- Kapitel 6 -
Siege und Niederlagen
Wenn es jemanden gab, der heute mit einem gerechtfertigten Lächeln aufwachte, dann war es Toireasa. Sie hatte hervorragend geträumt und schwebte dank ihres gestrigen Erfolges auf Wolke sieben. Und dies nicht nur, weil sie das Quidditch-Auswahltraining für sich entschieden hatte.
Am gestrigen Abend waren ihre sonst so reservierten Klassenkameraden plötzlich alle sehr aufgeschlossen gewesen, und Toireasa hatte einige Freundschaftsangebote erhalten. Das war ein großer Schritt für sie. Immerhin kannte sie bis auf ihre Brüder niemanden hier, während eigentlich jeder andere schon mit einigen Bekannten oder Freunden aus der Zeit vor Hogwarts aufwarten konnte. Besonders über die erste freundliche Begrüßung ihrer Bettnachbarin Regina Kosloff war sie froh. Die Freundschaft mit diesem Mädchen stellte so etwas wie einen gesellschaftlichen Ritterschlag dar, denn damit hatte Toireasa den Schlüssel zu deren verschworener Gemeinschaft erhalten, der noch Vivian Hogan, Kodachi Blackrose, Riolet Mokkery und Irine McClary angehörten. Mit dieser Gruppe hatte Toireasa einen schlechten Start gehabt, ohne etwas dafür zu können. Aus irgendeinem dummen Grund war sie mit vier der fünf Mädchen in einem Schlafraum gelandet, während Riolet in einen anderen Raum verwiesen worden war. Obwohl Toireasa nichts dafür konnte, so hatte man doch diesen Irrtum ihr angelastet.
Als zweites Problem kam noch hinzu, dass ihr ihre Mutter unter Fluchandrohung verboten hatte, sich zu schminken, bis sie nicht mindestens vierzehn Jahre alt war. Im gleichen Zug waren damals auch gleich ihre Haare auf Nackenlänge gekürzt worden.
Das mochte zwar alles recht pflegeleicht sein, doch senkte es den persönlichen Coolnessfaktor in einer Mädchengruppe, die sich jeden Morgen mindestens eine halbe Stunde lang einander herrichteten, gegen Null.
Nahm man als Beispiel nur Regina:
Lange braune und wellige Haare, die elegant bis zur Hüfte hinunter fielen. Dazu hoheitliche Gesichtszüge, eine schmale, nach oben gerichtete Nase und eine vornehme Blässe, wie sie nur wenige ihr Eigen nennen konnten. Sie war schon recht groß, und wenn sie ging, hatte man den Eindruck, sie schwebte über den Boden.
Das alles sorgte dafür, dass Toireasa sich mindestens ein Jahr zu jung fühlte. Sie war eh schon etwas zu klein und dünn für ihr Alter. Regina und ihre Freundinnen verschärften diesen Kontrast noch weiter. Dazu kam auch noch Reginas erwachsener und selbstbewusster Umgang mit älteren Schülern, den man einfach bewundern musste. Na ja – sicher war dies etwas einfacher, wenn man ein oder zwei Jahre älter wirkte und nicht jünger.
Zumindest wurde Toireasa heute mit einem fröhlichen Guten Morgen unserer Sucherin begrüßt. Ein klasse Gefühl. Erst beim Essen erhielt dieses dann einen kleinen Dämpfer.
Sie schwelgte gerade genüsslich in Eierpfannkuchen mit Marmelade, als Riolet sich flüsternd nach vorn beugte.
„Schaut mal – der Muggel ist wieder da. Ich dachte, den hätten sie entfernt."
„Mein Bruder meinte, er könne wegen einer Regellücke bleiben", erzählte Toireasa und spähte nach McNamara. Sie brauchte einige Momente um ihn zu erkennen, da er nun eine Schuluniform trug und mit dem Rücken zu ihr saß. Sie entdeckte ihn nur, weil seine Banknachbarin ihm gerade ein wenig den Schlipsknoten richtete. Bei den Ravenclaws schien man dies sehr amüsant zu finden, statt sich für einen Mitschüler zu schämen, der sich nicht selbst ordentlich anzuziehen wusste.
„Das haben wir alles Dumbledore zu verdanken", flüsterte Riolet zurück. „Ich glaub, der würde sogar einen Vampir aufnehmen."
„Aber irgendwas muss an ihm sein", gab Vivian ihre Meinung ab. „Wie sonst konnte er hierher kommen?"
„Das muss nichts bedeuten", widersprach Riolet. „Ein paar Fehler im Zauber, ein wenig Hilfe von Dritten. Vielleicht geht es Dumbledore darum, das neue Muggelschutzgesetz zu unterstützen. Vielleicht hat er etwas nachgeholfen?"
„Nun übertreib es mal nicht. Was sollte ihm das nutzen?", konterte Vivian.
„Na, schau doch nur. Die Ravenclaws behandeln ihn wie einen…wie einen…"
„…Gleichberechtigten", vollendete Regina den Satz voller Abscheu. „Und das ist sein eigentlicher Plan. Dumbledore will, dass wir in Muggeln nicht mehr die niedere Lebensform sehen, die diese nun mal darstellen. Und wenn wir sie als Gleiche ansehen, dann gibt es auch mehr Muggelbeziehungen. Und irgendwann gibt es dann kein Haus Slytherin mehr oder es versinkt in der Bedeutungslosigkeit."
„Das schaffen die nicht", meinte Vivian entschieden, obwohl sie leicht geschockt aussah. Reginas Worte hatten nur zu wahr geklungen.
Ähnliches hatte Toireasa auch schon von ihren Eltern gehört.
„Oh doch", Regina schien es vollkommen ernst zu sein. „Schau dir doch nur die Zaubererfamilien an den anderen Tischen an. Weasley, Longbottom, Bones, Abbott. Alle die sollten eigentlich hier sitzen. Doch weil die alle inzwischen Reinblütigkeit als etwas Schmutziges wahrnehmen, sitzen sie dort und nicht hier."
„Wer will schon den Longbottom hier haben? Alle Zweitklässler lachen über ihn. Der soll ein absoluter Versager sein."
„Darum geht es nicht", erklärte Regina Riolet, die sich so gegen diesen Longbottom ausgesprochen hatte. „Zaubererfamilien sollten alle in Slytherin sein. Solange, bis es nur noch das Haus Slytherin gibt."
„Das wäre schön, aber ist sicher nicht möglich", tat Toireasa vorsichtig kund.
Sie hätte es lieber lassen sollen. Reginas Gesicht glühte plötzlich vor Eifer.
„Ein neuer Schulleiter, eine strengere Auswahl und vieles würde sich verbessern. Und ja – ich kenne die Argumente, dass wir nicht genug Zauberer wären, ohne die Muggelstämmigen. Aber dann sollte man einfach die magischen Kinder in magische Familien bringen."
Toireasa verschlug es bei diesen Worten für einen Augenblick den Atem.
„Du meinst, man sollte sie ihren Eltern wegnehmen?", vergewisserte sie sich.
„Natürlich", kam die überzeugte Antwort. „Wenn man es früh genug tut, merken die Kinder nichts davon, und den Eltern kann man einfach die Erinnerung verändern. Die wissen dann gar nicht, dass sie überhaupt ein Kind hatten und vermissen es so auch nicht. Ist eh für sie und uns das Beste. Sie werden nicht verwirrt, wenn sie den Brief aus Hogwarts erhalten, und wir befinden uns nicht ständig in Gefahr, von ihnen verraten zu werden."
Eine gewisse Logik konnte man dem nicht absprechen. Aber Kindern die richtigen Eltern wegnehmen? Toireasa vermisste ihre leibliche Mutter, obwohl sie sich nicht an sie erinnern konnte. Trotzdem nickte sie, als wäre sie überzeugt. Sie wollte nicht ihre neu errungene Freundschaft aufs Spiel setzen wegen einer Diskussion, die im Moment ihre Eltern zu führen hatten.
Regina schien Toireasas Nicken zufrieden zu stellen und sie bekam ein Lächeln geschenkt.
„Klingt ziemlich hart, aber das müsste man ja nicht immer so machen, nur bis wieder genug magische Familien existieren. Leider sind im Moment Leute wie Dumbledore an der Macht und deshalb wird alles noch schlimmer werden. Denkt nur an das neue Muggelschutzgesetz. Zum Glück ist Dumbledore nicht mehr der Jüngste. Wenn man jetzt schon einen anderen Nachfolger positioniert, dann könnte man die Entwicklung vielleicht noch aufhalten! Diese McGonagall ist nicht viel besser als Dumbledore."
Toireasa stimmte lieber allem still zu und dachte sich ihren Teil. In Reginas Plan gab es einige Lücken, und Professor Dumbledore für den Niedergang der Zauberwelt verantwortlich zu machen, war eine Verkennung der Geschichte. Weder Grindelwald, noch Der-dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf, waren ein Segen gewesen.
Doch das sagte sie hier lieber nicht laut.
Toireasas Eltern glaubten, dass nur die wenigsten Anhänger des Dunklen Lords unter dem Imperius-Fluch gestanden hatten und dass jeder von ihnen nach Askaban gehörte.
Es war nur ziemlich blöd, so was hier zu äußern, wo es doch die Eltern einiger Schüler betraf.
„Vielleicht schließen ja jetzt die Schulräte diese Regellücke", lenkte Toireasa von dem heiklen Thema ab.
„Das nutzt nichts", erklärte Regina ihr. „Rückwirkend darf man die Grundregeln nicht ändern."
„Schade!", kommentierte Riolet so laut, dass man es über mehrere Tische hören konnte.
Verschwörerisch beugte sich Regina nach vorn.
„Man kann ihn vielleicht nicht rausschmeißen", flüsterte sie ihnen zu. „Aber man könnte ihn ermutigen frühzeitig zu gehen."
Es sprach nicht besonders für Reginas kleine Clique, dass es bei den Mädchen eine Weile dauerte, bis sie begriffen, was ihre Chefin damit sagen wollte.
„Keine schlechte Idee", kicherte Kodachi. Ihre mandelförmigen Augen verengten sich fies.
Toireasa fand das nicht so witzig.
„Das können wir nicht tun. Wenn sie uns erwischen, werden sie Slytherin Punkte abziehen und uns eventuell selbst rauswerfen", gab sie zu bedenken.
„Na dann dürfen wir uns nicht erwischen lassen", lachte Riolet.
„Genau. Und immer nur kleine Sachen. Nichts was auffällt oder einen Rausschmiss bzw. Punktabzug rechtfertigen würde", gab Regina die Richtlinien aus, die mit allgemeiner Begeisterung aufgenommen wurden. Toireasa zwang sich dazu zu lächeln. Sie war hin und her gerissen. Auf der einen Seite war sie durchaus der Ansicht, dass der Muggel nicht hierher gehörte. Andererseits jedoch, hielt sie es nicht für sonderlich mutig, einen gegen Magie Wehrlosen zu drangsalieren. Egal ob Muggel oder nicht – es verletzte ihren Sportsgeist. Sie beschloss, sich nicht daran zu beteiligen, ohne das jedoch offen kundzutun.
„Wir könnten…", begann Riolet, doch die Ankunft der Post unterbrach sie.
Hunderte Eulen kamen durch die Dachluken in die Große Halle. Sie trugen größere und kleinere Päckchen, Briefe, Zeitungen und bunte Karten.
Erwartungsvoll schaute Toireasa nach oben. Sie entdeckte die alte Schleiereule ihrer Großmutter Caitlin und die Hauseule der Davians. Großmutters Eule kam zu ihr, die Familieneule warf ihre Fracht bei Aidan ab.
Ein kleines Päckchen landete in ihrer Hand. Ungeduldig riss sie die Verpackung herunter. Vorsichtig öffnete sie die kleine Schachtel und schaffte es gerade noch, gedankenschnell zuzugreifen, ehe ein Schnatz quer durch die Große Halle surrte. Überrascht schaute sie den kleinen flatternden Gegenstand in ihrer Hand an. Er wirkte alt, das Gold war schon fast überall abgeblättert und der linke Flügel schlug recht unregelmäßig. Es war ein sehr billiger goldener Schnatz und trotzdem freute sich Toireasa riesig.
„Was ist denn das für ein altes Ding?", fragte Riolet abfällig. „So was möchte ich nicht geschenkt haben."
„Das ist kein Geschenk", antwortete Toireasa begeistert und konnte den Blick nicht von dem Schnatz abwenden. „Das ist eine Auszeichnung!"
„Ist ja noch schäbiger", war Riolets feste Meinung. Niemand hatte ihr geschrieben und deshalb war sie wahrscheinlich sauer.
Es berührte Toireasa überhaupt nicht. Den Schnatz festhaltend, holte sie mit der anderen Hand einen zusammengefalteten Brief aus der Schachtel.
Hallo meine kleine Enkelin,
ich hoffe mal, Du hast es geschafft den Schnatz zu fangen, ohne die Halle in große Aufregung zu versetzen. Erinnerst Du Dich noch, wofür Du ihn bekommst?
Ich denke schon – obwohl wir nie wieder darüber gesprochen haben. Wir – also zumindest Dein Großvater und ich – sind sehr stolz auf Dich und Deine Leistung. Es gibt nur wenige Deines Alters, die den Sprung in die Hausmannschaft schaffen. Trotzdem solltest Du jetzt nicht alles dem Quidditch unterordnen. Deine Zensuren sind viel wichtiger.
Großvater lässt Dich übrigens grüßen, er baut gerade etwas, was die Muggel Drachenflieger nennen, und möchte es in den Ferien mit Dir austesten. Außerdem hat er auch ein paar Wasserbomben gebastelt. Die hat er zwar versucht vor mir zu verstecken, aber ich habe sie trotzdem gefunden. Wenn es ein warmer Tag ist, können wir ja über deren Einsatz verhandeln. Aber ich werde nicht zulassen, dass ihr seinen gesamten Vorrat verbraucht. Der bekloppte, alte Kerl würde am liebsten ganz London fluten.
Also Toireasa – bring uns jetzt auch noch gute Zensuren und wir werden uns in den Ferien für die Freude revanchieren, die Du uns auf diese Art machst.
Grüß Deine Brüder von mir und tröste Aidan ein wenig.
Oma & Opa
P.S.: Genieß aber auch die Zeit in Hogwarts.
P.P.S.: Schau mal genauer in die Schachtel. Ist von Opa.
Toireasa freute sich unheimlich über den Brief. Sie drückte den kleinen Knopf am Schnatz, so dass sich dessen Flügel einzogen, und steckte ihn in die Tasche. Danach faltete sie sorgfältig den Brief zusammen und verstaute diesen in der anderen Tasche. Nun hatte sie Zeit, noch einmal die Schachtel zu inspizieren. Sie musste dabei sehr achtsam sein. Ihr Großvater war – vorsichtig formuliert – ein wenig sonderbar. Er liebte Dinge, die explodierten oder unheimlich viel Dreck machten – oder noch besser beides. Trotzdem war alles, was er fertigte, mehr oder weniger harmlos.
Vorsichtig schaute sie nun in die Schachtel und entdeckte einen kleinen Faden, was ein wenig ärmlich aussah. Vorsichtig zog sie daran und der kurze Faden wurde immer länger. Er schien aus dem Nichts zu kommen. Sie hatte schon zwei Meter Faden in der Hand, als endlich noch etwas anderes in der Schachtel erschien. Es war ein kleiner Zettel auf dem etwas in der krakeligen Handschrift ihres Großvaters geschrieben stand.
Hat Dir denn niemand beigebracht, dass man nicht einfach so an Strippen ziehen soll?
Das war typisch für ihre Großeltern. Erst zu einer Tat anstiften und danach fragen, ob es überhaupt weise gewesen war, da mitzumachen. Aber in diesem speziellen Fall war es anders. So zog sie einfach weiter und wurde für ihren Wagemut mit Süßigkeiten aller Arten belohnt, die an den Faden gebunden waren. Die Geschenke wurden dabei von Mal zu Mal größer, bis eines gerade so durch die Öffnung der Schachtel passte. Sie zögerte. Ihre Großmutter meinte immer, dass man wissen müsste, wann Schluss ist - und es nicht übertreiben sollte. Man sollte nur das wollen, was man auch bekommen konnte. Also hörte sie auf den Faden aus der Schachtel zu ziehen und löste die Knoten, welche die Leckereien hielten. An einigen der Verpackungen waren dabei kleine Zettel angebracht auf denen Aidan oder Risteárd stand.
Um ehrlich zu sein, das war etwas, was Toireasa immer störte. Wenn nicht gerade ihr Geburtstag war, bekam sie nie Geschenke von ihren Stiefgroßeltern, während ihre eigenen Großeltern immer und zu jeder Gelegenheit auch an ihre Stiefbrüder dachten. Na wenigstens war ihr Naschwerk deutlich in der Überzahl. Danach brachte sie ihren Brüdern den Pflichtanteil, den sie niemals zu unterschlagen gewagt hätte.
„Großmutter Caitlin schickt das und lässt euch grüßen", sagte sie zu den beiden, die praktischerweise fast beieinander saßen.
„Unsere Eltern grüßen dich auch", antwortete Aidan und seine Augen leuchteten beim Blick auf die Schokoladenfrösche.
„Kann ich ihren Brief auch lesen?", erkundigte sich Toireasa neugierig.
„Wenn du unbedingt willst", sagte Aidan, und er klang nicht sonderlich begeistert von der Idee.
Sie nahm den Brief mit einem leicht unguten Gefühl zur Hand, las ihn durch und musste bis zum P.S. warten, ehe sie Erwähnung fand.
P.S.: Sagt Eurer Schwester, sie soll sich ihren Erfolg nicht zu Kopf steigen lassen.
Mit leicht zitternder Hand reichte sie ihm den Brief zurück. Nicht eine persönliche Zeile an sie.
„Ach, komm schon", versuchte Aidan das Ganze zu überspielen. „Sie hasst Quidditch. Hätte sie dir geschrieben, dann hätte sie wahrscheinlich versucht, es dir zu verbieten. Weißt du, das ist die beste Seite unseres Stiefvaters, er bremst Mutter da ziemlich ein. Ich wette, der hätte vor Freude gleich ein Feuerwerk geschickt, wenn er so gedurft hätte, wie er wollte. Das wäre zwar cool gewesen, aber…"
PLATSCH, machte es laut am Tisch der Slytherins, etwa da, wo Toireasas Platz war. Schnell lief sie hin, nur um eine klatschnasse und erschrockene Riolet zu erblicken. Alles lachte, selbst einige Hufflepuffs am Nebentisch, die wahrscheinlich die Katastrophe gesehen hatten. Riolet selbst saß einige Sekunden vollkommen starr da, Toireasas Päckchen in der einen und den Faden in der anderen Hand. Sie sah zum Schreien komisch aus. Glücklicherweise lachten auch Regina und die anderen, die nur minimal vom Spritzwasser getroffen worden waren.
„Die Geschenke anderer Leute…", sagte Toireasa leise und nahm Riolet vorsichtig Faden und Schachtel ab. Am Ende des Fadens hin ein kleiner Zettel, auf dem ein leicht verwischtes – Selbst Schuld – zu lesen war.
Von allen Seiten waren spitze Kommentare zu hören, wie…
„Da hat sich ne Erstklässlerin schon am zweiten Schultag nass gemacht."
…oder…
„Das Verlaufen des Lidschattens gibt dir was Tragisches."
Riolet fand das offensichtlich überhaupt nicht witzig. Statt über ihr selbstverschuldetes Missgeschick einfach zu lachen, stand sie auf und lief weg.
„Jetzt heult sie sicher wieder", sagte Kodachi mitleidlos. „Hoffen wir, sie ist pünktlich zum Unterricht damit fertig. Nicht, dass uns Punkte für zu spät kommen abgezogen werden."
„Ich geh und red mit ihr", bot sich Vivian an und folgte Riolet.
„Sag mal, Toireasa?", fragte Regina, als sie später aus dem Saal heraus und auf dem Weg zur ersten Stunde waren. „Wer schickt dir denn solche Geschenke?"
„Meine Großeltern", erklärte Toireasa leichthin. „Sie sagen immer, dass fast jedes Geschenk einen Haken hat und manche dich umbringen können. Ich hab sogar mal ein Weihnachtsgeschenk von ihnen bekommen auf dem ein Schrumpfnasen-Fluch lag, wenn man das Papier zerriss, statt es ordentlich aufzufalten. Ich hab bis zum Silvesterabend nicht sonderlich gut ausgesehen."
„Ein Schrumpfnasen-Fluch? Hab ich noch nie gehört."
„Großvater erfindet solche Sachen, obwohl er den Fluch glaub ich aus der Schule hat."
„Kannst du den Fluch?"
„Nein, nur den Gegenfluch. Sonst würde ich immer noch mit zu kleiner Nase herumlaufen."
Regina schaute sie zweifelnd an.
„Wie viele Gegenflüche kannst du denn inzwischen?", fragte das Mädchen interessiert.
„So an die zwanzig", erklärte Toireasa stolz.
„Und wie viele Flüche?"
„Nur ein oder zwei", musste sie gestehen.
„Warum so wenige?"
„Mutter war der Ansicht, dass ich keine Flüche bräuchte, da ich eh selten mit anderen Kindern als meinen Brüdern zusammen war. So kam ich nie in Versuchung."
„Na, hier gibt es gute Gründe genug, einige Flüche mehr zu lernen", sagte Regina und nickte nach vorn.
Sie hatten inzwischen den Raum erreicht, in dem Zauberkunst gelehrt wurde. Die Ravenclaws warteten schon vor der Tür auf Professor Flitwick, ihren Hauslehrer. Alle schienen recht aufgeregt. McNamara war auch dabei, zusammen mit seinem Mungo.
Warum hatte er die Erlaubnis bekommen, sein Tier mit in den Unterricht zu nehmen? Das war doch verboten. Niemand schien sich jedoch daran zu stören. Nicht einmal Professor Flitwick, der wenig später auftauchte. Der winzige Mann mit den Pausbacken und dem weißen Bart war in einen hellgrünen Umhang gekleidet und wirkte, als würde er nicht zur Arbeit gehen, sondern zum größten Vergnügen, das man sich vorstellen konnte.
„Platz da für Ihren großartigen Zauberkunst-Lehrer. Mein Gott, mein Gott – habe ich nur das Gefühl oder werden alle Schulanfänger von Jahr zu Jahr größer?"
Kichernd öffnete sich eine Gasse für den Professor.
„Ich sollte vielleicht ins Auge fassen, nächstes Mal über sie hinweg in die Klasse zu schweben", redete er munter weiter, während er die Tür aufschloss, die etwa in Toireasas Hüfthöhe ein Schloss hatte.
„Da ist mir doch wer auf den Umhang getreten. Vielleicht sollte ich Sie alle schweben lassen?"
Als Flitwick endlich die Tür offen hatte – sie fragte sich, warum er nicht einfach einen Zauber nutzte – betraten sie ein recht großes Schulzimmer. Die Sitzordnung war hier recht ungewöhnlich. Statt einzelner Tische frontal zum Lehrer und zur Tafel, standen hier die Tische in zwei langen Reihen jeweils links und rechts an der Wand, wobei die hinteren Reihen auf einer Art Stufe standen, so dass ein jeder einen guten Blick hatte.
„Bitte setzen Sie sich, wohin Sie wollen", sagte Professor Flitwick und ging selbst zum anderen Ende des Raumes, wo ein für ihn viel zu großer Schreibtisch stand. Mit einem Wink seines Zauberstabes ließ er mehrere Bücher aus dem Buchregal zum Schreibtisch fliegen, stapelte diese übereinander und hüpfte dann erstaunlich problemlos auf Stuhl, Tisch und Bücherstapel. Toireasa machte ein unzufriedenes Gesicht. In ihren Augen war es ein Sakrileg, Bücher mit Füßen zu treten, und Flitwicks Ansehen sank in ihren Augen immens.
In diesem Augenblick kamen auch als letzte Vivian und Riolet in den Klassenraum. Riolet sah wieder normal aus, hatte sich jedoch abschminken müssen.
Nachdem sich alle gesetzt hatten – Ravenclaws und Slytherins fein säuberlich getrennt – las der Professor zuallererst die Namen sämtlicher Schüler vor, die anwesend sein sollten. Das war anscheinend in jeder ersten Stunde gebräuchlich. Während jedoch Professor Binns in Geschichte der Zauberei dies sehr rasch und lustlos hinter sich gebracht hatte und Professor Sprout aus irgendeinem Grund eh schon alle ihre Namen kannte, nahm sich Flitwick Zeit dafür.
Langsam und deutlich las er jeden Namen einzeln vor, vergewisserte sich, ob er den Namen richtig ausgesprochen hatte und sah dabei jeden Aufgerufenen einen Moment lang freundlich an. Flitwick war dabei auch der Erste, der sich Toireasas Korrektur in Sachen Nachnamen sofort notierte. Die anderen Lehrer schien es bisher nie interessiert zu haben, dass ihr Name Keary-Davian war und nicht umgekehrt. Etwas, was ihr zwar wichtig war, alle anderen aber kalt ließ.
So blieb am Ende wenig Zeit für richtigen Unterricht. Flitwick betonte, wie wichtig es wäre, exakt in Geste und Wort zu sein und die Theorie zu beherrschen. Fleiß und Selbstkontrolle würden dann auch recht bald zum Erfolg führen.
In der letzten Viertelstunde ließ er sie eine einfache Übung durchführen. Durch eine einfache senkrechte Zauberstabbewegung und das Wort Rubra sollten sie kleine Funken sprühen, und zwar nur in der Farbe Rot. Diese Aufgabe hatte bei den Schülern aus den Zaubererfamilien einiges an ungläubigem Stöhnen hervorgerufen, da doch die meisten schon einige viel kompliziertere Zaubersprüche kannten.
Für sie selbst war das auch Kinderkram – im Gegensatz zu Professor Flitwick, der allen eindringlich erklärte, dass es äußerst wichtig war, diesen einfachen Zauber perfekt zu erlernen, da ein Schweif roter Funken in der internationalen Zauberergemeinschaft als Hilferuf galt.
Überraschenderweise waren dann die Ergebnisse der Übung auch extrem negativ. Niemand schaffte es auf Anhieb, einen reinen Schwarm roter Funken zu erzeugen. Toireasa musste sich, nach einigen vergeblichen Versuchen, stark konzentrieren, um bei dem allgemeinen Gemurmel und Gezappel den gewünschten Funkenregen zu erzeugen. Sie war eine der Ersten, die es nach etwa fünf Minuten schafften. Das gab ihr die Zeit, ein wenig die Ravenclaws bei ihren Versuchen zu betrachten. Es gab einige, die richtig gut, und einige, deren Bemühungen eher als kläglich zu beschreiben waren. Aber selbst der Schlechteste von ihnen brachte mehr zustande als McNamara. Er saß zwischen zwei Mädchen. Eines mit blondem, schulterlangem Haar und einem leicht abwesenden Blick, das andere sah wie ein Indianermädchen aus, wie man sie von Zeichnungen kannte. Ein langer, dicker, schwarzer Zopf auf dem Rücken, zarte Züge, hohe Wangenknochen und eine leicht jungenhafte Gestik. Sie schien etwas ungeduldig zu sein, zumindest wurden ihre Bewegungen immer hektischer und irgendwann stieß sie unabsichtlich mit dem Ellenbogen den überraschten Mungo vom Tisch. Der Mungo – bisher absolut still und fast bewegungslos in der Stunde – sprang wieder behende zurück auf den Tisch und begann das Mädchen böse auszuschimpfen, was zu allgemeinem Gelächter führte. Selbst der Professor schien mit dieser Störung seines Unterrichts einverstanden zu sein und lachte herzhaft mit. Aber er sorgte auch recht bald wieder dafür, dass Ruhe einkehrte.
Nachdem alle ihre Übungen erneut aufgenommen hatten, konnte Toireasa etwas Seltsames beobachten. Das Mädchen mit dem abwesenden Blick sprach leise zu dem Indianermädchen und zeigte ihr langsam die nötigen Bewegungen. Danach griff sie sich McNamaras Hand und wiederholte die gleiche Geste noch einmal.
Die drei versuchten es dann fast synchron, was nach wenigen Versuchen wenigstens bei dem Indianermädchen zum Erfolg führte. McNamaras Zauberstab versprühte jedoch nicht den kleinsten Funken, obwohl seine Bewegungen in Toireasas Augen perfekt schienen.
„Warum sieht niemand, dass dies ein dummer Muggel ist?", flüsterte Riolet abgestoßen.
Keiner antwortete, denn in diesem Moment beendete die Pausenklingel den Unterricht. Flitwick gab ihnen netterweise keine Hausaufgaben auf, außer dass er sie bat, den Farbzauber zu üben. Toireasa wollte gerade den Raum verlassen, als Professor Flitwick sie zurückrief.
„Miss Keary-Davian! Hätten Sie bitte einen Augenblick Zeit?"
„Natürlich, Professor."
Sie ging zu dem kleinen Professor, der inzwischen von seinen Büchern heruntergeklettert war und nur noch auf der Tischplatte stand.
„Miss Keary-Davian. Ist es erlaubt zu fragen, ob Sie die Tochter von Samantha Keary und Robert Holt sind?"
„Das ist richtig, Sir", antwortete sie düster. Sie sah ein Leuchten der Erinnerung in seinen Augen, um das Toireasa ihn beneidete. Ihre Mutter war ein Geist auf Fotos und ihr Vater ein Mann, dessen Augen bei Toireasas Anblick immer traurig geworden waren.
„Ich freue mich sehr, Sie hier in Hogwarts begrüßen zu dürfen, Miss Keary", sagte Flitwick formell und reichte ihr die zierliche Hand. Aus irgendeinem Grund unterschlug er diesmal ihren vollständigen Nachnamen. Sie schüttelte die dargebotene Hand vorsichtig.
„Danke, Professor", erwiderte sie.
„Ihre Eltern waren mit die außergewöhnlichsten Schüler, die ich je in meiner UTZ-Klasse hatte", beantwortete Flitwick ihre unausgesprochene Frage. „Ich hoffe, Sie haben das Talent Ihrer Eltern geerbt."
„Das hoffe ich auch, Professor", antwortete sie höflich und konnte sich eine Frage nicht verkneifen. „Wie waren meine Eltern so?"
„Oh – ich würde Ihnen gern mehr erzählen", antwortete Flitwick. „Aber ich denke, wir verschieben das auf ein anderes Mal, ansonsten kommen Sie zu spät zu Ihrer nächsten Stunde."
Nach einer kurzen Verabschiedung verließ Toireasa das nun schülerleere Klassenzimmer. Sie war etwas nachdenklich. Die Trauer in Flitwicks Augen, als er sie ansah, hatte sie so sehr an ihren Vater erinnert.
„Toireasa. Hallo", ließ sie eine Jungenstimme zusammenzucken.
Sie schaute auf und sah Tarsuinn, der anscheinend vor der Tür auf sie gewartet hatte.
„Was?", fuhr sie ihn unfreundlich an.
Er wirkte etwas verwirrt. Trotzdem holte er aus seiner Tasche etwas hervor und reichte es ihr. „Dein Umhang", sagte er. „Ich wollte dir nur danken und ihn dir zurückgeben. Irgendwer hat ihn netterweise gewaschen. Tut mir Leid, wenn ich dich erschreckt habe."
„Gib her", sagte sie unwirsch. „Und halt dich…"
Irgendwer rannte den Gang entlang.
„…von mir fern."
Dann stopfte sie den Umhang in ihre Tasche und lief weg. Sie ignorierte seinen verletzten Gesichtsausdruck. Er war es gewesen, der sie hintergangen hatte. Er konnte doch nicht erwarten, dass sie das vergaß und weiter freundlich zu ihm war!
Tarsuinn wünschte sich ganz dringend, jetzt sehen zu können. Er hatte doch Winonas Tipps befolgt, hatte Toireasa so abgefangen, dass kein anderer Slytherin es sah, und ihr dann erst ihren Umhang zurückgegeben. Es fiel ihm eh schon schwer zu verstehen, warum die Schüler Slytherins Kontakt mit Muggeln als etwas Schmutziges ansahen, aber er konnte überhaupt nicht begreifen, warum die freundliche Toireasa aus dem Zug, ihn plötzlich wie einen Aussätzigen behandelte. Alec hatte es ihm zwar vorhergesagt, doch er hatte es nicht glauben wollen.
Er ging um zwei Ecken und wurde dort schon erwartet.
„Schlecht gelaufen?", fragte Winona mitfühlend. Sie hatte es sich ein wenig zur Aufgabe gemacht, ihm bei der Orientierung zur helfen, da Tikki ihn nur zu Orten führen konnte, die sie schon kannte.
„Sieht man ihm doch an", sagte Alec, ohne auf eine Antwort zu warten. „Wie erwartet. Vergiss das einfach, Tarsuinn. Slytherins kommen nur mit Slytherins klar."
Tarsuinn rang sich ein Lächeln ab.
„Ich hoffte…"
„Egal!", unterbrach Cassandra. „Vergesst nicht, Zaubertrankstunde bei Professor Snape, dem Hauslehrer Slytherins, in ein paar Minuten. Wir sollten nicht zu spät kommen."
Nach dem, was alle älteren Schüler ihnen erzählt hatten, war das eine gute Idee. Also rannten sie los und schafften es nach einem kleinen Irrweg auch noch rechtzeitig zur Unterrichtsstunde.
Die Hufflepuffs, mit denen sie zusammen Zaubertränke haben würden, und die anderen Ravenclaws waren schon da und hatten die besten Plätze bereits besetzt – ganz hinten. Es war nur noch die erste Reihe frei. Gezwungenermaßen nahmen sie vorn Platz und packten ihr Zeug aus. Tarsuinn freute sich darauf, zum ersten Mal die Feder auszuprobieren, die ihm Professor Dumbledore heute Morgen geschenkt hatte. Es hatte ihn sehr überrascht, überhaupt Post zu bekommen, und dann auch noch ein kleines Geschenk. Eine Feder, die niemals kleckste und leicht vibrierte, wenn sie Tinte brauchte. Damit konnte selbst er leserlich schreiben. Für ihn war das eigentlich gar nicht wichtig, aber so konnte er vielleicht mal jemandem seine Mitschrift borgen und Unterschriften im ersten Anlauf leisten.
Zu seiner Vorfreude trug aber noch ein anderer Fakt bei. Soweit er mitbekommen hatte, war Zaubertränke das einzige magische Fach, in dem man keinen Zauberstab brauchte, um etwas Magisches zu schaffen. Sorgfalt, Geschick, Erinnerungsvermögen und Timing schienen in diesem Fach zu zählen. Das klang wie kochen. Hoffentlich bildete er sich nicht nur ein, diese Fähigkeiten zu besitzen, ansonsten ging seine einzige Hoffnung schon am ersten Tag baden.
„Lest mich!", hörte er plötzlich eine leise Stimme. „Ich kann euch zeigen, wie man Feinde laut- und spurlos tötet…"
„…und ich zeige euch, wie ihr euch jemanden untertan macht…"
„…braut meine Tränke und ihr werdet fliegen können…"
„…ich kann euch Stärke geben…"
„…euer Blick wird der des Adlers sein…"
„Seid bitte still!", flüsterte Tarsuinn und freute sich, dass es erneut funktionierte. Er hatte dies in Professor Flitwicks Unterricht herausgefunden. Seitdem er in Professor Dumbledores Büro gewesen war, wusste er, dass er die Bücher zum Schweigen bringen konnte. Da hatte er noch gedacht, er müsste diese anschreien. Doch in Professor Flitwicks Unterricht wollte er nicht so stören und hatte deshalb solange es ging den Mund gehalten. Als es dann nicht mehr auszuhalten gewesen war, hatte er aus einem Gefühl heraus die Worte geflüstert, und zu seinem Erstaunen hatte es geholfen.
„Er kann uns hören!", flüsterte ein Buch, selbst für seine empfindlichen Ohren ziemlich leise.
„Das ist eine nette Abwechslung", sagte eine dunkle Stimme. „Mal jemand der zuhört."
„Er hört uns immer noch", flüsterte eine andere, schrille, weibliche Stimme.
„Es ist schon gut so", flüsterte Tarsuinn. Er hatte schon mitbekommen, dass einige Bücher recht eigensinnig sein konnten. Besonders diese Schulbücher von Professor Lockhart stachen da extrem hervor. Es war kaum auszuhalten, wenn zwei gleiche davon in einem Raum waren. Diese hier waren sehr rücksichtsvoll.
Professor Snape war spät dran, und so wurde das Gemurmel der Schüler immer lauter. Genau bis zu dem Augenblick, als die Kerkertür aufsprang und Snape hereinwehte. Der Professor hatte eine Aura der Kälte, die sofort jedes Gespräch verstummen ließ. Selbst Tikki, die sonst vor nichts wirklich Angst zu haben schien, suchte plötzlich Tarsuinns Nähe.
„Ruhe!", sagte Snape überflüssigerweise. „Ich bin nicht hier, um Ihren kindischen Problemen zu lauschen."
Na dann musste der aber eine ganze Weile an der Tür gelauscht haben, dachte Tarsuinn bei sich.
„Meine Aufgabe ist es, Ihnen die exakte Kunst des Zaubertrankbrauens zu vermitteln. Unaufmerksamkeit, Fehler und Dummheit können Ihnen diese Mauern zum Grab werden lassen. Doch jene mit Talent und dem Willen zu lernen, werden hier Wissen erlangen, das ihnen die Welt zu Füßen legen kann. Sie werden Tränke brauen, mit denen Sie die Naturgesetze besiegen, den Geist beherrschen und das Fleisch nach Ihren Wünschen formen können. Doch dies wird kaum einer von Ihnen schaffen, geschweige denn zur Perfektion bringen."
Snape sagte das auf eine Weise, als würde er damit genau alle Schüler im Raum meinen.
„Was – ist – das?", fragte der Professor plötzlich, jedes einzelne Wort mit einer Pause versehend. Er stand direkt vor Tarsuinn.
„Antworten Sie mir!", zischte Snape und stützte seine Hände links und rechts von Tarsuinn auf den Tisch. Jetzt war relativ eindeutig, wen der Professor ansprach.
„Was meinen Sie, Sir?", fragte Tarsuinn höflich.
„Dieses – Vieh!", formulierte Snape angewidert.
„Was ist mit Tikki, Sir?", antwortete Tarsuinn unschuldig, wobei er doch ahnte, was der Professor wollte.
„Was hat es hier zu suchen?"
„Es wurde mir erlaubt, sie in jede Stunde mitzunehmen, Sir!"
„Nicht von mir!", stellte er scharf fest.
„Nein, Professor. Es war Professor Dumbledore, der mir die Erlaubnis gab."
Snape richtete sich auf.
„Nun, wenn Professor Dumbledore es erlaubt hat, dann hat dies sicher einen Grund. Zumindest haben wir so ein Objekt, an dem wir unsere Tränke ausprobieren können", sagte Professor Snape gemein.
„Das werde ich nicht zulassen, Professor", widersprach Tarsuinn fast panisch. Er war sich in dem Moment ganz sicher, dass Snape es genießen würde, Tikki etwas anzutun.
„Nicht?", fragte der Professor leicht ungläubig.
„Lieber trinke ich selbst, was ich bei Ihnen zu brauen lerne", bekräftigte er mit zittriger Stimme. „Aber ich verspreche Ihnen, Tikki wird nicht stören."
„Das bleibt abzuwarten. Doch was bringt Sie darauf, dass ich meine Zeit mit einem Muggel verschwende und wie können Sie es sich anmaßen, anderen – richtigen – Schülern den besten Platz vorzuenthalten?"
Tarsuinn schwankte kurz zwischen still ertragen und Widerspruch, dann wählte er einen Mittelweg.
„Ich habe einen der wenigen Plätze gewählt, die noch frei waren, Sir", formulierte er sehr bewusst, stand dabei auf und packte sein Zeug zusammen. „Aber ich werde gern Platz machen, wenn Sie dies für richtig halten."
Nur keinen Ärger machen, Kontrolle behalten, tief durchatmen, ermahnte er sich. Er hoffte, wenn er Snapes Willen mit seinem Angebot zuvor kam…
„Habe ich Ihnen erlaubt aufzustehen?", fragte der Professor gefährlich sanft.
„Nein, Sir", zuckte Tarsuinn zusammen.
„Ein Punkt Abzug für Ravenclaw", freute sich Snape.
Tarsuinn setzte sich wieder.
„Sie da hinten", rief Snape über seinen Kopf hinweg.
„Ja, Sir", erklang eine schüchterne Mädchenstimme.
„Kommen Sie mit Ihren Sachen nach vorn."
Diesmal rührte sich Tarsuinn nicht vom Platz. Selbst als das Mädchen neben ihm stand, bewegte er sich nicht. Snape wartete eine Weile, dann fauchte er leise.
„Scheren Sie sich nach hinten und aus meinen Augen, Muggel", sagte er, als wäre Tarsuinn mit einer ansteckenden Krankheit geschlagen.
Um ehrlich zu sein, Tarsuinn war froh, endlich aus dem direkten Dunstkreis des Professors zu kommen. Nur sein Stolz war auf der Strecke geblieben. Da hatte er fünf Jahre lang staatliche Schulen besucht und hatte noch nie vor einem Lehrer gekuscht, doch heute gab er nach, obwohl es ihn so nach Widerspruch drängte. Er hasste dieses Prinzip der Gruppenbestrafung! Man wagte es nicht einmal, gegen unfaire Behandlung zu protestieren.
Heftiger als nötig, stellte er sein Zeug auf den hintersten Tisch in der Ecke. Da er irgendwie das Schloss fühlen konnte, wusste er, dass nun eine Säule zwischen ihm und der Tafel stand. Na ja, wenigstens war er so etwas vor Snapes Blicken geschützt, der im Moment genau wie Professor Flitwick alle Namen vorlas. Tarsuinns Name wurde in dieser Liste jedoch ausgelassen. Eine Botschaft, die er nur zu gut verstand. Vielleicht war es aber auch besser so. Aus den Augen, aus dem Sinn, hieß es doch.
Zumindest hielt sich Snape nicht lange mit Formalitäten auf. Kaum war er mit dem Vorlesen der Namen fertig, als auch schon der richtige Unterricht begann. Er ließ sie ihre Reagenzien hervorholen und zum Auftakt einen Trank gegen Mückenstiche anrühren. Die Zutaten waren etwas seltsam. Wasser, Wolfswurz, Beifuss, Mistelzweigspitzen und ein wenig Zinn. Es war eine abenteuerliche Mischung und die Regeln der Zubereitung verwunderlich. Doch Tarsuinn drängte all sein Wissen über Chemie zurück, stellte nicht die Frage, warum man unbedingt die Wolfswurzel in Millimeter große Würfel schneiden sollte, oder warum man unbedingt im Uhrzeigersinn umrühren musste. Er tat es einfach. Dabei überzeugte ihn vor allem, dass eines der Bücher ständig das Rezept murmelte und auch einige Warnungen hinzufügte, was man alles falsch machen konnte. Das war deutlich hilfreicher, als die Kommentare, die Professor Snape von sich gab. Er lobte eigentlich niemanden und schien bei jedem etwas zu finden, das ihm nicht passte. Zu Tarsuinn kam Professor Snape nicht.
Erst gegen Ende, als es darum ging, die Mistelspitzen so fein wie möglich zu zerkleinern, hörte er die Schritte Snapes sich ihm nähern.
Zuerst schnitt Tarsuinn von den Mistelzweigen die Spitzen ab – das Buch gab gute Tipps, woran man erkannte, was vom Zweig denn Spitze war – und dann hackte er es klein, so wie er es gelernt hatte. Ein Tuch unter das Schneidbrett, da der Tisch etwas uneben war, die Messerspitze aufgesetzt, und mit schnellen Bewegungen des Griffes nach oben und unten zerkleinerte er die Spitzen. Es war die Stimme des Buches, die ihn zunächst ignorieren ließ, dass es um ihn herum nach und nach sehr leise geworden war. Erst eine Minute später fiel ihm die extreme Ruhe auf und er stellte seine Arbeit ein.
Er wusste nicht, was los war. Zwar waren alle noch im Raum, denn er hörte die Atemzüge und fühlte die Präsenzen, die Kessel brodelten – doch ansonsten war es still. Angestrengt lauschte er, um zu erfahren, was los war. Beunruhigt drehte er den Kopf, aber da war nichts. Selbst von Professor Snape kam kein Laut.
„Die Mistelspitzen jetzt in den Topf", erinnerte ihn das Buch.
Timing ist wichtig, machte er sich bewusst. Schnell prüfte er mit den Fingerspitzen, ob er alles gut zerkleinert hatte, fingerte noch zwei zu große Stücke heraus und gab den Rest in den Kessel. Es brodelte kurz auf und dann durchzog ein starker Geruch nach Kräuterschaumbad seine Nase. Umgehend löschte er die Flamme unter dem Kessel und rührte im Uhrzeigersinn solange, bis der Geruch verschwand. Inzwischen war wieder etwas Bewegung in die anderen Schüler gekommen, und es zogen stellenweise recht üble Gerüche durch den Raum.
Tarsuinn hob den Arm, um anzuzeigen dass er fertig war und wurde, wie erwartet, ignoriert. Nun, da blieb ihm nichts anderes übrig, als weiterzumachen. Er öffnete ein Salbenglas, ein völlig normales Einweckglas, wie ihm seine Fingerspitzen sagten, und füllte es mit seinem Gebrauten. Nur eine kleine Menge ließ er übrig und füllte diese in ein Reagenzglas, das er mit einem Korken verstopfte.
Danach begann er seinen Kessel zu reinigen. Snape ging derweilen von Schüler zu Schüler und gab vernichtende Urteile ab. Wieder ignorierte er Tarsuinn, der seine Hand hob, als der Professor den Hufflepuff neben ihm niedermachte, weil dessen Mixtur nicht grün genug war.
Das Klingelzeichen, das den Unterricht wenig später beendete, schien für alle eine Erlösung zu sein, so schnell und still leerte sich der Raum. Nur Tarsuinn ging in die andere Richtung.
„Lass es", hielt ihn Cassandra zurück, die ihm aus der ersten Reihe entgegen kam. „Sei froh, wenn er dich ignoriert."
„So kann ich doch nichts lernen", erklärte Tarsuinn.
„Denk an unser Haus!", erinnerte ihn Cassandra und griff seinen Oberarm.
Er entzog sich ihr.
„Das tue ich. Ich kann doch nur gute Leistungen bringen, wenn ein Lehrer mir etwas beibringt. Wenn ich dumm bleibe, mache ich Ravenclaw mehr Schande, als ein paar verlorene Punkte."
„Er hat Recht", mischte sich Winona zu seinen Gunsten ein und löste Cassandras Hand. „Wir warten draußen. Und Tarsuinn…?"
„Ja?"
„…übertreib's nicht."
„Versprochen."
Damit ließen sie ihn mit Snape allein. Langsam trat er an den Lehrertisch, ohne dass Snape ein Wort an ihn richtete. Wie üblich inzwischen.
„Professor?", bat Tarsuinn.
Nichts.
„Professor!", sagte er etwas schärfer.
„Ja?", kam langsam eine gelangweilte Antwort.
„Sie haben vergessen meine Mixtur zu prüfen, Sir", sagte er höflich und legte das Reagenzglas auf den Tisch.
„Unbrauchbar!", urteilte Snape gelangweilt. „Die Farbe stimmt nicht."
Doch damit konnte er Tarsuinn nicht abspeisen.
„Was habe ich falsch gemacht?", fragte er.
„Alles!", erklärte Snape abwesend. Er hatte dabei die Stimme eines Menschen, der gerade ein spannendes Buch las, und sich seiner Umwelt kaum bewusst war.
„Sind Sie zufälligerweise in der Lage mir das etwas genauer zu erklären, Sir", provozierte Tarsuinn, wobei er sich bemühte, seinen Tonfall bittend zu halten.
„Ich bemerkte bereits, ich werde meine Zeit nicht mit Ihnen verschwenden."
Es war sinnlos. Tarsuinn drehte sich herum, ging einige Schritte Richtung Tür und blieb dann aber noch einmal stehen.
„Ich weiß genau,…", sagte Tarsuinn ohne sich herumzudrehen, „…ich könnte der beste Schüler in diesem Fach sein, wenn Sie mir helfen. Was muss ich also tun, damit Sie Ihre Vorurteile vergessen und die Möglichkeit akzeptieren, dass aus mir ein Zauberer werden könnte?"
Wieder keine Antwort. Niedergeschlagen ging er weiter.
Er war schon erstaunt, dass ihm keine Punkte abgezogen worden waren, noch erstaunter war er jedoch, als Snape ihn von der Tür zurück rief.
„Kommen Sie her, McNamara!", befahl Snape.
Tarsuinn hatte das Gefühl, soeben von drei Eiszapfen erdolcht worden zu sein. Trotzdem drehte er sich um und ging wieder zurück. Sein Instinkt sagte ihm, dass es jetzt unbedingt empfehlenswert war, die Klappe zu halten.
„Ab heute wird Ihr Tier vor der Tür bleiben. Sie werden immer dort sitzen, wo Sie heute gesessen haben. Sie werden nur sprechen, wenn ich Sie etwas frage. Sie werden jede Stunde, nachdem alle gegangen sind, Ihren Trank bewerten lassen. Sie werden mir dabei jedes Mal einen zwei Ellen langen Aufsatz über den Trank übergeben, der in der vorangegangen Stunde gebraut wurde. Ich werde nur sehr gute Arbeit akzeptieren. Haben Sie verstanden?"
Zur Antwort setzte er Tikki auf den Boden.
„Tikki – geh hinaus oder warte bitte an der Tür, sollte die verschlossen sein."
Dann richtete er sich wieder auf und wandte sich zu Snape. Erneut legte er das Reagenzglas auf den Tisch. Diesmal wurde es ergriffen. Tarsuinn konnte hören, wie Snape daran roch, wie er die Konsistenz zwischen seinen Fingern prüfte.
„Zuviel Wasser", urteilte Snape nach einigen Minuten. „Als Salbe nicht verwendbar. Null Punkte."
Über die Wirkung sagte der Professor nichts.
„Danke, Professor", sagte Tarsuinn, tastete nach dem Reagenzglas, das Snape abgelegt hatte und ging dann.
Tarsuinn fragte sich, ob er eben einen Sieg errungen oder eine Niederlage erlitten hatte.
Draußen schien man sich das auch zu fragen.
„Wir hatten schon Angst, du würdest nie da raus kommen", sagte Winona erleichtert.
„Wichtiger ist, hat er uns Punkte abgezogen?", erkundigte sich Cassandra ganz besorgt.
„Null Punkte", beruhigte Tarsuinn doppeldeutig. „Können wir hier bitte weg?"
„Keine Einwände", grinste Winona. „War doch eine inspirierende Unterrichtsstunde, nicht wahr?"
„Dürfte ich erfahren, zu was dich das inspiriert hat?", fragte Cassandra erstaunt.
„Anders zu sein als Snape", lachte Winona, dann fing sie an Snape zu imitieren. „Sie sollten nächstes Mal Ihre Hände waschen. Es ist schon schlimm genug, was Ihnen alles von Ihrer Nase in den Kessel tropft, aber das Zeug an Ihren Händen könnte durch den Trank Menschen töten. – Aber Professor, das ist Hautcreme! – Dann sollten Sie nächstes Mal damit Ihre Nase verstopfen."
„Das ist nicht witzig", kommentierte Cassandra böse.
„Doch! Ist es", widersprach Tarsuinn grinsend.
„Man kann doch nicht so über einen Lehrer von Hogwarts sprechen!"
Cassandra war ein wenig aufgebracht, und das nicht nur wegen Winona.
„Was ist mit dir, Cassandra?", fragte Tarsuinn. „Irgendwas anderes stimmt doch nicht!"
„Nein, es ist nichts", antwortete das Mädchen, doch sie klang nicht sonderlich überzeugend. „Wie ist dein Gespräch mit Professor Snape eigentlich genau gelaufen?", lenkte Cassandra schnell ab. Sie wollte anscheinend nicht darüber sprechen.
Deshalb schilderte Tarsuinn kurz sein Abkommen mit Snape. Ein Abkommen, das bei Cassandra Zustimmung und bei Winona blankes Entsetzen erzeugte.
„Jedes Mal einen zusätzlichen Aufsatz", stöhnte sie. „Das ist übelste Erpressung."
„Wenigstens bekommt er so ordentlichen Unterricht", fand Cassandra.
„Den sollte er auch so bekommen. Ohne dafür kriechen zu müssen", war Winonas Meinung.
„Ist doch egal", beruhigte Tarsuinn. „So schlimm ist das mit den Aufsätzen nicht. Aber eine andere Frage, warum war es in der Stunde zwischendurch mal so leise? Ich meine, so gegen Ende."
„Snape!", antworteten seine beiden Begleiterinnen wie aus einem Mund, dann waren sie still.
„Ja?", drängte Tarsuinn. „Eine Beschreibung der visuellen Gegebenheiten wäre recht nett, wisst ihr?"
„Er hat dich angestarrt."
„Als du angefangen hast deine Zweige zu schnippeln."
„Hat auf dein Messer gestarrt."
„War völlig fasziniert."
„Fast dreißig Sekunden lang."
„Musste sich richtiggehend von dem Anblick losreißen."
„Aber warum?", fragte Tarsuinn erstaunt.
„Na, wie du deine Zweige geschnitten hast!", erklärte Winona unzureichend.
„Was zur Hölle ist damit?"
„Es war so schnell. Nicht mal das magische Küchenmesser meiner Ma kann das so fix."
„Ich hab die ganze Zeit erwartet, du würdest dir die Finger abhacken", ergänzte Cassandra.
„Und Snape hat auf deine Klinge geblickt, als wäre es das Messer des Todes. War völlig fixiert drauf."
„Wo hast du das überhaupt gelernt?", wollte Winona wissen.
Das wollte Tarsuinn nicht sonderlich genau beschreiben.
„Ich hab mal eine Zeitlang bei einem japanischen Koch gelebt. Er hat mir ein paar Sachen gezeigt."
„Ein japanischer Koch?", staunte Cassandra. „Wie lernt man so einen überhaupt kennen?"
„Lange Geschichte", wehrte Tarsuinn ab.
„Wir haben die gesamte Mittagspause Zeit."
„Vielleicht ein anderes Mal", wehrte Tarsuinn ab. „Ich möchte noch schnell zu Madame Pomfrey. Ich glaube, ich habe mich noch bei ihr zu entschuldigen."
Dann lief er mehr oder weniger davon. Tarsuinn hatte zwar gelernt zu lügen, aber bei Menschen die er mochte, fiel es ihm immer sehr schwer und er war nicht immer überzeugend. Zumindest hatte er jedoch nicht gelogen, als er sagte, er wolle sich bei Madame Pomfrey entschuldigen. Er plante, die etwas zu dünne Salbe der Krankenschwester zu geben. Snapes Kritik hatte ihn überzeugt, dass sein Werk von der Wirkung her absolut korrekt funktionieren würde. Hoffentlich nahm Madame Pomfrey seine Entschuldigung an.
Der Rest des Tages nach der Zauberkunststunde war für Toireasa ein stetiges Bergab gewesen. Auf eine lustige Flugstunde bei Madame Hooch und ein reichliches Mittagessen, folgte eine sehr interessante, wenn auch anstrengende Stunde Verwandlungen bei Professor McGonagall. Schon in der ersten Stunde erkannte Toireasa, dass Verwandlungen für sie zur schwierigsten Prüfung werden würden.
Und eigentlich hatte sie dies auch von Verteidigung gegen die Dunklen Künste erwartet. Doch zumindest die erste Stunde war für sie ziemlich enttäuschend verlaufen. Es hatte sie ja schon gewundert, dass auf der Bücherliste für das Fach kein einziges echtes Schulbuch gestanden hatte. Die Reiseberichte von Professor Lockhart mochten zwar recht interessant, spannend und lehrreich sein, doch einen Zauber oder Fluch konnte man damit nicht erlernen. Sie hatte gehofft, der Professor würde einen eher praktischen Ansatz des Unterrichts bevorzugen, doch im Endeffekt tat Lockhart nichts anderes, als einen völlig bescheuerten Test mit Fragen über ihn selbst schreiben zu lassen, aus seinen Büchern vorzulesen und mit einigen Schülern eine Art Minitheater aufzuziehen. Das war zwar recht unterhaltsam, aber gelernt hatte Toireasa überhaupt nichts.
So hatte sie die Unterrichtsstunde genutzt, um die Übungen aus der Verwandlungsstunde zu wiederholen.
Und mit dieser Missachtung des Unterrichtsstoffes war sie nicht allein gewesen. Einige Slytherin-Jungs hatten heimlich Karten gespielt, einer der Ravenclaws war einfach eingeschlafen und McNamara hatte irgendetwas geschrieben. Als Lockhart ihm und Ravenclaw einen Punkt dafür gab, dass er so begeistert mitschrieb, hatte er nur erstaunt aufgeblickt, nichts gesagt und dann ein Lächeln hinter der Hand verborgen.
Regina hatte die Angelegenheit sofort durchschaut und Lockhart darauf hingewiesen, dass McNamara überhaupt nicht mitgeschrieben hätte, sondern etwas völlig anderes. Der Professor, gerade in einer heroischen Pose verharrend, hatte es nicht für nötig gehalten hinzugehen und nachzuschauen. Er hatte ein paar recht komplizierte Fragen über den Inhalt seiner Bücher gestellt, die McNamara jedoch alle mit wörtlichen Zitaten beantworten konnte. Lockhart war zufrieden und der Punkt blieb bei Ravenclaw.
Doch obwohl es sie ungemein störte, dass McNamara völlig unverdient einen Punkt für Ravenclaw verdient hatte, so war dies doch nicht der Tiefpunkt des Tages.
Toireasa wusste nicht, wie lange sie nun schon vor der Pinwand im Slytherin-Gemeinschaftsraum stand und immer wieder ungläubig las:
Sucher: Draco Malfoy
Das musste ein Fehler sein, dachte sie unentwegt. Sie hatte doch gewonnen! Und das nicht nur knapp, sondern überlegen. Mit zwei Punkten Vorsprung! Wie sollte das Hausteam denn mit Draco Malfoy gewinnen, wenn der sich sogar von ihr schlagen ließ?
Dann riss sie ihren Blick von dem Zettel los und drehte sich herum. Einige Slytherins wendeten schnell den Blick ab, so als hätten sie Toireasa beobachtet. Sie ging auf einen der älteren – ein dunkelblonder, hagerer Junge – zu.
„Weißt du wo Flint ist?", fragte sie zornig.
Der Angesprochene schaute zuerst überrascht auf und grinste dann verlegen. Er deutete auf eine der Treppen, die zu den Jungenschlafräumen führte.
Ohne sich zu bedanken, lenkte sie ihre Schritte zur Tür und dann die Treppen hinunter. Es mochte zwar extrem unschicklich für ein Mädchen sein, einfach so in die Jungengemächer zu gehen, aber im Moment störte sie das kaum. Ohne anzuklopfen stieß sie die Tür am Ende der Stufen auf und zu ihrem Glück war Marcus Flint wirklich hier.
Dieser war zwar nicht allein, aber der andere, nur mit Unterwäsche bekleidete Junge, verschwand blitzschnell hinter den Vorhängen eines Bettes.
„Raus hier", rief er.
Toireasa ignorierte ihn und baute sich vor Flint auf. Sie legte den Kopf in den Nacken und starrte ihn zornig an.
„Warum?", verlangte sie zu wissen.
„Du bist zu jung. Es ist Erstklässlern verboten…", begann er, genau wissend, um was es ihr ging.
„Lüge!", schrie sie ihn an. „Madame Hooch hat mir heut unzählige Tipps gegeben und mir verraten, dass einige Lehrer sehr gespannt wären, wie ich mich gegen Potter halten kann. Da war keine Rede von Verbot!"
„Als Kapitän bin ich dir keine Erklärung schuldig!", fuhr er sie daraufhin an. „Es ist meine Entscheidung, wer ins Team kommt und wer nicht."
„Ah – und da entscheidet anscheinend nicht Leistung, sondern wer besonders gut herumschleimt und einen bekannten Daddy hat?", unterstellte sie ihm zornig.
„Malfoy hat mehr Potential, als er gezeigt hat. Sobald er mit seinem Besen geübter ist, wird er besser sein als du."
Flint passte sich mühelos ihrer Lautstärke an und übertraf sie sogar deutlich.
„Oh – wenn das so ist", antwortete sie, und der Sarkasmus triefte nur so aus ihrer Stimme. „Ich bin gestern mit einem mir fast unbekannten Sauberwisch 7 geflogen. Auch ich werde besser, wenn ich eine Weile geübt habe. Aber heh – ich schätze, das hat keinen Einfluss auf deine Entscheidung, oder?"
„Draco hat mehr Talent als du!", beharrte Flint und sein Gesicht war jetzt deutlich gerötet.
„Malfoy ist nen Maulheld", tat Toireasa ihre Meinung kund. „Er ist vielleicht gut darin, seine Klappe aufzureißen, aber als Sucher ist er nur durchschnittlich. Bei gleichem Besen wäre selbst Terence besser gewesen."
„Terence ist raus, weil er letzte Saison feige gegen Potter versagt hat."
„Das hat Malfoy jetzt auch schon hinter sich und Slytherin wird dank ihm wieder verlieren!"
„Wir werden gewinnen!", brüllte Flint sie an. „Ich habe den besten Slytherin für das beste Team ausgesucht."
„Malfoy ist nicht der Beste und das müsstest du mit ein wenig Hirn selbst erkennen!", hielt sie akustisch gegen.
Flints Hand zuckte nach oben, als wolle er ihr eine Backpfeife verpassen – hielt jedoch inne.
„Wenigstens kann ich mir bei ihm sicher sein, dass er ein Slytherin ist", schrie er ätzend.
Dieser Kommentar verwirrte Toireasa etwas. Sie war aber zu sehr in Rage, um länger darüber nachzudenken.
„Und was bin ich? Ein Weihnachtsmann?", fauchte sie. „Ich bin auch Slytherin!"
„Ein wahrer Slytherin würde aber niemals einem Muggel helfen, nach Hogwarts zu kommen!", schoss Flint zurück und nahm ihr für einen Augenblick den Wind aus den Segeln.
„Woher sollte ich ahnen, dass ein Muggel im Hogwarts-Express sein könnte?", fluchte sie in deutlich normalerem Ton.
„So einen Abfall riecht man einfach!", zischte Flint sie an. „Das tut man aber nur, wenn man selbst sauber ist."
Flint starrte ihr fast hasserfüllt in die Augen und sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
„So etwas wie dich können wir im Hausteam nicht gebrauchen", urteilte er endgültig und mit dem Ton eiskalter Befriedigung. „Und jetzt sieh zu, dass du hier raus kommst, bevor mir von deinem Anblick schlecht wird."
„Niemand konnte…"
„RAUS!"
Für einen Augenblick war Toireasa versucht, sich auf Flint zu stürzen, doch der kleine Teil ihres Hirns, der noch logisch denken konnte, hielt sie von diesem sinnlosen Unterfangen zurück. Steif machte sie auf dem Absatz kehrt und marschierte aus dem Jungenschlafsaal. Oben im Gemeinschaftsraum empfingen sie unzählige neugierige Blicke. Da sie die Tür unten nicht geschlossen hatte, musste ihr Gespräch mit Flint gut zu hören gewesen sein. Sie schaute sich einmal sorgfältig um und konnte die volle Bandbreite an Gefühlen erkennen. Von Mitleid bis zur hämischen Schadenfreude war alles vertreten, wobei Letzteres deutlich überwog. Vor allem bei Malfoys Gefolge an Speichelleckern. Diese hatten sich um einen Tisch versammelt, auf dem einige neu wirkende, gerade ausgepackte Besen lagen. Von der Form her mussten es Nimbus 2000 oder 2001 sein. Toireasas Verstand brauchte nur ein paar Augenblicke, um sich alles zusammenzureimen. Ohne eine Miene zu verziehen, ging sie zur Tür, und beim Hinausgehen hörte sie noch eine bekannte Mädchenstimme:
„Jetzt geht sie sicher zu ihrem Muggelfreund sich ausweinen", sagte Riolet Mokkery genau so laut, dass Toireasa es hören musste.
Toireasa reagierte jedoch nicht darauf, sondern wartete so lange, bis die Geheimtür sich hinter ihr wieder geschlossen hatte. Dann lief sie blindlings los. Tränen liefen über ihre Wangen und sie wollte nur noch allein sein.
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