Sollte ich mich in Bezug auf diese Aussage geirrt haben, teilt es mir bitte mit. Ich war nicht gerade die Beste in den Wissenschaften in der Schule und bin mir nicht immer sicher, ob ich die richtigen Ausdrücke benutzte. - Delilah
~ Kapitel Eins ~
Helles, gleißendes Licht erwartet mich als ich meine Augen öffne. Licht vor dem es kein Entrinnen gibt. Licht, das es einem unmöglich macht den Schatten zu folgen. Licht, welches voller Hass und Neid, verloren und ohne Ziel, den ein einzigen Weg geht den es finden kann. In die schmerzenden Augen jener unglücklichen, die sich hinter den ewig verschlossenen Toren des 'Projekt 314' verbergen.
Ich bin einer der Ewig Gefesselten. Ich bin die Kontrolle.
Ich bin Kaine...
An manchen Tagen frage ich mich, wie sie es geschafft haben mich in diesen Kerker zu sperren. Wie es den Verfechtern der Wissenschaft gelungen ist Professor Warren's Meisterschöpfung in ihre unwürdigen Hände zu bekommen. Denn das ist es was ich bin, eine Schöpfung, ein Konstrukt, eine sehr kostspielige und dennoch billige Kopie eines großartigen Originals.
Vielleicht lag es daran, dass ich kam um ihn zu besuchen. Dass ich für einen kurzen Augenblick der Trauer meine Gedanken verschlossen habe vor der Möglichkeit einer Attacke. Denn wer würde es wagen einem Bruder die letzte Ehre durch seinen Schatten zu verwehren? Wer wäre so herzlos und würde einen gebrochenen Mann vom Grab seiner Familie wegzerren, nur um ihn an einen Ort zu bringen den er in den tiefsten Abgründen seiner schwarzen Seele schon lange herbeigesehnt hat?
Die Antwort ist einfach und doch so komplex, dass es mir manchmal Kopfschmerzen bereitet auch nur im Ansatz daran zu denken, geschweige denn wirklich zu verstehen was geschehen ist.
Des Professors geliebte Erbin, sein Wunderkind ist gekommen um sein Werk zu vollenden. Doch liegt der Lady's Stärke nicht im erschaffen von Konstrukten, perfekten Klonen von noch perfekterem genetischen Material, sondern in den weiten Feldern des Geistes deren Grenzen nicht einmal der Tod uns wagt zu zeigen. Und die bezaubernd kaltherzige Dr. Walsh ist eine wahre Meisterin im Spiel mit den Geheimnissen der Seele, hat sie es doch geschafft einen Weg zu finden sogar den gewalttätigsten aller Blutrünstigen zu zähmen.
Ja, die Eiskönigin namens Maggie Walsh hat mich, den nach Blut lechzenden und doch nach Erlösung suchenden, verlorenen Sohn der Parker, weggeholt von meinem mir anvertrautem Land und mit Ketten so schwer, dass selbst Lucifer persönlich sie nicht zerreißen könnte, gefesselt an einen Ort, der mir nun wirklich nicht zusagt. Und ich vermag eine sehr große Anzahl von Unannehmlichkeiten zu tolerieren, aber Kalifornien?...
Welcher Wissenschaftler, der den respektvollen Weg der Schwarzen Kunst beschreitet, wäre arrogant genug seine Zentrale an solch einem unpassenden Ort zu erbauen? Selbst mein Schöpfer, der alle Regeln seiner Zunft zu brechen pflegte, hatte seine Residenz verborgen unter den zerbrechlichen Türmen aus Glas und Metall, die ich am Grab meiner Brüder schwor zu schützen. Der schakalsgleiche Wahnsinnige lebte im Schatten der Lichter von New York, und nicht einmal er wäre im Traum auf den Gedanken gekommen ein Labor im ewig sonnigen Kalifornien errichten.
Aber ich schweife ab.
Meine Abneigung bezüglich der Lage meines Kerkers hat keine Bedeutung im Vergleich zu dem blanken Hass den ich gegenüber Lady Frankenstein's letztem Meisterwerk empfinde. Wie kann sie es wagen den Namen ihres Mentors so zu beschämen?
"Wie kann sie es wagen?"
Wie niedlich. Der Arachnid hat wieder mal einen Wutanfall.
Ist es dieser bedauernswerten Kreatur nie in den Sinn gekommen, dass unsere innig gehasste Kerkermeisterin seine Gedanken lenkt? Ist es ihm nie aufgefallen, dass diese Momente der Melancholie und der Raserei nicht durch ihn, sondern durch das Gas ausgelöst werden, das die ewig lächelnde Todesfee in seine Zelle leiten lässt?
Irgendwie schade, dass er sein Potential auf solch unwürdige Art und Weise vergeudet. Wenn er nur einen Augenblick darauf verschwenden würde über seine Position als Kontrolle wirklich nachzudenken, würde er sicherlich begreifen welchen Zweck seine Anwesenheit hier erfüllt. Denn der charmante Kaine ist die Kontrolle der Kontrolle. Und da er nur dafür gebraucht wird, um den vor Angst schlotternden Frischlingen in Dr. Walsh's Garde vorzuführen, dass ihre wahre Kontrolle, ihr wahres Stück der Perfektion in mitten des von Licht durchzogenen Chaos, doch nur ein gewöhnlicher Mensch ist, kann sie es sich erlauben die fragile Seele eines gebrochenen Geistes für ihre Hobbies zu missbrauchen.
Obwohl Kaine als gebrochen zu bezeichnen vielleicht doch etwas übertrieben ist. Der Mann ist einfach nur der Meinung, dass er jede Wunde, jeden noch so kleinen Augenblick des Schmerzes den er in den lichterfüllten Hallen von 'Projekt 314' erleidet, von ganzem Herzen verdient. Wenn dem nicht der Fall wäre, und er vollkommen bei Verstand wäre, keine Ketten im Universum könnten den stolzen Kaine halten.
Aber er ist gefangen im Netz seiner eigenen Schuld. Und deshalb wird er solange hier bleiben, den unsinnigen Befehlen einer fehlgeleiteten Wissenschaftlerin folgen und jeden Tag ein weiteres Stück seiner Menschlichkeit einbüßen, bis er genug davon hat als Dr. Walsh's Laborratte herzuhalten.
Ich erwarte schon den Tag an dem er endlich begreift, dass die Strafe die er sich ersehnt nur von ihm selbst gegeben werden kann. Maggie Walsh sollte sich in Acht nehmen. Eine wütende Spinne ist ein Anblick den nur wenige überleben.
"Wie kann sie es wagen? Ich habe es doch versprochen..."
Kann er denn nicht einmal Ruhe geben? Man könnte meinen, dass er nach über zehn Jahren gegen ihre Betäubungsmittel immun ist. Aber in dieser Hinsicht werde ich wieder enttäuscht.
Nicht neues hier. Enttäuschungen sind mir so vertraut wie anderen ihr Gesicht. Immerhin bin ich an diesem Ort genauso gefangen wie mein arachnider Kamerad in der Zelle direkt gegenüber meiner.
Es ist schon etwas für sich wenn man Kaine in seiner Zelle, einem Tiger gleich, auf und ab gehen sieht. Eigentlich wäre es kein besonders bemerkenswerter Anblick, wäre da nicht die Tatsache, dass der Mann von der Decke hängt. Seltsam, dass es mir gerade jetzt auffällt, aber ich habe ihn noch nie mit seinen Füßen auf dem Boden gesehen.
Das macht mich neugierig.
"Warum bist du nie am Boden?" flüstere ich in die Leere meiner Zelle. Und er hält inne in seiner ach so typischen Tirade gegen das Leben und das Universum allgemein um mich anzusehen. Die stolze Spinne hat mich noch nie eines Blickes gewürdigt. Manchmal dachte ich sogar, dass es ihm gar nicht möglich ist aus seiner Zelle zu sehen, dass ein Spiegel die vierte Wand verdeckt. Aber anscheinend ist dem nicht so.
"Aus dem selben Grund weswegen du niemals deinen Stuhl verlässt," kommt seine leise Antwort.
Ich wende mich ab von ihm. Ich kann seinen Anblick nicht länger ertragen. Über einhundert Jahre habe ich in einer Zelle verbracht, wurde ich den abscheulichsten Gehirnen untertan gemacht, und nicht einmal habe ich daran gezweifelt, dass irgendwann die Zeit der Rache kommen würde. Nicht einmal habe ich gezweifelt, dass es mir möglich sein könnte die ewigen Lichter der wissensdürstigen Narren in Dunkelheit versinken zu lassen.
Mein Blick wandert durch meine Zelle, dieses Gefängnis meiner Seele, und lässt mein Herz erschaudern. Denn erst jetzt bemerke ich, dass ich aufgegeben habe. Erst jetzt wird mir klar, dass die stolzen Träume eines gefangenen Mannes nur das waren - sinnlose Träume. Wenn ich mich selbst sehe in dem großen Spiegel der eine Wand meines Raumes ziert, sehe ich nichts. Nur einen Schatten des Monsters, dass ich einmal vor so langer Zeit gewesen bin.
Mein Haar ist lang geworden, dient es jetzt doch dem Zweck meinem Gesicht eine Maske zu sein. Dieses Gesicht. Dieses geschundene Gesicht, dass sich nach dem Schutz von kaltem Porzellan sehnt. Und meine Beine. Jene Instrumente der Eleganz, die mich einem Tänzer gleich durch die Welt trugen. Nichts weiter als nutzlose Stumpen ohne den kleinsten Hauch von Leben.
Was zur Hölle ist nur aus mir geworden?
"Mein Name ist..." Ich muss nachdenken. Viel zu lange habe ich meinen Gedanken erlaubt dieses Thema zu meiden. Die Erinnerung ist schwach. Zu schwach um noch verständlich artikuliert zu werden.
Vielleicht ist es Zeit für einen Neuanfang.
"Mein Name ist..." Ein Kichern entkommt meinen Lippen, ist mir doch gerade der perfekte Name in den Sinn gekommen. Wenn mich alle Welt für ein Monster hält, so werde ich ein Monster sein. Ein Monster. Ein Genie. Ein Engel. Ein Teufel.
Ein Phantom.
"Mein Name, kleine Spinne, ist Erik."
Ein Schauder, einer eiskalten Hand auf dem Rücken gleich, tiefverwurzelt in den Abgründen der Seele, ließ Wissenschaftler und Experimente innehalten, als zwei Stimmen sich emporhoben und ein Lachen das nur aus der Hölle kommen konnte die lichterfüllten Hallen durchflutete.
