- Kapitel 4 -
Auswahltraining
Toireasa war froh, den ersten Schultag gut und ohne Zwischenfälle überstanden zu haben. Unterrichtsstoff war auch kaum drangekommen, denn zuallererst mussten viele organisatorische Fragen geklärt werden. Außerdem kamen viele zu spät, weil sie sich verlaufen hatten, oder weil sie einfach keine Treppe finden konnten, die in die richtige Etage führte. Toireasa war stolz, keine einzige Minute versäumt zu haben. Trotzdem war sie froh, als sie am frühen Nachmittag aus ihrer letzten Unterrichtsstunde des Tages kam. Die Füße taten ihr weh vom vielen Laufen und dem Tragen der schweren Schultasche. Deshalb wandte sie sich auch zuerst zum Slytherin-Kerker. Bevor sie die Schule weiter erforschte, wollte sie die schwere Tasche loswerden. Also ging sie die Stufen hinunter, bis sie vor einer bestimmten Wand stand und sagte: Illimis!
Die Geheimtür schwang prompt auf und sie konnte den Gemeinschaftsraum der Slytherin betreten. Es war dämmrig im Gemeinschaftsraum und angenehm kühl. Sie empfand es als äußerst gemütlich und sicher gut zur Entspannung. Einzig die grünen Lampen störten Toireasa. Sie hatte gestern Abend versucht etwas bei diesem Licht zu lesen und hatte mit Kopfschmerzen aufgeben müssen. Wahrscheinlich war das aber nur eine Gewöhnungsfrage.
Sie wollte gerade ihre schwere Tasche hinunter in ihren Schlafraum bringen und in der Kiste gut verschließen, als ihr am Schwarzen Brett eine große Mitteilung auffiel.
Sichtungstraining heute 19:00 auf dem Quidditchfeld
Jeder mit einem Besen ist willkommen, sich mit den letztjährigen Spielern zu messen und sich einen Platz im Team zu erkämpfen. Wer sich qualifiziert und die Ehre hat, für das Team zu spielen, verpflichtet sich gleichzeitig dazu, keinen weiteren außerschulischen Aktivitäten nachzugehen, die mit dem Training in Konflikt stehen.
Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Wahl des Suchers.
Spieler des Hausteams bekommen reduzierte Hausaufgaben im Fach Zaubertränke zugewiesen und sie erhalten das Recht, nach Gewinn des Hauspokals den Ring des Hauses Slytherin zu tragen.
Marcus Flint, Kapitän des Quidditch Teams
Toireasa traute ihren Augen nicht. Ein Sucher für das Team wurde benötigt und anscheinend durfte sich jeder bewerben. Selbst Erstklässler wie sie, schienen nicht ausgenommen zu sein. Einziges Problem, sie hatte ihren Besen daheim lassen müssen, da dies den Schüler im ersten Jahr verboten war und die Schulbesen konnte man, Aidans Aussagen nach, völlig vergessen. Aber wozu hatte sie Brüder? Vielleicht konnte sie sich einen ausborgen. Wobei sie lieber den von Aidan haben wollte. Doch leider würde er wahrscheinlich auch am Testtraining teilnehmen wollen. Trotzdem – versuchen konnte sie es ja.
Schnell lief sie nach unten in ihren Schlafsaal, warf ihre Tasche in die Kiste und schloss diese wieder ab.
Wenn sie sich recht erinnerte, hatte Aidan jetzt Geschichte der Zauberei bei Professor Binns, was furchtbar einschläfernd sein sollte. Wenn sie ihn nach Stundenschluss abfangen konnte, war er vielleicht nicht wach genug, um nein zu sagen.
Sie schaute auf die Uhr. Zeit hatte sie genug. Sie verließ wieder den Kerker und ging zum Innenhof des Schlosses. Von da aus konnte man die Tür des Schulzimmers für Geschichte der Zauberei sehen. Leider hatte sie vergessen sich ein Buch mitzubringen und so saß sie eine halbe Stunde lang wie auf glühenden Kohlen, ohne sich sinnvoll beschäftigen zu können.
Als endlich die Tür von Aidans Klasse aufging, war sie sofort auf den Beinen und lief zum Eingang.
„Aidan!", rief Toireasa, als sie ihren Bruder erblickte. Dieser wirkte wirklich leicht verschlafen und seine Haare waren zerzaust. Sicher war er in der Stunde eingenickt.
„Was is'n", murmelte er undeutlich.
„Weißt du, dass heute Auswahltraining für das Quidditch-Team ist?", fragte sie.
„Natürlich. Ich geh nachher hin. Kannst ruhig mitkommen und…"
„Darf ich?", strahlte sie ihn an.
„…zusehen."
Ihr Lächeln wurde noch breiter und sie schenkte ihm den Blick mit dem alle kleinen Schwestern ihren Willen durchzusetzen pflegten.
„Oh, nein!", schüttelte er den Kopf, als er begriff. „Kommt nicht in Frage, dass du da mitmachst. Du hast hier ja auch keinen Besen!"
Sie intensivierte ihre stummen Bemühungen.
„Ich sagte doch – nein! Ich will selbst ins Team. Frag Risteárd."
„Komm schon, Aidan. Risteárd hat nen Superesel 88. Das ist ein Lastenbesen, damit kann man vielleicht unser halbes Haus anheben, aber sicher nicht Quidditch spielen."
„Du vergisst, dass ich schon mit dir gespielt habe. Meinen Sauberwisch 7 bekommst du nicht. Außerdem suchen sie keinen Torhüter. Da steht ja vielleicht, dass sie alle testen, aber nur weil sie immer auf einen Besseren hoffen."
„Ich will mich ja auch als Sucher bewerben. Während du wahrscheinlich nichts anderes als Treiber spielen willst."
„Trotzdem…"
„Überleg doch mal", drängte sie weiter. „Solltest du es ins Team schaffen, dann schenkt dir deine Oma wahrscheinlich eh einen neuen Rennbesen. Und du weißt, dass es im Moment nur zwei bessere Besen als den deinen gibt", köderte Toireasa ihn. „Dann könntest du mir, in einer äußerst großzügigen und brüderlichen Geste, den Sauberwisch überlassen."
Das war ein Argument, welches Aidan durchaus überzeugte, aber leider noch nicht ganz. Sie konnte es am Glänzen seiner Augen sehen. Wahrscheinlich sah er sich schon auf einem Nimbus 2000 oder gar einem 2001 über das Spielfeld fegen.
„Und was ist, wenn ich es nicht schaffe, aber du? Ich kann dir ja nur schlecht den Besen verwehren, wenn das Team dich genommen hat."
Sein Einwand hatte etwas für sich. Krampfhaft überlegte sie, was sie anbieten konnte.
„Was hältst du davon?", schlug sie vor. „In dem Fall, dass ich im Team bin und du nicht, dann mache ich das ganze Jahr lang deine Hausaufgaben in Geschichte der Zauberei."
„Und die von Verteidigung gegen die Dunklen Künste und Pflege magischer Geschöpfe", forderte er.
„Übertreib es nicht", erwiderte sie entsetzt. „Dann lernst du doch gar nichts mehr!"
„Heh – ich hab einen Rennbesen. Ich vertraue ihn dir an. Das ist sehr viel wert."
„Für Hausaufgaben in drei Fächern kann ich sicher jemandem einen abkaufen! Und in der Prüfung wirst du furchtbar auf die Nase fallen."
„Tu doch nicht so, als wäre das so schwer für dich! Du liest gern, magst Geschichte, bist verrückt nach Monstern und dieser Lockhart hat allen Klassenstufen die gleichen Bücher verordnet. Und da du die sicher schon gelesen hast, sollte der Kram dir auch nicht so schwer fallen. Außerdem ist der Professor völlig irre. Der hat heut ohne Warnung Unmengen von wilden Wichteln auf uns losgelassen. War voll das Chaos. Ich bin lieber abgehauen. Wehe du lachst."
Toireasa lachte nicht.
„Wie viele waren es?", fragte sie stattdessen interessiert.
„Bestimmt hundert oder mehr."
„Sind welche entkommen?"
Ihr Bruder schaute sie plötzlich misstrauisch an.
„Ein paar durchs Fenster. Du willst doch nicht welche davon fangen?", forschte er.
„Na ja", versuchte sie sich ein Lachen zu verkneifen und schaute ihn leicht traurig an. „Wenn ich heute Abend nichts Besseres zu tun habe…"
„Okay, okay. Hast gewonnen", gab er mit leichter Panik nach. „Hausaufgaben für Geschichte und Hilfe bei den anderen beiden Fächern, auch wenn du es nicht ins Team schaffst! Mein letztes Angebot."
„Dann darf ich aber auch den Besen nutzen, wenn ich es nicht ins Team schaffe", stellte sie eine letzte Bedingung. Für Nichts das ganze Jahr die Hausaufgaben machen, wollte sie dann auch nicht.
Mit einem schnellen „Abgemacht!" beendete er die Verhandlungen und sie besiegelten ihr Abkommen per Handschlag.
„Du warst schon mal billiger", sagte sie dabei.
„Da ging es auch nie um meinen ersten eigenen Rennbesen. Immerhin ist der noch so gut wie neu."
So gut wie neu bedeutete: Nur zwei Vorbesitzer.
„Wärst du zu Hause nicht gegen den Ast geknallt, wäre er es noch", lästerte Toireasa.
„Erinnere mich nicht daran!", erklärte er mit säuerlichem Gesichtsausdruck. „Ich hatte schon Angst, Ma würde das gebrochene Bein niemals richten."
„Quatsch! Auch wenn sie Quidditch nicht mag, spätestens unser sportverrückter Vater hätte dir geholfen."
„Stiefvater!", betonte er scharf. „Er ist nicht unser Vater."
„Na und?", schaute ihn Toireasa böse an. „Was soll ich dann sagen? Guten Morgen Stiefmutter, guten Morgen Stiefvater, hallo Stiefbrüder?"
Sie konnte sehen, dass es ihn traf.
„Sorry – ich hab nicht mehr drüber nachgedacht. Das liegt daran, dass wir noch so klein waren, als unsere Eltern heirateten. In meinen Augen ist dein Vater auch mein richtiger Vater gewesen. Tut mir Leid."
Er schien wirklich zerknirscht zu sein. Toireasa konnte es ihm nachempfinden. Auch ihr war es vor zwei Jahren schwer gefallen, einen neuen Vater und einen noch älteren Bruder zu akzeptieren.
„Na wenigstens bekommen wir alle von einem vollen Dutzend Großeltern Geschenke zum Geburtstag", versuchte sie die Situation mit Humor zu entkrampfen. „Welches Kind kann das schon von sich behaupten."
„Kaum eines", gab er grinsend zu. „Und für gute Zeugnisse bekommt man auch was von allen."
„Solang es kein Kuss von deiner Oma Terribly ist, nehme ich alles."
„Ich wünschte, sie würde die: Ich-küsse-nur-Blutverwandte-Regel mal vergessen. Ich hasse es, wenn nur ich unter ihrem Warzenansturm leide und du vor Lachen aus dem Zimmer läufst."
„Würdest du dich im Spiegel sehen, wüsstest du warum. Ich denke dabei immer, dass sie die Regel umbenennen müsste in die: Ich-foltere-nur-Blutsverwandte-Regel."
„Ich finde das nicht so witzig. Deine Großeltern sind alle cool, meine zur Hälfte eine Geißel der Familie."
„Na, so schlimm sind sie auch nicht. Immerhin hast du deinen Sauberwisch 7 gegen Ma's Willen von Oma Terribly bekommen. Dafür kann man ruhig mal zwei Minuten leiden."
„Hast ja Recht…wie immer", gab er zu. „Der Besen war schon ein perfekter Ausgleich. Und sie würde mir auch einen Nimbus schicken, sollte ich es ins Hausteam schaffen. Weißt du was? Wir sollten jetzt schnell was Essen und uns danach schon mal ein wenig einfliegen. Schließlich bist du nur deinen Sauberwisch 3 gewöhnt."
„Gute Idee", pflichtete sie bei. „Können wir vielleicht auch nen Klatscher für dich besorgen?"
„Ich könnte Flint fragen, ob wir die Ballkiste raustragen dürfen."
„Du steckst heut voller guter Ideen", schmeichelte sie ihm.
„Und du manipulierst mich wie immer mit deinem Blick."
„Es wird von Mal zu Mal schwerer", grinste sie. „Und das macht hungrig."
„Es ist erstaunlich wie klein und zierlich du bist, wenn man bedenkt, welche Massen du immer in dich hineinstopfst!"
Sie ersparte sich den bissigen Kommentar über den unterschiedlichen Energieverbrauch ihrer Köpfe. Immerhin borgte er ihr heute seinen geliebten Rennbesen. Da sollte sie ihn nicht auf sein Defizit in diesem Bereich hinweisen. Also gingen sie gemeinsam zur Großen Halle, aßen etwas, ohne sich dabei die Mägen voll zuschlagen und waren wenig später mit der Ballkiste auf dem Quidditchfeld.
Sie waren die Ersten und konnten deshalb ein wenig ungestört üben. Zuerst flog Aidan sich ein. Er schlug ein paar Mal einen Klatscher nach ihr, dem sie entweder auswich oder mit der Keule zurück drosch. Nach einer halben Stunde war sie dann selbst mit Fliegen dran und sie genoss es sehr. Endlich ein Quidditchfeld in originaler Wettkampfgröße und auch keine Bäume, die im Weg standen. Hier konnte man die Geschwindigkeit eines Besens voll auskosten. Man musste auch nicht aufpassen, dass man aus Versehen den magischen Sichtschutz verließ, der das heimische Anwesen vor neugierigen Muggelaugen verbarg. Sie flog sich in einen Rausch und erst als ein Klatscher knapp an ihrem Kopf vorbei rauschte, bemerkte sie, dass sie am Boden zurück erwartet wurde.
Die Zeit des Auswahltrainings war schon fast heran und viele Slytherins hatten sich inzwischen auf dem Feld versammelt. Sie landete bei ihrem Bruder und drückte ihm seinen Besen wieder in die Hand.
„Der ist wirklich toll", sagte sie dabei begeistert.
„Nicht so wie ein Nimbus 2001", entgegnete er neiderfüllt und deutete mit einem Blick auf einen fast weißblonden Jungen, der von vielen Schülern umringt war.
„Draco Malfoy", flüsterte Aidan leise. „Vielleicht solltest du dein Glück doch als Torhüter versuchen. Er bewirbt sich auch als Sucher."
Toireasa schüttelte den Kopf.
„Seien wir ehrlich, für einen Torhüter fehlen mir noch Kraft und Masse, um gegen die Älteren bestehen zu können. Als Sucher ist das nicht so wichtig. Sein Nimbus mag zwar besser als dein Sauberwisch sein, aber ich bin deutlich leichter und das könnte einiges wieder ausgleichen. Außerdem kuschen wir Davians doch nicht vor einem irregeleiteten Malfoy, wie Dad immer so schön sagt."
„Mag sein, aber sei vorsichtig. Draco ist nicht zimperlich und sehr beliebt. Mach ihn dir und mir nicht zum Feind", bat ihr Bruder mit schmerzvollem Gesichtsausdruck.
„Du fürchtest ihn?", fragte sie erstaunt.
„Natürlich nicht", entgegnete er verletzt. „Aber ich muss mit denen im selben Raum schlafen und während Malfoy mich im Fluchzaubern um Längen schlägt, würden Crabbe und Goyle mich mit der Faust problemlos aufmischen. Vor allem wenn ich schlafe. Also denk bitte auch an mich. Ich kann nicht in die gesicherten Mädchenschlafräume flüchten. Ganz davon abgesehen, dass auch du mit Millicent und Pansy Probleme bekommen würdest. Das sind die beiden etwas kräftigeren Mädchen neben Draco."
Anscheinend meinte Aidan die beiden dicken Elefanten, die sich um Malfoy drängten und mindestens zwei anderen so den Platz stahlen.
„Er scheint seine Freunde und Freundinnen nach dem Gewicht auszusuchen", lästerte Toireasa.
„Genau solche Sprüchen können uns in Teufels Küche bringen", sagte er vorwurfsvoll.
„Ach, komm schon. Es stimmt doch."
„Mag sein, aber wenn du nicht ein Jahr lang die Hölle auf Erden erleben willst, dann halt dich zurück. Draco ist hier beliebt, sein Vater ist ganz dick mit Professor Snape und auch Flint ist von dem Namen Malfoy sehr beeindruckt."
Sie hatte ihren Bruder selten so ernst gesehen und sie fragte sich ganz unvermittelt, wie er das letzte Jahr hier verlebt hatte. Waren deshalb vielleicht seine Zensuren so schlecht gewesen?
„Ich werd mich beherrschen", versprach sie ihm. „Auch wenn es schwer fällt."
„Gut!", freute er sich. „Wir sind wegen deiner Zugbekanntschaft eh schon knapp an einer Katastrophe vorbei geschrammt. Hast du den heute überhaupt schon gesehen?"
„Nur beim Frühstück. Er saß bei den Ravenclaws, danach war er verschwunden. Hoffe, sie haben ihn zurückgeschickt."
„Wenn die Gerüchte stimmen, dann nicht. Anscheinend darf er dank einer Regellücke bleiben. Ich hab das im Vorbeigehen von ein paar Drittklässlern aus Ravenclaw gehört, die nicht sonderlich begeistert darüber waren, dass ein Muggel ihnen eventuell Punkte kosten wird."
„Na hoffen wir wenigstens das. Ich schätze Ma und Dad werden bei Dumbledore dagegen protestieren. Nur helfen wird es sicher nichts."
„Woher willst du das wissen?"
„Wenn…"
Sie kam nicht mehr dazu es zu erklären.
„Alle Bewerber herkommen! Die anderen auf die Tribüne", rief plötzlich ein großer Junge im Quidditchumhang des Hauses Slytherin. Neben Aidan und Toireasa folgten noch neun andere dieser Aufforderung. Der Rest verzog sich wie befohlen auf die Zuschauertribüne.
„Das ist Marcus Flint", erklärte ihr Aidan flüsternd.
Neben Toireasa hatte es noch ein Junge aus ihrer Klasse gewagt, sich zu melden. Wenn sie sich recht erinnerte, hieß er William. Seinen Familiennamen hatte sie im Moment vergessen. Er war größer als Aidan, schlaksig und sah eher wie ein 12-Jähriger aus.
Als sie Marcus Flint erreicht hatten, schaute dieser sich eher zweifelnd die Bewerber an. Einzig Malfoy schien ein wenig Akzeptanz in seinen Augen zu finden.
„Also! Das heute ist ganz einfach. Um einen Platz im Team zu erobern, müsst ihr nur gegen das letztjährige Hausteam antreten. Natürlich nicht in einem Spiel, sondern in den Einzelkategorien. Haben wir Bewerber für den Torhüter?"
Zwei Hände schossen nach oben.
„Gut! Ihr zwei fliegt zu den Toren auf der linken Seite. Die Jäger werden euch erst mal einzeln prüfen. Haben wir neue Jäger hier?"
Diesmal wurden vier Hände gehoben.
„Auf die rechte Seite. Ihr könnt Euch gegen unseren aktuellen Torhüter beweisen. Der Rest setzt sich erst mal auf die Tribüne. Ihr kommt nachher dran."
Dann schwang er sich geübt auf seinen Besen und stieß sich nach oben ab.
Toireasa schaute interessiert zu und musste feststellen, dass das Training hier nicht viel mit dem Herumspielen auf dem heimischen Grundstück zu tun hatte. Da wurde mit Haken und Ösen gekämpft und das alte Team ließ nichts unversucht, um die Neuen aus dem Rennen zu werfen. Sie ertappte sich mehrere Male dabei, wie sie ihre Schutzkleidung kontrollierte.
Zuerst war ja noch alles relativ harmlos. Es hieß immer zwei Jäger gegen einen Torhüter. Es war so etwas wie das Warmmachen. Flint flog dabei ständig zwischen den beiden Seiten des Spielfeldes hin und her und beobachtete nur. Doch nach circa einer Viertelstunde stellte er zwei Teams aus je drei Jägern und den zwei neuen Torhütern auf. Dann ließ er einen Klatscher frei und schon wurde die Sache deutlich interessanter und noch härter. Ohne Treiber, die sich um die Klatscher kümmerten, mussten alle Spieler höllisch aufpassen, nicht vom Besen geworfen zu werden. Was früher oder später doch geschah. Es war nur eine Frage der Zeit. Und Flint schien diese zu haben. Je länger das Spiel dauerte, desto müder wurden die Spieler. Vor allem die neuen Kandidaten, die einfach nicht so trainiert wie die alten Hausspieler waren. Irgendwann landeten sie alle bis auf einen im Sand oder auf dem Rasen.
„Kein neuer Jäger oder Hüter dieses Jahr", kommentierte Aidan leise.
Flint kam herübergeflogen, während die erfolglosen Jäger und Hüter zur Tribüne humpelten. Eine – ein Mädchen aus der sechsten Klasse – schaffte selbst das nicht und wurde von zwei Freunden zum Schloss getragen. Wahrscheinlich etwas gebrochen, was im Krankenflügel gerichtet werden musste.
„Die Treiber zu mir", rief Flint von oben herab.
„Viel Glück", wünschte sie ihrem Bruder, als dieser aufstieg. Ihm folgte gleich darauf William aus Toireasas Klasse und dann auch die beiden Treiber des letzten Jahres.
Zuerst hielt Flint in luftiger Höhe eine kleine Einweisung ab. Leider zu leise, als dass man sie hören konnte, dann schwebten die Spieler in je zwei Teams auseinander. Alte gegen neue Treiber. Mit einem Wink seines Zauberstabes setzte Flint auch den zweiten Klatscher frei und startete ein weiteres Spiel.
Wenn es noch zuvor darum gegangen war, möglichst viele Tore zu werfen und dem Klatscher auszuweichen, so war diesmal einfach nur das Ziel, den Gegner vom Besen zu fegen. Es war eine mitreißende Schlacht und für einige der brutaleren Gemüter – hier taten sich hauptsächlich Crabbe und Goyle hervor – schien es interessanter zu sein, als ein echtes Quidditchspiel. Dabei wurde für beide Seiten gejubelt. Irgendwie schien es, als ob sie nur darauf hofften, dass irgendwer einen Klatscher gegen den Kopf bekam. Wer, war dabei völlig egal.
Toireasa hingegen machte sich Sorgen um ihren Bruder. Ständig rief sie ihm Warnungen zu, obwohl er sie wahrscheinlich nicht hören konnte. Die ersten fünf Minuten schienen Aidan und William eine Chance zu haben. Sie waren beide recht schnell, reagierten gut und ihre Schläge lagen präzise. Die Klatscher flogen zwischen den beiden Teams nur so hin und her. Toireasas Meinung nach, waren ihr Bruder und William sogar besser – jeder für sich allein genommen. Doch über die Zeit war dies ihr größtes Problem. Sie waren kein richtiges Team, sondern eigensinnig darauf bedacht, nur sich selbst in Szene zu setzen. Zu Beginn hatte sich Toireasa gefragt, warum Flint nicht auch hier die Teams mixte, doch dann hatte sie begriffen – Flint suchte keinen Treiber, sondern ein Treiberteam.
„Er sucht ein Team!", brüllte sie deshalb jedes Mal Aidan zu, wenn dieser in ihre Nähe kam. Irgendwann hörte er sie sogar und gab es offensichtlich an William weiter. Von da an waren sie besser, nur leider war es da schon zu spät. William war elf. Egal wie groß, gut und geschickt er war – irgendwann erlahmte seine Kraft. Und das bemerkte nicht nur Toireasa. Die beiden älteren Treiber begannen zunächst Aidan und William in Einzelduelle zu verwickeln, bedrängten sie so stark, dass sie sich immer wieder aus den Blicken verloren. Dann – es kam für Toireasa genauso überraschend, wie für jeden anderen auch – schlugen die Älteren beide Klatscher Richtung William. Dieser blockte zwar den ersten, doch den zweiten übersah er und wurde mit einem harten Treffer gegen den Kopf zu Boden gefegt. Er fiel tief, sicher mehr als fünfzehn Meter, und schlug dann schmerzhaft unten auf. Toireasa war froh, dass der verzauberte Boden allzu harte Stürze linderte. Doch meist reichte dies nur dazu, um dafür zu sorgen, dass man nicht starb. Zumindest nicht sofort. Trotzdem liefen sie und einige andere Slytherins hin zur Absturzstelle, nur um erleichtert festzustellen, dass William halbwegs okay war. Er fragte zwar dauernd, warum der Glockenturm nicht aufhörte zu läuten, aber das war schon okay. Auch er wurde umgehend in den Krankenflügel verfrachtet.
Inzwischen hatte Flint das Trainingsspiel mit den Klatschern abgebrochen, da Aidan eh über die Zeit verloren hätte.
Ihr Bruder war extrem gefrustet.
„So ein Mist", fluchte er. „Ich hätte beide auch allein schaffen können."
„Ja, ihr ward besser", versuchte Toireasa leise zu trösten, damit es niemand mitbekam. „Aber allein hättest du keine Chance gehabt. Das weißt du auch."
Er trat zornig gegen den Rasen.
„Das weiß ich doch! Wäre dieser Erstklässler ausdauernder und wir eingespielt gewesen, hätten wir sie vom Feld gefegt."
„Vielleicht sieht das Flint genauso und beruft euch", gab sie ihm Hoffnung.
„Bestimmt nicht", sagte er niedergeschlagen. „Schau doch nur."
Und er hatte Recht. Flint drückte gerade seinen alten und gleichzeitig neuen Treibern die Hand und diese strahlten vor Freude und grinsten hämisch dem angeschlagenen William hinterher.
„Trainiere mit William", riet Toireasa. „Und dann macht ihr sie zusammen nächstes Jahr fertig oder vielleicht werden sie in einem Spiel so platt gemacht, dass sie nicht spielen können."
„Um ehrlich zu sein, würde ich sie jetzt liebend gern selber zum Hospitalflügel schicken", zischte Aidan.
„Nicht jetzt und hier", hielt sie ihn zurück. „Wenn du es auffällig machst, spielst du sicher niemals im Hausteam."
„Die Sucher zu mir", rief soeben Flint laut.
Aidan gab ihr seinen Rennbesen.
„Zeig ihnen, was unsere Familie drauf hat", quetschte er zwischen seinen Zähnen hindurch.
„Ich geb mein Bestes", versprach sie, dann schlenderte sie betont lässig zu Flint und stellte sich neben die beiden anderen Sucher. Befriedigt stellte sie fest, dass es anscheinend keinen gesetzten Sucher des Hausteams mehr gab. Ihre Vermutung wurde sofort von Flint selbst bestätigt.
„Ich sagte doch, du bist raus, Terence!", sagte Kapitän Flint kalt.
„Nur, wenn du einen Besseren findest", schoss der Junge, der neben Malfoy stand, zurück.
„Nun – ich bin mir sicher, ich habe einen deutlich Besseren gefunden", antwortete Flint nur und schaute auf Malfoy und vor allem auf dessen Nimbus 2001. Toireasa schien keine Rolle in seinen Überlegungen zu spielen.
Malfoy wuchs sofort um ein paar Zentimeter, obwohl doch Flints Bewunderung überhaupt nicht ihm galt.
„Das muss er erst mal beweisen", behauptete Terence selbstbewusst.
„Na ja, vielleicht bist du ja über die Ferien wirklich besser geworden. Wir werden sehen. Gut ihr beiden…"
„…Drei…", unterbrach Toireasa ihn.
Erst jetzt schien Flint sie zu bemerken.
„Das ist nicht dein Ernst?", sagte er. „Der Besen ist größer als du."
„Für einen Sucher sind Größe und Kraft nicht so entscheidend", betonte sie und erwiderte seinen Blick.
„Das ist ne Erstklässlerin", meinte Malfoy abfällig. „Was will die denn hier. Darf ja nicht mal einen eigenen Besen haben."
„Potter war letztes Jahr auch im Hausteam der Gryffindors", sagte Flint überlegend. „Okay – mach mit. Aber heul ja nicht, wenn was schief geht."
„Keine Träne", bestätigte sie.
„Gut. Die Regeln für euch drei sind einfach. Ihr, der Schnatz und ein Klatscher. Ihr seht niemals, wenn der Schnatz freigelassen wird. Die Sache ist zu Ende, wenn einer von euch ihn viermal gefangen hat. Verstanden?"
Sie bestätigten dies.
„Gut, dann umdrehen, damit ich den Schnatz fliegen lassen kann."
Auch dieser Befehl wurde befolgt. Sie hörte kurz das leise Flattern der goldenen Flügel, dann war es still.
„Wirst du wieder hochziehen, wenn du die Hosen voll hast, Higgs?", zischte Malfoy dem Sucher des letzen Jahres zu.
„Auf die Besen! Los", befahl Flint.
Toireasa schwang sich auf und stieß sich nach oben ab. Sie versuchte schnell an Höhe zu gewinnen und sah dabei, dass die beiden anderen den gleichen Gedanken gehabt hatten. Sie änderte schnell ihre Taktik und beschleunigte schnell weg von ihnen. Klatscher stürzten sich bevorzugt auf Gruppen, seltener auf Einzelpersonen. Eine persönliche Beobachtung, die sich diesmal bestätigte. Eben von Flint freigelassen, schoss der Klatscher sofort auf Higgs und Malfoy zu. Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie flog ganz am Rande des Stadions und beobachtete, wie die beiden sich mit dem Klatscher herumärgerten. So hatte sie ihre Konkurrenten und den Klatscher im Blick. Sie hatte keine Lust nach dem Schnatz zu suchen. Es wäre eh nur ein Zufallstreffer diesen zu finden. Lieber hielt sie ihre Konkurrenten und den Klatscher im Auge. Es dauerte sicher fünf, für sie sehr ruhige, Minuten bis ein Manöver von Terence ihre Aufmerksamkeit erregte. Obwohl der Klatscher es auf Malfoy abgesehen hatte, zog Higgs plötzlich in eine scharfe Kurve und beschleunigte. Auch Malfoy hatte es bemerkt. Mit einem Manöver, das ihm nur der Nimbus ermöglichte, schüttelte er den Klatscher ab und jagte Terence hinterher. Toireasa selbst tat es ihm gleich, nur dass sie etwa zehn Meter über den zwei Jungen blieb. Dann sah sie endlich den Schnatz. Higgs streckte gerade die Hand nach dem kleinen goldenen Ball aus.
Doch greifen konnte er ihn nicht mehr rechtzeitig.
Malfoy kam heran geschossen und schlug hart Terence' ausgestreckten Arm nach unten. Beide taumelten kurz, fingen sich und jagten dann nebeneinander her. Ständig rammten sie sich gegenseitig – in der Hoffnung den Konkurrenten so abzudrängen. Der Schnatz hatte dadurch ein paar Meter an Vorsprung gewonnen. Genau darauf hatte Toireasa gehofft. Normalerweise verlagerte man jetzt sein Gewicht nach vorn, um den Besen in einen Sinkflug zu zwingen. Doch das ging, für das was sie vorhatte, einfach zu langsam. Sie verschränkte ihre Beine und rollte dann unter den Besen. So addierte sich ihr Gewicht zu ihrer Zugkraft und zwang den Besen in einen halsbrecherischen Sturzflug. Von oben herab kreuzte sie die Flugbahn der beiden Streithähne. Dabei versuchte sie erst gar nicht den Schnatz zu fangen – sie rammte ihn einfach mit der Schulter in eine Richtung, die ihr genehm war, brachte ihren Besen wieder unter Kontrolle und fing dann den Schnatz, bevor die anderen sich neu orientieren konnten. Ein Pfiff ertönte und der Klatscher stoppte seine Bewegung kurz bevor er Toireasa treffen konnte. Sie hatte nicht aufgepasst, musste sie zugeben, aber im Spiel galt ein Fang als Fang, selbst wenn ein Klatscher einen danach fertig machte. Triumphierend landete sie bei Flint und überreichte ihm den Schnatz. Auf der Tribüne klatschten einige Slytherins anerkennend. Selbst bei Flint schien sich etwas davon in seinen Augen widerzuspiegeln.
„Erster Punkt für…?", fragte er.
„Toireasa", ergänzte sie stolz.
„Und ihr letzter", zischte Malfoy und warf ihr einen feindlichen Blick zu. „Noch mal staubst du nicht ab."
Toireasa ignorierte das, Aidan zuliebe.
„Man muss auch mal Glück haben", stapelte sie tief.
Terence Higgs musterte sie jetzt aufmerksam. Er würde es ihr jetzt sicher nicht mehr so leicht machen.
Den nächsten Durchgang gewann leider Malfoy, ohne dass Toireasa oder Terence Higgs eine Chance gehabt hätten einzugreifen. Er sah den Schnatz und fing ihn innerhalb von wenigen Augenblicken.
Als nächstes holte sich Toireasa ihren zweiten Punkt, indem sie das Glück ausnutzte, dass der Klatscher Malfoy im entscheidenden Augenblick zum Abdrehen zwang.
Doch in der nächsten Runde glich Malfoy wieder aus. Er schlug gleich zu Beginn und überraschend Toireasa vom Besen und erst danach suchte er den Schnatz. Er fand ihn leider, bevor sie sich wieder aufgerappelt hatte.
Danach war auch Terence Higgs mal an der Reihe. Malfoy und sie jagten gerade Kopf an Kopf durch das Stadion und Toireasa musste einige harte Ellebogenchecks einstecken, als Higgs frontal auf sie und den Schnatz zugeschossen kam und diesen mitten im Flug fing. Er schien dabei auf sich keine Rücksicht zu nehmen, denn wären Malfoy und Toireasa nicht im letzten Augenblick ausgewichen, dann wären alle potentiellen Sucher für Slytherin für eine Weile ausgefallen.
Nun stand es zwei zu zwei zu eins.
„Wer zuckt denn hier zurück", grinste Higgs in der kurzen Pause bis zum nächsten Start des Schnatzes. Obwohl er hinten lag, schien ihn diese Aktion neu beflügelt zu haben.
„Das war krank", fluchte Malfoy.
„Werd damit fertig", meinte Flint nur „Und versteck deine Fouls besser. Hooch hätte dich mindestens zwei Mal erwischt. Okay – nächster Anlauf."
Wieder das Flattern, wieder nahmen sie ihre Positionen ein. Sie verteilten sich weit über das Stadion und hielten Ausschau. Zwischendurch wichen sie dem Klatscher aus. Lange Zeit passierte gar nichts. Nach ihrer Erfahrung bedeutete dies, dass der Schnatz einen sicheren Platz gefunden hatte. Die Magie des kleinen goldenen Balles zwang diesen meist zu flüchten, wenn jemand ihm zu nahe kam. Ob dieser ihn nun bemerkte oder nicht. Bei vollem Spielfeld war er dadurch immer in Bewegung, da er auch nicht zwischen den Suchern, den anderen Spielern oder den Zuschauern unterschied. Wenn jedoch so wenige Spieler auf dem Platz waren, die wie alle Sucher recht hoch flogen, dann gab es viele Orte auf dem Spielfeld, an denen niemand vorbei kam und an denen der Schnatz dann verweilen konnte.
Ihre Augen suchten solche Orte, weshalb sie sich auf der Flucht vor dem Klatscher etwas nach unten abdrängen ließ. Ihre Augen durchforschten von oben schwer einsehbare Winkel.
Trotz dieser Taktik dauerte es eine Weile, ehe sie den Schnatz entdeckte.
Sie fand ihn da, wohin er sich niemals während eines Spieles zurückziehen konnte – unter der Dachplane eines der Zuschauertürme. Sie lächelte. Ein Schnatz war recht schwach und konnte ganz sicher nicht durch die Plane entkommen und da er immer vor Menschen floh…
Toireasa ließ sich von ihrem geborgten Besen in einem großen Bogen zu dem Turm tragen. Dabei vermied sie den Blick in den Turm, sondern schaute nur in die Mitte des Feldes und zu dem Klatscher. Als sie endlich am richtigen Turm war, wartete sie, bis der gefährliche Ball ein Opfer auf der anderen Seite des Feldes gefunden hatte – es schien Malfoy zu sein – und dass Higgs gerade woanders hin schaute. Sie drehte schnell ihren Besen, dann flog sie unter das Tribünendach. Der Schnatz versuchte zunächst vor ihr zurückzuweichen, doch die Plane verhinderte dies.
Als Toireasa sich weiter näherte, die Hände hatte sie vom Besen schon gelöst, versuchte der Schnatz an ihr vorbeizuhuschen. Doch ihrem flinken Griff konnte er nicht entkommen. Es war fast der einfachste Fang ihres Lebens. Sie flog aufs Feld zurück, ohne dass irgendwer bemerkte, dass sie den Schnatz in der Hand hatte.
Ihre Befriedigung nicht verbergen könnend, landete sie und überreichte dem überraschten Flint den Schnatz.
Mit einem Pfiff holte Flint die anderen beiden zu sich.
„Wann hat sie den denn gefangen?", wollte Malfoy wissen.
Flint zuckte nur mit den Schultern.
„Dann hat sie betrogen. Ich hab sie nur einen Augenblick aus den Augen gelassen. Niemand fängt so schnell einen Schnatz."
Das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen.
„Man muss nur wissen wie", widersprach sie zornig über diesen Betrugsverdacht. „Wenn du keine Ahnung hast, Malfoy, solltest du es vielleicht lieber lassen."
„Selbst wenn", brummte Flint. „Niemand hat es gesehen, also war es in Ordnung."
„Ich habe nicht betrogen", betonte sie noch mal. „Der Schnatz war in einem der Türme. Da kann er nicht ausweichen."
Erst nachdem sie das gesagt hatte, wurde ihr bewusst, wie blöd es war, den Trick zu verraten. Terence nickte, so als würde er eben erkennen, dass er da hätte auch selbst drauf kommen können. Nur Malfoy schaute sie an, als wäre es ihre Schuld, dass der Schnatz so funktionierte.
Flint schien nicht an einer Diskussion interessiert zu sein. Er ließ einfach den Schnatz vor ihren Augen fliegen und sagte einfach: „Los!"
Gleichzeitig gab er auch den Klatscher wieder frei und so ging es vom ersten Augenblick an rund. Jeder wusste, wo der Schnatz war, alle lagen sie dicht beieinander und der Klatscher schien zu versuchen, sie alle drei gleichzeitig zu erwischen. Doch der war nicht Toireasas größtes Problem. Malfoy und Higgs hatten sich gegen sie verschworen. Verständlich zwar, da sie nur noch einen Punkt brauchte. Trotzdem fand sie es nicht sonderlich fair, Schläge ins Gesicht und in die Rippen zu bekommen. Kein einziger Schiedsrichter – nicht einmal der Bestechlichste – würde so etwas durchgehen lassen. Das würde sie nicht lange durchhalten, das wusste sie. Deshalb flog sie zur Seite, ein wenig weg vom Schnatz. Jetzt waren wieder die beiden Jungen in der Zwickmühle. Entweder sie konsequent stören oder den Schnatz fangen. Eigentlich müsste einer von ihnen weiter Toireasa abdrängen, während der andere den Fang machte. Glücklicherweise gönnte keiner von beiden dem anderen den Punkt. Also flog sie erst mal wieder allein. Trotzdem beobachteten die Jungen ihre Manöver misstrauisch, immer bereit ihre Flugbahn zum Schnatz zu blockieren. Dies widerum führte dazu, dass niemand Erfolg haben konnte. Immer wenn einer der beiden zugreifen wollte, verhinderte es der Nebenmann. Wenn das nicht half, deutete Toireasa einen Angriff von der Seite an und schon war ihnen der Schnatz entwischt.
Das war über die Zeit furchtbar anstrengend. Ständig musste man harte Haken schlagen, extreme Stürzflüge abfangen oder so steil steigen, dass man fast vom Besen rutschte.
Sie hingen in einem Hochgeschwindigkeitspatt fest. Einzig und allein der Klatscher war in der Lage, diese Situation aufzulösen. Und Toireasa hatte durch ihren Punktevorsprung die taktische Freiheit, dies zu ihrem Vorteil zu gestalten. Während Malfoy und Higgs sich weiter bekriegten, zog sie noch ein Stück davon, setzte sich direkt vor den Klatscher und zog diesen immer wieder in die Bahn der beiden. Sie musste zugeben, dass ihr das viel Spaß machte. Es war fies, aber innerhalb der Regeln und es brachte ihre Gegner zur Verzweiflung. Es gab wohl nicht viel beim Quidditch, was nervenaufreibender war. Die Hand nach dem goldenen Schnatz ausgestreckt und am Besenschweif einen Klatscher. Es war Higgs, der sich zuerst ablenken ließ und einen zu weiten Schlenker machte. Zu seinem Pech, nutzte der Schnatz genau diesen Augenblick, um seine Richtung so zu ändern, dass es ihn weit weg von dem Jungen trug. Malfoy hingegen schaffte es mit einer scharfen Wende dem goldenen Ball zu folgen. Auch Toireasa hatte das Glück und erwischte die Wende gerade noch so. Der Nimbusbesen war einfach schneller und wendiger als ein Sauberwisch, dafür aber auch sensibler und sie bemerkte, dass Malfoy in den Kurven eigentlich immer übersteuerte. Er musste jedes Mal etwas zurückkorrigieren. Wahrscheinlich übte er noch nicht lange mit dem Ding. Ihm fehlte ganz eindeutig das Gespür. So kam es, dass sie recht schnell wieder aufschloss. Wieder versuchte er sie dank seiner größeren Masse abzudrängen, doch sie wich ihm immer ein wenig aus und konzentrierte sich einzig und allein auf ihren Plan. Malfoy war links von ihr, als der Schnatz wieder mal eine Kurve nach rechts flog. Nebeneinander legten sie sich in die Kurve, und in dem Augeblick, als Malfoy zu weit nach rechts lenkte, gab sie mit ihrem eigenen Besen seinem Besenschweif einen Schubs. Die Auswirkung war wie geplant. Malfoy wurde durch seinen empfindlichen Besen völlig herumgewirbelt, während Toireasas Drehbewegung durch die Berührung gestoppt wurde. Jetzt musste sie nur noch schnell den Schnatz fangen, bevor sich Malfoy erholte. Sie streckte die Hand aus, versuchte verzweifelt jeden Zentimeter ihres Armes auszunutzen und dann hörte sie ein lautes Rauschen. Es war Terence Higgs, der ihr Manöver vom ersten Punkt kopierte. Zu seinem Unglück versuchte er jedoch – im Gegensatz zu Toireasa vorher – den Schnatz im Rückensturzflug zu fangen, was fast zwangsläufig schief gehen musste. Sie wich Higgs seitlich aus, sah, wie er den Schnatz knapp verpasste und griff sich das kleine goldene Ding, als er für einen Augenblick unentschlossen schien, welche Richtung jetzt die Beste wäre.
Sie schaffte es nicht, einen lauten Jauchzer zu unterdrücken, dann landete sie strahlend neben ihrem Bruder auf der Tribüne, den Goldenen Schnatz hoch über den Kopf erhoben, so dass ihn jeder sehen konnte. Bei weitem nicht alle Slytherins applaudierten ihr. Der Rest, rings um Malfoys gewichtige Freunde, starrte sie mit eisigem Schweigen an. Aber das war ihr egal. Aidan umarmte sie begeistert und sie musste einige Hände schütteln. Es waren inzwischen mehr Slytherins da, als noch zu Beginn des Trainings und es waren vor allem Schüler ihres Alters, die sich besonders begeistert zeigten. Selbst William war wieder da.
Irgendwann trat dann auch Flint hinzu und nahm ihr den Schnatz ab.
„Ich werde morgen die Aufstellung des Hausteams bekannt geben", verkündete er laut. „Das Training ist hiermit beendet."
Lange nachdem alle schon gegangen waren – es wurde schon dunkel – stand Toireasa immer noch im Stadion und schaute verträumt ins weite Rund. Sie stellte sich vor, wie die Ränge gefüllt waren und ihr alle zujubelten, weil sie den entscheidenden Schnatz gefangen hatte, der Slytherin den Quidditch- und dank der Bonuspunkte auch noch den Hauspokal brachte.
Es war eine tolle Vorstellung.
Irgendwann wurde es jedoch zu kühl für diese Träumereien und erst auf dem Weg zurück bemerkte sie noch jemanden, der nicht ins Schloss zurückgegangen war. Unten, in dem Schatten eines Turmes, saß völlig verloren Terence Higgs. Er sah sehr niedergeschlagen aus. Sie wusste nicht warum, aber sie ging zu ihm hin.
„Du hast einige tolle Manöver drauf", sagte sie anerkennend und verbannte jedes Mitleid aus ihrer Stimme. Er würde dies wahrscheinlich nicht gern hören.
Er sah traurig zu ihr hoch, dann riss er sich offensichtlich zusammen, stand auf und reichte ihr die Hand.
„Gut geflogen", sagte er fest. „Hättest du einen Nimbus 2001, hättest du eine gute Chance Potter zu schlagen. Besser als Malfoy bist du alle Male."
„Danke", sagte sie ernst. „Ich wünschte, wir hätten heute alle die gleichen Besen gehabt, dann wäre es viel knapper ausgegangen. Du hattest mit deinem Sternenschweif 31 ein großes Handicap."
„Bei dem Erfahrungs- und Altersvorsprung den ich habe, hätte das nichts ausmachen dürfen. Zumindest du warst besser als ich", gab er zu und dieses Lob verschlug ihr fast die Sprache.
„Ich bin übrigens Terence Higgs", fügte er hinzu und streckte noch mal die Hand aus.
„Mein Name ist Toireasa Keary-Davian."
„Erfreut dich kennen zu lernen, obwohl das nur daran liegt, dass du Malfoy geschlagen hast."
„Ja – darüber bin ich nachhinein auch froh", gestand sie ein und danach gingen sie schweigend zurück zum Slytherin Kerker.
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