Kapitel 20 – Weitere Schwierigkeiten

Das Begräbnis ihrer Eltern fand am Samstag nach dem schrecklichen Unfall statt. Harry und McGonagall begleiteten sie auf den Muggel-Friedhof. Am Abend nach der Zeremonie war sie ein nervliches Wrack, doch Harry konnte sie beruhigen. Am nächsten Tag stürzte sie sich wieder verbissen in die Studien.

Während Harry in seiner freien Zeit mit Ron, Luna, Ginny oder Neville trainierte, soviel es ging, war Hermine ständig in der Bibliothek und forschte nach einem Gegenmittel für Dumbledore. Oft wurde sie von Ginny, Luna und auch Harry begleitet. Doch bisher war die Suche erfolglos. Nebenbei machte sie natürlich alle Hausaufgaben und lernte für die Prüfungen und sie übte natürlich ihre Animagustransformation. Sie fragte ab und an Harry nach einigen Tipps, ließ ihn jedoch nie dabei zuschauen.

Überhaupt verbrachte sie immer weniger Zeit mit Harry.

Wenn Harry sie sehen wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als zur Bibliothek zu gehen. Dort durften sie sich nicht unterhalten, sie mussten leise sein. Allerdings war Hermine auch so in ihre Bücher vertieft, dass dafür sowieso keine Chance bestand.

Einmal, in der zweiten Woche nach den Weihnachtsferien, war Hermine so in ihre Bücher vertieft, dass sie Harry nicht mal bemerkte und auf keinen Ansprechungsversuch reagierte.

Harry fühlte sich plötzlich immer leerer. Hermine war dazu übergegangen, wieder in ihrer Unterkunft zu schlafen, und so handhabte Harry das dann schließlich auch so. Immerhin war er über die Albträume hinweg. Sie schien über den Tod ihrer Eltern nicht mehr zu trauern, vielleicht stürzte sie sich deshalb so sehr in die Arbeit.

Harry war frustriert, es gab nahezu keine Romantik mehr zwischen den beiden, sie redeten kaum miteinander und wenn, ging es um Dumbledore oder den bevorstehenden Angriff. Hermine war schnell das Zentrum geworden, um das sich seine gesamte Welt drehte und sie gab ihm Mut und Kraft und genau das vermisste er jetzt furchtbar.

Nach drei Wochen wollte Harry endlich mal versuchen, die alten Zustände wieder herzustellen und nahm sie nach dem Unterricht am Freitag beiseite

„Hermine, ich würde gern mal einen schönen Abend mit dir verbringen, nur mit dir, ohne Bücher und Training. Ich würde gern mit dir zu Abend essen in unserem Raum und etwas Zeit mit dir verbringen."

„Harry, wir haben dafür keine Zeit. Wir müssen ein Gegenmittel finden. Es muss etwas geben, irgendetwas, das wir übersehen haben."

„Hermine, gönn dir eine Pause. Du bist die Bücher der Bibliothek inzwischen schon zweimal durchgegangen. Ich... ich... du fehlst mir."

„Harry, wir müssen Prioritäten setzen. Dumbledore ist jetzt wichtiger." Damit verschwand sie wieder in Richtung Bibliothek.

Harry fluchte: „VERDAMMT!" und schlug mit seiner Faust gegen die Wand. Er verstauchte sich prompt den Knöchel. Gott sei dank, war es die rechte Hand, die linke würde er heut für das Schwertkampftraining brauchen.

Er sank zu Boden und vergrub seinen Kopf in den Händen.

Kurz darauf hörte er Schritte sich nähern, er hob nicht mal den Kopf.

„Oh, hat der kleine Potty Ärger?" schnarrte Malfoys arrogante Stimme.

„Zieh Leine, Malfoy!"

„Was denn, hat das Schlammblut dich fallen gelassen? Ich hab dir gesagt, sie ist unter deiner Würde."

Harry sah rot, „Lass Hermine aus dem Spiel, Malfoy!" warnte er ihn.

„Was denn? Sie lässt dich fallen und du verteidigst das Schlammblut? Du bist so blöd." lachte er.

Harry stand kurz davor zu explodieren, doch dann fasste er sich wieder und lächelte diabolisch: „Ach Malfoy, grüß doch mal deinen Vater von mir. Gib ihm doch bitte die Hand... oops. Ich vergaß!"

Malfoys Gesicht wandelte sich in einen Ausdruck schierer Wut und er begann plötzlich, auf Harry einzuschlagen. Unglücklicherweise für Harry waren seine beiden Kumpane Crabbe und Goyle an seiner Seite und hielten Harry nun fest, so dass er Punchingball für Malfoy spielte.

Harry wusste, dass er mit seiner stablosen Magie zurückschlagen könnte, selbst wenn diese Idioten seine Arme festhielten, doch wozu? Warum sollte er noch kämpfen? Hatte Hermine ihn wirklich verlassen? Es war alles so sinnlos. Das war das einzige, worum sich seine Gedanken drehten. Er hatte sein Bewusstsein wieder in sich selbst zurückgezogen. Wieder spürte er weder Schmerz noch Zeit, nur Verwirrung und Zweifel.

In einem entfernten Winkel seines Geistes spürte er, wie eine warme Flüssigkeit sein Gesicht herablief und wie seine Augen langsam zuschwollen.

Plötzlich kamen Ron und Ginny um die Ecke, sie erstarrten mitten im Schritt.

„MALFOY!" riefen Ron und Ginny gleichzeitig.

Sie hatten sofort ihre Zauberstäbe gezogen und Crabbe und Goyle mit dem Petrificus Totalus außer Gefecht gesetzt. Malfoy würgte plötzlich Schnecken hervor und auf seinem Gesicht erschienen riesige Pickel. Er rannte weg.

Harry sackte wieder zu Boden. Ron und Ginny eilten zu ihm hin.

„Harry!" rief Ginny und die Tränen traten ihr in die Augen, als sie seinen Zustand sah. Sein ganzes Gesicht war geschwollen und wurde grün und blau, Blut lief aus der Nase, von der aufgesprungenen Lippe und aus einer Platzwunde an der Augenbraue, doch das schlimmste waren seine Augen.

Sie wirkten so leer, hoffnungslos.

„Harry! Sag doch was. Was war los, was ist passiert?" flehte sie.

Ron zog ihn auf die Füße, er ließ es widerstandslos geschehen, wie eine Marionette.

„Harry!" rief nun Ron.

Es kehrte etwas Leben in seine Augen zurück und er blickte sie zum ersten mal bewusst an.

Er hob müde den Arm und winkte ab, „Es ist nichts, das übliche. Malfoy eben. Er musste mal wieder Hermine beleidigen."

Er wandte sich zum gehen.

„HARRY POTTER! Du kommst jetzt mit auf die Krankenstation!" fuhr Ginny ihn an. Harry zuckte nur müde mit den Schultern und folgte ihr. Pomfrey heilte seine Wunden mit einer Salbe und einem Spruch, dann entließ sie ihn.

Ron und Ginny geleiteten ihn zum Gemeinschaftsraum, wo sich Harry sofort ins Bett  verabschiedete. Ron und Ginny sahen sich nur hilflos an. Sie sahen sich nach Hermine um, doch sie war scheinbar wieder in der Bibliothek.

Harry konnte allerdings nicht schlafen, er dachte an Hermine und an das, was Malfoy gesagt hatte. Hatte sie ihn wirklich fallen gelassen? Nein, das konnte einfach nicht sein. Doch warum kümmerte sie sich nicht mehr um ihn?

Sie hatte einfach zu viel zu tun, sie musste ja ein Gegenmittel finden.

Er wünschte, sie hätte wieder Zeit für ihn, Zeit für ein paar Küsse oder einfach nur zusammensein. Er wollte wieder in einem Bett mit ihr schlafen. An sie gekuschelt von ihrer Nähe träumen. Mit diesen Gedanken, sank er schließlich doch in einen unruhigen Schlaf.

Am nächsten Morgen ging er allein zum Frühstück. Hermine und Ginny saßen bereits am Tisch. Ginny frühstückte, während Hermine ihren Kopf in einem Buch hatte. Neben ihr war kein Platz mehr frei, so setzte sich Harry gegenüber von den beiden hin.

„Morgen, Ginny. Guten Morgen Hermine, hast du gut geschlafen?" fragte er höflich und in etwas besserer Stimmung.

Ginny antwortete ihm fröhlich: „Morgen, Harry."

Hermine murmelte nur abwesend „Hmm."

Ginny erschrak, als sie Harrys Augen sah. Das übliche Funkeln verschwand, wie ausgeblasen und Verzweiflung machte sich breit. Sie sah Hermine an. Sie war völlig abgeschlossen in ihren Gedanken. Ginny stieß ihr den Ellbogen in die Seite, doch sie blaffte nur: „WAS?"

Es war bereits zu spät, Harry hatte sich nur ein trockenes Toast geschnappt, seinen Teller weggeschoben und ging mit hängenden Schultern in Richtung Ausgang.

Hermine sah kurz auf, sie sah ihn und blickte wieder in das Buch, ohne jegliche Reaktion.

Ginny lief es kalt den Rücken runter. Das war es also, was Harry so fertig machte. Sie hatte bemerkt, dass die beiden wenig Zeit miteinander verbrachten, aber sie hatte das auf den Stress geschoben, dem sie alle ausgesetzt waren. Sie hatte nicht gewusst, dass es so schlimm war.

Sie riss ihrer Freundin das Buch aus der Hand: „HERMINE!"

„WAS?"

„Was ist mit dir und Harry? Habt ihr euch getrennt, oder was?"

„Was? Nein. Alles bestens." blaffte Hermine zurück. Sie hatte Augenringe, doch ihre Augen blickten entschlossen.

„Ach ja? Wann hast du ihn das letzte mal geküsst?"

Hermine zuckte nur mit den Schultern, „Weiß nicht. Was spielt das für eine Rolle?"

„Hast du ihn gerade gesehen?"

„Wen? Harry? Ja, war doch gerade hier."

„Was hat er zu dir gesagt?"

„Keine Ahnung."

„Mann, Hermine. Er vermisst dich."

„Ja, das hat er mir gesagt... gestern glaube ich."

„Und?"

„Ich habe ihm gesagt, ich hätte keine Zeit. Ich musste in die Bibliothek."

„Hermine, er ist gestern von Malfoy zusammengeschlagen worden."

„Was? Warum?" Jetzt sah sie doch besorgt aus.

„Du weißt es nicht mal? Malfoy muss irgendetwas über dich gesagt haben."

„Dieser Arsch!"

„Hermine, er hat sich nicht mal gewehrt."

Hermine sah Ginny verwirrt an.

„Harry? ... Aber wieso?"

„Wenn du ihm vorhin in die Augen geschaut hättest, wüsstest du es. Ich.... ich glaube fast, er hat aufgegeben."

„Wie? Was aufgegeben?"

„Alles." sagte Ginny leise und mit Tränen in den Augen. Dabei stand sie auf und verließ fast fluchtartig die große Halle. Sie rannte fast Ron über den Haufen, der sie fragend ansah.

Er setzte sich neben Hermine, „Was ist mit ihr?" fragte er sie.

„Sie... sie macht sich Sorgen, ...um Harry."

„Apropos Harry, was ist zwischen Euch beiden... ihr seid so... distanziert. Nach Weihnachten wart ihr noch ein Herz und eine Seele und nun... ich habe euch nun schon drei Wochen nicht mehr zusammen gesehen. Und Harry... er ist wieder so... verschlossen. Und dann gestern mit Malfoy, das war wirklich gespenstisch."

„Bin ich wirklich so schlimm?" fragte Hermine verzweifelt.

„Hermine, da fragst du den falschen. Diese Frage kann dir nur einer beantworten... Harry."

„Wo ist er?" fragte Hermine.

Ron zuckte nur mit den Schultern, „Wir hätten normalerweise Schwertkampftraining mit Moody, aber er ist die letzten beiden Tage nicht aufgetaucht. Moody war vielleicht stinkig."

Hermine sah ihn entsetzt an, „Er war nicht beim Training?"

„Hermine, das habe ich dir vorgestern schon erzählt. Hast du das nicht mitbekommen?"

Ihre Augen weiteten sich überrascht, und sie schüttelte niedergeschlagen den Kopf.

„Wenn du mich fragst, macht euch einen schönen Abend zu zweit. Ich bin sicher, er weiß, dass du viel zu tun hast, er will schließlich auch, dass Dumbledore wieder aufwacht, aber du musst auch leben Hermine. Wofür lohnt es sich sonst zu kämpfen?"

Sie hatte plötzlich Tränen in den Augen.

„Was ist mit dir?" fragte Ron besorgt.

„Genau das wollte Harry gestern von mir, ... sich einen schönen Abend mit mir machen. Und ich habe ihn weggeschickt. Ich... er fehlt mir doch auch. Ist es falsch, dass ich Dumbledore helfen will?"
"Nein, natürlich nicht. Aber du darfst deine Freunde deswegen nicht wegstoßen, schon gar nicht Harry. Ihr habt beide so viel durchgemacht, Hermine. Ihr braucht euch gegenseitig, um euch zu unterstützen. Ist es nicht so?"

Sie nickte, dann sah sie ihn erschrocken an, „Hat er wieder Albträume?"

„Nicht dass ich wüsste. Frag ihn doch lieber selber. Wäre es denn so schlimm, wenn ihr wieder gemeinsam schlafen würdet? Ich denke, dass würde euch beiden helfen."

Sie schüttelte den Kopf.

„Rede mit ihm. Na los, worauf wartest du?"

Sie stand auf und eilte aus der großen Halle.

Sie rannte fast durch die Flure. Zuerst suchte sie im Gemeinschaftsraum, doch da war er nicht. Dann eilte sie in seine Unterkunft, Neville fiel fast vor Schreck aus dem Bett, als Hermine in das Zimmer stürmte, „Sorry, Neville. Hast du Harry gesehen?"

Neville schüttelte nur den Kopf.

Danach rannte sie in ihren Raum, doch der war leer, dunkel und kalt.

‚Wie konnte das nur geschehen?' fragte sie sich.

Sie suchte an allen Plätzen, die ihr in den Sinn kamen, sie ging sogar in die Küche, doch die Elfen hatten ihn nicht gesehen.

Dann ging sie zu Moody, sie erinnerte sich daran, dass er Training hatte, vielleicht war er ja dort. Schließlich suchte sie schon seit einer Stunde.

Sie traf Moody und Ron in dem Klassenraum, beide in Fechtmontur und in ein Duell vertieft.

Als Moody Ron geschlagen hatte, fragte sie: „Professor, haben sie Harry gesehen?"

„Potter? Ja, der war hier. Ich hab ihn nach einer halben Stunde weggeschickt, er war nicht bei der Sache."

„Ich hab ihm gesagt, er soll mit dir reden, Hermine, doch er meinte nur, er komme schon klar, ich solle mir keine Sorgen machen."

„Ist schon gut, irgendwann taucht er wieder auf. Wenn er doch nur nicht die Karte mitgenommen hätte."

Damit machte sie sich wieder auf den Weg.

Zum Schluss kam sie in den Astronomieturm. Sie stellte sich auf die Plattform, sah in den verbotenen Wald hinaus und seufzte: „Oh Harry, wo bist du nur?"

Als plötzlich eine leise Stimme rechts hinter ihr antwortete, zuckte sie vor Schreck zusammen: „Ich bin hier, Hermine."

Sie fuhr herum und da saß ihr Harry, einfach so auf dem Boden gleich neben der Tür und starrte in den Wald hinaus.

„Harry, ich habe dich den ganzen Tag gesucht." schluchzte sie und fiel ihm um den Hals.

Er erwiderte ihre Umarmung zurückhaltend.

„Ich war beim Training, bin etwas früher hingegangen. Dann war ich in der Bibliothek. Du erinnerst dich? Wir wollten uns um zehn dort treffen zum forschen."

„Hast du etwas gefunden?"

„Nein, wir haben jetzt alle Bücher durch. Es ist zwecklos."

„Harry... ich... es tut mir leid."

„Was denn?" fragte er aufrichtig.

„Wie ich dich in letzter Zeit behandelt habe, ich weiß nicht was in mich gefahren ist."

„Forscherdrang?" half Harry ihr aus, er klang ehrlich, nicht verletzend oder belustigt.

Sie sah beschämt zu Boden und Tränen traten in ihre Augen.

Sie tat ihm leid, er sah, dass sie sich ehrlich Sorgen um ihn machte.

Er umarmte sie zärtlich und flüsterte: „Schhh... ist schon gut. Ich wünschte nur, wir hätten auch etwas Zeit für einander... und... und du würdest mir ab und an noch zeigen... dass... das du mich lieb hast." brachte er mühsam hervor. Er redete nicht gern offen über seine Gefühle, doch er wollte ehrlich mit ihr sein.

„Oh, Harry. Natürlich liebe ich dich, mehr als alles auf der Welt. Es ist nur, du weißt, wie ich werde, wenn mich etwas beschäftigt. Ich mach es wieder gut, ich verspreche es."

„Nein, das brauchst du nicht. Ich weiß jetzt, dass zwischen uns noch alles in Ordnung ist, das genügt mir."