- Kapitel 12 -

Ein Traum geht in Erfüllung

Es war noch früh am Abend und das Fest hatte gerade erst begonnen, als Toireasa, Vivian und Regina sich heimlich in den Verbotenen Wald schlichen. Sie waren alle drei recht nervös und zuckten bei jedem Knacken zusammen. Der Mond war nur eine schmale Sichel am Himmel und spendete kaum Licht. Genau wie die Lampe, die Vivian trug und mit der sie Toireasa ab und zu leuchtete, damit sie sich nicht verloren.

Toireasa hatte einen magieresistenten Kompass und eine topographische Karte bei sich, mit deren Hilfe sie ihre Laufrichtung bestimmte.

Auf der Karte glaubte sie das Winterquartier der Einhörner gefunden zu haben. Es war das einzige Tal in der Nähe, auf das Professor Kesselbrands Beschreibung passte und das zu Fuß erreichbar war. Sie konnten nur hoffen, dass es das richtige war und Einhörner dort schon ihr Winterquartier bezogen hatten.

„Sind wir bald da?", fragte Regina zum wiederholten Mal. Sie fühlte sich offensichtlich ganz besonders unwohl im Wald. Zu verdenken war es ihr nicht.

„Kann nicht mehr lange dauern", versicherte Toireasa, nicht zum ersten Mal. Es war ihr recht ungewohnt mit anzusehen, wie Regina sich widerspruchslos leiten ließ. Normalerweise gab das Mädchen immer den Ton an. Und wenn nicht sie, dann doch Vivian. Diese schien zwar deutlich gefasster zu sein, doch so schweigsam war sie sonst auch nicht.

Und so führte Toireasa die kleine Gruppe an.

Ziemlich genau da, wo es die Karte versprach, fanden sie dann auch einen ansteigenden Grat, der zum Tal der Einhörner führen sollte. Vorsichtig kletterten sie hinauf und spähten hinunter.

Es war für Toireasa ein unglaublicher Anblick, der sich ihnen dort bot. Mindestens drei Dutzend Einhörner grasten windgeschützt in dem Tal unter ihnen. Ausgewachsene weiße, jugendliche silberne und kleine goldene Fohlen. Allesamt ein wunderschöner Anblick.

„Ich nehm das am südlichen Rand", flüsterte Toireasa leise den anderen zu und deutete auf ein abseits stehendes Männchen.

„Warum gerade das?", erkundigte sich Regina mit zittriger Stimme. „Außenseiter sind meist aggressiv."

„Das ist doch kein Außenseiter", erklärte Toireasa. „Das ist der Wächter! Schau nur. Es steht genau auf der windabgewandten Seite, da, von wo die meiste Gefahr droht. Außerdem grast es nicht."

„Solltest du dann nicht gerade ein anderes nehmen?", fragte Vivian erneut.

„Auf keinen Fall!", sagte Toireasa entschieden. „Sie haben Junge zu beschützen und noch ein paar wilde Halbwüchsige, da geh ich ganz sicher nicht in die Nähe, solange sie mich nicht besser kennen!"

„Na, wenn du es sagst…", zweifelte Regina.

„Ist schon okay. Vertrau mir!", beruhigte Toireasa. „Glaubt ihr, ihr könnt eure Zauber für den Notfall von hier aus einsetzen?"

„Ich sicher."

„Ich auch."

„Gut, verhaltet euch einfach still hier oben und erst den Nies-Fluch von dir, Vivian, und danach Reginas Kitzel-Fluch. Wenn was schief geht, wird nur der Wächter auf mich losgehen, während die anderen weglaufen. Sobald eure Flüche getroffen haben, lauft ihr weg. Das Einhorn wird abgelenkt sein und glauben, dass ich es angegriffen habe. Es wird euch deshalb nichts tun, auch wenn es euch über den Weg läuft. Wenn ihr auf Nummer sicher gehen wollt, dann klettert auf einen Baum. Aber bis dahin hoffen wir einfach, dass nichts schief geht. Alles klar?"

„Ja schon, aber willst du nicht doch noch mal darüber nachdenken?", zweifelte Regina noch immer.

Toireasa zwinkerte ihr ermutigend zu.

„Heh – wir haben doch keine Angst. Wir sind Slytherins, oder?"

Für einen Moment sah sie etwas Seltsames in Reginas Augen, doch der Eindruck schwand schnell wieder.

Toireasa machte sich auf den Weg. Vorsichtig schlug sie einen großen Bogen und näherte sich so aus einer anderen Richtung dem von ihr ausgewählten Einhorn. Sie tat dies nicht heimlich, sondern ging offen und langsam den Hügel hinunter ins Tal. Das Wache haltende Einhorn bemerkte sie fast umgehend und wandte seinen Kopf gesenkt in ihre Richtung. So selbstbewusst, wie angesichts des stoßbereiten Horns möglich, ging sie weiter auf das Einhorn zu – die Hände frei zur Seite gestreckt.

Einhörner mögen Mädchen, überzeugte sie sich dabei immer wieder selbst. Zehn Schritte vor der Hornspitze blieb sie stehen und wartete. Auf der einen Seite zitterte sie angesichts der Gefahr, auf der anderen Seite bewunderte sie die Schönheit und Reinheit dieses Wesens. Wie unglaublich erhebend musste es sein, auf einem solchen Tier zu reiten!

Langsam kam das Einhorn näher, während sich die restliche Herde etwas entfernte. Doch auch wenn Toireasa sich die Fohlen am liebsten aus der Nähe angesehen hätte, so wusste sie doch, dass dies ein Fehler gewesen wäre. Fest sah sie in die Augen ihres Einhorns, bis die Spitze des Horns fast ihre Brust berührte, dann senkte sie demütig den Blick und starrte auf ihre Stiefelspitzen. Wenn die Bücher die Wahrheit enthielten, gab es jetzt nur zwei Möglichkeiten – entweder das Einhorn galoppierte davon oder… es kam näher und beschnupperte sein Gegenüber.

Toireasa unterdrückte ein Kichern, als der Atem des Einhorns ihren Nacken kitzelte. Ganz langsam hob sie ihren Arm und streichelte den Hals des Tieres. Ein wohliges Schnauben kam zur Antwort und ein Kopf schob sich über ihre Schulter. Sie verstand dies als Aufforderung weiterzumachen. Dabei flüsterte Toireasa dem Einhorn mit leiser Stimme zu, wie schön es sei und wie weich sein Fell. Sie hätte Stunden so stehen können, doch dafür fehlte leider die Zeit. Trotzdem nahm sie sich mindestens eine halbe Stunde, um das Einhorn zu streicheln. Sie entfernte einige Kletten aus der langen wallenden Mähne und tat im Allgemeinen alles, was Einhörner laut Büchern mochten. Dazu hatte sie einen Striegel aus dem Werkzeugschuppen des Wildhüters geklaut. Ein schneller Blick zeigte ihr, dass die Herde inzwischen wieder angefangen hatte zu grasen. Das war ein sehr gutes Zeichen. Langsam näherten sich ihre Hände dem Schweif des Einhorns. Ab hier musste sie sehr vorsichtig sein.

Zunächst galt es einen bestimmten Punkt am Rückgrat des Tieres zu finden und zwar genau zwischen dem vorletzten und dem drittletzten Wirbel. Wenn man es richtig machte und auch noch im richtigen Augenblick etwas stärker drückte, dann konnte man in diesem Moment dem Einhorn ein Haar aus dem Schweif reißen, ohne dass dieses es spürte. Das Problem war nur, Toireasa fehlte es deutlich an Körpergröße, um das so einfach machen zu können, wie es in der Beschreibung geklungen hatte. Auf Zehenspitzen, den Kopf auf die hintere Flanke des Einhorns gelegt, tastete sie nach der richtigen Stelle. Wenn sie diese nicht traf, dann würde das ein recht kurzer Ausflug.

Sie vergaß auch nicht, dabei immer weiter zu striegeln. Einhörner mochten zwar keine Pferde sein, aber auch sie liebten das. Nur reiten ließen sie sich nicht oder nur in Legenden. Nach fünf, für ihre Zehen sehr anstrengenden Minuten fand sie endlich die Stelle, die sie suchte. Sorgsam rieb Toireasa diese Stelle und ergriff mit der anderen Hand ein einzelnes Schweifhaar. Dann drückte sie den Punkt auf dem Rückgrat und zog gleichzeitig und ruckartig das Haar aus.

Als Belohnung hielt sie einen silbernen, seidigen Faden in der Hand. Bewegungslos hielt sie den Atem an. Das Einhorn hatte nicht gezuckt. Trotzdem wartete Toireasa bis sie ganz sicher war, und striegelte noch ein wenig, bevor sie sich auch noch der Haare zwei, drei und vier bemächtigte. Inzwischen waren ihre Hände vor Kälte steif gefroren. Aber sie brauchte ja nur noch ein Haar und hatte eine gewisse Routine entwickelt.

Wieder brachte sie ihre Hände in Position – nur noch ein Ruck, einen kleinen Moment – sie hörte ein Knistern, das Einhorn nieste und scheute nach vorn.

Für einen panischen Augenblick starrte Toireasa auf ihre Hand, welche nicht mehr auf dem Rückgrat des Einhorns lag, und dann auf das einzelne Haar in ihrer Hand.

Fast widerwillig drehte sie sich langsam um, fast als würde sie glauben, das Unglück wäre erst dann wahr, wenn sie es auch sah.

Und was sie sah, war ein stink wütendes und herzhaft niesendes Einhorn. Es brauchte noch einige Sekunden, bis sie wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Der Nies-Fluch würde nicht ewig halten.

Sie rannte los und den Berg hinauf.

„Den Kitzel-Fluch Regina!", rief sie dem Mädchen zu. Der Zauber hatte eine viel bessere Chance zu treffen, solange das Einhorn relativ still hielt.

Aber kein weiterer Fluch kam den Hügel herunter. Hinter Toireasa verstummte das Niesen und wurde durch lautes Hufgetrappel ersetzt. In Panik floh sie den steilsten Weg nach oben, was das normalerweise deutlich schnellere Tier mehr verlangsamte, als sie selbst.

Keuchend erreichte sie den Grat und drehte sich kurz um. Das Einhorn war nur wenige Meter hinter ihr.

Nodo!", rief Toireasa und zielte mit ihrem Zauberstab auf zwei biegsame Äste. Sie traf, direkt vor dem Einhorn verknoteten sich die Zweige und hielten es so kurz auf.

Nodo!", rief sie noch dreimal und verknotete weitere Zweige, diesmal um und zwischen die Beine des Tieres.

Dann rannte sie weiter, wohl wissend, dass die schwachen Zweige wohl kaum lange standhalten würden. Wo verdammt noch mal waren nur Regina und Vivian? Alle drei Flüche zusammen hätten das Einhorn lange genug festhalten können.

So rannte sie einfach.

Die kalte Luft stach in ihren Lungen. Sie war noch nicht weit genug weg, als sie erneut das Einhorn hörte. Es war im gestreckten Galopp hinter ihr her.

Toireasa konnte nicht einschätzen, wie groß ihr Vorsprung war und sie wusste auch nicht, wie weit sie schon gelaufen war, aber mit jedem Meter hoffte sie die Lichter Hogwarts erkennen zu können. Und wie sie so angestrengt in die Nacht schaute, sah sie sogar ein Licht. Ein Licht, was sich bewegte. Es waren Vivian und Regina, welche gerade keuchend pausierten.

„Versteckt euch und zaubert!", rief Toireasa ihnen zu und lief in einiger Entfernung an ihnen vorbei.

Beide taten, wie ihnen geheißen. Toireasa lief noch ein Stück weiter und stützte sich dann ausgepumpt an einen Baum. Krampfhaft hielt sie ihren Zauberstab fest und schaute dem heranpreschenden Einhorn entgegen. Gerade als es an Vivian und Regina vorbei galoppierte, rief Toireasa laut: „Jetzt!" und gleich danach: „Nodo!"

Zwei Zweige verknoteten sich erneut vor dem Einhorn, das jedoch locker darüber hinweg sprang.

„Zaubert!", schrie Toireasa in Panik, doch keine weiteren Zauber versuchten das Einhorn zu bremsen. Toireasa rannte wieder los, wohl wissend, wie sinnlos das jetzt war.

Verzweifelt suchten ihre Blicke tief hängende Äste, doch der Verbotene Wald bestand hauptsächlich aus Nadelbäumen und auf diese konnte man selten gut klettern.

Und die unteren Äste der einzeln stehenden Eiche vor ihr, hingen einfach zu hoch, als dass sie diese erreichen konnte.

Sie wollte sich schon in eine Gruppe eng zusammenstehender junger Tannen schlagen, als unter der Eiche eine Stimme ertönte.

„Hierher!", rief ein Junge laut und trat hinter dem Stamm der Eiche hervor. Toireasa traute ihren Augen nicht.

„Tarsuinn?", murmelte sie erstaunt.

„Nun mach schon!", schrie er, als sie zögerte.

Toireasa war inzwischen so verzweifelt, dass sie jede Hilfe annahm. Sie sah, wie er mit einem Bein in die Knie ging und seine Hände wie bei einer Räuberleiter ineinander verschränkte. Sie begriff, was er von ihr erwartete, doch um den untersten Ast zu erreichen, würde das kaum reichen. Es sei denn…?

Sie setzte ihren Fuß in seine Hände und wurde, wie befürchtet, nach oben geschleudert. Sein Schwung ließ sie einen Ast erreichen und in dem Versuch sich festzuhalten, ließ sie ihren Zauberstab fallen. Ihre Finger krallten sich mit der Kraft der Verzweiflung in die raue Rinde.

„Lauf weg!", rief sie dem Muggel zu, aber es war zu spät. Einen Augenblick lang war er noch unter ihr, dann fegte ihn ein weißer Blitz davon. Hilflos herumhängend musste Toireasa zusehen, wie der Junge vom Einhorn getroffen und dann hoch in die Luft geschleudert wurde. Er flog ein Stück und schlug aus mindestens drei Metern Höhe schwer auf.

Das Einhorn nahm erneut Anlauf.

Doch dann zögerte es. Das Einhorn warf den Kopf zurück und sie konnte im Mondlicht Blut auf seinem Horn glänzen sehen. Es schaute Toireasa kurz an, dann ging das Einhorn zu dem Jungen, schnüffelte und danach stupste es ihn immer wieder an, so, als wollte es ihn dazu bewegen aufzustehen. Aber es gab keine Reaktion. Plötzlich stieg das Einhorn mit den Vorderhufen auf, als wolle es ihn zertrampeln, doch kein Huf berührte den Jungen. Stattdessen warf es sich herum, rammte das Horn gegen die Eiche, zog es wieder aus der Rinde und schlug dann immer wieder mit dem Kopf gegen den Stamm des Baumes. Dabei stieß es einen heulenden Laut aus, so schrecklich, wie es kein Tier von sich geben sollte. Das Toben ließ nicht nach, aber es verlagerte sich allmählich, da das Einhorn Anlauf nahm und gegen einen anderen Baum krachte.

Toireasa schien vollkommen vergessen.

Deshalb ließ sie sich zu Boden fallen. Ihre Finger bluteten, doch sie achtete nicht darauf. Schnell lief sie zu dem liegenden Jungen.

„Tarsuinn!", rief sie besorgt und drehte ihn vorsichtig auf den Rücken. Er atmete noch und hatte sogar die Augen offen. Er presste seine Hände auf eine Wunde im Bauch, aus der viel Blut quoll.

„Endlich wieder beim Vornamen?", stöhnte er schmerzerfüllt und sein schmerzverzerrtes Gesicht versuchte wohl eine Art Lächeln zu formen.

„Das kriegen wir wieder hin!", versprach Toireasa und fragte sich, wem sie da was vormachte.

„Tikki", stöhnte er und versuchte sich umzuschauen.

Sie sah das kleine Tier wenige Meter entfernt am Boden liegen, kroch schnell hin und holte es heran. Auch Tikki atmete noch.

„Hat nur einen Huf abbekommen und ist ausgeknockt", behauptete Toireasa. „Ihr geht es besser als dir."

Sie zog ihren Umhang aus und legte ihn hastig zu einem Viereck zusammen.

„Den drückst du jetzt…", begann sie.

„Du wirst so eine Dummheit nicht machen, Toireasa!", befahl unversehens die Stimme Reginas.

„Was meinst du?", fluchte Toireasa.

„Lass ihn liegen", forderte sie. „Ich will nicht wegen ihm noch länger in diesem Wald bleiben. Er hätte ja nicht allein in den Verbotenen Wald gehen müssen. Niemand wird auf den Gedanken kommen, wir hätten was damit zu tun. Wer weiß, wann das Einhorn zurückkommt!"

Toireasa wollte nicht glauben, was sie da hörte. Doch sie war sich der zwei Zauberstäbe in den Händen der beiden Mädchen mehr als bewusst.

„Sind die mutig!", krächzte Tarsuinn abfällig und krümmte sich.

Toireasa stand zögerlich auf. In ihrem Kopf raste es. Was sie jetzt tat – egal was – würde ihr Leben extrem schwierig machen. Ließ sie den Jungen hier verbluten, würde sie sich das niemals verzeihen. Rettete sie ihn, dann würde ihr Leben in Slytherin zur Hölle werden.

„Ich hab irgendwo an der Eiche meinen Zauberstab verloren", entschloss sie sich mit kalter Stimme. Sie ging zu dem Baum und kürzte die Suche mit einem geflüsterten Lumos ab. Sie brachte zwar auf die Entfernung nur ein sanftes Glimmen zustande, doch das reichte. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie wie Vivian und Regina ihre Zauberstäbe unauffällig auf sie gerichtet hielten. Sie tat so, als hätte sie es nicht bemerkt, stand auf, steckte ihren Zauberstab weg und ging an Tarsuinn vorbei Richtung Schloss. Die beiden anderen Mädchen folgten ihr sofort. Sie gingen einige Meter, dann blieb Toireasa stehen und lauschte.

„Was war das?", sagte sie besorgt und schaute nach links.

„Was?", fragte Regina und fuhr erschrocken herum. Sie fürchtete sich im Dunklen jetzt mehr als zuvor.

Dieser Moment reichte Toireasa. Sie fuhr herum und riss der überraschten Vivian den Zauberstab aus der Hand. Gleichzeitig ging sie hinter dem Mädchen in Deckung. Nicht zu spät. Die ängstliche Regina fuhr herum und knallte ihren besten Fluch gegen Toireasa, der jedoch schlecht gezielt war und Vivian traf. Hässliche und sicherlich schmerzhafte Eiterbeulen bildeten sich auf deren Haut und platzen auf. Toireasa schubste die vor Schmerz aufheulende Vivian in Reginas Arme, dann stürzte sie selbst nach vorn, schlug mit einer ihr untypischen (weil direkten) Brutalität ins Gesicht des Mädchens und bemächtigte sich auch des zweiten Zauberstabes.

Schnell sprang sie auf, entfernte sich von den Mädchen und richtete ihren eigenen Zauberstab auf die beiden.

„Haut ab!", befahl sie.

„Das kannst du nicht…", stammelte Regina. „Du bist eine Slytherin! Das ist Verrat."

„Ihr habt mich zuerst verraten!", brach es aus Toireasa heraus. „Ihr habt nicht mal einen Versuch unternommen mir zu helfen. Und jetzt haut ab oder ich verknote euch hier so, dass die Werwölfe euch für nen Mitternachtssnacks halten!"

„Das wirst du…!", schrie Regina.

„Eins!", unterbrach Toireasa.

„…bereuen!"

„Zwei!"

Die Drei musste Toireasa nicht aussprechen. Regina wich vor Toireasas Wut und ihrem Zauberstab zurück. Sie versuchte auch nicht Vivian zu helfen, die wimmernd, und mit den Händen vor dem Gesicht, am Boden saß.

„Das gilt auch für dich, Vivian", sagte Toireasa mitleidlos. „Und du Regina, könntest wenigstens ihr helfen! Schließlich seid ihr doch Freundinnen!"

Sie spie das letzte Wort quasi aus. Eine Abscheu, welche die beiden Mädchen offensichtlich als recht bedrohlich empfanden, denn sie beeilten sich wegzulaufen.

Toireasa wartete noch ein paar Sekunden, bis sie sich sicher war nicht mehr überrascht werden zu können, dann rannte sie zu Tarsuinn zurück. Wieder legte sie ihren Umhang zusammen und drückte diesen in seine Hände.

„Press ihn auf die Wunde", befahl sie ihm.

Er wollte etwas sagen, doch es fehlte ihm inzwischen die Kraft. Nur ein schwaches Lächeln brachte er noch zustande. Einzig Tikkis Zustand hatte sich verbessert. Sie war jetzt wach und schien nur an einer Vorderpfote verletzt zu sein. Mutig hatte sie sich auf die Hinterläufe aufgerichtet und schwankte zwischen bedrohlichen und anfeuernden Lauten. So, als wüsste sie nicht, ob Toireasa Freund oder Feind wäre. Was ja auch irgendwie verständlich war.

Tarsuinn musste unbedingt zum Schloss, das war Toireasa schon klar gewesen, als sie seine Wunde gesehen hatte. Und sie war der Ansicht gewesen, dass sie es mit Vivians und Reginas Hilfe zusammen schaffen konnten. Doch jetzt, vollkommen allein, sah sie keine Möglichkeit mehr. Sie war zu schwach, um Tarsuinn zu tragen und er zu verletzt, um zu laufen.

„Wie bring ich dich hier nur weg?", flüsterte sie hilflos. „Wie zum Teufel soll ich dich allein hier wegbringen?"

Sie dachte verzweifelt an alle Möglichkeiten, an alle Zauber und verfiel am Ende auf eine eher muggeltypische Lösung. Sie besorgte sich zwei große Äste und verband mit ihrem Verknotungsfluch (der Zauber wurde immer universaler) viele Zweige zu einer festen Matte. Sie brachte diese Trage – oder besser Schleife – zu Tarsuinn.

„Damit bring ich dich nach Hogwarts", versprach sie ihm.

Er schüttelte nur traurig mit dem Kopf und sie wusste, dass er Recht hatte. Sie hatte sicher noch eine halbe Stunde Fußweg bis nach Hogwarts vor sich. Mit der Schleife würde es sicher zwei oder mehr Stunden dauern. Bis dahin war der Junge verblutet. Sie brauchte nur auf ihren von Blut durchweichten Umhang zu schauen, um das zu wissen.

„Toireasa!", sprach er sie kaum hörbar an.

„Sprich nicht!", forderte sie ihn auf. „Das macht es nur schlimmer."

Doch es störte ihn nicht.

„Frag doch mal das Pferdchen da", sagte er und deutete in eine Richtung.

Sie sah auf und sah das Einhorn, das sie aufgrund ihrer fieberhaften Arbeit nicht bemerkt hatte. Sein Horn war immer noch rot von Tarsuinns Blut und silbriges Einhornblut lief aus unzähligen Wunden am Kopf des Tieres. Die Augen blickten rot. Es sah wild – nein – es sah tollwütig aus und doch stand das Wesen völlig ruhig da.

Es konnte Toireasa jetzt umbringen, ohne dass sie viel dagegen tun konnte oder aber…

Sie stand auf.

„Bitte entschuldige, was ich getan habe!", sagte sie, ging ein paar Schritte auf das Tier zu und ließ sich dann auf die Knie nieder. Einhörner waren recht intelligent, wobei diese Situation deutlich den normalen Rahmen sprengte.

Das Einhorn kam langsam auf Toireasa zu, immer näher. Sie schloss vor Angst die Augen. Sie wollte nicht sehen, wenn der Tod kam. Der Augenblick verging jedoch, wurde länger, zu einigen Sekunden und dann ging das Einhorn an ihr vorbei. Überrascht schaute sie ihm nach und sah, wie das Tier Tarsuinn und Tikki beschnüffelte. Das war absolut ungewöhnlich. Einhörner mochten Jungen nicht. Nie und nimmer! Es sei denn, sie waren noch Fohlen.

Das Einhorn hob nun den Kopf, schnaubte laut und schaute zu Toireasa. Also, wenn das ein Pferd gemacht hätte, dann hätte Toireasa eine Vorstellung von dem, was sie tun sollte. Aber bei einem Einhorn war das einfach undenkbar.

Sie stand auf und ging zu dem Einhorn. Wieder dieses Schnauben und auch wenn sie die Möglichkeit für Wunschdenken hielt, so wollte sie es probieren.

„Tarsuinn!", flüsterte sie aufgeregt. „Ich glaub es will, dass du auf ihm reitest."

„Das schaff ich nicht allein", antwortete er, jetzt für jedes Wort einen Atemzug brauchend.

„Ich denke nicht, dass es mich mag, aber versuchen wir es."

Sie half ihm auf. Er stöhnte vor Schmerzen. Seine Hand tastete schwach nach dem Tier und erfühlte die Höhe des Rückens.

„Da komm ich nie rauf", sagte er.

Noch bevor Toireasa antworten konnte, legte sich das Einhorn auf die Seite. Das machte das Ganze machbar, obwohl immer noch schwierig. Breitbeinig stellten sie sich über das liegende Einhorn. Toireasa war eine recht gute Reiterin, aber mit einer zweiten, und dazu noch verletzten Person, hatte sie so etwas noch nie gemacht.

„Was ist mit Tikki?", fragte sie Tarsuinn.

„Sie will laufen, glaub ich", antwortete er.

Toireasa trat ganz dicht hinter ihn, umschlang ihn mit einem Arm und hielt die andere Hand bereit, um die Mähne zu ergreifen.

„Auf!", sagte sie leise. Nichts geschah.

„Bitte, hör auf sie", flüsterte Tarsuinn und jetzt erst erhob sich das Einhorn. Noch nie war Toireasa ein Pferd begegnet, das so geschmeidig und gleichmäßig mit zwei Reitern aufstehen konnte. Trotzdem kostete es all ihre Kraft und Geschicklichkeit, um ein Herunterfallen zu verhindern. Tarsuinn stöhnte erneut und beugte sich nach vorn. Toireasa hielt ihn und sich krampfhaft fest.

„Nach Hogwarts", sagte sie bittend und das Einhorn setzte sich sofort in Bewegung. Eigentlich hatte Toireasa gewollt, dass das Einhorn möglichst regelmäßig ging, doch stattdessen verfiel es umgehend in einen schnellen Trab. Was zu ihrem Erstaunen überhaupt kein Rütteln verursachte. Gleichmäßig, als würden die Hufe den Boden überhaupt nicht berühren, flogen sie mitten durch den dichtesten Wald. Das Einhorn vermied alle tief hängenden Äste und selbst Sprünge über umgestürzte Bäume waren kaum zu spüren.

Nach wenigen Minuten überholten sie Vivian und Regina, die sich vor Schreck in die Büsche warfen. Es wäre ein umwerfendes – ja berauschendes – Gefühl gewesen, auf einem Einhorn zu reiten, wenn nicht Tarsuinn vor ihr langsam verblutet wäre. Die Flanken des Einhorns waren blutrot von seinem ausfließenden Leben. In Toireasas Träumen war das immer ganz anders gewesen. Sie – die Prinzessin auf dem Einhorn – welche nie ein Ritter zu Pferde einzuholen vermochte.

Nun – diesen Traum hatte sie selbst pervertiert. An diesem Alptraum war sie selbst schuld!

Nach wenigen Minuten Ritt kamen sie überraschend neben Hagrids Hütte zum Halt.

„HAGRID!", rief sie den Wildhüter zu Hilfe.

Aber selbst nach mehrmaligem Wiederholen des Rufes tat sich nichts.

„Bring uns bitte ins Schloss!", bat sie das Einhorn, das sich jedoch zunächst weigerte.

„Bitte!", bettelte Toireasa weiter. „Wir schaffen es nicht, allein abzusteigen. Er ist ohnmächtig geworden und ich kann ihn kaum noch halten."

Zögerlich nur setzte sich das Einhorn gehend in Bewegung. Toireasa rief derweil weiter laut um Hilfe. Sie konnte keine Funken zaubern, da sie es weder wagen konnte Tarsuinn loszulassen, noch ihre andere Hand aus der Mähne zu lösen. So schrie sie sich heiser und erst im Schlosshof erregte sie endlich Aufmerksamkeit. Zuerst hörte sie Fang, den Hund des Wildhüters laut bellen, dann kam Hagrid hinterher gepoltert.

„Herr Professor! Fang hat was gefunden", rief der Mann dröhnend.

Wenig später standen sie im Schlosshof und Fang, sowie Hagrid, bremsten verblüfft ihren Lauf. Hinter ihnen erschien so nach und nach fast die gesamte Lehrerschaft. Allesamt noch vollständig bekleidet und mit gezückten Zauberstäben, als gelte es einen Drachen abzuwehren. Alle blieben sie wie angewurzelt neben Hagrid stehen. Toireasa konnte es ihnen kaum verübeln. Eines der überaus scheuen Einhörner, die nie mit Jungen zu tun haben wollten und nie jemanden auf sich reiten ließen, stand hier vor ihnen. Mit rotem und silbernem Blut überströmt und von zwei Schülern geritten. Das ging weit über alles Vorstellbare hinaus. Einzig Professor Dumbledore behielt seine Geistesgegenwart.

Tarsuinn wurde ihr von einem Zauber aus der Hand gehoben und glitt in Dumbledores Arme.

„Professor Snape, Professor Flitwick, bringen Sie bitte Miss Keary in die Krankenstation! Professor McGonagall, Sie suchen mit den anderen Lehrern weiter", sagte er hastig, dann flog er schon selbst mit Tarsuinn auf direktem Weg zum Krankenflügel. Zwei Fenster öffneten sich für ihn und schon war er verschwunden.

Toireasa kletterte von dem Einhorn. Ein letztes Mal stellte sie sich vor das Tier.

„Es tut mir wirklich leid, was geschehen ist", versicherte sie leise.

Das Einhorn gab jedoch nur ein böses Schnauben von sich, drehte um und galoppierte zum Tor hinaus zurück in den Wald. Toireasa fühlte sich beschämt. Mit gesenktem Kopf ging sie in Richtung Krankenflügel und bemerkte gar nicht, dass Professor Snape mit ihr sprach. Erst als er ihr schmerzhaft am Ohr zog, registrierte sie ihn und ganz nebenbei noch Flitwick.

„Was ist passiert?", forderte Professor Snape zu wissen.

Toireasa schaute ihn nur an, als wäre er weit entfernt. Er erschien ihr im Moment so was von unwichtig. Sie ging einfach weiter. Alles was sie wollte, war zu sehen, wie Tarsuinn geheilt wurde.

Diesmal wurde sie unsanft herumgerissen.

„Sie werden jetzt mit mir reden!", befahl Snape laut.

Doch auch das drang nicht zu ihr durch. Sie war über Gefühle, wie Furcht vor einem Lehrer, heut schon weit hinaus. Einzig die Sorge um Tarsuinn beschäftigte sie noch.

„Professor Dumbledore erwartet uns im Krankenflügel", sagte sie abwesend und versuchte, wie eine verzauberte Puppe, einfach weiterzugehen.

Professor Snape hielt sie noch immer zurück. Man konnte sicher nicht behaupten sie würde Professor Snape kraftvollen Widerstand leisten, aber trotzdem versuchte sie, sich ihm zu entwinden.

„Reißen Sie sich zusammen, Miss Davian", schüttelte Snape sie, als versuche er, sie aus einem Traum zu wecken.

„Ich bin doch ruhig", erwiderte sie emotionslos.

Snape war es nicht.

„Ich habe Sie etwas gefragt!", blaffte er.

„Professor Snape!", mischte sich Professor Flitwick ein. „Ich glaube, sie steht unter Schock. Lassen Sie ihr etwas Zeit sich zu erholen. Außerdem könnte man oben Ihrer Künste bedürfen."

Für einen Augenblick verlagerte sich Professor Snapes Zorn auf den kleinen Lehrer der Zauberkünste, doch dann fing er sich wieder.

„Ich schätze, Sie haben Recht, Professor! Gehen wir nach oben", lenkte er ein und ließ Toireasa los.

Sie setzte einfach ihren Weg fort, als hätte sie nicht eben ihren eigenen Hauslehrer gegen sich aufgebracht.

Im Krankenflügel angekommen, erlebte sie Madame Pomfrey zum ersten Mal in wirklich extremer Hektik. Tarsuinn lag auf einem Bett, das schon nicht mehr sonderlich weiß war. Über ihn gebeugt, versuchten die Krankenschwester und Professor Dumbledore alles, um die Blutung zu stillen und die Wunde zu versorgen. Mit nur mäßigem Erfolg, wie es aussah. Ohne etwas zu sagen, schlich sich Toireasa zu einem Stuhl an der Seite, so dass sie aus dem Weg war, und beobachtete unruhig die Bemühungen.

„Das übersteigt meine Fähigkeiten, Professor", gestand Madame Pomfrey eben ein.

„Ich hab einen Heiler schon gerufen, Poppy", sagte Professor Dumbledore. „Er müsste jetzt schon in Hogsmeade sein und mit dem Besen rauf kommen."

„Gut. Versuchen Sie diese Wunde zu verschließen", wies die Krankenschwester den Direktor an. Sie selbst murmelte Zauber um Zauber, legte eine Salbe auf die Wundränder.

„Das wirkt aber schlecht", hörte Toireasa die Frau murmeln. „Professor Snape, hätten Sie eventuell noch ganz frische Wundsalbe?"

Snape, der bisher sehr distanziert die Geschehnisse betrachtet hatte, trat ohne ein Wort in das brennende Feuer des Kamins und verschwand in einer Stichflamme, die sogar ein wenig in den Raum hinein leckte. Professor Flitwick stand derweil auf dem Fensterbrett eines großen, offenen Fensters und ein Lichtstrahl leuchtete von seinem Zauberstab hinaus in die Nacht.

Tarsuinn hustete schwach und zu Toireasas und Madame Pomfreys Entsetzen lief ihm ein dünner Blutfaden aus dem Mundwinkel.

„Wie kann das sein?", fragte die Schwester mehr zu sich selbst und schüttelte den Kopf. „Seine Lunge ist doch gar nicht betroffen!"

Mehr sagte sie nicht, denn Professor Snape erschien wieder, in der Hand einen kleinen Steinguttopf haltend, den er sofort Madame Pomfrey überreichte. Gleichzeitig – und das übersah Toireasa beinahe, weil es sehr verstohlen geschah – gab er aber auch Professor Dumbledore irgendetwas.

Gegen ihren Willen interessiert, beobachtete Toireasa nun eher Professor Dumbledore, als die Krankenschwester, welche eiligst die neue Salbe auftrug. Währenddessen reinigte Professor Dumbledore Tarsuinns Gesicht vom Blut. Das kam Toireasa zunächst sinnlos vor, bis sie sah, wie Tarsuinns Kehlkopf sich mehrmals hintereinander schluckend bewegte. Ihr Verdacht wurde bestätigt, als Professor Dumbledore seine Hände auf die Schultern des Jungen legte, denn dieser bäumte sich nur einen Augenblick später auf, als würde er sich verzweifelt gegen etwas wehren. Wenigstens schrie er diesmal nicht.

Hatten Professor Snape und Professor Dumbledore beschlossen Tarsuinns Leiden mit Gift zu verkürzen? Wenn ja, dann hatten sie nicht gerade eine schmerzfreie Variante gewählt. Und auch das Blut aus der Bauchwunde floss wieder stärker. Langsam fragte sich Toireasa, wie viel Blut überhaupt in einem Menschen war und wie viel er davon verlieren konnte, ohne zu sterben.

Die Minuten vergingen und Tarsuinn starb entgegen ihrer Befürchtungen nicht. Aber nach Madame Pomfreys Gesichtsausdruck zu urteilen, war das ein unglaubliches Wunder, das nicht ewig anhalten konnte.

„Da kommt wer", rief Flitwick plötzlich mit seiner dünnen Stimme. Hoffnung und Besorgnis waren ihm deutlich anzumerken.

Sekunden später schoss ein Mann auf einem Besen zum Fenster hinein, wobei Professor Flitwick es nur mit einem beherzten Sprung vom Fensterbrett schaffte, nicht über den Haufen geflogen zu werden.

Der Neuankömmling – recht groß, dünn und noch sehr jung – sprang von seinem Besen, riss eine große kastenförmige Tasche vom Transporthaken und eilte sofort zum Bett.

„Guten Abend", grüßte er hastig, dabei schon völlig auf Tarsuinn konzentriert. Ohne hinzusehen, stellte er seinen Koffer auf den kleinen Tisch neben dem Bett und nahm blind einige Dinge heraus.

„Was hat die Wunde verursacht?", fragte er in professionellem Ton.

Alle Lehrer schauten Toireasa an. Natürlich vermutete sie, was geschehen war, aber nur Toireasa wusste es genau.

„Ein Einhorn!", sagte sie deshalb fest.

Das brachte den Heiler dazu, überrascht sie anzusehen.

„Unfein", sagte er nach einem kurzen Augenblick und wandte sich wieder seinem Patienten zu. „Madame Pomfrey, ich werde Ihre Hilfe brauchen!"

„Keine Betäubungs- oder Schlafmittel, Heiler Cutter", sagte die Krankenschwester sofort.

„Wieso?", fragte er und senkte eine große Spritze.

„Allergie!", log Madame Pomfrey ungerührt nach einem kurzen Blick zum Direktor.

„Das wird höllisch wehtun!", gab der Heiler zu bedenken.

„Es muss sein", bestand sie.

„Na gut", murmelte Cutter und dann begann er mit Zauberformeln, seltsamen Geräten und den Händen in Tarsuinns Bauch zu arbeiten. Madame Pomfrey musste ihm alle Dinge reichen, die er brauchte und manchmal auch irgendwelche Adern zusammenhalten, während er andere zusammenfügte. Die Professoren waren etwas zurückgewichen und konnten, genau wie Toireasa, nur zuschauen. Sie spürte, wie die Blicke der drei Männer sie ab und zu streiften, aber sie ignorierte das und wandte ihren Blick nicht von Tarsuinn ab.

Eigentlich hätte sie da liegen müssen. War das Ironie oder Grausamkeit der Welt? Da zog sie los, um Tarsuinn und seinen Ravenclaw-Freunden etwas auf zehnfache Weise zurückzuzahlen, wurde von ihren Hauskameraden verraten und im Stich gelassen und dann rettete gerade er ihr das Leben, indem er das seine einsetzte. Warum hatte er das getan? Sie hatte ihn tyrannisiert, gedemütigt, seinem Ruf mit Gerüchten geschadet und ihn wie Dreck behandelt. Warum also? Sie selbst hätte ihn die Sache allein ausbaden lassen. Genau genommen hatte sie das sogar schon getan. Sie hatte ihn mehrere Stunden allein im Regen stehen lassen, statt ihm zu helfen. Es wäre ihr völlig egal gewesen, wenn er sich selbst durch eine Lungenentzündung umbrachte. Wäre Toireasa an seiner Stelle gewesen, sie hätte sich nicht in Gefahr gebracht. Vielleicht hätte sie ihm geholfen, nachdem alles vorbei gewesen wäre, aber sicher war sie sich dessen nicht.

Doch jetzt war alles anders. Er hatte ihr Leben gerettet. Davor gab es keine Ausrede. Ihr selbst gewählter Feind war ihr ein besserer Freund, als ihre Freundinnen, gewesen.

Und wenn sie schon dabei war alles in Frage zu stellen – wer hatte ihr eigentlich am meisten Probleme in Hogwarts bereitet? Sicher nicht die Ravenclaws. Wenn man von dem einen Angriff auf sie absah, hatten sie meist alle Gemeinheiten geschluckt und nicht reagiert. Toireasa hatte das für Feigheit gehalten. Jetzt fasste sie andere Möglichkeiten ins Auge. Toireasas Rachewunsch hatte sie eine Grenze überschreiten lassen, ohne richtig über die Konsequenzen nachzudenken. William hatte versucht sie davor zu warnen.

Angenommen, sie hätte Erfolg mit ihrem Plan gehabt oder würde ihn noch ausführen – was wäre dann mit den Ravenclaws passiert? Was hätte das für Konsequenzen für sie und Slytherin gehabt, wenn das herausgekommen wäre? Die Ravenclaws wären zu Recht extrem sauer gewesen und alle Lehrer sowieso. Es war einfach übertrieben. Kleine Flüche, Stinkbomben, Feuerwerkskörper, Farbfallen – all das war akzeptabel und gehörte zur Schule. Aber ernsthafte Angriffe auf die körperliche und geistige Gesundheit…? Wie war sie da nur hineingeraten? Wieso verdammt?!

„Ich schätze, mehr können wir nicht tun, aber es sollte reichen", seufzte der Heiler und trat, mit erschöpftem Gesichtsausdruck, von Tarsuinn zurück. „Ich hätte ihn lieber in St. Mungos, aber wir sollten von einem Transport absehen. Außerdem ist er bei Madame Pomfrey sicher in den besten Händen."

Der Heiler klang ein wenig entschuldigend. Seit einigen Minuten blinkte ein kleiner Spiegel an seinem Gürtel rot. Er schaute kurz hinein und dann auf.

„Ich müsste mich kurz waschen und gleich wieder los. Eine Hexe ist in Wales abgestürzt", sagte er.

„Natürlich, Heiler Cutter", beeilte sich Madame Pomfrey zu versichern. „Sie sollten doch noch wissen, wo der Waschraum ist, oder?"

„Ich war oft genug selbst hier Patient", bestätigte Cutter und setzte verschmitzt lächelnd hinzu: „Poppy!"

Dann beeilte er sich den Raum zu verlassen. Madame Pomfrey reinigte inzwischen Tarsuinn von dem ganzen Blut und zog danach die Decke über ihn.

Jetzt würde man sich um Toireasa kümmern. Es war besser, wenn sie dem zuvor kam. Sie stand auf und stellte sich vor Professor Dumbledore. Er schaute mit ernstem Gesicht auf sie herab und wartete.

„Ich werde mich darum kümmern, Direktor", mischte sich Professor Snape ein, noch bevor Toireasa ein Wort sagen konnte. „Ich werde die Sache klären und Sie informieren. Sie können inzwischen den anderen Lehrern…"

Seine Hand streckte sich nach Toireasa aus, doch sie wich davor zurück. Anscheinend wollte er Toireasa und Slytherin ein wenig aus der Schusslinie bugsieren. Aber sie wollte das nicht!

„Nein!", sagte Toireasa entschieden.

„Es war alles meine Schuld", bezichtigte sie sich selbst vor dem Direktor. „Wegen meiner Dummheit liegt er dort. Ich habe Regeln gebrochen und verdiene jede Bestrafung."

Sie glaubte ein unterdrücktes Würgen Professor Snapes zu hören, aber sie schaute nur Professor Dumbledore an.

„Wollen Sie uns nicht mehr erzählen, Miss Davian-Keary?"

Eigentlich wollte sie es nur Professor Dumbledore erzählen, doch leider hatte sie darüber nicht zu bestimmen.

„Das ist schnell berichtet", sagte sie und schluckte. Sie beschloss alles zu erzählen, was sie selbst betraf. „Ich wollte die Traumteilertränke herstellen, um den Ravenclaws etwas heimzuzahlen. Dazu brauchte ich fünf Schweifhaare eines Einhorns. Also schlich ich mich während des Festes davon und in den Verbotenen Wald. Ich fand die Einhörner. Beim Zupfen der Haare ging etwas schief und das Einhorn griff mich an. Ich schaffte es ein Stück wegzulaufen, aber das Einhorn holte mich ein. Dann plötzlich rief mich Tarsuinn und ich lief zu ihm. Er half mir auf den Baum hinauf, doch er selbst schaffte es nicht. Das Einhorn traf ihn, anstatt mich."

Als sie endete, war es eine Weile still. Toireasa schaute nur Professor Dumbledore an, der sehr enttäuscht auf sie herunter schaute.

„Warum wollten Sie den Ravenclaws etwas heimzahlen?", erkundigte sich Professor Snape und versuchte so, ihr ein wenig auszuhelfen.

„Sie haben mich vor einer Woche hinterrücks mit Flüchen angegriffen", erzählte Toireasa, was sicher erst mal wie eine Entschuldigung klang. Deshalb ergänzte sie: „Aber ich hatte es verdient!"

Das war schwer zuzugeben. Trotzdem wollte sie eigentlich noch mehr sagen, wollte sich alles von der Seele reden. Sie hatte viel mehr zuzugeben. Sachen, die nicht wichtig waren, die sie aber trotzdem loswerden wollte. Bittend sah sie Dumbledore an. Sie konnte sehen, dass er wusste was sie wollte und dass er überlegte, ob sie diese Gunst verdient hatte.

„Ich würde es begrüßen, wenn Sie endlich die Krankenstation verlassen", fauchte Madame Pomfrey von der Seite. „Und wenn Sie Miss Davian-Keary gestatten würden, sich zu reinigen."

Toireasa zuckte etwas zusammen, so sehr hatte sie sich auf Professor Dumbledore konzentriert.

„Natürlich, Madame Pomfrey. Sie haben Recht", sagte der Direktor und brach den Blickkontakt mit Toireasa. „Professor Flitwick, Professor Snape helfen Sie bitte den anderen nach der Kammer zu suchen. Madame Pomfrey – sehen Sie zu, dass Tarsuinn bald schläft und wecken Sie ihn unbedingt nach vier Stunden. Miss, Sie waschen sich jetzt und kommen dann mit mir."

Seine Stimme war fest und endgültig. Niemand wagte zu widersprechen, auch wenn Professor Snape ein noch finstereres Gesicht, als sonst machte.

Toireasa tat, was ihr gesagt wurde, doch bevor sie in den Waschraum ging, aus dem ihr der Heiler entgegen gelaufen kam, nahm sie noch ihren mit Blut durchtränkten Umhang an sich. Erst als sie allein im Waschraum war und sich Hände und Gesicht wusch, fragte sie sich, was die Lehrer denn für eine Kammer suchten. Sicher war es aber im Moment eine dumme Idee, danach zu fragen. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, schaute sie in den Spiegel über dem Waschbecken. Wie zum Test versuchte sie sich selbst in die Augen zu sehen und musste betreten schon nach wenigen Sekunden den Blick senken. Ihr Spiegelbild sah sie viel vorwurfsvoller an, als jeder der Lehrer.

Sie atmete tief durch, machte sich so Mut und ging dann zum wartenden Direktor. Dieser beendete gerade ein kurzes Gespräch mit dem Heiler, der sich mit seiner Tasche und dem Besen wieder auf den Weg machte.

Toireasa folgte Professor Dumbledore in sein Büro. Sie hatte schon immer spekuliert, wie es da aussehen würde, aber jetzt nahm sie das alles kaum wahr.

Sie stellte sich vor Dumbledores Schreibtisch und sah den Professor an.

„Du wolltest mir etwas sagen, Toireasa?"

Sie nickte und schluckte schwer. Und dann erzählte sie dem Professor alles.

Wie sie Tarsuinn im Zug kennen gelernt hatte. Wie er sie unabsichtlich hinters Licht geführt hatte und sie ihm den Umhang lieh. Wie verletzt sie gewesen war, als nicht sie zum Sucher ernannt wurde und wie es kam, dass sie alle Schuld auf Tarsuinn geschoben hatte. Sie erzählte ihm haarklein von der Wette und was sie alles getan hatte, um den Jungen zu schaden. Ausgelöschte Tinte, die Hippogreif-Lockpfeife, die Gerüchte. Sogar ihre Untätigkeit, als er bewegungslos im Regen stand. Sie stockte etwas, als sie erzählte, wie sie die anderen Slytherins überredet hatte, ihr bei dem Plan zu helfen und vermied es vorerst Namen zu nennen. Denn wenn sie das tat, so überlegte sie, dann würde es kaum einen Unterschied zwischen der Hölle und Hogwarts für sie geben. Die Namen zu verschweigen, fiel ihr vor allem bei Regina und Vivian schwer.

Dumbledore musste auffallen, dass sie niemand anderen belastete, doch er unterbrach sie nicht. Nur einmal runzelte er die Stirn und zwar in dem Moment als sie erzählte, wie das Einhorn zurückgekehrt war, sie zum Reiten aufforderte und wie es auf Tarsuinns Bitten reagiert hatte.

Am Ende der Beichte schaute Dumbledore sie nachdenklich an und strich sich über den langen Bart. Toireasa fühlte sich inzwischen ein klein wenig besser.

„Du warst nicht allein im Wald unterwegs?", fragte er nach einer Weile.

Toireasa fühlte sich gleich wieder schlechter, nickte jedoch.

„Was haben deine Begleiter getan?"

Toireasa schaute den Professor nicht mehr an, sondern schaute auf ihre schlammverkrusteten Schuhe. Mehrmals setzte sie an, suchte nach einer Möglichkeit, die der Wahrheit entsprach und sie nicht in Schwierigkeiten brachte.

„Sie werden es abstreiten. Mein Wort ist nichts wert und sie haben zwei Stimmen", versuchte sie abzuwehren.

„Das käme auf einen Versuch an", sagte Professor Dumbledore.

„Sie befahlen mir…, sie wollten…", stammelte Toireasa, doch dann brach es heraus. „Sie verlangten von mir, Tarsuinn liegen zu lassen, damit er stirbt! Außerdem war es eine von den beiden, die das Einhorn wild gemacht hat!"

In Dumbledores blitzte für einen Augenblick Zorn auf.

„Wer?!", fragte er, ein wenig eisig.

„Regina Kosloff und Vivian Hogan", gestand sie eingeschüchtert.

„Sie werden wahrscheinlich abstreiten, jemals im Wald gewesen zu sein", stellte Dumbledore wieder mit sanfterer Stimme fest.

Erneut zögerte Toireasa eine Weile. Dann legte sie die Zauberstäbe der beiden anderen Mädchen vor ihm auf den Schreibtisch.

„Das sollte deren Geschichte interessanter gestalten", sagte Toireasa.

Das brachte ihr das erste Lächeln des Direktors ein. Ein kurzes zwar, aber sie war dankbar dafür. Der Professor ergriff die Stäbe, schaute sie sich kurz an und dann legte er sie in ein Schubfach seines Schreibtisches.

„Und was soll ich nun mit dir machen?", fragte Dumbledore.

Darüber hatte Toireasa die ganze Zeit nachgedacht. Sie erwartete Strafe, sie begrüßte sie sogar.

Aber jetzt wollte der Direktor ein Angebot. Toireasa wollte nicht aus Hogwarts herausgeschmissen werden, das wäre unerträglich gewesen, doch das war, was sie eigentlich erwartete, was sie eigentlich verdiente.

Zögerlich zog sie ihren eigenen Zauberstab hervor und legte ihn, zusammen mit den fünf Einhornhaaren, auf den Schreibtisch.

„Ich akzeptierte jede Bestrafung, selbst wenn Sie mich wegschicken", sagte sie leise.

„Und was soll ich dann mit dem Stab?", fragte Dumbledore interessiert.

„Ein Angebot", sagte Toireasa vorsichtig. „Für den Fall…ich möchte nicht gehen. Ich sagte nur, ich tue es ohne Widerspruch, wenn Sie es verlangen."

„Mir den Stab zu geben, stellt einen Teil der Strafe dar?", erkundigte sich der Professor.

„Nein", sie schüttelte leise den Kopf. „Ich möchte nicht in Versuchung geraten ihn zu benutzen. Ich werde bald viel Gelegenheit dazu bekommen."

„Das könnte durchaus…", begann Dumbledore, doch es räusperte sich jemand. Ein alter Zauberer in einem der Bilder winkte dem Direktor zu.

„Jemand versucht Sie verzweifelt zu sprechen", sagte der Zauberer im Bild und zwinkerte vielsagend.

„Danke", antwortete der Direktor und machte eine weit ausholende Geste.

Wenige Sekunden später stürzte, ohne anzuklopfen, das Ravenclaw-Mädchen Winona Darkcloud in das Büro. Sie sah recht aufgelöst aus und schien geweint zu haben.

„Professor!", rief sie hektisch. „Tarsuinn ist in den Verbotenen Wald gegangen. Er glaubt, es würde ihn was rufen. Ich hab den Brief erst jetzt gelesen…ich konnte ja nicht ahnen…und dann war da noch die Schrift an der Wand. Tikki ist verletzt in den Turm zurückgekehrt!"

„Beruhige dich, Winona", sagte der Professor nachsichtig und unheimlich sanft. „Er ist nicht mehr im Wald."

Das Mädchen rang kurz nach Luft.

„Geht es ihm gut?", wollte sie wissen.

„Ich müsste lügen, wenn ich ja sage", antwortete der Professor traurig.

Erst jetzt schien Darkcloud Toireasa zu bemerken. Sie sah von Toireasa und dem Umhang in ihren Händen, zum Professor, zu dem Zauberstab auf dem Schreibtisch und ihre Züge verfinsterten sich.

„Ohne Toireasa würde Tarsuinn nicht mehr leben", beeilte sich der Professor einer Katastrophe vorzubeugen, schränkte aber ein. „Wobei sie auch nicht ganz unschuldig ist."

Toireasa konnte sehen, wie es im Gesicht des Mädchens arbeitete. Dumbledores zwiespältige Antwort spiegelte sich perfekt darin wieder. Dann gewann eine Seite vorübergehend den Kampf. Es war die Seite, die dem Direktor vertraute. Gestern noch hätte Toireasa das seltsam gefunden. In Slytherin hieß es, der einzige Lehrer, dem man vertrauen konnte, war Professor Snape.

Jedoch aus irgendeinem Gefühl heraus, war Professor Dumbledore Toireasas Wahl gewesen. Sie vertraute ihm, obwohl es ihr schwer fiel. Für das Ravenclaw-Mädchen jedoch schien es selbstverständlich zu sein, den Worten des Direktors Glauben zu schenken und seine Meinung vorbehaltlos zu akzeptieren.

„Kann ich ihn besuchen, Professor?", bat Darkcloud.

„Nicht heute, Winona", wehrte der Professor ab. „Er braucht Ruhe. Du kannst ihn vielleicht morgen besuchen, vorausgesetzt Madame Pomfrey ist einverstanden."

Winona war offensichtlich nicht glücklich mit dieser Aussage und irgendetwas schien ihr auf der Zunge zu liegen.

„Ist noch etwas anderes, Winona?", fragte der Professor.

„Nicht wirklich", antwortete das Mädchen mit Seitenblick auf Toireasa. „Ich geh dann besser wieder zurück. Gute Nacht!"

Das Mädchen stand auf, um zu gehen.

„Warte noch kurz, Winona", hielt Dumbledore sie zurück.

Er ergriff Toireasas Zauberstab und reichte ihn Winona.

„Der hier gehört Toireasa", sagte er und gab den Stab an Winona. „Ihr beide setzt euch jetzt zusammen. Toireasa, du wirst Winona alles erzählen, was du eben mir erzählt hast. Und du, Winona, wirst ihr zuhören, ohne ein einziges Wort zu sagen. Danach werde ich euch zu euren Gemeinschaftsräumen bringen."

„Ähem…und was soll ich mit ihrem Zauberstab machen?", erkundigte sich Winona.

„Du wirst ihn ihr zurückgeben, wenn und wann du es für richtig hältst", antworte Dumbledore und lehnte sich mit prüfendem Blick zurück. „Ich weiß, das ist ziemlich ungewöhnlich, aber ich denke, das ist in dieser Sache die fairste Lösung. Zu deiner Strafe Toireasa…"

Jetzt kam es. Sie wappnete sich.

„Du wirst eine Woche lang nicht am Unterricht teilnehmen und stattdessen jeden Tag und auch das kommende Wochenende mit Strafarbeiten bei Hagrid zubringen. Nach dem Abendbrot darfst du deine Gemeinschaftsräume nicht verlassen und musst die normalen Hausaufgaben erledigen. Einverstanden?"

„Ja!"

„Auch über die Verwendung deines Zauberstabes?"

Diese Antwort fiel Toireasa deutlich schwerer als die erste.

„Ja", sagte sie mit Blick auf Darkcloud.

„Dann denke ich, solltest du jetzt alles Winona erzählen. Ich werde in fünfzehn Minuten wieder da sein."

Die beide nickten. Professor Dumbledore stand auf und ging zur Tür.

„Winona", sagte er im Vorbeigehen. „Versprich mir – kein Wort!"

„Ja, Sir", bestätigte das Mädchen, welches immer noch Toireasas Zauberstab in der Hand hielt. Sie sah jetzt neugierig herüber. Toireasa war erstaunt, keinerlei Schadenfreude in den Augen des Mädchens sehen zu können. Nur Neugierde und einen dunklen Schleier, von dem Toireasa wusste, woher er kam. Doch wenigstens dafür war sie nicht verantwortlich. Und so erzählte sie dem Mädchen die ganze Geschichte noch einmal und wieder nannte sie nur die Namen von Regina und Vivian als Mitverantwortliche.

Darkcloud hielt ihr Versprechen, sie sagte die ganze Zeit kein einziges Wort. Doch ihr Gesicht sprach Bände.

Als Toireasa geendet hatte, stand das andere Mädchen auf und ging zum Fenster. Den Zauberstab hielt sie in den Händen, welche sie auf dem Rücken verschränkt hatte, und bog ihn, als fiele es ihr schwer der Versuchung zu widerstehen, ihn zu zerbrechen. Ihre Zähne knirschten gut vernehmbar.

Als Professor Dumbledore – etwas später als nur fünfzehn Minuten – wieder auftauchte, existierte, zu Toireasas großer Überraschung, ihr Zauberstab noch in einem Stück.

Dumbledore brachte sie daraufhin einzeln zu ihren Häusern. Zuerst Darkcloud, dann Toireasa.

Sie betrat allein den Slytherin-Kerker und der Empfang war ähnlich schlimm, wie sie es erwartet hatte.

Unzählige feindlich blickende Augenpaare empfingen sie. Die Fabelhaften Fünf, die dicke Malfoy Gang, einige der älteren Bewunderer des reinen Blutes, wie zum Beispiel Flint. Nur um ein paar Highlights zu nennen.

Toireasa versuchte sie zu ignorieren und zu ihrem Schlafsaal zu gehen. Natürlich stellten sich ihr Regina und Vivian in den Weg.

„Mein Zauberstab!", forderte Regina und streckte die Hand aus. Außerhalb des Waldes hatte sie ihre Selbstsicherheit anscheinend zurück gewonnen.

„Hab ich nicht hier", antwortete Toireasa feindselig.

„Gib sie her", verlangte nun auch Vivian.

„Kapiert es, ich hab sie nicht", betonte Toireasa noch einmal.

Flint trat hinzu.

Accio Zauberstab", sagte er und deutete auf Toireasa. Selbstverständlich geschah nichts.

„Seid ihr taub?", fragte sie und ignorierte Flint. „Noch mal ganz langsam. Ich – habe – die – Zauberstäbe – nicht! Und was wollt ihr überhaupt damit? Vivian, hast du vielleicht wieder vor, mich zu verraten und ein Einhorn auf mich zu hetzen? Oder Regina - zuviel Angst gehabt, um mir zu helfen?"

Accio Zauberstab", rief Flint erneut, diesmal etwas bestimmter.

„Du hast dem Muggel geholfen!", keifte Regina.

„Der mir mein Leben gerettet hat, nachdem du nicht mal den Mut für einen kleinen Fluch aus dem Hinterhalt hattest", schrie Toireasa zurück. „Vielleicht ist es in deiner Familie nicht üblich, aber ich weiß, was eine Lebensschuld bedeutet."

„Das gilt nur Zauberern und Hexen gegenüber!", entgegnete Regina laut.

„Nicht in meiner Familie", korrigierte Toireasa.

„Das ist nicht wahr!", ertönte plötzlich eine kontrollierte Stimme hinter Flint, der immer noch den Herbeirufungszauber versuchte. Toireasa verstummte sofort. Ihr Bruder Risteárd trat hinzu, gefolgt von Aidan.

„Unsere Eltern würden das nicht so sehen!", betonte er. Aidan hinter ihm wirkte da nicht so überzeugt, aber auch er nickte.

„Unsere Eltern achten die alten Ehrenregeln!", entgegnete Toireasa fest. „Und darin steht, dass man eine Lebensschuld einem vollen Menschen gegenüber begleichen muss."

„Er ist ein Muggel. Kein Mensch!", entschied ihr Bruder.

„Bist du dir da so sicher?", fragte sie kalt und war enttäuscht, dass nicht mal Aidan ihr half.

„Ja!"

„Nun – ich bin es mir nicht mehr", entgegnete Toireasa fest. „Und selbst wenn er ein Muggel ist. Für mich bleibt er ein Mensch, der mein Leben gerettet hat, das dank meiner Freunde in Gefahr war. In meinen Augen ist er damit mehr wert, als dieser feige, hinterhältige Abfall hier."

Sie deutete auf Vivian und Regina.

„Du hattest hier noch nie Freunde", mischte sich Riolet ein.

„Ach, die arme Riolet", rümpfte Toireasa die Nase. „Bist du es nicht leid, ständig anderer Leute Stiefel zu lecken?"

Toireasa bekam dafür eine schallende Ohrfeige verpasst. Sie wehrte sich nicht und war froh keinen Zauberstab bei sich zu haben.

„Gut getroffen, würde ich sagen!", meinte Toireasa doppeldeutig und betont unbeteiligt. „Und könntet ihr mir bitte jetzt aus der Richtung gehen? Ich will schlafen! Flint, hör auf mit diesem blöden Zauber. Ich habe keinen Zauberstab bei mir, begreif es endlich."

Sie versuchte weiterzugehen.

„Wo ist mein Zauberstab!", beharrte Regina und schubste Toireasa zurück. „Wir können auch anders mit dir reden."

Genau das befürchtete Toireasa.

„Sicher könntet ihr das!", sagte sie und versuchte extrem sicher zu klingen. „Aber ich bezweifle, dass Professor Dumbledore dir dann auch nur ein Wort von den Lügen glauben wird, die du ihm erzählen musst, damit du ihn zurückbekommst."

So – jetzt war es raus. Die Folgen waren klar.

„Du hast dem Direktor alles erzählt", stammelte Vivian entsetzt und wich, genau wie die anderen Slytherins – inklusive ihrer Brüder – einen Schritt zurück.

„Lass mich überlegen?", zischte Toireasa. „Ein Niesfluch traf das Einhorn, gerade als ich das letzte Haar ausrupfte. Kein Kitzelfluch versuchte mein Leben zu retten! Schwere Entscheidung, nicht wahr?!"

„Du lügst, wenn du behauptest, das Einhorn wäre wegen eines Fluchs auf dich losgegangen. Du warst zu ungeschickt und versuchst jetzt die Schuld auf uns zu schieben", bestritt Vivian Toireasas Vorwurf.

„Es ist erstaunlich, was du für meine Eule und deinen Besen bereit bist zu tun", unterstellte Toireasa voller Abscheu. „In meinen Augen ist damit die Abmachung gestorben."

„Die Wette gilt weiterhin!", stellte Vivian kalt fest.

„Na, dann putz schon mal deinen Besen für mich", freute sich Toireasa emotionslos. „Denn bis jetzt wurden mir keine Punkte abgezogen. Und falls das noch kommt, weil ich im Verbotenen Wald war, dann trifft es dich genauso!"

„Sie ist eine Verräterin und Muggelliebhaberin. Mir wäre es egal, wenn der Erbe sie umbringen würde", stellte Malfoy aus dem Hintergrund überlegen fest. Was immer er damit auch meinte.

Toireasa ignorierte ihn geflissentlich. Das hier ging diesen geleckten Lackaffen nichts an.

„Was soll der Lärm hier!", erklang plötzlich eine ältere, autoritäre Stimme von der Eingangstür her. Es war Samuel Cromwell, ein Vertrauensschüler Slytherins. Ein Sechstklässler, der, dank eines umfassenden Wissens in Sachen Flüchen, einen gewissen Respekt genoss.

„Ah, Toireasa ist da", fuhr er fort. „Ich hatte gerade ein Gespräch mit Professor Snape. Ich soll euch von ihm ausrichten, dass eventuelle Bestrafungen nur durch ihn zu erfolgen hätten. Sollte irgendwer den Drang verspüren, ihm das Recht darauf streitig zu machen, dann soll derjenige den Anspruch bitte bei ihm anmelden, auf dass er ihn prüfen und ablehnen kann. Ist irgendwer hier, für den ich dies in Klartext übersetzen muss?"

Niemand meldete sich.

„Gut, dann ab jetzt ins Bett. Alle!", befahl er daraufhin, hielt Toireasa aber zurück. „Du nicht!"

Murrend, aber gehorchend, gingen alle Wachgebliebenen in ihre Schlafsäle. Als diese weg waren, kam Samuel zu ihr.

„Eine Lebensschuld ist eine ernste Sache, egal ob Muggel, Muggelgeborener oder Zauberer", sagte er einfach. „Ich beneide dich nicht."

Toireasa brachte nur ein erstauntes Nicken zustande.

„Professor Snape sagt es zwar nicht direkt, aber ich glaube, er ist ähnlicher Ansicht. Ich habe Anweisung, dich in einen der leeren Schlafsäle umzuquartieren und ein wenig auf dich aufzupassen, bis sich das wieder beruhigt hat. Außerdem soll ich dir das geben."

Er reichte ihr ein Bügelschloss mit zwei Schlüsseln.

„Damit wirst du deine Tür immer verschlossen halten. Nur um sicher zu gehen. Und jetzt geh und hol deine Sachen."

Sie tat es, wobei sie sich im Schlafsaal noch einige Anfeindungen von den Mädchen anhören musste. Aber die Aussicht, nicht mit ihnen in einem Raum schlafen zu müssen, ließ alles an ihr abprallen. Sie war Professor Snape und Samuel extrem dankbar, dass wenigstens sie Toireasa unterstützten, wenn es schon ihre Brüder nicht taten.

Ihr neuer Schlafsaal war eingerichtet, wie die anderen Schlafsäle auch. Nur halt für sie allein. Sie versperrte mit dem neuen Schloss die Tür.

Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass ihre neue Bleibe sogar ein eigenes Bad besaß. Sie nutzte dies weidlich aus, um sich zu duschen und all den Schmutz des heutigen Tages abzuwaschen.

Dann – kurz nachdem sie sich schon zum Schlafen hingelegt hatte – stand sie noch einmal auf. Eigentlich hatte sie ihre gesamten Sachen von heute zum Waschen herausgelegt, doch sie überlegte es sich anders und verschloss den, mit Tarsuinns Blut verschmutzten, Umhang in einen Beutel in der Truhe. Dafür nahm sie den Umhang heraus, den sie damals Tarsuinn geliehen hatte und den sie seitdem nicht mehr getragen hatte. Erst danach legte sie sich wieder hin und verfiel alsbald erschöpft in einen unruhigen Traum.

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