Teil 6

Der Mond wanderte über den dunklen Nachthimmel und erfüllte das Zimmer mit seinem sanften Licht. Die Streben des Fenster malten ein Muster auf die Bettdecke des jungen Mannes, der in sein Kopfkissen verkrallt, sich unruhig hin und her warf. Schließlich richtete er sich frustriert auf, um es kurzerhand in eine Ecke zu pfeffern. Kerzengerade richtete er sich im Bett auf und verschränkte trotzig die Arme vor der nackten Brust.

"So nicht, Masa! So nicht!"

Mit nackten Füssen tappte er über den Holzboden in Richtung Tür.

"Du wirst mir jetzt Rede und Antwort stehen!", schwor er sich. Energisch riss er die Zimmertür auf. Blindlings stürmte er in den dunklen Flur und kollidierte prompt mit einem Hindernis. "Wah....?" Erschrocken taumelte Kai. Sein Gegenüber konnte ihn gerade noch auffangen. Kais Gesicht wurde dabei gegen eine breite Brust gepresst. Muskulöse Arme umschlangen ihn stützend. Ein vertrauter Geruch stieg in seine Nase.

"Vorsicht, Bon! Irgendwann werdet Ihr durch Eure Hast noch mal ernsthaft zu Schaden kommen!", murmelte eine Stimme belustigt.

"Ma... Masa? Was machst du denn hier? Ich wollte gerade zu dir!".

"Dann haben wir beide wohl den gleichen Gedanken gehabt!" Unbeabsichtigt strich Masa kurz über Kais Wange, ehe er den erschaudernden Jungen vorsichtig wieder los liess. Kai erholte sich langsam von seiner Überraschung. "Gut, dann können wir ja endlich reden!"

"Seid Ihr nicht hungrig?", fragte Masa .

"Hä?"

"Ihr habt heute Abend kaum etwas gegessen. Ich wollte Euch was bringen." Bei diesen Worten knurrte Kais Magen energisch.

Während der Junge beschämt errötete, schob Masa ihn nur lachend in sein Zimmer zurück.

"Hier!" Er warf Kai eine Tüte zu.

"Was ist das?" Neugierig spähte Kai hinein. Das schwache Licht des Mondes reichte gerade aus, um den Inhalt als dunklen Brocken erkennen zu können.

"Ein paar belegte Brote. Was anderes konnte ich leider nicht finden!" Seine Stimme klang dabei fast entschuldigend.

"Super, Masa!" Kai liess sich mit der Tüte auf seinem Bett nieder. Er zog ein Bein an, um bequem zu sitzen. Dann holte er eines der Brote heraus und biss begierig hinein.

"Auch eins?", bot er mampfend an.

Lächelnd nahm Masa eine der Stullen. Im vertrauten Schweigen saßen sie nebeneinander auf dem Bett.

`Es ist fast wie früher.´ Verstohlen spähte Kai zu dem Mann neben sich. `Diese vertraute Atmosphäre. Damals wäre ich für ihn gestorben.´ Langsam kaute er weiter. ` Hätte er sich nur nicht so verändert!´

"Was ist, Bon?"

"Huh?" Gedanken verloren sah Kai auf. `Wann hatte Masa sein Brot aufgegessen?´

"Ihr starrt seit 10 Minuten Euer Essen an. Schmeckt es Euch nicht? Ihr mochtet früher doch immer diese Sorte von Käse!"

Kai wich Masas besorgten Augen aus. `Wenn ich nur nicht wüsste, dass er sich so sehr verändert hat.´

"Nein, es ist alles in Ordnung." Hastig verzehrte Kai den letzten Rest seines Brotes. Und fegte mit fahrigen Fingern ein paar Krümel vom Bett.

"Warum lügt Ihr mich an, Bon?" Bildete er sich ein, oder war da ein trauriger Ton in Masas Stimme?

"Wer lügt hier wen an?", fuhr Kai auf. `Bloß keine Schwäche zeigen!´ Er wusste sehr gut, dass er selbst im besten Fall Masa nicht gewachsen war.

"DU hast mich doch praktisch gegen meinen Willen hier hin geschleift. DU hältst mich hier unter fadenscheinigen Vorwänden fest! Und DU hetzt mir dann noch deine lüsternen Freunde auf den Hals! Was soll das alles????"

"Ich sollte besser gehen. Ihr überreagiert wieder." Entschlossen stand der Mann auf und strebte in Richtung Tür.

"Du bleibst!" Nicht minder entschieden eilte Kai an ihm vorbei und versperrte mit ausgestreckten Armen den Türrahmen.

"Bon..." Seufzend blieb der große Mann vor ihm stehen. Angesicht der Körpermasse, die vor ihm aufragte, kam Kai sich plötzlich ganz klein vor.

"Nicht `Bon´! Du weißt genau, wie sehr ich diese Bezeichnung verabscheue. Wir sind immerhin Freunde. Oder ich dachte das bisher. Was ist passiert, Masa?", flehte Kai. Mühsam drängte er die Tränen zurück.

"Freunde? Freunde halten das Wort, was sie einander gegeben haben und rennen nicht weg, nur weil ihre Hormone wieder einmal verrückt spielen. Ihr habt hinreichend bewiesen, dass Ihr Euch nicht um Euch selbst kümmern könnt. Mir bleibt keine andere Methode mehr, als Euch mit Gewalt von Eurem Besten überzeugen!" Wütend schob Masa den Jungen beiseite. Gelähmt wehrte sich Kai nicht. Masa hatte noch nie so hart mit ihm gesprochen.

"Masa... warte!", befreite er sich erst aus seinen Schockzustand, als der Mann schon im Flur war. "Warte!" Erneut blockierte Kai den Weg, als Masa keine Anstalten machte, stehen zubleiben.

"Ich rede mit dir!"

" `Ich´ - es geht immer nur um Euch, nicht war, Bot-chan? Ihr kümmert Euch um nichts anderes. Solange Ihr nur Euren sturen Kopf durchsetzen könnt!"

"D... das stimmt nicht.", stotterte Kai hilflos angesichts des ungewohnten Zorns in Masas Gesicht. Zorn auf ihn!

"Ach ja?" Hart umfasste Masa Kais rechten Arm und zog den Jungen nah an sich heran.

"Dann sagt mir, warum seid Ihr weggelaufen?" flüsterte er bedrohlich nahe an Kais Gesicht. Schwarzes Feuer sprühte aus seinen Augen und schien Kais schrumpfendes Herz zu verbrennen.

"Ich.... Ich kann nicht. Bitte, es tut mir leid." Die Tränen flossen nun ungehindert über Kais Wangen. Und er schämte sich noch nicht mal dafür. Abrupt wurde er zurück gestoßen und prallte hart gegen die Wand. Ächzend sackte er in sich zusammen.

"Dan erwartet auch keine Ehrlichkeit von mir!" fauchte Masa. Mit einem verächtlichen Blick auf den wimmernden Jungen verschwand er im dunklen Flur.

"Kyosuke!" Ein übernächtigt wirkender Kai fing den eifrig umher laufenden Mann im Foyer ab. "Ich muss mit dir reden!"

"Masa ist abgereist, Bot-chan, falls Ihr ihn sucht!" murmelte der Mann beschäftigt und wollte an den Jungen vorbei eilen.

Kai hielt ihn am Ärmel auf. "Das wollte ich zwar nicht wissen, aber danke für die Auskunft!", verkündete er sarkastisch. Ein alter Schmerz wummerte in seiner Brust.

`Läufst du wieder vor mir weg? Hasst du mich so sehr?!´

"Ich habe jetzt keine Zeit, Bon. Der Boss möchte, dass ich einige Sachen für ihn erledige."

"Ich will nur etwas von dir wissen. Danach kannst du weiter machen." Entschlossen verhinderte Kai jedes weitere Entkommen Kyosukes. Dieser seufzte resigniert.

"Also gut! Was wollt Ihr wissen?"

"Wie hat mein Vater damals Masa für mein Verschwinden bestraft?"

Kyosuke wich alle Farbe aus dem Gesicht.

"Fragt mich das nicht. Bitte, Bon!", flehte er.

Kai verzog das Gesicht. `So schlimm?´

"Das ist ein Befehl! Ich muss es wissen, Kyosuke!" sagte er etwas sanfter, als sein befehlender Tonfall nichts brachte.

"Masa und ich streiten uns ständig. Teils auch wegen dieser Sache, obwohl er es nie ausdrücklich sagt. Dieser Zustand gefällt dir doch auch nicht!"

Der Mann schwankte in seiner Entschlossenheit.

"Ich sag es auch nicht weiter!" Schwörend hob Kai die Hand. "Grosses Bot-chan Ehrenwort!"

"Also gut." gab Kyosuke nach. Ganz überzeugt von der Sache war er jedoch immer noch nicht.

"Aber nicht hier. Im Garten!"

Stumm folgte Kai den Mann. In einer Laube beobachtete er zynisch lächelnd Kyosukes Suche nach eventuellen Lauschern.

"Übertreibst du nicht ein bisschen? Ich will ja nur wissen, was damals geschehen ist. Warum Masa sich so verändert hat."

" `Nur´ sagt der Junge!" Stöhnend schlug Kyosuke sich gegen die Stirn.

"Nun erzähl schon!", wurde er gedrängelt.

"Ja, ja. Es ist nur nicht so einfach. Viel weiß ich aber auch nicht. Wir erfuhren von Euren Verschwinden durch einen Anruf Eures Vaters. Er zitierte Masa sofort zurück. Er musste auf der Stelle in sein Arbeitszimmer kommen."

"Und was geschah da?" fuhr Kai ungeduldig dazwischen.

"Keine Ahnung. Ich durfte den Raum nicht betreten. Noch nicht mal das Brüllen Eures Vaters war zu vernehmen. Es war richtig unheimlich. Wie im Auge eines Sturms.", bemerkte Kyosuke nachdenklich.

"Ja, ja, nun erzähl schon weiter!"

"Als Masanori heraus kam, war er kreidebleich. Er verschwand ohne ein Wort. Ich wollte ihm folgen, aber Euer Vater rief mich zu sich und sagte mir, dass ich ab sofort Masas Aufgaben übernehmen solle."

"Wieso?"

"Keine Ahnung. Masa war danach lange Zeit verschwunden. Über ein Jahr. Erst unmittelbar vor dem Tode Eures Vaters tauchte er überraschend wieder auf."

"Wo... wo war er solange ?", erkundigte sich Kai betroffen.

"Das weiß keiner. Er kam wieder und sagte Eurem Vater, es seie alles erledigt."

"Was erledigt?"

"Keine Ahnung." wiederholte Kyosuke. "Er sah jedenfalls schrecklich aus. Total abgemagert. E hatte ein rastloses Funkeln in seinen Augen, dass man sich richtig fürchten musste."

"Masa? Du machst Witze!"

"Leider nicht. Man vermutet, dass Euer Vater ihn auf eine sehr wichtigen und gefährlichen Mission schickte."

"Was für eine Mission? Sollte er mich suchen?"

"Nein." verkündete Kyosuke dem aufgewühlte Jungen. "Soweit ich weiß, hatte Euer Vater ihm das verboten. Ein paar unserer Leute waren auf Eurer Spur, verloren sie aber bald."

"Aber.... aber Masa fand mich doch..."

"Das war erst später. Kurz nach seiner Rückkehr starb Euer Vater. Man deutete auf einen Herzanfall hin. Erst danach übernahm Masa die Suche nach Euch persönlich. Es war natürlich schwer, weil er gerade erst das Clanoberhaupt geworden war, aber er hat es wohl irgendwie geschafft."

"Hm. Ich verstehe." Kai verstand eigentlich gar nichts. "Aber warum ist er dann so wütend auf mich? Ist doch praktisch gar nichts passiert!"

"Das habe ich mir auch schon überlegt. " Gestand Kyosuke sichtlich erleichtert, dass das Verhör dem Ende zuging.

"Weiß wirklich keiner, wo er in dieser Zeit gewesen sein könnte?"

"Außer ihm selbst? Nicht, das ich es wüsste. Euer Vater könnte ihn sonst wohin geschickt haben."

"Was hat er mit dir angestellt, Masa?". Bekümmert starrte Kai aus dem Fenster. "Hat es dich wirklich so sehr verletzt, dass ich mein Wort gebrochen habe?"

Gedankenverloren ging Kai in sein Raum auf und ab. `Was habe ich ihm nur angetan?´

Eine Ebene seiner Seele schien im Schmerz erstarrt zu sein. Ein drückendes Gefühl in seiner Brust und Magengegend schnürte ihm den Atem ab. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben erfuhr der verwöhnte Bot-chan der Shouryuukai Yakuza, was echtes Schuldgefühl war.

TBC

A/N: Oh Mann! Sichte gerade den Papierstapel mit den restlichen Teilen. Mindestens 5 sind das noch. Die Epiloge nicht mitgezählt. Glaube, ich werde noch alt und grau, bevor ich das abgetippt habe. Gibt irgendwo jemand, der dann so nett ist, und mir dann `nen Krückstock holt? *suchend unter meiner Brille herleuere* *Rheumakissen verlagere* Keiner? Verdammt! * Heul*