Titel: Liber Studiorum

Kapitel: 6 von 6

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Sie mussten nur noch den morgendlichen Wachwechsel abwarten. Will hatte dem seine immer noch währende Wut unterdrückenden Jack vorhin in knappen Worten den Plan unterbreitet, den sie für die Flucht verfolgen würden. Während die Wachen ihr morgendliches Gespräch führen würden, wollte Will aus dem Haus gehen und ablenken, damit Jack Zeit hatte, sich zwischen den Sträuchern am Rande des Pfades zu verstecken. Glücklicherweise fand der Wachwechsel früh am Morgen statt, noch während der Dämmerung, sodass der schwarze Umhang als Tarnung gerade so ausreichend sein würde. Dann wollte sich Jack bis neun Uhr in Hafennähe verstecken und sich dann auf seine Mannschaft verlassen. Der Pirat nahm noch schnell ein dringend benötigtes Bad, bevor er sich das schwarze Tuch um den Nacken legte. Will beobachtete ihn, während er die Schnur durch den Stoff fädelte und sie vor seinem Hals zuband. Seit Jack in der Nacht aufgewacht war, hatten sie kein nicht dringend notwendiges Wort mehr miteinander gesprochen. Der Pirat verabscheute Wills Blicke in diesem Moment. In seinen Augen lag kein Bedauern, keine Reue über die vergangene Nacht, nein, er tat vielmehr so, als könnte man es rechtfertigen, dass der Künstler.. Nein. Jack war immer noch wütend wegen der zurückliegenden Nacht, doch er durfte sich von solchen Dingen nicht zu sehr in Rage bringen lassen. Vor allem nicht jetzt.

Will blickte aus seiner jetzigen Position aus dem Fenster in der Nähe der Tür heraus. "Beeile dich. Es geht gleich los." Jack nickte und zog das Band noch einmal fest. Dann stellte er sich neben Will, achtete jedoch darauf, dass man ihn von draußen nicht sehen konnte.

Kurz darauf hörte man Schritte, und Will legte seine Finger um den Griff der Tür. Als man von draußen Stimmen hörte, öffnete er sie. Jack blieb ungesehen hinter der Tür stehen, doch auch er konnte das graue, matte Licht sehe, das schon jetzt in das Haus hineinfiel. Er musste sich beeilen. Bald würde es zu hell sein, um noch nach einem Versteck suchen zu können. Als Will bei den Wachen stand und ihre Aufmerksamkeit unter einem Vorwand von der Tür weg lenkte, wartete Jack kurz und schnellte dann lautlos zu dem Versteck an den Sträuchern, dass er schon bei seiner letzten Flucht genutzt hatte. Er hockte sich dort hin und sah noch einmal kurz zu Will. Der Künstler würde Ärger bekommen, sobald man mitbekommen würde, dass er Jack Sparrow zur Flucht verholfen hatte, und Jack spürte einen Anflug von Reue deswegen, doch Will hatte das alles in Kauf genommen. Der Pirat war ihm dankbar, mehr konnte er jedoch nicht für ihn tun. Es fiel ihm seltsam schwer, den Blick abzuwenden und in Richtung Stadt zu schleichen.

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Die Atmosphäre, die sich ihm offenbarte war ähnlich dem Tage, als Will den Piraten aus dem Gefängnis geholt hatte. Erste Händler zählten ihre Waren oder stellten die Verkaufsstände auf, und nur wenige Menschen befanden sich auf den Hauptstraßen, in den Seitengassen befand sich zu Jacks Glück niemand. Als er sich dem Hafen näherte, auf dieselbe Weise, wie er am vorherigen Tag schon dort hin gelangt war, überlegte er, sich in der Seitengasse direkt vor dem Hafengelände zu verstecken, verwarf die Idee aber sogleich wieder. Es wäre weitaus günstiger, gleich zu versuchen, in die Nähe der Lagerhäuser und somit in die Nähe des Schiffes zu kommen. Diese Variante war zwar nur ein klein wenig ungefährlicher, zumal auch dieses Gebiet am frühen Morgen stark genutzt werden würde, jedoch war er somit gleich an seinem Schiff, und außerdem wollte er nicht das Risiko eingehen, erneut mitten auf dem Hafengelände gefangengenommen zu werden. Außerdem wusste er nicht, wie stark die Seitengasse am Tag genutzt wurde. Jack näherte sich also zunehmend den Lagerhäusern.

Nach einer Viertelstunde war er dort angekommen. Er fand einige alte, vermutlich schon vor Jahrzehnten abgestellte, modrige Transportkisten, die jedoch ein vorzügliches Versteck für den Piraten hergaben. Von hier aus hatte er sein Schiff gut im Blick. Nun merkte Jack auch, warum seine Mannschaft so großen Wert darauf legte, dass er erst um neun Uhr auf das Schiff kommen sollte: Der Hafen war bereits jetzt übersäht mit Soldaten. Dass Jack am Vortag nicht fliehen konnte, lag wohl auch daran, dass er die Sicherheitsvorkehrungen des Gouverneurs von Greenford nicht kannte. Er lehnte sich an die Holzkiste unmittelbar hinter ihm, wartete, und fragte sich, was sich seine Mannschaft wohl ausgedacht hatte, um die vielen Menschen und Soldaten vom Hafengelände zu scheuchen. Er hoffte, dass sie sich überhaupt Gedanken darüber gemacht haben.

Als die Sonne den Punkt erreicht hatte, an dem es ungefähr neun Uhr sein musste, und auch als sie ihn schon weit passiert hatte, geschah jedoch nichts. Jack beobachtete aufmerksam den Hafen. Er konnte nicht einfach hinuntergehen um herauszufinden, ob seine Mannschaft nicht vielleicht doch auf ihn wartete - das Risiko war zu groß, dass sie es nicht tat. Und außerdem hätten sie derlei Dinge in der Nachricht geschrieben. Jack wurde jedoch mit jedem Stück, dass die Sonne weiter emporstieg, unsicherer. Auf seinem Schiff rührte sich nichts. Nach einer Weile stand Jack auf. Er befand sich nun nicht mehr im sicheren Schatten, und die Sonne brannte auf seiner Haut, doch auch jetzt konnte man ihn nur schwer zwischen den Kisten erkennen. Darauf achtete er. Jedoch konnte er auch aus dieser Position niemanden aus seiner Mannschaft im Hafen entdecken. Vielleicht hatte man sie gefangen genommen? In diesem Moment hörte er ein lautes Geräusch. Eine Explosion! Jack schreckte auf und versuchte verwirrt, das Geräusch zu lokalisieren. Es kam von links, und als Jack sich dort hin drehte, entdeckte er mitten über der Stadt einen Kegel aus Rauch. Der Wind verwehte ihn, und unter ihm konnte Jack etwas Rotes erkennen - ein flackerndes Feuer. Jack sah sich auf dem Hafen um. Das musste es sein! Die Ablenkung, von der seine Mannschaft geschrieben hatte - und sobald die letzten, aufgewühlten Wachen ihrer Pflicht nachkommend vom Hafengelände auf das Feuer zurannten, verließ Jack sein Versteck und lief runter zu seinem Schiff.

Nur noch rund zwanzig Meter trennten ihn von dem kleinen, wendigen Gebilde - bald würde er wieder auf dem Meer sein, endlich weg von dieser Insel - als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Sie war ihm wohlbekannt.

"Will!", rief er erstaunt und drehte sich zu dem Künstler um. Dessen Gesicht zeigte Furcht und Sorge, und Jack blickte ihn verwundert an, für einen kurzen Moment seltsamerweise völlig vergessend, warum er hier war. Der junge Künstler war völlig außer Atem.

"Jack!", sprach er und atmete hastig ein. "Sie haben davon mitbekommen! Sie sind dir auf den Fersen!" Jack schüttelte den Kopf. "Das tut jetzt nichts mehr zur Sache.", sagte er schnell. Er musste sich beeilen, die Soldaten konnten jeder Zeit zurückkommen. Doch er wollte noch diesen Moment, noch diesen einen Moment mit dem Künstler - beinahe erschrocken nahm er zur Kenntnis, das Will ihm nicht so wenig bedeutete, wie er sich in den letzten Stunden einzureden versucht hatte. Nicht ganz so wenig. "Siehst du? Das da drüben ist mein Schiff.", sagte er und zeigte hinter sich. Will wirkte nachdenklich. "Na dann musst du wohl jetzt weiter", meinte er mit einem gequälten Grinsen. Jack lächelte, klopfte dem Künstler freundschaftlich auf die Schulter, drehte sich zu seinem Schiff um und ging schnellen Schrittes darauf zu. Und wieder fühlte er, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte, doch dieses Mal drehte sie ihn leicht grob wieder um, und den Bruchteil einer Sekunde später spürte Jack Wills Lippen auf seinen eigenen. Er war zunächst überrascht und wollte ihn schon von sich stoßen, doch dann schloss er die Augen - und auch wenn er ihm Leid angetan hatte, gewährte er dem Künstler diesen einen, letzten Kuss. Ein Kuss der seltsam gefühlvoll war und viel Liebe in sich trug - anders, als er es von dem Künstler gewöhnt war. Und eine Träne floss auf sein Gesicht, und überrascht stellte er fest, dass sie nicht aus den Augen des Piraten kam.

Zwei Hände zogen grob seine Arme hinter seinen Rücken. Jack löste sich von Will und öffnete erschrocken die Augen. Schon hörte er das Einrasten des Schlosses der Handschellen an seinen Gelenken. Er wehrte sich, hatte jedoch gegen ein Dutzend um ihn herumstehende weitere Soldaten keine Chance.

"Danke für Eure Hilfe, Mister Turner.", sprach einer der Soldaten, Will ansehend. Jack blickte verwundert zu dem Künstler auf. "Dank Euch konnte der Pirat Jack Sparrow erneut gefasst werden." Wills Augen sahen verwirrt umher.

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Jack wachte mit schmerzenden Gliedern in seiner Gefängniszelle auf. Es war wieder die Einzelzelle, nahe am Ausgang des Gefängnisses, und er war bereits drei Tage lang wieder hier. Ein Soldat, der ihm eine winzige Mahlzeit gebracht hatte, hatte ihn mit den Geräuschen der Zellentür geweckt. Morgen sollte der Pirat gehängt werden.

Er wollte und konnte immer noch nicht glauben, was Will getan haben sollte. Er war so nah am Schiff gewesen und.. das sollte alles Ablenkung gewesen sein? Seine Mannschaft hatte überhaupt nicht in Greenford angelegt, oder die britischen Truppen hatten sein Schiff bereits eingenommen und als Ablenkung verwendet. Immer noch hatte er Hoffnung, daher konnte er das einfach nicht glauben. Er konnte nicht glauben, dass Will ihn verraten hatte, wie ihm die Wächter seit Tagen bös grinsend weismachen wollten. Nicht glauben, dass der Künstler ihn die ganze Zeit über nur angelogen hatte. Er sah sich in der Zelle um. Keine Änderung, keine für ihn durch die Gitterstäbe eingeworfene Nachricht, kein Pirat, der oben auf der Straße stand, durch das Fenster sah und seine Aufmerksamkeit auf ihn lenken wollte. Nur Staub und der schräg einfallende Lichtstrahl der heißen, brennenden Nachmittagssonne. Er seufzte resigniert. Vielleicht stimmte es ja. Vielleicht sollte er sich einfach damit abfinden, dass sein Schiff verschwunden war, seine Mannschaft ihn nicht gerettet hatte, dass Will ihn nie geliebt hatte und dass er dieses Mal nicht entkommen würde. Und selbst wenn die Piraten hier und die Nachricht echt war, dann würde der Künstler, dem Jack in seiner Dummheit erzählt hatte, welches der Schiffe seines war, diese Nachricht sicherlich bereitwillig an seinen Onkel weitergegeben haben. Sein Optimismus war einfach falsch gewesen. Und war es auch noch jetzt, in diesem Moment, in dem er diesen Dingen immer noch keinen Glauben schenken wollte. Noch einmal sah er sich in der Zelle um, und Jack kam es wie das letzte Mal vor. Dann schloss er die Augen. Erst Stunden später weckte ihn ein Geräusch, das von der Zellentür her kam. 'Ein paar Wachen', dachte sich Jack. Soldaten lungerten in Scharen im Gefängnis herum, seit er wieder gefangen genommen worden war. Scheinbar auch bei Nacht. Der Pirat rollte sich zur Seite und versuchte, weiter zu schlafen. Wieder hörte er Geräusche von der Tür, jetzt wurde sie geöffnet.

"Jack!", rief jemand leise. Jack sah überrascht ihn die Richtung, aus der er seinen Namen hörte. "Will!", sagte er erstaunt und sprang auf. Hinter dem Künstler standen noch zwei weitere Männer, Vincent und Oskar aus seiner Mannschaft. "Sei leise", flüsterte Will und zeigte ihm mit einer Geste, dass er ihm folgen sollte. Er ging aus der Zelle heraus, und sobald sie (auch) das Gefängnis verlassen hatten, begann er, zu rennen. Jack und die Piraten folgten ihm. Vincent und Oskar sahen sich ständig nach möglichen Verfolgern um, und schlugen einen Soldaten zu Boden, als er alleine auf sie zustürmte. Es war Nacht. Jack und Will rannten, so schnell und leise sie konnten, durch die Stadt. Auch die beiden Wachen am Tor lagen auf dem Boden, und Jack wusste nicht, ob sie noch am Leben oder tot waren.

"Wo habt ihr die Schlüssel her?", flüsterte Jack, als sie an einem Haus inne hielten, um sich zu vergewissern, dass keine Soldaten auf der Straße waren, die sie zu überqueren gedachten. "Mein Onkel.", sagte Will, "Unerlaubt." Er verzog die Lippen zu einem listigen Grinsen und lief ans andere Ende der Straße. Jack folgte ihm. Er würde also tatsächlich noch entkommen? Will hatte ihn doch nicht angelogen? Oder zeigte er nur Reue? Er wusste es nicht, aber auf jeden Fall war der Pirat erst einmal auf freiem Fuß. Und nach den Tagen im Gefängnis war er verständlich froh darüber.

Einige Häuser weiter hielten sie inne, um eine Wachpatrouille vorbei zu lassen. Egal, was nun wirklich geschehen war, Jack ging es im Moment nur noch darum, die Stadt zu verlassen. Er hoffte nur, es dieses Mal zu schaffen. Diese Insel war ihm bei weitem zu gut bewacht.

"Jack..", flüsterte Will, als die Wachen ihre Gasse passiert hatten. Er schien zu zögern. "Du wirst mir jetzt vermutlich nicht glauben, aber.. Ich habe dich nicht verraten. Nie." Jack sah ihm in die Augen, so gut er es in der dunklen Nacht zu tun vermochte. "Ich weiß.", sagte er lächelnd, und glaubte geradezu, zu spüren, wie sich die Augen des Künstlers aufhellten, und wie sie sich erwärmten.

Sie befanden sich nun in der Seitenstraße, in der Jack bei seinem ersten Fluchtversuch vor Tagen die Nachricht hinterlassen hatte. Jack blickte zum Schiff hinüber. Nur noch ein oder zwei Soldaten befanden sich auf dem Hafen. Sie bewachten das Schlachtschiff, und es würde nicht schwer sein, sich im Falle eines Falles durch sie hindurch zu kämpfen. Jack blickte lächelnd auf sein Schiff, und Will wandte sich zu dem Piraten hin. "Dann ist das hier wohl das Ende.", sagte er, und nur ein gequältes Lächeln vermochte er seinen Lippen zu entlocken. "Es scheint so.", sagte Jack, und die Worte taten ihm gleich wieder Leid, als er den Ausdruck in Wills Gesicht sah. Will zögerte. "Es.. t-tut mir..", begann Will, doch Jack legte seinen Zeigefinger sanft auf die Lippen des Künstlers und verschloss sie damit. Er lächelte glücklich. Gefährlich nahe vor Jacks Gesicht stach die Schneide eines Schwertes von rechts neben ihn. Der Soldat, der sich von links an sie herangeschlichen hatte, fiel tot nach hinten, und ließ Vincents Klinge blutverschmiert zurück.

"Kommt schnell", sagte der Pirat zu seinem Kapitän, "Es wird hier langsam etwas eng." Jack sah Will ein letztes Mal in die Augen. "Lebewohl", sagte er, bevor er die Hand von den Wangen des Künstlers nahm und zu seinem Schiff lief.

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Will öffnete die Tür seines Hauses und ging ins Atelier. Es war noch dunkel draußen, allerhöchstens sehr früh morgens - der Künstler wusste es nicht genau. Die Wachen vor den Fenstern waren verschwunden. 'Zum Glück', dachte sich Will. Er zündete eine fast heruntergebrannte Kerze an, um ein wenig Licht in den Raum zu bringen. Die Tür des Badezimmers stand noch offen. Vor wenigen Tagen hatten die Soldaten, die draußen vor seinem Haus postiert waren, hier in seinem Haus nach Jack gesucht, denn sie misstrauten dem Künstler. Sie misstrauten ihm, seit sie eines Nachts Geräusche aus dem Schlafzimmer gehört hatten, die ihre Verdächtigungen scheinbar bestätigten. Will setzte sich und sah sich im Raum um. Sein Blick fiel auf die Staffelei mit dem halbfertigen Gemälde von Jack Sparrow, das den Piraten so sehr verärgert hatte. Will brach in Tränen aus. Er konnte sie nicht mehr halten, und nun war er allein und ließ ihnen freien Lauf. Unzählig brachen sie aus seinen Augen heraus, und der Künstler legte sein Gesicht in die Hände und schluchzte leise. Warum hatte er ihn nicht gefragt? Warum hatte er ihn nicht darum gebeten, mit auf das Schiff kommen zu können? Als Pirat leben, als Abenteurer, an Jacks Seite - es war die einzige ihm gebotene Chance, und er hatte sie verspielt. Er, der nie etwas besseres zustande gebracht hatte, als die Maltechnik seines Vaters schlecht zu kopieren und sich von seinem Onkel einsperren zu lassen - und die Flucht von ihm und dieser verdammten Insel beinahe schon aufgegeben zu haben. Was wollte er wirklich? Er hatte das Malen immer geliebt, doch wenn er nie dort hin kam, wo sein Vater war, aufs Meer, um dort die Farben zu studieren, das Licht, die Atmosphäre, dann konnte er nicht so gut werden wie er. Und er wollte diese Dinge sehen, er wollte die salzige Luft in seiner Nase spüren, den zarten und den stürmischen Wind auf seiner Haut genießen, die Gicht des Wassers unter einem in den Wellen schaukelnden Schiff sehen, er wollte.. Und er wollte Jack. Ein weiteres Mal seine wettergegerbte Haut berühren, ihn küssen, und die ganze Leidenschaft, die sie sich nur wenige Nächte vorher gegeben hatten und die noch immer in ihm glühte, nur noch ein Mal spüren, nur noch ein weiteres Mal.. Doch daswürde es nicht mehr geben. Nie mehr in seinem kläglichen, verdammten Leben. Er hatte seine letzte Möglichkeit verspielt - nun hatte er keine Hoffnung mehr, keine Träume von einer Zeit, in der der Künstler aufs Meer segeln würde, um dort Abenteuer zu erleben - ganz wie sein Vater. Und keine Träume mehr, dass er diese Eindrücke, die er dort gewann, in Bildern festhalten würde, die nur ein klein wenig so unsterblich waren wie die seines Vaters. Alle seine Möglichkeiten waren durch das unsichtbare Sieb der Unsicherheit geronnen - und nur die Körner, die, groß genug waren, dass sie die feinen Maschen sicher fest hielten, blieben ihm noch. Doch für Will waren sie in diesem Moment nichts. Die Tränen wollten nicht versiegen. Er hatte Jack aufgegeben, seine ungewöhnliche, aber einzige bisherige Liebe. Er hatte ihm weh getan, ihn innerlich verletzt, nur, weil er ihn unbedingt festhalten wollte, sicher für ihn und für die Ewigkeit, unbeeinflusst vom Strom der Zeit oder von Wills Unentschlossenheit. Ihn einfach nur festhalten, ihn besitzen, auf einem Gemälde, die ganze Liebe, die er für ihn fühlte, vereint auf einem einzigen Bild. Doch die Leinwand bedeutete ihm nichts. Das spürte er erst jetzt. Will hatte ihn gut studiert, wenn nicht perfekt, er hatte alles Mögliche über ihn in Erfahrung gebracht - und in die Bilder eingearbeitet - doch das letztendliche, vollständige, das, mit dem er zufrieden war, konnte er erst malen, als er die Hände des Piraten auf sich gespürt hatte. Seine Küsse, und Wills eigene Liebe, wie sie dem Piraten antwortete. Oh ja, er hatte Liebe für Jack verspürt, von der ersten Minute an, dem Moment, als er ihn in seiner Gefängniszelle gesehen hatte, doch zu spät gestand er sie sich ein, zu spät für Will, sie Jack noch zu gestehen. Zu spät. Es war zu spät für ihn.

Es klopfte an der Tür. Widerwillig stand Will auf, wischte sich die Tränen aus den Augen, und ging zur Tür. Er öffnete sie. Jack Sparrow stand vor der Tür. "Will?", fragte er. Will zog die Augenbrauen hoch, gleichsam noch immer den Tränen nahe und erstaunt über den Piraten, der nun vor ihm stand und fast schon betreten zu Boden sah. "Ja?" Jack sah ihm kurz in die Augen, blickte aber darauf gleich wieder an ihm vorbei auf den Flur. "Nun..", sagte er, "Wir haben noch einmal in der Bucht hier an der Insel angelegt, weil wir dachten, dass wir etwas vergessen hätten.." - "Was denn?", fragte Will. Jack sah lächelnd zu ihm auf. "Wir haben da so eine neue Galeonsfigur und... Wir bräuchten noch jemanden, der sie anmalt"

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