Kapitel 9: Augen-Blicke
Er konnte seine Augen nicht von ihm wenden und doch war es ihm bewusst, dass er nicht starren durfte.
Doch er konnte einfach nicht wegsehen.
Es war einer der Imladris-Elben. Er war mit Elrond gekommen, um der Hochzeit beizuwohnen.
Langes, goldblondes Haar fiel über seine Schultern. Er hatte es nicht zusammengebunden oder geflochten, es floss einfach ungezähmt und wild bis zur Mitte seines Rückens. Er war in dunkelgrüne Gewänder gekleidet und seine blauen Augen trafen genau in diesem Moment Eomers braune.
'Das hat er gemerkt', dachte der König verschämt und wandte sich sofort ab, Röte trat in sein Gesicht und er hoffte, dass niemanden aufgefallen sein würde, dass er diesen Elben so gemustert hatte, am allerwenigsten dem Elben selbst.
Doch es war aufgefallen.
Elrond, der Mühe hatte, der Trauung seiner einzigen Tochter Arwen zu folgen, die sich an diesen Menschenkönig band, ihr unsterbliches Leben fortwarf, um an der Seite dieses schwachen Menschen zu leben und mit ihm Kinder zu haben, Elrond hatte die Blicke bemerkt und in seinem Inneren stieg weiße Wut auf.
Was hatte der König der Riddermark vor?
Konnte er seine Augen nicht woanders lassen?
Dann traf ihn etwas wie ein Blitz, bis ins Mark.
Der blonde Elb sah zurück.
Als Eomer von Rohan den Blick abgewandt hatte, traf ihn verzehrendes blaues Feuer, denn ein Blick war auf ihn gerichtet. Und der Mund des Elben lächelte, spielerisch, wissend, und - Elrond durchzuckte die Erkenntnis wie ein Schlag - begehrend.
Nicht auch noch er.
Hatte er nicht schon Arwen an einen Menschenkönig verloren?
Seit nicht mehr denkbaren Zeiten versuchte der Halbelb, der Fürst von Imladris, so ein Lächeln zu erhaschen, wie es jetzt über die Lippen des Blonden zog. Doch niemals hatte er ihn mit einem solchen Blick bedacht, all die Jahre nicht.
Elrond sah wieder zu Eomer. Unauffällig. Sie sollten nicht merken, dass er es wusste, dass er sie beobachtete.
Und der König von Rohan wagte erneut einen Blick zu dem Elben, schien das Lächeln wahrzunehmen und gab es schüchtern zurück, nicht ohne wiederum rot anzulaufen.
Eigentlich sollte Elrond im Geheimen darüber schmunzeln. Der mächtige König der Rohirrim errötete beim Anblick eines Elben. Aber Elrond war nicht zum Lachen zumute. Nicht jetzt, nicht heute, gar nie.
Ein Paar blaue Elbenaugen waren gefangen in einem Paar braunen Menschenaugen.
Und während die Zeremonie ihrem Ende zuschritt, schritten zwei Seelen näher aufeinander zu.
Dann war es vorbei.
Aragorn und Arwen waren vermählt, und Faramir und Eowyn hatten ebenfalls den Bund geschlossen.
Alle begaben sich in die große Festhalle, wo bereits ein üppiges Essen auf sie wartete. Eomers Schritt beschleunigte sich, als er den Elben nur wenige Meter vor sich gehen sah, und er holte ihn ein, im Gedränge, das entstand, als alle Gäste sich schleunigst zur Tafel begaben, gelang es Eomer, dicht hinter ihm zu gehen und den Duft seiner goldenen Haare einzuatmen... nahe an ihm... fast die Nase in seinen Haaren... wie gerne hätte er ihn einfach kurz berührt, doch er wagte sich nicht, wer war dies wohl...?
Eomer nahm wieder Abstand und ließ sich zurückfallen, dann erhaschte sein Blick Elrond.
Ohne Umschweife nahm er den Halbelben am Arm, achtete nicht auf den pikierten Blick des Elbenfürsten, und fragte ihn: "Ihr könnt mir sicherlich sagen, wer der blonde Elb ist, der mit euch aus Imladris kam? Einer eurer Begleiter?"
Elrond blieb stehen. Die Gäste mussten sie wie ein Hindernis umschiffen, aber dem Halbelben war es egal, was irgendwer dachte, seine Wut war zu groß in diesem Augenblick.
"Eure begehrlichen Blicke fallen auf Glorfindel von Imladris, Herr des Hauses der Goldenen Blumen von Gondolin, Noldo des Ersten Zeitalters, Kämpfer in verschiedenen Bündnissen der Menschen und Elben gegen Morgoth und Sauron, den Schlächter des Balrogs, den Wiedergekehrten aus Mandos Hallen, meinen engsten Berater und Vertrauten. Seht euch vor, Eomer von Rohan, MENSCH!" schleuderte Elrond dem verblüfften König der Rohirrim die Worte entgegen und wandte sich um, verließ die Festgesellschaft, ließ alle stehen und verschwand im Dunkel des langen Flures des königlichen Palastes von Minas Tirith.
