Kapitel 19: Überwältigt

"Du hast wirklich noch nie?" fragte Glorfindel ungläubig, nachdem ihn Eomer aus einem langen, innigen Kuss entlassen hatte, in dem der König von Rohan sich auf zärtlichste und doch leidenschaftlichste Art mit ihm verbunden hatte.

Eomer lächelte verlegen und schüttelte den Kopf.

"Nein, ich habe noch nie jemanden geküsst. Wann denn auch, und wen schon...? Ich war mein ganzes Leben damit beschäftigt, für den König da zu sein, schon als kleiner Junge... ich hatte keine Zeit, und ich hatte auch niemanden, der-"

Der Rohirrim brach ab und sah weg. Irgendetwas trübte sein Herz und der blonde Elb legte mitfühlend seine Hand auf die breite Schulter des Königs.

"Du musst nicht weitersprechen, Eomer. Es ist gut so, du bist jetzt hier, bei mir, und was auch immer war, es ist Vergangenheit, ich werde nicht weiter fragen."

"Ich möchte es dir aber sagen, Glorfindel." Eomer schluckte, dann fuhr er fort: "An unserem Hofe war ein Mann, der - der mir übel mitgespielt hat. Sein Name war Grima. Man nannte ihn auch Schlangenzunge. Er hat - Dinge mit mir getan. Vermutlich hätte er mir noch Schlimmeres antun können, aber ich empfand es damals schon als schmutzig und erniedrigend. Ich möchte nur, dass du verstehst, weshalb ich so - weshalb ich dir vielleicht so unbedarft vorkomme... ach, vergiss es einfach..." Er lächelte entschuldigend, dann, um Glorfindel an einer Antwort zu hindern, zog er den Elben wieder in seine Arme und versuchte sich wieder in der Kunst, die er eben erlernt hatte- dem Küssen.

"Ich glaube ich lerne schnell!" sagte er atemlos zwischen zwei tiefen Küssen, und Glorfindel nickte nur.

Wie durch Nebel nahm der Elb wahr, dass ein rotlockiger Mann auf sie zusteuerte und dann halt machte, um wieder umzukehren.

Faramir, dachte Glorfindel, aber Eomer ließ ihn nicht los, und obwohl Glorfindel den Blick in Faramirs Augen gesehen hatte, beschloss er, ihn nun sich selbst zu überlassen und hier bei dem König von Rohan zu bleiben, der eben etwas entdeckte, was er in all seinen Jahren, die er nun auf Mittelerde wandelte, noch nicht erlebt hatte.

Zeit verging.

Sie taten nichts anderes, als sich in den Armen zu halten und zu küssen.

Glorfindel spürte durch ihre Kleidung hindurch, dass mehr da war als nur Neugierde und die Lust darauf, ihre Lippen zu vereinen, doch wollte er nichts übereilen. Irgendetwas in ihm sagte ihm, dass etwas anders war als sonst. Und als er Eomer in die Augen sah und sich ihre Finger in unschuldiger Art und Weise wieder miteinander vereinten, da wusste der Elb, was es war.

Etwas, was ihm in seinen ganzen Jahrtausenden noch nicht widerfahren war.

Etwas, was er sorgfältig zu verhindern gesucht hatte.