- Kapitel 16 -

Rica McNamara

Die Zugfahrt zurück nach London war eine recht lustige Angelegenheit. Dank Toireasas Warnung, hielten sich alle seine Freunde mit ihm im Abteil auf. Selbst Ian und Luna hatten eine Art Burgfrieden geschlossen. Sie spielten miteinander explosives Mau-Mau, ein Spiel, das Cassandra von einem Gryffindor gelernt hatte und seitdem mit Begeisterung innerhalb Ravenclaws verbreitete. Dabei kommentierte sie jede Explosion mit den Worten: „Das ist für dich, Snape!"

Tarsuinn hatte langsam das Gefühl, dass Cassandra sich da in etwas hineinsteigerte.

Mit einem leichten Stich der Schuld war ihm sehr bewusst, dass er nach seiner Verletzung nicht mehr mit ihr geübt hatte. Er gelobte sich Besserung für das neue Jahr.

Alec versuchte ihm gerade die Feinheiten des Zaubererschachs beizubringen – weder Alec noch Tarsuinn waren besondere Leuchten in diesem Spiel – aber sie hinterließen wenigstens jedes Mal ein grusliges Schlachtfeld. Alec war gerade dabei einen Bauernsturmangriff zu initiieren, als Tarsuinns Nase und Ohren ihn warnten. Waldmeister und trippelnde Schritte.

„Slytherin!", flüsterte er. Sofort waren alle still.

„Nur zwei", fügte er hinzu.

Sekunden später wurde die Kabinentür zur Seite geschoben. Sehr langsam und vorsichtig, wie Tarsuinn fand. Gar nicht so energisch wie erwartet.

„Ach wie süß…", freute sich Vivian Hogan mit falscher Begeisterung, „…sie sind alle da."

„Da hat wohl wer den Köder geschluckt", kicherte Regina Kosloff gemein. „Auf Toireasa ist halt Verlass."

„Haut ab oder wir werfen euch raus!", fauchte Alec.

„Das solltet ihr euch überlegen", lachte Hogan überlegen. „Seht ihr das hier?"

Tarsuinn stand bei dieser Frage ziemlich im Regen, aber Tikki gab einen leisen Warnpfiff von sich. Glücklicherweise erklärte Hogan selbst weiter.

„In dieser Flasche, die etwas unter Druck steht, ist ein wenig Schwelltrank. Lasse ich sie fallen, dann habt ihr ein Problem und ich schätze, nur ich weiß, wo hier im Zug das Gegenmittel ist."

„Vielleicht sollten wir es darauf ankommen lassen", ließ Alec sich nicht einschüchtern. „Du lässt es eh fallen, aber würdest es wenigstens auch bereuen!"

„Aber, aber", feixte Hogan. „Wer wird denn gleich so aggressiv sein? Ich möchte doch nur einige Minuten eure Aufmerksamkeit genießen. Der Schwelltrank soll euch nur von Dummheiten abhalten."

„Dann bring es hinter dich", mischte sich Cassandra ein. Das Mädchen bemühte sich gelangweilt zu klingen, doch es war offensichtlich, dass sie ein wenig die Drohung fürchtete.

„Ihr dürft uns nicht als Feinde betrachten", erklärte Kosloff. „Denn eigentlich sind wir hier, um euch vor Ärger zu bewahren."

„Wir haben ein Herz für die niederen Häuser", bestätigte Hogan.

„Kommt zum Thema", zischte Ian. „Sonst wähle ich das schnelle Ende mit Schrecken."

„Aber natürlich. Wie der junge Herr aus gutem Hause wünscht", erwiderte Hogan. „Regina, könntest du bitte?"

Ein Pergament wurde entrollt und Hogan verlas mit überdeutlicher Stimme einen Brief.

Sehr geehrte Miss Hogan,

hiermit möchten wir Ihnen eine Antwort auf Ihren Brief geben und zunächst die wichtigste Frage beantworten:

Ja, Sie sollten besorgt sein!

Vor allem da, wie wir inzwischen auf Anfrage bei Ihrem Schulleiter erfahren haben, Ihre Frage nicht theoretischer Natur war.

Da Sie jedoch so besorgt um Ihren Mitschüler sind, haben Sie auch eine genauere Antwort verdient.

Die von Ihnen eingehend geschilderten Symptome – Schlaflosigkeit, Angstattacken, Gefühlskälte, Lebensunlust, Alpträume – zeugen von einer stark angegriffenen Psyche. Laut Aussage Ihres Direktors besteht keine unmittelbare Gefahr des baldigen Kontrollverlustes, doch nach Konsultation einiger Kollegen hier im St. Mungos Hospital, sind wir uns dessen nicht so sicher. Wir haben Fälle der Vergangenheit mit Ihrer Beschreibung verglichen und haben mit Besorgnis feststellen müssen, dass es viele ähnlich gelagerte Krankheitsverläufe gab und alle endeten gleich – in einem gewalttätigen Ausbruch. Auslöser sind meist extreme Gefühlszustände und Stresssituationen. Vor allem Angst und Wut in Verbindung mit traumatischen Erlebnissen kann zu Gewalttätigkeiten gegen andere und gegen den Kranken selbst führen.

Wir möchten Ihnen nahe legen, sich von fraglicher Person fernzuhalten und zu verhindern, dass es zu emotionalen Extremzuständen kommt. Warnen Sie Ihre Mitschüler und Lehrer. Wir haben zeitgleich mit diesem Brief je einen weiteren an den Direktor von Hogwarts, das Zaubereiministerium und an den Schulrat geschickt, in dem wir eine nähere Untersuchung im St. Mungos empfehlen.

Wir wollen doch nicht, dass sich die Tragödie von Jack Sjöson wiederholt.

Hochachtungsvoll

Dougal Pernicio

(Stellvertretender Oberheiler der Abteilung für seelische Erkrankungen)

Tarsuinn empfand Hass und zum ersten Mal in seinem Leben war es nicht in einem Traum. Wenn es Kosloff und Hogan wirklich nur aus Sorge um die anderen Schüler gegangen wäre, dann hätte er es verstanden. Er hätte es sogar begrüßt, wenn sie zu ihm gekommen wären und ihn gebeten hätten, sich diesen Brief durchzulesen, denn im Grunde standen da nur all die Befürchtungen drin, die er selbst hegte.

Aber die beiden Slytherin-Mädchen hatten den Brief nur benutzt, um ihn vor seinen Freunden zu blamieren und sie ihm abspenstig zu machen. Sie glaubten selbst nicht an das, was da stand. Davon zeugte ihr fieses Lachen. Wahrscheinlich hatten sie in ihrem Brief an den Arzt deutlich übertrieben, ohne zu wissen, wie nah sie der Wahrheit wirklich waren. Das bedeutete aber auch, dass Toireasa nichts über ihn erzählt hatte, denn hätte sie den Mädchen etwas mehr mitgeteilt, dann hätten sie nicht so verletzend gelacht. Stattdessen hätten sie sich eher Sorgen machen müssen.

„Erwähnen sollte ich, dass Dumbledore heute deswegen ins Ministerium gerufen wurde und wenn alles gut läuft, wird dieser – Freak – da nicht mehr nach Hogwarts zurückkehren", freute sich Kosloff unverhohlen.

„Hau – bloß – ab", keuchte Winona. In ihrer Stimme tobte der Zorn.

„Lass den Zauberstab stecken, Darkcloud!", fauchte Hogan sofort. „Du vergisst das hier!"

Tarsuinns Ohren hörten, wie die Flüssigkeit in dem Glas hin und her schwappte.

„Ihr solltet trotzdem gehen!", sagte Ian relativ ruhig. „Wir könnten sonst zur Ansicht kommen, es würde das Opfer lohnen."

„Wir sind hier noch nicht fertig", erwiderte Kosloff. „Denn eines habt ihr alle hier noch nicht begriffen. Sjöson ist schwedisch und besteht aus den Worten Sjö, was Meer bedeutet und Son, was mit Sohn übersetzt wird. Zusammen also Sohn des Meeres. Na klingelt's? Anscheinend nicht. Okay, weiter.

McNamara. Mac steht für Sohn, Na für von und Mara für das Meer. Erstaunliche Parallelen, nicht wahr? Forscht man nun etwas nach, erfährt man, dass Jack Sjönson nach seiner Hinrichtung eine schwangere Frau hinterließ, die nach Schottland flüchtete und dort dann für ihr Kind, einen Sohn, den Namen McNammar annahm. Die McNammars zeichneten sich im letzten Jahrhundert vor allem durch geringe magische Fähigkeiten und eine lange Liste kleinerer Verbrechen aus. Außerdem gab es immer wieder Familienmitglieder, die zeitweise oder für immer in diversen Heilanstalten nächtigten. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts verschwanden dann die McNammars und man glaubte, die Familienlinie sei beendet."

„Was bedeutet…", fügte Hogan hinzu, „…wenn dieser Muggel ein Nachfahre der McNammars ist, dann ist dies ganz sicher kein Gewinn für die Zaubererwelt."

„Und falls ihr es noch nicht wisst, viele Geisteskrankheiten sind vererbbar", ergänzte Kosloff zu guter Letzt, was zumindest Winona zur Weißglut zu bringen schien. Tarsuinn hörte das Mädchen aufspringen. Das konnte nur in einer Katastrophe enden. Schnell bewegte er sich zu ihr und drückte sie wieder in ihren Sitz.

„Nicht!", sagte er bestimmt und drehte sich dann den Slytherin-Mädchen zu. „Verzieht euch!"

„Und wenn wir keine Lust haben?", forderte ihn Vivian Hogan heraus.

Als Antwort zog Tarsuinn betont langsam den Umhang von seinen Schultern und nahm ihn in die linke Hand. Wahrscheinlich schauten jetzt einige recht befremdet auf das lange Messer, das er seit seinem Zusammenstoß mit Snape in einer Scheide an der Hüfte trug.

„Schon mal überlegt, was sein könnte, wenn das alles stimmt?", fragte er leise, ohne sich seine Wut anmerken zu lassen. „Wäre dein Zauber schneller als mein Messer?"

Es war still im Abteil. Tarsuinn konnte spüren, wie entsetzt die Slytherins, aber auch seine Freunde, über diese Drohung waren.

Plötzlich schwappte die Flüssigkeit im Glas heftig und Tikki stieß einen Warnruf aus. Geübt durch sein regelmäßiges Ballspielen mit Merton, riss Tarsuinn seinen Umhang vor sich hoch und spürte, wie etwas weich dagegen prallte. Schnell formte er mit der rechten Hand unter dem Einschlagpunkt eine Art kleinen Sack und verhinderte so, dass das Glas auf den Boden fallen konnte. Trotzdem hörte er, wie sich der Pfropfen unter dem Druck und dem Geschüttel öffnete, doch der Inhalt benetzte nur den Stoff. Energisch hielt Tarsuinn den Slytherin-Mädchen den nassen Stoff entgegen. Zum Glück wirkte Schwelltrank nur auf lebende Materie, denn Tarsuinn hörte, wie ihm einige Tropfen auf die Schuhe fielen.

„Es ist Zeit zu gehen", sagte Tarsuinn ernst und atmete schwer. „Ihr seid und wart hier nicht erwünscht."

Augenblicke später hörte er vier trappelnde Füße sich schnell entfernen. Selbst völlig perplex stand er mitten im Abteil und hielt immer noch seinen Umhang weit von sich gestreckt.

„Ähem – könnte mir bitte jemand den Umhang abnehmen?", bat er. „Ich weiß nicht, wo ich ihn anfassen kann und wohin es tropft."

„Ich nehm ihn", bot Ian an. „Am besten, ich wasch ihn aus und verdünne den Trank dadurch so weit, dass er keinen Schaden mehr anrichten kann."

Das Kleidungsstück wurde Tarsuinn vorsichtig aus der Hand genommen.

„Moment. Ich komme mit", sagte Cassandra. „Du saust den Weg ein, wenn nicht jemand die Tropfen auffängt."

„Und mich musst du entschuldigen", zischte Merton. „Ich hab eine Stinkbombe in ein Abteil zu werfen."

„Das will ich sehen", erklärte Alec rachsüchtig.

Niemand hielt die zwei auf. Tarsuinn stand immer noch, wie vom Donner gerührt, im Abteil. Er hatte nur mit Mühe dem Drang widerstanden, die beiden Slytherin-Mädchen mit dem nassen Umhang zu schlagen. Eigentlich hatte nur der Wille zu beweisen, dass er nicht gefährlich war, ihn daran gehindert.

„Du darfst dir das nicht zu Herzen nehmen", flüsterte Winona in sein Ohr und sie drückte seine Hand. „Die wollten dir doch nur Weihnachten vermiesen."

„Aber sie könnten Recht haben", sagte er und fühlte, wie eine Träne seine Wangen herunter rann. „Es passt so gut."

„Selbst wenn!", tröstete sie. „Du bist zu stark, um dich unterkriegen zu lassen."

„Bin ich das wirklich?", fragte er verzweifelt und umklammerte den Messerknauf.

„Ja, verflucht!", bestand Winona und drückte seine Hand, so dass es schmerzte.

„Außerdem solltest du folgendes bedenken!", sagte Luna von ihrem Platz aus. „Sollte dieser menschliche Abfall (Tarsuinn genoss diese Beschimpfung der Slytherin-Mädchen) Recht haben, dann bist du zwar irre, aber wenigstens stammst du von Zauberern und Hexen ab!"

„Danke, Luna", zischte Winona sarkastisch. „Das war jetzt extrem hilfreich."

Tarsuinn konnte ein mattes Lächeln nicht unterdrücken.

„Lieber ein irrer Magier, als ein magischer Irrer", meinte er und obwohl es nicht sonderlich logisch war, fand er es sehr komisch. Warum, konnte er selbst nicht sagen. „Glaubt ihr, Dumbledore braucht noch einen Hofnarren?"

„Nein!", sagte Winona entschieden. „Der Platz wird schon von den Slytherins gehalten."

„Und was die einmal haben, geben sie so schnell nicht mehr her", setzte Luna völlig ernst noch einen oben drauf. Tarsuinn fühlte, wie sein Lächeln breiter wurde.

Freunde, dachte er. Es gibt fast nichts Besseres.

Wenig später kamen Cassandra und Ian mit seinem patschnassen Umhang zurück.

„Ich hoffe mal, den Muggeln fällt nicht auf, dass das Gras auf dem Gleis ein wenig zu hoch ist diesen Winter", sagte Ian. „Es sollte jetzt aber ungefährlich sein ihn anzufassen."

„Danke", meinte Tarsuinn etwas betreten.

„Für einen Freund doch immer", erklärte Cassandra deutlicher als nötig.

Es war dieser Satz, der Tarsuinn erst wirklich klar machte, dass er neben Winona und Luna noch andere Freunde hatte, die ihm vertrauten. Er wollte gerade irgendetwas völlig Unpassendes stammeln, als er ein leises Knallen, ein Zischen und dann laute Schreie hörte. Sekunden später kamen Merton und Alec lachend ins Abteil gesprintet und warfen sich auf ihre Plätze. Winona ließ Tarsuinns Hand los, bevor es jemand bemerken konnte, und drückte ihn auf seinen Sitzplatz. Tikki sprang sofort wieder auf seinen Schoß.

„Wir waren nie weg", keuchte Merton. „Okay?"

„Hab euch nicht gehen sehen", antwortete Tarsuinn und zog tief die Luft ein.

„Stufe fünf?", fragte er nach einem Moment entsetzt.

„Nee, nur vier", freute sich Merton. „Die haben sie sich redlich verdient. Aber jetzt bitte still."

Das waren sie auch. Nur Winona mischte die Karten und verteilte sie dann.

„Still zu sein ist ein wenig zu auffällig, oder etwa nicht?", sagte sie leise und fügte laut hinzu: „Okay – Explosives Mau-Mau – Sonderregel, grün kann niemals Trumpf sein und die grüne Dame ist die niedrigste Karte im Spiel."

Kichernd nahm jeder seine Karten, selbst Tarsuinn, der eh immer nur die Karte spielte, die Tikki gerade für hübsch befand. Das gab dem Spiel eine recht chaotische Komponente, die meist zu furchtbaren Irrungen und Wirrungen bei den anderen führte. Tarsuinn hatte so sogar schon mal gewonnen, obwohl er da nicht so sicher war, ob man sich nicht zu seinem Sieg verschworen hatte.

Sie schafften nicht einmal das erste Spiel, als die Tür des Abteils geöffnet wurde und Penelope da stand.

„Die Slytherins behaupten, ihr hättet eine Stinkbombe in ihr Abteil geworfen", sagte sie zornig.

„Welchen Grund sollten wir haben?", fragte Merton gelangweilt.

„Tarsuinn natürlich!", antwortete Penelope und ihr Unglaube war fast greifbar.

„Wir haben versprochen ihnen nichts zu tun, solange sie ihn in Ruhe lassen", erklärte Merton und spielte eine Karte aus.

„Rot sieben", fügte er noch für Tarsuinn hinzu.

„Und? Haben sie dich in Ruhe gelassen, Tarsuinn?", forschte die Vertrauensschülerin.

„Ich hatte die letzten drei Wochen keine Probleme in der Schule", versicherte Tarsuinn wahrheitsgemäß und spielte für Tikki die vierte Karte von links.

„Ach, wirklich?", sagte die Vertrauensschülerin zweifelnd.

Tikki gewann den Stich.

„Wirklich!", sagte Tarsuinn und spielte die Karte ganz rechts.

„Na dann werde ich mal Samuel sagen, dass es keine Hogwarts-Fehde war", sagte Penelope und ging davon.

Kaum war sie weg, fragte Alec nüchtern: „Warum zum Teufel schaffen wir es nie, Penelope richtig anzulügen?"

„Weil sie uns meist deckt, wenn sie unsere Gründe versteht und es im Rahmen bleibt", erklärte Merton, der dank seiner Stinkbomben mehr Erfahrungen mit Penelope gesammelt hatte, als jeder andere in der Ersten Klasse. „Deshalb auch nur Stufe vier."

„Was ist eigentlich Stufe vier?", erkundigte sich Winona flüsternd.

„Stufe vier wirkt nur zehn Minuten…", sagte Merton, „…und haftet nicht an der Kleidung!"

„Du hast Stinkbomben nach ihrer Wirkung katalogisiert?", fragte Alec verblüfft.

„Natürlich! Du weißt doch, was Snape immer behauptet?! Der Standard-Ravenclaw kann nicht mal ohne einen Plan aufs Klo gehen…ich schätze, bei mir hat er damit Recht."

„Merton hat einen ganzen Katalog angelegt", führte Tarsuinn weiter aus. „Mit Wirkweise, Nebenwirkungen, Problemfällen, Gegenanzeigen und eine Verbrechenskategorie. Plus einer Einschätzung der maximal zu erwartenden Strafe."

„Ich denke, Merton sollte Jurist werden", lachte Cassandra. „Sofern er nicht die Laufbahn eines Verbrechers einschlägt!"

„Verbrecher geht leider nicht", kommentierte Merton voll gespielter Traurigkeit. „Denn ich weiß genau, dass du mir auf den Hacken hängen würdest."

„Und Ian würde in den Propheten schreiben, dass sich diese Laufbahn schon in deiner Jugend abzeichnete!", fügte Alec grinsend hinzu.

„Das würde ich nie!", wehrte dieser sich lachend. „Ich bin der Wahrheit verpflichtet. Ich würde schreiben, dass Merton schon als Verbrecher nach Hogwarts kam und wir ihm einfach nicht helfen konnten."

„Herzlichsten Dank, Ian!", lachte Merton.

Tarsuinn wunderte sich ein wenig darüber. Er empfand die Frotzeleien Merton gegenüber als etwas zu übertrieben, aber anscheinend war er der Einzige der so empfand. Alle anderen amüsierten sich köstlich.

Und dann kam noch hinzu, dass niemand Fragen an Tarsuinn stellte. Keiner seiner Freunde schien neugierig oder dem von den Slytherins Gehörten irgendeine Bedeutung zu schenken. Obwohl sie alle ahnten, dass es durchaus wahr sein konnte. Sie mussten es einfach annehmen. Sie hatten erlebt, wie er aus seinem zu langen Alptraum aufgewacht war. Das hatte ihm Winona gebeichtet. Sie konnten das doch nicht ignorieren?!

Irgendwann beschloss er dann mit dem Grübeln aufzuhören und schloss sich der allgemeinen Fröhlichkeit wieder an. Zum Vergnügen aller, erzählte Merton leise von den grünen Gesichtern der fünf Slytherin-Mädchen (und noch drei Jungen, die zufällig mit im Abteil gewesen waren). Er schwor auch, dass sich mindestens einer der Acht geräuschvoll übergeben hatte, wobei Tarsuinn verzichtete darauf hinzuweisen, dass er selbst das nicht gehört hatte. Am Ende war es jedoch eine schöne Reise gewesen.

Trotzdem wurde Tarsuinn nervös, als es dem Ende zuging.

„Bin ich ordentlich angezogen?", fragte er unsicher, als er seine Winterjacke umgelegt hatte, und fingerte an seinem Schal herum. Er war normale (Muggel-) Kleidung schon fast nicht mehr gewohnt. „Alles korrekt so?"

„Mein Gott!", stieß Ian aus.

„Unglaublich", pflichtete Alec lachend bei. „Tarsuinn geht die Muffe vor seiner Schwester."

„Die Schwester muss ich kennen lernen", meinte Cassandra. „Ich hab ihr einiges zu erzählen."

Das half nicht sonderlich, um Tarsuinn zu beruhigen. Er lächelte zwar über die Scherze, aber in seinem Magen rumorte es.

„Alles ist korrekt", beruhigte Winona leise. In ihrer Stimme lag alles andere als Begeisterung, doch in seiner eigenen Vorfreude entging ihm das.

Auf dem Bahnsteig war akustisch die Hölle los. Überall sich laut begrüßende Familien, durcheinander laufende Menschen und Tiere, die Lärm wegen des vielen Lärms machten. Ohne Tikki wäre das zuviel für Tarsuinn gewesen. Eigentlich war es erstaunlich, dass ein Tier der Wildnis, wie Tikki, besser mit Menschenmengen klar kam als er.

Merton, Alec, Cassandra und Ian hatten inzwischen ihre Eltern entdeckt und begrüßten diese stürmisch.

„Da ist mein Vater", sagte plötzlich Luna. „Und die Frau neben ihm muss dann deine Schwester sein. Komm!"

Luna und Winona führten ihn quer über den Bahnsteig. Als sie stehen blieben, zog er tief die Luft ein und ging dann langsam auf eine Person zu, die leicht nach Krankenhaus und Lotus duftete.

„Rica?", fragte er, was sofort mit einem rauen Lachen quittiert wurde. Rica ging vor ihm auf die Knie und ihre Arme schlangen sich um ihn.

„Hallo, mein Kleiner", flüsterte sie.

Er drehte den Kopf nach rechts und legte vorsichtig seine linke Wange gegen die ihre. Ihre Haut war weich und warm wie immer, doch auch sehr dünn, und er konnte die Wangenknochen überaus deutlich spüren. Sanft fuhr er ihr mit den Händen über den Kopf und über ihre linke Gesichtshälfte. Sie trug ein Barett und die rechte Gesichtshälfte verhüllte ein Seidentuch. Ricas Haare waren nicht mehr rückenlang, wie er sie in Erinnerung hatte, sondern nur einige Millimeter kurz – und irgendwie dünn.

„Schön dich zu fühlen, Rica", flüsterte er in ihr Ohr.

Ihre Arme schlangen sich etwas fester um ihn. Nicht nur die Haare waren dünn, stellte er mit einem kalten Schaudern fest. Nach einigen Sekunden löste sie sich ein Stück.

„Hallo, Tikki", sagte Rica und streichelte den Mungo auf seiner Schulter. „Danke, dass du auf Tarsuinn aufgepasst hast."

Tikki schnurrte begeistert und wechselte sofort auf Ricas Schulter. Seine Schwester richtete sich auf und ergriff seine Hand.

„Tarsuinn, möchtest du mir nicht deine Freunde vorstellen?", fragte sie amüsiert-vorwurfsvoll.

„Oh ja…klar. Also, das sind Luna und Winona. Ich hab dir ja von ihnen geschrieben. Und na ja…"

„Hallo, ihr beiden!", begrüßte Rica die Mädchen und drückte ihnen wahrscheinlich die Hand. „Ich bin sehr erfreut euch kennen zu lernen."

„Wir freuen uns auch, Miss McNamara", hörte er Winona höflich antworten.

„Lass das mit der Miss. Ich bin erst achtzehn, Rica reicht völlig", erklärte seine Schwester.

Dann war einen Augenblick Stille.

„Du bist Luna?", fragte dann Rica leise, relativ zum Krach um sie herum.

„Ja?!", sagte das Mädchen und wirkte ein wenig eingeschüchtert.

Das war eine relativ normale Reaktion auf Rica. Ein Junge in Hongkong hatte ihm mal erzählt, dass man sich immer fragte, was man falsch gemacht hatte, wenn Rica einen ansah.

„Möchtest du nicht Tarsuinn deinem Vater vorstellen?", flüsterte Rica belustigt.

„Reicht es nicht, wenn du mich blamierst", murmelte Tarsuinn betreten und drehte sich der Person zu, deren Anwesenheit er fast vergessen hatte. Er streckte die Hand vor und wollte sich vorstellen, als Luna ihm zuvorkam.

„Dad, das ist Tarsuinn McNamara. Tarsuinn, das ist mein Dad", sagte sie schüchtern.

„Schön dich persönlich zu treffen", erklärte Lunas Vater mit einer recht leisen, zurückhaltenden Stimme. Er klang nicht gerade wie ein Mann, der knallharte Interviews führen konnte. Dazu kam eine fast zierlich zu nennende Hand. Der dazugehörende Mann musste deutlich kleiner als Rica sein, die über einhundertachtzig Zentimeter maß. Aber Mr Lovegood hatte einen festen, bestimmten Händedruck.

„Ich bin begeisterter Leser des Quibblers, Mr Lovegood", sagte Tarsuinn, da ihm nichts Besseres einfiel.

Das brachte den Mann zum Lachen. Ein recht angenehmer Klang und unerwartet tief.

„Endlich mal jemand, der sich nicht scheut zuzugeben, dass er den Quibbler liest und mag", freute er sich und eine dicke Brise Ironie zog über Tarsuinn hinweg. „Aber darüber können wir später sprechen, Tarsuinn. Luna schaut mich schon so vorwurfsvoll an. Kommt! Ein Muggel-Taxi-Dings wartet draußen auf uns, da das Ministerium ein paar Extraregeln für uns aufgestellt hat."

Er führte sie durch den Tunnel, der eigentlich eine Wand war, und dann über den Bahnhof nach draußen. Tarsuinn hielt seine Hand fest um die von Rica.

Auf der Straße angekommen, gingen sie sofort zu einem Taxi.

„Und was ist mit Ihnen, junge Dame?", fragte Mr Lovegood beim Einpacken des Gepäckes in den Kofferraum.

„Ich werde mir auch ein Taxi nach Hause nehmen", erwiderte Winona düster. „Ich weiß, wie man das macht und habe auch das nötige Geld."

„Du bist die Tochter der Darkclouds?", vermutete Mr Lovegood irgendwie mitfühlend.

Winona gab keine Antwort, was vermuten ließ, dass sie nickte.

„Wir nehmen dich mit zur Winkelgasse. Von dort reisen wir dann mit Flohpulver nach Hause", bestimmte Lunas Vater. „Keine Widerrede. Eigentlich sollte man annehmen, dass sie sich wenigstens darum kümmern würden."

Und so geschah es. Sie fuhren mit zwei Taxen zum Tropfenden Kessel und gingen dann in die Winkelgasse. Obwohl Tarsuinn liebend gern hier ein wenig herumgestromert wäre, die Gerüche und Geräusche waren wie immer sehr verführerisch, trieb Mr Lovegood sie schnell zu dem Kamin-Bahnhof, demselben, den er schon mit Hagrid kennen gelernt hatte. Zuerst verabschiedeten sie sich von Winona, dann ging Luna und als nächstes seine Schwester auf die Reise. Die Ruhe, mit der Rica dann ihren Zielort aussprach (Lunas Castle) und das Flohpulver benutzte, ließ ihn vermuten, dass sie auf diese Weise schon nach London gekommen war. Dann war er selbst dran und er musste feststellen, dass er eine Reise auf diese Art noch immer hasste.

Sekunden später stand er dann in einem Haus und wurde von Rica aus dem Kamin gezogen. Kurz darauf folgte auch Mr Lovegood.

Sofort lief Tikki wieder von Ricas auf seine Schulter. Sie wusste, er würde ihre Hilfe in einem unbekannten Haus brauchen.

„So, jetzt können wir das normale Feuer wieder anmachen", bemerkte Mr Lovegood. „Moment."

Zwei kurze Worte und schon prasselte rechts von Tarsuinn ein Feuer.

„Fühlt euch wie zu Hause", fuhr er fort. „Rica, Tarsuinn. Wärmt euch doch ein wenig am Kamin auf. Luna und ich bringen die Sachen nach oben und machen dann eine Kleinigkeit zu essen. Du hilfst mir doch, Luna, oder?"

„Natürlich, Dad", antwortete Luna sofort und die beiden gingen eine Treppe im linken hinteren Teil des Raumes nach oben.

„Sie sind sehr rücksichtsvoll", flüsterte Rica amüsiert und zog ihn zu einem bequemen Sofa.

„Wie geht es dir?", fragte seine Schwester und kam damit seiner eigenen – gleich lautenden Frage – zuvor. Er fühlte sich intensiv gemustert.

„Gut", behauptete er und ließ es zu, dass sie ihm prüfend über die Haare und die Wangen strich.

„Körperlich mag das stimmen", entgegnete sie. „Du bist gewachsen und gut genährt. Das Essen in Hogwarts scheint wirklich nahrhaft zu sein."

„Man kann essen soviel man will", erzählte er. „Es ist immer genug da. Aber du…"

„Wie geht es dir aber ansonsten?", unterbrach sie ihn. „Und keine Ausreden bitte."

Tarsuinn beschloss, ihr all diese Fragen dann auch selbst zu stellen.

„Ich hab mich nicht mehr so gut unter Kontrolle", gestand er und war froh, ihr niemals über seinen Angriff auf Professor Snape geschrieben zu haben.

„Wie sind die Träume?", fragte sie weiter.

„Ein wenig schlimmer!", log er.

„Ein wenig?", erkundigte sie sich scharf in einem Ton, dem er noch nie etwas entgegenzusetzen hatte.

„Na gut – deutlich schlimmer", gab er zu, schränkte jedoch sofort ein. „Aber ich verkrafte sie auch viel besser als früher."

Liebevoll strich ihre weiche Hand erneut über seine Wange. Er schloss die Augen und konzentrierte sich nur auf die Berührung, versuchte die Erinnerung für immer festzuhalten.

„Du musst mir eines versprechen, Kleiner", sagte Rica nach einer Weile.

Er nickte zur Antwort.

„Höre auf Tikki! Immer! Sie weiß besser als ich, was gut für dich ist. Glaub mir."

„Ich verspreche es", sagte er zur Antwort und tastete mit seinen Fingern nach ihr. Vorsichtig fuhr er ihr mit den Fingerspitzen über die linke Gesichtshälfte. In seinem Kopf entstand so ein Bild von ihr.

Sanft nahm er ihr das Barett ab und zog das Seidentuch beiseite. Vorsichtig fuhren nun seine Finger über das Narbengewebe, das die rechte Seite des Gesichts verunstaltete.

„Es ist nicht besser geworden", flüsterte er enttäuscht. „Die Salbe hat nicht geholfen."

„Aber alle anderen haben", tröstete Rica ihn. „Ansonsten säße ich nicht hier, sondern wäre vor ein paar Wochen an einer Lungenentzündung gestorben. Du hast mir einige Monate geschenkt."

„Nur Monate!", entfuhr es ihm verzweifelt und zum zweiten Mal an diesem Tag rann eine Träne seine Wange hinunter.

„Mein Gott!", sagte Rica sanft und zog ihn nah an sich heran. „Du hast ja das Weinen gelernt."

Er vergrub sein Gesicht in ihrer Schulter.

Genau das, was Rica jetzt nicht brauchte, aber er konnte nicht mehr. Sie ließ ihn eine Weile gewähren, dann hob sie seinen Kopf ein wenig hoch und wischte die Tränen weg.

„Heh, mein Kleiner. Ich bin dankbar für jede Stunde und aufgrund deiner Tränke fühle ich weder Schmerzen, noch muss ich fürchten an einer einfachen Erkältung zu sterben. Ich habe im Moment, trotz der Chemotherapie, das Immunsystem eines kerngesunden Menschen. Ich sieche nicht mehr nur in einem Krankenhaus dahin, sondern kann spazieren gehen, das Wochenende außerhalb des Hospitals verbringen und mit meinem kleinen Bruder Weihnachten feiern. Was will ich im Moment mehr?"

„Vollständig gesund sein?", beantwortete er die eigentlich rhetorische Frage.

„Für heute reicht es mir, mit dir und den Lovegoods hier zu sein."

„Ich wünschte, wir wären nur zu zweit", gestand Tarsuinn. „Mr Lovegood schreibt eine Zeitung und ich glaub Luna will, dass er über mich schreibt."

„Keine Sorge", lachte Rica. „Mr Lovegood scheint ein sehr netter Mann zu sein. Ich hab ihm sogar die letzten drei Tage ein wenig bei seiner Zeitung geholfen. Diese Zauberwelt scheint ja furchtbar aufregend zu sein."

Jetzt musste auch Tarsuinn lachen.

„Du darfst nicht alles glauben, was im Quibbler steht", erklärte er. „Genau genommen, ist wahrscheinlich nicht mal ein Zehntel davon wahr."

„Wirklich? Hast du nicht gesagt, du magst die Zeitung?"

„Ich mag sie sogar sehr. Sie ist phantasievoll und interessant. Nur halt nicht sonderlich glaubwürdig, beziehungsweise stark übertrieben. Außerdem machen gerade die wahren zehn Prozent die Sache so aufregend."

„Ich hatte den Eindruck, Mr Lovegood glaubt an alles", merkte Rica an.

„Genau wie Luna", stimmte er zu. „Zumindest behauptet sie das."

„Sie ist noch in dem Alter, in dem man seinen Eltern alles glaubt."

„Das bin ich auch noch!"

„Siehst du."

Eine entwaffnende Logik. Es dauerte einen Moment, bevor er sich davon erholte. Ein düsteres Geständnis formte sich in seinem Kopf.

„Rica?", flüsterte er nach einer Weile betreten.

„Ja?"

„Ich bezweifle, dass ich jemals Magie ausüben kann", sagte er noch leiser.

Die Worte kamen nur langsam und zäh über seine Lippen. Es war, als würde er ihr Todesurteil vorlesen.

„Ach, verdammt", fluchte Rica. „Nun hör mir mal zu. Ich erwarte nicht, dass du es rechtzeitig schaffst und selbst wenn, ich erwarte auch nicht, dass man mich dann heilen kann! Was ich erwarte ist, dass du dann deine Macht kontrolliert und zu einem guten Zweck einsetzt, so dass ich stolz auf dich sein kann. Du hast mir von dem Haus mit den Geistern geschrieben – ich war stolz, dass du der Versuchung widerstanden hast. Ich will nicht auf Kosten anderer leben, sondern lieber in Würde sterben! Daran solltest du immer denken!"

„Versprochen", sagte er eingeschüchtert von der Vehemenz in ihrer Stimme. Deshalb beschloss er auch alle anderen Fragen, die er noch hatte, auf nach Weihnachten zu verschieben. Seine Fragen würden unangenehme Erinnerungen wecken und er versprach sich im Stillen, ihr wenigstens ein schönes Weihnachten zu schenken. Alles andere hatte zu warten.

„Zeigst du mir das Haus?", bat er.

Sie zog wieder ihr Tuch über die rechte Gesichtshälfte, dann führte sie ihn durch ein wirklich beeindruckendes Haus.

Beeindruckend nicht, weil es sehr groß war, sondern weil es so alltäglich war. Wobei damit natürlich zaubereralltäglich gemeint war. Eine Badewanne, die sich von allein mit warmem Wasser füllte. Magische Schriftfedern, die selbstständig die nächste Quibbler-Ausgabe kopierten. Lunas Zimmer, in dem kleine Feenillusionen über dem Bett kreisten. Im Grunde war das Haus eine reine Wunderbude. In Hogwarts gab es so etwas nicht. Zumindest nicht so offensichtlich und selbstverständlich. Wahrscheinlich, weil man die Schüler nicht verwöhnen wollte. Die Begeisterung in Ricas Stimme zeigte, wie sehr sie die ungewöhnlichen Dinge hier faszinierten. Sie benahm sich stellenweise wie ein kleines Kind. Ein Verhalten, was Tarsuinn noch nie bei ihr bemerkt hatte.

Das Abendessen danach war zwar gut gemeint, aber man merkte deutlich, dass weder Luna, noch ihr Vater über Talent in der Küche verfügten. Glücklicherweise konnte man bei einem Sandwich nicht so viel falsch machen.

Trotzdem war der Abend eine vergnügliche Angelegenheit. Rica und Mr Lovegood fragten Luna und Tarsuinn stundenlang nach ihrer Zeit in Hogwarts aus. Da Luna meist lange Antworten vermied, war es an Tarsuinn, die größtenteils lustigen Geschichten etwas näher auszuführen. Angenehmerweise verlagerte sich das Gespräch dann im Laufe des Abends immer mehr in Richtung Mr Lovegood, der vor selbst erlebten Merkwürdigkeiten geradezu überfloss. Dazu kam auch noch, dass er sehr geschickt die Dramaturgie aufbaute und die Pointen setzen konnte. Ein ums andere Mal brachte der Mann die Runde zum herzhaften Lachen und am Ende des Abends fragte sich Tarsuinn, warum er diesen Mann gefürchtet hatte.

Als dann jedoch Rica und Luna langsam mit dem Kopf auf dem Tisch einschliefen, wurde die allgemeine Nachtruhe ausgerufen. Mr Lovegood ging in sein Schlafzimmer, Rica mit Luna in das Zimmer des Mädchens.

Ohne großes Theater hatte man Tarsuinn Decken und Kissen in die Wohnstube gebracht.

Am nächsten Morgen schmiss Mr Lovegood die beiden Mädchen recht früh aus dem Bett. Tarsuinn konnte über das Murren der beiden nur lächeln. Das war ein Problem, das er nicht kannte. Es kam extrem selten vor, dass jemand ihn weckte.

Irgendwann kamen die beiden dann aber doch herunter.

„Es sind doch Ferien, Dad", maulte Luna etwas, doch das schien diesen nicht zu stören.

„Die Weihnachtsausgabe muss noch verschickt werden und ich dachte, ihr würdet euch freuen noch ein paar Einkäufe in der Winkelgasse machen zu können. Wäre doch ein Weg. Aber wenn ihr wünscht, geht wieder ins Bett und ich fahr mit Tarsuinn allein. Er ist übrigens hellwach."

„Der schummelt ja auch", murmelte Rica müde.

„Wir kommen mit!", erklärte Luna deutlich wacher.

„Diese Bereitschaft zu helfen ist wirklich lobenswert", lachte Mr Lovegood.

„Wer hat denn was von Helfen gesagt?", erklärte Luna kühl. „Ich sprach vom Einkaufen."

„Genau", bestätigte Rica mit unterdrücktem Lachen. „Männer verdienen das Geld, Frauen geben es aus. Das ist die Gott gegebene Ordnung der Dinge."

„Ich schätze damit haben sie uns", kommentierte Lunas Vater in Tarsuinns Richtung.

„Da kann man nichts machen", stimmte er zu.

„Du hast deinen Vater gut erzogen, Luna", lachte Rica. „Was ist das?"

Tarsuinn hörte sie sein Papier vom Tisch nehmen.

„Oh", sagte er schnell. „Nur meine Einkaufsliste."

„Sieht gut aus", erklärte sie. „Aber hast du Mr Lovegood dazu schon befragt? Vielleicht hat er eine andere Planung."

„Ähem…hab ich vergessen", sagte er.

„Um was geht es denn?", erkundigte sich Mr Lovegood neugierig.

„Na ja…Tarsuinn würde gern für uns kochen", sagte Rica in diplomatischem Ton. „Es sei denn, sie haben etwas anderes geplant."

„Na ja – normalerweise kaufen wir bei Martha Tasteley. Aber was denkst du, Luna? Bestehst du auf der Routine?"

Luna sagte nichts.

„Das ist meine Tochter", freute sich Mr Lovegood. „Wir gehen volles Risiko. Tarsuinn macht das Essen."

„Für den Weihnachtsabend würde ich aber trotzdem etwas klassisch-europäisches vorschlagen", gab Rica zu bedenken.

Tarsuinn nickte, da sie Recht hatte. Ein wenig enttäuscht war er jedoch schon, denn er hatte ihr Leibgericht als Überraschung kochen wollen. Schnell fügte er noch ein paar weitere Punkte zu der Einkaufsliste und dann gab es auch schon ein Frühstück, das er selbst mit Mr Lovegood bereitet hatte.

Sie wollten gerade aufbrechen und Lunas Vater hatte schon das Feuer im Kamin gelöscht, als plötzlich draußen ein lautes Knallen, und kurz darauf ein drängendes Klopfen, an der Haustür erklang.

Mr Lovegood öffnete.

„Sei gegrüßt, Herold. Könnte ich dich einen Moment sprechen?", fragte eine unbekannte männliche Stimme.

„Natürlich, Daniel. Was gibt es?", erwiderte Mr Lovegood und schloss die Tür von außen.

Es war kaum etwas von draußen zu hören, selbst für Tarsuinn.

„Was bereden sie, Tarsuinn?", fragte Rica neugierig.

„Ich kann nur Lunas Dad verstehen", sagte er und wiederholte leise dessen Worte.

Muss das sein?

Er ist viel zu jung.

Nein, er weiß nichts.

Ist die Lage denn so verzweifelt?

Bei den Bedingungen kann der Zauber aber auch in die falsche Richtung gehen.

Dumbledore hat ihn vorgeschlagen?

Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Welt verrückt wird.

Eine kleine Chance ist besser als gar keine, da hast du Recht.

Die Tür wurde wieder geöffnet und Mr Lovegood trat mit seinem Besuch ins Haus.

Lunas Vater wirkte nicht sonderlich begeistert und recht ernst, als er zu Tarsuinn trat.

„Tarsuinn. Der junge Mann hier ist Mr Hioble. Er hat eine Vorladung des Ministeriums für dich. Es tut mir Leid, aber du wirst erstmal nicht mit in die Winkelgasse können."

„Habe ich etwas falsch gemacht?", fragte Tarsuinn besorgt.

„Nein, nein", beeilte sich Mr Lovegood zu versichern. „Es geht nicht um dich. Man möchte dich als Zeuge vernehmen."

„Zeuge für was?", fragte er misstrauisch weiter. Ihm kam sofort Tante Glenn in den Sinn. Hatte man sie erwischt? Welchen anderen Grund konnte es dafür geben, dass Dumbledore ihn dabei haben wollte?

„Das darf ich dir nicht sagen. Du wirst es erfahren."

„Was ist, wenn ich nicht gehen will?", sagte er und fühlte einen kleinen Anflug von Angst. Er hatte soviel, das er zu verbergen gedachte. Dank Professor Snape wusste er, wie einfach es war in seine Gedanken einzudringen.

„Ich weiß, dass du Angst hast", sagte Mr Lovegood eindringlich. „Und ich weiß auch, du hast keinen Grund mir zu vertrauen. Und ganz sicher nicht, solltest du dem Ministerium vertrauen. Aber ich bitte dich, geh hin. Es ist wichtig und solange du nicht lügst, kann dir nichts geschehen. Dein magischer Vormund – Professor Flitwick – wird auch da sein und deine Interessen wahren."

Mr Lovegood beugte sich jetzt zu ihm hinunter.

„Schweigen ist besser als lügen", flüsterte er unglaublich leise Tarsuinn ins Ohr. „Und es geht um deine Freunde."

Dann richtete sich Lunas Vater wieder auf.

„Wirst du gehen?", fragte er wieder laut.

Als ob Tarsuinn jetzt noch eine Wahl blieb. Hilfesuchend schaute er zu Rica.

„Du hast unterschrieben, dass du mindestens ein Jahr lang ihrer Welt angehörst, um sicher zu sein", sagte sie ernst. „Jetzt musst du auch die Bürden dieser Welt tragen."

Tarsuinn mochte diese Gefühl / Pflicht Geschichten überhaupt nicht, aber er war erzogen sie zu beachten und zu verstehen.

„Ich gehe mit", sagte er.

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