Kapitel 4

Noch lange stand der Lord des Landes auf der Terrasse seiner Bibliothek und versuchte die Gefühle in seinem Herzen zu deuten und zu kontrollieren. Ihm war klar, dass er in dieser Nacht keine Ruhe finden würde, zu aufgewühlt war seine innere Welt. Langsam ging er durch die Gänge seines Hauses. Vor dem Zimmer des Königs blieb Elrond kurz stehen. Ohne dass er es verhindern konnte, begann das Herz des Lords wie wild zu schlagen, so dass er fast fluchtartig diese Stelle seines Heimes verlassen musste. Im vorbeigehen vernahm der Herr von Imladris ersticktes Stöhnen aus den Räumlichkeiten des Prinzen, was ihm ein Lächeln auf das Gesicht zauberte. Er beneidete Legolas und Haldir beinahe. Es schien so einfach, in diesem Tal glücklich zu sein. Elrond hatte dieses Gefühl schon vergessen und war sich sicher, nie wieder so etwas zu erleben. Das Erscheinen Thranduils ließ den Elbenlord auch in dieser Sache unsicher werden. Diese Möglichkeit verwarf er allerdings sofort wieder. Der König des Düsterwaldes hatte in seinen Augen keinerlei Interesse an ihm. Diese Erkenntnis ließ Elronds Herz aufschreien, aber er verdrängte es, sich fast schämend für seine Gedanken.

Als die Sonne über dem Nebelgebirge aufging und Imladris in ein warmes Licht tauchte, stand Thranduil auf der Terrasse seines Zimmers und genoss das Bild, was sich ihm bot. Zufrieden stellte er fest, dass sein Inneres wieder gewohnte Bahnen eingenommen hatte. Der Herrscher ließ den Blick über das Grün über den Lautwassern schweifen, bis er im Augenwinkel eine Person wahrnahm, die ähnlich wie er wohl den wunderbaren Sonnenaufgang genießen wollte. Thranduil erkannte ihn sofort, und mit einem Mal waren wieder Sorgenfalten auf seine Stirn geschrieben. Celeborn war also vor ihm angekommen, und auch der Herr Loriens hatte seinen Beobachter entdeckt. Ohne ein Gruß verschwand dieser in seinem Zimmer. Der Herrscher des Düsterwaldes senkte den Blick. Er war des Streites müde, vor allem jetzt, wo ein Elb aus dem goldenen Wald in seinem Haus lebte. Er wusste, dass sie sich hier nicht aus dem Weg gehen konnten, und Thranduil wollte die Möglichkeit die ihm hier geboten wurde, auch nutzen.

Wenig später klopfte es an der Tür des Königs. Ein Bote bat ihn zur Zusammenkunft der Elbenherrscher. Als er den Raum betrat, in dem das Gespräch stattfinden sollte, kam ihm ein süßer Duft der ausgelesensten Früchte entgegen. Aber das erste, was Thranduil erblickte, war die Gestalt des Gastgebers, der bereits an einem großen Tisch saß, und dem König mit einer fließenden Bewegung den Stuhl zu seiner rechten anbot. Die mühsam wiedergewonnene Stabilität im Inneren des Herrschers stürzte ein wie ein Kartenhaus. Seine Brust schnürte sich zusammen, sodass Thranduil hörbar Luft holen musste. Langsam trat er auf Elrond zu, um mit einem zurückhaltenden Lächeln Platz zu nehmen, immer bedacht, den Blicken seines Gegenübers auszuweichen, aus Angst er könnte in seine verunsicherte Seele sehen.

Auch der Herr des Hauses hatte Mühe, nicht nach Luft schnappen zu müssen. Die Anwesenheit seines Gastes aus dem Düsterwald war regelrecht elektrisierend. Jeder Außenstehende hätte vermutlich das Knistern in der Luft gehört. Erschrocken fuhr Elrond hoch, als auch sein zweiter Gast den Raum erreichte. Sein Gruß wurde freundlich erwidert, aber für den König aus dem nördlichen Düsterwald hatte Celeborn kein Wort übrig. Wo kurz vorher noch die Luft vibriert hatte, war sie nun regelrecht vereist. Besorgt vernahm die Gastgeber die Stimmung zwischen den zwei geladenen Gästen. Er musste etwas unternehmen. Elrond setzte sich an den Kopf des Tisches und schaute die Streithähne fast hilflos an. Aber wenn diese Gespräche etwas werden sollten, dann war dies hier der entscheidende Punkt.

„Wir sollten diese Zusammenkunft nutzen, um die Vergangenheit endlich ruhen zu lassen.", begann der Herr von Imladris vorsichtig. „Wir alle haben Fehler gemacht, aber jetzt haben wir die Chance dies endlich zu klären." Thranduil warf Celeborn einen fragenden Blick zu. Er wusste, Galadriel war in den Westen gegangen, sie alle teilten das gleiche Los. „Lord Elrond hat recht.", warf der König ein, wurde aber von seinem Gegenüber scharf unterbrochen. „Geredet haben wir oft, aber geändert hat sich die Einstellung des Düsterwaldes zu Lorien nie. Warum sollte das jetzt der Fall sein?" Elrond sah Thranduil an. Diese Worte hatten diesen getroffen, wonach Celeborn wohl die Wahrheit sagte. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Als der Elbenlord einen Augenblick aus dem Fenster sah, streifte sein Blick den Prinzen und Haldir. „Mir scheint aber, als hätte es im Königshaus des Nordens ein Veränderung gegeben.", meinte der Gastgeber lächelnd.

Der König sah auf. So schnell sollte das Leben seines Sohnes eigentlich nicht auf den Tisch, aber Celeborns fragender Blick ließ kein Zurück mehr zu. „Das ist richtig.", begann der Herrscher. „Als mein Sohn aus dem Krieg zurückkehrte, begleitete ihn ein Elb aus Lothlorien. Zunächst war ich dagegen, dass er in meinem Haus weilte, und danach passierten Dinge, die nicht hätten passieren dürfen." Celeborn wurde hellhörig. „Welche Dinge?", fragte er hart. „Mit Sicherheit habt Ihr ihn in den dunkelsten Keller bringen lassen." „Auch das...", Thranduil senkte den Blick, als er fortfuhr. „Aber ich habe viel gelernt. Haldir ist seitdem Gast in meinem Haus....und der Elb an der Seite meines Sohnes." Jetzt war es heraus. Unsicher wartete der König auf die Reaktionen. Auf Elronds Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab. Die Ausführungen seines Gastes waren nur die Bestätigung für seine Vermutung gewesen, Celeborn allerdings war sprachlos. „Wir sollten dem Beispiel von Legolas und Haldir folgen.", sagte der Herr von Imladris, wobei sein Blick automatisch auf Thranduil ruhte. Er musste sich zwingen, nicht zu vergessen, um was es hier überhaupt ging. „Es ist Zeit, dass die noch auf Mittelerde verweilenden Elben zusammenstehen." Die Worte des Gastgebers ließen das Herz des Königs rasen, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Elrond hätte in diesem Moment alles mögliche sagen können, Thranduil hätte ihm zugestimmt.

Noch lange sprachen sie über die Veränderungen, die in den drei Elbenreichen vonstatten gegangen waren und als der Tag zur Neige ging, trennte man sich gütlich. Spät in der Nacht stand Elrond erneut auf der Terrasse seiner Bibliothek, um die Wogen in seinem Herzen zu glätten. Doch noch ein zweiter Elb spürte in diesem Moment den kalten Nachtwind, und hatte das gleiche Problem.