- Kapitel 15 -

Ein Lichtlein brennt!

Als in der zweiten Dezemberwoche der Zettel herumging, wer alles über Weihnachten in Hogwarts bleiben wollte oder musste, hatte Tarsuinn sich der Form halber eingetragen.

Wenige Stunden später zitierte ihn Professor Flitwick in sein Büro.

„Mr McNamara", sagte der Professor in seiner quiekenden Stimme und schien sehr fröhlich. „Ich habe ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk für Sie."

„Oh – danke, Professor", sagte Tarsuinn erleichtert.

Intern war er schon dabei gewesen, all seine Verfehlungen geistig zu sortieren.

„Sie wissen doch noch gar nicht, was es ist?", lachte der Professor.

Das machte Tarsuinn etwas verlegen.

„Ich hatte schon Angst, ich wäre wegen etwas anderem hier", gestand er ein.

„Wegen der Punkte, nicht wahr", vermutete der Professor teilweise richtig. „Wie viele sind es jetzt? Vierzig?"

„Minus siebenundfünfzig, Professor", korrigierte Tarsuinn kleinlaut, um seine Erleichterung bei diesem relativ unverfänglichen Thema nicht zu zeigen.

„Oh, siebenundfünfzig also", kicherte Flitwick. „Das könnte wenigstens ein Rekord für Ravenclaw dieses Jahr werden. Ich glaube, kein einzelner Schüler hat je allein über hundert Punkte für ein Haus verloren."

Tarsuinn fand diesen Spott, wie gutmütig auch immer vorgetragen, ziemlich schwer zu ertragen. Eine scharfe Standpauke wäre ihm lieber gewesen.

„Sei es, wie es sei. Haben sich die fünfzig Punkte für illegales Trankbrauen wenigstens gelohnt?", erkundigte sich der Professor.

„Ich habe viel gelernt", antwortete Tarsuinn vorsichtig.

„Ich meinte, wie hilft es Ihrer Schwester?"

„Professor?"

„Keine Scheu. Kein Zauberer darf ihr helfen, Sie schon. Es ist nicht illegal, davon zu wissen."

„Es geht Rica viel besser!", gestand nun Tarsuinn ein, seiner Begeisterung fast freien Lauf lassend. „Es heilt sie zwar nicht, aber ihr Immunsystem arbeitet jetzt trotz der Chemotherapie. Schmerzen und Schlafstörungen hat sie auch nicht mehr. Die Ärzte sind zwar verwirrt, aber sie schieben das auf ungewöhnliche Selbstheilungskräfte und ihren starken Willen."

„Das freut zu hören", bemerkte Flitwick.

„Leider habe ich nichts gefunden, was den Tumor bekämpfen könnte", fügte Tarsuinn deutlich gedämpfter hinzu.

„Na, lassen Sie den Kopf nicht hängen", munterte Flitwick ihn auf. „Sie sollten Ihrer Schwester ein frohes Weihnachten schenken. So normal wie möglich."

„Das würde ich recht gern. Ich habe schon ein Geschenk besorgt und werde ihr oft schreiben."

„Das ist löblich", pflichtete der Professor bei. „Sagen Sie, ich hab gehört Miss Lovegood hätte Sie eingeladen, die Weihnachtsferien bei ihr zu Hause zu verbringen?"

„Ja, dass hat sie"; sagte Tarsuinn und fragte sich, woher der Professor das wusste.

„Haben Sie angenommen?", erkundigte Flitwick sich unverhohlen neugierig.

„Na ja – eigentlich schon", antwortete Tarsuinn, obwohl er Luna nur zugesagt hatte, weil er es eh nicht einlösen konnte. „Aber ich darf ja nicht hier raus und wenn ich das dürfte, würde ich Rica besuchen und nicht mich allein amüsieren."

„Nun, dann wird es Sie freuen zu hören, dass das Ministerium – von weihnachtlicher Stimmung beeinflusst – der Bitte eines Mädchens entsprochen hat und Sie und Ihre Schwester deshalb für die Weihnachtszeit unter die Aufsicht von Mr Lovegood gestellt werden. Das heißt, wenn Sie und Ihre Schwester daran interessiert sind."

„Natürlich sind wir das!", rief Tarsuinn laut aus, fügte aber etwas gedämpfter hinzu. „Wenn Rica es auch will und es ihr entsprechend gut geht."

„Dafür sollten Sie gesorgt haben, Mr McNamara", sagte Professor Flitwick begeistert.

„Aber was ist mit den Ärzten? Die werden sie wahrscheinlich nicht weg lassen", gab Tarsuinn zu bedenken.

Professor Flitwick amüsierte diese Antwort hörbar.

„Es ist erstaunlich, wie Sie immer noch in Muggelmaßstäben denken. Glauben Sie wirklich, ein ausgebildeter Zauberer hätte ein Problem damit, die Abwesenheit Ihrer Schwester ein paar Tage lang zu verschleiern?"

„Nicht wirklich", gab Tarsuinn zu.

„Lassen Sie das also nur unsere Sorge sein", kicherte Flitwick. „Niemand wird etwas bemerken."

„Sicher, Professor", pflichtete Tarsuinn bei. „Soweit ich gelesen habe, sind Gedächtniszauber bei Muggeln recht zuverlässig."

„Ja, das sind sie! Aber sie gelten im Moment nicht als Ausrede für vergessene oder schlampige Hausaufgaben, Mr McNamara. Verstehen wir uns da?"

Und wie er verstand. In den Wochen des Tränkebrauens, hatte Tarsuinn seine Hausaufgaben als lästige Pflicht angesehen, die man machte, wenn einem zufällig langweilig war. Dementsprechend schlecht waren seine Noten gewesen. Es hätte auch sicher zu mehr Punktabzügen geführt, wenn seine Leistungen mit dem Zauberstab irgendwie messbar gewesen wären.

„Ich werde mich bessern, Sir", versprach er. Schließlich hatte er genug Tränke auf Vorrat und außerdem noch keinen neuen passenden Ort zum Brauen gefunden.

„Das erwarte ich auch von Ihnen. Und jetzt würde ich vermuten, haben Sie einen Brief zu schreiben und jemandem zu danken."

„Ja" , bestätigte Tarsuinn. „Danke, Professor!"

„Ich meinte nicht mich", lachte der kleine Mann.

„Das weiß ich", sagte Tarsuinn. „Aber es musste mal gesagt werden. Sie kümmern sich sehr um Rica und mich."

„Ich bin Ihr Magischer Vormund, McNamara. Es ist meine Pflicht, für Sie zu sorgen."

„Nicht so sehr, Professor", sagte er ernst „Sicher nicht so sehr."

„Weiß gar nicht, was Sie meinen", zierte sich Flitwick kichernd. „Es ist Weihnachten, da werden wir alle etwas weich. Und nun zurück an die Hausarbeiten."

Tarsuinn folgte der Aufforderung des Professors und ging zurück in den Ravenclaw-Turm. Dort suchte er nach Luna und fand sie allein in einer Ecke des Gemeinschaftsraums. Sie las den Quibbler, der etwas von einem Kometen erzählte, der im April 1996 die Magie in einigen Artefakten heftig durcheinander wirbeln würde.

„Ähem, Luna", sagte er verlegen.

„Ja?", fragte sie mit ihrer leicht abwesenden Stimme.

„Ich…ich wollte dir danken, dass du Rica und mir dieses Weihnachten schenkst."

„Es war die einzige Möglichkeit, dich meinem Vater vorzustellen", antwortete sie.

Tarsuinn fühlte sich, als hätte er eben einen Holzhammer über den Scheitel gezogen bekommen.

„Danke, dass du mich darauf hingewiesen hast", antwortete er verletzt und ging davon. Wäre es nicht seine einzige Chance gewesen Rica wieder zusehen, so hätte er jetzt den Besuch bei den Lovegoods abgesagt. Er änderte seinen Plan, die Hausaufgaben im Gemeinschaftsraum zu machen, und ging rauf in den Schlafraum. Mussten die Hauselfen halt auch mal seine Bettwäsche reinigen, falls er Tintenflecke drauf machte.

Doch auch hier konnte er sich nicht konzentrieren. Tarsuinn war wütend auf Luna. Trotz, oder vielleicht auch, weil er sie mochte. Wahrscheinlich hatte sie ihn nicht mal absichtlich vor den Kopf gestoßen. Er hatte es schon oft erlebt, wie sie, mit ihren kurzen, viel zu ehrlichen Kommentaren, andere zurückschrecken ließ. Nur diesmal hatte es ihn zum ersten Mal richtig und völlig unvorbereitet selbst erwischt. Na wenigstens hatte er nicht den Wunsch verspürt, ihr dafür weh zu tun. Seine Kontrolle war immer noch etwas brüchig. Neulich hätte er doch beinahe in Professor Binns Unterricht laut gefragt, ob noch jemand, außer ihm selbst, wach wäre.

Frustriert zerschnipselte er mit einem Messer seine eben geschriebenen Hausaufgaben. Selbst als Ian hinaufkam, hörte er damit nicht auf.

„Heh! Lass dir wegen Luna keine grauen Haare wachsen. Sie ist halt menschlich etwas daneben", sagte der Junge in besänftigendem Ton.

„Ist sie nicht!", schnappte Tarsuinn ungewollt heftig zurück, von seiner eigenen Reaktion ein wenig überrascht.

„Wenn sie es nicht wäre, dann hätte sie dir eben nicht so einen reingewürgt", beharrte Ian, nicht zu Unrecht.

„Sie ist okay", fluchte Tarsuinn. „Nur manchmal…"

„…unsensibel, verletzend, abwehrend, unsicher…irritierend?", unterbrach Ian.

„Das meinte ich nicht!", zischte Tarsuinn.

„Aber das ist sie. Kann ja sein, dass du es nicht bemerkt hast, aber sie behandelt die meisten Leute wie einen Ballon voller Eiter – mit der langen Kohlenzange und ner Schutzausrüstung. Willst du meinen guten Rat hören?"

„Nein, will ich nicht", schnappte Tarsuinn und wandte Ian den Rücken zu.

„Bekommst ihn trotzdem. Die Lovegoods sind ein Fluch für jeden, der näher mit ihnen zu tun hat. Die Familie ist hervorragend darin, sich selbst zu eliminieren und andere mitzureißen. Es gibt nicht mehr allzu viele von ihnen. Und Lunas Vater hat mit seinem Lügen- und Intrigenblatt schon viele Leute ins Unglück gestürzt. Nicht absichtlich zwar, im Gegenteil, ich unterstelle Lunas Vater nur die besten Absichten, aber er sieht einfach nicht, was er anrichtet. Du magst es gern lesen, aber wie viele Leute mussten unter diesen kleinen, unterhaltsamen Phantasiegespinsten leiden? Ist dir klar, dass du die nächste Attraktion in der Januarausgabe sein wirst? Und dann bekommt Dumbledore erst mal richtig Druck. Der Tagesprophet hat deine Anwesenheit hier nicht publik gemacht, überleg mal wieso!"

„Noch hat der Quibbler auch nichts geschrieben", verteidigte er das Mädchen.

„Wart es ab. Ich für meinen Teil werd mich bei Luna entschuldigen, wenn ich frühestens im Herbst nächsten Jahres von dir lese."

Darauf wusste Tarsuinn nichts zu entgegnen. Dass Ian eine recht einseitige Rivalität mit Luna pflegte, war seit dem ersten Tag klar gewesen. Und dass Ian bei Diskussionen meist den Kürzeren zog, hatte das Problem noch verschärft. Doch hier musste Tarsuinn gestehen, sprach Ian nur Tarsuinns eigene Ängste aus. Luna wusste sehr viel über ihn, hatte sich vielleicht sogar seinen Zauberstab angesehen, als sie diesen für ihn verbarg.

Aber trotz dieser Furcht, war er gern mit Luna zusammen. Er konnte ihr leider nur nicht so sehr vertrauen, wie Winona.

Die nächsten Tage bemühte er sich so zu tun, als wäre nichts geschehen. Bei Luna war keine Änderung ihres normalen Verhaltens festzustellen. Sie war wie immer zurückhaltend, freundlich und ab und zu – irritierend.

Winona hingegen schien das Mädchen plötzlich ins Herz geschlossen zu haben. Ihre Reserviertheit gegenüber Luna war fast völlig verschwunden und sie borgte sich sogar einmal den Quibbler und begann ein Gespräch über einige der logischeren Artikel. Tarsuinn konnte nicht heraushören, wer darüber mehr verwirrt war, er oder Luna.

So kam es, dass sie fast nur noch zu viert – inklusive Tikki – angetroffen werden konnten.

Dem war auch so, als sie am letzten Donnerstagnachmittag vor den Ferien einen Zettel an der Pinwand fanden, der alle Schüler zur Teilnahme an einem Duellierclub einlud.

„Das könnte unsere erste echte Stunde in Verteidigung gegen die Dunklen Künste sein", kommentierte Winona begeistert.

„Das setzt die Abwesenheit von Professor Lockhart voraus", schränkte Tarsuinn ein.

„…und dass wir uns hier lebend entfernen können", merkte Luna verträumt an. Nach einigen eiligen Schritten, die sie von einer Gruppe Schülern wegführten, fügte sie dann noch erklärend hinzu: „Ihr solltet eigentlich langsam gelernt haben, nicht über Professor Lockhart zu lästern, wenn Fans anwesend sind."

„Ach, Lockhart ist als Lehrer ne Null", urteilte Winona abfällig. „Er mag viele Angriffs- und Verteidigungszauber beherrschen, aber sie jemandem beibringen, dazu ist er nicht in der Lage. Was haben wir denn schon bei ihm gelernt?"

„Ich habe nicht Lockhart verteidigt, sondern nur euren gesunden Menschenverstand angezweifelt", korrigierte Luna mit fast so etwas wie Emotion. „Ich hab schon Zauberstäbe unter den Umhängen blitzen sehen."

„Na gut. Hast Recht", gab Winona zu. „Gehen wir trotzdem hin und hoffen das Beste?"

„Die Hoffnung stirbt zuletzt", erklärte Luna altklug.

„Snape wäre perfekt", mischte sich Tarsuinn in das Gespräch.

„Was?!", rief Winona entsetzt aus.

„Er ist kompetent", erklärte Tarsuinn überzeugt.

„Woher nimmst du diese Überzeugung?", erkundigte sich Luna.

Also manchmal wünschte Tarsuinn sich wirklich, er könnte diesen Silencio-Zauber. Dann hätte er ihn sich selbst auferlegt. Winona hätte sicher nicht bemerkt, dass er sich verquatscht hatte.

„Ähem, nicht wirklich wichtig", versuchte er das Thema zu wechseln. „Rica freut sich übrigens sehr darauf, dich kennen zu lernen, Luna."

„Lenk nicht ab", fuhr Winona ihn an. „Woher kommt deine Überzeugung, dass Snape kompetent ist?"

„Das sagen doch alle", Tarsuinn suchte verzweifelt eine Ausrede.

„Nein. Alle wissen, er will Dunkle Künste lehren. Alle vermuten, dass er gut darin ist! Aber du weißt es!"

Es war Zeit, klein bei zu geben. Auch wenn er Snape versprochen hatte, es niemandem zu erzählen. Aber wahrscheinlich sollte er wenigstens Luna vorwarnen, was sie sich da nach Hause einlud.

„Sind wir allein?", fragte er flüsternd, obwohl er niemand anderen in der unmittelbaren Umgebung hören oder riechen konnte. Etwas weiter weg, an der Pinwand, standen einige Hufflepuffs, zwei ältere Ravenclaws und eine Slytherin.

„Hau ab!", fuhr daraufhin Winona jemanden an.

„Ich warne dich, Peeves!", sagte sie wenige Augenblicke später. Eine nahe Rüstung klapperte metallen. Das ging so einige Minuten, bis Tarsuinn die Geduld verlor. Er holte seinen Rubin hervor und hielt ihn in die Richtung, in der es zuletzt gescheppert hatte. Seine Finger prickelten ein wenig.

„Weißt du was das ist, Peeves?", fragte er kalt. „Hau ab, oder ich geb ihn Winona damit sie für Ruhe sorgen kann!"

Augenblicklich kehrte Ruhe ein.

„Steck den Stein sofort weg!", zischte Winona mit drängender Stimme. Tarsuinn folgte sofort, aber stirnrunzelnd, der Aufforderung.

„Was ist?", fragte er verwirrt.

„Der Stein leuchtet den gesamten Flur aus!", erklärte Winona umgehend. „Alle schauen uns an."

„Sagtest du nicht, er würde nur in seinem Inneren leuchten?", fragte Tarsuinn.

„Das tut er aber im Moment nicht!", sagte sie flüsternd. „Lass uns hier weggehen."

Die beiden Mädchen führten ihn in den nahe gelegenen und leeren Klassenraum für Verwandlungen. Professor McGonagall schloss nie ab, da der Raum recht karg und uninteressant eingerichtet war.

„Okay, gestern hat der Stein nicht geleuchtet", begann Winona heiser flüsternd. „Heute stellt er fast die Sonne in den Schatten. Hol ihn noch mal raus!"

Tarsuinn holte den Stein erneut aus der Tasche.

„Er leuchtet nicht mehr nach außen", kommentierte Winona überrascht.

„Vielleicht liegt es daran, dass Peeves nicht in der Nähe ist", suchte Tarsuinn nach einer Erklärung.

„Warum sollte Peeves damit zu tun haben?", forschte Winona. „Obwohl er beim Anblick des Steins mit panischem Heulen abgehauen ist!"

„Snape hat gesagt, dies wäre ein Geistergefängnis", erzählte Tarsuinn.

„Du hast Snape den Stein gezeigt?", fragte Winona ungläubig.

„Ähem…nicht freiwillig. Ich war ohnmächtig und…"

Plötzlich schoss ihm eine angsterregende Erkenntnis durch den Kopf.

„Wenn er gründlich gesucht hat, dann hat er vielleicht auch…", brach es aus ihm heraus und er tastete nach seinem echten Zauberstab, den er im linken Ärmel versteckte.

„Snape hat dich betäubt?", unterbrach Winona seinen Gedankengang, anscheinend damit er vor Luna nicht noch mehr preisgab.

„Ähem…ja", er ordnete schnell seine Gedanken. Die Mädchen keuchten bei seiner Antwort empört auf.

„Musste er aber!", beeilte sich Tarsuinn zu versichern. „Ich hab versucht ihn mit meinen Messern aufzuschlitzen."

Aus der Empörung wurde umgehend Entsetzen, so dass Tarsuinn sich genötigt sah, die Geschichte ausführlicher zu erzählen. Am Ende war zumindest Winona ziemlich geschockt und Tikki äußerst zornig. Lunas Reaktion war nicht hörbar.

„Du hast die Kontrolle über dich selbst verloren, versucht einen Lehrer umzubringen und darfst trotzdem hier bleiben?", fasste Winona die Geschehnisse in einer Frage zusammen.

„Ja", gab er zu. „Ich verstehe es auch nicht."

Er wandte sich Luna zu.

„Ich wollte es dir eigentlich im Zug erzählen", erklärte er und hoffte, sie würde ihm glauben. „Dann hätte dein Vater mich immer noch zurückschicken können, aber ich hätte wenigstens für ein paar Minuten Rica wieder gesehen."

„Weißt du, ob Snape Dumbledore Bescheid gesagt hat?", erkundigte sich Winona.

„Nein", musste er zugeben. „Aber warum sollte er eine Gelegenheit auslassen, den Muggel loszuwerden?"

„Frag mich was Einfacheres", stimmte das Mädchen nachdenklich zu.

„Ich glaube, er bewundert Tarsuinn", erklärte Luna.

„Quatsch!", kommentierte Winona entschieden. „Snape hasst alle Nicht-Slytherins und verabscheut Muggel."

„Er bewundert Tarsuinns Geschick beim Brauen von Tränken", beharrte Luna. „Man kann es sehen, wenn er sich unbeobachtet glaubt."

„Und deshalb drangsaliert er ihn immer? Seltsame Art Bewunderung zu zeigen", hielt Winona dagegen.

„Er hat einen Ruf zu verlieren", argumentierte Luna. „Außerdem hat er Tarsuinn bei dem Stärkungstrank geholfen. Auch wenn er uns fünfzig Punkte abgezogen hat. Er gab den entscheidenden Hinweis, er ist weggeflogen bevor die kritische Phase vorbei war, er hat den Trank mit zehn Punkten bewertet. Vielleicht stammt sogar das Buch von ihm. Immerhin wusste er sofort, welchen Trank wir versuchten zu brauen."

Eine Weile herrschte Schweigen, jeder dachte über Lunas Schlussfolgerungen nach.

Es war wie immer Winona, die nicht lange schweigen konnte.

„Eventuell müssen wir die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Snape doch ein Herz haben könnte", formulierte sie zurückhaltend.

„Oder dass er sein eigenes Spiel spielt", schränkte Luna noch weiter ein.

„Selbst wenn er mir wirklich absichtlich geholfen hat, werde ich ihm deswegen nicht trauen", fügte Tarsuinn hinzu. „Für mich steht eher die Frage, traut ihr mir noch? Ich kann verstehen, wenn ihr euch jetzt Sorgen macht."

„Ach Quatsch!", sagte Winona entschieden. „Du würdest uns nie etwas tun."

„Ich bin mir nicht so sicher", sagte Luna sehr ehrlich. „Wenn er Angst hat, scheinen seine Instinkte die Oberhand…"

Jetzt hör aber auf!", fuhr Winona das Mädchen böse an.

„Sie spricht aus, was ich fürchte", griff Tarsuinn schnell ein, obwohl ihn ein Vertrauensbeweis á la Winona mehr gefreut hätte. Betreten fügte er hinzu. „Seit Halloween habe ich Probleme, meine Gefühle zu beherrschen. In beide Richtungen. Aber bis auf das eine Mal bei Snape, wollte ich nie jemandem etwas antun. Und der hat mich recht locker fertig gemacht."

„Gut. Kleiner Test", sagte Luna. „Ganz spontan, was fühlst du, wenn du an die Slytherin von Halloween denkst."

„Abscheu!", antworte er sofort.

„Dann ist es vorerst okay", erklärte Luna. „Sobald du jedoch anfängst, jemanden extrem zu hassen oder zu fürchten, würde ich an deiner Stelle sofort zu Madame Pomfrey gehen."

„Versprochen", stimmte Tarsuinn zu.

„Dann sollten wir jetzt zum Treffen des Duellierclubs gehen", schloss Luna. „Es ist bald soweit."

Sie verließen daraufhin schweigend den Raum. Kaum draußen, hörte er energische Schritte den Gang entlang kommen.

„Ich finde…", sagte er in geschäftigem Ton, „…diese Zauberstabbewegungen sind gar nicht so kompliziert. Warum fällt es dann so schwer, diese Kartoffel zu verwandeln?"

Es zeugte von einem gewissen Maß an krimineller Intelligenz, dass Winona und Luna sofort verstanden.

„Weil es vor allem auf Konzentration und Gefühl ankommt", erklärte Winona in der Imitation von McGonagalls Stimme. „Die stofflichen Verbindungen sind klein und so braucht es nur sparsame Bewegungen…"

Sie bogen um die nächste Ecke.

„…um eine Änderung herbeizufü… Oh! Guten Abend Professor McGonagall!", tat Winona überrascht.

Auch Tarsuinn und Luna grüßten höflich und passierten die Professorin. Das Grüßen wirkte gar nicht so verdächtig, wenn man bedachte, dass Ravenclaw heute keine Verwandlungsstunde gehabt hatte. Aber es war für die Tageszeit eigentlich auch unüblich.

Während Luna Winonas Erklärung fortsetzte, lauschte er aufmerksam, denn die Professorin war stehen geblieben und einem schleifenden Geräusch nach zu urteilen, hatte sie sich nach ihnen umgedreht.

„Ein Glück, dass sie nicht in unser Gespräch geplatzt ist", sagte Winona, kurz nachdem sie außer Hörweite waren. „McGonagall anzulügen ist fast unmöglich. Bei ihr fange ich immer an zu stottern…"

Tarsuinn hielt sie davon ab, um die nächste Ecke zu gehen.

„Was ist?", flüsterte Winona. Tarsuinn konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

„Lockhart und Snape", sagte er verschmitzt und lauschte kurz. „Snape versucht Lockhart durch die Blume zu sagen, dass er besser geeignet ist den Duellierclub zu leiten und Lockhart sein Assistent sein sollte. Nicht umgekehrt."

„Und was sagt Lockhart?"

„Dass Professor Dumbledore ihm die Leitung anvertraut hat und dass Snape zugeben müsse…", Tarsuinn unterdrückte krampfhaft ein lautes Lachen, „…ihm – Snape – fehle, trotzt unbestreitbar guter Ansätze, einfach die nötige Vorbildwirkung."

„Er ist Asche", kicherte Winona.

„Welcher von beiden?", erkundigte sich Luna amüsiert.

„Egal! Für uns kann sich nur eine Verbesserung einstellen", urteilete Tarsuinn lachend. „Aber wir sollten sehen, dass wir hinkommen. Es fängt gleich an."

Möglichst unschuldig umrundeten sie die Ecke und wollten – höflich grüßend – an den beiden Lehrern vorbeischlendern. Die beiden unterbrachen sofort ihr Gespräch.

„McNamara!", sprach Snape ihn an. „Sie werden nicht teilnehmen."

Tarsuinn blieb enttäuscht stehen.

„Ich wollte nur dabei sein, Professor, nicht teilnehmen", erklärte er.

„Es ist zu unberechenbar, was da drin passiert", bestand Snape.

„Ach, lassen Sie ihn doch, Professor Snape", mischte sich Lockhart ein. „Was soll schon groß passieren, wenn er sich an der Seite hält. Und es wäre sicher eine erinnerungswürdige Erfahrung für ihn als Muggel."

„Das sehe ich nicht so", schnappte Snape kalt. „McNamara ist auf dem besten Wege, den einsamen Rekord für Tage im Hospitalflügel aufzustellen und außerdem noch immer nicht vollständig vom letzten Besuch dort wiederhergestellt."

Das war eine faustdicke Lüge. Tarsuinn hatte schon seit einiger Zeit keine Schmerzen mehr.

„Mir geht es gut", stellte Tarsuinn richtig.

„Madame Pomfrey würde ganz sicher nicht zustimmen", sagte Snape und hatte sicher Recht damit, aber wenn es nach dem Willen der Krankenschwester ging, dann würde sicher niemand an einem Duellierclub teilnehmen.

Leider durchschaute Lockhart Snapes Spiel nicht.

„Wenn das so ist…?", sagte er bedauernd. „Dann müssen Sie wohl draußen bleiben, McNamara. Beim nächsten Mal vielleicht."

„Dann bleibe ich auch draußen", sagte Winona solidarisch, doch Tarsuinn winkte ab.

„Geh nur und erzähl mir wie es war", sagte er. „Ich besorg euch was zu essen für nachher. Das haben wir übers Üben irgendwie völlig vergessen und eh ihr fertig seid, ist die Küche kalt."

Enttäuscht ging Tarsuinn hinunter zum Kleinen Saal, der aufgrund des Duellierclubs heute als Speisesaal diente und begann Sandwiches für die beiden Mädchen zu belegen. Es war einfach – Mist – normal zu sein, wenn ringsum alle die unglaublichsten Sachen mit ein paar Worten und Bewegungen anstellen konnten.

Es gab noch jemanden im Kleinen Saal der betrübt an den Duellierclub dachte. Toireasa bedauerte zum ersten Mal wirklich, ihren Zauberstab abgegeben zu haben. Deshalb saß sie jetzt fast allein in dem Kleinen Saal und schaute immer wieder verstohlen zu Tarsuinn hinüber, der offensichtlich auch keine besonders fröhlichen Gedanken hegte. Ob er wegen dem hell leuchtenden Stein so allein war? Toireasa hatte an der Pinwand gestanden, als er diesen Stein hervorgeholt und Peeves vertrieben hatte. Seine Freundin schien ziemlich entsetzt darüber gewesen zu sein.

Im Grunde genommen hatte Toireasa seit einer Woche darauf gehofft, ihn mal nicht in Begleitung der beiden Mädchen zu erwischen, doch jetzt, als es soweit war, fiel es ihr schwer, sich zu überwinden. Erschwerend kam hinzu, dass Professor Dumbledore und Professor Flitwick heute nichts Besseres zu tun zu haben schienen, als für alle Schüler, die nicht am Duellierclub teilnahmen, einen meterlangen Bonbontest am Lehrertisch zu veranstalten. Da zuzuschauen war recht unterhaltsam, da jede einzelne Süßigkeit auch noch andere witzige Auswirkungen hatte. Schreiend grüne Haare, pfeifender Dampf aus den Ohren und andere witzige, aber nur kurzzeitig haltbare Auswirkung. Einem Hufflepuff-Jungen kamen sogar bei jedem Wort Blasen aus dem Mund und erst wenn diese platzten, konnte man hören, was er gesagt hatte. Zur allgemeinen Erheiterung platzten die Blasen jedoch nicht in der Reihenfolge mit der sie gebildet worden waren, was ein lustiges Kauderwelsch erzeugte. Innerhalb weniger Minuten wurde ein Spiel daraus zu erraten, was er wohl gesagt haben könnte.

Mit ungläubigem Staunen musste Toireasa miterleben, wie Dumbledore und Flitwick selbst die meisten Sachen austesteten. Mit dem Ergebnis, dass Dumbledores Spitzhut immer wieder von einer lila Dampfwolke angehoben wurde und dann auf seinen Kopf zurückplumpste. Professor Flitwick andererseits hatte einen Schluckauf, der mit einem zehnfachen Hallen versehen war und über den er sich selbst am meisten zu amüsieren schien.

Wäre Toireasa nicht so mies drauf gewesen, sie hätte sich gern dazu gesellt. Doch das sie die einzige Slytherin hier war, hielt sie sich zurück. Sie war in den letzten Wochen extrem unsicher im Umgang mit anderen Schülern geworden. Ständig ertappte sie sich dabei, wie sie sich fragte, was man wohl von ihr dachte und ob es jemanden gäbe, der sich mit ihr freundlich unterhalten würde. Oh, wie sie Keyx vermisste!

Unsicher nahm sie Teller und Becher und ging langsam zum Ravenclaw-Tisch. Dies erschöpfte schon fast ihren gesamten Mut und so stand sie wortlos vor Tarsuinn, der wahrhaft gigantische Berge an Sandwiches vor sich aufstapelte. Tikki, die neben Tarsuinn auf der Bank saß, sah sie neugierig, aber auch etwas böse, an. Sie wollte sich gerade wieder abwenden…

„Möchtest du da ewig stehen, Toireasa?", fragte Tarsuinn.

Sie hatte keine Ahnung, woher er wusste, dass sie es war.

„Darf ich…darf ich mich zu dir setzen?", fragte sie nervös, erstaunt ihre eigene Stimme außerhalb einer Klasse zu hören. Inzwischen ging es ihr zwar etwas besser in Slytherin, da sie die letzten Wochen recht viele Punkte für das Haus geholt hatte, aber trotzdem wagte es niemand – aus Angst vor dem Regina- und Malfoy-Anhang – mit ihr zu reden.

„Es ist genug Platz", sagte Tarsuinn kühl.

Das war weder eine richtige Einladung, noch eine Ablehnung. Toireasa setzte sich deshalb ihm gegenüber. Für einige Minuten aß sie still etwas von ihrem Teller, dann hatte sie genug Mut geschöpft, um ein Gespräch zu beginnen.

„Fährst du über Weihnachten nach Hause?", fragte sie.

„Ich hab kein zu Hause", antwortete er distanziert.

Erster Versuch kläglich gescheitert. Der nächste Anlauf brauchte wieder etwas Zeit.

„Ich meine, verlässt du über Weihnachten Hogwarts?", versuchte sie es nach einigen Minuten erneut.

„Ja", war seine kurze Antwort.

„Mit dem Express?"

„Ich denke schon."

Das hatte Toireasa befürchtet. Nun musste sie schon wieder etwas tun, was sie sicherlich büßen würde.

„Du solltest im Zug auf dich aufpassen", sagte Toireasa eindringlich.

„Warum?", erkundigte er sich und zum ersten Mal klang er nicht, als würde er mit einer Steinmauer sprechen. Er hob sogar etwas den Kopf und stellte seine Arbeit ein. „War das eben eine Warnung?"

„Ja", bestätigte sie ihm. „Professor Snape hat klar gemacht, dass er keine dummen und unverhältnismäßigen Übergriffe auf einen Schüler eines anderen Hauses in Hogwarts hinnehmen kann. Jeder weiß, dass vor allem du damit gemeint bist."

„Im Zug gilt das nicht?", fragte er.

„Laut einigen Gesprächen – die ich zufällig gehört habe – nein!", klärte sie ihn auf. „Du solltest auf dich aufpassen."

Nun stellte er endgültig seine Arbeit ein und legte das Messer zur Seite.

„Warum sagst du mir das?", fragte er misstrauisch.

„Weil du mir das Leben gerettet hast und…", sie zögerte etwas, „…weil ich einige Dinge inzwischen anders sehe."

Bei ihren Worten hatte er den Kopf schräg gelegt und es war fast so, als würden seine Augen versuchen, sie anzusehen.

„Wie was zum Beispiel?", fragte er leise.

Toireasa überlegte nur einen Moment.

„Dein Leben ist nicht weniger wert als meines", sagte sie ehrlich. „Wahrscheinlich sogar mehr."

Wieder dieser intensive, aber leere Blick. Konnte er nicht wenigstens einmal zwinkern? Sie wäre sehr dankbar dafür gewesen. Für einen Moment glaubte sie, einen weichen Gesichtszug zu entdecken, doch dann stand er plötzlich auf und begann die Brote in einen Beutel zu räumen. Als er damit fertig war, wandte er sich noch einmal Toireasa zu.

„Wir hätten Freunde werden können. Damals!", sagte er traurig. „Unabhängig von dem, was wir sind."

Dann drehte er sich um. Tikki rannte ihm voraus.

„Ich weiß", flüsterte sie und zu ihrem Erstaunen drehte er sich daraufhin noch einmal zu ihr herum. In seinem Gesicht arbeitete es heftig.

„Hagrid erzählte mir, dass du unheimlich begabt im Umgang mit magischen Tieren bist?", fragte er.

Toireasa war über die Frage vollständig verblüfft, so dass sie zunächst nur nickte ehe sie ein: „Wenn Hagrid das sagt…?!", hervor presste.

„Wenn ich dich um einen Gefallen bitten würde, würdest du mir helfen, ohne viele Fragen zu stellen?", erkundigte er sich flüsternd.

„Ja", antwortete sie und fragte sich, auf was sie sich eben einließ. Aber sie hatte einfach keine Wahl.

„Gut!", sagte er zufrieden. „Vielleicht komme ich darauf zurück."

Dann ging er mit zwei großen Tüten aus dem Saal.

„Ich hoffe, nicht nur Luna und Winona haben Hunger, Tikki", hörte sie ihn noch mit seinem Mungo reden. „Ansonsten haben wir noch viel vor heute…ja ich weiß, dass du darauf hoffst…ich das trockene Brot und du den Belag…ja klar…vergiss es!"

Irgendwie klang er so ziemlich durchgeknallt, gestand sie sich ein. Aber das musste man wohl sein, wenn man sich einem galoppierenden Einhorn in den Weg stellte, selbst dann, wenn man es nicht sehen konnte.

Sie fühlte sich um einiges besser, als sie wenig später aufstand. Tarsuinn war nicht sonderlich nett zu ihr gewesen, sie erwartete auch keine überschäumende Freude, aber das Ende hatte sehr nach Frieden geklungen. Außerdem hatte es ihr gut getan, mal wieder mit jemandem in zu sprechen. Seit sie bei Professor Flitwick gewesen war, hatte sie selbst Gespräche mit den Lehrern vermieden.

Sie wollte gerade in den Slytherin-Kerker zurückkehren, als Professor Dumbledore sie an den Lehrertisch winkte. Eine Einladung, die man kaum ablehnen konnte.

Der Professor lächelte sie verschmitzt an und reichte ihr ein kleines Bonbon.

„Probieren Sie dieses hier, Miss", sagte er und seine Augen blitzten vor Vorfreude.

Sie nahm das Bonbon entgegen, als könnte es jederzeit explodieren, packte es aus und legte es, unter dem aufmerksamen Blick aller anwesenden Schüler, auf ihre Zunge. Sie hatte das Gefühl, eben freiwillig eine vergiftete Speise zu essen und besonders der erwartungsvolle Blick zweier großer, rothaariger Gryffindors machte sie nervös. Doch nichts geschah und sie musste zugeben, das Bonbon schmeckte hervorragend.

„Muss wohl ein Fehlzünder sein", kommentierte Dumbledore und die Spannung löste sich in allgemeinem Gelächter. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Toireasa."

Toireasa fühlte, wie sie hochrot wurde. War heute wirklich ihr Geburtstag? Sie hatte ihn völlig vergessen! Noch während sie unsicher dastand, wurde sie links und rechts am Arm ergriffen.

„Was? Geburtstag und ein Fehlzünder? Das können wir so nicht stehen lassen", sagte einer der rothaarigen Jungen neben ihr. „George, ich denke die junge Dame braucht ein wenig professionelle Hilfe bei der Auswahl ihrer Geschenke."

Widerwillig amüsiert, ließ Toireasa sich von den beiden rothaarigen Jungen die unterschiedlichsten Süßigkeiten verabreichen und erst als ihr rosa Dampf aus den Ohren pfiff, ihr Schluckauf quer durch die Halle hallte, ihre Haare in Farbexplosionen aufgingen und ihr Lachen in unzähligen Seifenblasen durch den Raum schwebte, ließ man von ihr ab. Die beiden rothaarigen älteren Jungen schienen von den ganzen Effekten begeisterter zu sein, als alle Erst- und Zweitklässler zusammen. Toireasa beobachtete lachend, mit welchem Perfektionismus sie gezielt die fiesesten Kombinationen heraussuchten und dann an sich selbst oder anderen testeten. Es wurde die glücklichste Stunde in Toireasas Leben, seit sie in Hogwarts angekommen war, abgesehen von dem Tag, als sie glaubte, es in die Hausmannschaft geschafft zu haben. Leider waren irgendwann die Süßigkeiten alle durchgetestet und die besten verbraucht, so dass Professor Dumbledore alle zum Schlafen in ihre Häuser schickte.

Im Kerker der Slytherins wurde sie zum ersten Mal überhaupt nicht beachtet, als sie sich in ihre Kammer schlich. Dabei kam sie an einigen aufgeplatzten Lippen und Beulen vorbei, auf die Eisbeutel gedrückt wurden. Außerdem war die allgemeine Stimmung irgendwie sehr nachdenklich, wenn nicht gar geschockt.

Der Duellierclub schien ja ein voller Erfolg gewesen zu sein, dachte sie innerlich lächelnd und verdrückte sich, bevor Malfoy oder Regina beschlossen, ihren Frust an Toireasa auszulassen.

Was immer auch die Slytherins im Duellierclub so geschockt hatte, Toireasa begrüßte es, weil ihr so der schöne Abend nicht kaputt gemacht wurde.

Zwei kleine Pakete von ihren Großeltern, die den Weg irgendwie in ihren Raum gefunden hatten, machten den Tag danach absolut perfekt.

Der nächste Tag begann gut und endete für die Schule in einem Desaster, denn am Vormittag wurde ein Schüler aus Hufflepuff versteinert aufgefunden.

Das allein war schon schlimm und entsetzt hörte Toireasa, dass es sich um einen Jungen mit Muggeleltern handelte, aber besonders beunruhigte die Nachricht, dass es auch den Hausgeist der Gryffindors erwischt hatte. Das hielt die Gruppe um Malfoy zwar nicht ab den Übergriff zu feiern, aber bei den restlichen Slytherins machte sich vermehrt Sorge breit. Viele fragten sich, ob die Schule nicht geschlossen werden würde, einige befürchteten, es könnte sie aus Versehen selbst erwischen, andere überprüften noch einmal ihren Stammbaum und die letzte Gruppe, zugegeben recht klein, empfand die Angriffe als falsch und überlegte, wie man sie unterbinden konnte.

So schlimm es war, der Zwischenfall hatte in den letzten Tagen vor Weihnachten eine recht positive Auswirkung auf Toireasas Leben. Malfoys Gang konzentrierte sich auf große Sprüche Richtung Gryffindor und Die Fabelhaften Fünf schienen sich ihrer Abstammung nicht sonderlich sicher zu sein, denn sie mieden es außerhalb des Unterrichts den Slytherin-Kerker zu verlassen.

Für alle anderen war Toireasas Fehltritt in den Hintergrund getreten, wenn auch nicht vergessen. Aber zumindest konnte sich Toireasa wieder etwas freier bewegen, ohne gleich von allen Seiten angefeindet zu werden. Nur offen freundlich mit ihr umzugehen, das getraute sich noch immer niemand.

Erst am Tag, als die meisten Schüler in die Weihnachtsferien nach Hause fuhren und Toireasa vom Mittagstisch der aufbrechenden und lärmenden Menge zusah, kam Aidan zu ihr. Sie hatte nun seit über einen Monat nicht ein Wort mit ihm gewechselt.

Er schaute sie unsagbar traurig an.

„Du kommst nicht mit?", fragte er mit gesenktem Kopf.

„Du hast Risteárd doch gehört – ich bin nicht erwünscht", erklärte sie und wünschte, sie würde selbst nicht so traurig klingen.

„Ich hatte gehofft, du kommst trotzdem mit, würdest das mit Ma und Dad klären und dich entschuldigen", sagte er und konnte sie immer noch nicht direkt ansehen.

„Ich wüsste nicht, wofür entschuldigen", presste sie hervor.

„Das ist doch verdammt noch mal egal!", fuhr er sie heftig an und zum ersten Mal konnte sie ihm ins Gesicht sehen. Sie war erstaunt, darin Tränen zu entdecken. „Entschuldige dich einfach und alles ist wieder gut. Ich will, dass wir wieder eine Familie sind!"

Mit einem unangenehmen Schaudern schaute Toireasa ihren Bruder an. Der Zwist schien ihn viel mehr mitzunehmen, als sie bisher geahnt hatte. Ja mehr sogar, als sie selbst.

„Es tut mir leid, Aidan", erwiderte sie. „Sie wollen mir nicht zuhören."

„Entschuldige dich doch einfach nur!", beharrte er verzweifelt. „Was ist denn schon dabei?"

Sie konnte nur mit dem Kopf schütteln.

„Bitte sie, mir zu schreiben und nach dem zu fragen, was wirklich passiert ist. Ich werde ihnen jede Einzelheit schildern und wenn sie mir dann Fehler zeigen können, werde ich diese einsehen und mich entschuldigen."

„Schreib ihnen doch einfach so", flehte er.

„Wie soll ich denn? Sie haben an jeden, den wir kennen, Briefe mit dem Inhalt geschickt: Toireasa Davian-Keary ist nicht mehr ein Teil der Familie Davian-Keary!"

Aidan war bei ihren Worten einen Schritt zurückgewichen.

„An alle?", fragte er entsetzt.

„Ja!", zischte Toireasa wütend. „Nur nicht an meine Großeltern! Nett nicht?! Ach ja – wenn du Mr und Mrs Davian-Keary siehst,…"

Ihre Stimme nahm einen ätzenden Tonfall an.

„…dann sag ihnen, ich hätte die Wahrheit über die Vergangenheit meiner leiblichen Eltern lieber aus dem Mund eines Verwandten erfahren und nicht von einem Lehrer."

Aidan schien nun kurz davor, vor ihrer Wut wegzulaufen. Ein Anblick, der sie ein wenig zur Vernunft brachte.

„Es tut mir leid, dass du dazwischen geraten bist", sagte sie sanft. „Ich mag dich sehr Aidan, aber ich wurde fallen gelassen und ich weiß nicht wirklich warum. Es war, als hätte man die erste Gelegenheit genutzt, sich meiner zu entledigen. Vielleicht hast du mehr Glück dabei herauszufinden warum. Ich bleibe hier und werde auch keinen weiteren Schritt in Richtung deiner Eltern unternehmen. Eltern müssen vernünftig sein – nicht die Kinder!"

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