James
Erleichtert senkte Krone sein großes Geweih nieder, und verbeugte sich vor Milane, der die Zentauren anführte.
„Vielen Dank, dass sie gekommen sind."
„Vielleicht war es ein Fehler. Wir haben vorhergesehen, dass so etwas passieren würde. Fire- ähm ... einer der Zentauren", verbesserte er sich schnell, „Hat uns dann doch überredet."
Etwas verwirrt sah James ihm zu, wie er davon galoppierte, den Boden gespannt, drei Pfeile auf der Sehne. Warum sollte es ein Fehler sein, ihnen zu helfen?
Er versuchte den Baum zu erkennen, auf dem Lily sich befand. Doch er hatte ihn verloren, und - zum Glück! - Lily war unter dem Tarnumhang nicht zusehen.
James wandte sich wieder dem Kampfgeschehen zu. Die Zentauren hinderten die Todesser daran, sich neu zu formieren und erneut gezielt mit Schockern anzugreifen. Sie sprengten die schwarzen Gestalten auseinander, indem sie direkt auf sie zugaloppierten und sich nicht von ihnen stören ließen. Ronan und die anderen Zentauren bewegten sich so flink und waren so geschickt, dass sie nur selten von einem der roten Schocker getroffen wurden. Und wenn es doch passierte, störte es sie nicht im geringsten.
Innerhalb kürzester Zeit, hatten die Zentauren die Arbeit fortgesetzt, die Remus und Sirius bereits angefangen hatten.
James sah befriedigt zu, wie die verhassten Todesser in Panik umherliefen und trabte an dem Getümmel vorbei, zu Remus hinüber.
Der Werwolf sah furchtbar aus. Mit der Schnauze stupste der Hirsch ihn an- doch keine Reaktion. Bei solchen Mengen von Schockern war es kein Wunder. Doch erleichtert sah er, dass Remus noch atmete. Schwach und unregelmäßig, aber er atmete.
Und wo war Sirius? Er war schon früher getroffen worden. Schnell machte James kehrt und stürzte sich mitten ins Getümmel, um Sirius zu finden. Er musste aufpassen, dass er nicht von herumfliegenden Pfeilen getroffen wurde, doch auch ein Hirsch ist flink und geschickt und so fand er nach einigen Minuten endlich den leblosen Körper von Sirius. Der große Hund war verletzt, doch er hatte die Augen bereits wieder offen und winselte leise, als er James sah. Der zog ihn an seinem Fell ein wenig aus der Schusslinie.
SURR.
Ein Pfeil flog dicht an seinem rechten Ohr vorbei, und Krone ging schnell in Deckung. „Sie sollten lieber verschwinden, Mr Potter.", rief Ronan ihm zu, während er einen Todesser auf dreißig Metern Entfernung niederstreckte.
James nickte, warf Tatze noch einen kurzen Blick zu und schnellte wieder hinüber zu seinen Eltern. Die Zentauren trieben die verängstigten Todesser immer weiter weg von den vier Erwachsenen, und James versuchte nun seinerseits in Erfahrung zu bringen, wie er seine Eltern befreien konnte. Er senkte den Kopf und suchte auf dem Boden neben der Amphore nach einem Anhaltspunkt.
Doch auch er fand nichts.
Auf einmal hörte James einen so lauten Knall, dass er erschrocken zusammenzuckte. Die Lichtung war in ein giftgrünes Licht getaucht, und machte sie so noch gruseliger als sie sowieso schon war.
Langsam hob James den Kopf. Er wusste genau, was er nicht bedacht hatte. Was alle vergessen hatten. Die Frage, die er verdrängt hatte. Die er sich nicht getraut hatte zu stellen.
Wo ist Voldemort? Nun war er wohl zurück, von wo auch immer er gewesen war.
Ein grässliches Lachen bestätigte den Verdacht. Er sah zum Himmel. Voldemort schwebte zwanzig Meter über ihnen in der Luft.
„Zentauren!", kreischte er. „Ihr habt euch auf eine Seite gestellt- und zwar auf die falsche Seite! Dafür müsst ihr zahlen!" James riss geschockte die Augen auf, als Voldemort den Zauberstab hob.
„Avada Kedavra!", schrie Voldemort, den Zauberstab in die Menge gerichtet. Ein noch giftigerer Blitz schoss hervor und traf einen der Zentauren. Milane fiel tot um.
Ein ohrenbetäubendes Geschrei erhob sich, und alle Zentauren flüchteten genauso schnell wie sie gekommen waren.
In seinem Kopf explodierten die Stimmen der aufgebrachten, trauernden Zentauren. James wollte sich am liebsten die Ohren zuhalten, obwohl er wusste das es nichts bringen würde.
„Milane!"
„Unser Anführer!"
„Wo ist Firenze? Er hat an allem Schuld!"
„Milane!"
„Wer wollte bloß, dass wir Potter helfen?"
„Nie wieder werden wir jemandem von denen beistehen!"
„Nie wieder einen von denen nur in unserem Wald dulden!"
„Milane!"
„Das war's mit unserer Freundschaft, Mensch!"
„Milane..."
James schloss die Augen. Nahm das denn überhaupt kein Ende mehr? Mal hatten die Todesser den Vorteil, mal sie- das alles machte ihn fertig. Als er die Augen wieder öffnete, fand er Voldemort auf der Erde wieder- und ihm direkt gegenüber stehend.
„Potter... Verwandle dich sofort zurück!" Auch Voldemort schien in seinem Kopf zu sein. James war verwirrt- nur die Zentauren kannten die Gedankensprache! Doch James reagierte nicht, sondern sah über die Schulter des Mannes hinweg.
„Rückverwandlung- oder..."
„Oder was?", antworte James in Gedanken und sah ihm fest in die roten Augen. „Folter' mich ruhig- Voldemort!"
„Lord Voldemort... und ich denke, den Cruciatus-Fluch werden wir abermals nicht benötigen.", zischte Voldemort.
James blieb fast das Herz stehen. Zwei Todesser näherten sich einem Baum. Dem Baum auf dem Lily saß! Ein Paar Stiefeletten waren deutlich zu sehen. Lily hatte den Tarnumhang verrutschen lassen! Schon hatten die Todesser sie gepackt und zerrten sie hinüber.
Sofort verwandelte sich Krone zurück. Selbst Peter hatten die Todesser irgendwie eingefangen. Wie durch einen Schleier bekam James nicht einmal mehr mit, wie sie abermals gefesselt waren, dieses Mal jedoch standen nur Lily, Peter und er neben seinen Eltern. Gefesselt an die große Amphore. Er schaute zu Lily hinüber. Ihre Tränen tropfen vor ihr auf den Boden, sie gab keinen Laut von sich. Die Todesser schlossen abermals den Kreis um sie. Sirius und Remus waren in ihrer Nähe an die Erde gefesselt: dicke Pflöcke verhinderten, dass sie ihre gefesselten Pranken bewegten. Der Werwolf war immer noch bewusstlos, und Sirius viel zu schwach um überhaupt die Augen die ganze Zeit offen zu halten.
Voldemort begann wieder mit dem Ritual. „Mux kappulled ... vilxid mea gomfixenturi..."
Die Todesser begannen im Chor immer wieder die Worte „Sererea... sererea..." zu flüstern.
Ein Grauen erfasste James, als Voldemort zu der großen Amphore, an der sie gefesselt waren, ging und einen versteckten Mechanismus betätigte. Die Amphore riss knapp über ihren Schultern auf, und ein Schwall warmes Blut rann James den Rücken hinunter.
„NEEEIN!!!", brüllte er, und riss von Sinnen an seinen Fesseln.
Lily neben ihm bekam einen Weinkrampf, und Peter erbrach auf den Waldboden.
„Sererea, sererea...", die Todesser steigerten langsam das Tempo.
Ein ekliger Geruch stieg James in die Nase. Der Geruch von Blut und Erbrochenem vermischte sich mit dem gleichen süßlichen Geruch, den er schon im Kerker gerochen hatte.
„Sererea, sererea..."
„Warum tust du das? Warum tust du uns das an?", brüllte James Voldemort an.
Voldemort achtete nicht auf ihn, sondern tauchte das dunkle Mal auf seinem Arm tief in die Blutlache.
„Sererea, sererea..."
„WARUM?"
Voldemort ging zum Rande des Kreises, und strich mit seinem blutigen Zeichen über die dunklen Male seiner Diener. Ein irres Lachen klang von seinen Lippen. Die Todesser steigerten abermals das Tempo.
„Sererea, sererea..." James lehnte sich so weit vor, wie es ihm die Fesseln nur erlaubten. Sie schnitten tief ins Fleisch. Er wollte seiner Lily ins Gesicht blicken. Doch die roten, von Blut verklebten Haare waren immer noch wie ein Vorhang, der ihr Gesicht verdeckte.
„Sererea, sererea..." Lily blickte stumm zu Boden. Gelähmt, schien sie, unfähig etwas zu sagen. James vernahm auf seiner anderes Seite wieder ein würgendes Geräusch.
„Sererea, sererea..." Auch wenn es kaum mehr möglich schien, klangen die Worte immer schneller zu ihnen herüber.
Voldemort hatte seine Runde beendet, und kehrte wieder in die Mitte zurück. Er flüsterte etwas, was James nicht verstehen konnte. Vielleicht lag es daran, dass Voldemort etwas nuschelte, wahrscheinlich lag es aber daran dass James abermals das Gefühl von Taubheit befiel.
Ein neuer Ring wurde in die Amphore geritzt, der braune Ton barst und ein neuer Schwall Blut ergoss sich nun in der Höhe ihrer Kniekehlen. Die Fesseln wickelten sich neu auf, er war nun nicht mehr an die Amphore gebunden, konnte sich aber trotzdem nicht vom Fleck bewegen. Seine Arme wurden an seinen Körper gepresst, seine Knie weigerten sich strikt zu gehorchen. Lily neben ihm schwankte, drohte nach vorne zu kippen. Irgendwie veranlasste James seine Beine, den halben Meter in Lilys Richtung zur zurückzulegen.
Dankbar registrierte er wie sie sich an ihn lehnte. Er war nicht allein.
„Sererea, sererea..."
Voldemort erhob sich über den magischen Kreis, und ein leuchtendes Gitter verband seinen rechten Unterarm mit jedem einzelnen seiner Todesser. Die Freunde waren eingeschlossen in diesem schrecklichen Käfig.
Und mit jeder Sekunde versickerte ein wenig mehr Blut im Boden.
„Todesser!", kreischte Voldemort wie ein Irrer. Mit einem Schlag hörte der Chor auf, und alle fielen auf die Knie. Das Gitter erzitterte, blieb jedoch bestehen.
„Der erste Teil des Bannspruches ist gesprochen." Er erhob die Hände zum Himmel, legte den Reptilienartigen Kopf in den Nacken. Langsam begann er sich in der Luft zu drehen. Die Gitterstäbe sprangen von einem zum anderen und ein rotierender Kreisel entstand. Wie glühende Drähte durchbohrten sie das Dunkel der Nacht. Immer weiter, und immer schneller drehte sich das schreckliche Rad über ihnen.
James dachte schon, er könnte nicht anders. Er dachte, er müsse es Peter gleich tun und sich ebenfalls erbrechen. Doch er hielt sich zurück. Er war nicht Peter Pettigrew- er war James Potter. Immer noch standen er und Lily aufrecht nebeneinander.
Voldemorts Stimme erhob sich in den Himmel: „Zwei Paare, sich liebend wie am ersten Tag. Ein magisches. Ein nichtmagisches. Charakterlich ähnlich wie Zwillinge." Das waren auch Sirius' Worte gewesen. Gestern nacht, als sie noch Hoffnung hatten. „Von ihren normalen Tätigkeiten entrissen- hereingelegt, ohne dass sie auch nur den geringsten Verdacht schöpfen durften..." Na toll. Wie lange hatte er sich gefragt, warum der Zug angehalten hatte? Weil die Auroren zwei weniger waren um die Strecke zu beaufsichtigen. So lange waren seine Eltern schon in Voldemorts Gewalt? Wenn er am ersten September im Hogwarts-Express gewusst hätte, warum es so war, hätte er es nicht wissen wollen.
„Drei Tage lang, langsam des Blutes beraubt. Vermischt in einer magischen, antiken Amphore. All dies sind Vorraussetzungen für das Ritual der Schwarzen Magie... Sererea Sanguinea! Und wir haben sie erfüllt! Sererea!"
Die Todesser begannen wieder mit ihren Beschwörungen. „Sererea, sererea..."
James fühlte nun gar nichts mehr. Keine Kälte, keine Wärme, keinen Ekel. Nur noch irgendwo, tief drinnen in seinem Herzen hatte er noch die Hoffnung, dass seine Eltern noch lebten. Doch alles war taub, nicht nur sein Gehör. Er bewegte seine Finger, doch sie fühlten sich an, an gehörten sie nicht zu ihm.
Ein lautes Klirren ließ ihn hoch fahren. Die Amphore war nun ganz und gar zerbrochen.
Doch dann geschah etwas, was James nicht zu hoffen gewagt hatte. Gerade als Voldemort ansetzte um die letzten Verse des Bannspruches zu sagen, erklang in der Luft Phönixgesang. Elektrisiert hielt James Ausschau nach Fawkes und Dumbledore.
„Lily! Hörst du das? Es ist-" Da erschien ein gleißender Lichtball am Himmel, und ließ den roten Käfig der Todesser, der sich immer noch rasendschnell drehte, verblassen.
„- Dumbledore!", rief Lily schwach. Ihr Schulleiter erschien wie ein rettender Engel am Himmel. Neben ihm schwebte sein geliebter Phönix, den James schon von einigen Gesprächen mit Dumbledore kannte. Meist ging es um irgendwelche Abenteuer der Rumtreiber... Doch als James an frühere Vollmondnächte dachte, kamen sie ihm viel zu jugendlich vor. Viel zu naiv. Viel zu unwirklich.
Dabei waren dass, was Dumbledore hier tat viel unwirklicher, und James bekam kaum mehr mit, wie einige Gefolgsleute, die hinter Dumbledore erschienen, sie befreiten und ihnen berichteten, dass ein weißer Zentaur sie um Hilfe gebeten hatte. Natürlich wusste James, dass es sich um Firenze handeln musste. Andere trieben die Todesser zusammen, verteilten Schocker. Wieder andere befreiten Sirius und bemühten sich, den Werwolf in Schach zu halten, ohne ihm allzu viele Schmerzen zuzufügen.
Doch das meiste leistete wirklich Dumbledore. Er und Voldemort lieferten sich ein Duell, wie James es noch nie gesehen hatte. Nicht das James schon viele Zaubererduelle gesehen hatte.
Doch all diese Sachen passierten hinter einem durchsichtigen Vorhang, alle Geräusche schienen durch Watte zu kommen. Halb bekam er noch mit, wie das Gefolge von Dumbledore jubelte. Aus den Augenwinkeln erkannte er einen grünen Blitz. Voldemort war gegangen.
In Trance versetzt schlich James zu seiner Mutter hinüber. Er wusste, dass ein Mensch ohne Blut nicht überleben konnte. Doch da war immer noch dieser Ballon mit Hoffnung gefüllt in seinem Inneren.
Doch dieser Ballon zerplatzte jäh, als er seiner Mutter ins kalkweiße Gesicht sah. Die Augen waren geschlossen, ihre Wangen kalt. Er griff nach ihrer Hand- ebenfalls eiskalt.
Auf einmal waren alle Sinne wieder da, und eine Woge des Schmerzes ließ ihn auf die Knie fallen.
„NEEEIIN!!!", schrie James auf. Seine Stimme vermischte sich mit Lilys, die neben ihrem Vater kniete.
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James und Lily trafen sich in der Mitte des magischen Zirkels. Lily wollte hinüber zu ihrer Mutter und James wollte zu seinem Vater. Beide wussten, was sie erwarten würde. James sah Lily an. Lily sah James an. Beide waren in der gleichen Situation, beide fühlten den gleichen Schmerz.
Als Lily in James braune Augen blickte fühlte sie das gleiche wie er, als James in ihre grünen Augen blickte.
Die alten Unterschiede zwischen ihnen. Die plötzliche Kehrtwendung- das Begehren so zu sein wie der andere. Die Erkenntnis, dass es nicht funktionierte. James war einfach nicht so wie Lily. Lily war einfach nicht so wie James. Der Wunsch, zusammen einen Mittelweg zu finden. Die Sicherheit, dass es klappen kann.
Das es klappen wird.
Aber nicht heute Nacht. Der Schmerz saß heute Nacht zu tief.
So waren beide damit zufrieden, einander inmitten dieses Chaos zwischen Tod, Gefangennahme und Kampf, in die Arme zu schließen. Zu wissen, dass da einer war, dem es genauso ging.
In dieser Nacht passierte also etwas, was beide niemals gewünscht, was beide niemals geahnt, sogar niemals für möglich gehalten hatten.
Lily Evans und James Potter standen gemeinsam auf einer Lichtung im Verbotenen Wald, und waren sich sicher, dass sie einander liebten.
Erleichtert senkte Krone sein großes Geweih nieder, und verbeugte sich vor Milane, der die Zentauren anführte.
„Vielen Dank, dass sie gekommen sind."
„Vielleicht war es ein Fehler. Wir haben vorhergesehen, dass so etwas passieren würde. Fire- ähm ... einer der Zentauren", verbesserte er sich schnell, „Hat uns dann doch überredet."
Etwas verwirrt sah James ihm zu, wie er davon galoppierte, den Boden gespannt, drei Pfeile auf der Sehne. Warum sollte es ein Fehler sein, ihnen zu helfen?
Er versuchte den Baum zu erkennen, auf dem Lily sich befand. Doch er hatte ihn verloren, und - zum Glück! - Lily war unter dem Tarnumhang nicht zusehen.
James wandte sich wieder dem Kampfgeschehen zu. Die Zentauren hinderten die Todesser daran, sich neu zu formieren und erneut gezielt mit Schockern anzugreifen. Sie sprengten die schwarzen Gestalten auseinander, indem sie direkt auf sie zugaloppierten und sich nicht von ihnen stören ließen. Ronan und die anderen Zentauren bewegten sich so flink und waren so geschickt, dass sie nur selten von einem der roten Schocker getroffen wurden. Und wenn es doch passierte, störte es sie nicht im geringsten.
Innerhalb kürzester Zeit, hatten die Zentauren die Arbeit fortgesetzt, die Remus und Sirius bereits angefangen hatten.
James sah befriedigt zu, wie die verhassten Todesser in Panik umherliefen und trabte an dem Getümmel vorbei, zu Remus hinüber.
Der Werwolf sah furchtbar aus. Mit der Schnauze stupste der Hirsch ihn an- doch keine Reaktion. Bei solchen Mengen von Schockern war es kein Wunder. Doch erleichtert sah er, dass Remus noch atmete. Schwach und unregelmäßig, aber er atmete.
Und wo war Sirius? Er war schon früher getroffen worden. Schnell machte James kehrt und stürzte sich mitten ins Getümmel, um Sirius zu finden. Er musste aufpassen, dass er nicht von herumfliegenden Pfeilen getroffen wurde, doch auch ein Hirsch ist flink und geschickt und so fand er nach einigen Minuten endlich den leblosen Körper von Sirius. Der große Hund war verletzt, doch er hatte die Augen bereits wieder offen und winselte leise, als er James sah. Der zog ihn an seinem Fell ein wenig aus der Schusslinie.
SURR.
Ein Pfeil flog dicht an seinem rechten Ohr vorbei, und Krone ging schnell in Deckung. „Sie sollten lieber verschwinden, Mr Potter.", rief Ronan ihm zu, während er einen Todesser auf dreißig Metern Entfernung niederstreckte.
James nickte, warf Tatze noch einen kurzen Blick zu und schnellte wieder hinüber zu seinen Eltern. Die Zentauren trieben die verängstigten Todesser immer weiter weg von den vier Erwachsenen, und James versuchte nun seinerseits in Erfahrung zu bringen, wie er seine Eltern befreien konnte. Er senkte den Kopf und suchte auf dem Boden neben der Amphore nach einem Anhaltspunkt.
Doch auch er fand nichts.
Auf einmal hörte James einen so lauten Knall, dass er erschrocken zusammenzuckte. Die Lichtung war in ein giftgrünes Licht getaucht, und machte sie so noch gruseliger als sie sowieso schon war.
Langsam hob James den Kopf. Er wusste genau, was er nicht bedacht hatte. Was alle vergessen hatten. Die Frage, die er verdrängt hatte. Die er sich nicht getraut hatte zu stellen.
Wo ist Voldemort? Nun war er wohl zurück, von wo auch immer er gewesen war.
Ein grässliches Lachen bestätigte den Verdacht. Er sah zum Himmel. Voldemort schwebte zwanzig Meter über ihnen in der Luft.
„Zentauren!", kreischte er. „Ihr habt euch auf eine Seite gestellt- und zwar auf die falsche Seite! Dafür müsst ihr zahlen!" James riss geschockte die Augen auf, als Voldemort den Zauberstab hob.
„Avada Kedavra!", schrie Voldemort, den Zauberstab in die Menge gerichtet. Ein noch giftigerer Blitz schoss hervor und traf einen der Zentauren. Milane fiel tot um.
Ein ohrenbetäubendes Geschrei erhob sich, und alle Zentauren flüchteten genauso schnell wie sie gekommen waren.
In seinem Kopf explodierten die Stimmen der aufgebrachten, trauernden Zentauren. James wollte sich am liebsten die Ohren zuhalten, obwohl er wusste das es nichts bringen würde.
„Milane!"
„Unser Anführer!"
„Wo ist Firenze? Er hat an allem Schuld!"
„Milane!"
„Wer wollte bloß, dass wir Potter helfen?"
„Nie wieder werden wir jemandem von denen beistehen!"
„Nie wieder einen von denen nur in unserem Wald dulden!"
„Milane!"
„Das war's mit unserer Freundschaft, Mensch!"
„Milane..."
James schloss die Augen. Nahm das denn überhaupt kein Ende mehr? Mal hatten die Todesser den Vorteil, mal sie- das alles machte ihn fertig. Als er die Augen wieder öffnete, fand er Voldemort auf der Erde wieder- und ihm direkt gegenüber stehend.
„Potter... Verwandle dich sofort zurück!" Auch Voldemort schien in seinem Kopf zu sein. James war verwirrt- nur die Zentauren kannten die Gedankensprache! Doch James reagierte nicht, sondern sah über die Schulter des Mannes hinweg.
„Rückverwandlung- oder..."
„Oder was?", antworte James in Gedanken und sah ihm fest in die roten Augen. „Folter' mich ruhig- Voldemort!"
„Lord Voldemort... und ich denke, den Cruciatus-Fluch werden wir abermals nicht benötigen.", zischte Voldemort.
James blieb fast das Herz stehen. Zwei Todesser näherten sich einem Baum. Dem Baum auf dem Lily saß! Ein Paar Stiefeletten waren deutlich zu sehen. Lily hatte den Tarnumhang verrutschen lassen! Schon hatten die Todesser sie gepackt und zerrten sie hinüber.
Sofort verwandelte sich Krone zurück. Selbst Peter hatten die Todesser irgendwie eingefangen. Wie durch einen Schleier bekam James nicht einmal mehr mit, wie sie abermals gefesselt waren, dieses Mal jedoch standen nur Lily, Peter und er neben seinen Eltern. Gefesselt an die große Amphore. Er schaute zu Lily hinüber. Ihre Tränen tropfen vor ihr auf den Boden, sie gab keinen Laut von sich. Die Todesser schlossen abermals den Kreis um sie. Sirius und Remus waren in ihrer Nähe an die Erde gefesselt: dicke Pflöcke verhinderten, dass sie ihre gefesselten Pranken bewegten. Der Werwolf war immer noch bewusstlos, und Sirius viel zu schwach um überhaupt die Augen die ganze Zeit offen zu halten.
Voldemort begann wieder mit dem Ritual. „Mux kappulled ... vilxid mea gomfixenturi..."
Die Todesser begannen im Chor immer wieder die Worte „Sererea... sererea..." zu flüstern.
Ein Grauen erfasste James, als Voldemort zu der großen Amphore, an der sie gefesselt waren, ging und einen versteckten Mechanismus betätigte. Die Amphore riss knapp über ihren Schultern auf, und ein Schwall warmes Blut rann James den Rücken hinunter.
„NEEEIN!!!", brüllte er, und riss von Sinnen an seinen Fesseln.
Lily neben ihm bekam einen Weinkrampf, und Peter erbrach auf den Waldboden.
„Sererea, sererea...", die Todesser steigerten langsam das Tempo.
Ein ekliger Geruch stieg James in die Nase. Der Geruch von Blut und Erbrochenem vermischte sich mit dem gleichen süßlichen Geruch, den er schon im Kerker gerochen hatte.
„Sererea, sererea..."
„Warum tust du das? Warum tust du uns das an?", brüllte James Voldemort an.
Voldemort achtete nicht auf ihn, sondern tauchte das dunkle Mal auf seinem Arm tief in die Blutlache.
„Sererea, sererea..."
„WARUM?"
Voldemort ging zum Rande des Kreises, und strich mit seinem blutigen Zeichen über die dunklen Male seiner Diener. Ein irres Lachen klang von seinen Lippen. Die Todesser steigerten abermals das Tempo.
„Sererea, sererea..." James lehnte sich so weit vor, wie es ihm die Fesseln nur erlaubten. Sie schnitten tief ins Fleisch. Er wollte seiner Lily ins Gesicht blicken. Doch die roten, von Blut verklebten Haare waren immer noch wie ein Vorhang, der ihr Gesicht verdeckte.
„Sererea, sererea..." Lily blickte stumm zu Boden. Gelähmt, schien sie, unfähig etwas zu sagen. James vernahm auf seiner anderes Seite wieder ein würgendes Geräusch.
„Sererea, sererea..." Auch wenn es kaum mehr möglich schien, klangen die Worte immer schneller zu ihnen herüber.
Voldemort hatte seine Runde beendet, und kehrte wieder in die Mitte zurück. Er flüsterte etwas, was James nicht verstehen konnte. Vielleicht lag es daran, dass Voldemort etwas nuschelte, wahrscheinlich lag es aber daran dass James abermals das Gefühl von Taubheit befiel.
Ein neuer Ring wurde in die Amphore geritzt, der braune Ton barst und ein neuer Schwall Blut ergoss sich nun in der Höhe ihrer Kniekehlen. Die Fesseln wickelten sich neu auf, er war nun nicht mehr an die Amphore gebunden, konnte sich aber trotzdem nicht vom Fleck bewegen. Seine Arme wurden an seinen Körper gepresst, seine Knie weigerten sich strikt zu gehorchen. Lily neben ihm schwankte, drohte nach vorne zu kippen. Irgendwie veranlasste James seine Beine, den halben Meter in Lilys Richtung zur zurückzulegen.
Dankbar registrierte er wie sie sich an ihn lehnte. Er war nicht allein.
„Sererea, sererea..."
Voldemort erhob sich über den magischen Kreis, und ein leuchtendes Gitter verband seinen rechten Unterarm mit jedem einzelnen seiner Todesser. Die Freunde waren eingeschlossen in diesem schrecklichen Käfig.
Und mit jeder Sekunde versickerte ein wenig mehr Blut im Boden.
„Todesser!", kreischte Voldemort wie ein Irrer. Mit einem Schlag hörte der Chor auf, und alle fielen auf die Knie. Das Gitter erzitterte, blieb jedoch bestehen.
„Der erste Teil des Bannspruches ist gesprochen." Er erhob die Hände zum Himmel, legte den Reptilienartigen Kopf in den Nacken. Langsam begann er sich in der Luft zu drehen. Die Gitterstäbe sprangen von einem zum anderen und ein rotierender Kreisel entstand. Wie glühende Drähte durchbohrten sie das Dunkel der Nacht. Immer weiter, und immer schneller drehte sich das schreckliche Rad über ihnen.
James dachte schon, er könnte nicht anders. Er dachte, er müsse es Peter gleich tun und sich ebenfalls erbrechen. Doch er hielt sich zurück. Er war nicht Peter Pettigrew- er war James Potter. Immer noch standen er und Lily aufrecht nebeneinander.
Voldemorts Stimme erhob sich in den Himmel: „Zwei Paare, sich liebend wie am ersten Tag. Ein magisches. Ein nichtmagisches. Charakterlich ähnlich wie Zwillinge." Das waren auch Sirius' Worte gewesen. Gestern nacht, als sie noch Hoffnung hatten. „Von ihren normalen Tätigkeiten entrissen- hereingelegt, ohne dass sie auch nur den geringsten Verdacht schöpfen durften..." Na toll. Wie lange hatte er sich gefragt, warum der Zug angehalten hatte? Weil die Auroren zwei weniger waren um die Strecke zu beaufsichtigen. So lange waren seine Eltern schon in Voldemorts Gewalt? Wenn er am ersten September im Hogwarts-Express gewusst hätte, warum es so war, hätte er es nicht wissen wollen.
„Drei Tage lang, langsam des Blutes beraubt. Vermischt in einer magischen, antiken Amphore. All dies sind Vorraussetzungen für das Ritual der Schwarzen Magie... Sererea Sanguinea! Und wir haben sie erfüllt! Sererea!"
Die Todesser begannen wieder mit ihren Beschwörungen. „Sererea, sererea..."
James fühlte nun gar nichts mehr. Keine Kälte, keine Wärme, keinen Ekel. Nur noch irgendwo, tief drinnen in seinem Herzen hatte er noch die Hoffnung, dass seine Eltern noch lebten. Doch alles war taub, nicht nur sein Gehör. Er bewegte seine Finger, doch sie fühlten sich an, an gehörten sie nicht zu ihm.
Ein lautes Klirren ließ ihn hoch fahren. Die Amphore war nun ganz und gar zerbrochen.
Doch dann geschah etwas, was James nicht zu hoffen gewagt hatte. Gerade als Voldemort ansetzte um die letzten Verse des Bannspruches zu sagen, erklang in der Luft Phönixgesang. Elektrisiert hielt James Ausschau nach Fawkes und Dumbledore.
„Lily! Hörst du das? Es ist-" Da erschien ein gleißender Lichtball am Himmel, und ließ den roten Käfig der Todesser, der sich immer noch rasendschnell drehte, verblassen.
„- Dumbledore!", rief Lily schwach. Ihr Schulleiter erschien wie ein rettender Engel am Himmel. Neben ihm schwebte sein geliebter Phönix, den James schon von einigen Gesprächen mit Dumbledore kannte. Meist ging es um irgendwelche Abenteuer der Rumtreiber... Doch als James an frühere Vollmondnächte dachte, kamen sie ihm viel zu jugendlich vor. Viel zu naiv. Viel zu unwirklich.
Dabei waren dass, was Dumbledore hier tat viel unwirklicher, und James bekam kaum mehr mit, wie einige Gefolgsleute, die hinter Dumbledore erschienen, sie befreiten und ihnen berichteten, dass ein weißer Zentaur sie um Hilfe gebeten hatte. Natürlich wusste James, dass es sich um Firenze handeln musste. Andere trieben die Todesser zusammen, verteilten Schocker. Wieder andere befreiten Sirius und bemühten sich, den Werwolf in Schach zu halten, ohne ihm allzu viele Schmerzen zuzufügen.
Doch das meiste leistete wirklich Dumbledore. Er und Voldemort lieferten sich ein Duell, wie James es noch nie gesehen hatte. Nicht das James schon viele Zaubererduelle gesehen hatte.
Doch all diese Sachen passierten hinter einem durchsichtigen Vorhang, alle Geräusche schienen durch Watte zu kommen. Halb bekam er noch mit, wie das Gefolge von Dumbledore jubelte. Aus den Augenwinkeln erkannte er einen grünen Blitz. Voldemort war gegangen.
In Trance versetzt schlich James zu seiner Mutter hinüber. Er wusste, dass ein Mensch ohne Blut nicht überleben konnte. Doch da war immer noch dieser Ballon mit Hoffnung gefüllt in seinem Inneren.
Doch dieser Ballon zerplatzte jäh, als er seiner Mutter ins kalkweiße Gesicht sah. Die Augen waren geschlossen, ihre Wangen kalt. Er griff nach ihrer Hand- ebenfalls eiskalt.
Auf einmal waren alle Sinne wieder da, und eine Woge des Schmerzes ließ ihn auf die Knie fallen.
„NEEEIIN!!!", schrie James auf. Seine Stimme vermischte sich mit Lilys, die neben ihrem Vater kniete.
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James und Lily trafen sich in der Mitte des magischen Zirkels. Lily wollte hinüber zu ihrer Mutter und James wollte zu seinem Vater. Beide wussten, was sie erwarten würde. James sah Lily an. Lily sah James an. Beide waren in der gleichen Situation, beide fühlten den gleichen Schmerz.
Als Lily in James braune Augen blickte fühlte sie das gleiche wie er, als James in ihre grünen Augen blickte.
Die alten Unterschiede zwischen ihnen. Die plötzliche Kehrtwendung- das Begehren so zu sein wie der andere. Die Erkenntnis, dass es nicht funktionierte. James war einfach nicht so wie Lily. Lily war einfach nicht so wie James. Der Wunsch, zusammen einen Mittelweg zu finden. Die Sicherheit, dass es klappen kann.
Das es klappen wird.
Aber nicht heute Nacht. Der Schmerz saß heute Nacht zu tief.
So waren beide damit zufrieden, einander inmitten dieses Chaos zwischen Tod, Gefangennahme und Kampf, in die Arme zu schließen. Zu wissen, dass da einer war, dem es genauso ging.
In dieser Nacht passierte also etwas, was beide niemals gewünscht, was beide niemals geahnt, sogar niemals für möglich gehalten hatten.
Lily Evans und James Potter standen gemeinsam auf einer Lichtung im Verbotenen Wald, und waren sich sicher, dass sie einander liebten.
