Er hatte auch den Hogwartsbrief in der Zeit erhalten. Er hatte jeweils ein ‚O' in Verteidigung gegen die dunklen Künste, Zaubertränke und Magische Kreaturen, ‚E' in Transfiguration und Zaubersprüche, ‚A' in Kräuterkunde und Astronomie. In Wahrsagen war er erwartungsgemäß durchgefallen und das Fach würde er demnach im sechsten Schuljahr nicht mehr belegen. Das machte gute sieben ZAG's. Außerdem hatte er die Bücherliste bekommen und in dem Brief stand auch ein Hinweis, dass er eine Dressrobe benötigen würde, d. h. es gab wieder einen Ball. Er würde seine Einkäufe erledigen, wenn er sich in wenigen Tagen mit Hermine in der Winkelgasse treffen würde.
Nun war endlich der Tag, an dem er sich mit Hermine treffen würde. Sie hatte ihm zwar auf seine Briefe geantwortet, doch der Briefverkehr war sehr sporadisch. Harry war das letztendlich zwar recht, da er sehr mit seinen Studien und seinem Training beschäftigt war, doch andererseits hätte er sich mehr Post von Hermine gewünscht. Harry hatte auch Dudley ein paar mal geschrieben und der einstige Hass zwischen den beiden war einer ernsthaften Freundschaft gewichen.
Harry frühstückte mit Remus nach seinem üblichen Workout und machte sich dann fertig. Er zog wieder seinen neuen Drachenhaut-Umhang an mit der passenden Hose und Weste. Das Training hatte sich ausgezahlt und er sah jetzt kräftig und durchtrainiert aus, was in dem Outfit sehr gut zur Geltung kam. Seine Haare waren etwas gewachsen und wenn ihm seine Haare in die Stirn fielen, reichten sie bis über die Augen, so dass er zwischen den Haaren hindurchsehen musste. Das gab ihm ein fast finsteren Look.
Remus sagte: „Also pass auf dich auf, Harry."
„Ich gehe davon aus, dass die Todesser einen offenen Angriff in der Winkelgasse nicht riskieren werden." meinte er ernst.
Remus lachte: „Ich meinte nicht die Todesser, sondern eher die Mädchen." Er klopfte Harry freundschaftlich auf die Schulter, „Pass auf, dass man dich nicht beim Apparieren erwischt. Auf dem Rückweg musst du allerdings Flohpulver benutzen, zumindest falls du Hermine mitbringst. Dumbledore meinte aber, dass jetzt nichts mehr dagegen sprechen würde."
Harry hatte seine Einkäufe erledigt und hatte vorsorglich schon die Weihnachtsgeschenke für seine Freunde besorgt. Nun saß er bei Fortescue's, dem Eiscafe in der Winkelgasse und wartete auf Hermine. Er las derweil in seinem Buch über Verteidigung gegen die dunklen Künste für das siebte Schuljahr.
Als er aufblickte, sah er, wie sich Hermine ihm näherte, doch sie sah sich ständig um, als würde sie jemand suchen. Sie hatte ihm gerade fast direkt in die Augen geblickt, ohne ihn zu begrüßen. Beim Lesen waren seine Haare ihm in die Stirn gefallen. Sollte sie ihn nicht erkannt haben?
Alle anderen Tische waren voll, trotzdem wegen Voldemort weniger in der Winkelgasse los war, als sonst. Er stand auf und sie blickte ihn überrascht mit einem bewundernden Blick an. Er hatte heute bereits festgestellt, dass an Remus' Warnung etwas dran war, denn immer, wenn er an Mädchen vorbei gegangen war, fingen diese an, die Köpfe zusammenzustecken, zu kichern oder deuteten unverhohlen auf ihn. Eine pfiff ihm sogar mutig hinterher, aber er hatte sich nicht darum gekümmert.
Jetzt fiel ihm allerdings auch auf, dass sich Hermine verändert hatte. Sie hatte eine enge Jeans und ein enges T-Shirt an, das ihre weibliche Form sehr zur Geltung brachte. Sie sah einfach hinreißend aus und ein Gefühl von Hitze machte sich in seinem Bauch breit.
„Möchtest du dich zu mir setzen?" fragte er Hermine höflich.
„Ja, danke." und sie nahm neben ihm Platz, so dass sie die Straße im Auge behalten konnte.
Ihr Anblick hielt ihn gefangen. Wann hatte sich das kleine Mädchen, dass sich vor einem Troll versteckt hatte, in diese wunderschöne junge Frau verwandelt? Er war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob Hermine wirklich nur eine Freundin für ihn war, oder ob er vielleicht mehr wollte, eher im Gegenteil... seine Gedanken entwickelten sich mit zunehmender Geschwindigkeit in eine Richtung, die besagte, dass er wesentlich mehr wollte als Freundschaft.
„Du siehst aus, als würdest du auf jemanden warten." sagte Harry freundlich.
„Ähh... ja, ich habe mich mit meinem Freund verabredet."
Harrys Augen weiteten sich überrascht, doch durch seine Haare konnte es Hermine nicht sehen, mal ganz zu schweigen davon, dass sie ihn im Augenblick sowieso nicht ansah. Sie hatte ‚meinem Freund' gesagt, nicht etwa ‚einem'.
Nur ein Versprecher?
„Aha. Darf ich fragen, wer der glückliche ist? Vielleicht habe ich ihn schon gesehen."
Hermines Wangen färbten sich rosa, als sie antwortete: „Er ist nicht mein Freund, im Sinne von Zuneigung, sondern nur ein Freund. ... Leider." seufzte sie.
Harrys Magen schlug einen Purzelbaum und er hätte sich fast verschluckt.
„Wieso leider? Wer könnte einem so hübschen Mädchen wie dir widerstehen?"
Hermine blickte ihn überrascht an und wurde rot.
„Ich weiß es nicht. Er ist so nett und macht sich so viele Gedanken, dass er vielleicht gar nicht an einer Freundin interessiert ist. Er hat viel Verantwortung zu tragen, weißt du. Er ist mein bester Freund neben Ron und ich weiß nicht, ich habe einfach Angst, dass unsere Freundschaft darunter leiden würde, wenn ich ihn fragen würde."
„Vielleicht empfindet er ja das gleiche wie du?" fragte er vorsichtig.
„Harry? Das wäre wirklich zu schön, um wahr zu sein. Ich wünschte, ich wüsste es. Aber er wird sich wahrscheinlich nie trauen, mich zu fragen. Dabei stellt er sich furchtlos Basilisken, Riesenspinnen und dem mächtigsten dunklen Zauberer der Welt." antwortete sie verträumt. Harrys Magen schlug erneut einen Purzelbaum und ihm wurde plötzlich ganz heiß. Er musste sich stark konzentrieren, damit er das Atmen nicht vergaß. Es war, als würden seine kühnsten Träume wahr werden. Alle anderen Gedanken waren plötzlich aus seinem Kopf verbannt.
„Harry? Wie Harry Potter?" fragte Harry und musste sich ein Grinsen verkneifen.
„Ja, kennst du ihn?" fragte sie hoffnungsvoll.
„Sicher doch, Hermine. Wer kennt nicht Harry Potter und seine Freunde Hermine Granger und Ron Weasley."
Sie sah ihn überrascht an.
„Du kommst mir bekannt vor." sagte sie nun nachdenklich.
„Das möchte ich doch hoffen." antwortete Harry lächelnd.
„Aber ... wer bist du?" fragte sie verwirrt.
Harry tat so, als würde er sich völlig unbeabsichtigt durch die Haare fahren und enthüllte dabei seine blitzförmige Narbe. Hermines Augen weiteten sich überrascht, dann lief sie so rot an, dass sie Ron hätte Konkurrenz machen können.
„Harry?... HARRY!" rief sie entrüstet.
„Schhh... Bitte sei mir nicht böse, Hermine." sagte Harry lächelnd und schaute wie ein treuer Hund.
„Ich schütte dir mein Herz aus, ich denke, du bist ein völlig Fremder, allerdings symphatisch und gutaussehend und ... und ... dann bist DU es." sagte sie entrüstet und war immer noch rot.
„Warum? So weiß ich wenigstens, dass du genau so empfindest wie ich. Ich weiß wirklich nicht, ob ich es je übers Herz gebracht hätte, dich zu fragen, denn auch ich hatte Bedenken wegen unserer Freundschaft." sagte er ernst.
„Aber ich habe... Moment mal. Hast du eben gesagt, du empfindest..."
Harry fasste all seinen Mut zusammen, lehnte sich langsam zu ihr herüber und küsste sie zärtlich auf die Lippen.
Sie wurde noch röter, sofern das überhaupt möglich war.
„Hermine, möchtest du meine Freundin sein?" fragte er aufgeregt.
„Ich... ähh.. ja, Harry." und sie umarmte ihn herzlich. Dann knuffte sie ihn auf den Arm.
„Wofür war das denn?" fragte er und er rieb sich den Arm.
„Dafür, dass du mit mir deine Spiele treibst."
„Tut mir leid, Hermine. Ich konnte einfach nicht anders. Außerdem warst du diejenige, die ihren besten Freund und nun Freund nicht erkannt hat, oder?" fragte er grinsend.
„Das ist ja auch kein Wunder, so wie du dich verändert hast. Du... Du siehst toll aus. Hast du trainiert? Und wo ist deine Brille ?"
„Ein wenig." gab Harry schüchtern zu, „Mit Dudleys Hilfe."
„Dein Cousin?", Harry nickte. „Schön, dass ihr euch besser versteht."
„Und meine Brille fand ich reichlich unpraktisch, wenn es zum Kampf kommt. Remus hat mich zu einem Spezialisten gebracht, der meine Augen korrigiert hat."
„Oh, das freut mich für dich." sagte sie strahlend.
„Hermine, möchtest du für den Rest der Ferien mit zu mir zum Grimmauld Place kommen?" fragte er sie.
„Naja, ich mag dieses düstere Haus nicht besonders und eigentlich dachte ich, wir würden den Rest der Ferien gemeinsam mit Ron und Ginny im Fuchsbau verbringen. Oh je, was wird Ron sagen?" sagte sie entsetzt.
Eine eisige Hand griff plötzlich nach Harrys Herz. Ron hatte er ganz vergessen.
„Er wird nicht begeistert sein. Ich habe bei meinem Geburtstag etwas mit ihm geredet, er war... nicht sehr glücklich."
„Ich hoffe, er wird unsere Freundschaft nicht aufgeben. Vielleicht sollten wir es ihm nicht sofort auf die Nase binden." sagte Hermine missmutig.
„Ich möchte ihn in mein Haus eingeladen. Wir müssen uns zusammenreißen. Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit, ihm es ruhig beizubringen, oder noch besser, wir sorgen dafür, dass er eine andere Freundin findet. Luna hat ihm sehr eindeutige Blicke zugeworfen." sagte Harry hoffnungsvoll.
„Luna?"
„Jep. Wenn du willst, lade ich sie auch ein. Ich habe genug Platz bei mir. Aber ich möchte nicht in den Fuchsbau. Remus wird sich bald verwandeln, in wenigen Tagen ist Vollmond und ich möchte ihn nicht allein lassen."
„Das verstehe ich, obwohl ich nicht weiß, wie du ihm helfen kannst. Was hast du eigentlich den ganzen Sommer gemacht, außer Gewichte gestemmt?"
„Oh, du wärst stolz auf mich. Ich habe Okklumentik geübt und sogar Leglimens und etwas gelernt."
„Leglimens? Harry, kannst du in meine Gedanken eindringen?" fragte sie entsetzt.
„Ich könnte es theoretisch, aber ich würde es nie tun. Niemals würde ich jemandem das antun, was Snape mir letztes Schuljahr angetan hat, ganz zu schweigen von Voldemort." antwortete Harry verbittert, „Aber ich denke, es ist eine ganz nützliche Fähigkeit und da ich mich intensiv mit Okklumentik beschäftigt habe, musste ich mich auch damit beschäftigen. Außerdem habe ich mich intensiv mit Verteidigungs- und Angriffszaubern beschäftigt und sogar mit Kingsley Shacklebolt und Snape das Duellieren geübt."
„Mit Snape?" fragte sie überrascht.
„Jep. Immerhin war er ein Todesser und wer könnte mich besser lehren, wie sie kämpfen. Außerdem hat unsere gegenseitige Abneigung dafür gesorgt, dass wir uns nichts schenken, nicht dass es mir Shacklebolt leicht gemacht hätte."
„Hattest du sonst noch Besuch, von anderen Lehrern?" fragte sie neugierig.
„Ja, einmal von McGonagall."
Sie sah ihn nachdenklich an, dann schüttelte sie den Kopf. Harry wusste, dass sie an Animagustraining dachte, aber ein Besuch war zu wenig.
„Und was hast du gemacht?" fragte er sie.
„Ich habe mich erholt, die Verletzungen haben mir ganz schön zu schaffen gemacht. ... Denk nicht mal daran, dir die Schuld zu geben! ... Naja, mein Sommer war nicht so berauschend. Ich habe die ganze Zeit an dich gedacht. Dann war die Sache mit Ron. Meine Eltern haben mich ausgefragt, weißt du, ich habe ihnen nichts von unseren ‚Abenteuern' erzählt und nun wollten sie alles wissen. Als ich ihnen alles erzählt habe, wollten sie mich von der Schule nehmen. Ich habe mich dagegen gewehrt und ihnen versucht klarzumachen, dass sie in Gefahr wären, wenn Voldemort nicht bekämpft wird und irgendjemand muss sich gegen ihn wehren. Erst als Dumbledore uns besucht hat und meine Aussagen bestätigt hatte, haben sie nachgegeben."
„Es tut mir leid, das zu hören. Aber es muss sich nicht irgendjemand gegen ihn stellen, sondern ich." sagte Harry ernst.
„Aber das ist doch Quatsch. Tu nicht so, als würde das Schicksal der ganzen Welt auf deinen Schultern ruhen, Harry."
Er schaute ihr ernst in die Augen und sagte leise, „Aber genau das tut es."
Seine Augen spiegelten Kummer, Angst, Trauer wieder bevor dieser Ausdruck wieder einer festen Entschlossenheit wich.
Oh, wie sehr hatte sich Harry verändert. Wo war der kleine elfjährige Junge mit der kaputten Brille und dem fröhlichen Lachen nur geblieben, dachte Hermine.
„Wie kommst du darauf?" fragte sie unsicher mit einer bösen Ahnung.
Er legte warnend den Zeigefinger an seine Lippen. „Erinnerst du dich an unsere Lehrerin für Wahrsagen?"
Ihre Augen weiteten sich überrascht, „Aber..."
Harry schüttelte warnend den Kopf.
„Oh, Harry." Sie nahm mitfühlend seine Hand.
„Ist schon gut. Ich habe mich damit abgefunden und eine Entscheidung getroffen."
„Wir werden dir immer zur Seite stehen, Harry."
„Ich weiß." sagte er lächelnd, „Nun lass uns aufbrechen. Hast du schon deine Sachen gekauft?"
„Ja."
„Kommst du nun mit in mein Haus?"
„Dein Haus?"
„Ja, Sirius hat es mir vermacht. Ich hatte dir das doch geschrieben." sagte er mit traurigen Augen.
„Harry, ich wollte dich nicht daran erinnern. Ich muss es vergessen haben.. Ich weiß, dass er mir einen Anteil an seinem Familienfond vermacht hat. Es tut mir leid."
„Ist schon in Ordnung Hermine."
„Ich komme gern mit. Meine Eltern sind davon ausgegangen, dass ich in diesen Ferien nicht mehr nach Hause komme. Ich schreibe ihnen nachher, wenn ich mir Hedwig ausleihen darf."
„Klar. Wir nehmen das Flohnetzwerk."
„Was denn sonst?" fragte sie, doch Harry grinste sie nur an.
Sie gingen in den tropfenden Kessel und Hermine ging vor zum Kamin und Harry benutzte ihn Augenblicke später.
