2. Lily
„Was machst du hier?", zischte Lily und funkelte den völlig verdattert aussehenden James an. In ihr brodelte es und sie musste sich sehr beherrschen, als sie sah wie James immer noch grinsend sagte: „Ich fahre nach Hogwarts. Wieso?"
„Weil du jetzt in diesem Moment ganz woanders sein solltest!"
„Aha?"
„Ja! Du solltest dich in dem Abteil der Vertrauensschüler befinden, und ihnen Anweisungen erteilen! Oder was soll das sonst sein?". Lily deutete nun etwas ruhiger, innerlich jedoch vor Wut immer noch bebend, auf das Abzeichen an James Brust.
„Ich erwarte dich in fünf Minuten, und keine Sekunde später!" fauchte sie. WAMM. Lily hatte die Abteiltür zugeknallt, und ging nun an einigen verschreckt wirkenden Erstklässlern vorbei, die etwas ratlos im Gang standen. Sie lächelte sie an, und fragte sie ob sie ihnen helfen könne. Aber die Erstklässler schüttelten nur verängstigt den Kopf, als würden sie befürchten, dass Lily sie ebenfalls gleich anschnauzen würde.
Na toll, dachte sich Lil, als sie sich auf den Weg nach vorne zum Abteil machte. Kaum zwanzig Minuten Schulsprecherin, schon hatte sie die ersten Kinder verschreckt.
„Könnt ihr euch bitte ein Abteil suchen? Es ist zu gefährlich hier im Gang herumzustehen", energisch schob sie eine Gruppe Zweitklässler aus dem Gang in ein Abteil.
Und wer war daran Schuld? Natürlich wieder dieser Potter. Als sie ihn heute morgen gesehen hatte, wie er selbstgefällig grinsend an all diesen blöden, kichernden Hühnern vorbeimarschiert war- sie war sofort umgedreht und an einer anderen Stelle in den Zug eingestiegen. Warum musste sie sich nur immer mit ihm auseinandersetzen? Und jetzt war er auch noch mit ihr zusammen Schulsprecher! Sie hatte vorhin auf der Liste, welche in dem Vertrauensschülerabteil hing, gelesen mit wem sie zusammenarbeiten sollte und dann kam derjenige noch nicht mal zur Einführung! Wie Potter da gerade in der Ecke stand- er hatte seinen Freunden nicht mal geholfen den Koffer wieder einzupacken, der wohl aufgegangen war. Als ob das so lustig wäre: ein Koffer der nicht richtig schließt. Was Remus nur mit ihm anfangen könnte! Lily kannte Remus, sie war zwei Jahre mit ihm zusammen Vertrauensschüler gewesen, und eigentlich war er immer ganz vernünftig gewesen. Black und Potter hatten Remus wohl wirklich einfach verdorben, nur wenn sie nicht dabei waren, dann war er normal. Sie fragte sich, wie Dumbledore nur Potter hatte auswählen können, denn sie bezweifelte, dass er seine Pflichten ernst nehmen würde.
Super, dann bin ich eben alleine Schulsprecherin, dachte Lily grimmig.
Trotzdem nahm sie sich fest vor, sich nicht mehr von so jemandem wie James Potter provozieren zu lassen.
Als Lily am Abteil ankam, setzte sie ein strahlendes Lächeln auf, und schob die Tür auf. An den Gesichtern der Fünft- und Sechstklässler erkannte sie, dass sie wohl ziemlich erleichtert waren, dass sich Lilys Laune nun verbessert hatte. Sie hieß die neuen Vertrauensschüler willkommen, und sagte ein paar Worte zur Einführung, die sie von den letzten zwei Jahren noch gut in Erinnerung hatte.
Einige Minuten später wurde die Tür abermals aufgeschoben, und James ließ sich lässig neben Lily auf einen noch freien Sitz fallen. „Was hab ich verpasst?"
„Es ist deine Schuld, wenn du zu spät kommst.", sagte Lily kühl. Ihr Blick fiel auf die anderen Vertrauensschüler. Die eine Hälfte der Mädchen war ganz und gar von James Auftritt verzückt, und die andere Hälfte starrte sie an, offensichtlich gefiel es ihnen nicht wie sie mit James umsprang. Die Jungs bekamen von all dem anscheinend nichts mit- typisch, dachte Lily bei sich. Und da werfen sie uns vor, wir wären kompliziert- dabei sollten sie einfach mal lernen etwas aufmerksamer zu sein, das würde ihnen vieles erleichtern.
Eine halbe Stunde später verließen die ersten Vertrauensschüler das Abteil. Lily ging zum Fenster, um es kurz zu öffnen. Sie bemerkte, dass sich das Wetter verschlechtert hatte; dicke graue Wolken schienen die Baumwipfel am Horizont zu berühren, und ein kalter Luftzug wehte durch den offenen Spalt. Die blieb noch einige Zeit am Fenster stehen, sie war fasziniert von dem Farbenspiel, das sich ihr bot. Ein Bauernhof lag in der Ferne, und das rote Dach hob sich gegen den tiefgrauen Himmel ab.
Jemand lachte, und Lily wurde aus ihren Gedanken gerissen. In der Spiegelung des Fensters bemerkte sie, dass James noch nicht gegangen war. Er unterhielt sich mit einem blonden Mädchen, und gerade hielt er ihr seine Hand hin.
„Ich bin James Potter.". Pff, als ob dieses Mädchen das nicht wüsste, dachte Lily spöttisch und fragte sich, ob irgendjemand in Hogwarts James Namen nicht kannte.
„Und ich bin Melanie Green.". Jetzt reichte es. Lily drehte sich um und wollte gehen. James strahlte Melanie an, und sie hing wie gebannt an seinen Lippen, als er ihr etwas über die neuen Rennbesen erzählte. Lily interessierte sich höchstens für den Quidditchwettkampf der Häuser, und auch da ging sie nicht so gerne hin. Sie konnte James' Getue absolut nicht ausstehen, wenn er den Schnatz gefangen hatte, was, dass musste selbst Lily zugeben, bei den häufigsten Spielen der Fall war. Genervt packte sie ihren Koffer und zog ihn hinaus auf den Gang. Dabei wäre sie fast gegen die Hexe mit dem Süßigkeitenwagen geprallt, die gerade ihren Rundgang angefangen hatte. Lily musste noch einige Zeit warten, bis die Hexe mit ihrem Wagen im nächsten Abteil verschwunden war, weil die sonst mit ihrem Koffer nicht durchgekommen wäre.
Lily fand ihre Freundinnen erst im hintersten Teil des Zuges, und ließ sich neben ihre beste Freundin Alice Connor fallen. Neben ihr saß Frank Longbottom, mit dem Alice schon fast ein Jahr zusammen war. Frank war in Ravenclaw. Außerdem saßen dort noch Sue Wiley und Kathryn Mitchell, ebenfalls wie Lily und Alice in Gryffindor.
„Und, wer ist noch Schulsprecher?", Alice ließ den Tagespropheten sinken, und blickte ihre Freundin interessiert an.
„Dreimal dürft ihr raten."
„Oh, das hört sich aber nicht sehr begeistert an...", sagte Alice mitfühlend. Nachdem Sue und Kathryn kurz genickt hatten als Lily in das Abteil kam, redeten sie weiter- das Thema konnte Lily nicht erraten, aber sie war ziemlich sicher, dass es um Mode oder um Musik ging- eben um hundertmal interessantere Themen als die, welche ihre Klassenkameradin angingen.
„...hm, überlegen wir mal", meinte Alice mit gespieltem Ernst. „Wen aus unserer Stufe kann unsere Lily auf den Tod nicht ausstehen?" Sie blickte zur Decke, und bemühte sich nachdenklich zu wirken. Lily lächelte Alice an, sie verstand wirklich alles.
„Natürlich wieder dieser Potter.", sagte Lily.
„Wirklich?", kam es zweistimmig aus der anderen Ecke. Sue und Kathryn waren auf einmal höchst interessiert.
„Ja, wirklich", sagte Lily schlicht, und sie bemühte sich, über die Oberflächlichkeit ihrer beiden Mitbewohnerrinnen hinwegzusehen. Langsam hatte sie sich daran gewöhnt, dass Sue und Kathryn sich im Laufe der sechs Jahre, die sie sich ja jetzt schon kannten, von zwei lieben, netten Freundinnen immer mehr zu zwei ziemlich egoistischen jungen Frauen entwickelt hatten. Mit ihnen kamen Alicia und Lily schon lange nicht mehr so gut aus wie zu Anfang, als sie alle neu in Hogwarts waren. Bis zu ihrem dritten Jahr ungefähr waren die vier eine eingeschworene Mädchenclique gewesen, doch dann hatte das Wort Jungs bei Sue und Kathryn eine immens hohe Bedeutung bekommen, und Lily und Alice waren von den neuen Cremes und Puderdöschen, die in ihrem Zimmer stapelweise gelagert wurden, nicht so begeistert gewesen. Dann kam noch hinzu, dass James Lily in ihrem fünften Schuljahr hohe Beachtung geschenkt hatte- mehr als bei jedem anderen Mädchen zuvor. Das trug natürlich auch nicht unbedingt zu einer Besserung des Verhältnisses zwischen den Mädchen bei. Und das, obwohl Lily nie oft genug beteuern konnte, dass sie James nicht ausstehen konnte. Nach so manchem Streit, war Lily froh, dass es „nur" James war- und nicht Sirius. Klar, James war der Star aus allen Quidditchspielen, unheimlich talentiert und auch gutaussehend - aber gegen Sirius kam er in den Augen von Sue und Kathryn einfach nicht an. Lily hatte Abertausende abendliche Gespräche zwischen den beiden mitanhören müssen, und wusste nun genau bescheid: James hatte nicht diese Lässigkeit, diesen Blick- einfach nicht die schlichte Eleganz von Sirius Black. Er musste sich nur einmal den Pony aus zum Gesicht schütteln, nur einmal genervt zur Decke blicken wenn ihm ein Lehrer Punkte abgezogen hatte und schon ging der Puls bei den beiden höher.
Was Lily beim besten Willen nicht verstehen konnte. Für sie waren alle vier Rumtreiber zusammen arrogant, überheblich und oberflächlich- allen voran natürlich dieser Potter und dieser Black. In Lilys Augen stolzierten die beiden nur so durch die Schule, gingen in den Unterricht wann und wie sie gerade Lust hatten, und anscheinend hatten sie von dem Wort Schuleregeln noch nie etwas gehört.
Lily unterhielt sich kurz mit Frank und Alice, aber sie merkte bald, dass sie eigentlich überflüssig war; anscheinend hatten sich die beiden viel zu erzählen, denn sie hatten sich die ganzen Ferien überhaupt nicht gesehen. Also holte sie ihr Lehrbuch der Zaubersprüche, Band 7 hervor, und schlug es auf. Ihre Lieblingsfächer waren unter anderem Verwandlung und Zauberkunst und sie wollte sich einen besonders schwierigen Spruch noch einmal ansehen, welcher einen einfach strukturierten Körper, wie zum Beispiel einen Quaffel oder eine Kiste, materialisieren konnte. Von dem hatte sie in den Ferien schon gelesen, und ihn auch schon ein paar Mal probiert, allerdings hatte er nicht einwandfrei geklappt. Es hatte sie schon immer fasziniert, Gegenstände einfach aus der Luft erscheinen zu lassen.
Einige Zeit später steckte die Hexe den Kopf zur Abteiltür herein, und fragte, ob sie etwas vom Wagen wollten. Kathryn und Sue lehnten dankend ab – unweigerlich um auf ihre schlanke Linie zu achten – aber Lily und Alice kauften sich erst große Stücke Kesselkuchen und dann eine große Box mit Bertje Botts Bohnen aller Geschmacksrichtungen. Das machten sie schon seit ihrer ersten Hinfahrt nach Hogwarts so, und solche Riten sollten ja gewahrt werden. Frank wollte lieber einfache Schokofrösche nach einem einschlägigen Erlebnis mit diesen „verdammten Bohnen", wie er sie liebevoll nannte.
Die Hexe war gerade erst wieder weg, als der Zug auf einmal abrupt anhielt. Lily hob alarmiert den Kopf, denn schließlich war sie Gewisserweise mitverantwortlich für die Schüler.
„Was ist denn jetzt los?", fragte sie. Alice zuckte mit den Schultern.
„Wird schon nichts sein", meinte Frank beruhigend, und tatsächlich fuhr der Zug zwei Minuten später weiter.
Halbwegs beruhigt öffnete sie ihr Buch wieder, und die allgemeine Geräuschkulisse stellte sich wieder her. Trotzdem ließ es ihr keine Ruhe. Immer wieder horchte sie besorgt, als ob sie auf eine Stimme wartete, die ihr alles erklärte. Obwohl sich in der nächsten halben Stunde nicht mehr tat, hielt Lily es nicht mehr aus. Ihr widerstrebte es zwar, wieder das Abteil der Rumtreiber aufzusuchen, aber Dumbledore musste ja einen Grund dafür gehabt haben, als er James zum Schulsprecher machte. So siegte die Vernunft dann doch über ihren Stolz. Lily legte ihr Buch zur Seite, und sagte zu den anderen:
„Ich muss jetzt doch mal kurz nachschauen was das war."
„Ist gut, Lil' ", meinte Alice, „Aber mach dir mal keine Sorgen."
Lily nickte, und schloss dann die Abteiltür hinter sich. Zum zweiten Mal an diesem Tag öffnete sie die Tür von dem Abteil der vier Jungs, aber diesmal bemühte sie ein wenig zu lächeln, und lehnte sich an den Türrahmen.
„Hi Evans.", kam es abschätzend von James, der es sich in einer Ecke des Abteils gemütlich gemacht hatte. Er hatte sich an die Wand neben dem Fenster gelehnt und hatte seine langen Beine ausgestreckt. So beanspruchte er fast drei Plätze für sich. In der Hand hatte er seinen Zauberstab, und ließ einen Schokofrosch mit dem Aufrufezauber und dem Verscheuchezauber abwechselnd auf sich zu und von sich wegfliegen. Peter hockte zusammengesunken in der anderen Ecke, und betrachtete die bereits beginnende Dämmerung außerhalb des Zuges. Remus saß im Schneidersitz neben Peter und blätterte ebenfalls im Lehrbuch der Zaubersprüche, Band 7. Von Sirius war keine Spur zu sehen.
„Wie können wir die helfen, Evans?", fragte James eine Spur zu höflich. Er nahm seine Beine vom Sitz, und steckte den Schokofrosch in den Mund.
„Ich dachte wir beiden sollten vielleicht mal den Lokführer fragen gehen, was das eben war... du weißt schon, der Halt vorhin... nur so zur Sicherheit..." Lily kam sich auf einmal ziemlich dämlich vor. James kaute auf dem Schokofrosch herum, und legte die Beine abermals auf den Sitz.
„Och, weißt du", sagte er, nachdem er die Schokolade runtergeschluckt hatte. „ich glaube nicht, dass das notwendig ist, aber wenn du unbedingt willst- lass dich nicht aufhalten." Er grinste Lily an.
Ohne ein weiteres Wort, schloss sie die Tür wieder, und dass Lächeln war aus ihrem Gesicht gefallen. Was hatte sie nur erwartet, von einem Potter? Sie ging trotzdem nach vorne, und vor lauter Wut über James, achtete sie nicht auf den Weg, und auf einmal machte der Zug abermals einen abrupte Halt. Lily stolperte über eine Teppichkante, gerade als sie an der Toilette vorbeiwollte. Ihr rechtes Knie schmerzte, und auf einmal öffnete sich neben ihr die Tür zur Männertoilette.
„Ups, Lily, was machst du denn hier auf dem Boden?", fragte eine tiefe Stimme, welche ohne Zweifel Sirius gehörte. Lily blickte auf, und sah wie er sich zu ihr herunterbeugte, ihr die Hand reichte und lächelte. Seine dunklen Haare fielen ihm seitlich ins Gesicht, und zum ersten Mal konnte Lily die anderen Mädchen verstehen- Sirius sah einfach gut aus.
Aber er war immer noch der gleiche, auch wenn er sie plötzlich mit Lily anredete- Lily konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, wann er das zum letzten Mal getan hatte. Sie wollte ihn gerade danach fragen und sich bei bedanken, doch als Lily ihm gegenüberstand, verschwand das nette Lächeln von Sirius' Gesicht, und das arrogante war wieder da.
„Hast du wenigstens gefunden, was du gesucht hattest?"
Lily riss ihre Hand aus seiner, und drehte sich um, uns stampfte ohne ein weiteres Wort zu sagen Richtung Lok.
„Was machst du hier?", zischte Lily und funkelte den völlig verdattert aussehenden James an. In ihr brodelte es und sie musste sich sehr beherrschen, als sie sah wie James immer noch grinsend sagte: „Ich fahre nach Hogwarts. Wieso?"
„Weil du jetzt in diesem Moment ganz woanders sein solltest!"
„Aha?"
„Ja! Du solltest dich in dem Abteil der Vertrauensschüler befinden, und ihnen Anweisungen erteilen! Oder was soll das sonst sein?". Lily deutete nun etwas ruhiger, innerlich jedoch vor Wut immer noch bebend, auf das Abzeichen an James Brust.
„Ich erwarte dich in fünf Minuten, und keine Sekunde später!" fauchte sie. WAMM. Lily hatte die Abteiltür zugeknallt, und ging nun an einigen verschreckt wirkenden Erstklässlern vorbei, die etwas ratlos im Gang standen. Sie lächelte sie an, und fragte sie ob sie ihnen helfen könne. Aber die Erstklässler schüttelten nur verängstigt den Kopf, als würden sie befürchten, dass Lily sie ebenfalls gleich anschnauzen würde.
Na toll, dachte sich Lil, als sie sich auf den Weg nach vorne zum Abteil machte. Kaum zwanzig Minuten Schulsprecherin, schon hatte sie die ersten Kinder verschreckt.
„Könnt ihr euch bitte ein Abteil suchen? Es ist zu gefährlich hier im Gang herumzustehen", energisch schob sie eine Gruppe Zweitklässler aus dem Gang in ein Abteil.
Und wer war daran Schuld? Natürlich wieder dieser Potter. Als sie ihn heute morgen gesehen hatte, wie er selbstgefällig grinsend an all diesen blöden, kichernden Hühnern vorbeimarschiert war- sie war sofort umgedreht und an einer anderen Stelle in den Zug eingestiegen. Warum musste sie sich nur immer mit ihm auseinandersetzen? Und jetzt war er auch noch mit ihr zusammen Schulsprecher! Sie hatte vorhin auf der Liste, welche in dem Vertrauensschülerabteil hing, gelesen mit wem sie zusammenarbeiten sollte und dann kam derjenige noch nicht mal zur Einführung! Wie Potter da gerade in der Ecke stand- er hatte seinen Freunden nicht mal geholfen den Koffer wieder einzupacken, der wohl aufgegangen war. Als ob das so lustig wäre: ein Koffer der nicht richtig schließt. Was Remus nur mit ihm anfangen könnte! Lily kannte Remus, sie war zwei Jahre mit ihm zusammen Vertrauensschüler gewesen, und eigentlich war er immer ganz vernünftig gewesen. Black und Potter hatten Remus wohl wirklich einfach verdorben, nur wenn sie nicht dabei waren, dann war er normal. Sie fragte sich, wie Dumbledore nur Potter hatte auswählen können, denn sie bezweifelte, dass er seine Pflichten ernst nehmen würde.
Super, dann bin ich eben alleine Schulsprecherin, dachte Lily grimmig.
Trotzdem nahm sie sich fest vor, sich nicht mehr von so jemandem wie James Potter provozieren zu lassen.
Als Lily am Abteil ankam, setzte sie ein strahlendes Lächeln auf, und schob die Tür auf. An den Gesichtern der Fünft- und Sechstklässler erkannte sie, dass sie wohl ziemlich erleichtert waren, dass sich Lilys Laune nun verbessert hatte. Sie hieß die neuen Vertrauensschüler willkommen, und sagte ein paar Worte zur Einführung, die sie von den letzten zwei Jahren noch gut in Erinnerung hatte.
Einige Minuten später wurde die Tür abermals aufgeschoben, und James ließ sich lässig neben Lily auf einen noch freien Sitz fallen. „Was hab ich verpasst?"
„Es ist deine Schuld, wenn du zu spät kommst.", sagte Lily kühl. Ihr Blick fiel auf die anderen Vertrauensschüler. Die eine Hälfte der Mädchen war ganz und gar von James Auftritt verzückt, und die andere Hälfte starrte sie an, offensichtlich gefiel es ihnen nicht wie sie mit James umsprang. Die Jungs bekamen von all dem anscheinend nichts mit- typisch, dachte Lily bei sich. Und da werfen sie uns vor, wir wären kompliziert- dabei sollten sie einfach mal lernen etwas aufmerksamer zu sein, das würde ihnen vieles erleichtern.
Eine halbe Stunde später verließen die ersten Vertrauensschüler das Abteil. Lily ging zum Fenster, um es kurz zu öffnen. Sie bemerkte, dass sich das Wetter verschlechtert hatte; dicke graue Wolken schienen die Baumwipfel am Horizont zu berühren, und ein kalter Luftzug wehte durch den offenen Spalt. Die blieb noch einige Zeit am Fenster stehen, sie war fasziniert von dem Farbenspiel, das sich ihr bot. Ein Bauernhof lag in der Ferne, und das rote Dach hob sich gegen den tiefgrauen Himmel ab.
Jemand lachte, und Lily wurde aus ihren Gedanken gerissen. In der Spiegelung des Fensters bemerkte sie, dass James noch nicht gegangen war. Er unterhielt sich mit einem blonden Mädchen, und gerade hielt er ihr seine Hand hin.
„Ich bin James Potter.". Pff, als ob dieses Mädchen das nicht wüsste, dachte Lily spöttisch und fragte sich, ob irgendjemand in Hogwarts James Namen nicht kannte.
„Und ich bin Melanie Green.". Jetzt reichte es. Lily drehte sich um und wollte gehen. James strahlte Melanie an, und sie hing wie gebannt an seinen Lippen, als er ihr etwas über die neuen Rennbesen erzählte. Lily interessierte sich höchstens für den Quidditchwettkampf der Häuser, und auch da ging sie nicht so gerne hin. Sie konnte James' Getue absolut nicht ausstehen, wenn er den Schnatz gefangen hatte, was, dass musste selbst Lily zugeben, bei den häufigsten Spielen der Fall war. Genervt packte sie ihren Koffer und zog ihn hinaus auf den Gang. Dabei wäre sie fast gegen die Hexe mit dem Süßigkeitenwagen geprallt, die gerade ihren Rundgang angefangen hatte. Lily musste noch einige Zeit warten, bis die Hexe mit ihrem Wagen im nächsten Abteil verschwunden war, weil die sonst mit ihrem Koffer nicht durchgekommen wäre.
Lily fand ihre Freundinnen erst im hintersten Teil des Zuges, und ließ sich neben ihre beste Freundin Alice Connor fallen. Neben ihr saß Frank Longbottom, mit dem Alice schon fast ein Jahr zusammen war. Frank war in Ravenclaw. Außerdem saßen dort noch Sue Wiley und Kathryn Mitchell, ebenfalls wie Lily und Alice in Gryffindor.
„Und, wer ist noch Schulsprecher?", Alice ließ den Tagespropheten sinken, und blickte ihre Freundin interessiert an.
„Dreimal dürft ihr raten."
„Oh, das hört sich aber nicht sehr begeistert an...", sagte Alice mitfühlend. Nachdem Sue und Kathryn kurz genickt hatten als Lily in das Abteil kam, redeten sie weiter- das Thema konnte Lily nicht erraten, aber sie war ziemlich sicher, dass es um Mode oder um Musik ging- eben um hundertmal interessantere Themen als die, welche ihre Klassenkameradin angingen.
„...hm, überlegen wir mal", meinte Alice mit gespieltem Ernst. „Wen aus unserer Stufe kann unsere Lily auf den Tod nicht ausstehen?" Sie blickte zur Decke, und bemühte sich nachdenklich zu wirken. Lily lächelte Alice an, sie verstand wirklich alles.
„Natürlich wieder dieser Potter.", sagte Lily.
„Wirklich?", kam es zweistimmig aus der anderen Ecke. Sue und Kathryn waren auf einmal höchst interessiert.
„Ja, wirklich", sagte Lily schlicht, und sie bemühte sich, über die Oberflächlichkeit ihrer beiden Mitbewohnerrinnen hinwegzusehen. Langsam hatte sie sich daran gewöhnt, dass Sue und Kathryn sich im Laufe der sechs Jahre, die sie sich ja jetzt schon kannten, von zwei lieben, netten Freundinnen immer mehr zu zwei ziemlich egoistischen jungen Frauen entwickelt hatten. Mit ihnen kamen Alicia und Lily schon lange nicht mehr so gut aus wie zu Anfang, als sie alle neu in Hogwarts waren. Bis zu ihrem dritten Jahr ungefähr waren die vier eine eingeschworene Mädchenclique gewesen, doch dann hatte das Wort Jungs bei Sue und Kathryn eine immens hohe Bedeutung bekommen, und Lily und Alice waren von den neuen Cremes und Puderdöschen, die in ihrem Zimmer stapelweise gelagert wurden, nicht so begeistert gewesen. Dann kam noch hinzu, dass James Lily in ihrem fünften Schuljahr hohe Beachtung geschenkt hatte- mehr als bei jedem anderen Mädchen zuvor. Das trug natürlich auch nicht unbedingt zu einer Besserung des Verhältnisses zwischen den Mädchen bei. Und das, obwohl Lily nie oft genug beteuern konnte, dass sie James nicht ausstehen konnte. Nach so manchem Streit, war Lily froh, dass es „nur" James war- und nicht Sirius. Klar, James war der Star aus allen Quidditchspielen, unheimlich talentiert und auch gutaussehend - aber gegen Sirius kam er in den Augen von Sue und Kathryn einfach nicht an. Lily hatte Abertausende abendliche Gespräche zwischen den beiden mitanhören müssen, und wusste nun genau bescheid: James hatte nicht diese Lässigkeit, diesen Blick- einfach nicht die schlichte Eleganz von Sirius Black. Er musste sich nur einmal den Pony aus zum Gesicht schütteln, nur einmal genervt zur Decke blicken wenn ihm ein Lehrer Punkte abgezogen hatte und schon ging der Puls bei den beiden höher.
Was Lily beim besten Willen nicht verstehen konnte. Für sie waren alle vier Rumtreiber zusammen arrogant, überheblich und oberflächlich- allen voran natürlich dieser Potter und dieser Black. In Lilys Augen stolzierten die beiden nur so durch die Schule, gingen in den Unterricht wann und wie sie gerade Lust hatten, und anscheinend hatten sie von dem Wort Schuleregeln noch nie etwas gehört.
Lily unterhielt sich kurz mit Frank und Alice, aber sie merkte bald, dass sie eigentlich überflüssig war; anscheinend hatten sich die beiden viel zu erzählen, denn sie hatten sich die ganzen Ferien überhaupt nicht gesehen. Also holte sie ihr Lehrbuch der Zaubersprüche, Band 7 hervor, und schlug es auf. Ihre Lieblingsfächer waren unter anderem Verwandlung und Zauberkunst und sie wollte sich einen besonders schwierigen Spruch noch einmal ansehen, welcher einen einfach strukturierten Körper, wie zum Beispiel einen Quaffel oder eine Kiste, materialisieren konnte. Von dem hatte sie in den Ferien schon gelesen, und ihn auch schon ein paar Mal probiert, allerdings hatte er nicht einwandfrei geklappt. Es hatte sie schon immer fasziniert, Gegenstände einfach aus der Luft erscheinen zu lassen.
Einige Zeit später steckte die Hexe den Kopf zur Abteiltür herein, und fragte, ob sie etwas vom Wagen wollten. Kathryn und Sue lehnten dankend ab – unweigerlich um auf ihre schlanke Linie zu achten – aber Lily und Alice kauften sich erst große Stücke Kesselkuchen und dann eine große Box mit Bertje Botts Bohnen aller Geschmacksrichtungen. Das machten sie schon seit ihrer ersten Hinfahrt nach Hogwarts so, und solche Riten sollten ja gewahrt werden. Frank wollte lieber einfache Schokofrösche nach einem einschlägigen Erlebnis mit diesen „verdammten Bohnen", wie er sie liebevoll nannte.
Die Hexe war gerade erst wieder weg, als der Zug auf einmal abrupt anhielt. Lily hob alarmiert den Kopf, denn schließlich war sie Gewisserweise mitverantwortlich für die Schüler.
„Was ist denn jetzt los?", fragte sie. Alice zuckte mit den Schultern.
„Wird schon nichts sein", meinte Frank beruhigend, und tatsächlich fuhr der Zug zwei Minuten später weiter.
Halbwegs beruhigt öffnete sie ihr Buch wieder, und die allgemeine Geräuschkulisse stellte sich wieder her. Trotzdem ließ es ihr keine Ruhe. Immer wieder horchte sie besorgt, als ob sie auf eine Stimme wartete, die ihr alles erklärte. Obwohl sich in der nächsten halben Stunde nicht mehr tat, hielt Lily es nicht mehr aus. Ihr widerstrebte es zwar, wieder das Abteil der Rumtreiber aufzusuchen, aber Dumbledore musste ja einen Grund dafür gehabt haben, als er James zum Schulsprecher machte. So siegte die Vernunft dann doch über ihren Stolz. Lily legte ihr Buch zur Seite, und sagte zu den anderen:
„Ich muss jetzt doch mal kurz nachschauen was das war."
„Ist gut, Lil' ", meinte Alice, „Aber mach dir mal keine Sorgen."
Lily nickte, und schloss dann die Abteiltür hinter sich. Zum zweiten Mal an diesem Tag öffnete sie die Tür von dem Abteil der vier Jungs, aber diesmal bemühte sie ein wenig zu lächeln, und lehnte sich an den Türrahmen.
„Hi Evans.", kam es abschätzend von James, der es sich in einer Ecke des Abteils gemütlich gemacht hatte. Er hatte sich an die Wand neben dem Fenster gelehnt und hatte seine langen Beine ausgestreckt. So beanspruchte er fast drei Plätze für sich. In der Hand hatte er seinen Zauberstab, und ließ einen Schokofrosch mit dem Aufrufezauber und dem Verscheuchezauber abwechselnd auf sich zu und von sich wegfliegen. Peter hockte zusammengesunken in der anderen Ecke, und betrachtete die bereits beginnende Dämmerung außerhalb des Zuges. Remus saß im Schneidersitz neben Peter und blätterte ebenfalls im Lehrbuch der Zaubersprüche, Band 7. Von Sirius war keine Spur zu sehen.
„Wie können wir die helfen, Evans?", fragte James eine Spur zu höflich. Er nahm seine Beine vom Sitz, und steckte den Schokofrosch in den Mund.
„Ich dachte wir beiden sollten vielleicht mal den Lokführer fragen gehen, was das eben war... du weißt schon, der Halt vorhin... nur so zur Sicherheit..." Lily kam sich auf einmal ziemlich dämlich vor. James kaute auf dem Schokofrosch herum, und legte die Beine abermals auf den Sitz.
„Och, weißt du", sagte er, nachdem er die Schokolade runtergeschluckt hatte. „ich glaube nicht, dass das notwendig ist, aber wenn du unbedingt willst- lass dich nicht aufhalten." Er grinste Lily an.
Ohne ein weiteres Wort, schloss sie die Tür wieder, und dass Lächeln war aus ihrem Gesicht gefallen. Was hatte sie nur erwartet, von einem Potter? Sie ging trotzdem nach vorne, und vor lauter Wut über James, achtete sie nicht auf den Weg, und auf einmal machte der Zug abermals einen abrupte Halt. Lily stolperte über eine Teppichkante, gerade als sie an der Toilette vorbeiwollte. Ihr rechtes Knie schmerzte, und auf einmal öffnete sich neben ihr die Tür zur Männertoilette.
„Ups, Lily, was machst du denn hier auf dem Boden?", fragte eine tiefe Stimme, welche ohne Zweifel Sirius gehörte. Lily blickte auf, und sah wie er sich zu ihr herunterbeugte, ihr die Hand reichte und lächelte. Seine dunklen Haare fielen ihm seitlich ins Gesicht, und zum ersten Mal konnte Lily die anderen Mädchen verstehen- Sirius sah einfach gut aus.
Aber er war immer noch der gleiche, auch wenn er sie plötzlich mit Lily anredete- Lily konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, wann er das zum letzten Mal getan hatte. Sie wollte ihn gerade danach fragen und sich bei bedanken, doch als Lily ihm gegenüberstand, verschwand das nette Lächeln von Sirius' Gesicht, und das arrogante war wieder da.
„Hast du wenigstens gefunden, was du gesucht hattest?"
Lily riss ihre Hand aus seiner, und drehte sich um, uns stampfte ohne ein weiteres Wort zu sagen Richtung Lok.
