1-30.
Ved wurde immer verzweifelter. Er wollte seinem Klon nicht noch einmal begegnen. Doch die ganze Stadt war voller Chosen und ihrer Klone, wenn sie ihn finden würden, dann würden sie ihn töten. Er sah keinen anderen Weg mehr, als die Stadt zu verlassen. Natürlich mußte er Jack überreden mitzukommen. Er wollte einfach nur noch nur mit Jack zusammen glücklich sein.
"Wo willst du denn hin?" fragte Jack resigniert.
"Es gibt da ein Haus, einen halben Tagesmarsch von der Stadtgrenze, da wohnt eine alte Bekannte", erklärte Ved.
"Kenne ich sie?"
"Ja, besser als ich, denn eigentlich ist sie nur eine Bekannte von dir", sagte Ved und holte das alte Foto von Jack aus seiner Tasche. "Das habe ich von ihr bekommen. Es ist Danni."
Jack verzog sein Gesicht. Er mochte nicht daran erinnert werden, daß er früher einmal knallrote Haare hatte. Er fand das voll peinlich. "Willst du schon wieder testen, ob ich ein Klon bin", fragte er angesäuert. "Wie viele von diesen gräßlichen Fotos hast du noch? Hast du etwa meine ganze Vergangenheit ausgeschnüffelt?"
Ved merkte, daß er bei Jack in einen wunden Punkt gestochen hatte. "So darfst du nicht darüber denken. Ich wollte nur alles über dich wissen, weil ich so unsterblich in dich verliebt war, ich habe dich angebetet - und das tue ich jetzt immer noch. Du bist mein Engel, Jack."
Ved umarmte Jack und küsste ihn, seine Augen waren steil nach oben gerichtet, alles was sein Blickfeld erfasste, waren Jacks blaue Haare, die leuchteten als seien sie der Himmel über ihnen.
"Ich muß nochmal kurz zur Mall zurück und ein paar persönliche Dinge holen, bevor wir aufbrechen", sagte Ved. Er konnte sich wirklich nicht erklären, warum er das tat. Nun war er doch mit Jack zusammen, der seine Liebe so zärtlich erwiderte, sein Traum war wahr geworden. Wozu brauchte er noch diese albernen Devotionalien? Obwohl er wußte, daß Jack total ausrasten würde, wenn er den Inhalt zu Gesicht bekommen würde, stahl sich Ved an den Wachen vorbei in die Mall, um das geheime Köfferchen mit seinen gesammelten Jack-Sachen aus seinem Zimmer zu holen.
Luke rauschte durch den Gang, in letzter Sekunde konnte Ved hinter eine Säule huschen und sich verstecken. Gleich hinter Luke folgte der Guardian, verhüllt in seine tief heruntergezogene Kapuze, damit man sein verstümmeltes Gesicht nicht sah. Was hatte der Guardian in der Mall zu suchen? Er schimpfte unablässig irgendwelche Worte, die Ved nicht verstand, nur eines konnte er zwischen dem Gerede aufschnappen: neuer Virus! Alarmiert und neugierig schlich Ved den beiden vorsichtig nach bis in das Foyer der Mall. Dort waren die anderen Mallrats versammelt. Es herrschte eine bedrückende Stimmung, einige weinten leise. Ein Sarg stand in der Mitte, darin lag Cloe. Sie war tot.

1-31.
So schnell er konnte, rannte Ved aus der Mall zurück zu der Stelle, wo Jack auf ihn wartete. Er brachte es nicht fertig, seinem Freund gegenüber die schreckliche Nachricht von Cloes Tod auszusprechen. Dabei hätte er gerne Jacks Meinung dazu gehört, denn wenn die Chosen nun tatsächlich damit angefangen hatten, die echten Mallrats umzubringen, weshalb war dann der Guardian wegen Cloes Tod so wütend?
Ohne Zwischenfälle ließen die beiden die Stadtgrenze hinter sich und wanderten nun erleichtert nach Süden. Dann geschah es: Jack brach plötzlich zusammen und stürzte kraftlos auf den weichen Waldboden.
Ved erschrak zu Tode. Jack hatte schon den ganzen Marsch über so gut wie kein Wort gesprochen und war merkwürdig still gewesen. Sofort sah er die tote Cloe in dem Sarg vor seinem geistigen Auge und erinnerte sich an die beiden einzigen Worte, die er in der Mall noch vernommen hatte. Neuer Virus! War Cloe gar nicht von den Chosen getötet worden, sondern an einem Virus gestorben? War auch Jack infiziert? Oh nein, dachte Ved, mein geliebter Jack, du darfst nicht sterben! Er reichte Jack die Wasserflasche und stützte seinen Kopf ab. Jack schien Fieber zu haben, er war heiß wie ein Ofen, Schweiß perlte von seiner Stirn, seine Pupillen waren weit aufgerissen. Er bewegte sich kaum noch. Ved hielt ihn in den Armen und fing vor lauter Verzweiflung an laut zu heulen.
Im Gebüsch knackste es verdächtig. Ved sah auf. Ein kräftiger Junge mit langen schwarzen Haaren und Federschmuck tauchte wie aus dem Nichts auf. Wie einer von den Chosen sah er nicht aus.
"Dein Freund ist krank", stellte er fest.
"Er darf nicht sterben", jammerte Ved.
Der Junge beugte sich nieder. "Das ist ja Jack von den Mallrats", erkannte der Junge, "seit wann trägt er blaue Haare?"
"Du kennst ihn? Wer bist du?"
"Mein Name ist Pride. Ich kenne alle Mallrats. Das ist eine lange Geschichte. Was sucht ihr beide hier so tief im Wald?"
Ved erzählte mit schwacher Stimme, während sein Blick nervös zwischen Pride und dem regungslos daliegenden Jack pendelte, daß sie auf der Flucht vor den zurückgekehrten Chosen und vor den Klonen waren und zu Danni gehen wollten.
"Es ist nicht mehr weit bis zu Dannis Haus, wenn wir die Abkürzung nehmen", erklärte Pride. "Ich werde euch hinbringen."
Pride trug den kranken Jack quer durch das Dickicht und lief so schnell, daß Ved Mühe hatte zu folgen. Bald waren sie bei Danni angekommen, die nicht besonders erfreut über den ungebetenen Besuch war, aber aus Mitleid und Besorgnis für Jack die Gäste aufnahm. Pride verschwand, bevor Ved sich für seine Hilfe bedanken, geschweige denn weitere Fragen stellen konnte.
"Pride ist ein Einsiedler, er mag den Kontakt mit Menschen nicht besonders", erklärte Danni. "Aber er ist sowas wie der gute Geist des Waldes, mystischerweise ist er immer zur rechten Zeit da, wenn hier im Wald jemand Hilfe braucht. Mich hat er schon zweimal gerettet, seit ich hier lebe."