Lily
Lily konnte sich kaum vorstellen, dass James wirklich hier, in diesem undurchdringlichen Gewirr von Gängen, Ecken und Bögen sein sollte. Aber alles wies daraufhin, dass konnte sie nicht leugnen.
Sie waren lange durch den Wald geirrt, sie und Remus auf Tatze, und Wurmschwanz war neben ihnen her gelaufen. Zuerst hatte sie sich gar nicht richtig auf die Suche nach James konzentrieren können, weil die Verwandlung der Animagi so viele Fragen aufgeworfen hatte. Warum waren sie gerade diese Tiere? Warum Sirius in ein so großes? Und warum Peter ein so kleines? Die Ratte hatte kaum mithalten können, bei dem Tempo, welches Sirius an den Tag gelegt hatte. Und Remus? Warum war er kein Animagus? Was hatte es mit ihm auf sich? Die größte Frage diesbezüglich war natürlich gewesen, ob James auch ein Animagus wäre und in welches Tier er sich immer verwandelte. Sie hätte sich gerne ausführlich mit ihnen unterhalten, aber sie hatten alle Fragen abgeblockt. Und Lily hatte im Gefühl, dass sie nicht nur wegen der Suche keine von ihren Fragen beantwortet hatten.
Natürlich, es war illegal, aber Lily hatte doch versprochen, nein, sie hatte sogar geschworen, zu schweigen. Irgendetwas anderes musste da noch eine Rolle spielen.
Aber jetzt war nicht die richtige Zeit, darüber nachzudenken. Genau das hatte Remus ihr auch gesagt, als sie im Schutze der Dunkelheit und des Tarnumhangs durch den Wald jagten. Lily wollte widersprechen, weil sie dachte, dass es vielleicht auch mit James' Verschwinden zutun hatte. Doch bevor sie noch tiefer hatte bohren können, waren ihnen drei Zentauren begegnet. Lily hatte vorher noch nie einen Zentauren getroffen. Doch sie wusste, dass man sehr höflich mit ihnen umzugehen hatte. Lily hatte sich nur kurz vorgestellt, und sich anschließend nach ihrem Befinden erkundigt. Den Rest hatte sie Remus, und vor allem Sirius überlassen. Irgendwie hatte es der große Hund geschafft, mit ihnen zu reden, obwohl kein Laut aus seinem Maul gewichen war.
Ronan, Milane und Firenze hatten ihnen berichtet, dass sie James getroffen hatten, und in welche Richtung er gelaufen war.
So hatten sie schließlich diese gruselige Lichtung gefunden. Tatze und Wurmschwanz wurden wieder zu Sirius und Peter. Dann hatten sie im – merkwürdigerweise äußerst schwachen – Schein ihrer Zauberstäbe einige Hufabdrücke gefunden, und nachdem die drei Jungs Lily endlich erklärt hatten, dass James' Animagusgestalt ein Hirsch war, hatten sie endlich dieses Portal gefunden. Sirius war sofort hineinmarschiert, und die drei anderen, gezwungenermaßen, hinterher.
Lily hatte sich ganz schön erschrocken, als sie auf einmal nicht mehr zurückkonnten, aber Sirius war es ganz egal gewesen.
Nun liefen sie schon seit einer halben Stunde durch die endlosen, stockdunklen Gänge und waren bis jetzt noch keinem begegnet. Lily lief ganz vorne, neben Sirius. Sie hatte ihren Zauberstab hoch erhoben, er hielt in etwas niedriger, um eventuelle Hindernisse auf dem Boden auszuleuchten.
Doch auf einmal stolperte Lily trotzdem. Ihr Zauberstab fiel hin, und das Licht ging aus. Lily schaute verwirrt hoch, und Sirius bückte sich bereits nach ihrem Stab.
„Hier lag etwas... Mal sehen.", sagte Remus, und bückte sich. „Es ist James' Taschenmesser!"
„Darüber bin ich aber nicht gestolpert..." meinte Lily langsam, als Remus ihr das Taschenmesser unter die Nase hielt.
„Nein, bestimmt nicht.", sagte Sirius, und drehte sich wieder nach vorne. Sie gingen weiter. „Irgendjemand wollte, dass wir es finden."
„Was soll das heißen, irgendjemand?", fragte Lily und holte ihn mit zwei Schritten ein.
„Ich weiß es nicht. Aber in diesen Gängen stinkt es geradezu nach schwarzer Magie."
„Na, dann ist es ja gut, dass wir Verteidigung gegen die dunklen Künste alle als UTZ-Fach haben...", witzelte Lily.
„Das ist nicht lustig!", fuhr Sirius sie ein wenig grob an. Doch er besann sich sofort wieder und fügte entschuldigend hinzu: „Mit dem Kram, den wir da lernen können wir gegen Todesser nicht viel ausrichten."
„Todesser?", fragte Peter atemlos. Lily schwieg. Im Grunde wusste sie, dass Sirius recht hatte. Sie hatten ein paar defensive Zauber gelernt, aber im Grunde nichts, was sie wirklich retten könnte. Ein paar Minuten später sagte sie leise zu Sirius:
„Warum meinst du, dass hier Todesser sind. Woher weißt du das?"
Er antwortete erst einige Zeit später. „Du weißt ja- meine Eltern. Sie sind zwar selber keine Todesser, aber haben viele Freunde, die Lord Voldemorts Anhänger sind." Lily zuckte bei dem Namen nicht zusammen und Sirius schien das zu beeindrucken. Sie hatte ihn nie besonders gefürchtet. Sie hatte erst mit zehn Jahren erfahren, dass es ihn überhaupt gab und so nie wirklich Angst gehabt. Vor seinem Namen schon gar nicht.
„Du hast doch vorhin diese schwarze Flüssigkeit gefühlt, mit der die gesamte Wand getränkt war, oder?"
Lily nickte.
„Diese Flüssigkeit entsteht, wenn mächtige, dunkle Flüche am Werk sind. Wenn etwas schwarzes geschaffen wird. So wie dieses Labyrinth hier." Sirius blickte sie nicht an.
„Und die Sache mit deinem Zauberstab. Als er den Boden berühre, ist er ausgegangen. Hat du dich darüber nicht gewundert?"
„Doch, schon."
„Woraus besteht dein Zauberstab?"
„Aus Weidenholz. Und der Kern ist aus-"
„-Einhornschwanzhaar."
„Stimmt. Woher...?"
„Wenn etwas so Reines, etwas so Weißes wie ein Einhorn auf etwas so Dunkles trifft, es direkt berührt- dann versagt es. Es weigert sich regelrecht zu funktionieren. Sieh' her, mein Zauberstab hat Drachenherzfaser als magischen Kern." Sirius berührte mit seinem Zauberstab die Wand. Er leuchtete weiter, als wäre nichts gewesen.
„Drachen stehen auf keiner Seite. Sie sind weder gut noch schlecht, auch wenn die Drachenjäger des Ministeriums vielleicht etwas anderes sagen mögen."
Lily staunte über Sirius' Wissen. Sie wusste nicht, ob sie ihn beineiden oder bemitleiden sollte, dass er so viel über die Schwarze Magie wusste. Ihr war klar, dass Sirius anders als seine Eltern war, nicht ohne Grund war er zuhause ausgezogen. Doch sie spürte, dass er sehr darunter litt, auch wenn er es nicht offen zeigte. Sie dachte an ihre Eltern. Manchmal fand sie es schade, dass ihre Eltern nichts mit der magischen Welt zutun hatten, denn so konnten sie nicht über die Themen reden, die sie beschäftigten. Welche Fächer sie wählen wollte, was sie später einmal machen sollte. Doch nun, als sie sah, dass Eltern von der Magie auch verdorben werden können, war Lily froh darüber. Und ihre Eltern interessierten sich sehr für die magische Welt, und halfen Lily wo sie konnten. Sie waren sehr tolerant- ganz anders als ihre große Schwester Petunia. Aber mit ihr war es sowieso eine eigene Geschichte.
„Vorsicht!", zischte Sirius, und hielt Lily zurück. Abrupt blieben alle vier stehen. Ein Schatten näherte sich aus einem Korridor, der ihren kreuzte. Sirius griff nach hinten und ließ sich von Peter den Tarnumhang geben. Schnell verschwanden alle darunter. Lily wurde wieder an Situation in der Bibliothek erinnert, doch ihr wurde wiederum schmerzlich bewusst, dass James nicht bei ihnen war.
Ein Mann in einem langen schwarzen Umhang bog um die Ecke. Lily erstarrte.
Es war ein Todesser! Sie wünschte sich, James würde wieder seinen Arm um sie legen und sie beschützen. Es sah erst so aus, als ob der Todesser an ihnen vorbeilaufen würde. Lily atmete schon auf, doch auf einmal blieb der Todesser stehen und blickte sie direkt an. Er hob den Zauberstab, und schrie:
„Stu-". Doch bevor er seinen Schockzauber loslassen konnte, war Sirius aufgesprungen und blockte den Schocker geschickt ab. Lily, Remus und Peter bauten sich hinter Sirius auf.
„Expelliarmus!", rief Lily, und der Zauberstab des Todesser flog zu ihnen hinüber. Remus fing ihn geschickt auf und Sirius grinste den verdatterten Todesser an. Doch im nächsten Moment begann der Todesser zu grinsen. Andere dunkle Gestalten brachen aus der Dunkelheit hervor und kreisten sie ein.
„Verdammt." Sirius war so wütend, dass sie in einen Hinterhalt geraten war, dass er abermals seinen Zauberstab hob, und dem Todesser einen Schocker direkt in den Bauch schickte. Sofort wusste Lily, dass er dieses lieber nicht getan hätte, denn ein anderer Todesser hob nun seinerseits den Zauberstab und sagte ruhig und mit eiskalter Stimme:
„Crucio." Neben Lily fiel Sirius auf die Erde und schrie so laut er konnte. Mit entsetzten, aufgerissenen Augen sah Lily, wie Sirius sich vor Schmerzen auf der Erde wand und sich abwechselnd krümmte und streckte, als könnte er den Fluch so aufwehren.
„STOP! AUFHÖREN!", schrie Lily außer sich, doch der Todesser nahm den Zauberstab nicht zurück. Endlich, nach Stunden, wie es Lily vorkam, ließ der Todesser den Zauberstab sinken und Sirius hörte schlagartig auf zu schreien. Er blieb keuchend liegen. Das dichte, dunkle Haar war zerzaust. Lily fiel neben ihm auf die Knie und nahm seine Hand. Doch bevor sie ihm die Haare aus dem Gesicht streichen konnte, wurde sie von zwei Todessern grob gepackt und mitgeschleift. Sie wehrte sich, denn sie dachte, sie würden Sirius einfach so dort liegen lassen. Doch als sie sah, das auch er von zwei Todessern gepackt und mitgezerrt wurde, gab sie auf. Sie wusste, dass sie keine Chance hatte und war auch nicht besonders scharf darauf, Bekanntschaft mit dem Cruciatus-Fluch zu machen.
Sie kamen dieselbe große Säulenhalle wie zuvor James, jedoch wurden sie nicht mit Voldemort bekannt gemacht. Die Todesser brachten sie auf direktem Wege zu den Kerkern. Lily erntete noch ein hämisches Grinsen von ihren ‚Begleitern', die ihr auch den Zauberstab entrissen und sie wurde ins Dunkel gestoßen. Hinter und neben ihr fielen auch Sirius, Peter und Remus zu Boden. Es war bitterkalt in diesem Verließ, der Boden unter ihren Händen schien gefroren.
„Lily!", tönte eine ihr wohlbekannte Stimme hinüber. Lily hob den Kopf.
„James!" Lily sprang erfreut auf. James kam aus einer dunklen Ecke zu ihr.
„Lily- es tut mir so leid."
„Ich bin einfach nur froh, dass wir dich gefunden haben!" Doch irgendetwas schien da noch zu sein, denn James starrte bedrückt zu Boden und sah aus, als ob er nie wieder fröhlich werden könnte. Die drei anderen hielten sich im Hintergrund. Sirius lag immer noch vollkommen erschöpft auf dem kalten Boden. Lily hob die Hand und legte sie James auf die Schulter.
„Hey- wir schaffen das hier schon. Irgendwie kommen wir hier wieder hinaus."
„Das ist es nicht."
„Was dann? Sag' es mir!"
Stumm deutete James über seine Schulter und Lilys Blick fiel auf eine Art Schaufenster, dass den Blick in ein nebenanliegendes Verließ erlaubte. Eine böse Vorahnung erfasste sie schlagartig und sie stürzte hinüber. James folgte ihr langsam.
Es war dunkel in dem Verließ, denn die Fackeln waren fast erloschen. Lily legte beide Hände an das Fenster. Sie strengte ihre Augen an. Langsam lichtete sich das Dunkel vor ihren Augen, und sie sah, was sich in dem Kerker befand. Oder besser gesagt wer.
„Mum! Dad!", schrie sie wie von Sinnen. Sie trommelte gegen das Glas, was eher durchsichtiger Stein zu sein schien, denn es klirrte nicht und bekam auch keine Sprünge.
Ihre Mutter und ihr Vater lagen drüben auf Bahren. Es schien, als würde ihr Blut aus ihnen hinausgesaugt, denn sie schienen blutleer und wie in Trance. Und Lily hatte recht, sie erkannte eine Art große Spritze aus den Armen ihrer Eltern hinausgucken, die sich immer mehr füllte. Lange Schläuche führten nach oben in einen großen Behälter. Das Blut wurde vermischt. Lily liefen Tränen über die Wangen.
Die langen roten Haare ihrer Mutter, die sie geerbt hatte, hingen rechts und links von der Liege hinunter, und ihre kristallblauen Augen waren geschlossen. Auch die grünen Augen ihres Vaters konnte Lily nicht erkennen. Sein blondes, kurzes Haar sah stumpf und ungepflegt aus.
Neben ihnen lag noch ein Paar. In diesem Moment trat James neben sie. Auch in seinen Augen standen Tränen. Lily erkannte, dass der Mann das gleiche struppige Haar wie James hatte, und die Frau das gleiche Kinn.
„Deine Eltern?", flüsterte Lily leise.
James nickte stumm.
Lily konnte sich kaum vorstellen, dass James wirklich hier, in diesem undurchdringlichen Gewirr von Gängen, Ecken und Bögen sein sollte. Aber alles wies daraufhin, dass konnte sie nicht leugnen.
Sie waren lange durch den Wald geirrt, sie und Remus auf Tatze, und Wurmschwanz war neben ihnen her gelaufen. Zuerst hatte sie sich gar nicht richtig auf die Suche nach James konzentrieren können, weil die Verwandlung der Animagi so viele Fragen aufgeworfen hatte. Warum waren sie gerade diese Tiere? Warum Sirius in ein so großes? Und warum Peter ein so kleines? Die Ratte hatte kaum mithalten können, bei dem Tempo, welches Sirius an den Tag gelegt hatte. Und Remus? Warum war er kein Animagus? Was hatte es mit ihm auf sich? Die größte Frage diesbezüglich war natürlich gewesen, ob James auch ein Animagus wäre und in welches Tier er sich immer verwandelte. Sie hätte sich gerne ausführlich mit ihnen unterhalten, aber sie hatten alle Fragen abgeblockt. Und Lily hatte im Gefühl, dass sie nicht nur wegen der Suche keine von ihren Fragen beantwortet hatten.
Natürlich, es war illegal, aber Lily hatte doch versprochen, nein, sie hatte sogar geschworen, zu schweigen. Irgendetwas anderes musste da noch eine Rolle spielen.
Aber jetzt war nicht die richtige Zeit, darüber nachzudenken. Genau das hatte Remus ihr auch gesagt, als sie im Schutze der Dunkelheit und des Tarnumhangs durch den Wald jagten. Lily wollte widersprechen, weil sie dachte, dass es vielleicht auch mit James' Verschwinden zutun hatte. Doch bevor sie noch tiefer hatte bohren können, waren ihnen drei Zentauren begegnet. Lily hatte vorher noch nie einen Zentauren getroffen. Doch sie wusste, dass man sehr höflich mit ihnen umzugehen hatte. Lily hatte sich nur kurz vorgestellt, und sich anschließend nach ihrem Befinden erkundigt. Den Rest hatte sie Remus, und vor allem Sirius überlassen. Irgendwie hatte es der große Hund geschafft, mit ihnen zu reden, obwohl kein Laut aus seinem Maul gewichen war.
Ronan, Milane und Firenze hatten ihnen berichtet, dass sie James getroffen hatten, und in welche Richtung er gelaufen war.
So hatten sie schließlich diese gruselige Lichtung gefunden. Tatze und Wurmschwanz wurden wieder zu Sirius und Peter. Dann hatten sie im – merkwürdigerweise äußerst schwachen – Schein ihrer Zauberstäbe einige Hufabdrücke gefunden, und nachdem die drei Jungs Lily endlich erklärt hatten, dass James' Animagusgestalt ein Hirsch war, hatten sie endlich dieses Portal gefunden. Sirius war sofort hineinmarschiert, und die drei anderen, gezwungenermaßen, hinterher.
Lily hatte sich ganz schön erschrocken, als sie auf einmal nicht mehr zurückkonnten, aber Sirius war es ganz egal gewesen.
Nun liefen sie schon seit einer halben Stunde durch die endlosen, stockdunklen Gänge und waren bis jetzt noch keinem begegnet. Lily lief ganz vorne, neben Sirius. Sie hatte ihren Zauberstab hoch erhoben, er hielt in etwas niedriger, um eventuelle Hindernisse auf dem Boden auszuleuchten.
Doch auf einmal stolperte Lily trotzdem. Ihr Zauberstab fiel hin, und das Licht ging aus. Lily schaute verwirrt hoch, und Sirius bückte sich bereits nach ihrem Stab.
„Hier lag etwas... Mal sehen.", sagte Remus, und bückte sich. „Es ist James' Taschenmesser!"
„Darüber bin ich aber nicht gestolpert..." meinte Lily langsam, als Remus ihr das Taschenmesser unter die Nase hielt.
„Nein, bestimmt nicht.", sagte Sirius, und drehte sich wieder nach vorne. Sie gingen weiter. „Irgendjemand wollte, dass wir es finden."
„Was soll das heißen, irgendjemand?", fragte Lily und holte ihn mit zwei Schritten ein.
„Ich weiß es nicht. Aber in diesen Gängen stinkt es geradezu nach schwarzer Magie."
„Na, dann ist es ja gut, dass wir Verteidigung gegen die dunklen Künste alle als UTZ-Fach haben...", witzelte Lily.
„Das ist nicht lustig!", fuhr Sirius sie ein wenig grob an. Doch er besann sich sofort wieder und fügte entschuldigend hinzu: „Mit dem Kram, den wir da lernen können wir gegen Todesser nicht viel ausrichten."
„Todesser?", fragte Peter atemlos. Lily schwieg. Im Grunde wusste sie, dass Sirius recht hatte. Sie hatten ein paar defensive Zauber gelernt, aber im Grunde nichts, was sie wirklich retten könnte. Ein paar Minuten später sagte sie leise zu Sirius:
„Warum meinst du, dass hier Todesser sind. Woher weißt du das?"
Er antwortete erst einige Zeit später. „Du weißt ja- meine Eltern. Sie sind zwar selber keine Todesser, aber haben viele Freunde, die Lord Voldemorts Anhänger sind." Lily zuckte bei dem Namen nicht zusammen und Sirius schien das zu beeindrucken. Sie hatte ihn nie besonders gefürchtet. Sie hatte erst mit zehn Jahren erfahren, dass es ihn überhaupt gab und so nie wirklich Angst gehabt. Vor seinem Namen schon gar nicht.
„Du hast doch vorhin diese schwarze Flüssigkeit gefühlt, mit der die gesamte Wand getränkt war, oder?"
Lily nickte.
„Diese Flüssigkeit entsteht, wenn mächtige, dunkle Flüche am Werk sind. Wenn etwas schwarzes geschaffen wird. So wie dieses Labyrinth hier." Sirius blickte sie nicht an.
„Und die Sache mit deinem Zauberstab. Als er den Boden berühre, ist er ausgegangen. Hat du dich darüber nicht gewundert?"
„Doch, schon."
„Woraus besteht dein Zauberstab?"
„Aus Weidenholz. Und der Kern ist aus-"
„-Einhornschwanzhaar."
„Stimmt. Woher...?"
„Wenn etwas so Reines, etwas so Weißes wie ein Einhorn auf etwas so Dunkles trifft, es direkt berührt- dann versagt es. Es weigert sich regelrecht zu funktionieren. Sieh' her, mein Zauberstab hat Drachenherzfaser als magischen Kern." Sirius berührte mit seinem Zauberstab die Wand. Er leuchtete weiter, als wäre nichts gewesen.
„Drachen stehen auf keiner Seite. Sie sind weder gut noch schlecht, auch wenn die Drachenjäger des Ministeriums vielleicht etwas anderes sagen mögen."
Lily staunte über Sirius' Wissen. Sie wusste nicht, ob sie ihn beineiden oder bemitleiden sollte, dass er so viel über die Schwarze Magie wusste. Ihr war klar, dass Sirius anders als seine Eltern war, nicht ohne Grund war er zuhause ausgezogen. Doch sie spürte, dass er sehr darunter litt, auch wenn er es nicht offen zeigte. Sie dachte an ihre Eltern. Manchmal fand sie es schade, dass ihre Eltern nichts mit der magischen Welt zutun hatten, denn so konnten sie nicht über die Themen reden, die sie beschäftigten. Welche Fächer sie wählen wollte, was sie später einmal machen sollte. Doch nun, als sie sah, dass Eltern von der Magie auch verdorben werden können, war Lily froh darüber. Und ihre Eltern interessierten sich sehr für die magische Welt, und halfen Lily wo sie konnten. Sie waren sehr tolerant- ganz anders als ihre große Schwester Petunia. Aber mit ihr war es sowieso eine eigene Geschichte.
„Vorsicht!", zischte Sirius, und hielt Lily zurück. Abrupt blieben alle vier stehen. Ein Schatten näherte sich aus einem Korridor, der ihren kreuzte. Sirius griff nach hinten und ließ sich von Peter den Tarnumhang geben. Schnell verschwanden alle darunter. Lily wurde wieder an Situation in der Bibliothek erinnert, doch ihr wurde wiederum schmerzlich bewusst, dass James nicht bei ihnen war.
Ein Mann in einem langen schwarzen Umhang bog um die Ecke. Lily erstarrte.
Es war ein Todesser! Sie wünschte sich, James würde wieder seinen Arm um sie legen und sie beschützen. Es sah erst so aus, als ob der Todesser an ihnen vorbeilaufen würde. Lily atmete schon auf, doch auf einmal blieb der Todesser stehen und blickte sie direkt an. Er hob den Zauberstab, und schrie:
„Stu-". Doch bevor er seinen Schockzauber loslassen konnte, war Sirius aufgesprungen und blockte den Schocker geschickt ab. Lily, Remus und Peter bauten sich hinter Sirius auf.
„Expelliarmus!", rief Lily, und der Zauberstab des Todesser flog zu ihnen hinüber. Remus fing ihn geschickt auf und Sirius grinste den verdatterten Todesser an. Doch im nächsten Moment begann der Todesser zu grinsen. Andere dunkle Gestalten brachen aus der Dunkelheit hervor und kreisten sie ein.
„Verdammt." Sirius war so wütend, dass sie in einen Hinterhalt geraten war, dass er abermals seinen Zauberstab hob, und dem Todesser einen Schocker direkt in den Bauch schickte. Sofort wusste Lily, dass er dieses lieber nicht getan hätte, denn ein anderer Todesser hob nun seinerseits den Zauberstab und sagte ruhig und mit eiskalter Stimme:
„Crucio." Neben Lily fiel Sirius auf die Erde und schrie so laut er konnte. Mit entsetzten, aufgerissenen Augen sah Lily, wie Sirius sich vor Schmerzen auf der Erde wand und sich abwechselnd krümmte und streckte, als könnte er den Fluch so aufwehren.
„STOP! AUFHÖREN!", schrie Lily außer sich, doch der Todesser nahm den Zauberstab nicht zurück. Endlich, nach Stunden, wie es Lily vorkam, ließ der Todesser den Zauberstab sinken und Sirius hörte schlagartig auf zu schreien. Er blieb keuchend liegen. Das dichte, dunkle Haar war zerzaust. Lily fiel neben ihm auf die Knie und nahm seine Hand. Doch bevor sie ihm die Haare aus dem Gesicht streichen konnte, wurde sie von zwei Todessern grob gepackt und mitgeschleift. Sie wehrte sich, denn sie dachte, sie würden Sirius einfach so dort liegen lassen. Doch als sie sah, das auch er von zwei Todessern gepackt und mitgezerrt wurde, gab sie auf. Sie wusste, dass sie keine Chance hatte und war auch nicht besonders scharf darauf, Bekanntschaft mit dem Cruciatus-Fluch zu machen.
Sie kamen dieselbe große Säulenhalle wie zuvor James, jedoch wurden sie nicht mit Voldemort bekannt gemacht. Die Todesser brachten sie auf direktem Wege zu den Kerkern. Lily erntete noch ein hämisches Grinsen von ihren ‚Begleitern', die ihr auch den Zauberstab entrissen und sie wurde ins Dunkel gestoßen. Hinter und neben ihr fielen auch Sirius, Peter und Remus zu Boden. Es war bitterkalt in diesem Verließ, der Boden unter ihren Händen schien gefroren.
„Lily!", tönte eine ihr wohlbekannte Stimme hinüber. Lily hob den Kopf.
„James!" Lily sprang erfreut auf. James kam aus einer dunklen Ecke zu ihr.
„Lily- es tut mir so leid."
„Ich bin einfach nur froh, dass wir dich gefunden haben!" Doch irgendetwas schien da noch zu sein, denn James starrte bedrückt zu Boden und sah aus, als ob er nie wieder fröhlich werden könnte. Die drei anderen hielten sich im Hintergrund. Sirius lag immer noch vollkommen erschöpft auf dem kalten Boden. Lily hob die Hand und legte sie James auf die Schulter.
„Hey- wir schaffen das hier schon. Irgendwie kommen wir hier wieder hinaus."
„Das ist es nicht."
„Was dann? Sag' es mir!"
Stumm deutete James über seine Schulter und Lilys Blick fiel auf eine Art Schaufenster, dass den Blick in ein nebenanliegendes Verließ erlaubte. Eine böse Vorahnung erfasste sie schlagartig und sie stürzte hinüber. James folgte ihr langsam.
Es war dunkel in dem Verließ, denn die Fackeln waren fast erloschen. Lily legte beide Hände an das Fenster. Sie strengte ihre Augen an. Langsam lichtete sich das Dunkel vor ihren Augen, und sie sah, was sich in dem Kerker befand. Oder besser gesagt wer.
„Mum! Dad!", schrie sie wie von Sinnen. Sie trommelte gegen das Glas, was eher durchsichtiger Stein zu sein schien, denn es klirrte nicht und bekam auch keine Sprünge.
Ihre Mutter und ihr Vater lagen drüben auf Bahren. Es schien, als würde ihr Blut aus ihnen hinausgesaugt, denn sie schienen blutleer und wie in Trance. Und Lily hatte recht, sie erkannte eine Art große Spritze aus den Armen ihrer Eltern hinausgucken, die sich immer mehr füllte. Lange Schläuche führten nach oben in einen großen Behälter. Das Blut wurde vermischt. Lily liefen Tränen über die Wangen.
Die langen roten Haare ihrer Mutter, die sie geerbt hatte, hingen rechts und links von der Liege hinunter, und ihre kristallblauen Augen waren geschlossen. Auch die grünen Augen ihres Vaters konnte Lily nicht erkennen. Sein blondes, kurzes Haar sah stumpf und ungepflegt aus.
Neben ihnen lag noch ein Paar. In diesem Moment trat James neben sie. Auch in seinen Augen standen Tränen. Lily erkannte, dass der Mann das gleiche struppige Haar wie James hatte, und die Frau das gleiche Kinn.
„Deine Eltern?", flüsterte Lily leise.
James nickte stumm.
