5. James

Obwohl es schon spät war, und morgen ein langer Tag vor ihnen lag, saßen die Rumtreiber noch spät im Gemeinschaftsraum. James saß still in seinem Lieblingssessel direkt vor dem Feuer und stocherte mit einer langen Zange in den glühenden Holzscheiten umher. Er lauschte den Diskussionen seiner Freunde, die sich hauptsächlich um die große Feier morgen, Lily Evans, das Pergament aus dem Zug und um Lily Evans drehte. Lily- ja, das war ein Thema, über das es sich lohnte nachzudenken. Was sich im Laufe eines Tages doch alles so verändern kann. Er hatte sich noch heute beim Frühstück über sie aufgeregt, als sie sofort aufsprang und zu Professor McGonagall gestiefelt war, als sie die Jungs gesehen hatte.

Aber als die Professorin nachher auch noch mit ihm geredet hatte- waren diese Gefühle auf einmal weg. Ob es deswegen war, weil sie ihm gesagt hatte, dass sie stolz auf ihn war, oder dass sie seinen Blasenzauber gelobt hatte, mit der er später die Eingangshalle dekoriert hatte, oder weil es einfach deswegen war, weil er feststellen musste, dass seine Hauslehrerin doch auch ein Mensch war- er konnte es sich nicht erklären.

Hinterher, als sie alle zusammen bei Hagrid waren, da hätte er sich gerne ein wenig mit ihr unterhalten- aber er wusste nicht worüber. Oder konnte es sein dass er sich nicht getraut hatte? Ach, Unsinn, er verwarf den Gedanken sofort wieder, und stach fest auf ein Holzscheit ein, das krachend zerbrach. Selbst in der fünften Klasse, als er es öffentlich gemacht hatte, das er Lily mochte, hatte ihn ihre Anwesenheit eher dazu verleitet mehr zu reden, als eigentlich notwendig war.

Er wollte nicht länger darüber nachdenken, und lauschte wieder seinen Freunden. Sie hatten schon gestern lange über das Pergament gesprochen, jedoch waren sie zu keinem Ergebnis gekommen. Gerade als Sirius gerufen hatte Wir kommen hier doch zu keinem Ergebnis, wir verstehen die Sprache nicht und dieser blöde Abditumfluch hat unser Gedächtnis so beeinflusst, dass wir uns nicht mehr erinnern können von wem wir das Pergament hatten! war das Portrait der fetten Dame zur Seite geklappt worden, und Alice Connor war hineingekommen. Das hatte James wieder vor Augen geführt, dass sie innerhalb von Hogwarts nie ungestört sein konnten, und er fand es geradezu leichtsinnig von seinen Freunden, jetzt schon wieder lautstark davon anzufangen.

„Jetzt hört doch von diesem Stück Pergament auf! Hinterher hört irgendwer mit!", warf James dazwischen, und seine Freunde verstummten. „Ich sehe ja ein, dass wir irgendetwas machen müssen, und es nicht einfach darauf beruhen lassen können, aber nicht hier."

„Krone- du hast mal wieder recht." Sirius stand auf. Die anderen blickten ihn überrascht an. Er wandte sich abermals an seinen besten Freund:

„Hol deinen Tarnumhang und die Karte des Rumtreibers- es wird Zeit, der Verbotenen Abteilung in der Bibliothek einen Besuch abzustatten."

Erfreut erhob sich James, und lief leise die Treppe hoch. Endlich mal wieder was los- endlich mal wieder Hogwarts bei Nacht!

Keine fünf Minuten später schlichen die vier, unter dem Tarnumhang eng aneinander gedrückt, durch die nächtlichen Gänge von Hogwarts. Nach einigen Ausweichmanövern, die den Hausmeister Filch und seine Skelettkatze Mrs Norris betrafen, erreichten sie wohlbehalten die Bibliothek. Schnell schlossen die Tür, und jeder murmelte „Lumos", sodass jeder von ihnen eine zur Verfügung hatte, um die Buchreihen zum Thema Schwarze Magie abzusuchen.

Seit sie die Klasse Sechs besuchten, schrien die Bücher nicht mehr, wenn man sie berührte. James und Sirius hatten lange versucht herauszufinden, warum sie es nicht mehr taten, aber sie waren nicht hinter das Geheimnis gekommen.

Sie waren beschäftigt, und bald hatten sich die unverständlichen Worte in ihr Gedächtnis gebrannt, und sie brauchten den inzwischen abgegriffenen Zettel, den James im Zug angefertigt hatte, nicht mehr. Doch sie kamen und kamen nicht weiter. In sämtlichen Büchern fanden sie keinen Hinweis, und schließlich kapitulierten sie vor der Literatur, und sanken im Kreis auf den Boden. Nun brannte nur noch der Zauberstab von Sirius, und sie schwiegen resigniert.

James' Blick wanderte durch den Raum, und er fiel schließlich auf die Karte des Rumtreibers, die in einiger Entfernung neben ihm auf dem Boden lag.

Was war das? Bewegte sich da nicht ein Punkt in Richtung Bibliothek? James sprang elektrisiert auf, und stürzte sich auf die Karte.

Doch zu spät- in dem Moment ging die Tür auf, und herein kam eben die Person, die ihn den ganzen Abend über beschäftigt hatte – Lily! Sie sah nicht so aus, als ob sie schon geschlafen hatte, obwohl der Kragen ihres Pyjamas oben aus dem Hogwartsumhang hervorlugte. Ihr Haare rahmten ihr Gesicht wie immer schwungvoll ein, und ihre Augen blitzen vor Energie.

„Was machst du denn hier?" fragte James überrascht, und die anderen drei hoben den Kopf. Schnell schob James die Karte aus Lilys, dafür in Sirius' Blickfeld, hinter seinem Rücken. Lily war offensichtlich genauso überrascht die vier hier anzutreffen wie umgekehrt.

„Ich wollte nach einen geeigneten Kunststück für unsere Klasse suchen, ich konnte nämlich nicht schlafen. Aber was tut ihr hier?"

Da keiner von seinen Freunden antwortete, sagte James schließlich schnell: „Wir auch, wir wollten gerade anfangen." Lily hob die Augenbrauen, und sah sie zweifelnd an. Doch schließlich lächelte Lily. Erleichtert ließ er sich wieder neben Remus fallen, und Lily setzte sich zu ihnen.

„Also habt ihr noch nichts herausgefunden?"

Sie schüttelten den Kopf.

„Aber hier werdet ihr auch kein geeignetes Kunststück finden...", Lily wies auf die Bücher die um sie herum standen: sie befanden sich immer noch in der Verbotenen Abteilung. Sie grinste James an. Er blickte in ihre grünen Augen, und er verstand, dass sie genau wusste, dass sie hier irgendetwas machten, dass nicht mit der Vorführung zutun hatte. Doch sie ließ das Thema ruhen, und stand nun wieder auf.

Beeindruckt, dass sie nicht immer alles wissen musste, stand James nun auch auf, und folgte ihr zusammen mit seinen Freunden in die Abteilung für Zauberkunst und Verwandlung.

Nach einer halben Stunde, hatten sie eine ganze Reihe an möglichen Zaubern, und sie schrieben sie die Seiten und Titel der Bücher heraus, denn mitnehmen konnten sie diese ja nicht.

Dieses Mal war es Sirius, der bemerkte, dass sich schon wieder ein Punkt der Bibliothek näherte. Doch zum Glück bemerkte er es eher als James zuvor, denn Filch war noch ungefähr hundert Meter von ihnen entfernt. Ohne Lily in das Geheimnis der Karte, oder des silbernen Umhanges einzuweihen, zog Sirius Lily zu Boden, und die drei anderen hockten sich neben sie. Sie drängten sich in die hinterste Ecke, und James warf den Tarnumhang über alle drüber. Lily blickte James fragend an, der ihr am nächsten saß. Doch James zischte nur schnell:

„Tarnumhang.", und legte dann seinen Finger auf seine Lippen.

Lily nickte kaum merklich, und drückte sich eng an ihn. Er warf noch einen Blick auf die Karte, und sah, dass er noch Zeit hatte, schnell seinen rechten Arm um sie zu legen. Zuerst zögerte er etwas, doch dann tat er es, und in dem Moment ging die Tür auf.

Alle fünf hielten den Atem an, und James drückte Lily noch ein wenig fester an sich, als ob er Angst hätte, dass sie die Nerven verlöre.

Filch betrat die Bibliothek, und schaute umher. James hielt Lily immer noch fest, und sie erschauderte stumm, als die skelettartige Mrs Norris hinter Filch den Raum betrat, und mit ihren Lampenaugen in ihre Ecke blickte. Sie sah ihm Schein der kleinen Ölfunzel von Filch noch geisterhafter auf als sonst. Langsam schlich die Katze auf sie zu.

„Hast du was gerochen, meine Süße?", tönte die kratzige Stimme des Hausmeisters zu ihnen hinüber. Die Katze war nun keine fünf Zentimeter von Lilys Hand entfernt. Sie schnüffelte. Lily riss ihre Hand hastig zurück, und James verhinderte mit seiner linken Hand, dass sie den Tarnumhang herunterriss. Das kleine Biest ließ sich jedoch nicht abwimmeln- sie trat noch einen weiteres Schritt auf die Gruppe zu, und senkte den Kopf. Lily stieß einen Laut des Entsetzens aus, und ein Husten von Filch verfehlte das Geräusch nur knapp, um es zu übertönen. Schnell kam der Mann zu seiner Katze hinüber, die nun zu leise zu knurren begann.

„Weg hier!", befahl James laut, und die fünf sprangen auf, und rannten direkt zur offenen Tür. James zog Lily an der Hand mit sich, mit der anderen hielt er den Tarnumhang fest. Er schaute nicht nach hinten, als er hörte, wie ein Kerzenleuchter klirrend umfiel. Filch um Mrs Norris hatten also die Verfolgung aufgenommen.

Doch sie kamen nicht weit. Gerade als Sirius die Hand zu der Klinke einer versteckten Tür ausstreckte, hörte James ein aggressives Fauchen, und fühlte wie der fließende Tarnumhang seiner Hand entrissen wurde. Er fühlte ein Gewicht seinen Rücken niederdrücken. Er stolperte, riss Lily mit. Auf seinem Rücken lag halb Peter, neben Peter kauerten Sirius und Remus . So lagen sie nun, nicht mehr im Schutz des Tarnumhanges, vor Filch auf dem Boden. Der baute sich nun drohend vor ihnen auf, Mrs Norris auf dem Arm, deren Krallen an der Vorderpfote immer noch in den Tarnumhang verstrickt waren. Er hing von Filchs Arm hinunter wie ein Vorhang, und die fünf waren nun für ihn sichtbar.

James wollte nicht, dass Lily sich fürchtete, und drückte sie wieder an sich. Lily wimmerte leise an seiner Schulter. Sie tat ihm unheimlich leid. Das erste Mal, dass Lily Evans ein bisschen auftaut, und mit ihnen etwas Verbotenes macht- und schon werden sie erwischt.

„Was haben wir denn da?" Filch kramte den selbstgefälligsten Tonfall hervor, den er besaß. „Wenn ich mich nicht täusche, haben wir hier die beiden Schulsprecher?" Er deutete hinter Sirius, Remus und Peter, auf James und Lily. Lily drehte den Kopf weg, und drückte ihr Gesicht an James Hals.

Doch James blieb ruhig. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass ihnen etwas in der Art passierte. Natürlich durfte er den Notfallplan jetzt nicht verraten um Lily zu beruhigen, denn sonst wären sie verloren gewesen. Sirius stand vor ihm auf, und auch James erhob sich. Er zog Lily auf die Beine. Er richtete einen Blick starr auf Filch, sah aber aus den Augenwinkeln, wie Lily sich zwischen Sirius und ihn stellte und sich gerade aufrichtete. Trotzdem hielt sie seine Hand weiterhin fest. Er schaute nach unten auf seine Hand und er spürte ein Kribbeln langsam von seinem Magen ausgehend seinen ganzen Körper durchfahren. Vor einem guten Jahr noch hatte er sich das so gewünscht!

Er bekam gar nicht richtig mit, wie Sirius den Notfallplan einläutete, indem er zu Filch schmeichelnd sagte:

„Mr Filch- es tut uns sehr leid. Ich weiß auch nicht, was wir uns dabei gedacht hatten..." und wie Peter den Faden weiter spann:

„...wir hätten uns niemals einbilden dürfen ihnen zu entkommen..."

Ein wenig zu schnell sagte James: „Bitte... verraten sie uns nicht! Und bitte tragen sie uns auch nicht in ihre Kartei ein..."

„Oh doch, das werde ich jetzt zu aller erst tun, noch bevor ich euren Hauslehrer wecke!" Filch drehte sich mit einem gemeinen Grinsen um. „Folgt mir."

James schaute Lily schnell in die Augen, und zwinkerte ihr zu, bevor er in seinen Umhang griff, und seinen Zauberstab hervorholte. Er verbarg ihn gerade noch rechtzeitig in einer Falte seines Umhangs, denn in dem Moment drehte sich Mrs Norris zu ihnen um. Als die Katze ihre gruseligen Augen wieder nach vorne gerichtet hatte, schaute James verstohlen zu Sirius und der nickte rasch. Er hob seine linke Hand, und zählte mit den Fingern stumm von drei hinunter. Drei... zwei... eins –

„Jetzt!" Das letzte Wort schrien Remus und Peter laut hinaus.

James und Sirius hoben beide ihre Zauberstäbe, und riefen im Chor: „Amnesia!"

Filch sank mitsamt seiner furchtbaren Katze auf den harten Steinfußboden, James grapschte nach dem Tarnumhang und die Freunde flogen durch die dunklen Gänge von Hogwarts. Wenig später warfen sie sich alle prustend in die Sessel vor dem Kamin, in dem das Holz nur noch ein wenig glimmte.

Jetzt beeindruckte Lily James zum zweiten Mal in der heutigen Nacht, denn sie tat nicht das was er vermutet, ja, sogar hätte verstehen können. Sie ging nicht wortlos in ihr Zimmer, beschimpfte sie nicht und funkelte sie nicht einmal böse an.

Ihre grünen Augen sprühten vor Begeisterung.

„Wow", lachte sie los, „Dem habt ihr es aber gezeigt, alle Achtung!"

Sirius blickte ebenfalls ein wenig verwirrt drein und meinte verlegen: „Ja, wir haben auch ganz schön lange gebraucht, bis wir dem Fluch drauf hatten..."

„Habt ihr das schon öfter mit ihm gemacht?" Diesmal blickte Lily James direkt an, doch er wusste nicht was er antworten sollte. Verflixt, das war ihm doch früher bei Mädchen nicht so gegangen!

„Ja, langsam frage ich mich echt, ob er einen bleibenden Schaden davontragen könnte...", grinste nun Remus.

Lily lachte glockenhell, und James fühlte eine nahende Gänsehaut.

„Na ja, Jungs, war echt lustig mit euch, aber ich werde jetzt mal schlafen gehen... Gute Nacht."

„Gute Nacht, Lily.", murmelte James mit den anderen im Chor. Seine Augen verfolgten sie noch, auch als sie schon längst auf der Wendeltreppe verschwunden war.