Hi!
Vielen, vielen Dank für die lieben Kommis! Ich hoff, ich hab dieses Mal nicht ganz so lang gebraucht? :o) Dafür kommt der nächste Teil dieses Kapitels auch schneller, ist nämlich auch schon geschrieben, aber ich glaub, bei 22 Seiten auf einmal wird euch das ein wenig viel, hm? Das hier ist also nur der erste Teil, Tagebucheinträge und ein kleiner Teil, in dem was passiert :o).
Viel Spass mit dem Lesen!
Maia
~~~
Die Lüge eines Lebens 17
Teil Eins
Für immer vereint I
09.00 Uhr
Alles im Leben ist vergänglich. Körper, Seele, Gefühle. Das ist es zumindest, was man uns erzählt. Und dennoch wird man wohl kaum ein Märchen finden, in dem die Liebe nicht siegt. Wie heißt es noch so schön? "Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage."
Was passiert also, wenn einer von beiden stirbt? Ist die Liebe damit verloren? Oder aber wird derjenige, der weiterlebt, den anderen lieben, bis er selbst stirbt? Und wenn man sich neu verliebt, ist es dann Verrat? Ein komplexes Thema, nicht wahr? Eine Frage, auf die es keine wirkliche Antwort gibt, weil jeder Mensch verschieden ist.
Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht und es verfolgt mich, bis in den Schlaf. Nachts liege ich stundenlang wach, lausche Lucs ruhigen Atemzügen und versuche verzweifelt, die Schwierigkeiten zu meistern und eine Erwiderung zu finden. Oder ich träume davon.
Was bedeutet heutzutage schon noch wahre Liebe, die ewig hält? Wer bindet sich noch durch die Ehe, weil er sich so sicher ist? Man kann sich mittlerweile scheiden lassen, ohne dass es den Ruf schädigt, oder man lebt ganz einfach ohne Trauschein. Wen interessierts? Hauptsache, man ist glücklich.
Warum ich mich so intensiv damit beschäftige? Das ist einfach. Ich bin ebenfalls verheiratet und überlege, ob es die Liebe gibt, von der uns immer in Filmen vorgeschwärmt wird. Diese bedingungslose Liebe, die niemals zerbricht, und für die man einfach alles aufgeben, hinter sich lassen würde.
Ich dachte, so in etwa könnte man meine Beziehung zu Sirius Black beschreiben, doch weit gefehlt! Oder wie könnte ich es sonst erklären, dass ich momentan an meinem Schreibtisch in Malfoy Manor sitze und einen Ring trage, in den "Lucius" eingraviert ist? Eben. Also hatte ich ganz offenbar nicht diese Gefühle für Sirius, die die Welt um mich herum zum Beben gebracht hätten.
Oder gibt es tatsächlich keine Liebe, die ein Leben lang anhält? Nur im Film kann sie perfekt sein, nicht wahr? Beim Schauspiel ist alles möglich.
Gut. Ich habe gelogen.
Ich denke darüber nach, weil zwei meiner Freunde gestorben sind, die sich heiß und innig geliebt haben. Irgendetwas in mir sträubt sich gegen die Vorstellung, dass dieses tiefe Gefühl nun einfach so verschwunden ist, als hätte es nie existiert. Immerhin haben die beiden einen Sohn, Harry. Und sagt man nicht immer, dass ein Kind die Krönung der Liebe ist?
Bei Lily und James hat es zweifelsfrei gestimmt. Jeder, der die kleine Familie gesehen hat, konnte das glückliche Funkeln in den Augen der stolzen Eltern erkennen. Jeder hat bemerkt, wie unruhig sie erschienen, wenn sie voneinander getrennt waren. Bei ihnen war es eindeutig, dass sie zusammengehörten. Und nun sind sie sogar gemeinsam gestorben. Egal, wie lange Liebe anhält, ich bin davon überzeugt, dass Lily und James für immer vereint sind, wo sie auch sein mögen.
***
10.20 Uhr
Jetzt, wo die Beerdigung der Potters immer näher rückt (nur noch vier Stunden und knapp dreißig Minuten), da schleichen sich auch die Tränen wieder klammheimlich in meine Augen. Ich kann nichts dagegen tun, es überkommt mich einfach.
In den letzten paar Tagen gab es zu viele Gefühle, als dass ich sie alle so schnell bewältigen könnte. Es ist zu viel passiert, um es gleich verarbeiten zu können und zu wollen. Ich muss mich langsam an die Geschehnisse herantasten, sonst falle ich in einen gewaltigen Strom an Emotionen, in einen Sog, der mich herumwirbelt, ganz, wie es ihm gefällt. Doch dazu bin ich nicht bereit.
Jetzt ist eindeutig ein Zeitpunkt, an dem ich stark sein sollte, um die zu trösten, die noch mehr leiden als ich. Zugegeben, ich war geschockt, als ich die Nachricht von ihrem Tode erfahren habe. Obwohl... wenn ich es mir recht überlege, dann ist "geschockt" verharmlost. Um die Wahrheit zu sagen, ich bin schluchzend zusammengebrochen. Derartiges am Frühstückstisch in der Zeitung zu lesen, ist wahrhaftig kein besonders gelungener Start in den Tag.
Ich hatte nur Glück, dass sich Severus und Lucius sofort um mich gekümmert haben, sonst weiß ich nicht, was ich in meiner verzweifelten Trauer alles getan hätte. Irgendwie haben es die beiden geschafft, mich in mein Bett zu tragen und dann kann ich mich nur noch daran erinnern, dass jemand die ganze Zeit über meine Hand gestreichelt und ein anderer Draco beruhigt hat, den ich wohl mit meinem wahnsinnigen Schluchzen erschreckt hatte.
Ich muss eingeschlafen sein, denn ich wurde davon wach, dass etwas nach meiner Hand pickte. Was zwischendurch gewesen ist- nun, keine Ahnung. Meine Erinnerung setzt erst an der Stelle wieder ein, als mich die Eule weckte. Es war ein kurzer Brief von Clarence, die mir mitteilte, dass Remus sich in seinem Zimmer eingesperrt hatte und sich beharrlich weigerte, mit irgendjemandem zu sprechen.
Bis heute weiß ich nicht, wie es ihm geht, denn ich wollte lieber persönlich mit ihm reden anstatt zu schreiben. Doch zum Reisen war ich noch zu schwach. Und nun muss ich mich innerlich darauf vorbereiten, Remus zu helfen. Langsam bekomme ich Angst um ihn. Angst, die mit jeder Sekunde wächst, in der ich nicht weiß, was er tut. Ich mache mir solche Sorgen um ihn, denn ihn trifft das Ganze noch viel schlimmer als mich.
Ich hoffe nur, dass Remus nichts Unüberlegtes tut, trotz der Schmerzen, die er zweifelsohne empfinden muss. Würde ihm etwas zustoßen, würde mein schlechtes Gewissen mich in den Wahnsinn treiben und ich würde mir ewig Vorwürfe machen. Dabei geht es mir so schon mief genug.
Nachdem ich Clarences Brief gelesen und den ersten Weinkrampf überwunden hatte, fühlte ich mich wie taub. Ich empfand gar nichts mehr. Bevor ich das nicht selbst erlebt hatte, habe ich nie daran geglaubt, dass es tatsächlich wahr sein sollte: diese Abgestumpftheit, die nach der Trauer hervorgebrochen war und mich vollkommen beherrschte.
Ich habe viel darüber gelesen, dass jeder Mensch mit einem derartigen Schock anders umgeht, doch ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass ich so seltsam reagieren würde. Ich meine, wie kann es denn sein, dass einen der Schmerz so sehr überrollt und man anschließend nichts mehr fühlt?
Es ist genauso unverständlich wie der Tod der beiden. Ich weiß nicht, warum Voldemort sie umgebracht hat und vermutlich werde ich es auch nie erfahren, aber in meinen Augen ist dieser Mord so sinnlos wie all die anderen, die der Dunkle Lord ausgeübt hat, und wie wohl die allermeisten Morde überhaupt. Manche Dinge werden wir wahrscheinlich nie begreifen.
***
11.05 Uhr
Ich habe eben eine halbe Stunde lang mit meinem Sohn gespielt und alles um mich herum vergessen. Warum kann es nicht immer so schön und friedlich sein? Wieso werden uns nur kurze Zeitspannen zuteil, in denen die Welt still steht und die traurigen Gedanken einfach verfliegen? Weshalb kann das Leben eines Erwachsenen nicht genauso leicht sein wie das eines Kindes?
Nehmen wir alles zu schwer oder liegt es daran, dass ein Kind unschuldig ist, das Böse noch nicht kennt und daher keine Scheu und Furcht zeigt? Für Kinder sind alle Menschen ihre Freunde, solange sie einmal nett zu ihnen waren.
Wir Erwachsenen dagegen haben gelernt, misstrauisch zu sein und uns nicht zu schnell auf etwas einzulassen. Ist unser Verhalten falsch oder das der Kinder? Merlin, ich will wieder vertrauen können, ohne vorher groß darüber nachzudenken!
Ich habe mich plötzlich wieder an einen Satz erinnert, den ich vor langer Zeit einmal gelesen habe: "Kinder sind Raupen und Erwachsene sind Schmetterlinge. Und kein Schmetterling erinnert sich mehr daran, wie es sich anfühlte, eine Raupe zu sein."
Mir wurde klar, wie wahr diese Aussage ist. Ich habe nur noch eine vage Vorstellung davon, wie mein Leben früher ausgesehen hat, als ich vielleicht fünf, sechs Jahre alt war. Es wird nie mehr so sein wie damals und ich bedauere es zutiefst, dass meine Erinnerungen beinahe vollständig verloren gegangen sind. Wie habe ich mich in bestimmten Momenten gefühlt? Vergessen. Ich weiß es nicht mehr.
Wie gerne würde ich jetzt so unbeschwert lachen können wie früher, als kleines Mädchen. Für Kinder lachen sämtliche Menschen, nicht wahr? Wir haben doch alle einmal Bilder gemalt, auf denen unsere Familie zu sehen ist, oder Freunde. Und garantiert hatte jede Figur ein breites Grinsen im Gesicht, denn damals war die Welt in Ordnung.
Es war eine Zeit, in der man zwar nicht so sicher war wie heute, weil der Dunkle Lord gerade auf dem Weg zum Höhepunkt seiner Macht war, aber dennoch habe ich sie genossen. Eltern, oder in meinem Fall Verwandte, tun alles, um ihren Kindern das Schreckliche nicht zu zeigen und es vor ihnen zu verstecken. Ich habe auch niemals etwas davon mitbekommen, dass da draußen ein Zauberer war, so grausam, dass ihn jeder, selbst seine Anhänger, fürchteten.
Nun ist er verschwunden, fort und noch immer haben wir Angst, da keiner weiß, was genau geschehen ist und wir deshalb auch nicht sagen können, was passieren wird. Die Zeit des Dunklen Lords hat alles verändert und es ist fraglich, ob es jemals wieder so sein wird, wie es war. Ich zumindest will mich bemühen, meinem Sohn die Kindheit zu bieten, die er verdient, die jedes Kind verdient.
Denn es ist die Unschuld der Kinder, die ein Lächeln auf unsere Gesichter zaubert und oftmals sogar bis in die Herzen der kältesten Menschen vordringt. Kleine Kinder verkörpern die Reinheit, da sie sich in ihrem jungen Leben noch nichts haben zuschulden kommen lassen. Es gibt keinen Grund, den Kindern dieser Welt Böses zu wollen. Sie sind das größte Glück, das wir haben. Sie sind unsere Zukunft.
***
11.25 Uhr
Gut, nachdem ich es bisher vermieden habe, zwei ganz bestimmte Themen anzusprechen, finde ich nun, dass es an der Zeit ist, das Schweigen zu brechen. Um ehrlich zu sein, kann ich mir nicht vorstellen, auf die Beerdigung zu gehen, ohne mir vorher darüber im Klaren zu sein, was ich über diese Sache denke. Über ihn. Über Sirius Black.
Als ich am Morgen nach meinem Zusammenbruch die Zeitung wieder in die Hand genommen und gelesen habe, dass er ein Verräter an Lily und James sein soll, und dass er bereits in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November nach Azkaban gebracht wurde, da war ich noch verwirrter als zuvor. Hatte mich schon der Tod der Potters aus der Bahn geworfen, so gab mir das den Rest.
'Das kann nicht sein!', schoss es mir durch den Kopf. Verwundert überlegte ich, wie man denn überhaupt darauf gekommen war, dass ausgerechnet Sirius seine beiden Freunde verraten haben soll. Für mich bestand kein Zweifel daran, dass er unschuldig war. Jedoch hatte ich aus Clarences Brief erkennen können, dass Remus in dieser Hinsicht ganz anderer Meinung war.
Und das war es, was mich gestört hat, was mich zum Nachdenken angeregt hat. Denn was, bei Merlin, hatte Remus dazu bringen können, etwas Derartiges zu glauben? Was war zwischen ihm und seinem Freund vorgefallen, dass Remus nun ebenfalls Sirius in Verdacht hatte?
Ich kann nicht erklären, was mich selbst so sicher sein lässt, doch etwas Weiteres außer meiner Vernunft beharrt darauf, dass Sirius definitiv kein Verräter ist. Vielleicht ist es eine Art Stolz, der mir verbietet, auch nur daran zu denken, dass der Mann, den ich einmal so sehr geliebt habe, so etwas Hinterhältiges getan hätte. Viel wahrscheinlicher ist es allerdings, dass mein Herz sich gegen diese Behauptung wehrt.
Ich vermute, es ist ganz einfach Wissen. Simples Wissen. Obwohl ich es nicht verstehe. Ist das Vertrauen? Jemandem zu glauben, an seine Unschuld zu glauben, fest darauf zu beharren, obgleich man die Wahrheit nicht kennt und vielleicht nie erfahren wird? Trotz all dem, was die anderen sagen, an seiner Meinung festzuhalten und seinen Freund zu verteidigen?
Egal, wie sehr sich die Beweise häufen und ganz egal, wie viele Zeugen es gibt. Und wenn jemand, der einem ebenfalls sehr nahe steht, nun auch diese "Lüge" als Wahrheit ansieht... wenn man dennoch von der Unschuld dieses ersten Jemands überzeugt ist, dann ist das Vertrauen wahrlich größer als alles andere.
Irgendwer hat mir mal gesagt, dass Vertrauen die stillste Art von Mut ist. Ich muss sagen, der Gedanke gefällt mir. Vielleicht ist das hier meine Möglichkeit, Mut zu beweisen, indem ich an die Unschuld eines angeklagten und verhafteten Mörders glaube. Vielmehr kann ich auch nicht tun, aber einfach nur herumzusitzen, verkrafte ich nicht. Ich muss etwas unternehmen, und wenn es bloß die Tatsache ist, dass ich einem alten Freund vertraue. Nach allem, was geschehen ist.
***
12.05 Uhr
Es scheint, als käme ich heute nicht von meinem Tagebuch los. Zu vieles beschäftigt mich und nun habe ich endlich die Zeit, die mir in den letzten paar Tagen so sehr gefehlt hat. Im Moment bin ich alleine, denn Lucius ist zum Zaubereiminister gegangen und bemüht sich, seinen beschädigten Ruf wieder zu kitten. Ich weiß gar nicht, was er alles vorhat, doch es sind auch ein paar Ideen dabei, die ich für gut halte.
Spenden für das St. Mungo, für das Waisenhaus St. Agnes und für andere wohltätige Einrichtungen. Ich bin mir durchaus der Tatsache bewusst, dass Luc das alles nur tut, um besser dazustehen, aber mir bedeutet es wirklich viel. Es ist meine einzige Möglichkeit, direkt zu helfen und die werde ich nutzen.
Ich hatte sogar vor einiger Zeit die Idee, für ein paar Stunden täglich im Krankenhaus zu arbeiten. Andere Menschen zu unterstützen und ihnen Mut zu machen, bedeutet Glück für mich. Ich bin nur fröhlich, wenn meine Mitmenschen es auch sind. Allerdings muss ich davor noch eine Hürde meistern.
Meinem Mann dürfte es kaum gefallen, wenn ich dorthin ginge. "Eine Malfoy braucht sich nicht aufzuopfern!" wird er sagen. Doch ich will mich ja aufopfern! Ich möchte arbeiten gehen und das Gefühl haben, nützlich zu sein! Wenn Luc will, dass es mir gut geht, dann muss er es mir einfach erlauben.
Was Lucius selbst angeht, so reden wir derzeit kaum miteinander. Der Mord an Lily und James, das zweite Thema, das ich vermieden habe, steht zwischen uns, obwohl mir sowohl mein Mann als auch Severus geschworen haben, dass sie nichts damit zu tun haben. Wie ich bereits schrieb- wir kennen als Erwachsene nur noch Misstrauen und daher zögere ich etwas damit, ihren Worten Glauben zu schenken.
Die Situation ist nicht einfach für mich. Ich bin davon überzeugt, dass mir auch Remus seine eigene Version davon erzählen wird, warum Sirius seiner Meinung nach zum Verräter geworden ist. Überhaupt sagt jeder etwas anderes und alle klingen irgendwo glaubhaft. Es gibt nur eine Lösung: Ich muss meine eigene Wahrheit finden und abwarten.
Irgendwann wird sich alles aufklären und bis dahin halte ich nun mal an meiner Wahrheit und Meinung fest. Sirius Black ist weder ein Verräter noch ein Massenmörder von Muggeln. Und eines weiß ich gewiss: Ich für meinen Teil werde schweigen. Es existieren bereits genügend falsche Gerüchte.
***
12.40 Uhr
Und meine Tränen laufen wieder... Gerade saß ich eine Weile am Fenster und habe Draco beobachtet, wie er schlief. Doch dann ist mir eingefallen, dass Lily und James das bei ihrem Sohn nie wieder tun können. Seine Eltern werden nicht da sein, um ihm dabei zuzusehen, wie er älter wird und wächst. Sie werden es nicht miterleben, wenn er sich zum ersten Mal weh tut und sie werden ihn nicht trösten können. Lily und James werden niemals gemeinsam mit ihrem Sohn durch die Winkelgasse laufen und aufgeregt die Sache für sein erstes Jahr in Hogwarts kaufen.
Ich kann nur hoffen, dass sie, wo sie auch sein mögen, dennoch ein klein wenig Anteil an seinem Leben haben werden, obwohl sie sich in diesem Leben wohl nicht begegnen werden. Aber sie werden für immer in seinem Herzen wohnen, davon bin ich überzeugt.
Clarence hat mir auch geschrieben, dass der kleine Harry Potter bei Lilys Schwester und deren Familie aufwachsen wird, also bei Muggeln. Allerdings wollte Dumbledore es nicht bekannt geben und hat offenbar all die, die es wissen oder auf irgendeine Weise davon erfahren, so wie ich, mit einem Zauber belegt, so dass er es mitbekommt, sollte es jemand verraten.
Harry tut mir Leid. Was kann es für ein Kind Schlimmeres geben, als ohne Eltern groß zu werden? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er bei dieser Petunia glücklich wird. Zwar habe ich Lilys Schwester nie persönlich getroffen, doch durch bestimmte Erzählungen kann ich mir ein gutes Bild von ihr machen.
Lily hatte oft betont, wie gut sie beide sich verstanden hatten, bevor herausgekommen war, dass sie eine Hexe war. Ich wusste, dass Lils Eltern sehr stolz auf sie gewesen waren und ganz offenbar hat Petunia das nie vollständig überwunden. Es ist nicht schön, wenn die Schwester aus der eigenen Sicht heraus bevorzugt wird. Und genau so muss es Petunia vorgekommen sein.
Nun, wahrscheinlich wird sie ebenfalls auf der Beerdigung erscheinen und ich werde sie kennenlernen. Vielleicht möchte sie das Geschenk haben, das ich für Remus vorbereitet habe. Ein Fotoalbum mit alten Bildern aus unserer Schulzeit dürfte sowohl Remus als auch später Harry sehr gut gefallen. Immerhin denke ich nicht, dass er viele Erinnerungen an seine Eltern hat.
Und so, wie es meinem alten Freund derzeit geht, ist es gut möglich, dass er sich weigert, etwas anzunehmen, was ihn an früher erinnert. Aber wenn ich Glück habe, dann vergisst er für einen kurzen Moment seinen Schmerz und lächelt selig, weil er an einen der vielen Streiche denkt, die die Marauders, wie sich Sirius, James, Peter und er genannt haben, angestellt haben. Wie gesagt. Wenn ich Glück habe.
***
13.25 Uhr
Mir ist etwas eingefallen. Die Grabrede. Ich gehe davon aus, dass Remus sie halten wird, doch ich bezweifle, dass er es überstehen wird. Wie viel will er sich denn noch aufbürden? Irgendwann wird er zusammenbrechen und keiner seiner damaligen Freunde wird ihm helfen können, weil sie entweder tot oder im Gefängnis sind!
Und Remus selbst, er hat als Werwolf keine leichte Position. Kaum jemand wird ihn einstellen wollen, da er eine Gefahr darstellt. Es ist mir sowieso ein Rätsel, wie er bisher mit dem wenigen Geld, das er besitzt, auskommen konnte. Remus braucht eine Arbeit und ich zermartere mir den Kopf darüber, wie ich ihm behilflich sein könnte.
Lucius scheidet aus. Mein Mann würde niemals eine, wie er es nennt, Kreatur unterstützen, die nicht vollkommen menschlich ist. Als ob das bei Freundschaft eine Rolle spielen würde! Aber halt, ich vergaß: Slytherins sind Egoisten. Haben sie die Wahl zwischen sich selbst zu helfen oder einem anderen- ratet mal, für was sie sich entscheiden würden!
Und ich alleine kann kaum etwas ausrichten. Meine Kontakte sind, um es gelinde auszudrücken, quasi nicht vorhanden. Alles, was ich bin, bin ich, so sehr es mich schmerzt, durch meinen Mann. Schrecklich, oder? Auf jemanden so sehr angewiesen zu sein. Und genau deshalb will ich mich ein wenig von ihm lösen, arbeiten gehen und möglichst etwas finden, wobei ich mich und andere glücklich machen kann.
Doch Lucius dürfte das nicht verstehen. Für ihn ist es selbstverständlich, dass sich jeder nur um sein eigenes Wohl kümmert. Natürlich, ich habe auch meinen Selbsterhaltungstrieb, ich ziehe genau wie alle anderen die Notbremse, wenn ich merke, dass ich mir nur selbst schade, dabei allerdings Fremde glücklich mache.
Aber ich weiß auch, wie weh es tut, wenn man ganz alleine ist und niemand einem zur Seite steht! Das hat kein Mensch verdient! Für alles gibt es eine Grenze und meine liegt, was das betrifft, ziemlich weit weg von mir. Ich reagiere grundsätzlich zu spät für mein eigenes Glück und kümmere mich zuerst um meine Freunde. Das ist doch kein Fehler!
Wenn jeder so handeln würde, wäre dann die Welt nicht um einiges besser als sie jetzt ist? Wir sind nur zu blind, um zu erkennen, was wir falsch machen. Daher gibt es so viel Unheil, so viel Krieg, so viel Schmerz. Man muss Zeichen setzen und indem ich Remus helfe, zeige ich, dass es auf die inneren Werte ankommt, nicht auf das, was andere in einem sehen.
Hoffentlich sehen das die anderen genauso, sonst nützt es Remus rein gar nichts, egal, wie sehr ich mich engagiere. Wenn alle Stricke reißen, dann vergesse ich, was ich geschrieben habe, und wende mich trotz allem an Lucius. Sollte das eintreten, muss ich beten, dass er für mich alles tun würde.
~~~Szenenwechsel~~~
14.05 Uhr
Merlin, ich kann das nicht! Ich kann mich nicht vor allen Leuten hinstellen und eine Rede über das Leben von Lily und James halten! Ich schaffe es nicht, das zu erzählen, weil ich noch immer nicht glauben kann, dass sie wirklich tot sind. Und was noch wichtiger ist: was soll ich denn sagen? Was für wunderbare Menschen die zwei waren? Das weiß doch nun wirklich jeder selbst, der auf ihre Beerdigung kommt!
Soll ich vielleicht etwas über unsere glückliche Schulzeit erzählen? Klasse Idee, dann fällt allen wieder ein, dass Sirius ja James' bester Freund und auch offensichtlich ein Verräter ist. Langsam weiß ich nicht mehr, was ich noch glauben soll. Wenn ich an unsere Zeit in Hogwarts zurückdenke, an die Zeit, in der wir einfach nur die Marauders waren, dann fällt mir Sirius ein, wie er fröhlich lachend durch die Gänge rennt und irgendeinen neuen Streich ausheckt.
Aber gleich danach wandern meine Augen zu dem Foto, auf dem Sirius und Annick in eindeutigen Posen abgebildet sind. Nicht zu vergessen: die schmalzigen Liebesbriefe, die dazugehören. Da ist eine Stimme in meinem Kopf, die immer wieder ruft: "Warte Moony, ich helf dir!" und parallel dazu erscheint das passende Bild: Sirius, wie er mir Bücher abnimmt, als ich vollkommen beladen in den Gemeinschaftsraum wanke und kaum noch das Gleichgewicht halten kann.
"Lass ihn in Frieden!" Wie oft haben Sirius und James diesen einen Satz gezischt, wenn sich mir jemand näherte und es offensichtlich war, dass nichts Gutes dabei herauskommen würde. Mindestens einmal in der Woche duellierte sich Sirius, weil er wütend darüber war, dass viele Slytherins dachte, ich wäre eine wehrlose Zielscheibe. Er hat sie so oft eines Besseren belehrt.
Ich bin ihm unendlich dankbar für alles, was er meinetwegen auf sich genommen hat. Er hielt mich für schwach und wollte mein Beschützer sein, was ich mir auch meistens gefallen ließ. Es ist schön zu wissen, dass da jemand ist, auf den du dich verlassen kannst, dem du vertrauen kannst und der für dich da ist, wenn du ihn brauchst.
Jetzt ist dieses Vertrauen beinahe verschwunden. Plötzlich fällt mir ein, was für ein Aufreißertyp Sirius schon immer gewesen ist und dann fange ich an, zu zweifeln. Dabei hätte ich niemals geglaubt, dass ich mir Gedanken über einen meiner besten Freunde und meine große Liebe zu machen. Ich bin enttäuscht von mir, weil ich es Annick zutraue, mich mit Sirius betrogen zu haben.
Ich habe mittlerweile aufgehört zu zählen, wie oft ich mich bereits in Gedanken bei ihr entschuldigt habe. Ich bin vollkommen verwirrt, weil jeder etwas anderes erzählt und ich keine Ahnung habe, wem ich Glauben schenken soll. Meinen Augen? Dann würde es stimmen, dass Annick und Sirius eine Affäre hatten. Meinem Gehirn? Besser nicht. Ich weiß ja nicht einmal, was ich denken soll. Oder doch meinem Herz?
Demnach wäre Sirius unschuldig, in beiden Fällen. Dann hätte er weder mich noch James betrogen. Das ist es, was ich glauben will, was ich mir wünsche, dass es wahr ist, aber ich bin mir nicht sicher. Es gibt keine Beweise. Ich muss mich auf mein Gefühl verlassen und langsam misstraue ich mir selbst.
Es ist so vieles geschehen in den letzten paar Tagen, was es mir unmöglich erscheinen lässt, jetzt einfach normal weiterzumachen. Warum überlege ich überhaupt noch? Ich habe meinen Beschluss bereits gefasst. Sobald die Beerdigung zu Ende ist, werde ich meinen Plan durchziehen und ein neues Leben beginnen, weil mein altes mich wahnsinnig macht.
Tag und Nacht quälen mich Bilder, Bilder aus meiner glücklichen Zeit mit Annick. Bilder, auf denen ich vielleicht elf Jahre alt bin und von einigen bulligen Slytherins bedroht werde, denen allerdings James und Sirius Flüche auf den Hals hetzen. Und auch Bilder von Lily und James, wie sie glücklich lächeln und ein stolzes Funkeln in ihren Augen verrät, dass Harry nicht weit weg sein kann.
Doch am meisten verfolgt mich ein einzelnes Bild. Immer und immer wieder kann ich Annicks Gesicht sehen, leichenblass und mit riesigen Augen, die mich vorwurfsvoll anschauen. Und jedes Mal sagt sie dasselbe, bevor sie verschwindet und mir ein paar Stunden Ruhe lässt. "Wie konntest du zulassen, dass es soweit kommt?"
Ich mache mir Vorwürfe, zu blind gewesen zu sein, um irgendwelche Unklarheiten erkennen zu können. Vielleicht ist Sirius der Verräter, aber hätte ich dann Annick diese Beziehung anhängen sollen? Vielleicht ist er es auch nicht, dann bleibt immer noch die Frage nach dem wahren Täter. Und, bei Merlin, als Freund von Lily und James hätte ich Anhaltspunkte bemerken sollen, die es mir einfach machten, den Verräter zu identifizieren.
Mir kommt das alles vor wie ein riesengroßes Spiel. Das Vertrauen, das wir einst hatten, ist zusammengebrochen und existiert nicht länger. Wir haben verloren, jeder einzelne von uns. Das Spiel ist vorbei und ich habe Angst, es nicht richtig gespielt zu haben, nie ganz und gar dabei gewesen zu sein.
Nun ist es zu spät und ich fange an, zu bereuen. Mein schlechtes Gewissen plagt mich, denn ich weiß, ich hätte einiges verhindern können. Merlin, wie soll ich das nur jemals wieder gut machen? Vielleicht, indem ich dafür sorge, dass niemand vergisst, was geschehen ist. Solange wir an Lily und James denken, werden sie weiterleben.
Für immer in meinem Herzen.
~~~Szenenwechsel~~~
"Schatz, Mami muss jetzt gehen. Sei schön brav, ja? Mach mir keinen Kummer, bist doch so ein lieber Junge, nicht wahr? Und nicht wieder weinen, Süßer. Bald komm ich zurück und dann spielen wir zwei, so wie vorhin." Die blonde Frau strich ihrem Sohn sanft über die Wange, beugte sich nach vorne und hauchte einen Kuss auf seine Stirn. Ein fröhliches, krähendes Lachen war die Antwort und Narcissa schmunzelte. Er würde ihr fehlen, die paar Stunden, in denen sie woanders war.
Langsam richtete sie sich auf, zog fürsorglich die Decke über ihr Kind und stupse vorsichtig seine Wiege an, sodass diese leicht schaukelte. Narcissa hob den Blick, sah ihr Gegenüber durchdringend an und meinte kühl: "Vielen Dank, dass du dich dazu bereit erklärt hast, auf Draco aufzupassen, Margaret. Ich werde es nicht vergessen." Lucius' Mutter verzog ihre Lippen zu einem spöttischen Grinsen. "Jede Großmutter freut sich darüber, auf ihr Enkelkind aufpassen zu können. Du tust mir hiermit eher einen Gefallen. Und nun verschwinde endlich, du kommst noch zu spät."
Schweigend ignorierte Cis, was die andere Frau soeben gesagt hatte und nickte nur. Eilig schlüpfte sie in den schwarzen Mantel, den sie vor langer Zeit einmal von ihrem Vater aus Frankreich geschenkt bekommen hatte, und griff nach einer ebenfalls schwarzen Tasche. Ihre langen Haare hatte sie zu einem Knoten aufgesteckt, weil es ihr unpassend vorgekommen war, mit offenen Locken auf einer Beerdigung zu erscheinen.
Nach einem flüchtigen Abschiedsgruß rannte sie die Treppe hinunter, durch die Eingangshalle und verschwand nach draußen. Ihr noch geöffneter Mantel flatterte im Wind und offenbarte das schwarze Kostüm, das sie darunter trug. Beinahe tat es Narcissa Leid, dass ihre Haare nicht genauso dunkel waren, wie sie es sich für diesen Tag gewünscht hätte. Einfach alles schrie nach Trauer, sogar die Wolken am Himmel schienen grau und warteten offenbar nur darauf, aufzubrechen und es regnen zu lassen.
Cis drehte sich ein letztes Mal um, wurde einer flüchtigen Bewegung an ihrem Fenster gewahr und schluckte kurz. Draco bei Margaret zurückzulassen war, war das einzig Mögliche gewesen. Lucius war unterwegs, kittete seinen Ruf und da war es seiner Frau nur natürlich erschienen, die Großmutter nach Malfoy Manor zu bitten. Sicher, gerne hatte sie es nicht getan, aber manchmal mussten Opfer gebracht werden. Und Narcissa wollte um nichts auf der Welt die Beerdigung verpassen, schon allein wegen Remus nicht.
Sie hatte es bisher wunderbar vermeiden können, darüber nachzugrübeln, wie Remus das alles unbeschadet überstehen wollte. Über ein bisschen Hilfe würde er sich mit Sicherheit freuen, also würde sie auch hingehen und ihn unterstützen, so gut es eben ging. Draco mitzunehmen erschien ihr vollkommen unmöglich. Eine Beerdigung war wohl kaum der richtige Ort für ein kleines Kind.
Mittlerweile war Narcissa immer tiefer in den weitläufigen Park gelangt, der zu ihrem Haus gehörte. In der Mitte der Anlage hatte Lucius kurz nach ihrer Hochzeit einen Pavillon anlegen lassen, an dem sie nun vorbei kam. Er war klein, weiß angestrichen und bot kaum Platz für den Flügel, der, wie Cis wusste, darin stand und darauf wartete, dass jemand auf ihm spielen würde.
Wie oft hatte sie es schon tun wollen, ihre Scheu überwinden, einfach dorthin gehen, ihre Geige mitnehmen und dann ganz in der Musik versinken. Doch sie konnte es nicht. Etwas hielt sie davon ab und dieses Etwas war ihre Erinnerung. Sirius beherrschte in gewisser Weise nach wie vor ihr Denken. Sie war der Ansicht gewesen, darüber hinwegzusein, aber da waren diese kleinen Dinge, die ihr auffielen und ihn vor ihrem inneren Auge erscheinen ließen.
Er hatte ihre Hände Pianistenhände genannt. Ob sie wohl jemals fähig sein würde, auf dem Flügel zu spielen und zu singen, ohne in Tränen auszubrechen, weil sein Schatten sie noch immer verfolgte? Mittlerweile war sie immerhin schon so weit, dass sie nicht mehr an ihre Liebe dachte. Seine ganze Person, sein Wesen, seine Streiche, all das konnte sie allerdings nicht aus ihrem Gedächtnis streichen.
Sirius war ein Teil ihrer Vergangenheit, er gehörte irgendwo zu ihrem Leben und daran hatte sie sich so lange gewöhnt, dass es ihr jetzt beinahe unmöglich erschien, ihn aus ihrem Herzen zu löschen. Und wahrscheinlich hatte sie Recht. Es war nicht möglich. Sie musste lernen, damit umzugehen und sich dennoch weiterzuentwickeln. Wenn sie die Beerdigung heute überstand, dann würde sie morgen auf dem Flügel spielen.
Ihn zu vergessen, das konnte und wollte sie nicht. Sie wollte sich nicht selbst vergessen, also musste sie ihre gemeinsame Zeit akzeptieren und zu den Akten legen. Ihr Leben spielte sich hier und jetzt ab, bei Lucius und Draco. Sirius war vergangen, Geschichte. °Es kommt mir so vor, als wäre alles ein großes Theaterstück. Ich stehe jeden Tag auf der Bühne, man gönnt mir kaum eine Verschnaufpause und bisher gab es nur einen Akt mit verschiedenen Szenen aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Zeiten.
Nach der Beerdigung beginnt der zweite Akt. Narcissas neues Leben.°
~~~
Reviews bitte :o)
Edit: Leaky, ich habs geändert. Hoffe, du kannst damit leben :o).
Vielen, vielen Dank für die lieben Kommis! Ich hoff, ich hab dieses Mal nicht ganz so lang gebraucht? :o) Dafür kommt der nächste Teil dieses Kapitels auch schneller, ist nämlich auch schon geschrieben, aber ich glaub, bei 22 Seiten auf einmal wird euch das ein wenig viel, hm? Das hier ist also nur der erste Teil, Tagebucheinträge und ein kleiner Teil, in dem was passiert :o).
Viel Spass mit dem Lesen!
Maia
~~~
Die Lüge eines Lebens 17
Teil Eins
Für immer vereint I
09.00 Uhr
Alles im Leben ist vergänglich. Körper, Seele, Gefühle. Das ist es zumindest, was man uns erzählt. Und dennoch wird man wohl kaum ein Märchen finden, in dem die Liebe nicht siegt. Wie heißt es noch so schön? "Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage."
Was passiert also, wenn einer von beiden stirbt? Ist die Liebe damit verloren? Oder aber wird derjenige, der weiterlebt, den anderen lieben, bis er selbst stirbt? Und wenn man sich neu verliebt, ist es dann Verrat? Ein komplexes Thema, nicht wahr? Eine Frage, auf die es keine wirkliche Antwort gibt, weil jeder Mensch verschieden ist.
Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht und es verfolgt mich, bis in den Schlaf. Nachts liege ich stundenlang wach, lausche Lucs ruhigen Atemzügen und versuche verzweifelt, die Schwierigkeiten zu meistern und eine Erwiderung zu finden. Oder ich träume davon.
Was bedeutet heutzutage schon noch wahre Liebe, die ewig hält? Wer bindet sich noch durch die Ehe, weil er sich so sicher ist? Man kann sich mittlerweile scheiden lassen, ohne dass es den Ruf schädigt, oder man lebt ganz einfach ohne Trauschein. Wen interessierts? Hauptsache, man ist glücklich.
Warum ich mich so intensiv damit beschäftige? Das ist einfach. Ich bin ebenfalls verheiratet und überlege, ob es die Liebe gibt, von der uns immer in Filmen vorgeschwärmt wird. Diese bedingungslose Liebe, die niemals zerbricht, und für die man einfach alles aufgeben, hinter sich lassen würde.
Ich dachte, so in etwa könnte man meine Beziehung zu Sirius Black beschreiben, doch weit gefehlt! Oder wie könnte ich es sonst erklären, dass ich momentan an meinem Schreibtisch in Malfoy Manor sitze und einen Ring trage, in den "Lucius" eingraviert ist? Eben. Also hatte ich ganz offenbar nicht diese Gefühle für Sirius, die die Welt um mich herum zum Beben gebracht hätten.
Oder gibt es tatsächlich keine Liebe, die ein Leben lang anhält? Nur im Film kann sie perfekt sein, nicht wahr? Beim Schauspiel ist alles möglich.
Gut. Ich habe gelogen.
Ich denke darüber nach, weil zwei meiner Freunde gestorben sind, die sich heiß und innig geliebt haben. Irgendetwas in mir sträubt sich gegen die Vorstellung, dass dieses tiefe Gefühl nun einfach so verschwunden ist, als hätte es nie existiert. Immerhin haben die beiden einen Sohn, Harry. Und sagt man nicht immer, dass ein Kind die Krönung der Liebe ist?
Bei Lily und James hat es zweifelsfrei gestimmt. Jeder, der die kleine Familie gesehen hat, konnte das glückliche Funkeln in den Augen der stolzen Eltern erkennen. Jeder hat bemerkt, wie unruhig sie erschienen, wenn sie voneinander getrennt waren. Bei ihnen war es eindeutig, dass sie zusammengehörten. Und nun sind sie sogar gemeinsam gestorben. Egal, wie lange Liebe anhält, ich bin davon überzeugt, dass Lily und James für immer vereint sind, wo sie auch sein mögen.
***
10.20 Uhr
Jetzt, wo die Beerdigung der Potters immer näher rückt (nur noch vier Stunden und knapp dreißig Minuten), da schleichen sich auch die Tränen wieder klammheimlich in meine Augen. Ich kann nichts dagegen tun, es überkommt mich einfach.
In den letzten paar Tagen gab es zu viele Gefühle, als dass ich sie alle so schnell bewältigen könnte. Es ist zu viel passiert, um es gleich verarbeiten zu können und zu wollen. Ich muss mich langsam an die Geschehnisse herantasten, sonst falle ich in einen gewaltigen Strom an Emotionen, in einen Sog, der mich herumwirbelt, ganz, wie es ihm gefällt. Doch dazu bin ich nicht bereit.
Jetzt ist eindeutig ein Zeitpunkt, an dem ich stark sein sollte, um die zu trösten, die noch mehr leiden als ich. Zugegeben, ich war geschockt, als ich die Nachricht von ihrem Tode erfahren habe. Obwohl... wenn ich es mir recht überlege, dann ist "geschockt" verharmlost. Um die Wahrheit zu sagen, ich bin schluchzend zusammengebrochen. Derartiges am Frühstückstisch in der Zeitung zu lesen, ist wahrhaftig kein besonders gelungener Start in den Tag.
Ich hatte nur Glück, dass sich Severus und Lucius sofort um mich gekümmert haben, sonst weiß ich nicht, was ich in meiner verzweifelten Trauer alles getan hätte. Irgendwie haben es die beiden geschafft, mich in mein Bett zu tragen und dann kann ich mich nur noch daran erinnern, dass jemand die ganze Zeit über meine Hand gestreichelt und ein anderer Draco beruhigt hat, den ich wohl mit meinem wahnsinnigen Schluchzen erschreckt hatte.
Ich muss eingeschlafen sein, denn ich wurde davon wach, dass etwas nach meiner Hand pickte. Was zwischendurch gewesen ist- nun, keine Ahnung. Meine Erinnerung setzt erst an der Stelle wieder ein, als mich die Eule weckte. Es war ein kurzer Brief von Clarence, die mir mitteilte, dass Remus sich in seinem Zimmer eingesperrt hatte und sich beharrlich weigerte, mit irgendjemandem zu sprechen.
Bis heute weiß ich nicht, wie es ihm geht, denn ich wollte lieber persönlich mit ihm reden anstatt zu schreiben. Doch zum Reisen war ich noch zu schwach. Und nun muss ich mich innerlich darauf vorbereiten, Remus zu helfen. Langsam bekomme ich Angst um ihn. Angst, die mit jeder Sekunde wächst, in der ich nicht weiß, was er tut. Ich mache mir solche Sorgen um ihn, denn ihn trifft das Ganze noch viel schlimmer als mich.
Ich hoffe nur, dass Remus nichts Unüberlegtes tut, trotz der Schmerzen, die er zweifelsohne empfinden muss. Würde ihm etwas zustoßen, würde mein schlechtes Gewissen mich in den Wahnsinn treiben und ich würde mir ewig Vorwürfe machen. Dabei geht es mir so schon mief genug.
Nachdem ich Clarences Brief gelesen und den ersten Weinkrampf überwunden hatte, fühlte ich mich wie taub. Ich empfand gar nichts mehr. Bevor ich das nicht selbst erlebt hatte, habe ich nie daran geglaubt, dass es tatsächlich wahr sein sollte: diese Abgestumpftheit, die nach der Trauer hervorgebrochen war und mich vollkommen beherrschte.
Ich habe viel darüber gelesen, dass jeder Mensch mit einem derartigen Schock anders umgeht, doch ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass ich so seltsam reagieren würde. Ich meine, wie kann es denn sein, dass einen der Schmerz so sehr überrollt und man anschließend nichts mehr fühlt?
Es ist genauso unverständlich wie der Tod der beiden. Ich weiß nicht, warum Voldemort sie umgebracht hat und vermutlich werde ich es auch nie erfahren, aber in meinen Augen ist dieser Mord so sinnlos wie all die anderen, die der Dunkle Lord ausgeübt hat, und wie wohl die allermeisten Morde überhaupt. Manche Dinge werden wir wahrscheinlich nie begreifen.
***
11.05 Uhr
Ich habe eben eine halbe Stunde lang mit meinem Sohn gespielt und alles um mich herum vergessen. Warum kann es nicht immer so schön und friedlich sein? Wieso werden uns nur kurze Zeitspannen zuteil, in denen die Welt still steht und die traurigen Gedanken einfach verfliegen? Weshalb kann das Leben eines Erwachsenen nicht genauso leicht sein wie das eines Kindes?
Nehmen wir alles zu schwer oder liegt es daran, dass ein Kind unschuldig ist, das Böse noch nicht kennt und daher keine Scheu und Furcht zeigt? Für Kinder sind alle Menschen ihre Freunde, solange sie einmal nett zu ihnen waren.
Wir Erwachsenen dagegen haben gelernt, misstrauisch zu sein und uns nicht zu schnell auf etwas einzulassen. Ist unser Verhalten falsch oder das der Kinder? Merlin, ich will wieder vertrauen können, ohne vorher groß darüber nachzudenken!
Ich habe mich plötzlich wieder an einen Satz erinnert, den ich vor langer Zeit einmal gelesen habe: "Kinder sind Raupen und Erwachsene sind Schmetterlinge. Und kein Schmetterling erinnert sich mehr daran, wie es sich anfühlte, eine Raupe zu sein."
Mir wurde klar, wie wahr diese Aussage ist. Ich habe nur noch eine vage Vorstellung davon, wie mein Leben früher ausgesehen hat, als ich vielleicht fünf, sechs Jahre alt war. Es wird nie mehr so sein wie damals und ich bedauere es zutiefst, dass meine Erinnerungen beinahe vollständig verloren gegangen sind. Wie habe ich mich in bestimmten Momenten gefühlt? Vergessen. Ich weiß es nicht mehr.
Wie gerne würde ich jetzt so unbeschwert lachen können wie früher, als kleines Mädchen. Für Kinder lachen sämtliche Menschen, nicht wahr? Wir haben doch alle einmal Bilder gemalt, auf denen unsere Familie zu sehen ist, oder Freunde. Und garantiert hatte jede Figur ein breites Grinsen im Gesicht, denn damals war die Welt in Ordnung.
Es war eine Zeit, in der man zwar nicht so sicher war wie heute, weil der Dunkle Lord gerade auf dem Weg zum Höhepunkt seiner Macht war, aber dennoch habe ich sie genossen. Eltern, oder in meinem Fall Verwandte, tun alles, um ihren Kindern das Schreckliche nicht zu zeigen und es vor ihnen zu verstecken. Ich habe auch niemals etwas davon mitbekommen, dass da draußen ein Zauberer war, so grausam, dass ihn jeder, selbst seine Anhänger, fürchteten.
Nun ist er verschwunden, fort und noch immer haben wir Angst, da keiner weiß, was genau geschehen ist und wir deshalb auch nicht sagen können, was passieren wird. Die Zeit des Dunklen Lords hat alles verändert und es ist fraglich, ob es jemals wieder so sein wird, wie es war. Ich zumindest will mich bemühen, meinem Sohn die Kindheit zu bieten, die er verdient, die jedes Kind verdient.
Denn es ist die Unschuld der Kinder, die ein Lächeln auf unsere Gesichter zaubert und oftmals sogar bis in die Herzen der kältesten Menschen vordringt. Kleine Kinder verkörpern die Reinheit, da sie sich in ihrem jungen Leben noch nichts haben zuschulden kommen lassen. Es gibt keinen Grund, den Kindern dieser Welt Böses zu wollen. Sie sind das größte Glück, das wir haben. Sie sind unsere Zukunft.
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11.25 Uhr
Gut, nachdem ich es bisher vermieden habe, zwei ganz bestimmte Themen anzusprechen, finde ich nun, dass es an der Zeit ist, das Schweigen zu brechen. Um ehrlich zu sein, kann ich mir nicht vorstellen, auf die Beerdigung zu gehen, ohne mir vorher darüber im Klaren zu sein, was ich über diese Sache denke. Über ihn. Über Sirius Black.
Als ich am Morgen nach meinem Zusammenbruch die Zeitung wieder in die Hand genommen und gelesen habe, dass er ein Verräter an Lily und James sein soll, und dass er bereits in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November nach Azkaban gebracht wurde, da war ich noch verwirrter als zuvor. Hatte mich schon der Tod der Potters aus der Bahn geworfen, so gab mir das den Rest.
'Das kann nicht sein!', schoss es mir durch den Kopf. Verwundert überlegte ich, wie man denn überhaupt darauf gekommen war, dass ausgerechnet Sirius seine beiden Freunde verraten haben soll. Für mich bestand kein Zweifel daran, dass er unschuldig war. Jedoch hatte ich aus Clarences Brief erkennen können, dass Remus in dieser Hinsicht ganz anderer Meinung war.
Und das war es, was mich gestört hat, was mich zum Nachdenken angeregt hat. Denn was, bei Merlin, hatte Remus dazu bringen können, etwas Derartiges zu glauben? Was war zwischen ihm und seinem Freund vorgefallen, dass Remus nun ebenfalls Sirius in Verdacht hatte?
Ich kann nicht erklären, was mich selbst so sicher sein lässt, doch etwas Weiteres außer meiner Vernunft beharrt darauf, dass Sirius definitiv kein Verräter ist. Vielleicht ist es eine Art Stolz, der mir verbietet, auch nur daran zu denken, dass der Mann, den ich einmal so sehr geliebt habe, so etwas Hinterhältiges getan hätte. Viel wahrscheinlicher ist es allerdings, dass mein Herz sich gegen diese Behauptung wehrt.
Ich vermute, es ist ganz einfach Wissen. Simples Wissen. Obwohl ich es nicht verstehe. Ist das Vertrauen? Jemandem zu glauben, an seine Unschuld zu glauben, fest darauf zu beharren, obgleich man die Wahrheit nicht kennt und vielleicht nie erfahren wird? Trotz all dem, was die anderen sagen, an seiner Meinung festzuhalten und seinen Freund zu verteidigen?
Egal, wie sehr sich die Beweise häufen und ganz egal, wie viele Zeugen es gibt. Und wenn jemand, der einem ebenfalls sehr nahe steht, nun auch diese "Lüge" als Wahrheit ansieht... wenn man dennoch von der Unschuld dieses ersten Jemands überzeugt ist, dann ist das Vertrauen wahrlich größer als alles andere.
Irgendwer hat mir mal gesagt, dass Vertrauen die stillste Art von Mut ist. Ich muss sagen, der Gedanke gefällt mir. Vielleicht ist das hier meine Möglichkeit, Mut zu beweisen, indem ich an die Unschuld eines angeklagten und verhafteten Mörders glaube. Vielmehr kann ich auch nicht tun, aber einfach nur herumzusitzen, verkrafte ich nicht. Ich muss etwas unternehmen, und wenn es bloß die Tatsache ist, dass ich einem alten Freund vertraue. Nach allem, was geschehen ist.
***
12.05 Uhr
Es scheint, als käme ich heute nicht von meinem Tagebuch los. Zu vieles beschäftigt mich und nun habe ich endlich die Zeit, die mir in den letzten paar Tagen so sehr gefehlt hat. Im Moment bin ich alleine, denn Lucius ist zum Zaubereiminister gegangen und bemüht sich, seinen beschädigten Ruf wieder zu kitten. Ich weiß gar nicht, was er alles vorhat, doch es sind auch ein paar Ideen dabei, die ich für gut halte.
Spenden für das St. Mungo, für das Waisenhaus St. Agnes und für andere wohltätige Einrichtungen. Ich bin mir durchaus der Tatsache bewusst, dass Luc das alles nur tut, um besser dazustehen, aber mir bedeutet es wirklich viel. Es ist meine einzige Möglichkeit, direkt zu helfen und die werde ich nutzen.
Ich hatte sogar vor einiger Zeit die Idee, für ein paar Stunden täglich im Krankenhaus zu arbeiten. Andere Menschen zu unterstützen und ihnen Mut zu machen, bedeutet Glück für mich. Ich bin nur fröhlich, wenn meine Mitmenschen es auch sind. Allerdings muss ich davor noch eine Hürde meistern.
Meinem Mann dürfte es kaum gefallen, wenn ich dorthin ginge. "Eine Malfoy braucht sich nicht aufzuopfern!" wird er sagen. Doch ich will mich ja aufopfern! Ich möchte arbeiten gehen und das Gefühl haben, nützlich zu sein! Wenn Luc will, dass es mir gut geht, dann muss er es mir einfach erlauben.
Was Lucius selbst angeht, so reden wir derzeit kaum miteinander. Der Mord an Lily und James, das zweite Thema, das ich vermieden habe, steht zwischen uns, obwohl mir sowohl mein Mann als auch Severus geschworen haben, dass sie nichts damit zu tun haben. Wie ich bereits schrieb- wir kennen als Erwachsene nur noch Misstrauen und daher zögere ich etwas damit, ihren Worten Glauben zu schenken.
Die Situation ist nicht einfach für mich. Ich bin davon überzeugt, dass mir auch Remus seine eigene Version davon erzählen wird, warum Sirius seiner Meinung nach zum Verräter geworden ist. Überhaupt sagt jeder etwas anderes und alle klingen irgendwo glaubhaft. Es gibt nur eine Lösung: Ich muss meine eigene Wahrheit finden und abwarten.
Irgendwann wird sich alles aufklären und bis dahin halte ich nun mal an meiner Wahrheit und Meinung fest. Sirius Black ist weder ein Verräter noch ein Massenmörder von Muggeln. Und eines weiß ich gewiss: Ich für meinen Teil werde schweigen. Es existieren bereits genügend falsche Gerüchte.
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12.40 Uhr
Und meine Tränen laufen wieder... Gerade saß ich eine Weile am Fenster und habe Draco beobachtet, wie er schlief. Doch dann ist mir eingefallen, dass Lily und James das bei ihrem Sohn nie wieder tun können. Seine Eltern werden nicht da sein, um ihm dabei zuzusehen, wie er älter wird und wächst. Sie werden es nicht miterleben, wenn er sich zum ersten Mal weh tut und sie werden ihn nicht trösten können. Lily und James werden niemals gemeinsam mit ihrem Sohn durch die Winkelgasse laufen und aufgeregt die Sache für sein erstes Jahr in Hogwarts kaufen.
Ich kann nur hoffen, dass sie, wo sie auch sein mögen, dennoch ein klein wenig Anteil an seinem Leben haben werden, obwohl sie sich in diesem Leben wohl nicht begegnen werden. Aber sie werden für immer in seinem Herzen wohnen, davon bin ich überzeugt.
Clarence hat mir auch geschrieben, dass der kleine Harry Potter bei Lilys Schwester und deren Familie aufwachsen wird, also bei Muggeln. Allerdings wollte Dumbledore es nicht bekannt geben und hat offenbar all die, die es wissen oder auf irgendeine Weise davon erfahren, so wie ich, mit einem Zauber belegt, so dass er es mitbekommt, sollte es jemand verraten.
Harry tut mir Leid. Was kann es für ein Kind Schlimmeres geben, als ohne Eltern groß zu werden? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er bei dieser Petunia glücklich wird. Zwar habe ich Lilys Schwester nie persönlich getroffen, doch durch bestimmte Erzählungen kann ich mir ein gutes Bild von ihr machen.
Lily hatte oft betont, wie gut sie beide sich verstanden hatten, bevor herausgekommen war, dass sie eine Hexe war. Ich wusste, dass Lils Eltern sehr stolz auf sie gewesen waren und ganz offenbar hat Petunia das nie vollständig überwunden. Es ist nicht schön, wenn die Schwester aus der eigenen Sicht heraus bevorzugt wird. Und genau so muss es Petunia vorgekommen sein.
Nun, wahrscheinlich wird sie ebenfalls auf der Beerdigung erscheinen und ich werde sie kennenlernen. Vielleicht möchte sie das Geschenk haben, das ich für Remus vorbereitet habe. Ein Fotoalbum mit alten Bildern aus unserer Schulzeit dürfte sowohl Remus als auch später Harry sehr gut gefallen. Immerhin denke ich nicht, dass er viele Erinnerungen an seine Eltern hat.
Und so, wie es meinem alten Freund derzeit geht, ist es gut möglich, dass er sich weigert, etwas anzunehmen, was ihn an früher erinnert. Aber wenn ich Glück habe, dann vergisst er für einen kurzen Moment seinen Schmerz und lächelt selig, weil er an einen der vielen Streiche denkt, die die Marauders, wie sich Sirius, James, Peter und er genannt haben, angestellt haben. Wie gesagt. Wenn ich Glück habe.
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13.25 Uhr
Mir ist etwas eingefallen. Die Grabrede. Ich gehe davon aus, dass Remus sie halten wird, doch ich bezweifle, dass er es überstehen wird. Wie viel will er sich denn noch aufbürden? Irgendwann wird er zusammenbrechen und keiner seiner damaligen Freunde wird ihm helfen können, weil sie entweder tot oder im Gefängnis sind!
Und Remus selbst, er hat als Werwolf keine leichte Position. Kaum jemand wird ihn einstellen wollen, da er eine Gefahr darstellt. Es ist mir sowieso ein Rätsel, wie er bisher mit dem wenigen Geld, das er besitzt, auskommen konnte. Remus braucht eine Arbeit und ich zermartere mir den Kopf darüber, wie ich ihm behilflich sein könnte.
Lucius scheidet aus. Mein Mann würde niemals eine, wie er es nennt, Kreatur unterstützen, die nicht vollkommen menschlich ist. Als ob das bei Freundschaft eine Rolle spielen würde! Aber halt, ich vergaß: Slytherins sind Egoisten. Haben sie die Wahl zwischen sich selbst zu helfen oder einem anderen- ratet mal, für was sie sich entscheiden würden!
Und ich alleine kann kaum etwas ausrichten. Meine Kontakte sind, um es gelinde auszudrücken, quasi nicht vorhanden. Alles, was ich bin, bin ich, so sehr es mich schmerzt, durch meinen Mann. Schrecklich, oder? Auf jemanden so sehr angewiesen zu sein. Und genau deshalb will ich mich ein wenig von ihm lösen, arbeiten gehen und möglichst etwas finden, wobei ich mich und andere glücklich machen kann.
Doch Lucius dürfte das nicht verstehen. Für ihn ist es selbstverständlich, dass sich jeder nur um sein eigenes Wohl kümmert. Natürlich, ich habe auch meinen Selbsterhaltungstrieb, ich ziehe genau wie alle anderen die Notbremse, wenn ich merke, dass ich mir nur selbst schade, dabei allerdings Fremde glücklich mache.
Aber ich weiß auch, wie weh es tut, wenn man ganz alleine ist und niemand einem zur Seite steht! Das hat kein Mensch verdient! Für alles gibt es eine Grenze und meine liegt, was das betrifft, ziemlich weit weg von mir. Ich reagiere grundsätzlich zu spät für mein eigenes Glück und kümmere mich zuerst um meine Freunde. Das ist doch kein Fehler!
Wenn jeder so handeln würde, wäre dann die Welt nicht um einiges besser als sie jetzt ist? Wir sind nur zu blind, um zu erkennen, was wir falsch machen. Daher gibt es so viel Unheil, so viel Krieg, so viel Schmerz. Man muss Zeichen setzen und indem ich Remus helfe, zeige ich, dass es auf die inneren Werte ankommt, nicht auf das, was andere in einem sehen.
Hoffentlich sehen das die anderen genauso, sonst nützt es Remus rein gar nichts, egal, wie sehr ich mich engagiere. Wenn alle Stricke reißen, dann vergesse ich, was ich geschrieben habe, und wende mich trotz allem an Lucius. Sollte das eintreten, muss ich beten, dass er für mich alles tun würde.
~~~Szenenwechsel~~~
14.05 Uhr
Merlin, ich kann das nicht! Ich kann mich nicht vor allen Leuten hinstellen und eine Rede über das Leben von Lily und James halten! Ich schaffe es nicht, das zu erzählen, weil ich noch immer nicht glauben kann, dass sie wirklich tot sind. Und was noch wichtiger ist: was soll ich denn sagen? Was für wunderbare Menschen die zwei waren? Das weiß doch nun wirklich jeder selbst, der auf ihre Beerdigung kommt!
Soll ich vielleicht etwas über unsere glückliche Schulzeit erzählen? Klasse Idee, dann fällt allen wieder ein, dass Sirius ja James' bester Freund und auch offensichtlich ein Verräter ist. Langsam weiß ich nicht mehr, was ich noch glauben soll. Wenn ich an unsere Zeit in Hogwarts zurückdenke, an die Zeit, in der wir einfach nur die Marauders waren, dann fällt mir Sirius ein, wie er fröhlich lachend durch die Gänge rennt und irgendeinen neuen Streich ausheckt.
Aber gleich danach wandern meine Augen zu dem Foto, auf dem Sirius und Annick in eindeutigen Posen abgebildet sind. Nicht zu vergessen: die schmalzigen Liebesbriefe, die dazugehören. Da ist eine Stimme in meinem Kopf, die immer wieder ruft: "Warte Moony, ich helf dir!" und parallel dazu erscheint das passende Bild: Sirius, wie er mir Bücher abnimmt, als ich vollkommen beladen in den Gemeinschaftsraum wanke und kaum noch das Gleichgewicht halten kann.
"Lass ihn in Frieden!" Wie oft haben Sirius und James diesen einen Satz gezischt, wenn sich mir jemand näherte und es offensichtlich war, dass nichts Gutes dabei herauskommen würde. Mindestens einmal in der Woche duellierte sich Sirius, weil er wütend darüber war, dass viele Slytherins dachte, ich wäre eine wehrlose Zielscheibe. Er hat sie so oft eines Besseren belehrt.
Ich bin ihm unendlich dankbar für alles, was er meinetwegen auf sich genommen hat. Er hielt mich für schwach und wollte mein Beschützer sein, was ich mir auch meistens gefallen ließ. Es ist schön zu wissen, dass da jemand ist, auf den du dich verlassen kannst, dem du vertrauen kannst und der für dich da ist, wenn du ihn brauchst.
Jetzt ist dieses Vertrauen beinahe verschwunden. Plötzlich fällt mir ein, was für ein Aufreißertyp Sirius schon immer gewesen ist und dann fange ich an, zu zweifeln. Dabei hätte ich niemals geglaubt, dass ich mir Gedanken über einen meiner besten Freunde und meine große Liebe zu machen. Ich bin enttäuscht von mir, weil ich es Annick zutraue, mich mit Sirius betrogen zu haben.
Ich habe mittlerweile aufgehört zu zählen, wie oft ich mich bereits in Gedanken bei ihr entschuldigt habe. Ich bin vollkommen verwirrt, weil jeder etwas anderes erzählt und ich keine Ahnung habe, wem ich Glauben schenken soll. Meinen Augen? Dann würde es stimmen, dass Annick und Sirius eine Affäre hatten. Meinem Gehirn? Besser nicht. Ich weiß ja nicht einmal, was ich denken soll. Oder doch meinem Herz?
Demnach wäre Sirius unschuldig, in beiden Fällen. Dann hätte er weder mich noch James betrogen. Das ist es, was ich glauben will, was ich mir wünsche, dass es wahr ist, aber ich bin mir nicht sicher. Es gibt keine Beweise. Ich muss mich auf mein Gefühl verlassen und langsam misstraue ich mir selbst.
Es ist so vieles geschehen in den letzten paar Tagen, was es mir unmöglich erscheinen lässt, jetzt einfach normal weiterzumachen. Warum überlege ich überhaupt noch? Ich habe meinen Beschluss bereits gefasst. Sobald die Beerdigung zu Ende ist, werde ich meinen Plan durchziehen und ein neues Leben beginnen, weil mein altes mich wahnsinnig macht.
Tag und Nacht quälen mich Bilder, Bilder aus meiner glücklichen Zeit mit Annick. Bilder, auf denen ich vielleicht elf Jahre alt bin und von einigen bulligen Slytherins bedroht werde, denen allerdings James und Sirius Flüche auf den Hals hetzen. Und auch Bilder von Lily und James, wie sie glücklich lächeln und ein stolzes Funkeln in ihren Augen verrät, dass Harry nicht weit weg sein kann.
Doch am meisten verfolgt mich ein einzelnes Bild. Immer und immer wieder kann ich Annicks Gesicht sehen, leichenblass und mit riesigen Augen, die mich vorwurfsvoll anschauen. Und jedes Mal sagt sie dasselbe, bevor sie verschwindet und mir ein paar Stunden Ruhe lässt. "Wie konntest du zulassen, dass es soweit kommt?"
Ich mache mir Vorwürfe, zu blind gewesen zu sein, um irgendwelche Unklarheiten erkennen zu können. Vielleicht ist Sirius der Verräter, aber hätte ich dann Annick diese Beziehung anhängen sollen? Vielleicht ist er es auch nicht, dann bleibt immer noch die Frage nach dem wahren Täter. Und, bei Merlin, als Freund von Lily und James hätte ich Anhaltspunkte bemerken sollen, die es mir einfach machten, den Verräter zu identifizieren.
Mir kommt das alles vor wie ein riesengroßes Spiel. Das Vertrauen, das wir einst hatten, ist zusammengebrochen und existiert nicht länger. Wir haben verloren, jeder einzelne von uns. Das Spiel ist vorbei und ich habe Angst, es nicht richtig gespielt zu haben, nie ganz und gar dabei gewesen zu sein.
Nun ist es zu spät und ich fange an, zu bereuen. Mein schlechtes Gewissen plagt mich, denn ich weiß, ich hätte einiges verhindern können. Merlin, wie soll ich das nur jemals wieder gut machen? Vielleicht, indem ich dafür sorge, dass niemand vergisst, was geschehen ist. Solange wir an Lily und James denken, werden sie weiterleben.
Für immer in meinem Herzen.
~~~Szenenwechsel~~~
"Schatz, Mami muss jetzt gehen. Sei schön brav, ja? Mach mir keinen Kummer, bist doch so ein lieber Junge, nicht wahr? Und nicht wieder weinen, Süßer. Bald komm ich zurück und dann spielen wir zwei, so wie vorhin." Die blonde Frau strich ihrem Sohn sanft über die Wange, beugte sich nach vorne und hauchte einen Kuss auf seine Stirn. Ein fröhliches, krähendes Lachen war die Antwort und Narcissa schmunzelte. Er würde ihr fehlen, die paar Stunden, in denen sie woanders war.
Langsam richtete sie sich auf, zog fürsorglich die Decke über ihr Kind und stupse vorsichtig seine Wiege an, sodass diese leicht schaukelte. Narcissa hob den Blick, sah ihr Gegenüber durchdringend an und meinte kühl: "Vielen Dank, dass du dich dazu bereit erklärt hast, auf Draco aufzupassen, Margaret. Ich werde es nicht vergessen." Lucius' Mutter verzog ihre Lippen zu einem spöttischen Grinsen. "Jede Großmutter freut sich darüber, auf ihr Enkelkind aufpassen zu können. Du tust mir hiermit eher einen Gefallen. Und nun verschwinde endlich, du kommst noch zu spät."
Schweigend ignorierte Cis, was die andere Frau soeben gesagt hatte und nickte nur. Eilig schlüpfte sie in den schwarzen Mantel, den sie vor langer Zeit einmal von ihrem Vater aus Frankreich geschenkt bekommen hatte, und griff nach einer ebenfalls schwarzen Tasche. Ihre langen Haare hatte sie zu einem Knoten aufgesteckt, weil es ihr unpassend vorgekommen war, mit offenen Locken auf einer Beerdigung zu erscheinen.
Nach einem flüchtigen Abschiedsgruß rannte sie die Treppe hinunter, durch die Eingangshalle und verschwand nach draußen. Ihr noch geöffneter Mantel flatterte im Wind und offenbarte das schwarze Kostüm, das sie darunter trug. Beinahe tat es Narcissa Leid, dass ihre Haare nicht genauso dunkel waren, wie sie es sich für diesen Tag gewünscht hätte. Einfach alles schrie nach Trauer, sogar die Wolken am Himmel schienen grau und warteten offenbar nur darauf, aufzubrechen und es regnen zu lassen.
Cis drehte sich ein letztes Mal um, wurde einer flüchtigen Bewegung an ihrem Fenster gewahr und schluckte kurz. Draco bei Margaret zurückzulassen war, war das einzig Mögliche gewesen. Lucius war unterwegs, kittete seinen Ruf und da war es seiner Frau nur natürlich erschienen, die Großmutter nach Malfoy Manor zu bitten. Sicher, gerne hatte sie es nicht getan, aber manchmal mussten Opfer gebracht werden. Und Narcissa wollte um nichts auf der Welt die Beerdigung verpassen, schon allein wegen Remus nicht.
Sie hatte es bisher wunderbar vermeiden können, darüber nachzugrübeln, wie Remus das alles unbeschadet überstehen wollte. Über ein bisschen Hilfe würde er sich mit Sicherheit freuen, also würde sie auch hingehen und ihn unterstützen, so gut es eben ging. Draco mitzunehmen erschien ihr vollkommen unmöglich. Eine Beerdigung war wohl kaum der richtige Ort für ein kleines Kind.
Mittlerweile war Narcissa immer tiefer in den weitläufigen Park gelangt, der zu ihrem Haus gehörte. In der Mitte der Anlage hatte Lucius kurz nach ihrer Hochzeit einen Pavillon anlegen lassen, an dem sie nun vorbei kam. Er war klein, weiß angestrichen und bot kaum Platz für den Flügel, der, wie Cis wusste, darin stand und darauf wartete, dass jemand auf ihm spielen würde.
Wie oft hatte sie es schon tun wollen, ihre Scheu überwinden, einfach dorthin gehen, ihre Geige mitnehmen und dann ganz in der Musik versinken. Doch sie konnte es nicht. Etwas hielt sie davon ab und dieses Etwas war ihre Erinnerung. Sirius beherrschte in gewisser Weise nach wie vor ihr Denken. Sie war der Ansicht gewesen, darüber hinwegzusein, aber da waren diese kleinen Dinge, die ihr auffielen und ihn vor ihrem inneren Auge erscheinen ließen.
Er hatte ihre Hände Pianistenhände genannt. Ob sie wohl jemals fähig sein würde, auf dem Flügel zu spielen und zu singen, ohne in Tränen auszubrechen, weil sein Schatten sie noch immer verfolgte? Mittlerweile war sie immerhin schon so weit, dass sie nicht mehr an ihre Liebe dachte. Seine ganze Person, sein Wesen, seine Streiche, all das konnte sie allerdings nicht aus ihrem Gedächtnis streichen.
Sirius war ein Teil ihrer Vergangenheit, er gehörte irgendwo zu ihrem Leben und daran hatte sie sich so lange gewöhnt, dass es ihr jetzt beinahe unmöglich erschien, ihn aus ihrem Herzen zu löschen. Und wahrscheinlich hatte sie Recht. Es war nicht möglich. Sie musste lernen, damit umzugehen und sich dennoch weiterzuentwickeln. Wenn sie die Beerdigung heute überstand, dann würde sie morgen auf dem Flügel spielen.
Ihn zu vergessen, das konnte und wollte sie nicht. Sie wollte sich nicht selbst vergessen, also musste sie ihre gemeinsame Zeit akzeptieren und zu den Akten legen. Ihr Leben spielte sich hier und jetzt ab, bei Lucius und Draco. Sirius war vergangen, Geschichte. °Es kommt mir so vor, als wäre alles ein großes Theaterstück. Ich stehe jeden Tag auf der Bühne, man gönnt mir kaum eine Verschnaufpause und bisher gab es nur einen Akt mit verschiedenen Szenen aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Zeiten.
Nach der Beerdigung beginnt der zweite Akt. Narcissas neues Leben.°
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Reviews bitte :o)
Edit: Leaky, ich habs geändert. Hoffe, du kannst damit leben :o).
