- Kapitel 7 -
Ein Aufstieg beginnt
Gloria war schon immer eine Frühaufsteherin gewesen. Das lag zum einen an dem Anspruch, den sie an sich selbst stellte und zum anderen an der Pflege, die sie jeden Morgen ihrem Äußeren angedeihen ließ.
Ihre langen blonden und gelockten Haare brauchten intensive Aufmerksamkeit und auch ihrer Haut gab sie die Pflege, die diese noch lange jung und faltenlos halten würde. Sie stimmte jeden Morgen ihre Kleidung neu ab, komponierte ein Ensemble das niemals gleich, doch immer zu Wetter, Stimmung und den Aufgaben des Tages passte. Jemand der sie ansah sollte sich eine Meinung über sie bilden und zwar eine, die sie selbst erzeugt hatte.
Da heute kein wichtiger Tag zu werden schien, entschied sie sich für eine Zusammenstellung, die möglichst viel Respekt bei allen, Begehren bei den Männern und Beliebtheit bei den Frauen erzeugte. Das war nicht einfach. Beliebtheit konnte in Neid umschlagen, Begehren in Hass und Respekt in Konkurrenzdenken. Soziales Leben war ein Eiertanz und der Aufstieg auf der Karriereleiter ein Krieg. Gloria genoss es.
Nachdem sie mit ihrem Äußeren zufrieden war, stand sie auf und weckte ihren Mann mit einem sanften Kuss. Das Glitzern in seinen Augen sagte ihr, dass sie zumindest in einem Punkt einen Erfolg erzielt hatte.
„Denk an die Arbeit, die ich eben hatte", wehrte sie seinen wortlosen Wunsch amüsiert ab.
Er rollte gespielt frustriert mit den Augen. In den Jahren der Ehe, hatte er die Regeln im Umgang mit ihr erlernt und Gloria kannte auch seine Macken. Manchmal respektierte sie diese auch.
„Ich muss früh ins Ministerium", erklärte sie leise. „Ich wollte dir nur zeigen, was du durch deine vielen Nachtschichten verpasst. Schlaf jetzt wieder."
„Wie soll ich das jetzt noch, nachdem ich von einem Engel geweckt wurde?", entgegnete er und seine Augen blickten sie liebevoll an.
„In dem du von mir träumst!", antwortete sie und küsste ihn noch einmal, dann ging sie zum Frühstück. Er war ein großes Kind und sie fürchtete, sie könnte schwach werden. Er war ihre größte Schwäche.
Sie schritt in den kleinen Saal nahe der Küche und setzte sich an den schon gedeckten Tisch. Der Toast nur leicht braun und noch warm, streichfeste Butter und Honig – alles so, wie sie es liebte. Kleine Elfenhände bestrichen den Toast.
Neben ihrem Teller lag der Tagesprophet. Sie blätterte ihn gelangweilt von hinten durch, während sie ihr Frühstück verspeiste. Mann, war das langweilig diesmal. Im Moment war aber auch gar nichts los. Kein Justizfall am Horizont, der ihre Karriere voranbringen konnte.
Oh, Gringotts hatte neue Investitionen getätigt, woher die Kobolde nur das Geld hatten? Diese miesen kleinen Typen würden noch die gesamte Zaubererwelt aufkaufen, wenn man nicht aufpasste. Es wurde Zeit, dass endlich das Gesetz der maximalen Schulden verabschiedet wurde. Das würde es den Kobolden schwerer machen, Zauberer und Hexen in den Ruin zu treiben.
Ansonsten gab es nichts wirklich Interessantes. Zumindest glaubte sie das, bis sie die erste Seite aufschlug.
Quidditch kommt heim ins Mutterland.
Das Ministerium freut sich bekannt zu geben, dass von allen Bewerberländern, die im Lostopf waren, England für die WM in zwei Jahren gezogen wurde.
Für einen etwas emotionaleren Kommentar von Ludo Bagman, lesen Sie den Sportteil…
Wer hätte auch ahnen können, dass ausnahmsweise mal etwas Interessantes im Sportteil zu finden war? Sie überblätterte ihn sonst ständig, da sie nichts an Quidditch finden konnte. Aber eine WM war schon etwas anderes. Es bedeutete große umfangreiche Vorkehrungen, internationale Beteiligungen, Geschäftemachereien – und damit jede Menge Konflikte, bei denen man Ankläger, Verteidiger oder Richter brauchte. Gloria verkörperte gern diese Rollen, egal welche davon. Sie ahnte eine beschäftigungsreiche Zeit voraus.
Ein leises Geräusch neben ihr kündigte von der Ankunft einer weiteren Elfe.
„Ein dringlicher Brief, Mylady", sagte Cindy. Die Hauselfe führte ihren Haushalt und organisierte die Arbeit der anderen Elfen.
Gloria nahm den Brief vom Tablett.
„Bleib hier!", befahl Gloria für den Fall, dass eine schnelle Antwort geschrieben werden musste.
Sie rollte das Pergament auf und las, doch schon nach dem ersten Satz sprang sie geschockt auf.
„Nein!", rief sie laut aus.
Die Hauselfe, die sie bediente, verlor ungeschickt das Gleichgewicht und Tee ergoss sich brühend heiß über Glorias Kleid und die Schuhe.
„Trampel!", fuhr Gloria die Elfe an.
„Verzeiht, Mylady", rief Cindy sofort und warf sich bittend auf den Boden. „Ein dummer Fehler, ich werde Lucy maßregeln."
Die andere Elfe war stehen geblieben.
„Bitte entschuldigt", sagte die junge Hauselfe. „Aber Ihr ward so unverhofft aufgestanden und habt das Tablett…"
„Still!", fauchte Gloria und funkelte das unverschämte Wesen an. Normalerweise ignorierte sie ja diese kleinen Wanzen, aber diese hier wagte es, ihr die Schuld in die Schuhe zu schieben.
„Aber Ihr seid doch angesto…"
„Schweig still, Lucy!", bat die am Boden liegende Elfe und zupfte der aufmüpfigen Lucy am Kopfkissenbezug (die einzige Kleidung die Elfen erlaubt waren, die im Schutz eines Zaubererhaushaltes lebten), damit diese sich auch hinlegte. Doch diese senkte nur den Kopf.
„Wie Ihr meint, Mylady", sagte sie, doch es klang nicht ehrlich.
Gloria nahm ihren Zauberstab, deutete auf die Elfe und mit einem Plagam-Schlagfluch warf sie die Elfe gegen die Wand. Niemand forderte Gloria in ihrem eigenen Haus so heraus! Vor allem keine unwerten Hauselfen.
„Verhalte dich deinem Platz entsprechend", forderte Gloria.
Die Elfe Lucy sagte nichts dazu und rappelte sich wieder auf, doch in ihren großen Augen war ein gefährlicher Widerspruch zu sehen. Eine Regung, die Gloria nicht dulden durfte.
„Senke den Blick, Nichtsnutz!", befahl Gloria und hob den Zauberstab. Die Hand der Elfe war von einem leichten, blauen Lichtschimmer umgeben.
Sie war plötzlich in eine Situation gerutscht, die sie am frühen Morgen leicht überforderte. Es ging nicht an, dass sie ein solches Verhalten von einer Hauselfe durchgehen ließ, aber sie musste auch noch weiterdenken. Wenn sie die Elfe jetzt züchtigte, bestand die Gefahr, dass dies bekannt wurde und dies würde ihrem Ansehen bei der gegenwärtigen Regierung sehr schaden.
„Du wirst deiner Tochter die Regeln beibringen, Cindy! Ansonsten werde ich dies tun", sagte Gloria und senkte den Zauberstab. „Ich gehe jetzt mein Kleid wechseln und werde nach der Arbeit sehen, wie gut du deine Tochter instruierst hast."
Sie wandte sich ab, ging zurück ins Schlafzimmer – ihr Mann schlief schon wieder – und wechselte ihr Kleid. Nichts mehr blieb von ihrem sorgsam zusammengestellten Ensemble. Ihr blieb nicht die Zeit, um alles neu zu komponieren. Im Grunde genommen musste eine ordentliche, seriöse Kleidung jetzt reichen. Gloria fühlte sich furchtbar gewöhnlich und ihre Wangen glühten vor Wut, als sie sich so im Spiegel betrachten musste. Im plötzlichen Zorn ließ sie den Spiegel zerspringen nur um ihn Sekunden später wieder zu reparieren.
Abrupt wandte sie sich von ihrem eigenen Spiegelbild ab und ging aus dem Haus.
Wenig später erreichte sie ihr Büro im Zaubereiministerium, Abteilung für magische Strafverfolgung. Es war nur ein kleiner Raum, schließlich war sie erst seit zwei Monaten eine Angestellte des Ministeriums. Davor hatte sie Erfahrungen als Anwaltsassistentin, Notarin und freie Rechtsberaterin gesammelt. Es war harte Arbeit gewesen, sich diesen Job im Ministerium zu sichern. Im Grunde war sie fast erstaunt gewesen, als sie ihn bekommen hatte. Ihrer Meinung nach – wenn sie objektiv gegen sich selbst war – hatte es Kandidaten mit deutlich besseren Zeugnissen gegeben. Seltsamerweise war da aber eine Person, die schon im Voraus erstaunlich sicher gewesen war, dass Gloria es schaffen würde. Wenn man es genau betrachtete, hatte dieser Jemand ihr überhaupt erst zur Bewerbung geraten und er hatte ihr auch einen anderen Tipp gegeben…
Den gesamten Vormittag über wälzte Gloria Akten.
Wie es sich für einen Neuling gehörte, hatte sie die ganzen Bagatellfälle bekommen – etwas was sie völlig unterforderte, aber ein üblicher Test war.
Nach dem Mittagessen klopfte es an ihre Tür.
„Herein!", sagte sie laut und verdrängte jegliche Langeweile, die eventuell in ihrer Stimme liegen konnte.
Die Tür öffnete sich und eine junge Hexe, mit dem naiven Gesicht eines Mädchens, trat ein. Gekleidet war sie in der Art, wie man es allgemein als adrett bezeichnete. In Glorias Augen lief das unter bäuerlich-einfach.
„Entschuldigen Sie bitte, Mylady", sagte diese und betonte den alten Titel, fast als wolle sie fragen, ob es so korrekt wäre.
„Ja?", entgegnete Gloria.
„Mr Fairbanks hat mich geschickt", erklärte die Hexe ein wenig nervös. „Mein Name ist Heather Delightyfull. Ich bin ab jetzt Ihre Sekretärin und Assistentin. Ich bin auch neu hier."
Gloria versuchte ihre Überraschung zu überspielen. Kein Neuling bekam so schnell eine Sekretärin. Das bedeutete normalerweise, dass man als vollwertige Jurist angestellt war.
„Ich habe schon eine Liste mit Kandidaten für die Stelle des Rechercheurs angefertigt", fuhr Delightyfull dienstbeflissen fort.
Jetzt entglitten Gloria dann doch kurz die Gesichtszüge. Einen Rechercheur stellte man nur jemandem zur Seite, von dem man eine aktive Rolle bei der Wahrheitsfindung erwartete. Das war gleich noch ein halber Schritt weiter auf der Karriereleiter.
Sie riss sich zusammen, nahm die Liste entgegen, warf einen kurzen Blick darauf und schüttelte dann den Kopf.
„Keiner davon erfüllt meine Anforderungen!", erklärte sie kühl, obwohl einige wirklich gute Kandidaten darauf standen. Sie hatte da diesen einen Tipp und auch eine Verpflichtung.
„Aber das sind alle, die sich beworben haben", entgegnete die junge Sekretärin, ein wenig verletzt klingend.
Gloria war das egal. Je eher Delightyfull lernte, wer hier der Boss war, desto besser.
„Ich möchte, dass Sie Mr Decan Rummager zu einem Vorstellungsgespräch einladen", erklärte sie und provozierte damit die erwartete Reaktion.
„Rummager? Sie meinen den Decan Rummager? Das ist nicht Ihr Ernst, Mylady."
„Es ist mein Ernst!"
„Das können Sie doch nicht wirklich…"
„Ich will keine Diskussionen."
„Aber er wurde rausgeworfen! Er hat illegal Beweismittel besorgt, Zeugen unter Druck und Flüche gesetzt – und Mrs Bones den blanken Hintern gezeigt!"
„Das ist mir alles bekannt."
„Dann können Sie doch nicht…!"
„Mrs Delightyfull!", unterbrach Gloria frostig. „Wenn Sie weiterhin meine Anweisungen in Frage stellen wollen, dann schlage ich vor, Sie besorgen sich einen Job in der Abteilung für Muggelangelegenheiten, suchen sich gleich einen Muggelberuf oder werden Zaubereiminister. Aber sollten Sie das nicht wollen oder können, dann stellen Sie meine Anordnungen maximal einmal in Frage. Habe ich mich damit für Sie halbwegs verständlich ausgedrückt?"
„Ja, Mylady!", entgegnete die jüngere Frau und sah fast so aus, als würde sie gleich zu heulen anfangen. Gloria hasste solche Schwächen.
Am Liebsten hätte sie Delightyfull durch jemand anderen ersetzt, der nicht so nah am Wasser gebaut hatte, aber das war im Moment nicht ratsam. Die Sekretärin war ihr von Mr Fairbanks, ihrem neuen Chef, geschickt worden. Die inoffizielle Nummer zwei in der Abteilung für magische Strafverfolgung und sehr wichtig. Einen solchen Mann stieß man nicht vor den Kopf, indem man die von ihm ausgewählte Sekretärin rausschmiss.
„Dann gehen Sie jetzt und bringen Mr Rummager hierher, Miss Delightyfull", befahl Gloria fest.
„Wie Sie wünschen, Mylady", entgegnete die Sekretärin halb ängstlich, halb trotzig und verließ den Raum. Na wenigstens hatte das Mädchen sich gut genug im Griff, um den Rüffel relativ gefasst wegzustecken. Vielleicht konnte man aus ihr noch etwas machen. Hoffentlich hatte sie wenigstens eine schöne Handschrift.
Gloria wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Weit kam sie damit nicht, bevor es erneut klopfte.
„Ja!", rief Gloria relativ ungnädig, da sie gerade krampfhaft versuchte durch einige Bilanzdaten einer In- und Exportfirma zu steigen, die im Verdacht stand, Einfuhrbestimmungen zu brechen.
„Ich hoffe, ich störe nicht, Mrs Kondagion", sagte ihr neuer Besucher.
Gloria sprang überrascht auf.
„Mr Fairbanks", begrüßte sie höflich ihren direkten Vorgesetzten und versuchte so etwas wie Ordnung auf ihrem Schreibtisch herzustellen. „Ich bin etwas überrascht…"
Doch der Mann winkte ab. Fairbanks war ein Mann in mittlerem Alter, 62 um genau zu sein, und er hatte diese Aura der Erfahrung und Weisheit, die ein guter Chef haben musste. Dazu kamen noch interessante, graumelierte Schläfen, eine ansehnliche Gestalt und ein gepflegtes Äußeres. Zwanzig Jahre jünger und er wäre in Glorias Beuteschema gefallen.
„Kein Grund in operative Hektik zu verfallen", beruhigte er lächelnd. „Ich wollte eigentlich nur sagen, dass diese Akten bald abgeholt werden."
„Ich verstehe nicht?", entgegnete Gloria verwirrt. „Sie haben mir doch die Sekretärin und einen Rechercheur genehmigt?! Ich dachte, ich solle jetzt die Fälle auch vertreten, statt sie nur zu bearbeiten."
„Dem ist auch so", lachte er trocken. „Nur gedachte ich, Ihre Talente nicht mit solchen Bagatellen zu verschwenden, sondern sie zu meiner Junior-Assistentin zu machen."
Diesmal schaffte Gloria es nicht, ihre Überraschung zu verbergen.
„Zwei Stufen?", entfuhr es ihr.
„Wie meinen?"
„Ich meine, das ist ein Sprung um zwei Stufen nach oben auf der Karriereleiter", erklärte sie ihren kurzen Ausbruch. „Ich meine, vielleicht ist das etwas übertrieben."
„Ihr seid zu bescheiden, Mrs Kondagion", sagte Fairbanks und amüsierte sich offensichtlich über sie. „Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte ich Ihnen schon bei Ihrer Anstellung diese Position angeboten, doch es gab einige Personen, die ihre Referenzen und vor allem den Arbeitseifer anzweifelten."
„Aber warum, Sir", konnte sie es noch immer nicht ganz fassen. „Ich meine, so richtig kennen Sie mich doch nicht."
Jetzt lachte er richtig herzhaft.
„Wir Zauberer und Hexen sind nur eine kleine Gemeinschaft", erklärte er. „Jemanden im Auge zu behalten, der sich als talentiert gezeigt hat, ist nicht allzu schwierig. Und wenn man dann immer wieder Hilfesuchende trifft, die anscheinend schon im Vorhinein von einer gewissen Mrs Kondagion eine professionelle Rechtsberatung erhalten haben, dann wird man natürlich noch einmal zusätzlich aufmerksam."
„Dann kam das Angebot des Ministeriums auf Ihre Veranlassung hin?"
„Natürlich."
„Und ich dachte, man hätte da meine Fähigkeiten erkannt."
„Sagen wir es so, ich war nicht der Einzige, der Interesse erkennen ließ. Aber es gab auch einige Gegenstimmen."
„Womit habe ich die denn verdient?", fragte Gloria interessiert und gab sich Mühe, keinen Zorn in ihrer Stimme zuzulassen.
„Nun, es gibt einige Personen, die die Machtbestrebungen Ihrer Familie in der Vergangenheit als sehr Besorgnis erregend ansehen", erklärte Fairbanks ruhig.
„Ich habe mich frühzeitig gegen den Dunklen Lord und einen großen Teil meiner Familie gestellt!", entgegnete Gloria. „Da kann man mir wohl schlecht Machtgier unterstellen."
„Aber – und das ist die Argumentation einiger Ihrer Gegner – es hat Ihnen auch das gesamte Familienerbe eingebracht, weil ja alle anderen mit Anspruch starben oder in Askaban landeten. Viele denken, Sie haben einfach nur aufs richtige Pferd gesetzt."
„Und ich denke, Malfoy trauert noch immer seinem Herrn und Meister nach!", fauchte Gloria feindselig und ein wenig unbeherrscht. Lucius Malfoy war seit ihrer Schulzeit ein rotes Tuch für sie.
„Diese Meinung sollten Sie hier nicht so laut kundtun", kommentierte Fairbanks ernst und mit dem Zeigefinger vor den Lippen. „Es hat mich schon genug Mühe gekostet, Ihnen hier eine Anstellung zu verschaffen, da sollten Sie sich mit solchen Kommentaren über einen der wohltätigsten Männer des Landes zurückhalten. Ignorieren Sie das einfach und ich garantiere, in spätestens zehn Jahren sind Sie in einer Position, in der man Sie nicht so leicht angreifen kann, wie im Moment."
„Ich werde mich beherrschen", stimmte Gloria betont ruhig zu.
„Desweiteren sollten Sie Ihre private Meinung zu Muggeln und Abstammungen für sich behalten, solange Sie hier in der Abteilung sind."
„Ich lasse niemals meine private Meinung Einfluss auf meine Arbeit nehmen."
„Deswegen werden Sie auch meine Junior-Assistentin sein."
Janos Fairbanks nickte ihr anerkennend zu und reichte ihr dann die Hand über den Schreibtisch. Gloria schüttelte sie und freute sich über den festen und trockenen Druck ihres Gegenübers.
„Willkommen im Team. Ich werde gleich jemanden vorbeischicken, der diese Aktenberge hier abholt. Um 15 Uhr ist dann Ihre erste Amtshandlung, die Teilnahme am wöchentlichen Treffen mit unser aller Chefin, Mrs Bones. Da werden wir auch unsere aktuellen Fälle und die Einteilung dazu erhalten. Bis dahin können Sie hier ein wenig aufräumen."
Damit verließ Fairbanks Glorias Büro.
Ein wenig verwirrt über diese überwältigende Offenheit blieb sie zurück. Die unverblümten Warnungen und Verhaltensregeln ärgerten sie gewaltig. Auch wenn sie einen großen Schritt nach vorn gemacht hatte, mochte sie es überhaupt nicht, wenn man ihr diesbezüglich Vorschriften machte.
Und jetzt musste sie auch noch zu einer wichtigen Besprechung gehen und war völlig unpassend gekleidet. Für einen langweiligen Bürotag mochte ihr Verzweiflungsensemble noch gehen, aber auf einer Besprechung mit der großen Chefin und den ganzen Unterabteilungsleitern war es definitiv daneben. Gloria spürte, wie Zorn in ihr aufstieg. Den ersten Eindruck würde sie so nicht dominieren. Sie war kurz versucht nach Hause zu apparieren, doch das wäre ein noch größeres Zeichen von Schwäche gewesen. Jedem würde auffallen, wenn sie ihre Kleidung jetzt änderte und dies würde von einer geringen Arbeitsauffassung zeugen.
Wenig später räumte ein junger Kerl, gerade aus Hogwarts gekommen, die nun überflüssigen Akten aus ihrem Büro. Ein Anblick, der nicht dazu beitrug, sie milder zu stimmen. Sie selbst war nach ihrer Schulzeit als ungeeignet abgelehnt worden und hatte sich nur über Privatstunden zur Anwältin ausbilden lassen können. Das hatte einen großen Teil der kärglichen Reste ihres Familienvermögens gekostet. Die Unmengen an privaten und kostenlosen Beratungsstunden nicht mit eingerechnet!
Zum nunmehr vierten Mal am Tag klopfte es an ihre Tür, doch diesmal wurde diese geöffnet, bevor Gloria – Herein! – sagen konnte. Das war bei einem Anwalt ungemein unhöflich. Schließlich war es durchaus möglich, dass sie eben einen Klienten beriet.
Als sie ihren neuen Besucher erkannte, drängte sie jedoch ihre aufsteigende Verärgerung wieder zurück.
„Mr Leraux", sagte sie, als wäre sie sehr erfreut. „Es freut mich, dass Sie die Zeit hatten, meiner Einladung nachzukommen."
„Einladung ist wohl das falsche Wort", begrüßte sie Leraux feindselig. „Erpressung trifft es wohl schon eher."
„Na", entgegnete sie und fühlte sich wieder etwas besser. „Das wollen wir doch etwas privater klären."
Sie legte die Hand auf den grünen Kristall, der ihren Schreibtisch zierte. Das Schloss der Tür rastete gut hörbar ein und eine milchig-weiße Kugel hüllte Gloria und ihren Besucher ein.
„Das ist doch schon besser, oder?", fragte Gloria und lächelte bösartig.
„Völlig unnötig!", zischte ihr Gegenüber. „Ich bin nur hier, um Sie davor zu warnen, solche Unterstellungen öffentlich zu machen."
„Ich habe nicht vor, sie öffentlich zu machen", erklärte Gloria ironisch. „Eine nichtöffentliche Gerichtsverhandlung wäre mir auch recht."
„Das wagen Sie nicht!"
„Was gibt es zu wagen? Ich habe die Fotos, von denen Sie ja ein paar Abzüge haben. Oh – ich weiß, Sie werden wahrscheinlich nicht für eine Gefängnisstrafe ausreichen, aber für den Tagesproheten würde es reichen. Ich bin mir sicher, Sie werden mögen, was da zu lesen stehen wird."
Für einen Moment glaubte Gloria, Leraux würde sie jetzt angreifen – sie hatte dagegen ein paar Vorsichtsmaßnahmen ergriffen – doch er riss sich zusammen.
„Was wollen Sie?", fragte er und ließ damit zumindest ein Zeichen von Intelligenz erkennen.
„Sie haben etwas, was ich möchte, Mr Leraux!", erklärte Gloria kalt. „Vollkommen legal zwar, aber Sie würden es mir nicht geben. Nicht einmal eine Abschrift."
„Ich wiederhole! Was wollen Sie!?"
„Die Anleitung zum Zusammensetzen der Stillen Klinge! Sie haben Lucius Malfoy eine Abschrift geschenkt. Ich möchte das Original!"
„Niemals!"
„Sie haben noch mehr Dreck am Stecken, Mr Leraux. Ich sehe bisher keinen Nutzen für mich, Sie zu zerstören, aber ich scheue das Risiko nicht. Zum Beispiel kann ich dafür sorgen, dass eine Hausdurchsuchung bei Ihnen durchgeführt wird, bevor Sie diesen Raum verlassen haben."
„Das können Sie nicht! Dazu haben Sie nicht die Macht", grinste er und fühlte sich wahrscheinlich sehr schlau, weil er glaubte, Glorias Bluff durchschaut zu haben. „Sie sind hier nur ein kleines Licht."
„Ich habe eine Blankovollmacht", lächelte Gloria und hielt das Papier empor. „Man muss nur den Namen des Verdächtigen eintragen und schon flattert sie einem Auror ins Büro. Hat übrigens einen Dringlichkeitsstempel."
„Die ist nicht echt!"
„Schauen wir doch einfach."
Gloria legte das Papier auf den Tisch, nahm sich eine Feder und begann langsam Lerauxs Namen einzutragen. Die Kanten der Vollmacht begannen aufgeregt zu flattern.
Leraux zog ihr die Feder aus der Hand, bevor sie auch nur das a gezeichnet hatte.
„Was springt für mich dabei heraus?", fragte er.
Ihre Freiheit, wollte Gloria ihm zunächst antworten, doch dann kam ihr ein Gedanke. Es gab da einige Gerüchte und geheime Verfügungen gegen die Lerauxs.
„Ich habe eine Hauselfe zu viel in meinem Haushalt", entgegnete sie langsam und wachsam. Sie sah ein interessiertes Glänzen in seinen Augen. „Ich wäre bereit zu tauschen!"
„Das Original ist mehr wert als eine Hauselfe", lehnte Leraux ab, doch seine Stimme war deutlich ruhiger als zuvor.
„Natürlich wären auch die Originale der Fotos im Preis mit inbegriffen", präzisierte Gloria.
„Und alle Abzüge?", forderte er.
„Und alle Abzüge!", bestätigte Gloria.
Das fiel ihr nicht schwer, denn sie wusste noch über viel schlimmeren Dreck Bescheid. Dies war eine der wenigen angenehmen Nebenwirkungen der kostenlosen Rechtsberatung, denn da war sie auch nicht an den Verschwiegenheitseid gebunden gewesen. Bisher hatte sie aber – bis auf eine Ausnahme – dieses Wissen nur gesammelt, statt es zu benutzen.
„Dürfte ich um das Original bitten?", forderte sie Leraux auf, als dieser einen Moment zu lange still blieb. „Ich bin mir sicher, Sie haben es bei sich."
Das hatte Gloria ihm in ihrem Einladungsbrief geraten.
Sehr widerwillig schaute er ihr in die Augen, dann holte er mit einer langsamen Bewegung eine Schriftrolle unter seinem Umhang hervor. Gloria nahm sie entgegen und ließ sie dann mit ihrem Zauberstab in Rauch aufgehen.
„Das Original", sagte sie und ließ Leraux mit ihrer Haltung wissen, was sie von dem plumpen Versuch hielt.
Leraux schien das nicht im Geringsten peinlich zu sein.
„Ein Versehen", erklärte er, ohne es ernst zu meinen.
Dann bekam Gloria die richtige Schriftrolle ausgehändigt. Sie erkannte das an dem speziellen Siegel, von dem sie schon Bilder studiert hatte.
„Ich schicke Ihnen heute Abend die Elfe zusammen mit den Bildern", versprach sie zufrieden.
„Das erwarte ich auch."
Gloria würdigte den letzten Kommentar keiner Antwort. Sie berührte den Kristall erneut und wies wortlos auf die nun entriegelte Tür.
Um ehrlich zu sein, Zauberer wie Leraux erregten Brechreiz in ihr. Was nutzte es reich und reinblütig zu sein, wenn man mit seiner Dummheit ständig jedes Muggelblut in seinen Ansichten bestätigte. Gloria war es leid, dass ihre eigene Abstammung von denen in den Dreck gezogen wurde. Die dachten doch nur, ihr Name würde sie zu etwas besseren machen und müssten nichts dafür tun.
Sie vernichtete angewidert die schlechte Fälschung des Durchsuchungsbefehls. Das war traurig einfach gewesen. Was für ein Versager.
Wenigstens fühlte sich Gloria nun etwas besser. Zwei Probleme auf einmal gelöst. Jetzt musste sie nur noch ihre Finger wieder sauber bekommen, die Leraux eingesaut hatte, als er ihr die Feder aus der Hand zog. Gloria beschloss Wasser zu benutzen, da sie in Sachen Reinigungszauber ein wenig in der Schule geschlampt hatte.
Leider kam sie nicht bis zur Toilette.
Ein weiteres Problem holte sie ein, noch bevor sie ihr eigenes Büro verlassen konnte. Gloria hätte beinahe die Augen verdreht.
Die beiden Frauen, die vor ihrer Tür gewartet hatten, schauten sie erwartungsvoll an. Eine von ihnen kannte Gloria vom Sehen, obwohl es schon einige Jahre her war, dass sie sich begegnet waren.
„Sie haben meinen Brief erhalten?", fragte die unbekannte der beiden Frauen.
„Bitte treten Sie doch ein", entgegnete Gloria geschäftsmäßig. „Nehmen Sie Platz. Ich bin gleich zurück."
Sie selbst ging schnell zur Toilette. Dort wusch sie sich die Hände und fluchte in Gedanken, während sie ihr Gesicht im Spiegel betrachtet. Sorgsam zog sie ihren Lippenstift nach.
Warum zum Teufel waren die hierher gekommen? Sie hatten Gloria geschrieben, dass sie sich treffen mussten, aber gerade hierher zu kommen, zeigte entweder einen hohen Mangel an Urteilsvermögen oder an Verzweiflung. Beides machte Gloria Sorgen.
Noch einmal betrachtete sie sorgfältig die sanften Linien ihres Gesichtes, bewunderte die Faltenlosigkeit ihrer Haut, die durch intensive Pflege wie die eines Teenagers wirkte, und ging dann zurück in ihr Büro. Es würde viele Fragen geben, warum sie den Kristall heute so oft einsetzte, aber dies ließ sich leider nicht vermeiden. Ihr würde schon eine gute Ausrede einfallen.
Düstere Schritte hallten durch die dunkle Marmorhalle. Nur der Mond sorgte für ein wenig fahles Licht. Gloria blieb stehen und lauschte dem harten Nachhall.
Sie stand vor zwei Sesseln, deren Rückenlehnen ihr zugewandt waren.
Um ein wenig ihre Nervosität zu überspielen, konzentrierte sich Gloria darauf, ein paar verwirrte Strähnen ihrer hüftlangen blonden Haare auf den Rücken zu legen. Danach verschränkte sie ihre Hände in den Ärmeln des Umhangs und umfasste fest ihren Zauberstab.
„Mister Banefactor?", fragte Gloria unsicher. Ihre Stimme klang unheimlich hohl in dem riesigen Raum. Erst als es wieder absolut still war, kam eine leise Antwort aus dem Sessel zur Linken.
„Du willst dich beschweren, meine Liebe?"
„Natürlich nicht, Sir", versicherte sie sofort, einen Schritt zurückweichend. „Wir sind nur – besorgt."
„Besorgnis ist etwas, was ich verstehen kann, und ein Gefühl, das ich auch teile. Komm, setz dich. Wir müssen reden."
Gloria trat um den rechten Sessel außen herum und ließ sich vorsichtig nieder. Voll Entsetzen mied sie es, in den anderen Stuhl zu schauen. Doch selbst wenn sie es getan hätte, die Gestalt ihr gegenüber war fest eingehüllt in einen weiten Kapuzenmantel. Der Mond schien durch die Fenster im Rücken des Mannes und hüllte so dessen Gesicht in tiefe Schatten. Trotzdem schauderte Gloria. Sie glaubte zu wissen, was das Dunkel so freundlich vor ihr verbarg.
„Du bist also besorgt?", fragte die leise Stimme. Eine wunderschöne Stimme. Voller Melodie.
„Ja, Mister Banefactor. Ich und andere."
„Wegen dem Jungen, nicht wahr?"
„Und der Schwester", ergänzte sie.
„Ja, ja. Die Schwester. Du bist sehr interessiert an ihr."
„Sie sollten es auch sein", wagte sie ihn zu erinnern.
„Oh ja. Das bin ich, trotzdem bin ich auch der Ansicht, dass sie da, wo sie sich jetzt befindet, am nützlichsten ist."
„Aber nützt das uns allen?"
„Nun – du bist nicht die einzige Person, die Ansprüche hat, meine Liebe. Den Jungen zu fangen ist genauso wichtig. Und seine Schwester ist die Möglichkeit dazu."
„Ihr hattet ihn doch schon in Euren Händen. Wie konnte der Muggel Euch nur entkommen?"
„Oh", erklärte die sanfte Stimme nachsichtig. „Er ist nicht entkommen, ich habe ihn gehen lassen."
„Was?", entfuhr es der Frau entsetzt. „Warum?"
„Bist du dir sicher, dass du das wissen willst, meine Liebe?"
„Mein Leben ist an Sie gefesselt, Mr Banefactor. Wem, wenn nicht mir, könnt Ihr vertrauen?"
„Ja, wem? Und kann ich mir in dir wirklich sicher sein? Was ist es, was dich an mich bindet? Dein Herz? Nein! Es ist nur unsere Vergangenheit und unsere Zukunft, die uns bindet. Ich brauche mehr!"
„Was mehr?", fragte Gloria vor Erregung fast zitternd.
„Ich bin kein junger Mann mehr. Die Zeit ist unerbittlich und es gibt keinen Weg, dem zu entrinnen. Zumindest keinen Weg, der sich lohnen würde zu gehen. Ich weiß das! Aber es gibt einen besseren Weg weiter zu existieren – in seinen Kindern. Nur leider habe ich den richtigen Zeitpunkt dafür verpasst."
Ein trauriges Lachen erklang von der Gestalt. Wunderschön in der Stille.
„Deshalb frage ich dich – Gloria Kondagion – möchtest du die Trägerin meines Wissens werden? Meiner Macht und meines Vermächtnisses?"
Gloria Kondagion war geschockt von dem Angebot und dem, was es bedeutete.
„Was ist mit meinem Mann?", wollte sie wissen.
„Er wird es erfahren, wenn die Zeit reif ist. Solange ich noch lebe, ist dies eine Sache nur zwischen dir und mir. Es ist kein Platz für jemanden dazwischen. Du wirst meine Schülerin sein. Du wirst mir gehorchen, lernen und alles geheim halten. Und wenn ich sterbe, wirst du meine Stelle einnehmen und selbst entscheiden, mit wem du dein Wissen teilen möchtest."
„Ich bin mir nicht sicher", gestand Gloria besorgt.
„Nun, das solltest du dir aber sein, denn du weißt was passiert, wenn ich sterbe!"
„Ja, ich weiß. Es bereitet mir schlaflose Nächte."
„Dann folge mir", beschwor er sie. „Du hast das Talent und die Motivation, ich gebe dir das Wissen."
„So viel Verantwortung!", murmelte sie.
„So viel Macht!"
„So viele Gefahren!"
„So viele Möglichkeiten!"
Sie schwieg einige Minuten. Damit hatte sie nicht gerechnet, als sie hierher kam. Sie war die Einzige, die den Mut aufgebracht hatte Mr Banefactor zu besuchen, und jetzt bekam sie ein einmaliges Angebot, das niemals wiederholt werden würde – dessen war sie sich sicher.
„Ich nehme an", sagte sie langsam und leise. Die Möglichkeiten rasten in ihrem Kopf.
„Dann habe ich mich nicht in dir getäuscht. Das freut mich."
Die Stimme klang zufrieden und liebkoste ihre Ohren. So sanft, so liebevoll. Wie wunderschöne Musik.
„Und jetzt werde ich dir, meine Schülerin, erzählen, was es mit dem Jungen auf sich hat."
„Ist er etwas Besonderes?"
„Nicht wirklich. Er hat mir nur etwas gestohlen, was mir sehr wichtig ist. Und als ich ihn fing, hatte er es nicht bei sich. Er weigerte sich mir zu sagen, wo es ist."
„Ein ordentlicher Zaubertrank oder ein mächtiger Zauber sollte dieses Problem doch lösen können."
„Nicht bei diesem Jungen. Ein Eindringen in seine Gedanken ist sehr gefährlich, und der Einsatz von Veritaserum war recht unergiebig."
„Unergiebig?", fragte Gloria erstaunt. Das Serum war die stärkste und wirksamste Form der Wahrheitsfindung.
„Es ein Desaster zu nennen, verbietet mir eigentlich mein Stolz", antwortete er und sein Lachen klang nicht sonderlich belustigt.
„Dann ist er doch etwas Besonderes! Ich habe noch von keinem gehört, der dem Serum widerstehen konnte."
„Man kann nicht sagen, dass er widerstanden hat. Als er begriff was geschah, hat er einfach die Kontrolle aufgegeben."
Gloria war verwirrt.
„Inwieweit die Kontrolle aufgegeben? Wie soll das gegen das Serum helfen?"
„Nun – wenn der Geist das Gehirn nicht mehr kontrolliert, dann gibt es auch nichts, was die Gedanken in die richtige Richtung lenkt. Eine Frage läuft damit ins Leere oder bringt die seltsamsten Antworten."
„Und jetzt haben Sie den Jungen laufen lassen, in der Hoffnung, er würde Sie zu dem verschwundenen Gegenstand führen? Und seine Schwester ist die Versicherung…?"
„…falls ihn meine Mitarbeiter verlieren sollten. Was sie auch prompt haben."
Gloria war erstaunt über Mr Banefactors Offenheit. Er schien überhaupt keine Probleme damit zu haben, ihr seine Misserfolge mitzuteilen. Sie beschloss ähnlich offen zu sein.
„Ich finde es beunruhigend, dass Sie so viel mit Muggeln arbeiten. Sie sogar mit so wichtigen Dingen beauftragen", gestand sie.
„Auch du wirst lernen, Muggeln zu vertrauen. Du wirst viel mit ihnen zu tun bekommen. Mit ihrer Art zu leben, sich zu kleiden, und vor allem mit ihrer Bürokratie. Und wenn du das gelernt hast, wirst du feststellen, dass nur Muggel in der Lage sind, in der Muggelwelt etwas zu bewirken und dass sie erstaunliche Möglichkeiten haben. Vor allem, wenn es darum geht, jemanden zu finden, den wir nicht auf magische Weise aufspüren können."
„Warum können wir das eigentlich nicht?", fragte sie interessiert.
„Das zu erklären, würde etwas zu lange dauern, Gloria", sagte die vermummte Gestalt. „Vertrau mir in diesem Punkt einfach. Ein Zauber würde uns vollkommen in die Irre führen. Wenn ich recht informiert bin, genau nach Hogwarts und zu einem zweiten Ort."
„Wie aber finden wir ihn sonst?"
„Wir überhaupt nicht! Meine Muggeldiener werden. Ich verstehe auch nicht, was sie mit digitaler Fährte meinen, aber es funktioniert doch recht gut. Erst gestern haben sie ihn nur um wenige Minuten verpasst, und bis sie ihn wieder finden, ist es nur eine Frage der Zeit."
„Es könnte passieren, dass jemand anderes unruhig wird und zu suchen beginnt. Wir haben gemeinsame Bekannte, die nicht davor zurückschrecken würden, die Schwester zu entführen."
Jetzt lachte die Gestalt herzhaft.
„Nun, dann ist es wohl an der Zeit, dass auf unsere Bekannten etwas Einfluss in eine vernünftige Richtung ausgeübt wird. Jemand sollte darauf aufmerksam machen, dass unüberlegtes Handeln viel Schaden anrichten könnte."
„Ich kann mir denken, wen Sie meinen", lächelte nun auch Gloria. „Solange niemand von unserem Abkommen weiß, habt Ihr einen Agenten im Lager der besorgten Kunden."
„Mitarbeiter", flüsterte die Gestalt. „Nicht Kunden. Die harte Wahrheit ist, Gloria: Jeder der unsere Dienste in Anspruch nimmt, verkauft sein Leben an uns. Es ist nur die Kunst, sie es nicht merken zu lassen."
Zum wiederholten Mal schauderte Gloria. Es war ihr immer bewusst gewesen, wie abhängig sie von Banefactor war, doch erst jetzt begriff sie, wie sehr sie sich ihm ausgeliefert hatte.
„Ich bezweifle, dass es jemand wagt zum Ministerium zu gehen."
„Das wohl nicht, aber es gibt in jedem Land Zauberer, die unser Tun verurteilen und etwas unternehmen würden. Vielleicht würden sie auch die Gesetze extra wegen uns ändern. Ich für meinen Teil wäre sehr besorgt, wenn Dumbledore oder das Ministerium von unserem kleinen Unternehmen erfahren würde."
„Es gibt Leute, die Ihr Können mit dem Dumbledores gleichsetzen…"
„Was leider nicht der Fall ist", lachte ihr Gegenüber erstaunlich amüsiert. „Noch nicht. Aber selbst wenn – ich beabsichtige nicht, irgendwo in der Welt aufzufallen. Es sind immer die offensichtlich Mächtigen, die fallen. Ich bin kein Voldemort. Mir reicht es, im Hintergrund die Geschicke zu lenken."
„Ist das nicht etwas unbefriedigend?"
„Du hast noch viel zu lernen, Gloria. Es gibt nichts Schöneres als eine Intrige, für die ein anderer verdächtigt wird. Eine gute Intrige ist, wenn der Geschädigte sich nachher bei seinem Feind ausweint, ohne zu wissen, dass er gerade dem den Schaden verdankt. Offensichtlicher Ruhm mag berauschend sein, Respekt oder Angst schmeicheln dem Ego, doch Neid und Mut der anderen sind es, die dich recht bald zu Fall bringen. Was ist dir lieber? Zehn Jahre die absolute Macht oder hundert Jahre ein Reich, was nach deinem heimlichen Willen funktioniert?"
„Zweites!", gab sie sofort mit leisen Worten zu. Er hatte Recht. Ihr fiel auf Anhieb kein Tyrann der Neuzeit ein, der lange überlebt hatte.
„Warum suche ich dann aber einen Zauberstab der alten Legenden, wenn Ihr nicht nach persönlicher Macht strebt?", fragte Gloria Kondagion.
„Oh – ich behaupte nicht, dass ich nicht nach Macht strebe. Es ist schön sie zu haben, doch diese mit Bedacht einzusetzen ist die Kunst. Und ganz wichtig ist, es gibt immer einen Besseren, und wenn es nur für diese eine – verhängnisvolle – Sekunde ist."
Darauf konnte Gloria nicht antworten. Ihr persönlicher Lebensplan hatte bisher einiges Streben nach offener Anerkennung beinhaltet. Aber wenn das Ende Mr Banefactors wirklich nur noch ein paar Jahre in der Zukunft lag, konnte sie sich sicher ein wenig gedulden.
„Was soll ich jetzt den Mitarbeitern sagen?", fragte sie nach einer Weile.
„Du kannst unseren Mitarbeitern mitteilen, ich hätte versichert, alles unter Kontrolle zu haben. Sie sollen sich gedulden, nichts ohne meine Genehmigung unternehmen und sollte ihnen Schaden entstehen, werde ich sie entschädigen. Ich denke, das sollte ihnen reichen."
„Das wird es sicher", pflichtete Gloria Kondagion bei. „Brauchen Sie mich jetzt noch?"
„Nur noch eine kurze Frage – was machen deine Nachforschungen in Bezug auf den Zauberstab? Ich habe lange nichts mehr Neues davon gehört", sagte er.
„Nur noch weitere Geschichten, nichts Greifbares", gab sie zu.
„Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mir alle Aufzeichnungen bringen könntest. Wenn es geht im Original oder der ältesten verfügbaren Kopie", bat er nachsichtig.
„Ist da wirklich etwas dran?", fragte Gloria neugierig. „An diesen Geschichten?"
„Jede Legende hat irgendwo ihren Funken Wahrheit."
„Wenn das stimmt, dann ist es ein Spiel mit dem Feuer."
„Anders als du jetzt denkst, meine Liebe. Ganz anders, als du jetzt denkst."
„Verraten Sie es mir?"
„Noch nicht. Wie schon gesagt, es sind nur Legenden. Wenn wir den Gegenstand in der Hand halten, dann kann ich sehen, ob ich ihn so nutzen kann, wie ich es mir für uns erhoffe. Aber vielleicht ist es auch wirklich nur ein Märchen, das man Kindern zum Einschlafen erzählt. Dann haken wir die Sache ab und hoffen auf ein anderes Projekt."
„Ein anderes Projekt?", entfuhr es Gloria erstaunt.
„Natürlich. Ich habe vielen geholfen und jeder von ihnen hilft nun mir, entweder mit Geld, mit Einfluss oder mit der Suche nach bestimmten Dingen. Man muss schon vielen Legenden nachjagen, damit sich eine als Treffer erweist."
„Ich habe den Umfang Eurer Aktivitäten unterschätzt", sagte Gloria beeindruckt.
„Das war meine Absicht, aber die Täuschung gilt jetzt nicht mehr für dich. In zwei Tagen wirst du wieder hierher kommen und dann werde ich dich in die Geheimnisse einer uralten Macht einführen. Du darfst jetzt gehen."
Sie erhob sich und verbeugte sich ehrfurchtsvoll.
„Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Tag, Mr Banefactor", verabschiedete sie sich.
„Du solltest mich Meister nennen, schließlich haben wir…", ein heller gleißender Strahl traf sie unvermittelt in die Brust, „…ab jetzt einen Vertrag und eine Bindung auf Lebenszeit."
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