Kapitel 20: Befreiung
"Shhhhhh, Legolas.... shhhhhh...." flüsterte Faramir und versuchte, den Elben nicht allzu offensichtlich anzustarren, doch es war schwer, den Blick von ihm zu wenden, denn der gefesselte Prinz bot trotz seiner misslichen Lage einen unglaublichen Anblick.
"Wer hat dir das angetan?" fragte er schließlich, an den Handfesseln nestelnd, um Legolas zu befreien.
Ein weiterer Blick auf den Elben und Faramir beschloss, ihn zunächst einmal zumindest von dem Gröbsten zu befreien, was ihn beschmutzte. Ohne auf sein Hochzeitsgewand zu achten nahm er den Stoff seines weiten Ärmels und wischte dem Elben über das Gesicht, kaum Ekel verbergen könnend. Dann widmete er sich weiter den Knoten, die irgendwer sehr sorgfältig geknüpft hatte.
Irgendwer.
Faramir wusste genau, wer Legolas an das Bett gefesselt hatte, weil er genau wusste, wem die kleine Kammer als Ankleideraum diente.
Der König von Gondor.
Er hatte sein Spielzeug einfach hier abgestellt, auf dass er wieder käme, nach der Hochzeit, und was er hier zu tun gedachte war mehr als klar - er hatte Legolas sogar die Anwesenheit auf dem Fest verweigert. Freiwillig oder nicht, das fragte sich Faramir, als er sich die rot angelaufenen Handgelenke des Elben betrachtete, der nun frei war und vor Wut oder was auch immer zitterte.
Faramir warf eine Decke, die auf dem Boden lag, über den blonden Prinzen und setzte sich in gehörigem Abstand neben ihm auf das Bett.
Legolas schwieg.
Sein Atem war auffallend schnell und seine Augen waren leicht zusammengekniffen.
"Du musst mir nichts sagen, Legolas, ... " Faramir unterbrach sich selbst, natürlich würde der Elb ihm nichts sagen, ihm schon gar nicht, wer war er denn, nur der Statthalter von Ithilien, eine kleine Nummer im großen Gondor, und er war der Sohn eines Königs, doch - auch das hatte ihn nicht davor bewahrt.
Zu gerne wüsste er, wer sich während der Hochzeit hier umgetan hatte.
Er würde es nie erfahren.
Legolas presste seine Lippen aufeinander und seine Stirn schien puren Zorn auszustrahlen. Er schlang die Decke enger um sich und bevor Faramir wusste, was passierte, durchdrang ein Wutschrei den Raum.
Legolas schrie, wie er nur im Kampfe schreien würde, und sein Schrei gellte durch den ganzen Palast.
Faramir starrte ihn nur an, voller Furcht, denn er wusste nichts zu tun oder zu sagen in diesem Moment.
"Ich werde mich rächen!" zischte Legolas, nachdem der Schrei verhallt war, und dann brach er in Tränen aus, unvermittelt, so unvermittelt, wie er auch geschrieen hatte, und Faramir wusste immer noch nicht, was er tun oder sagen sollte, aber sein Herz fühlte sich wund an und ohne nachzudenken rückte er näher an Legolas heran und der kam ihm einfach entgegen, schmiss sich in seine Arme und weinte wie ein kleines Kind.
Denethors jüngster Sohn legte vorsichtig seine Arme um den Elben und wiegte ihn, wie er ein Kind wiegen würde, das um Trost zu ihm kam. Er streichelte über die langen blonden Haare, die teilweise verklebt waren, und beschloss, den Elben in das Bad zu führen, ihm ein dampfendes duftendes Bad einzulassen und ihn zu reinigen.
Und er würde ihm helfen, bei der Rache, an wem auch immer, denn das konnte er nicht ertragen, dieses Geschöpf in seinen Armen, das vor Wut, Rache und Demütigung zitterte. Er hatte Legolas gesehen, in der letzten Schlacht auf den Pelennorfeldern, und was er hier sah, war die Fratze menschlicher Gewalt, die eines der ältesten Wesen beschmutzt hatte...
Menschlicher Gewalt?
Was machte ihn so sicher, dass es Menschen waren, die dies taten...?
Elben konnten es nicht sein, verneinte Faramir in sich den Dialog, den er mit sich selber führte, Elben würden so etwas nie tun.
Vor seinem inneren Auge tauchten die Gestalten von Eomer und Glorfindel auf, die er eben im Garten gestört hatte. Wie zärtlich sahen sie zusammen aus, wie vorsichtig hatte Eomer den Elben gehalten und mit welcher Sanftheit geküsst... so sollte man mit Elben umgehen, dachte Faramir, und ehe er es sich versah, hatte er einen keuschen Kuss auf die wutumflorte Stirn des Elben gedrückt, seine Lippen in die Zornesfalte gepresst, und schon war der Moment vorbei, und der Sohn des Königs des Großen Grünen Waldes starrte ihn an, mit einem Blick, der Faramir erschrak.
"Aha, so ist das also!"
Aragorns Stimme donnerte durch den kleinen Raum und Faramir sprang auf, schüttelte den Kopf, nicht fähig ein Wort zu äußern. Legolas packte die Decke und stob aus der Kammer, an Faramir und Aragorn vorbei, schlug die Tür des Badezimmers hinter sich zu.
"Das hat ein Nachspiel!" zischte Aragorn, nur schlecht verbergen könnend, wie schwer seine Zunge vom Wein geworden war. Faramir starrte den König von Gondor an. Er hatte nichts mehr zu sagen, alles, was er sagen würde, wäre falsch, und das einzige, was ihm blieb, war die Erinnerung an weiche Elbenhaut an seinen Lippen.
Er berührte sie vorsichtig noch einmal, als könne er den Moment zurückholen.
