium Leviosa!"

Und der Elefant hob ab, schwebte vor den erstaunt aufgerissenen Augen des Mädchens Richtung Decke. Draco hatte ihn ein paar Mal im Kreis herumfliegen lassen, und Elisa, wie alle Kinder schnell bereit zu akzeptieren, was man sah, ohne viel zu fragen, fing an zu quietschen vor Vergnügen.

In diesem Moment war Harry hereingekommen, und hatte Draco so verblüfft angestarrt, dass er vergaß, den Zauber aufrecht zu erhalten. Mr. Tröte stürzte abrupt ab und Elisa konnte ihn gerade noch auffangen.

"Was wird das, die Dumbonummer?"

"Wie Bitte?" war Dracos verständnislose Frage gewesen. "Was für ne Nummer?"

"Du bist blöd Harry. Das ist Mr. Tröte und nicht Dumbo."

Das war anscheinend einer von diesem Muggelcodes gewesen, die Draco nicht verstand.

Seufzend tauchte er empor und wischte sich den Schaum aus dem Gesicht.

Harry...

Er war immer da gewesen. Immer, wenn er aufgewacht war, hatte Harry neben seinem Bett gesessen und gelächelt. Es war verwirrend und beruhigend zugleich, das zu wissen. Besonders war ihm das gestern nachmittag aufgefallen, als er wieder aus seinem Schlaf erwacht war. (Er schlief eigentlich fast dauernd die letzten Tage, aber so war das eben, wenn man krank war.) Harry hatte nicht an seinem Bett gesessen, wie sonst, und für einen kurzen Moment hatte er diesen Stich gespürt. Etwa eine Minute später war der Schwarzhaarige zurückgekehrt, er hatte sich nur etwas zu trinken geholt. Draco war sich ziemlich dämlich vorgekommen.

Ich hab mich zu sehr an dich gewöhnt, dachte er und lehnte sich wieder in der Wanne zurück. Die Hitze machte ihn dösig und ließ seine Gedanken fließen.

Wieder kehrten sie zu diesem... zu diesem ungünstigsten aller Momente im Zug nach Brimshire zurück, und Draco fragte sich unwillkürlich, was wohl geschehen wäre, wenn Elisa *nicht* plötzlich zur Tür hereingekommen wäre...

...

Diesbezüglich war er ziemlich ratlos. Vielleicht hätten sie sich geküsst, ja. Aber damit konnte er nicht viel anfangen. Er wußte nicht, wie es war, zu küssen. Für jemanden mit seinem Ego war es ziemlich schwer, sich das einzugestehen: mit knapp sechzehneinhalb Jahren war er nicht nur noch eine Jungfrau, sondern auch noch eine ungeküsste Jungfrau. Das passte nicht gut ins draufgängerische Malfoy-Image. Man sollte eigentlich meinen, er sei ein unheimlicher Frauenheld.

Draco tauchte unter.

Erst hier im tiefen, stillen Grün, unter all dem Schaum, weg von allen anderen Gedanken, wagte er es, sich vorzustellen, wie es war, geküsst zu werden.

Oma Amber hatte Besuch. Bridgeabend. Die alten Damen hatten kurz ins Krankenzimmer hineingeschaut, Guten Abend gesagt und Gute Besserung gewünscht. Vermutlich hätten sie gerne unzählige Fragen gestellt; das ganze Dorf wußte darüber bescheid, dass zwei Fremde bei Amber McClintock untergekommen waren, und dass der eine von ihnen schlimm krank sei. Aber Oma Amber war resolut und komplimentierte ihre Freundinnen unerbittlich in den Salon.

Nach dem Sonnenuntergang hatte es sich draußen zugezogen und mittlerweile rauschte ein stetiger Regen hernieder, der leise gegen die Scheiben klopfte. Oma Amber hatte zur Feier des Tages Shortbread gebacken, und Harry, Draco und Elisa auch einen Teller mit den süßen Keksen ins Krankenzimmer gestellt.

"Ihr kommt zurecht?" fragte sie.

"Natürlich, Oma." kicherte Elisa. "Ich bringe den beiden gerade Pokern bei."

"Du kannst Pokern?" fragte Oma Amber sekptisch. "Du bist erst sechs!"

"Früh übt sich, wer Meister werden will." sagte die Kleine altklug, Harry kicherte, Draco verstand nicht, was daran so schlimm war, wenn ein sechsjähriges Mädchen ein Kartenspiel beherrschte, und Oma Amber schloß kopfschüttelnd die Tür.

Sie spielten um Shortbread und Jelly-Bellys.

Pokern an sich war nicht schwer, aber Draco verlor trotzdem andauernd, wohingegen Elisa laufend gewann und Harry sie irgendwann mißtrauisch fragte, ob sie vielleicht schummelte.

"Ich doch nicht." sagte Elisa hoheitsvoll. "Schummeln gehört sich nicht für eine Lady."

Nachdem sie allerdings alles, was noch an Shortbread und JellyBellys da war, eingeheimst hatte, konnte Draco auch nicht umhin, sich das zu fragen.

Am Ende gab das Mädchen sich großzügig und sie teilten geschwisterlich durch drei. Dann zogen sie um ins Wohnzimmer, um noch ein wenig fernzusehen. Es war erst halb neun und Elisa durfte länger aufbleiben, weil Samstag war.

Sie aßen die Süßigkeiten auf und sahen sich einen seltsamen Film an, den Draco wirklich komisch fand. Es war eine wirklich... nun, außergewöhnliche Version der Arthussaga. Draco kannte sie. Er hatte sie einmal in der Bibliothek seines Vaters gelesen. Das war zwar schon Jahre her, aber er wußte, dass es darum ging, dass der König von Britannien mit seinen Rittern loszog, um den Heiligen Gral zu suchen. Er hatte allerdings nicht gewußt, dass man das Gewicht einer Hexe in Enten misst, oder das Kanninchen eine tödliche Angelegenheit sein können. (Bei dieser Szene hielt sich Elisa die Augen zu.) Den Zauberer fand er besonders komisch. Er erinnerte ihn irgendwie an eine Art wahnsinnig gewordenen Dumbledore. Draco war sich sicher, eines Tages würde der Schuldirektor auch völlig verpeilt in der Botanik herumstehen, und Felsblöcke in die Luft jagen.

Elisa war eingeschlafen, als der Film endete. (Das Ende war übrigends wohl wieder so ein Muggelcode. Draco verstand nicht genau, wieso plötzlich Muggelpolizisten durch das Mittelalter liefen. Er beschloß, Harry später zu fragen.) Die Gäste waren gegangen. Oma Amber brachte das kleine Mädchen ins Bett und schickte auch Harry und Draco schlafen.

"Wie fühlst du dich?", fragte Harry, als er Draco zurück in sein Zimmer begleitete.

"Besser. Ich glaub, ich kann mich heute selber zudecken." antwortete er trocken und kroch in sein Bett. Er spürte, wie müde er war.

"Ich hab dich nie zugedeckt." schmunzelte Harry.

"Lügner."

"Beweis es."

Sie schwiegen das Schweigen, das Draco inzwischen so vertraut geworden war. Voller Einvernehmen und einer Art angenehmer Routine.

Harry saß auf der Bettkante. Er sah zwar immernoch blaß, aber erholt aus, und das wirkte fast seltsam. Draco war irgendwie daran gewöhnt, ihn erschöpft zu sehen. Jetzt blickte er ihn mit Augen an, aus denen der stumpfe Glanz der Verzweiflung verschwunden zu sein schien. Offensichtlich tat nicht nur Draco der Aufenthalt in Oma Ambers Haus wohl.

"Sag mal..." begann er schließlich.

"Ja?"

"Wie wird das eigentlich weitergehen."

"Wie meinst du das."

"Naja..." murmelte Draco. "Wenn ich wieder gesund bin... was machen wir dann? Ziehen wir weiter?"

"Ich weiß nicht." Harry schüttelte den Kopf. "Oma Amber hat uns freigestellt, was wir tun wollen. Natürlich hat sie mir nahe gelegt, nach Hogwarts zurück zu kehren."

"Vermutlich hat sie recht." gähnte Draco schläfrig. Er hatte zuviel gegessen und immernoch den angenehm süßen Geschmack der JellyBellys im Mund.

"Natürlich hat sie das." sagte Harry und zupfte etwas an der Bettdecke herum. "Zumindest was dich angeht: Ich dagegen..."

"Willst du mich loswerden, Potter?" fragte Draco verschmitzt.

"Ich weiß nicht, Malfoy." gab Harry ebenso verschmitzt zurück. "In Hogwarts bist du am besten geschützt. Vielleicht will ich nicht, dass dir was passiert?"

"Letztenendes verfolgt Lord Voldemort auch dich, nicht nur mich." sagte Draco ein wenig heiser und sein Herz stolperte ein wenig bei Harrys letzten Worten. "Glaubst du etwa, ich brauche mehr Schutz als du? Wohl eher umgekehrt."

Auf Harrys Gesicht breitete sich ein Lächeln aus.

"Wir werden sehen." sagte er. "Du brauchst noch etwas, um gesund zu werden, oder?"

"Vermutlich." brummelte Draco und erstarrte ein wenig, als Harry sich erhob, und sich über ihn beugte.

"Gute Nacht." Und Harrys Hand wuschelte sanft durch sein Haar, nur kurz, nur einen Moment. Und dann war das Licht aus, die Tür zu und Draco war allein.

Im Traum war er wieder in der Luft zwischen Erde und Meer, Wolken und Sternenhimmel, sah ~ihr~ wieder in die Augen und fühlte, wie Schmerzen seinen Körper durchrasten, als ihr eiskalter Blick ihn traf.

Er wußte, dass es ein Traum war, er kämpfte dagegen an, aber wie immer in solchen Träumen gelang es ihm nicht, sich von der finsteren Schwere loszureißen, die ihn gefangen hielt. Er war wie gelähmt und dem Schrecken ausgesetzt wie eine Fliege, die unter einem Microscop festgepinnt war.

~Wir wissen, wo ihr seid~ zischte es in einem Kopf. ~Wir sehen euch. Wir kriegen euch. Wir kriegen dich, du Verräter. Niemand entkommt Lord Voldemort.~

Es war ein Traum, das war ihm klar. Aber er wußte auch, dass dieser Traum mehr war, als bloß sein Unterbewußtsein, das Erlebtes auf diese Weise verarbeitete. Er spürte es, die Anwesenheit der Schwärze, des Dunkels, das die Todesser umgab, wohin sie auch gingen. Er spürte, wie ihr tintiges Gift in seinen Traum tropfte, aber er schluckte die Angst herunter und nahm all seinen Mut zusammen. Auch wenn es mehr als nur ein Traum war, mehr als Angst machen konnten sie ihm nicht. Und ein Malfoy zeigt keine Angst, keine Schwäche. Auch im Traum nicht.

~Richte meinem Vater einen schönen Gruß aus.~ hörte er seine Stimme im Traum. Es klang, als würde er unter Wasser reden.

~Sag ihm, er ist ein schlechter Verlierer. Und sag Voldemort, dass wir uns nicht kampflos ergeben werden.~

~Sie~ lachte. Es klang, als klirrten Eisblöcke gegeneinander.

~Du Idiot.~ sagte sie voll Hohn und ihr nachtschwarzes Haar wehte sanft im Wind, tanzten wie Anemonen unter Wasser. ~Es ist sinnlos, für euch zu kämpfen. Ihr habt keine Chance. Ihr könnt euch nicht ewig in diesem Haus verkriechen. Du bist ein Verräter, kleiner Draco. Und ich habe damit die Erlaubnis, dir ganz langsam die Haut vom Gesicht zu schlälen, wie bei einem Apfel.~

~Bin ich ein Verräter?~ fragte Draco trocken, die Androhung unangenehmer Folter ignorierend. ~Ich bin eurem Verein ja nicht mal beigetreten.~

Die Todesserin sah ihn aus sanften Augen an, wie eine Katze ihre Beute betrachtet. Sie wollte ihn nicht töten; noch nicht. Erst wollte sie spielen.

~Du schwächelst.~ schnurrte sie. ~Was glaubst du, warum dich neulich, hier, die Kräfte verlassen haben, als du mich gesehen hast? Als ich dich losließ bist du gefallen. Sieh dich doch an. Es ist erbärmlich. Krank und Schwach lässt er sich von Schlammblütern gesund pflegen. Du bist eine Schande, Draco, für die ganze Familie! Nichts weiter, als ein dreckiger Verräter, den ich mit Freuden zerquetschen werde~

~Und?~ Draco versuchte ein überhebliches Grinsen. ~Du redest ziemlich viel. Aber tun kannst du wenig, nicht wahr? Ich weiß, dass ihr nicht an uns rankommt.~

~Das lass unsere Sorge sein, kleiner Draco.~ Ihre Stimme war jetzt sanft und hart zugleich. Es trieb ihm Schauer über den Rücken. ~Sei gewiss, wir haben unsere Mittel.~

Mit einem Schlag wurde er wach, und fühlte die Stelle an seiner Wange, an der sein Vater ihn mit seiner beringten Hand getroffen hatte, brennen, als hätte jemand Säure darauf geschüttet.

Draco war schweißgebadet und er zitterte. Nicht vor Kälte. Nicht vor Angst. Nur aus Gewissheit.

Sie waren tatsächlich hier. Lauerten, warteten immer noch.

Keine Gnade für Verräter.

Warum, oh warum zum Henker war Harry jetzt nicht hier? Die Einsamkeit um ihn herum schien plötzlich überwältigend. Und mit ihr zusammen machte sich doch schleichende Angst in ihm breit. Ohne lang zu überlegen schlug er die Decke zurück und folgte seiner Sehnsucht zur Zimmertür hinaus, die Treppe hinauf in Opas Bücherzimmer, wo Harry schlief.

Der Regen rauschte immernoch herab und trommelte leise und gleichmäßig gegen die Dachschräge. Es hörte sich an, wie Popcorn in einer Pfanne. Als Draco ins Zimmer schlüpfte, sah er sofort, dass Harry nicht schlief. Lang und schlaksig stand er in seinem zu großen Pyjama am Fenster und blickte in die Nacht hinaus. Er drehte sich um, als er die Tür leise ins Schloß knacken hörte.

"Hast du auch geträumt?" fragte er nur.

Draco nickte.

"Ich auch." murmelte Harry und rieb sich leicht seine Stirn.

"Schmerzen?"

"Nicht so schlimm wie neulich." winkte Harry ab.

"Was hast du im Traum gesehen?" fragte Draco.

"Ich kann mich nicht erinnern." Harry ließ sich auf seinem Nachtlager nieder. Es war eines von diesen Ausziehsofas. "Nur verschwommene Bilder. Ich wollte nicht wieder einschlafen, bis sie wieder verschwunden sind."

"Ich hab sie gesehen." sagte Draco leise. "Sie sind immernoch da... "

"Die geben nicht einfach so auf, was?"

"Du solltest die Todesser eigentlich besser kennen, oder?" seufzte Draco und setzte sich neben Harry auf die Couch.

"Da hast du recht, das sollte ich." Er ließ sich mit der Stirn gegen Dracos Schulter fallen, als wäre das vollkommen selbstverständlich und sofort fühlte der blonde Junge sich ruhiger. Er atmete den kühlen, etwas herben Duft des strubbeligen Haars ein, es roch nach Shampoo und Orangen, und der Schrecken des Traumes rückte weit von ihm weg, als hätte er ihn niemals betroffen.

Er seufzte und legte zögernd seine Hand in den rabenschwarzen Schopf, fuhr sanft mit den Fingern hindurch. Es fühlte sich glatt an, kühl und beruhigend.

Eine Weile saßen sie einfach nur da und sie Zeit verstrich.

"Da gibt es 'ne Sache, die ich nicht verstehe." murmelte Draco nach einer Weile.

"Welche?"

"Nun... in diesem Film, die Schlußszene..."

"Ich versteh sie auch nicht."murmelte Harry in seine Schulter hinein.

"Wie, du verstehst sie nicht?" sagte Draco. "Das ist ein Muggelfilm. Ich dachte, du verstehst das."

"Naja... ausgerechnet dieser Film ergibt am Ende nicht wirklich einen Sinn." Harry setzte sich langsam wieder auf. "Manchmal versteht man eben nicht, was in den Köpfen anderer Leute vor sich geht." Sein nächtlich grüner Blick traf den Dracos und er verstand.

"Was möchtest du wissen?" fragte er rauh.

"Keine Ahnung." kam es zögerlich zurück. "Vielleicht, was du fühlst..."

"Ich weiß nicht."

"Ich auch nicht."

Der ungünstige Moment war zurückgekehrt, aber diesmal würde niemand plötzlich hereinplatzen. Unsicher blickten sie einander an, ein bißchen überfordert mit der Situation. Es fühlte sich genauso an, wie im Zug, nur war es dunkel und Harrys Gesicht wirkte im Nachtlicht beinahe geisterhaft weiß. Draco konnte in der Dunkelheit seiner Augen nur allzudeutlich sehen, dass in ihm dieselbe quälende Aufregung herumraste, die auch Dracos Puls in die Höhe trieb. Es war fast beängstigend, wie nah sie sich in diesem Moment waren. Wie Magnetismus. Gravitation. Irgendetwas, irgendeine Kraft hatte sie damals aus ihrer gewohnten Umlaufbahn gerissen und sie immer näher aneinanderdriften lassen, allmählich, schleichend. Und jetzt saßen sie hier, so dicht beieinander, dass Draco kaum zu atmen wagte. Er konnte Harrys warmen Atem auf dem Gesicht spüren, merkte seine Schultern irritierend nah bei seinen, fühlte weichen Stoff unter seinen eigenen Händen und kühle, sanfte Finger, die seinen Hals hinaufstrichen.

"Was geschieht hier?" hörte er Harry fragen.

Draco konnte nicht antworten.

Er war schon am nächsten Morgen. Sie würden sich entsetzt ansehen, würden mit der Nähe und dem was passiert war, nicht fertig werden, es wäre unangenehm und peinlich und... und... Was würden die anderen sagen? Die Slytherins? Die Lehrer? Professor Snape? Seine Eltern? Die elenden Gryffindorks? Sie würden entsetzt sein! *Er* sollte entsetzt sein!

Aber er war es nicht.

Und würden die anderen überhaupt etwas sagen? Würden sie dazu überhaupt Gelegenheit bekommen?

"Was, wenn wir hier lebend rauskommen?", fragte er sanft gegen Harrys Mund. Fast spürte er schon die zarte Haut auf seinen Lippen, emotionale Elektrizität sandte einen letzten Schock subtiler Spannung und sein Großhirn hörte auf, zu denken.

Gegen manche Dinge kann man einfach nichts tun.

"Zu spät..." fühlte er Harry murmeln.

Und es war ganz anders, als er es sich vorgestellt hatte. Erst ein weiches Gefühl auf dem Mund, sanft wie ein Schmetterlingsflügel. Angenehm. Suchend. Vorsichtig. Das war absolutes Neuland.

Und dann... noch weicher. Süße. Wärme. Der Geschmack nach Zahnpasta und JellyBellys, als seine Zunge sacht auf eine andere traf.

Harrys Hände, die ihn dichter an sich zogen. Kribbeln in der Magengegend.

Irgendwo in seinem Hirn schrie ein dünnes Stimmchen protestierend vor sich hin, ging dann aber in einem überwältigenden Cocktail aus Serotonin, Sehnsucht und verzweifelter Erleichterung unter.

Draco dachte nicht mehr.

In ihm wurde alles grün und ruhig.

(***** Oh, mein Gott! Was hab ich getan?? O.O*****)