Nur äußerst widerwillig verließ Ten Ten die angenehme Traumebene und wachte auf. Lange lag sie einfach nur mit geschlossenen Augen da und lauschte den Geräuschen im Haus. Es war ruhig geworden, sehr ruhig und vor allen Dingen einsam. Wie lange waren sie nun schon tot? Ein halbes Jahr oder noch viel länger? Seufzend öffnete sie schließlich die grau-grünen Augen und blickte matt zum Nachtschrank hinüber. Viel war nicht darauf, ein Wecker, eine kleine Lampe, ihr Stirnband und ein Bild. Mit einem Blick, der tief in die Vergangenheit sah, griff sie nach dem eingerahmten Foto. Das Glas war bereits gesprungen und die Risse, verdeckten eine von vier Personen. Nachdenklich strichen Ten Tens Fingerspitzen über die Sprünge. Nur verzerrt waren darunter noch schwarze Haare, beigefarbene Jacke und weiße Augen erkennbar. Die anderen drei Personen waren unversehrt. Gai und Lee wirkten ein wenig wie Vater und Sohn, derartig ähnlich waren sie sich. Beide hatten ihr typisches Zahnpastalächeln aufgesetzt und streckten ihren Daumen hoch. Neben ihnen konnte Ten Ten sich selber sehen. Wie jung war sie damals doch gewesen. Es kam ihr vor, als wäre es in einem anderen Leben gewesen, dabei war es erst vier Jahre her. Wut kochte in ihr auf, als sie wieder auf die Sprünge blickte. Es schmerzte selbst jetzt noch. Tränen traten in ihre Augen und wieder wusste das Mädchen, warum sie das Glas nicht längst erneuert hatte, aber Neji aus dem Foto schneiden, nein das konnte sie nicht. Tränen traten in ihre Augen und voller Enttäuschung legte sie das Bild umgekehrt zurück auf den Nachtschrank. Betrübt setzte sie sich aufrecht und musterte ihr Zimmer. Es war seit Monaten der einzige, noch bewohnte Raum in ihrem Elternhaus. Sie waren nun alle fort. Wieder fühlte sie sich von Neji betrogen und verraten. Er war damals einfach so gegangen, ohne ein Wort des Abschieds. Sie hatte es von Lee erfahren müssen, von jemandem den Neji eigentlich milde lächelnd verachtete. Ten Ten hasste ihn dafür, mehr als jeden sonst, denn sie liebte ihn, mehr als jeder andere es könnte.

Nejis Augen fixierten Tsunade in nahezu hypnotischer Art. Gekonnt überflogen ihre Augen einige Blätter, bevor sie endlich aufblickte. Wortlos übergab sie dem, mit 17 recht jungen, Jou-nin den Stapel Blätter, der wohl etwas wie eine Akte darstellen sollte. Mit gerunzelter Stirn überflog der Schwarzhaarige das Geschriebene und stutzte schließlich. Fragend blickte er zum derzeitigen Hokage auf. "Soll das ein Witz sein?" Tsunades Gesicht blieb starr. "Was meinst du?" Wütend knallte Neji den Stapel Blätter auf den breiten, antiken Schreibtisch. "Das ist Auftrag für Jou-nins, für absolute Elite und sie schieben mir eine Chu-nin unter?!" Die immerjunge Frau, faltete die Hände ineinander und stützte sie auf den Tisch. "Es ist Pflicht, dass bei solchen Aufträgen ein Mediziner mit im Team ist..." Tsunade ließ sich von Nejis Knurren nicht beirren. "...und sämtliche Ärzte und Sanitäter im Rang eines Jou-nin sind derzeitig abkömmlich. Du wirst mit ihr Vorlieb nehmen müssen. Wenn es dir ein Trost ist, sie ist gut, eine wirklich gute Medizinerin, wenn auch sehr jung." Neji schnaubte verächtlich. "Ich weiß, dass sie gut ist. Immerhin kenne ich sie recht gut." Gelangweilt lehnte Tsunade sich zurück und griff nach einem neuen Stapel Papier. "Hmh...stimmt ja. Ich vergaß." Mit einer simplen Handbewegung, bedeutete sie dem Jungen, zu gehen.

Nachdenklich schloss Ten Ten die Haustür wieder und lehnte sich dagegen. In ihren Händen hielt sie eine Nachricht von Tsunade, persönlich an sie gerichtet. Das war seltsam, da Tsunade allein den Jou-nins Aufträge erteilte, alles andere ging über die Vergabestelle im Rathaus. Mit zitternden Fingern riss sie das Briefsiegel ab und faltete das Papier auseinander. Flüchtig überflog sie die ersten Zeilen und stockte schließlich. Entsetzt legte sie ihre Hand über den Mund und versuchte die Schluchzer zu unterdrücken. Das konnte nicht sein. Wieso tat Tsunade-sama ihr das nur an? Immer tiefer rutschte der Körper des hübschen Mädchens am glatten Holz der Tür hinab, bis es schließlich auf dem kalten Boden, zwischen ihren Schuhen, hockte. Sie fühlte sich schlecht, so schlecht. Nach all den Jahren, sollte sie ihn also wiedersehen und dann noch in einer Mission. Was hatte Tsunade sich dabei nur gedacht? Was hatte Tsunade sich überhaupt dabei gedacht, sie für diese Mission einzuteilen? Ten Ten war gerade mal Chu-nin geworden. Nicht, dass sie so schlecht war, aber irgendwann hatte sie den Entschluss gefasst, Mediziner zu werden und hatte immer weniger Zeit für das normale Ninjatraining und all diese Prüfungen. Wütend zerknüllte das dunkelhaarige Mädchen den Brief und warf ihn achtlos beiseite. Hass, unsagbarer Hass loderte in der Kunoichi auf. Endlich konnte sie sich rächen, für den Verrat, den Neji Hyuga begangen hatte.

Die Morgensonne vertrieb gerade die letzten Nachtnebel des Frühlings. Überall in Konoha herrschte noch Stille, lediglich einige Bäcker und der Ichiraku-Imbiss bereiteten sich auf den anstehenden Kundenansturm vor. Es war noch kühl und Nejis warmer Atem kondensierte bei jedem Ausstoß. An den Torpfosten gelehnt, döste er etwas vor sich hin. Sein Team würde pünktlich kommen, dessen war er sich sicher, aber bis dahin dauerte es noch etwas.

Verunsichert stand Ten Ten vor dem Spiegel im Hausflur und zupfte ihre Weste zurecht. Das Kleidungsstück war ihr einfach zu sperrig und behinderte sie oft. Es hatte ewig gedauert, bis sie mit diesem hässlichen Ding ihre Kunst problemlos ausführen konnte. Ein tiefer Seufzer entfuhr dem Mädchen, als es schließlich das Stirnband anlegte. Ob Neji sich stark verändert hatte?

Der Weißäugige hing seinen Gedanken nach. Es beunruhigte ihn, Ten Ten auf dieser Mission zu wissen. Vielleicht sollten sie besser ohne das Mädchen gehen. Verächtlich stieß er die Luft aus. Wie absurd. Ohne jemanden mit medizinischen Kenntnissen, würde die Mission für den Rest des Teams zu riskant werden. Verletzungen, egal wie winzig sie schienen, konnten sehr schnell zum Tod führen. Wieso musste es ausgerechnet seine alte Teamkameradin sein? "Hat sie es also doch getan?" Mit dem Anflug eines Lächelns redete Neji zu sich selbst. Er hätte nicht erwartet, dass Ten Ten Tsunade derartig stark nacheiferte. Früher, hatte er ihren Traum für Unsinn gehalten, aber nun, war er sich sicher, dass sie wirklich einmal eine sehr starke Kunoichi werden könnte. Auch, wenn sie es selbst wohl nie bemerkt hatte, er hatte sie nie aus den Augen gelassen. Sie war immerhin so etwas, wie eine Freundin. Viel verändert hatte sie sich nicht, soviel hatte er bei ihrer Chu-nin-prüfung erkennen können, auch wenn die Kleidung an ihrem kurvenreichen Körper enger geworden zu sein schien. Das Gefühl von Stolz und Zufriedenheit erfüllte sein Herz, jedes Mal, wenn der eher kalte Junge an ein bestimmtes Bild dachte. Noch immer konnte er deutlich vor sich sehen, wie Ten Ten strahlend ihre Hand nach oben riss, als sie, noch in der Arena, zum Chu-nin ernannt wurde.

"Sind wir zu spät, Neji-sama?" Widerwillig öffnete der Angesprochene ein Auge und wagte einen flüchtigen Blick über die drei Ankömmlinge. Alle waren in dunkelgrüne Overalls gekleidet und trugen die hellgrünen Westen. Drei paar nüchterner Augen ruhten auf dem jüngeren Anführer. "Können wir dann?" fragte einer von ihnen, ein Mittezwanziger, mit kurzem, braunem Haar. Neji schüttelte den Kopf. "Es fehlt noch jemand." Wie aufs Stichwort, hetzte eine weitere Gestalt heran und blieb erschöpft vor der Gruppe stehen. Abschätzend und mit leichter Verachtung für das Mädchen, wandte sich einer aus dem Team, Tatsuro Aoki, der wohl gerade erst zwanzig war und sich durch nicht vorhandenes Haar auszeichnete, an Neji. "Was soll das Neji-sama? Ein Chu-nin, dazu noch ein Mädchen?" Wütend funkelte Ten Ten diesen überheblichen Kerl an. "Tsunade-sama hat sicher ihre Gründe dafür", schloss der Weißäugige das Thema ab. "Wir sollten uns nun aufmachen." Seine gefühlskalten Augen, musterten jeden einzeln. "Nokiri, du gehst voraus", befahl er dem Braunhaarigen, welcher nur nickte. "Dann Aoki und Kobichi. Ich bilde die Nachhut." Wütend fixierte Ten Ten den attraktiven Schwarzhaarigen. Wieder einmal, war sie kein Bestandteil, seines Teams, so wie damals als Ge-nin. Nur flüchtig, schielte Neji zu seiner alten 'Freundin'. "Ten Ten bleibt in meiner Nähe, da wir uns kennen, kann sie mit mir besser zusammenarbeiten." Hart schluckte das Mädchen ihren Ärger runter. Nicht nur, dass sie ihn nun als Anführer akzeptieren musste, nein, sie musste nun auch ständig in seiner Nähe sein.

Die anderen waren bereits ein Stück voraus und auch Ten Ten wollte auch gerade durch das Tor von Konoha treten, als eine wohlbekannte Stimme sie zurückhielt. "Ich habe das mit deinen Eltern gehört. Es tut mir leid. Mein Beileid." In Nejis Worten klang ehrliche Betroffenheit, vielleicht, weil er wusste, wie einsam das Mädchen nun war. Beide Eltern, am selben Tag, in der selben Mission verloren. Ten Ten zuckte nur kurz zusammen, straffte dann aber ihren wohlgeformten, weiblichen Körper und passierte schließlich das Tor. "Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Du kanntest meine Eltern noch nicht einmal, wie sollte ihr Tod dir leid tun, wenn du es nicht mal schaffst, mit den Lebenden Mitleid zu haben?" Tränen brannten in ihren Augen und forderten ausbrechen zu dürfen, doch das Mädchen ließ dies nicht zu. Sie wollte nicht weinen, nicht vor diesem Verräter, nicht vor dem, der gegangen war und ihr Herz einfach mitgenommen hatte. Wie unsäglich traurig war sie gewesen, dass er es nicht einmal für nötig befunden hatte, sich von ihr zu verabschieden. Von wegen Freunde. Niemand würde seinen Freunden etwas derartiges antun. Sie war eben doch nur ein Klotz an seinem Bein und diese Erkenntnis schmerzte noch mehr, als damals, wo sie erkennen musste, was sie wirklich für diesen kaltherzigen Verräter empfand.