- Kapitel 14 -

Zehn Punkte

In den nächsten Tagen bekam die Hölle einen Namen für Toireasa – Hogwarts. Wie ein Zombie taumelte sie durch ihren persönlichen Alptraum.

Ihre Eltern schienen den Brief, den sie erhalten hatte, an alle anderen Slytherinfamilien verschickt zu haben und so war jedem klar, dass Toireasa keinerlei familiären Schutz mehr genoss. Und selbst wenn sie den Brief nicht bekommen hätte, Risteárd, ihr Stiefbruder, machte es ihr nur zu deutlich klar. Er – der sonst so nüchterne Schüler – hielt spät abends eine kleine, emotionsgeladene Ansprache, in der er sich für alles entschuldigte, was seine Adoptivschwester Slytherin angetan hatte und konnte nur hoffen, dass man dies nicht mit dem Verhalten eines richtigen Davians gleichsetzte. Und er setzte hinzu, dass er zwar noch rechtlich eine Schwester hätte, aber dies wäre nur vor der Bürokratie und sein Herz und sein Verstand würden diesen Gedanken ablehnen. Am Schluss hatte er noch ergänzt, sein kleiner Bruder würde genauso denken.

Toireasa hatte in ihrer kleinen einsamen Kammer jedes einzelne Wort mit anhören dürfen und sie hatte das Gefühl gehabt, ihr Herz würde nach und nach entzwei gerissen. Danach waren alle Schranken gefallen. Niemand griff Toireasa direkt an. Nicht, solange Samuel in der Nähe war. Doch es gab auch Sachen, die dieser nicht verhindern konnte, selbst wenn er dabei war. Zum Beispiel nannte man Toireasa nur noch Die Verräterin, behandelte sie, als wäre sie Luft und gönnte ihr nur jeden Morgen und Abend Aufmerksamkeit bei einem Spießrutenlauf aus Beschimpfungen. Dazu kamen noch magische Fallen auf ihrer Tür, dem Schloss und der Klinke. Nachdem sie das erste Mal Zwiebelsaft in die Augen gespritzt bekommen hatte und eine juckende Flüssigkeit auf ihre Hände, öffnete sie die Tür nur noch mit Handschuhen und ihr Gesicht verbarg sie hinter dem Ärmel.

Und so freute sie sich keineswegs, als sie am Samstag den letzten Tag ihrer Strafarbeit ableistete. Hagrid hatte ihr etwas Gutes tun wollen und sie in der Nähe des Quidditchfeldes zum Holzhacken eingeteilt. Doch sie weigerte sich hinzusehen. Es tat viel zu viel weh zu sehen, wie die anderen Toireasas Spiel spielten. Natürlich konnte sie so aber nicht der Stimme Lee Jordans entziehen, der sehr anschaulich alle Spielzüge kommentierte. Dabei ertappte sie sich immer wieder, wie sie Gryffindor den Sieg wünschte und vor allem Malfoy die Pest an den Hals. So fieberte sie heimlich mit und als am Ende Harry Potter den Schnatz fing und damit die 160:30 Führung Slytherins in ein 160:180 für Gryffindor umwandelte, konnte sie sich einen kleinen Jubelschrei nicht verkneifen. Ja! Slytherin verlor aufgrund seines miesen Suchers! Wenigstens ein kleiner Triumph. Und viele würden sich jetzt heimlich fragen, ob sie mit Toireasa als Sucher nicht gewonnen hätten. Als sie nachher auch noch mitbekam, wie Malfoy von Flint öffentlich zusammengefaltet wurde, war ihr zwischenzeitliches Glück perfekt. Dieses Hoch hielt leider nicht lange an.

In der Nacht zum Sonntag wurde ein Gryffindorjunge aus der Ersten Klasse namens Colin versteinert aufgefunden. Im Slytherin-Kerker hellte sich die gedrückte Stimmung nach dem verlorenen Spiel sofort wieder auf und von Malfoys Clique wurde sogar so was wie eine kleine Party gefeiert, da es sich bei diesem Colin um einen Schüler mit Muggeleltern handelte. Jetzt hatten alle die, die nach der Schrift an der Wand noch gezweifelt hatten, ihre Bestätigung erhalten – der Erbe Slytherins war zurückgekehrt. Es war ein großes Rätselraten, wer denn nur der Erbe sein könnte. Jeder in Slytherin schien dafür in Frage zu kommen – jeder, bis auf Toireasa. Das war die einhellige Meinung, die sie durch ihre Tür hören konnte. Diese Spekulationen brachen auch die folgende Woche nicht ab, was jedoch nicht bedeutete, dass man nicht Zeit für Toireasa erübrigen konnte. Jetzt, da sie wieder am Unterricht teilnahm, war sie auch tagsüber den Anfeindungen der Fabelhaften Fünf ausgesetzt und – welche Ironie – sie benutzten genau die Mittel, die Toireasa sich selbst für Tarsuinn ausgedacht hatte. Gelöschte Tinte, verknotete Schnürsenkel – die ganzen Kleinigkeiten, die nicht auffielen, aber unheimlich Ärger machten. Gleich in der ersten Montagsstunde hatte sie auch noch Professor Flitwick erklären müssen, dass sie keinen Zauberstab mehr besaß und deshalb nicht richtig mitüben konnte.

So musste sich Tarsuinn immer fühlen, der an diesem Tag auch wieder am Unterricht teilnahm, obwohl er offensichtlich noch Schmerzen hatte. Zwar versuchte er es zu verbergen, aber man konnte deutlich sehen, wie er bei manchen Bewegungen zusammenzuckte. Wenigstens ließen die Ravenclaws Toireasa vollkommen in Ruhe. Besser gesagt – Toireasa wurde behandelt, als wäre sie eine Unbekannte, die man meiden sollte. Das war mehr, als sie verlangen konnte. Mehr, als sie erwartet hatte.

So musste sie sich nur darauf konzentrieren ihren Haus-Kameraden aus dem Weg zu gehen, was dazu führte, dass sie viel Zeit in der Bibliothek und bei Hagrid verbrachte.

In der Bibliothek beschäftigte sie sich vor allem mit Büchern über die Geschichte von Salazar Slytherin, weil sie wissen wollte, ob auch er ihr Handeln verurteilt hätte. Auch schmökerte sie in Büchern über Muggel und natürlich holte sie sich jedes Buch über magische Wesen, dem sie habhaft werden konnte. Sie tat einfach alles, um nicht in den Slytherin-Kerker zu müssen.

Bei Hagrid verkroch sie sich, sobald die Bibliothek geschlossen war. Freiwillig half sie ihm so oft sie konnte beim Pflegen und Fangen der magischen Tiere, die Professor Kesselbrand für seinen Unterricht in den höheren Klassen brauchte. Sie lernte eine Menge von dem großen Wildhüter, der sie anfangs nur widerwillig ständig in seiner Nähe duldete. Meinte etwas von – sie wäre noch zu klein für solche Dinge und sie sollte doch lieber etwas Spaß in ihrer Freizeit haben. Sie hatte ihn einfach nur solange schweigend und bittend angesehen, bis er sie die Kisten mit den Flubberwürmern reinigen ließ. Sie fühlte sich etwas schlecht dabei, weil der Grund für ihre Hilfeleistungen anfangs nur der Schutz war, den Hagrid ihr bieten konnte. Doch später – Anfang Dezember – gab Hagrid ihr verantwortungsvollere Aufgaben bei interessanteren Tieren und das machte ihr soviel Spaß, dass sie sich immer freute, wenn sie die Zeit erübrigen konnte. Welcher Erstklässler hatte schon die Chance einer Feuerkrabbe den Panzer zu schrubben. Das war unheimlich aufregend, da ein wenig gefährlich. Rieb man zu heftig oder benutzte zu wenig Wasser, dann brannte der Lappen – und damit die Hände – schneller, als man zwinkern konnte.

Leider wurde der Spaß, den sie durch die Arbeit empfand, sofort wieder dadurch zerstört, dass die Malfoy-Gang den Wildhüter nicht leiden konnte und das auch dessen Freunde einschloss. Es war fast so, als könne sie tun was sie wollte, sie hüpfte von einem Fettnäpfchen zielsicher ins nächste.

Trotzdem gab es auch den einen oder anderen Hoffnungsschimmer.

Aidan zum Beispiel schaffte es nicht, ihr in die Augen zu sehen. Immer wenn sie ihn dabei erwischte, wie er sie heimlich ansah, sah er betreten zur Seite, so, als würde er sich schämen. Genauso gab es auch kleine Zeichen, dass nicht jeder Toireasa verurteilte. Ab und an schob ihr wer in der Nacht ein paar hilfreiche Tipps (in unterschiedlichen Handschriften) zu den Kräuterkundeaufgaben unter dem Türspalt hindurch. Tipps, die sie dringend brauchte, denn ohne Hilfe von anderen waren ihre Leistungen in dem Fach immer schlechter geworden. Und dann – Anfang Dezember – erhielt sie den größten Hoffnungsschimmer.

Es war ein Brief von ihren Großeltern.

Sei gegrüßt, schreibfaule Enkelin,

wir haben uns schon gewundert, warum Du es nicht für nötig hieltest uns zu schreiben. Auch Deine Eltern waren recht verschlossen. Zuerst fürchteten wir, Du willst nichts mehr von uns wissen, aber ein Brief, den wir heute erhielten, half uns zu verstehen.

Was wir nicht verstehen ist, warum Du uns nicht um Hilfe gebeten hast. Wir sind Deine Großeltern, es ist unsere Aufgabe Dich zu unterstützen und gleich vorweg – wir sind sehr angetan von Deinem Rückgrat, das Du bewiesen hast, nachdem Du einen Fehler gemacht hast. Also Kopf hoch, Deine Großeltern halten zu Dir. Konzentrier Dich auf die Schule und auf alle, die in Deinem Rücken stehen. Wir kümmern uns um Deine Belange außerhalb Hogwarts.

Rügen müssen wir Dich jedoch dafür, dass Du einen wehrlosen Jungen tyrannisiert hast. Muggel hin oder her – das ist falsch! Doch soweit wir gelesen haben, hast Du das inzwischen selbst eingesehen und Deine Strafe klaglos ertragen. Wäre ja auch keine richtige Schulzeit, wenn man nicht mal mit ein paar Verfehlungen zu kämpfen hätte. Nur bitte – das nächste Mal für Sachen wie Stinkbomben oder weil du ein Klo gesprengt hast. Bei ähnlichen Aktionen haben sich Deine richtigen Eltern kennen gelernt, also ist es nicht grundsätzlich zu verdammen.

Vielleicht wäre es ganz gut, wenn Du etwas mehr über Deine leiblichen Eltern in Erfahrung bringen würdest. Uns selbst ist das dank eines Versprechens nicht gestattet, aber Du bist an einem Ort, an dem manche Menschen recht viel über sie wissen.

Schreib uns bitte ab jetzt wieder regelmäßig! Wie schon gesagt, Deine Großeltern sind dazu da Dich zu unterstützen, Verständnis zu zeigen und die Enkel gnadenlos zu verziehen. Du bist nicht allein.

Trotzdem tut es uns sehr Leid Dir mitteilen zu müssen, dass Du Weihnachten in Hogwarts verbringen musst, da wir uns zur Zeit zu weit weg befinden, um mal schnell nach England zu reisen. Wie Du ja weißt, haben dein Großvater und ich einige Probleme mit dem schnellen Reisen. Aber wir werden versuchen es anderweitig wieder auszugleichen. Kopf hoch!

In Liebe

Deine Großeltern

P.S.: Verrat dies niemandem, aber Deine Großeltern haben weit weniger gegen Muggel, als Du und viele andere glauben.

Toireasa glaubte zunächst nicht, was sie da las. Sie überprüfte sogar die Handschrift anhand von alten Briefen. Ihre Großeltern und nichts gegen Muggel? Ihre Großeltern nicht einer Meinung mit ihren Eltern? Ihre Großeltern und die Aufforderung etwas über ihre richtigen Eltern herausfinden? Wie konnte das sein?

Doch sie fand keine Abweichung in der Schrift und auch die Eule war die ihrer Ahnen. Es war wie ein Schluck Wasser, wenn man am Verdursten war. Nur dass hier das Wasser Verständnis und Freundschaft war. Toireasa schrieb ab da fast jeden Tag und hatte jedes Mal bei den Antwortschreiben das Gefühl, erst jetzt ihre Großeltern richtig kennen zu lernen. Ihre Eigenarten waren noch immer die Gleichen, aber die Ansichten völlig anders. Doch wenn sie den Grund dafür erfragte, dann bekam sie keine Antwort darauf. Trotzdem fühlte sie sich so viel wohler und es machte die Anfeindungen erträglicher.

Am Ende der ersten Dezemberwoche brachte sie dann den Mut auf, Professor Flitwick nachmittags in seinem Büro aufzusuchen.

„Sie wünschen?", fragte der Professor nachdem sie an die Tür geklopft und nach seiner Aufforderung eingetreten war. Er versuchte zwar Toireasa freundlich anzulächeln, doch misslang der Versuch ein wenig. Toireasa fühlte sich nicht weniger befangen.

Der Professor saß auf drei dicken Büchern mitten auf seinem Schreibtisch und fünf weitere Bücher dienten ihm als Unterlage für seine Arbeit.

„Entschuldigen Sie Professor. Falls ich Sie störe, gehe ich lieber wieder", sagte sie vorsichtig und schon halb auf dem Rückzug.

„So dringend ist das hier nicht", gab er zu und legte seine Arbeit zur Seite. „Sie haben was auf dem Herzen?"

„Ja, Professor", sie schluckte und verschränkte die Hände nervös auf dem Rücken. „Erinnern Sie sich noch an unser kurzes Gespräch nach der ersten Stunde bei Ihnen?"

„Nicht wörtlich", sagte er, die Stirn runzelnd.

„Sie sagten mir, dass meine Eltern mit die außergewöhnlichsten Ihrer Schüler gewesen wären und boten mir an, später etwas mehr über sie zu berichten."

„Jetzt, wo Sie es sagen, erinnere ich mich wieder", bestätigte er und lächelte diesmal ein wenig echter. „Sie wollen, dass ich dieses Angebot jetzt in die Tat umsetze?"

„Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Sir", bestätigte sie.

Er sah ihr einen Moment lang tief in die Augen und nickte dann bedächtig.

„Setzen Sie sich doch, Miss. Was wollen Sie denn wissen?", erkundigte er sich. „Wo soll ich beginnen?"

„Ich möchte eigentlich alles wissen", sagte sie. „Meine Eltern waren zu Hause ein Tabuthema. Ich weiß nur, wie meine Eltern gestorben sind, mehr nicht. Ich glaube, meine Stiefmutter sah meine tote Mutter immer als unbesiegbare Konkurrentin an."

Sie sah, wie Professor Flitwick unsicher auf seinen Lippen zu kauen begann. Mit dieser Antwort schien er weder gerechnet zu haben, noch war er damit glücklich.

„Es liegt mir fern, die Informationspolitik Ihrer Eltern in Frage zu stellen…", sagte er, augenscheinlich unangenehm berührt.

„Meine Großeltern rieten mir zu fragen", erklärte Toireasa. „Sie scheinen der Ansicht zu sein, dass ich mehr erfahren sollte und Ihnen ist es doch sicher nicht verboten, mir etwas zu erzählen, oder?"

„Verboten mag es mir nicht sein, es ist aber nicht gern gesehen, wenn Lehrer gegenteiligen Einfluss zum Elternhaus nehmen."

Na, wenn das kein Vorwurf gegen ihre Stiefeltern war!

„Dann lasse ich Sie am besten in Ruhe, Professor", sagte sie und erhob sich. „Ich will nicht, dass Sie Schwierigkeiten bekommen."

Sie ging zur Tür.

„Ach, kommen Sie zurück", fuhr Flitwick sie an und obwohl es ganz normale Worte waren, klang es, als würde er fluchen und die Augen verdrehen. „Setzen Sie sich endlich hin. Ich denke Professor Dumbledore und auch Professor Snape werden nichts dagegen haben."

Erfreut kam Toireasa der Aufforderung nach. Erwartungsvoll starrte sie den kleinen Professor an.

„Gleich vorangestellt. Das alles ist meine persönliche Sicht und die mag nicht unbedingt objektiv sein."

Toireasa nickte nur.

„Gut", der Professor fuhr sich mit der Zunge kurz über die Lippen. „Wo beginnen wir also? Am besten hier in Hogwarts. Nun – als Ihre Eltern sich in der Schule trafen, waren sie eigentlich wie Hund und Katz. Ihre Mutter war eine Ravenclaw mit Herz und einer recht spitzen Zunge…"

„Sie war in Ravenclaw?!", entfuhr es Toireasa.

„Miss, wenn Sie mich jedes Mal unterbrechen, geht der ganze Erzählfluss verloren", beschwerte Flitwick sich lächelnd. „Könnten Sie bitte mit Ihren Fragen warten bis ich fertig bin? Glauben Sie mir, das ist nicht einfach für mich."

Stumm und leicht errötend nickte sie erneut.

„Gut. Dann also weiter. Wie gesagt, Ihre Mutter – auch nicht sonderlich mit Körpergröße gesegnet – trug das Herz auf der Zunge und so dauerte es nicht lange, bis sie mit Ihrem Vater, der dem Haus Slytherin angehörte, aneinander geriet. Es war eine schwierige Zeit damals. Der Krieg tobte außerhalb Hogwarts und auch in der Schule spürte man diese Anspannungen. Im Grunde genommen führten Ihre Eltern einen Stellvertreterkrieg mit Feuerwerk und Stinkbomben gegeneinander. Trotzdem oder gerade weil sie sich furchtbar ähnlich waren. Beide stammten aus angesehenen Zaubererfamilien, waren schlagfertig, hervorragend in Zauberkunst und extrem phantasievoll dabei, sich gegenseitig Ärger zu bereiten. Dabei waren sie aber auch in jedem anderen Fach unsagbar unfähig, was sich auch auf ihren Krieg auswirkte. Ich habe niemals eine Auseinandersetzung zwischen Schülern erlebt, die so viele Unschuldige getroffen hat und so viele schief gegangene Fallen beinhaltete. Ich behaupte mal, sie haben zehnmal mehr Mitschüler getroffen, als sich gegenseitig. Selbst Lehrer waren vor ihnen nicht sicher. Irgendwann im vierten Schuljahr waren Professor Dumbledore, der damalige Slytherin-Hauslehrer und ich es leid, da wir in dieser Zeit genug Probleme hatten, und wir sperrten beide in einen Raum. Als wir drei Tage später diesen wieder öffneten, fanden wir das Zimmer vollständig verwüstet vor und überraschten Ihre Eltern beim intensiven Lippenkontakt. Wir glaubten, damit hätten wir ein Problem weniger, vor allem da Ihre Mutter anscheinend den Kampf der Meinungen gewonnen hatte und Ihr Vater sich unter ihrem Einfluss zu einem höchst sympathischen Menschen entwickelte. Leider hatten wir jedoch den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, denn es stellte sich heraus, dass die beiden sich im Ärgermachen hervorragend ergänzten und gegenseitig korrigierten. Die Begleitschäden wurden geringer, aber ihre Anschläge immer gewitzter und treffsicherer. Stellenweise war es so, dass jeder wusste, dass die beiden für ein Desaster verantwortlich waren, aber nachweisen konnte man es ihnen überhaupt nicht. Doch auch sie wurden erwachsen und ab der sechsten Klasse ließen die kindischen Streiche langsam nach und sie konzentrierten sich mehr auf den Unterricht, was dafür sorgte, dass ihr Bestehen in den Abschlussprüfungen kein Problem mehr war, auch wenn man ihre Ergebnisse sicher niemals als gut bezeichnen konnte. In den meisten Fächern waren sie einfach nur ausreichend. Einzige Ausnahme war jedoch Zauberkunst. Hier konnte man sie nur als genial bezeichnen und hinzu kam noch, dass sie sich gegenseitig in ihren Leistungen anstachelten. Ich war mir sicher, sie würden mich innerhalb weniger Jahre – mit ein wenig Praxis – locker überflügeln.

Doch Ihre Eltern waren vorher noch für eine Überraschung gut. Am ersten April ihres letzten Schuljahres – Ihre Eltern waren beide schon siebzehn – verkündigte Ihre Mutter laut während des Abendessens, sie wäre schwanger und würde sich freuen, wenn alle Schüler und Lehrer nach den Prüfungen an ihrer und Roberts Hochzeit teilnehmen würden. Ich glaube, ich habe noch nie einen so überraschten Professor Dumbledore gesehen und Madame Pomfrey schien kurz davor in Ohnmacht zu fallen. Ich selbst hab ziemlich hysterisch gelacht, da ich es für einen Aprilscherz hielt und wären die Zeiten nicht so düster gewesen, dieser Skandal hätte den Tagesproheten wochenlang beschäftigt und vielleicht meinen Posten hier gefordert. So aber war es nur ein Thema für Hogwarts und die Hochzeitsfeier war eines der besten und größten Feste, das ich je erleben durfte.

Nach der Schule überraschten Ihre Eltern alle mit ihrer Berufswahl. Ihr Vater nahm eine Stelle bei Dr. Filibuster als Entwickler an und Ihre Mutter trat dem diplomatischen Dienst als Assistentin bei. Ich vermute, dass da Ihre Großeltern nachgeholfen haben, denn die Zensuren hätten für beide Jobs bei weitem nicht ausgereicht.

Im Dezember kamen Sie dann etwas verspätet zur Welt, woraufhin Ihr Vater seine Stelle bei Filibuster erst mal aufgab, damit Ihre Mutter weiter arbeiten konnte. Im Frühjahr…"

„Stopp bitte!", unterbrach hier Toireasa aufgebracht. Sie konnte einfach nicht still bleiben. „Meine Mutter starb bei meiner Geburt!", verbesserte sie den Professor.

Dieser wirkte mehr als nur erstaunt.

„Das wäre mir sehr neu, vor allem da ich sie noch im Frühjahr darauf getroffen habe."

„Aber das kann doch nicht…", stammelte Toireasa.

Jetzt wirkte Professor Flitwick extrem verlegen und sehr traurig.

„Es tut mir Leid, aber Sie sagten, Sie wüssten wie Ihre Eltern gestorben sind. Ich konnte ja nicht ahnen…ich kann aber durchaus verstehen, warum man dachte, es wäre besser, Ihnen das zu verschweigen. Vielleicht sollte ich lieber aufhören."

„Nein!", entschied Toireasa. Jetzt, wo sie wusste, dass ihre Mutter nicht bei ihrer Geburt gestorben war, würde dies ihr keine Ruhe lassen, bis sie erfuhr, was wirklich geschehen war. „Erzählen Sie mir bitte alles."

„Das wird nicht angenehm", erklärte Flitwick mit ernstem Blick.

„Egal!", schnappte Toireasa etwas unbeherrscht.

„Wenn Sie meinen. Gut! Nun, schon einen Monat nach Ihrer Geburt, nahm Ihre Mutter ihre Aufgabe im Diplomatischen Dienst wieder wahr und Ihr Vater übernahm die Pflichten zu Hause. Damals begriff ich das nicht, denn es war absolut unüblich und Ihre Mutter war eigentlich nicht die Frau, die Ihre Arbeit über die Familie stellte. Erst später erfuhr ich den Grund. Ihre Mutter war an der Vorbereitung einer wichtigen diplomatischen Mission beteiligt und versuchte, diese unbedingt zu einem Erfolg zu führen. Damals war du-weißt-schon-wessen Herrschaft auf Ihrem Höhepunkt, Terror regierte das Land und das Ministerium war recht hilflos. Das lag nach Ansicht Ihrer Mutter zu einem großen Teil daran, dass es dem ihm gelungen war, die Riesen mit Lügen und Versprechungen auf seine Seite zu ziehen. Das Ministerium glaubte das auch und so brach ihre Mutter mit einer kleinen Gruppe auf, um die Riesen zu einem Frieden oder wenigstens Waffenstillstand zu bewegen. Keiner von ihnen kehrte je zurück."

Professor Flitwick machte eine Pause und wischte sich eine verirrte Träne aus dem rechten Augenwinkel. Toireasa war zu erstarrt, um irgendwie zu reagieren.

„Man fand ihre sterblichen Überreste einige Tage später. Die Zeiten bedingten, dass nicht lange nach der Todesursache geforscht wurde. Man ging einfach davon aus, dass es Todesser oder die Riesen gewesen waren und setzte den Kampf fort. Es starben viele damals auf diese Weise.

Deinen Vater traf die Nachricht, wie ein Schlag und es mochte nur an Ihnen liegen, dass er nicht zerbrach. Doch es veränderte ihn. Er ging mit Ihnen fort und brach alle Verbindungen hinter sich ab. Einige Monate später tauchte er wieder auf und half dem Ministerium im Kampf gegen den Dunklen Lord und seine Helfer. Er muss sich sehr intensiv mit der Verteidigung gegen die Dunklen Künste beschäftigt haben, denn er wurde innerhalb kürzester Zeit einer der erfolgreichsten Kämpfer, obwohl er offiziell niemals Auror wurde. Selbst als der Dunkle Lord an Halloween am Mord an Harry Potter scheiterte, hörte sein Kampf nicht auf. Er überließ die Jagd nach den gelähmten und versprengten Todessern anderen und konzentrierte sich auf die gnadenlose Vernichtung der Riesen in England, Schottland, Wales und Irland. Andere Zauberer und Hexen – einige, die Angehörige durch sie verloren hatten, viele, die einfach so Riesen hassten – schlossen sich ihm an und nur drei Jahre später, gab es keinen dieser Rasse mehr auf den Inseln. Danach kehrte Ihr Vater wieder in sein altes Heim zurück und heiratete eine Kampfgefährtin, die er in den drei Jahren kennen gelernt hatte. Trotzdem hielt er sich vom allgemeinen Leben fern, nahm keine neue Arbeit mehr an und kümmerte sich nur um seine Familie. Ab und zu jedoch, wurde er von ausländischen Regierungen angeworben, wenn diese mit Riesen Probleme hatten und eine endgültige Lösung anstrebten. Von einer dieser Reisen kehrte er mit sehr schweren Verletzungen zurück, von denen er sich nie wieder erholte und kurz darauf starb."

Toireasa starrte geschockt zu Boden. Nur mühsam hielt sie ihre Tränen zurück. Man hatte sie selbst über den Tod ihrer Eltern angelogen! Auch bei ihrem Vater hatte sie bisher angenommen, er wäre an einer unheilbaren, normalen Krankheit verstorben.

„Also haben Riesen meine Eltern umgebracht?", fragte sie und spürte Hass in sich aufsteigen.

„Das weiß keiner", gab Professor Flitwick sanft zu bedenken. „Bei Ihrer Mutter gab es keine glaubwürdigen Augenzeugen, Beweise, Spuren oder Indizien, die auf Riesen hinwiesen. Ihr Vater – und das mag hart klingen – hat Riesen gejagt und umgebracht, selbst wenn es verboten war oder kein Urteil vorlag."

„Wollen Sie damit sagen, er war selbst schuld?", fuhr Toireasa den Professor an.

„Nein. Nur hat der Verlust seiner Frau ihn in eine nie enden wollende Rache getrieben, die ihn am Ende zu Grunde richtete."

„DAS IST NICHT WAHR", schrie Toireasa den kleinen Mann an. „ER WAR KEIN KILLER!"

„Miss Keary, so verstehen Sie doch…"

Doch Toireasa wollte nicht verstehen. Taub vor Wut und Trauer rannte sie aus dem Büro und ignorierte alles, was Professor Flitwick ihr hinterher rief. Dabei rannte sie beinahe jemanden über den Haufen, der neben der Tür gestanden hatte.

„Dürfte ich fragen, wie viel Sie gehört haben, Mr McNamara", fragte Professor Flitwick besorgt. Tarsuinn wollte am liebsten Taubheit vorschützen, doch der Professor kannte die Leistungsfähigkeit seiner Ohren nur zu gut.

„Nur die letzten Sätze und ich wollte gerade verschwinden, als sie herauslief", antwortete Tarsuinn und wäre am liebsten im Boden versunken. Er mochte es mehr zu lauschen als andere vermuteten, aber diesmal hätte er lieber darauf verzichtet.

„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie dies niemandem erzählen", sagte Flitwick.

„Keine Sorge, Professor", beruhigte Tarsuinn.

Wenn er das Winona erzählte, konnte sie einen unpassenden Anflug von Mitleid verspüren. Er selbst kämpfte gerade schwer dagegen an.

„Und was haben Sie auf dem Herzen, Mr McNamara?", wechselte der Professor das Thema.

Tarsuinn brachte seine Gedanken wieder auf sein Anliegen zurück.

„Ich wollte Sie etwas fragen, Professor", antwortete er.

„Und das wäre?"

„Ich habe gestern gelesen, dass es einem Muggel nicht möglich ist Zaubertränke zu brauen", erzählte Tarsuinn. „Wenn das stimmt, verstehe ich nicht…"

„…warum Sie trotzdem als Muggel gelten?", ergänzte Flitwick.

„Ja genau."

„Das ist recht einfach erklärt. Für das Brauen sind nur sehr geringe magische Energien nötig. Man merkt nicht einmal, wie man sie hinzufügt. Unglücklicherweise für Sie, hat man jedoch schon vor längerer Zeit entschieden, dass diese geringen Fähigkeiten nicht ausreichen, um als Zauberer oder Hexe zu gelten. Nur wer im Stande ist, Magie mit einem Zauberstab zu wirken, wird dieses Privileg zuteil."

„Also gibt es viele Muggel wie mich, die in der Lage wären Tränke zu brauen."

„Viel mehr als Zauberer. Und das ist das Problem. Es ist jetzt schon eine riesige Aufgabe, das Geheimnis unserer Welt zu wahren. Eine größere Zahl an Anwendern und Wissenden und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis der Status quo, der im Moment herrscht, ins Wanken geraten würde. Es tut mir Leid, aber selbst die beste Leistung in Zaubertränke kann Ihnen nicht die offizielle Anerkennung bringen."

„Das dachte ich mir fast", sagte Tarsuinn traurig. „Aber fragen musste ich."

Er wandte sich zum Gehen.

„Bitte entschuldigen Sie die Störung, Professor."

„Kein Problem", meinte Flitwick freundlich. „Wie geht es Ihrer Schwester inzwischen?"

Tarsuinn versuchte ein Zusammenzucken bei dieser Frage zu unterdrücken. Dieses inzwischen hatte ihn völlig unvorbereitet erwischt.

„Besser, glaub ich. Ich soll Sie grüßen", antwortete Tarsuinn, so unschuldig wie möglich.

„Das freut mich zu hören. Schreiben Sie Ihr bitte recht oft auch weiterhin."

„Das mache ich, Professor. Sie hat mich im letzten Brief gefragt, wie man sich einen Heuler beschaffen kann und ich denke, das war eine kleine Warnung in diese Richtung."

„Oh – das klingt nach einem guten Weihnachtsgeschenk. Muss ich mir sofort notieren", kicherte Professor Flitwick und Tarsuinn war sich nicht sicher, ob das wirklich nur ein Scherz war.

„Ich lass Sie dann besser in Ruhe, Professor", verabschiedete sich Tarsuinn.

Bevor Sie noch weitere solche Ideen haben, setzte er in Gedanken hinzu.

„Ja, natürlich", winkte Flitwick ab und beim Hinausgehen, konnte er den Professor über den Hausaufgaben murmeln hören. „Neville, Neville, Neville. Was soll ich nur mit dir machen?"

Tarsuinn verließ das Büro auf Zehenspitzen. Er war ein wenig enttäuscht, aber wirklich darauf gehofft hatte er nicht. Es war Winonas Idee gewesen zu fragen. Ohne Groll ging er zurück in den Ravenclaw-Turm. Dabei beschäftigte ihn besonders das Gespräch, das er belauscht hatte. Vor allem da er etwas mehr mitbekommen hatte, als er Professor Flitwick gegenüber zugab. Auf dem Weg nach oben traf er Tikki wieder, die auf dem Hinweg wegen irgendetwas weggelaufen war. Das war bei ihrer Neugierde völlig normal und Tarsuinn freute sich, dass sie wieder etwas ruhiger geworden war. Außerdem galt es die Zeit ohne Mrs Norris zu genießen.

Die ersten zwei Wochen nach seinem Unfall, war Tikki ihm nicht eine Sekunde mehr von der Seite gewichen. Geradezu misstrauisch und übervorsichtig war sie gewesen. Wie auch seine Freunde. Er konnte nicht nach draußen gehen, ohne dass ihn irgendwer begleitete und ihn vom Verbotenen Wald weglotste. Das war sicher Winonas Werk. Sie schien sicher gehen zu wollen, dass er nicht einfach wieder allein loszog. Als ob er so was tun würde. Niemals! Nicht wirklich! Na ja – wenigstens nicht so bald – es war ein wenig zu kalt draußen und Tikki konnte mit Schnee nun gar nichts anfangen. Dementsprechend fix war sie auch wieder am Kamin, als er den Ravenclaw-Gemeinschaftsraum betrat. Dort bekam sie Wärme und sicherlich konnte sie sich auch ein paar Streicheleinheiten erschleichen.

Tarsuinn selbst ging die Treppe zu seinem theoretischen Schlafsaal hinauf, holte seinen Winterumhang, ging wieder zurück zur Treppe, vergewisserte sich, dass er allein war und dann flüsterte er: „Ich möchte die Aussicht genießen."

Sofort klappte eine Leiter zu ihm herunter und eine Luke öffnete sich über ihm. Behände kletterte er hinauf. Der Weg war ihm in jüngster Zeit sehr vertraut geworden.

Oben erwarteten ihn Luna und ein brodelnder Kessel.

„Wie ist es gelaufen?", fragte sie leicht zittrig.

„Erwartungsgemäß schlecht", antwortete er.

Dass Luna hier oben über den Trank wachte, war sehr nett von ihr, vor allem, da sie nach seiner Planung gar nicht hier sein sollte. Sie hatte ihn nur dabei ertappt, wie er sein ganzes Brauzeug auf den Turm geschafft hatte. Doch statt ihn zu melden, hatte sie ihm einfach geholfen und überhaupt keine Fragen gestellt. Seitdem half sie ihm, genau wie Winona, bei den Zaubertränken, die eine gewisse Zeit und Aufsicht brauchten.

„Du solltest dich aufwärmen gehen. Ich kümmere mich jetzt um den Trank", sagte er. „Danke fürs Aufpassen."

Doch Luna ging nicht. Darüber war er nicht sonderlich böse. Allein hier draußen zu hocken, war ziemlich langweilig. Nicht, dass Luna viel redete, aber es reichte schon, dass jemand da war. Aber heute war es anders.

„Sollten wir nicht lieber noch einen Trank brauen der funktioniert?", fragte sie. „Das wäre sicher nützlicher."

„Die anderen, die in Frage kommen, haben wir doch schon fertig. Und das ist der Wichtigste von allen", hielt er gegen. Genau die Diskussion hatte er schon mit Winona gehabt.

„Aber es ist auch der Komplizierteste. Wir haben es schon drei Mal probiert und immer ist was schief gegangen. Dir gehen langsam die Zutaten aus und wer weiß – nächstes Mal explodiert er und zerstört den halben Turm."

„Solange wir Tikkis Kamin nicht zerstören, ist alles okay", sagte er ironisch.

„Dem kann ich so nicht ganz zustimmen", sagte sie kühl, stimmte dann aber in Tarsuinns Kichern mit ein. „Sie wäre bestimmt schlimmer als Penelope in ihrer Gardinenpredigt."

„Und grausamer in ihrer Strafe", stimmte er zu.

„Wir sollten mit der Sprengung bis in den Sommer warten", meinte Luna ernst. „Das wäre dann einer weniger, der uns dafür aufhängen will."

Sie sponnen eine Weile herum und malten sich die Gesichter der einzelnen Leute aus. Luna konnte ganz mitteilsam sein, solange sie und Tarsuinn allein waren. Soweit er von anderen wusste, war das mit anderen Schülern ähnlich. Solange man nur zu zweit mit ihr war, war es deutlich einfacher, sich mit ihr normal zu unterhalten.

„Ich möchte dich etwas fragen", sagte sie, als sich ihr vorhergehendes Thema etwas erschöpft hatte.

„Nur zu", forderte er sie auf.

„Ich wollte dich fragen…ich meine, mein Vater meinte…na ja, wenn du nichts vor hast…es könnte ja sein…", stammelte sie auf der Suche nach den richtigen Worten.

„Luna!", unterbrach Tarsuinn. „Ganz ruhig. Ich beiße nicht."

Er hörte sie tief durchatmen.

„Mein Vater meinte – na ja – er hätte nichts dagegen, wenn ich dich einlade, Weihnachten bei uns zu verbringen", erklärte sie verlegen.

Tarsuinn war von dem Angebot völlig überrascht und in unpassender Weise hin und her gerissen. Zum einen war das ein wirklich nettes Angebot, zum anderen hielten Luna und – wie sie immer wieder betonte – auch ihr Vater, ihn für eine interessante Geschichte, die es zu ergründen galt. Und inzwischen mochte sie damit durchaus Recht haben. Tarsuinn war nicht sonderlich wohl bei dem Gedanken, Lunas Vater zu treffen, der sicher ein paar Tricks kannte, um sich Informationen zu besorgen. Schließlich gab er den Quibbler heraus und was er da schon alles herausgefunden hatte…

„Ich würde ja gerne,…", log er deshalb. „…aber es ist mir verboten Hogwarts zu verlassen und wenn ich doch die Erlaubnis bekommen würde, dann würde ich – das verstehst du sicher – meine Schwester im Krankenhaus besuchen und mit ihr feiern."

„Ja, das kann ich verstehen", gab sie zu. „Schade, mein Vater hätte dich gern kennen gelernt."

„Ja, wirklich schade", kommentierte er und hoffte, dass sie die Erleichterung in seiner Stimme überhörte.

Daraufhin schwiegen sie wieder wie normal üblich und als Luna dann herzhaft nieste, hatte er einen Vorwand sie hinunter zu schicken. Es stand eh der kritischste Schritt an und wenn schon was schief ging, musste es ja nicht sie beide erwischen.

Eigentlich sollte das Ganze gar nicht so schwer sein. Der Trank brodelte nun schon drei ganze Tage lang und laut Buch roch er richtig, war zähflüssig, nicht angebrannt und – zumindest behaupteten das die Mädchen – hatte er auch die richtige Farbe. Leider gab es immer Problem, wenn er als letzten Schritt, das Pfund geschreddertes Eis hinzufügte. Es hatte schon Rauchfahnen, geschmolzene Kessel und eine kleine Explosion gegeben. Er konnte Lunas Besorgnis verstehen, schließlich benutzte er eben ihren Kessel, da der Ersatz für seinen, frühestens morgen geliefert werden würde.

Sorgfältig zerhackte er das Eis. Glücklicherweise war es Winter und das Zeug leicht zu besorgen. Er maß das Zeug dann ab, kontrollierte zehn Mal mit der Waage und wollte gerade alles mit langem Arm in den Kessel geben, als…

„Dachte ich es mir doch! McNamara – fünfzig Punkte Abzug für unerlaubtes Trankbrauen!", peitschte Snapes Stimme, kälter als das Wetter, über ihn hinweg. Tarsuinns Hand erstarrte mitten in der Luft.

„Das ist eine der unverfrorensten Missachtungen der Schulregeln, die ich hier je erleben musste", tobte Snape. „Einfach so unter freiem Himmel, als ob es keine Besen gäbe. Glauben Sie etwa, Mr McNamara, da für Sie eh alles nach einem Jahr vorbei ist, dass Sie über den Regeln stehen? Regeln, die zum Schutz der Schüler existieren! Vor allem solcher naseweiser Kinder, die noch nicht mal in der Lage sind, ein Vorwort zu lesen und zu verstehen. Sie können sich auf einen baldigen Besuch bei Professor Dumbledore freuen. Außerdem bin ich mir sicher, Professor Flitwick wird weitere Strafen verhängen."

Tarsuinn ertrug die Tirade still. Drei Wochen unentdecktes Brauen unter freiem Himmel waren schon eine Menge.

„Wollen Sie sich nicht einmal für Ihr Tun entschuldigen?", blaffte Snape ihn an.

Er zuckte nur mit den Schultern. Um sich zu entschuldigen, musste man sich auch schuldig fühlen, ihm tat es hier jedoch nur wegen der Punkte Leid.

„Eigentlich frag ich mich nur, ob Sie zufällig mit Ihrem Besen hier vorbei gekommen sind oder was mich sonst verraten hat", sagte er frech.

Von Snape bekam er daraufhin ein empörtes Schnauben zu hören.

„Morgen Vormittag! Gleich nach dem Frühstück! Nachsitzen!", zischte Snape.

Tarsuinn wusste, dass protestieren ihm nicht helfen würde und so nickte er wieder nur. Seinen Mund aufzumachen war eh meist die falsche Lösung, wenn es um Snape ging.

Er vergaß das nur immer wieder.

Er hörte Snape abrauschen und grinste. Der Turm war Ravenclaw Gebiet. Snape hatte kein Recht ihn zu betreten. Schon wollte er das Eis in den Kessel tun, als er zögerte. Konnte das sein? Ach nein! Doch nicht Snape! Trotzdem stellte er das abgewogene Eis beiseite. Hastig griff er in die Tasche, welche das Trankbuch vor dem Schnee schützte und schlug die erste Seite auf.

Vorwort

Dieses Buch beinhaltet die Sammlung der besten Zaubertränke der erfolgreichsten Heiler. Ich möchte mich bei all jenen bedanken, die mir erlaubten, ihre persönlichen Heil-Rezepte aus ihren privaten Büchern zu kopieren.

Ich hoffe, dass dies die Versorgung Kranker europaweit deutlich verbessern wird und hoffe, dass dieses Werk ein wenig zur Zusammenarbeit über die nationalen Grenzen hinaus beiträgt.

Tarsuinn steckte das Buch wieder in die Tasche und sah zu, dass er vom Turm kam. So schnell er konnte, lief er die Treppen hinunter in den Gemeinschaftsraum.

„Schnell bitte!", rief er in den Raum. „Wie viel Pfund ist ein deutsches Pfund?"

„1,101 englische Pfund", sagte irgendeine Stimme, für die Tarsuinn noch keinen Namen kannte.

„Danke!", rief er schnell und stürzte wieder die Treppe hinauf. Hoffentlich war es inzwischen nicht zu spät.

Kaum war er oben, riss er Papier und Feder aus der Tasche und begann hektisch zu rechnen. Dabei fluchte er die ganze Zeit laut darüber, dass er seinen Abakus aus China nicht nach England mitgenommen hatte. Ohne sich zu vergewissern, ob seine Berechnungen richtig waren, warf er danach nicht ein Pfund Eis, sondern ein Pfund und 1,637 Unzen hinein. Er hatte sich ja inzwischen daran gewöhnt, dass die Zauberer es noch in keinster Weise geschafft hatten, sich auf Gramm und Kilogramm einzulassen, aber dass sie ein deutsches Rezept übersetzten und dabei vergaßen die Einheiten umzurechnen, das war so was von bescheuert! Wahrscheinlich nur kopiert und dann einen schlechten Übersetzungszauber benutzt. Wer weiß, wie viele Kessel schon so gestorben waren!

Was er sich aber am meisten fragte, als er auf eine Reaktion des Trankes wartete, war, ob Snapes böser Kommentar ihm absichtlich geholfen hatte oder nicht? Wenn das hier funktionierte, dann schuldete er Snape Dank, egal ob Absicht oder fehlgegangene Bösartigkeit.

Und je länger er wartete und vorschriftsmäßig rührte, desto sicherer war er sich des Erfolges. Alle Anzeichen für Explosionen, Rauchentwicklungen und dergleichen blieben aus. Wenig später nahm er den Kessel vom Feuer und ließ ihn abkühlen. Kaum war der Trank kalt, füllte er ihn ab, reinigte mit Schnee und einem magischen Reiniger den Kessel und verpackte fein säuberlich alles. Der Turm war gestorben für weitere Brauaktionen. Mühsam und vorsichtig brachte er das ganze Zeug nach unten in seinen Schlafsaal.

Lunas Kessel behielt er vorerst, damit er ihn nicht vor den Augen aller durch den Gemeinschaftsraum trug. Es war Freitag und da gingen die wenigsten früh ins Bett. Im Gegenteil, die meisten Erstklässler hatten sich angewöhnt, so viele Hausaufgaben wie möglich am Freitag unter Penelopes Aufsicht anzufertigen, um das Wochenende mehr Freizeit zu haben. Bei den Erstklässlern schien das noch zu funktionieren, alle Älteren schafften das nur in den seltensten Fällen.

Er schnappte sich ein Reagenzglas voll mit seinem Trank, sowie seine Hausaufgaben und ging hinunter zu den anderen. um sich ein wenig aufzuwärmen. Er musste zugeben, seine Hausaufgaben hatte er die letzten Wochen ziemlich vernachlässigt. Dafür hatte Professor Snape immer abstrusere Ausreden für sein: „Null Punkte, McNamara!" – finden müssen. Vor allem die Farbe kritisierte Snape immer mehr. Ein Punkt, in dem Tarsuinn ihm nie widersprechen konnte, was er auch so nie tat, solange er im Unterrichtsraum für Zaubertränke war.

Er setzte sich zu Winona und Luna, die ihm einen Platz freigehalten hatten. Tikki kam sofort hinzu und sorgte dafür, dass er seine Hausaufgabe nicht in Angriff nehmen konnte. Tarsuinn ließ sich gern darauf ein, freute sich aber, als er mit seinen kalten Händen Tikki einen furchtbaren Schreck einjagte und sie auch nicht freigab, als sie versuchte ihm zu entkommen. Einen Mungo zu fangen, war fast unmöglich, aber wenn Tikki sich einmal in seine Hände begeben hatte, dann hatte sie wiederum keine Chance ihm zu entkommen.

Am Ende waren seine Hände warm und Tikki spielte die beleidigte Leberwurst, die mit Unmengen Streicheleinheiten besänftigt werden musste. Dafür brauchte er jedoch nur eine Hand und so wandte er sich dann doch seinen Aufgaben zu.

„Und?", fragte Winona flüsternd nach einer Weile ungeduldig.

„Lunas Kessel ist noch ganz", flüsterte er zurück.

„Ich mein den Trank?", zischte sie.

Natürlich wusste er das, aber es machte Spaß, sie ein wenig zappeln zu lassen.

„Es ist nichts explodiert", sagte er ernst.

„Schon mal ein Fortschritt!", kommentierte Luna und bei ihr wusste Tarsuinn nicht, ob sie einfach nur das Positive sah oder ihn schon durchschaut hatte. Zumindest hatte sie immer mehr Geduld bewiesen, als Winona.

„Ich meine, hat es funktioniert?", bemerkte Winona nicht, dass sie eben aufgezogen wurde.

„Wenn die Farbe giftgrün mit schwarzen Sprenkeln ist, dann hat es geklappt", sagte Tarsuinn und senkte den Kopf, damit sie sein Lächeln nicht sehen konnte.

„Dann lass uns hoch gehen und nachsehen", drängte sie daraufhin.

„Nicht nötig", kicherte Tarsuinn nun vernehmbar. „Hab eine Probe hier."

Möglichst unauffällig – sofern das möglich war, wenn man nicht wissen konnte, was die anderen sahen – übergab er die Probe Winona, die direkt neben ihm saß.

„Sieht gut aus", sagte sie nach einem Augenblick, was Luna einen Moment später bestätigte.

„Aber wir müssen es trotzdem testen", gab Luna zu bedenken. „Eine perfekte Wahl wäre natürlich Professor Snape, aber pure Bosheit kann man nicht kurieren. Man kann nur auf einen Fehlschlag hoffen."

„Schade, dass Mrs Norris verhindert ist", lästerte Winona. „So könnte sie sich mal nützlich machen. Wer kommt noch in Frage?"

„Mr Filch erfreut sich leider bester Gesundheit", verkündete Luna wie ein Nachrichtensprecher.

„Was leider auch für Regina zutrifft", setzte Winona den Reigen fort.

„Aus Gründen der Menschlichkeit kommen andere Haustiere nicht in Frage", sagte Luna entschieden.

„Ansonsten fällt mir aber niemand ein, der einen Fehlschlag verdient hätte", beendete Winona die Auswahl.

„Ich frag Snape um seine Meinung", entschied sich Tarsuinn.

Für einen Augenblick herrschte Ruhe. Er hatte das deutliche Gefühl…

„Starrt ihr mich gerade an?", fragte er.

„Ähem – ja. Wir warten im Moment auf einen Witz!", antworte Winona entsetzt.

„Kein Witz", sagte Tarsuinn.

„Du willst ihn wirklich fragen?", vergewisserte sie sich noch einmal. „Er wird uns Punkte abziehen."

„Hat er schon", musste Tarsuinn jetzt zugeben. „Vorhin auf dem Dach. Fünfzig."

„Dieser…", wollte Winona fluchen.

„Er hat mir indirekt gesagt, was wir falsch gemacht haben", nahm Tarsuinn den Professor ein wenig in Schutz. „Keine Ahnung ob absichtlich oder nicht."

„Und er hat dich den Trank zu Ende brauen lassen?"

„Er ist auf seinem Besen abgedampft und hat mich danach in Ruhe gelassen", erklärte er. „Na ja – fast!"

„Wie? Fast? Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen", drängte Winona ihn.

„Ich darf morgen Vormittag nachsitzen"

„Am Samstag. Dieser eiskalte Sadist!", entfuhr es ihr entsetzt, böse und so laut, dass es jeder hören musste.

Bei ihrer Ausdrucksweise hätte sie auch gleich Snape beim Namen nennen können. Auf niemanden in Hogwarts traf diese Beschreibung besser zu. Das war natürlich in gewisser Weise nicht sonderlich dienlich, da jetzt sicher sämtliche Ravenclaw-Ohren auf ihrem Tisch hängen würden, aber trotzdem hätte Tarsuinn Winona für diesen Gefühlsausbruch gern umarmt – wenn sie nicht gerade ein Mädchen gewesen wäre. Na ja – bei einem Jungen hätte er es sich auch verkniffen.

„He – das ist nur ein geringer Preis!", erinnerte Tarsuinn sie flüsternd.

Das beruhigte das impulsive Mädchen etwas.

„Aber Samstag…?", flüsterte sie. „Und du willst ihn wirklich fragen?"

„Warum nicht? Er weiß, dass der Trank existiert. Zwei Mal kann selbst er uns nicht Punkte abziehen. Natürlich wird er verlangen, dass ich den Trank vernichte – nur werd ich nur noch eine kleine Menge davon besitzen."

Tarsuinn versuchte sie verschwörerisch anzuzwinkern. Er hatte das bei den Geistern gesehen und hatte das gemocht. Leider sagte ihm ein doppeltes Kichern, dass er völlig versagt hatte.

„Du darfst nur mit einem Auge zwinkern", lachte Winona.

„Aber das hab ich doch", verteidigte er sich. „Genau so!"

Diesmal wurde aus dem Kichern schallendes Gelächter.

„Was ist mit euch los?", fragte Merton vom Nebentisch aus.

„Tarsuinn versucht verschwörerisch zu zwinkern", erklärte Winona zwischen zwei Atemzügen. „Mach noch mal, Tarsuinn."

Eigentlich wollte Tarsuinn nicht. Er mochte es nicht, wenn man über ihn lachte, doch diesmal machte er eine Ausnahme. Das Lachen seiner Hauskameraden tat ihm nicht im Geringsten weh. Es verletzte ihn nicht. Also zwinkerte er noch mal.

„Oh Tarsuinn, ich wusste ja nicht, dass du so für mich empfindest", hauchte Merton ironisch und auch am Nebentisch wurde gelacht.

„Jetzt hört aber auf!", mischte sich Penelopes scharfe Stimme ein. „Er kann doch nichts…"

Tarsuinn zwinkerte sie an und aus dem vorwurfsvollen Ton wurde ein Prusten.

„…das solltet…solltet ihr nicht…"

Sie schaffte es nicht, sich zu beherrschen. Tarsuinn nutzte den Moment.

„Penelope, ich hab eben fünfzig Punkte für Ravenclaw verloren", sagte er laut.

Sofort endete das Lachen.

„Kein Scherz", fügte er noch hinzu und stand auf. Er spürte die entsetzten Blicke.

„Es tut mir sehr Leid, wenn Ravenclaw den Hauspokal wegen mir verlieren sollte", sagte er deshalb laut und mit etwas zittriger Stimme. Dann lief er aus dem Raum, obwohl er eigentlich noch viel mehr sagen wollte. Er verstand einfach nicht, warum er sich so schlecht fühlte, wo er das doch nur für seine Schwester getan hatte. Natürlich war so ein Quatsch, wie der Hauspokal, nicht Ricas Leben wert. Aber Ravenclaw war ihm irgendwie sehr wichtig geworden. Nicht nur Winona und Luna. Er hatte keine Ahnung, wann das angefangen hatte. Vielleicht waren es die Genesungswünsche und die vielen Besucher am Krankenbett gewesen.

Und gemeinerweise war es ihm jetzt verboten Snape zu hassen, da dieser ihm den entscheidenden Hinweis gegeben hatte. Das war ungerecht.

Am nächsten Morgen trat er dann sein Nachsitzen bei Snape an. Er war extra früher aufgestanden, um derjenige zu sein, der nach dem Frühstück warten musste.

Es machte einfach den besseren Eindruck, vor dem Professor da zu sein und außerdem nahm es Snape die Möglichkeit, noch mehr Punkte einzusammeln.

Tikki war es inzwischen gewohnt, draußen warten zu müssen. Sie vergnügte sich immer damit, das Schloss zu durchstöbern und wilde Ratten zu töten. Tarsuinn wusste nicht, wie sie den Unterschied erkannte, aber bisher hatte sich noch kein Rattenbesitzer über sie beklagt. Dass Tikki bei ihrer Jagd immer sehr erfolgreich war, davon zeugten die Liebesbeweise, die sie ihm ab und zu vorlegte. Er hatte sich angewöhnt, die toten Tiere hoch in die Eulerei zu bringen.

„Setzen Sie sich hin", befahl Snape, sobald er die Tür aufgeschlossen hatte. Er tat, wie ihm geheißen, ging zu seinem üblichen Tisch, stellte seinen Kessel hin, legte Werkzeuge und Schneidbrett daneben und nahm auf dem Stuhl Platz. Doch Snape hatte anderes im Sinn.

„Hier ist ein Pergament und eine Feder. Schreiben Sie auf, was Sie im Verbotenen Wald erlebt haben!", forderte er.

Tarsuinn rührte zunächst keinen Finger und schüttelte nur leicht den Kopf.

„Los!", zischte Snape.

Zögerlich ergriff er die Feder. Doch dann entschloss er sich Snape die Hucke voll zu lügen. Leider war die Feder anderer Ansicht. Kaum hielt er sie in der Hand, begann sie nicht das zu schreiben, was er schreiben wollte, sondern was er dachte. Es wäre ihm überhaupt nicht aufgefallen, wenn das Papier nicht jedes seiner Worte vorgelesen hätte. Rasch warf er die Feder zu Boden, aber es war schon zu spät.

„Was für Stimmen hören Sie im Wald?", wollte Snape wissen. Tarsuinn biss sich schmerzhaft auf die Lippen.

„Erzählen Sie!", forderte Snape. Sein Kopf musste ganz nah sein und seine leise Stimme hatte eine Intensität, die ihn zittern ließ. Die Wortwahl Snapes überbrückte eine Distanz und kratzte an der Mauer seiner Beherrschung.

„Diese Stimmen haben Sie in den Verbotenen Wald gelockt", mutmaßte der Professor leise. „Sie sind hingegangen und haben etwas gefunden…"

Tarsuinns rechte Hand fing heftig an zu zittern. Schnell zog er sie zurück und klemmte sie zwischen Tisch und Oberschenkel.

Snapes Stimme kam immer näher. Wurde persönlicher.

„…was Ihnen furchtbare Angst bereitet."

„Sag, hat es deine Alpträume verschlimmert?", fragte Snape lauernd, als Tarsuinn weiter schwieg. „Das hat es – ja – ich kann es hinter deinen Augen sehen. Das Tor zur Seele, sagt man. Nun – die deinen sind inzwischen schwarz, wie der Schlund zur Hölle."

Ein Schrei! Tarsuinn wünschte sich schreien zu können, aber Snapes Präsenz schnürte ihm die Kehle zu.

„Ich bin der Einzige, der dich verstehen kann", behauptete Snape mit einer intensiven, flüsternden und vertraulichen Stimme. „Teilen mit mir deine Erinnerungen und die Dunkelheit wird leichter zu ertragen sein. Glaub mir, ich weiß es."

Meine Mauer, mein Schutz, dachte Tarsuinn verzweifelt. Bitte! Aufhören!

Doch Snape machte weiter. Stück für Stück riss er die Mauer ein.

„Hast du Kälte gespürt? Rings um dich herum! Wie sie schwebend näher kommt? Wie sie Besitz von dir ergreifen will?"

Die Erinnerungen, die er die letzten Tage recht gut kontrolliert hatte, drängten in seine Gedanken. Die herrlichen und erschreckenden Bilder. Es brachte nichts mehr, seine Hand am Zittern zu hindern, fast sein gesamter Körper entzog sich seiner Kontrolle. Hitze strömte unangenehm durch seine Adern.

„Hast du seine Berührung gespürt? Die Versprechungen? Wie die Kälte in deinen Körper ein…"

Die Mauer zerbrach. Ihm war jetzt unheimlich heiß. In seinen Gedanken war er wieder in der Hütte im Wald. Blitzschnell griff Tarsuinn nach seinem Messer und ließ es einen Halbkreis zu Sir Olivers Kehle hin beschreiben. Der Geist zuckte erschrocken zurück und seine Klinge verfehlte ihr Ziel. Tarsuinn sprang auf, machte auf dem Tisch eine Rolle vorwärts, trat mit beiden Füßen nach dem Körper seines Feindes. Sir Oliver taumelte und stieß laut gegen den nächsten Stuhl oder Tisch. Tarsuinn warf das Messer nach ihm, doch er verfehlte, da sein Gegner sich noch rechtzeitig zur Seite warf.

Schnell fuhr er herum, griff sich zwei weitere Messer. Glücklicherweise wusste er ja genau, wo diese lagen. Er wollte sich wieder herumdrehen, als ein lautes – Stupefy! – ertönte und er fühlte etwas sich nähern. Aus einem Instinkt heraus warf er sich zur Seite und rollte den Boden zwischen den Bänken entlang. Da, wo er eben gestanden hatte, knallte es laut. Noch halb rollend, versuchte er mit einem Rückhandwurf Sir Oliver zu überraschen, doch dieser war schon hinter einer Deckung verschwunden. Er hörte, wie das Messer irgendwo zitternd stecken blieb.

„Lapitis corium!", rief Oliver – mit völlig falscher Stimme – laut.

Tarsuinn nutzte die Gelegenheit für seinen dritten Wurf. Diesmal traf er sogar und wollte sich freuen, als die Klinge mit einem klirrenden Geräusch, wie von einem Stein, abprallte. Er musste schnell handeln. Zaubersprüche beinhalteten nur eine gewisse Kraft, man konnte sie mit einer entgegengesetzten Kraft brechen. Mit zwei Schritten Anlauf sprang er auf Sir Oliver zu, um ihn erneut zu treten.

„Wingardium Leviosa", donnerte Sir Oliver und ein Stuhl krachte mitten im Flug gegen Tarsuinn, schlug ihn zu Boden.

Das folgende Stupefy bekam er kaum noch mit.

Als Tarsuinn wieder aufwachte, lag er am Boden. Er konnte sich an alles erinnern, was passiert war – wenn auch nicht an das Warum. Eine schwere Hand, lag auf seiner Brust und hielt ihn am Boden fest, der angenehm kühl war. Eine andere Hand, hielt sein rechtes Auge geöffnet.

„Was sollte das, McNamara?", sagte ein leicht unsicher klingender Snape.

Tarsuinn atmete tief durch. Seine Mauer war wieder da, aber noch sehr, sehr dünn.

„Ich glaub, ich habe Sie verwechselt, Professor", sagte er betont kontrolliert.

„Mit wem?", fragte Snape, doch dann überlegte er es sich anders. „Nein, ich will es im Moment nicht wissen."

Tarsuinn fühlte sich losgelassen.

„Begeben Sie sich wieder auf Ihren Platz", sagte der Professor.

Wenig später legte Snape seine drei fehlenden Messer und noch etwas anderes vor Tarsuinn auf den Tisch.

„Schneiden Sie die Wurzel in ein zehntel Inch große Stücke", befahl er und Tarsuinn kam der Aufforderung liebend gern nach. Er schaltete sein Hände auf Autopilot und ließ sie ihre Arbeit tun, während er versuchte sich klar zu werden, was er getan hatte.

Die Wahrheit war furchtbar. Er hatte einen Lehrer angegriffen. Nur ein Mord mochte in Hogwarts schwerer wiegen.

Still und gründlich zerteilte er zwei Stunden lang Wurzeln, Zweige und was sonst alles Snape ihm vorlegte. In der ganzen Zeit zerrte Snapes Schweigen an seinen Nerven. Warum ließ der Professor ihn mit seinen Messern hantieren und einen ganzen Monatsvorrat an Zutaten zerkleinern? Eigentlich gehörte Tarsuinn doch in eine Gummizelle oder zumindest gefesselt.

Nach drei Stunden brach Snape endlich das Schweigen.

„Kommen Sie nach vorn, McNamara", verlangte er.

Tarsuinn legte sein Messer beiseite und ging zum Lehrertisch.

„Ist Ihnen das schon einmal passiert?", fragte Snape.

Tarsuinn schüttelte den Kopf.

„Hat Sie Professor Dumbledore zu Ihren Erlebnissen im Wald befragt?"

Wieder die gleiche Antwort.

„Haben Sie eine Ahnung, was das hier ist?", fragte Snape weiter. Da Tarsuinn nicht sehen konnte, was gemeint war, streckte er die Hand aus. Ein kleiner, geschliffener Stein wurde hineingelegt. Er tastete mit seinen Fingern, erkannte seinen Feuerrubin und steckte ihn in seine Tasche zurück, aus der Snape ihn genommen haben musste. Als Antwort für den Professor schüttelte Tarsuinn den Kopf.

„Dies ist ein Geistergefängnis. Schon mal davon gehört?"

Kopfschütteln.

„In ihm brennt Feuer. Ist da ein Geist eingesperrt?", forschte Snape mit lauernder Stimme.

Diesmal nickte Tarsuinn.

„Der Geist des Dunklen Lords?", hakte Snape mit heiserer Stimme nach.

Diese Frage verwirrte Tarsuinn jetzt etwas. Wie kam der Professor auf die abwegige Annahme? Was Tarsuinn hingegen beunruhigte war, dass er die Stimme Snapes nicht einordnen konnte. Hatte er da eben Angst oder Hoffnung gehört?

Entschieden schüttelte Tarsuinn den Kopf.

„Aber Sie wurden im Wald von einem Geist angegriffen?", vermutete Snape.

Sofort trat Tarsuinn einige Schritte zurück. Er hatte das Gefühl, als bräuchte seine Mauer aus Kontrolle etwas Abstand zu Snape. Er fürchtete die Erinnerungen.

Trotzdem nickte er.

„Ist er da drin?"

Noch immer wagte Tarsuinn nicht, etwas zu sagen. Eigentlich überlegte er die ganze Zeit, ob es nicht das Beste wäre einfach wegzulaufen.

Er nickte knapp und stieß mit dem Rücken gegen einen Tisch der ersten Reihe.

„Ihnen ist bewusst, dass ich Professor Dumbledore berichten muss, was passiert ist?"

Darauf reagierte Tarsuinn nicht. Die Frage war eh überflüssig und die Antwort auch.

Sie werden es niemandem erzählen, sind wir uns da einig?"

Wollte Snape ihm damit eine Chance geben oder nur dafür sorgen, dass Tarsuinn keine Chance bekam, sich zu verteidigen? Immerhin war es ja Snapes Schuld, dass er ausgetickt war. Schmerzhaft erinnerte er sich an das Gespräch zwischen Dumbledore und Madame Pomfrey. War er wirklich gefährlich? Und schlimmer noch – konnte es auch geschehen, dass er Personen angriff, die er mochte?

„Ja, Sir", flüsterte er mit belegter Stimme. Inzwischen wusste er, dass er als Muggel vor dem Zauberergesetz eh kaum Rechte hatte. Es gab nur Muggelschutzgesetze, die Ähnlichkeit mit Tierschutzgesetzen aufwiesen.

„Dann dürfen Sie jetzt gehen. Wir sind hier fertig", erklärte Snape.

Nichts wollte Tarsuinn lieber als das, doch zuvor musste er noch etwas erledigen. In Zeitlupe trat er an Snapes Tisch und legte das kleine Reagenzglas mit seinem gestrigen Trank auf den Tisch. Dann trat er einen Schritt zurück und verschränkte seine Hände auf dem Rücken. Der Professor nahm den Trank und mit einem leisen Plop öffnete er das Glas.

Es dauerte lange, ehe Snape fertig mit seiner Prüfung war.

„Allein hergestellt?", fragte der Mann dann.

Tarsuinn blieb beim Bewährten und nickte. Es stimmte zwar nicht ganz, da Winona und Luna mit die drei Tage aufgepasst hatten, aber gebraut hatte allein Tarsuinn. Schließlich war er wieder dran gewesen, nachdem sie alle drei reihum schon mal versagt hatten.

„Zehn Punkte für Ravenclaw", sagte Snape angewidert.

Tarsuinn wollte zuerst protestieren, da Snape ihm schon fünfzig abgezogen hatte, doch dann…

„Plus?", fragte er verblüfft.

Diesmal war es Snape, der eine Frage nicht beantwortete. Wahrscheinlich bewegte er nur den Kopf, aber Tarsuinn wusste, dass dies eine auf und ab Bewegung war. Snape pflegte sich immer sehr genau zu artikulieren.

Ein ungewolltes Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Er konnte es kaum glauben und er musste zugeben, er war unheimlich stolz, die Punkte gerade von Snape zu bekommen. Das war einfach ungeheuerlich. Großartig! Dass musste er jemandem erzählen.

Ohne groß nachzudenken, rannte er los.

„Ihr Reagenzglas", rief Snape ihm kühl nach.

„Behalten Sie es", entgegnete Tarsuinn jubilierend und prallte von der Tür ab.

Mist! Verschätzt! Das machte ihm schmerzhaft klar, wie gering seine Konzentration und seine Kontrolle im Moment waren. Und das musste ausgerechnet Snape sehen!

Er stand betont langsam auf, atmete tief durch, drängte den Schmerz an seiner Stirn zurück, klopfte den Staub aus seinem Umhang und tastete sich dann vorsichtig aus dem Raum. Kaum war er draußen, lief er wieder los, sich diesmal bewusst darauf konzentrierend und er schaffte es rechtzeitig zu seinem Ziel – dem großen Stundenglas, welches die Punktezahl der Häuser anzeigte.

Fast ehrfürchtig drückte er die Hand auf das Glas und konnte so seine Steine fallen fühlen. Sie hatten ihn mehr gekostet, als irgendwer ahnen konnte.

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