Lily

Lily verbeugte sich vor dem Meer applaudierender schwarzer Hüte. Ihr Zauber hatte perfekt geklappt, obwohl sie ihn nur kurz hatte üben können. Sie hatten alle zusammen ein großes Karussell beschworen und die Jungs hatten sich anschließend oben auf die bunt gestreifte Kuppel gestellt. Mit einem wahnsinnig guten Schwebezauber hatten sie Lily hoch über ihnen schweben lassen. Während sich das Karussell zu lustiger Walzermusik weiter drehte, hatte Lily für einen Konfettiregen gesorgt, der hoch über ihren Köpfen immer noch glitzernd die Wörter ALLES GUTE ZUM GEBURTSTAG bildete. Die Jungs hatte Lily zurück zur Erde geschickt und landeten nun neben ihr.

Sie lächelte, und neben ihr fassten Sirius und Remus ihre Hände. Sieben Mitglieder ihrer Familie in Hogwarts standen in einer Reihe und verbeugten sich abermals. Ja, sieben Mitglieder. Eines fehlte. Oder besser einer – James war immer noch nicht wieder da.

Sie sprangen von der kleinen Bühne hinunter und der Applaus erstarb allmählich. Nun wollten viele der Schüler auf das magische Karussell, denn nicht nur die Zaubererkinder unter ihnen bekamen so etwas nur selten zu Gesicht.

Professor McGonagall löste sich auf der Masse der Schüler in schwarzen Umhängen. Sie trug heute lindgrün. Gerne hätte Lily ebenfalls mal eine andere Farbe als dieses Schwarz getragen, doch alle Schüler sollten in ihren normalen Umhängen kommen. Sie hatte zu ihrem letzten Geburtstag Mitte Februar einen wundervollen türkisen Festumhang bekommen. Doch bis jetzt hatte sie noch keine Gelegenheit gehabt ihn anzuziehen.

„Meine Hochachtung. Ich hätte nicht anderes von meiner ältesten Klasse erwartet.", sagte Professor McGonagall strahlend und schüttelte ihnen allen die Hand. Die sieben schauten sich glücklich an und Lily fragte sich, ob Professor McGonagall in ihrem Unterricht für Verwandlung zukünftig auch so rasch mit einem Lob bei der Hand sein würde.

Bald stand sie wieder mit Sirius, Remus und Peter in einer Ecke. Sie tranken Butterbier und unterhielten sich. Alice stand bei Frank und seinen Freunden aus Ravenclaw und Sue und Kathryn schienen immer noch beleidigt zu sein. Sie waren weit uns breit nicht zu sehen. Wahrscheinlich nachschminken, dachte Lily bei sich.

„So, jetzt werde ich auch mal meinen Tipp abgeben...", sagte Sirius, nachdem er mit einem Zug sein Butterbier geleert hatte.

„Deinen Tipp?", fragte Lily überrascht.

„Ja, du weißt doch. Dumbledore veranstaltet ein Wettspiel. Man kann sein Alter schätzen und wer am nächsten dran ist, bekommt einen Preis."

Lily lachte laut auf- das war wirklich typisch Dumbledore. „Okay, ich komme mit."

Remus und Peter schlossen sich ebenfalls an.

„Und, was kannst du mir empfehlen zu tippen? Was sagen denn die anderen so?", fragte Lily Sirius der neben ihr ging. Er grinste breit, wandte sich ihnen zu, während er sagte:

„Meine Herren, liebe Lily." Remus musste nun ebenfalls grinsen und Peter kam jetzt schon aus dem Lachen kaum mehr heraus.

„Ich bin stolz, ihnen mitteilen zu können, dass ich sämtliche Tipps unserer werten Mitschüler herausgefunden und ausgewertet habe." Sirius wies auf einen Siebtklässler aus dem Hause Hufflepuff. „Joe Graye, zum Beispiel, hat auf seinen Zettel 34 Jahre geschrieben. Mir gegenüber hat er es so begründet, dass Dumbledore älter wirken wollte, als er eigentlich ist. Ich muss euch nicht erklären, dass es wirklich ein Witz ist. Aber was haben wir von Joe anderes erwartet?" Sirius Mundwinkel zuckten leicht, aber er blieb ernst.

„Rachel Filley hingegen vertritt die These, dass Dumbledore inzwischen über zweihundert Jahre alt sei. Obwohl wir alle über seine gute Freundschaft mit Nicholas Flamel Bescheid wissen, ist diese These in keinster Weise begründet und unterliegt vagen Vermutungen."

Inzwischen hatten sie fast den Tisch erreicht, über welchem ein großes Plakat mit dem Worten Wie alt bin ich? prangte.

„Nun kommen wir zu dem interessantesten Pergament. Was glaubt ihr, was der gute Severus Snape getippt hat?"

„Keine Ahnung."

„Vermutlich, Dumbledore sei ein Zombie oder etwas in der Art."

„Nicht ganz, obwohl es ihm zuzutrauen wäre. Nun seht mal, was ich hier habe..." Sirius zog ein kleines Stück Pergament aus der Tasche und hielt es den anderen unter die Nase.

Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, dass sie heute genau 77 Jahre, 7 Monate und 7 Tage alt werden.

Severus Snape, Siebte Klasse, Slytherin

Sirius blickte belustigt in die Runde. Seine Freunde schauten sich verwundert an.

„Was? Er hat gar nicht heute Geburtstag?"

„Nein, und wisst ihr was das Tollste ist? Er hat auch noch Recht.", sagte Sirius. „Dumbledores richtiger Geburtstag ist nämlich genau am siebenundzwanzigste Januar."

„Und woher weißt du das so genau? Woher hast du überhaupt den Zettel?", fragte Peter aufgeregt.

„Ich habe einfach, anstatt einen Zettel ein zuwerfen, welche hinausgenommen! Und die blöden Hauselfen haben sich nicht getraut, es zu melden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der rechte dort-", er zeigte auf einen der geschäftigen Helfern in Geschirrtüchern, „- mich bemerkt hat. Die anderen habe ich eine halbe Stunde später einfach wieder zurückgeschmissen."

„Aber woher wusstest du, das er recht hat?"

„Ich habe mir vorletztes Jahr während der Sommerferien die Bibliothek meiner Eltern mal genauer angesehen... es waren die Ferien, in denen ich endgültig zu den Potters gezogen bin, erinnert ihr euch?" Peter und Remus nickten und Lily blickte Sirius fragend an.

„Na ja, ich bin nicht stolz darauf, aber meine Eltern sind sehr fasziniert von den schwarzen Künsten. Jedenfalls spiegelt sich das auch in der Literatur wieder, die meine Eltern ihr Eigen nennen. Sie besitzen großartige Nachschlagewerke- ja, großartige. In keinem Almanach habe ich jemals so viele Fakten über die wirklich großen Zauberer gefunden. Zweifellos damit man sie besser töten kann. In diesem Buch fand ich auch den Geburtstag von Dumbledore." Wie Sirius das alles erzählte! Als ob es ihm egal wäre. Aber an der etwas geschwollenen Redeweise bemerkte Lily, dass es Sirius doch nicht ganz egal war.

„Und es ist wirklich der siebenundzwanzigste Januar."

Lily beschloss die Sache mit seinen Eltern erst mal zu ignorieren und schüttelte lächelnd den Kopf. „Und was machen wir jetzt?"

„Wir holen uns den Preis."

„Welchen Preis?", fragte Remus zweifelnd.

„Keine Ahnung, es wird doch wohl einen Preis geben!"

Sirius schubste Peter vor, damit er ihnen einen Pergamentfetzen holte. Dann schrieb er mit großen Buchstaben

Sie werden heute, am 3. September, genau 77 Jahre, 7 Monate und 7 Tage alt. Ihr richtiger Geburtstag ist nämlich am 3. Januar.

Peter Pettigrew, Remus Lupin, James Potter, Lily Evans und Sirius Black, Siebte Klasse, Gryffindor

Er faltete den Zettel und drückte ihn wieder Peter in die Hand, der abermals zum Tisch hinüber ging und ihn in die große Box warf.

„A propos... wo ist eigentlich James?", fragte Lily, betont gleichgültig.

„Hhm, gute Frage.", sagte Remus, und blickte sich um.

Auf einmal fiel Lily etwas ein und ein kalter Schauer durchfuhr sie. „Ist euch klar, dass Snape ebenfalls so ein Buch besessen haben muss?"

„Nicht unbedingt...", sagte Sirius langsam.

„Aber es ist wahrscheinlich, das weißt du.", fiel Remus ihm aufgebracht ins Wort.

„Na und? Das Snifelus nicht ganz richtig im Kopf ist, das wissen wir schon lange." Sirius wollte sich schon abwenden, da fiel ihm auf einmal wieder etwas ein.

„Oh mein Gott!" rief er laut und alle um ihn herum schauten sich überrascht zu ihm um. „Schnell, kommt mit!" Sie rannten los, Sirius hinterher. In der Einganghalle angekommen, griff Sirius in seinen Umhang, und holte Snapes Pergament wieder hervor.

„Ich habe mich die ganze Zeit schon gefragt, wann ich die Schrift letztens schon einmal gesehen hab..."

Remus riss die Augen auf, und flüsterte: „Das Pergament aus dem Zug!"

Sirius nickte grimmig. „Es war von Snape."

Schnell wurde Lily in die Geschichte mit dem Abditumfluch eingeweiht.

„Wo ist das Pergament, auf dem ihr den Wortlaut notiert hattet?"

„Das hat James glaub ich immer noch..." sagte Remus, und Sirius rief aufgebracht:

„Mist! Und der ist sonst wo!"

Bestürzt schwiegen sie. Wenn nun auf dem Pergament ebenfalls etwas... dunkles draufgestanden hatte? Wenn es etwas mit... Voldemort zutun hatte? Lily schüttelte sich, als der Name ihr durch den Kopf ging.

„Lasst uns Snape suchen, und ihn zur Rede stellen.", sagte sie schließlich und versuchte die Sorge um James abzuschütteln.

„Gut. Kommt mit."

Doch so sehr sie auch suchten, sie fanden ihn nicht. Das Gedränge in der Halle war einfach zu groß. Sirius kam auf die Idee noch einmal auf das große Karussell zu klettern, und von oben nach ihm Ausschau zu halten. Zusammen mit ihm stieg Lily auf das rotierende Dach, und suchte in der Menge nach einem fettigen, schwarzen Haarschopf. Doch Fehlanzeige.

Severus Snape war nicht in der Großen Halle.

Auf einmal traf es Lily wie ein Blitz und sie wäre fast hinuntergefallen. Sirius konnte sie gerade am Zipfel ihren Umhanges festhalten und er riss der Länge nach weit auf. Lily kümmerte sich nicht darum, sondern eilte mit Sirius nur schnell hinüber zu Peter und Remus. Während Sirius Reparo murmelte und sich der Riss von selber wieder schloss, berichtete Lily, dass weder James noch Snape zu sehen waren.

„...und was, wenn Snape mit Hilfe von anderen James irgendwo festhält? Was wenn er ihn heute mittag irgendwo alleine gesehen, und ihn überfallen hat?" schloss Lily aufgeregt ihren Bericht.

Stille.

Noch nicht einmal Sirius erwiderte etwas. Nach einiger Zeit stieß Sirius hervor:

„Teufel, James, wo bist du nur?"

„James? Mit dem habe ich vorhin noch Tee getrunken." Sirius drehte sich blitzschnell um, und erkannte hinter sich-

„Hagrid!" stieß Sirius hervor. „Weißt du wo er ist?"

„Ich glaube, er hatte keine Lust aufs Feiern. Er meinte zwar er wolle kommen , aber ich glaube er hatte etwas anderes vor."

„Was denn anderes?" fragte Lily, doch Sirius sagte schnell:

„Danke, Hagrid." Er wandte sich ab, und zischte den anderen zu:

„Kommt, wir gehen. Wir müssen ihn suchen."

Verwundert folgte Lily den anderen zur Eingangshalle, da blieb Sirius schließlich stehen und flüsterte Peter etwas zu. Der nickte und in Richtung Gryffindorturm. Sirius wandte sie zu Lily und blickte sie entschuldigend an.

„Lily- du kannst nicht mit."

„Warum nicht? Ich möchte mit!"

„Es ist- zu gefährlich. Eigentlich solltest du auch nicht mitkommen, Moony."

„Doch, Tatze, ich komme mit.", antwortete Remus bestimmt.

„Moony? Tatze? Was hat das zu bedeuten? Ich komme mit, dass das klar ist!", zischte Lily nun ziemlich sauer, denn sie fühlte sich verschaukelt.

„Wir wollen in den Verbotenen Wald! Nur da kann James sein! Du kannst nicht mit, KAPIERE ES ENDLICH!", fauchte Sirius zurück. Lily schwieg, doch hielt seinem funkelnden Blick beharrlich stand. Schließlich holte Sirius tief Luft und schloss die Augen. Alle schwiegen und warteten was er sagen würde. In dem Moment kam Peter wieder. Er schien ein kleines Bäuchlein bekommen zu haben. Peter drückte Sirius schnell ein Stück Pergament in die Hand. Da öffnete Sirius die Augen wieder und meinte beinahe müde zu Lily:

„Na schön. Dann komm mit. Wir haben es eilig. Schwöre nur, dass du unser Geheimnis bewahrst."

Unsicher antwortete Lily: „Ich schwöre, aber-"

„Dann ist ja alles klar. Kommt." Draußen zückte er seinen Zauberstab und tippte das Stück Pergament an.

„Ich schwöre feierlich das ich ein Tunichtgut bin." Die Karte des Rumtreibers erschien, und Sirius studierte sie kurz. „Er ist nicht zu sehen. Wir müssen wirklich in den Wald. Ich hatte gehofft- aber das ist ja jetzt auch egal."

Zusammen gingen die vier zum Rande des Verbotenen Waldes.

„Erschrick nicht.", sagte Sirius leise zu Lily und die schüttelte tapfer den Kopf. Was passierte jetzt wohl? Peter zog unter seinem Umhang den Tarnumhang hervor, und drückte ihn Remus in die Hand. Der trat neben sie.

Sirius und Peter schwiegen und legten den Kopf auf die Brust. Mit geschlossenen Augen standen sie in der Dunkelheit. Plötzlich warfen sie sich auf den Boden. Lily zuckte zusammen. Remus zog sie ein wenig weiter weg, und Lily sah nur noch, wie sich die Silhouette zweier schwarzen Gestalten veränderte. Die eine wurde größer, die zweite schrumpfte. Auf einmal von einem unbeschreiblichen Grauen gepackt, griff Lily Remus' Hand und der drückte sie. Es war so gespenstisch. Nicht, dass es zum ersten mal gewesen war, dass sie gesehen hatte, wie ein Mensch zu einem Tier wurde.

Aber Sirius und Peter hatte es ohne Zauberstäbe gemacht. Als sich ein großer Hund und eine kleine Ratte aus dem Dunkel lösten und auf sie zugetrottet kamen, wusste Lily wie sie das angestellt hatten.

„Animagi.", flüsterte sie beinahe tonlos.

Remus zischte schnell, als ob sie jemand hören könnte: „Psst!", und zog sie zu dem Hund, zu Sirius hinüber. „Rauf mit dir." Lily war nicht sicher, ob sie das wollte. Der Hund wirkte so wild, so unberechenbar. Sie schaute sich ihn genau an, und an seinen dunklen Augen, erkannte sie, dass er wirklich Sirius Black war.

Sirius vertraute sie, also musste sie dem Hund auch vertrauen. Remus half ihr und wenig später saß sie vor Remus, und krallte sich an den langen Zotteln fest.

„Alles in Ordnung?", fragte Remus und legte den silbrig-glänzenden Umhang um sie beide.

Lily nickte abermals tapfer. Und der Hund lief los.

Immer schneller und schneller lief er geradewegs in den Verbotenen Wald hinein.