Epilog
Ausnahmsweise ist Masa mal da, als ich nach Hause komme. Seltsam, zwei Jahre Abwesenheit und dieses Gebäude verkörpert immer noch für mich eine sichere Zuflucht. Momentan schien aber über eben diese Zuflucht eine dunkle Wolke zu liegen.
Enjoji konnte nicht recht gehabt haben. Schon die ganze Fahrt über hatte ich mir deswegen den Kopf zerbrochen. Das Ergebnis war immer dasselbe.
Ich kann es einfach nicht glauben.
Ich schüttele die wie immer übereifrigen Dienstboten ab und eile mit großen Schritten in Richtung Masas Büro.
Erstaunlicherweise ist er alleine. Er steht vor dem Fenster. Obwohl er meine Ankunft gesehen haben musste, dreht er sich selbst dann nicht um, als die Tür laut zuknallt.
"Masa!"
"Ihr seid zurück, Bon?", fragt er mit seiner emotionslosesten Stimme. Wie ich es hasse, wenn er mich so nennt. Er ist doch nicht mein Schoßhund oder mein Sklave!
Statt einer Antwort durchquere ich das Zimmer.
In einer mir langsam vertraut gewordenen Geste schmiege ich mich von hinten an seinen Rücken. Ebenfalls vertraut ist Masas Erstarrung und wie sie sich wenig später löst.
Tief atme ich seinen männlichen Duft ein, um den ich ihn schon immer beneidet hatte. Alles wie immer, also.
Ach ja?
"Du bist früh zurück. Ich dachte, du würdest länger bei den beiden bleiben."
"Keinen Bock! Ich habe dich vermisst."
Ich stelle mich auf meine Zehenspitzen und berühre mit meinen Lippen seinen Nacken. Mit seiner üblichen Schnelligkeit dreht sich Masa herum und küsst mich. Heiß, brennend. Meine Seele verzehrend. Wie immer.
Aber es ist nicht wie immer. Ich kann diesmal seinen Kuss nicht erwidern. Ich will es, aber kann es nicht. Er bemerkt meine passive Haltung. Vorsichtig rückt er ein Stück von mir ab. Und streicht mir ein paar Haare aus dem Gesicht.
"Geliebter, was ist?" Dieses Wort. Vor Jahren, aber auch noch vor wenigen Stunden hätte ich meine Seele dafür gegeben, es von ihm zu hören. Diesmal weiß ich deutlicher als sonst, dass etwas zwischen uns steht.
"Masa... liebst du mich?" Wie ein kleines Kind klammerte ich mich an seinen Armen fest.
"Kai...." Langsam streichelt er meine Wange. Seine Augen sind so zärtlich- was bedeutet mir der Quatsch, den Enjoji mir erzählt hat? An meinen Vater hat mir nie was gelegen. Nur Masas Antwort war wichtig. Aber wie immer weicht er mir aus.
"Darüber haben wir doch schon geredet."
"Du hast darüber geredet."
"Ach, Kai....", murmelt er an meinen Hals. Die Vibrationen seiner Stimme an meiner empfindlichen Haut jagen Schauder durch meinen Körper.
"Du warst doch zufrieden damit, wie es war."
"Jetzt nicht mehr." Langsam löse ich mich aus seiner Umarmung und trete einen Schritt zurück. " Es gibt zuviel Geheimnisse zwischen uns. Du verbirgst zuviel vor mir. Ich bin nicht sicher, ob ich damit leben kann."
"Was meinst du?" Masa sieht mich mit einem seltsamen Ausdruck an.
Verlegen beiße ich mir selber in die Unterlippe. Innerlich zerreißt mich der Drang, Masa alles ins Gesicht zu schreien. Oder ihn anzuflehen, mich zu lieben.
Wie immer durchschaut er mich sofort.
"Ach Kai!" Vorsichtig nahm er mich wieder in seine Arme. Ich kann mir nicht helfen, und breche in heftige Schluchzer aus. Dabei müssten nach dem Ausbruch bei Ranmaru doch eigentlich keine Tränen mehr vorhanden sein.
"Was ist bei Enjoji passiert?", erkundigt er sich sanft. Wie ein kleines Kind werde ich in seinen Armen gewiegt.
"Nichts!", heule ich.
"Du lügst, sonst wärest du nicht so aufgeregt."
"Ich kann nicht." Es schüttelt mich. Masa ist mein einziger Anker. Ich brauche ihn! Aber wenn ich jetzt alles sagen würde... Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich dann innerlich völlig von mir zurückziehen würde.
"Warum nicht?" Seine Hände streicheln meinen Rücken. Er presst mich eng an seine Brust.
"Du würdest mich hassen!", rutscht es aus mir heraus.
"So schlimm?"
Ich nicke stumm. Was nicht ganz einfach ist, wenn sein Mund gerade mein Ohr liebkost.
"Ich könnte dich nie hassen, Kai. Egal was passiert."
"Du weißt doch gar nicht, was.... was er mir gesagt hat."
"Wer? Enjoji?" Ich höre die Anspannung in seiner Stimme und spüre sie an dem eng an mich gepressten Körper.
"Masa, wenn du mich nicht liebst, magst du mich wenigstens so sehr, dass du nicht wütend wirst?"
"Was ist los, Bon?" Er zwingt mich, ihn anzuschauen. Durch meine Tränen nehme ich sein Gesicht nur als verschwommenen Fleck wahr. Aber ich kann ihm Enjojis Lügen nicht erzählen, statt dessen bricht es aus mir heraus:
"Wo warst du in all den Jahren? Wieso hast du dich so verändert? Du bist so hart geworden."
Ich scheine keine Tränen mehr zur Verfügung zu haben. Mein Blick klärt sich. Masas finstere Gesichtsausdruck heitert mich jedoch nicht grad auf.
"Und das macht dir Angst?" stellt er fest.
Ich bin nicht in der Lage, zu antworten. Seine Augen sind wie dunkle Spiegel. Sie verraten nichts außer Schwärze.
"Ja! Weil ich nicht verstehe, wie du so geworden bist. Diese Veränderungen- ich weiß nicht, ob ich sie ertragen kann. Vor allem , weil...."
"Weil was? Der Besuch bei Samejima alles verändert hat? Du liebst ihn noch immer, stimmt´s ?"
Das drohende Funkeln in seinen Augen macht mit Angst.
"Das stimmt doch gar nicht!" fahr ich auf. Die letzten Tränen werden weggeblinzelt. Ich sehe Masas Gesicht näher vor meinen eigenen, als mir im Moment lieb ist.
"Was ich sagen wollte, war: Ich weiß, dass du körperlich nicht an mir interessiert bist. Du bist ein Fremder für mich geworden, weil du alle emotionalen Bindungen zu mir unterdrückst. Und das ertrage ich nicht!"
Einen kurzen Moment lang schließt er seine Augen. Als er sie wieder öffnet, sind sie ebenso sanft wie seine Stimme: "Und was willst du tun?"
"Ich weiß nicht. Wenn du mich wirklich wollen würdest, wäre alles einfacher. Aber du traust mir nicht einmal. Du verschweigst Jahre deines Lebens vor mir. Ich will nicht, dass du mir alles erzählst. Aber ich will wissen, was dich so verändert hat."
"Es ist besser, wenn du das nicht erfährst."
"Das kann nur ich selbst entscheiden. Masa, es zerfrisst mich. Ich... ich kann nicht mehr in deiner Nähe bleiben, wenn du mich weiter so ausschließt."
Halb erwarte ich, dass er mir sagen würde, ich solle gehen. Hatte er nicht oft genug beteuert, dass er mir diese Beziehung nicht aufdrängen wolle?
Er überrascht mich. "Was soll ich deiner Meinung nach tun?"
"Erzähl es mir. Schließ mich nicht mehr aus!" flehe ich. Wie ich die Schwäche in meiner Stimme hasse! Nur Masa lässt mich so werden.
"Dann würdest du so oder so gehen." Er macht Anstalten, sich von mir zu lösen. Verzweifelt klammere ich mich an ihm fest.
"Ich gehe auch, wenn du nichts sagst."
"Dann geh doch!"
Obwohl ich diese Worte erwartet habe, sind sie wie ein körperlicher Schlag. Fassungslos starre ich ihn an, ehe ich mich umdrehe und wie betäubt zur Tür wanke. Der Weg scheint ewig lang zu sein, während seine Blicke meinen Rücken verbrennen. Dann finde ich endlich die Kraft, die Hand nach der Klinke auszustrecken. Die Wucht, mit der er mich plötzlich von den Füssen reißt, überrascht mich.
"Nein, geh nicht. Bleib bei mir." , murmelt er gepresst.
Mein Herz hüpft, dennoch kann ich nicht nachgeben.
"Dann sag's mir!"
"Ich will dich nicht verlieren!" Ist das eine Träne, die da in meinen Kragen rollt?
Ich kann mich nicht umdrehen, er hält mich zu fest.
"Lass mich das entscheiden."
Er dreht gewaltsam meinen Kopf nach hinten. Sanft, so unglaublich sanft senken sich seine Lippen kurz auf die meinen. Dann lässt er mich los.
"Also gut- du willst alles hören? Dann setz dich besser." Er weist auf einen der Sessel. Wie leblos plumpse ich hinein. Enjoji und Sempai hatten mich auf das Schlimmste vorbereitet. Aber in diesem Moment würde ich am liebsten aufspringen und ihn anflehen, es mir doch nicht zu sagen. Mir fehlt nur die Kraft dazu.
"Ich war für dein Verschwinden verantwortlich. Mir oblag deine Sicherheit. Ich bürgte dafür, dass du bleiben würdest. Dein Vater gab mir zurecht die Schuld. Er gab mir einen Auftrag, der ihm so gefährlich erschien, dass ich ihn nicht überleben konnte. Aber selbst wenn- er verbot mir, jemals wieder nach Japan zurück zu kommen. Er verbot mir, nach dir zu suchen, Ich durfte dich nicht wiedersehen."
Er sagt dies so sachlich. Doch irgendwie spüre ich den Schmerz , welcher unter seiner ruhigen Oberfläche tobt. Als er tonlos weiter erzählt, flüstert mein Herz mit jeden Schlag seinen Namen: Masa. Masa. Masa. Masa. Masa. Und jedes Mal tut es ein bisschen mehr weh.
"Er wusste es vielleicht nicht, aber das war das Schlimmste, was er mir antun konnte."
Natürlich, ein Stellvertreter, dessen Wort man nicht trauen konnte, war nutzlos für ihn.
"Diese Aufgabe- wider Erwarten gelang sie mir sehr gut. Ich sollte das Oberhaupt und die Familie eines Yakuza Klans beseitigen, die in China Fuß gefasst hatten. Ich brauchte nur ein Jahr, um seine Organisation zu infiltrieren. Es war relativ einfach aufgrund meiner Erfahrung. Zwei Monate brauchte ich, bis seine Familie mir vertraute. Er selber blieb misstrauisch, willigte aber in meine Hochzeit mit seiner ältesten Tochter ein."
"Hochzeit??? Masa!!!!"
Er beachtet mich nicht.
"Meine Chance, meinen Auftrag zu erledigen, ergab sich in der Hochzeitsnacht. Als alle schliefen, tötete ich zuerst meine Frau. Sie war erst 17." fügt er mit sanfter Stimme hinzu.
Ich kann mich nicht rühren. Das ist ein schlechter Traum. Hatte ich Masa so falsch eingeschätzt? Ich versuche das Grauen, das ich bei seinen Worten und vor ihm empfinde, zu unterdrücken.
"Eine Stunde später war meine Aufgabe erfüllt. Meine Pflicht gegenüber deinem Vater ebenfalls. Ich kehrte nach Japan zurück. Toshi war mein Informant. Von ihm wusste ich, dass dein Vater noch niemanden von meiner Verbannung erzählt hatte. Ich drang in sein Büro ein- niemand hielt mich auf- und tötete ihn mit einer Spritze voll Luft direkt in sein Herz."
Einen kurzen Moment stockt Masa. Mit trockenen Mund kann ich endlich sprechen.
"Aber... aber du warst ihm doch ergeben. Du warst sein treuester Mann!"
"Er hatte kein Anrecht mehr auf diese Treue, als er mir verbot, dich je wieder zu sehen. Oder dich zu suchen. Ich war in den Jahren fast krank vor Sorge. Es war mir immer klar, dass er dich nie finden konnte. Du bist der einzige Grund, warum ich die ganze Zeit durchhielt. Warum ich Menschen töten konnte, die mir vertrauten."
"So wie ich?"
Er ignoriert sowohl meine Frage, als auch den bitteren Ton, in dem sie gestellt wurde.
"Ich musste an die Spitze des Klans kommen, um dich zu finden. Nur so kann ich auch deinen Schutz gewährleisten."
`Ach, und mit deinen eigenen Machtstreben hat das nichts zu tun?´ Dieser Gedanke kommt mir, ehe ich ihn unterdrücken kann.
Als ob er ihn gelesen hätte, fährt Masa fort:
"Ich musste zu groben Mitteln greifen, um so schnell wie möglich die alleinige Kontrolle zu bekommen. Du solltest das nie erfahren. Ich wollte, dass alles wieder wie früher wurde. Jene Nacht sollte sich nie wiederholen. Aber ich konnte nicht. Jeder Streit mit dir zeigte mir, dass es besser wäre, dich gehen zu lassen. Aber dann brauchte ich dich manchmal wieder so sehr, dass ich sogar auf halben Weg nach Tokio umkehrte, nur um bei dir sein zu können."
Ich war im Verlauf von Masas Geständnis, denn was war es sonst, wenn nicht ein solches- immer mehr in meinen Sessel zusammengesackt. Enjoji hatte recht. Masa war ein Mörder. Wie hatte ich mich nur mein Leben lang in ihm täuschen können? Ein mieser kleiner Mörder!
"Wenn du jetzt gehen möchtest, ich halte dich nicht auf. Ich verstehe, das du mich jetzt hasst."
"Masa...." Kopfschüttelnd versuchte ich den harten Brocken zu verdauen, den er mir gerade entgegen gepfeffert hatte.
"Es gibt nur eins, worum ich dich bitte..." Er sieht mich nicht an. Masa war die ganze Zeit auf und ab gegangen und starrte jetzt zum Fenster heraus. Wie immer, wenn er nicht wollte, dass ich den Ausdruck auf seinen Gesicht sehe.
"...melde dich hin und wieder, so dass ich weiß, dass es dir gut geht. Nimm ein paar Leibwächter mit, wenn du willst."
"Vergiss es!" Wankend stehe ich auf und gehe zur Tür. Diesmal hält er mich nicht auf. Und ich bin froh darüber. Das war also das Ende.
Drei Jahre lang hörte oder sah ich ihn nicht. Nur hin und wieder schickte ich ihm in schwachen Momenten ein Postkarte mit dem Worten: " Mir geht es gut."
Ich verdiene mir mein Geld als Kendolehrer. Mein Auftauchen hatte in der Kendoszene für Furore gesorgt. Sie war mir dienlich, um Jobs in den Dojos zu finden. Eines Tages schickte mir ein anonymer Spender genügend Geld, um ein eigenes Dojo zu gründen. Ich hatte nie Zweifel, dass es von ihm kam.
Kyosuke hat sich letztens bei mir gemeldet. Er sagte, dass Masa in der Stadt wäre. Ich weiß nicht, was er damit bezweckte.
Aber vielleicht schaue ich heute mal in Masas Hotel vorbei. Vielleicht.
Möglicherweise haben sie dort einen guten Zimmerservice. Es müsste doch möglich sein, dass man dort morgens ein anständiges Frühstück kriegt!
Grinsend schultere ich meine Trainingstasche.
"Ich glaub, es ist Zeit für eine Revanche, Masa."
Als ich noch ein Kind war, sagte meine Mutter einmal, der Sinn der Liebe läge darin, zu verzeihen.
(endlich) Ende
A/N: Hah! Wer hätte es geglaubt- ich hab's geschafft! Nicht immer ohne Tritt in den Hintern (danke an all die Leute, die sich um diese Aufgabe geprügelt haben *ggg*. Und natürlich an alle Feedyschreiber, welche der einzige Grund sind, warum ich das für meine Verhältnisse riesige Werk zuende gebracht hab. *erschöpft innen Sessel fall*
Kaum zu glauben, dass ich, abgesehen von den ersten 4 Teilen, alles in acht Tagen schrieb. Was ein Urlaub nicht alles bringt. Ich hoffe, niemand hält mir unter die Nase, dass ich ein halbes Jahr brauchte, um den Kram abzutippen *schäm* *untta ner Decke verkrich*
Ausnahmsweise ist Masa mal da, als ich nach Hause komme. Seltsam, zwei Jahre Abwesenheit und dieses Gebäude verkörpert immer noch für mich eine sichere Zuflucht. Momentan schien aber über eben diese Zuflucht eine dunkle Wolke zu liegen.
Enjoji konnte nicht recht gehabt haben. Schon die ganze Fahrt über hatte ich mir deswegen den Kopf zerbrochen. Das Ergebnis war immer dasselbe.
Ich kann es einfach nicht glauben.
Ich schüttele die wie immer übereifrigen Dienstboten ab und eile mit großen Schritten in Richtung Masas Büro.
Erstaunlicherweise ist er alleine. Er steht vor dem Fenster. Obwohl er meine Ankunft gesehen haben musste, dreht er sich selbst dann nicht um, als die Tür laut zuknallt.
"Masa!"
"Ihr seid zurück, Bon?", fragt er mit seiner emotionslosesten Stimme. Wie ich es hasse, wenn er mich so nennt. Er ist doch nicht mein Schoßhund oder mein Sklave!
Statt einer Antwort durchquere ich das Zimmer.
In einer mir langsam vertraut gewordenen Geste schmiege ich mich von hinten an seinen Rücken. Ebenfalls vertraut ist Masas Erstarrung und wie sie sich wenig später löst.
Tief atme ich seinen männlichen Duft ein, um den ich ihn schon immer beneidet hatte. Alles wie immer, also.
Ach ja?
"Du bist früh zurück. Ich dachte, du würdest länger bei den beiden bleiben."
"Keinen Bock! Ich habe dich vermisst."
Ich stelle mich auf meine Zehenspitzen und berühre mit meinen Lippen seinen Nacken. Mit seiner üblichen Schnelligkeit dreht sich Masa herum und küsst mich. Heiß, brennend. Meine Seele verzehrend. Wie immer.
Aber es ist nicht wie immer. Ich kann diesmal seinen Kuss nicht erwidern. Ich will es, aber kann es nicht. Er bemerkt meine passive Haltung. Vorsichtig rückt er ein Stück von mir ab. Und streicht mir ein paar Haare aus dem Gesicht.
"Geliebter, was ist?" Dieses Wort. Vor Jahren, aber auch noch vor wenigen Stunden hätte ich meine Seele dafür gegeben, es von ihm zu hören. Diesmal weiß ich deutlicher als sonst, dass etwas zwischen uns steht.
"Masa... liebst du mich?" Wie ein kleines Kind klammerte ich mich an seinen Armen fest.
"Kai...." Langsam streichelt er meine Wange. Seine Augen sind so zärtlich- was bedeutet mir der Quatsch, den Enjoji mir erzählt hat? An meinen Vater hat mir nie was gelegen. Nur Masas Antwort war wichtig. Aber wie immer weicht er mir aus.
"Darüber haben wir doch schon geredet."
"Du hast darüber geredet."
"Ach, Kai....", murmelt er an meinen Hals. Die Vibrationen seiner Stimme an meiner empfindlichen Haut jagen Schauder durch meinen Körper.
"Du warst doch zufrieden damit, wie es war."
"Jetzt nicht mehr." Langsam löse ich mich aus seiner Umarmung und trete einen Schritt zurück. " Es gibt zuviel Geheimnisse zwischen uns. Du verbirgst zuviel vor mir. Ich bin nicht sicher, ob ich damit leben kann."
"Was meinst du?" Masa sieht mich mit einem seltsamen Ausdruck an.
Verlegen beiße ich mir selber in die Unterlippe. Innerlich zerreißt mich der Drang, Masa alles ins Gesicht zu schreien. Oder ihn anzuflehen, mich zu lieben.
Wie immer durchschaut er mich sofort.
"Ach Kai!" Vorsichtig nahm er mich wieder in seine Arme. Ich kann mir nicht helfen, und breche in heftige Schluchzer aus. Dabei müssten nach dem Ausbruch bei Ranmaru doch eigentlich keine Tränen mehr vorhanden sein.
"Was ist bei Enjoji passiert?", erkundigt er sich sanft. Wie ein kleines Kind werde ich in seinen Armen gewiegt.
"Nichts!", heule ich.
"Du lügst, sonst wärest du nicht so aufgeregt."
"Ich kann nicht." Es schüttelt mich. Masa ist mein einziger Anker. Ich brauche ihn! Aber wenn ich jetzt alles sagen würde... Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich dann innerlich völlig von mir zurückziehen würde.
"Warum nicht?" Seine Hände streicheln meinen Rücken. Er presst mich eng an seine Brust.
"Du würdest mich hassen!", rutscht es aus mir heraus.
"So schlimm?"
Ich nicke stumm. Was nicht ganz einfach ist, wenn sein Mund gerade mein Ohr liebkost.
"Ich könnte dich nie hassen, Kai. Egal was passiert."
"Du weißt doch gar nicht, was.... was er mir gesagt hat."
"Wer? Enjoji?" Ich höre die Anspannung in seiner Stimme und spüre sie an dem eng an mich gepressten Körper.
"Masa, wenn du mich nicht liebst, magst du mich wenigstens so sehr, dass du nicht wütend wirst?"
"Was ist los, Bon?" Er zwingt mich, ihn anzuschauen. Durch meine Tränen nehme ich sein Gesicht nur als verschwommenen Fleck wahr. Aber ich kann ihm Enjojis Lügen nicht erzählen, statt dessen bricht es aus mir heraus:
"Wo warst du in all den Jahren? Wieso hast du dich so verändert? Du bist so hart geworden."
Ich scheine keine Tränen mehr zur Verfügung zu haben. Mein Blick klärt sich. Masas finstere Gesichtsausdruck heitert mich jedoch nicht grad auf.
"Und das macht dir Angst?" stellt er fest.
Ich bin nicht in der Lage, zu antworten. Seine Augen sind wie dunkle Spiegel. Sie verraten nichts außer Schwärze.
"Ja! Weil ich nicht verstehe, wie du so geworden bist. Diese Veränderungen- ich weiß nicht, ob ich sie ertragen kann. Vor allem , weil...."
"Weil was? Der Besuch bei Samejima alles verändert hat? Du liebst ihn noch immer, stimmt´s ?"
Das drohende Funkeln in seinen Augen macht mit Angst.
"Das stimmt doch gar nicht!" fahr ich auf. Die letzten Tränen werden weggeblinzelt. Ich sehe Masas Gesicht näher vor meinen eigenen, als mir im Moment lieb ist.
"Was ich sagen wollte, war: Ich weiß, dass du körperlich nicht an mir interessiert bist. Du bist ein Fremder für mich geworden, weil du alle emotionalen Bindungen zu mir unterdrückst. Und das ertrage ich nicht!"
Einen kurzen Moment lang schließt er seine Augen. Als er sie wieder öffnet, sind sie ebenso sanft wie seine Stimme: "Und was willst du tun?"
"Ich weiß nicht. Wenn du mich wirklich wollen würdest, wäre alles einfacher. Aber du traust mir nicht einmal. Du verschweigst Jahre deines Lebens vor mir. Ich will nicht, dass du mir alles erzählst. Aber ich will wissen, was dich so verändert hat."
"Es ist besser, wenn du das nicht erfährst."
"Das kann nur ich selbst entscheiden. Masa, es zerfrisst mich. Ich... ich kann nicht mehr in deiner Nähe bleiben, wenn du mich weiter so ausschließt."
Halb erwarte ich, dass er mir sagen würde, ich solle gehen. Hatte er nicht oft genug beteuert, dass er mir diese Beziehung nicht aufdrängen wolle?
Er überrascht mich. "Was soll ich deiner Meinung nach tun?"
"Erzähl es mir. Schließ mich nicht mehr aus!" flehe ich. Wie ich die Schwäche in meiner Stimme hasse! Nur Masa lässt mich so werden.
"Dann würdest du so oder so gehen." Er macht Anstalten, sich von mir zu lösen. Verzweifelt klammere ich mich an ihm fest.
"Ich gehe auch, wenn du nichts sagst."
"Dann geh doch!"
Obwohl ich diese Worte erwartet habe, sind sie wie ein körperlicher Schlag. Fassungslos starre ich ihn an, ehe ich mich umdrehe und wie betäubt zur Tür wanke. Der Weg scheint ewig lang zu sein, während seine Blicke meinen Rücken verbrennen. Dann finde ich endlich die Kraft, die Hand nach der Klinke auszustrecken. Die Wucht, mit der er mich plötzlich von den Füssen reißt, überrascht mich.
"Nein, geh nicht. Bleib bei mir." , murmelt er gepresst.
Mein Herz hüpft, dennoch kann ich nicht nachgeben.
"Dann sag's mir!"
"Ich will dich nicht verlieren!" Ist das eine Träne, die da in meinen Kragen rollt?
Ich kann mich nicht umdrehen, er hält mich zu fest.
"Lass mich das entscheiden."
Er dreht gewaltsam meinen Kopf nach hinten. Sanft, so unglaublich sanft senken sich seine Lippen kurz auf die meinen. Dann lässt er mich los.
"Also gut- du willst alles hören? Dann setz dich besser." Er weist auf einen der Sessel. Wie leblos plumpse ich hinein. Enjoji und Sempai hatten mich auf das Schlimmste vorbereitet. Aber in diesem Moment würde ich am liebsten aufspringen und ihn anflehen, es mir doch nicht zu sagen. Mir fehlt nur die Kraft dazu.
"Ich war für dein Verschwinden verantwortlich. Mir oblag deine Sicherheit. Ich bürgte dafür, dass du bleiben würdest. Dein Vater gab mir zurecht die Schuld. Er gab mir einen Auftrag, der ihm so gefährlich erschien, dass ich ihn nicht überleben konnte. Aber selbst wenn- er verbot mir, jemals wieder nach Japan zurück zu kommen. Er verbot mir, nach dir zu suchen, Ich durfte dich nicht wiedersehen."
Er sagt dies so sachlich. Doch irgendwie spüre ich den Schmerz , welcher unter seiner ruhigen Oberfläche tobt. Als er tonlos weiter erzählt, flüstert mein Herz mit jeden Schlag seinen Namen: Masa. Masa. Masa. Masa. Masa. Und jedes Mal tut es ein bisschen mehr weh.
"Er wusste es vielleicht nicht, aber das war das Schlimmste, was er mir antun konnte."
Natürlich, ein Stellvertreter, dessen Wort man nicht trauen konnte, war nutzlos für ihn.
"Diese Aufgabe- wider Erwarten gelang sie mir sehr gut. Ich sollte das Oberhaupt und die Familie eines Yakuza Klans beseitigen, die in China Fuß gefasst hatten. Ich brauchte nur ein Jahr, um seine Organisation zu infiltrieren. Es war relativ einfach aufgrund meiner Erfahrung. Zwei Monate brauchte ich, bis seine Familie mir vertraute. Er selber blieb misstrauisch, willigte aber in meine Hochzeit mit seiner ältesten Tochter ein."
"Hochzeit??? Masa!!!!"
Er beachtet mich nicht.
"Meine Chance, meinen Auftrag zu erledigen, ergab sich in der Hochzeitsnacht. Als alle schliefen, tötete ich zuerst meine Frau. Sie war erst 17." fügt er mit sanfter Stimme hinzu.
Ich kann mich nicht rühren. Das ist ein schlechter Traum. Hatte ich Masa so falsch eingeschätzt? Ich versuche das Grauen, das ich bei seinen Worten und vor ihm empfinde, zu unterdrücken.
"Eine Stunde später war meine Aufgabe erfüllt. Meine Pflicht gegenüber deinem Vater ebenfalls. Ich kehrte nach Japan zurück. Toshi war mein Informant. Von ihm wusste ich, dass dein Vater noch niemanden von meiner Verbannung erzählt hatte. Ich drang in sein Büro ein- niemand hielt mich auf- und tötete ihn mit einer Spritze voll Luft direkt in sein Herz."
Einen kurzen Moment stockt Masa. Mit trockenen Mund kann ich endlich sprechen.
"Aber... aber du warst ihm doch ergeben. Du warst sein treuester Mann!"
"Er hatte kein Anrecht mehr auf diese Treue, als er mir verbot, dich je wieder zu sehen. Oder dich zu suchen. Ich war in den Jahren fast krank vor Sorge. Es war mir immer klar, dass er dich nie finden konnte. Du bist der einzige Grund, warum ich die ganze Zeit durchhielt. Warum ich Menschen töten konnte, die mir vertrauten."
"So wie ich?"
Er ignoriert sowohl meine Frage, als auch den bitteren Ton, in dem sie gestellt wurde.
"Ich musste an die Spitze des Klans kommen, um dich zu finden. Nur so kann ich auch deinen Schutz gewährleisten."
`Ach, und mit deinen eigenen Machtstreben hat das nichts zu tun?´ Dieser Gedanke kommt mir, ehe ich ihn unterdrücken kann.
Als ob er ihn gelesen hätte, fährt Masa fort:
"Ich musste zu groben Mitteln greifen, um so schnell wie möglich die alleinige Kontrolle zu bekommen. Du solltest das nie erfahren. Ich wollte, dass alles wieder wie früher wurde. Jene Nacht sollte sich nie wiederholen. Aber ich konnte nicht. Jeder Streit mit dir zeigte mir, dass es besser wäre, dich gehen zu lassen. Aber dann brauchte ich dich manchmal wieder so sehr, dass ich sogar auf halben Weg nach Tokio umkehrte, nur um bei dir sein zu können."
Ich war im Verlauf von Masas Geständnis, denn was war es sonst, wenn nicht ein solches- immer mehr in meinen Sessel zusammengesackt. Enjoji hatte recht. Masa war ein Mörder. Wie hatte ich mich nur mein Leben lang in ihm täuschen können? Ein mieser kleiner Mörder!
"Wenn du jetzt gehen möchtest, ich halte dich nicht auf. Ich verstehe, das du mich jetzt hasst."
"Masa...." Kopfschüttelnd versuchte ich den harten Brocken zu verdauen, den er mir gerade entgegen gepfeffert hatte.
"Es gibt nur eins, worum ich dich bitte..." Er sieht mich nicht an. Masa war die ganze Zeit auf und ab gegangen und starrte jetzt zum Fenster heraus. Wie immer, wenn er nicht wollte, dass ich den Ausdruck auf seinen Gesicht sehe.
"...melde dich hin und wieder, so dass ich weiß, dass es dir gut geht. Nimm ein paar Leibwächter mit, wenn du willst."
"Vergiss es!" Wankend stehe ich auf und gehe zur Tür. Diesmal hält er mich nicht auf. Und ich bin froh darüber. Das war also das Ende.
Drei Jahre lang hörte oder sah ich ihn nicht. Nur hin und wieder schickte ich ihm in schwachen Momenten ein Postkarte mit dem Worten: " Mir geht es gut."
Ich verdiene mir mein Geld als Kendolehrer. Mein Auftauchen hatte in der Kendoszene für Furore gesorgt. Sie war mir dienlich, um Jobs in den Dojos zu finden. Eines Tages schickte mir ein anonymer Spender genügend Geld, um ein eigenes Dojo zu gründen. Ich hatte nie Zweifel, dass es von ihm kam.
Kyosuke hat sich letztens bei mir gemeldet. Er sagte, dass Masa in der Stadt wäre. Ich weiß nicht, was er damit bezweckte.
Aber vielleicht schaue ich heute mal in Masas Hotel vorbei. Vielleicht.
Möglicherweise haben sie dort einen guten Zimmerservice. Es müsste doch möglich sein, dass man dort morgens ein anständiges Frühstück kriegt!
Grinsend schultere ich meine Trainingstasche.
"Ich glaub, es ist Zeit für eine Revanche, Masa."
Als ich noch ein Kind war, sagte meine Mutter einmal, der Sinn der Liebe läge darin, zu verzeihen.
(endlich) Ende
A/N: Hah! Wer hätte es geglaubt- ich hab's geschafft! Nicht immer ohne Tritt in den Hintern (danke an all die Leute, die sich um diese Aufgabe geprügelt haben *ggg*. Und natürlich an alle Feedyschreiber, welche der einzige Grund sind, warum ich das für meine Verhältnisse riesige Werk zuende gebracht hab. *erschöpft innen Sessel fall*
Kaum zu glauben, dass ich, abgesehen von den ersten 4 Teilen, alles in acht Tagen schrieb. Was ein Urlaub nicht alles bringt. Ich hoffe, niemand hält mir unter die Nase, dass ich ein halbes Jahr brauchte, um den Kram abzutippen *schäm* *untta ner Decke verkrich*
