1-24.
"KC, hast du May irgendwo gesehen?" fragte Salene. "Sie muß mir unbedingt beim Schneidern der Hochzeitskleider für Cloe und Ved helfen, allein schaffe ich das bis morgen nicht."
Wo May steckte, wußte KC zwar nicht, aber er dachte angestrengt nach, ob er aus der Situation einen Strick drehen konnte, und es kam ihm sogleich eine Idee. "Ich glaube, sie wollte die beiden rüberbringen, damit ihr die Kleider richtig anpassen könnt, es soll doch schließlich schön aussehen und dem Guardian gefallen", schwafelte er. Dann rannte er los zum Hauptquartier der Chosen. Er hoffte inständigst, May dort vorzufinden, und er hatte Glück.
"Salene möchte, daß du Cloe und Ved in die Mall bringst, damit sie die Hochzeitskleider anpassen kann - und du sollst ihr beim Nähen helfen", richtete er aus. May befolgte die Anweisung umgehend, denn der Guardian sollte keinen Grund haben, mit ihr unzufrieden zu sein. Luke zeigte sich allerdings genervt, mußte er doch zur Sicherheit mitkommen und das junge Paar bewachen.
Ved und Cloe verspürten einen neuen Hoffnungsschimmer, als sie erfuhren, daß sie in die Mall gebracht werden sollten. Vielleicht ergab sich da die Chance für einen Fluchtversuch. KC war unterdessen schon vorausgerannt und traf unter mächtigen körperlichen Anstrengungen seine eigenen Vorbereitungen...

"Ach Cloe, morgen ist der glücklichste Tag deines Lebens", begrüßte Salene sie freudestrahlend und mitfühlend, doch dann senkte sie sogleich den Kopf und machte ein trauriges Gesicht. Sie dachte daran, wie Ryan ihren Heiratsantrag zurückgewiesen hatte, nun würde sie für immer und ewig eine alte Jungfer bleiben, während Cloe ihrem Eheglück entgegenblickte.
"Tja, ich glaube wir Herren sollten jetzt mal rausgehen, wenn die Braut sich zum Maßnehmen auszieht", sagte KC ganz laut zu Luke. Luke sah das ein und verzog sich. Salene und May taten pflichtbewußt ihre Arbeit. Sie standen unter großem Zeitdruck, denn die Hochzeit war schon in wenigen Stunden, und die Kleider mußten bis dahin fertig genäht sein und perfekt sitzen. So waren sie froh, daß KC sich anbot, Cloe und Ved danach wieder hinauszubegleiten...

Luke saß derweil im Gang und wartete unruhig.
"So lange kann das doch nicht dauern", wunderte er sich.
"Cloe und Ved sind eingeschlafen, sie sind völlig übermüdet", berichtete KC. "Die ganze Aufregung vor dem großen Tag, sie brauchen unbedingt noch etwas Schlaf."
"Das ist mir völlig egal, dann werden sie aufgeweckt", schimpfte Luke gereizt, stand auf und stürmte in das Zimmer. "Ich habe noch einen Haufen andere Dinge zu erledigen." Er sah sich um. "Wo zum Teufel sind sie?"
Das Ankleidezimmer war leer. Salene und May waren bereits in die Nähstube gegangen.
"Sie liegen hier im Schlafzimmer", verriet KC.
Tatsächlich, da lagen Cloe und Ved nebeneinander auf dem Bett. Luke hatte seine liebe Mühe, sie wachzurütteln. KC grinste nur.

1-25.
Bray, Ebony und Lex lagen an einem Hintereingang des Chosen-Hauptquartiers auf der Lauer und warteten auf May.
"Die hat uns reingelegt, das verdammte Luder", raunte Lex, "sie müßte längst zurück sein."
"Zweifelst du etwa an ihr?" stichelte Ebony. "Vielleicht war es gar nicht May, vielleicht war es ihr Klon, der dich um den Finger gewickelt hat."
"Halt die Klappe", zischte Lex. "Ich kann sehr wohl eine Frau von einem Klon unterscheiden! Weißt du auch woran?"
Er blickte Ebony hinterlistig an, und sie wußte, daß jetzt wieder einer von seinen Chauvi-Sprüchen kommen würde.
"Auf einen Klon kannst du dich verlassen - aber auf eine Frau nicht! Also, wenn sie nicht kommt, ist das der Beweis dafür, daß sie eine Frau ist, und zwar eine echte."
Ebony drehte sich angewidert von Lex weg, obwohl sie eigentlich nichts anderes von ihm erwartet hatte. Bray zuckte nur mit den Schultern und sagte, "reg dich nicht auf, Ebony, solange er solche Sprüche von sich gibt, ist das der beste Beweis dafür, daß wir immer noch den echten Lex vor uns haben."
Endlich erschien May hinter der Glastür und winkte sie zu der Treppe, die zu einem unbenutzten Kellerabgang an der Hinterseite des Gebäudes hinabführte.
Cloe und Ved kamen heraus und machten einen ziemlich verstörten Eindruck.
"Sie scheinen unter Schock zu stehen", stellte Bray fest. "Kein Wunder, bei dem, was man ihnen zugemutet hat."
"Was soll das alles?" fragte Ved muffig. "Wir heiraten morgen, wir brauchen jetzt unseren Schlaf, damit wir für die Zeremonie bei vollen Kräften sind."
"Ihr seid ja völlig eingenebelt, als wärt ihr betrunken", stellte Bray fest und zog Cloe am Arm.
"Und wohin jetzt mit ihnen?" fragte Ebony. "In die Mall können wir sie wohl kaum bringen."
"Wir bringen sie natürlich in unser Lager", bestimmte Bray.
"Damit sie uns verraten?" protestierte Lex.
"Sei doch nicht immer so mißtrauisch", regte sich Bray auf. "Wenn wir unserem eigenen Tribe nicht mehr vertrauen können, dann haben wir wirklich verloren."
"Sämtliche Mallrats laufen hier doppelt herum, schon vergessen?" mahnte Lex.
Bray konterte. "Wenn ich mich nicht irre, hast du vorhin ganz stolz damit geprahlt, wie du in der Mall die Klone von Ved und Cloe und den von dir selbst höchstpersönlich bewußtlos geschlagen und eingesperrt hast. Also müssen die beiden hier ja unsere echten Freunde sein."
"Aber sie wirken so komisch", warf Ebony ein.
"Sie haben ja wie die anderen am Schulunterricht der Chosen teilgenommen", fiel Lex ein, "wahrscheinlich haben sie davon schon einen Dachschaden erlitten".
Unterdessen war Cloe aus ihrem Dämmerschlaf wach geworden. Als sie Ved neben sich erblickte, riß sie sich von Bray los und ergriff panisch die Flucht. Sie waren immer noch in der Stadt, wo es nur so von Chosen wimmelte. Sie durften Cloe nicht entkommen lassen, und sie durften sich nicht entdecken lassen.
Lex fing sie in einer dunklen Seitengasse ein, die anderen eilten herbei.
"Warum tut ihr das?" heulte Cloe. "Ved liebt mich gar nicht. Er wollte mich vergewaltigen! Er und Jack, alle beide, sie sind nackt über mich hergefallen. Lex, du hast es doch gesehen. Danke daß du mich vor ihnen gerettet hast."
Drei verdatterte Augenpaare trafen Lex.
"Sie fantasiert", befand Lex.
"Und dann hat Ved mich gefesselt und in die Besenkammer gesperrt, er ist so gemein, bitte beschützt mich vor ihm", jammerte sie.
Ved reagierte entrüstet. "Du kleine Lügnerin, du mißratenes Stück, der Guardian wird dich hart bestrafen." Dann gab er ihr eine Ohrfeige und machte einen schnellen Satz zur Seite - und verschwand in der Dunkelheit.