- Kapitel 20 -
Das ist unmöglich!
Draußen knallte das kümmerliche Feuerwerk der Muggel, mit dem diese das neue Jahr begrüßten. Gloria fand das mal amüsant, mal mitleiderregend. Sie hatte sich vor einer Stunde unter die Muggel gemischt. Dabei war es ihr gar nicht so auf das Betrachten der heißen und gefährlichen Feuerwerkskörper angekommen. Sie hatte die Muggel beobachtet, ihre Reaktionen, ihre Gefühlsregungen. Erst in den letzten Monaten hatte sie lernen und erkennen müssen, welch große Machtfülle die Masse an Muggeln darstellte. Selbst ihre Behelfe, mit denen sie versuchten die einfachsten Zauber zu imitieren, boten Möglichkeiten. Ihr Wissen ging auf Grund ihrer Grenzen in manchen Dingen deutlich tiefer. Erst vor einigen Tagen hatte Gloria, auf Anraten Mr Banefactors, durch ein Elektronenmikroskop gesehen. Was sie da erblickt hatte, war faszinierend gewesen und hatte ihr neue Einsichten ermöglicht. Im Prinzip musste sie zugeben, sie beschäftigte sich inzwischen deutlich intensiver mit den Muggeln, obwohl sie nur wenig wirklich verstand. Natürlich war sie weit entfernt von der Begeisterung eines Arthur Weasley, doch in manchen Dingen konnte sie ihn durchaus verstehen. Zum Beispiel diese Videokameras. Es war ihr unangenehm, sich an diese Niederlage zu erinnern, aber sie hatte sich damit beschäftigt und sich sogar eine davon in einem Muggelladen vorführen lassen.
„Na, Gloria?", sprach sie eine melodische Stimme an. „So am Grübeln heute?"
„Nur die üblichen Gedanken zum Neuen Jahr", antwortete sie.
„Ah – die guten Vorsätze."
„Ja – ich möchte Sie nicht noch einmal enttäuschen."
„Ich wüsste nicht, wo ich enttäuscht gewesen sein sollte", lachte die Stimme und sie hörte seine leisen Schritte durch die Stille hallen. Ihr Mentor spazierte häufig, wenn er wichtige Pläne entwickelte. Dass er es gerade jetzt tat, ließ sie misstrauisch werden.
„Nicht enttäuscht? Ihr wolltet doch, dass die Darkclouds ins Gefängnis kommen. Das ist mir nicht gelungen", gab sie enttäuscht zu.
„Ich bat dich, sie aus dem Verkehr zu ziehen", beruhigte er sie. „Mehr wäre schön gewesen, aber nicht nötig."
„Wenn wir nur den Entführer gefunden hätten…!", bedauerte Gloria.
Ihr Mentor lachte herzhaft.
„Oh – ich denke, das wäre der Sache weniger dienlich gewesen."
„Das verstehe ich nicht, mit dem Muggel…"
„Kein Muggel!", versicherte er. „Ein Zauberer, der mir verpflichtet ist."
„Ach deshalb wollten Sie die Darkclouds…"
„Aber nicht doch, Gloria!", lachte er nachsichtig. „Das wäre doch viel zu auffällig und könnte solche Menschen nicht davon abhalten, die Sache weiter zu verfolgen."
„Wollen Sie damit sagen, der ganze Fall war nur dazu da, die Darkclouds aus ihrem Beruf zu drängen?"
„Genau das. Wäre doch noch schöner, wenn sie den wirklichen Problemfall weiter verfolgt hätten."
„Alles nur ein Ablenkungsmanöver? Nichts davon echt?"
„Nichts! Nicht mal die Kinder waren wirklich entführt. Aber alle waren so ausgewählt, dass sie den Kindern der Darkclouds irgendwie ähnlich waren. Die Reaktion war von vornherein klar. Sie konnten nicht anders handeln."
„Und warum haben Sie mir nichts davon gesagt?", fragte Gloria ruhig. Früher hätte sie das auf die Palme gebracht, aber inzwischen wusste sie, nichts, was Mr Banefactor machte, war grundlos.
„Ich war gespannt, wie du agierst, Gloria, und war recht beeindruckt, wie du dir die Führung der Anklage gesichert hast. Das mit dem Verfahren war Pech."
„Wenn dieses Kind nicht gewesen wäre."
„Mach nie den Fehler die Jugend zu unterschätzen. Voldemort ist an einem geliebten Kind gescheitert. Da bist du noch recht gut weggekommen."
„Es ärgert mich nur, dass es meine letzte Frage war, die das Verlieren einleitete. Hätte ich die Beleidigung ignoriert, hätte ich gewonnen."
„Dann zieh daraus eine Lehre für die Zukunft und vergeude keine Zeit mit dem Trauern um vergebene Chancen. Es wird neue geben, die du zu erkennen hast."
„Bald?", forschte sie begierig, was wieder ein Lachen zur Folge hatte.
„Ganz ruhig. Dein Aufstieg im Justizministerium war geradezu kometenhaft. Ihn jetzt direkt fortzusetzen, wäre zu ungewöhnlich und damit auffällig."
„Aber wir haben doch alle Mittel. Wir haben Beweise für die Bestechung meines Vorgesetzten im Ministerium, auch wenn es eigentlich keine wirkliche Verfehlung ist. Der Zaubereiminister hat nicht das Rückgrat, um nach einem Skandal im Tagespropheten, seinem Freund beizustehen."
„Durchaus korrekt, aber wir haben diese Trumpfkarte schon bei einem deiner Vorgänger benutzt. Irgendwann fragt sich jemand, wer denn von diesen kleinen, häufigen Skandalen profitiert und noch besteht die Gefahr, dass man dir aufgrund deiner Unerfahrenheit jemand anderen vorsetzt."
„Was raten Sie mir, wie soll ich stattdessen weiter vorgehen?"
Die Frage fiel Gloria Kondagion recht schwer, denn Geduld zählte immer noch nicht zu ihren besten Tugenden.
„Tu einfach deinen Job so gut wie möglich. Janos Fairbanks ist ein Mann, der Talent, Fleiß und Loyalität schätzt. Sei ihm eine perfekte Assistentin mit einer eigenen Meinung und in dem Augenblick, wenn wir seinen Sturz in Angriff nehmen, wirst du seine größte Verteidigung und Stütze sein. Außerdem wirst du diejenige sein, die an seine Integrität glaubt, nachdem alle sich von ihm abgewandt haben. Und danach wirst du ihn von der juristischen Schuld befreien und so indirekt alle beschämen, die ihn verfrüht fallen gelassen haben. Aber natürlich wirst du alles tun, um auch diese Verräter zu decken und zu erklären. Am Ende werden dich alle lieben. Die Frau, welche die falschen Anschuldigungen aus der Welt geschafft hat und dazu noch das Ministerium nicht bloßstellt. Ach, wie selbstlos."
„Das ist nicht Ihr Ernst?", platzte es aus Gloria überrascht heraus, doch ihr Mentor erklärte sich nicht.
Unter seiner Kapuze konnte sie im Halbdunkel gerade noch ein recht verschmitztes Lächeln erkennen und sie spürte seinen prüfenden Blick. Angestrengt rief sie sich seine Worte in Erinnerung.
„Hat es einen Grund warum Sie von juristischer Schuld sprachen?", fragte sie nach einigen Momenten des Nachdenkens.
„Ja."
„Gedenken Sie den Tagespropheten die Arbeit tun zu lassen?"
„Nein!"
„Aber was dann? Fairbanks wird doch nicht einfach so zurücktreten!"
„Und ob er das wird. Du solltest dich mehr mit der Vergangenheit der einzelnen Menschen beschäftigen."
„Ich kenne seine Vergangenheit recht gut. Von seinem Einstieg beim Ministerium für internationale Zusammenarbeit, bis zu seinem Wechsel und Aufstieg in der Abteilung für Magische Strafverfolgung. Ich habe jeden seiner Fälle studiert."
„Gut! Und in welchem Haus in Hogwarts ist er zur Schule gegangen? Wie lernte er seine erste Frau kennen? Was machen seine Kinder? Wer waren seine Eltern und wie kümmerten sie sich um ihn?"
„Das kann ich nicht sagen!"
„Aber ich kann. Und ich werde dir morgen seine Akte geben. Studiere sie und wir werden sehen, ob wir zum gleichen Schluss gelangen. Sobald du ihn frei gepaukt hast, wird er sein Amt niederlegen, in den Ruhestand gehen und seine einzige logische, loyale und fähige Nachfolgerin empfehlen. Und alle werden froh sein, wenn du annimmst.
Denn eines ist sicher, auch wenn Fairbanks vor dem Gesetz unschuldig ist, er selbst wird Schuld empfinden und da sich eine so perfekte Nachfolgekandidatin zur Verfügung stellt, wird er sein Amt abgeben. Es hat schon Vorteile everbodys darling zu sein. Denkst du nicht auch?"
„Es ist furchtbar anstrengend!"
„Aber es lohnt sich auch."
„Leute die mich länger kennen, nehmen mir das weniger ab."
„Sie werden recht bald. Spätestens, wenn sie von deinem Zustand erfahren. Das erklärt für viele fast alles."
„Woher wissen Sie…?", staunte Gloria. „Ich habe es noch niemandem gesagt."
„Ich kann es sehen, Gloria, und ich spüre es durch unsere Verbindung. Möchtest du wissen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird? Noch könnte ich das beeinflussen, musst du wissen."
„Das könnten Sie?"
„Durchaus. Es ist nicht einfach, aber ungefährlich."
„Müsste ich mich jetzt entscheiden?"
„Natürlich nicht. Ein paar Tage kann das noch warten."
„Hätten Sie denn einen Wunsch?"
„Oh nein. Das ist nicht meine Entscheidung. Das geht nur dich etwas an und eventuell deinen Mann, wobei ich es natürlich begrüßen würde, wenn du unauffällig seinen Wunsch erkundest. Die kleine Veränderung wäre dann ein kleines Geschenk fürs Neue Jahr von mir."
„Darf ich bemerken, dass Sie nie etwas ohne tiefere Beweggründe machen?"
„Die sind im Moment gar nicht so tiefgründig. Du hast gute Arbeit geleistet, Gloria. Viel gelernt, deinen Geist geöffnet und ich möchte dich dafür belohnen.
Das ist kein Privileg, das ich nur dir zukommen lasse. Jeder, der für mich gute Arbeit leistet, verdient und bekommt eine Belohnung. So mit seinen Untergebenen und Abhängigen zu verfahren, ist der bessere und billigere Weg, um dem Verrat vorzubeugen.
Schüchterst du deine Angestellten ein und behandelst sie schlecht, dann werden sie dich verraten, sobald sie ihre Angst überwinden, da sie wenig oder nichts zu verlieren haben. Behandle sie gut, sorg dafür, dass es etwas gibt, was ihnen wichtig ist und lass sie dich trotzdem fürchten und du wirst ihrer recht sicher sein. Bisher haben nur drei Angestellte versucht mich zu verraten und zwei davon dienen mir noch heute als abschreckendes Beispiel."
„Etwas zu verlieren haben", sann Gloria laut, da sie einen Verdacht hatte. „Wie zum Beispiel ein Kind?"
„Bei dir ist das etwas anderes, Gloria. Ja, ich freue mich auf dein Kind, aber nicht weil ich mich deiner damit versichern will. Das brauche ich nicht, da ich ja will, dass du alles bekommst, was ich dir geben kann. Nein. Der Grund ist eher privater Natur. Ich habe es verpasst Kinder zu zeugen. Dein Kind und meine Verbindung zu dir, werden mir die Gelegenheit geben, ein wenig das Verpasste nachzuholen. Wenn du erlaubst, wäre ich gern der Pate oder aber auch eine Art Großvater. Wie du möchtest."
„Ich wäre sehr geehrt, wenn Ihr der Pate sein würdet."
„Du glaubst gar nicht, wie das einen alten Mann freut."
„Ich hätte Euch eh darum gebeten, wenn es soweit gewesen wäre."
„Mag sein, aber so kann ich meine Geschenke besser auswählen. Allein die Farbwahl für Junge oder Mädchen ist ja schon wichtig."
„Erlauben Sie mir anzumerken, es gibt glaub ich Wichtigeres, um das Sie sich kümmern sollten", gab Gloria zu bedenken.
„Und das wäre?", erkundigte er sich und diesmal war kein Lächeln auf seinen Lippen zu sehen.
„Der Junge, den sie freigelassen haben. Man macht sich Sorgen um seine Gesundheit und seinen Verbleib. Die Leute im Heim geben sich äußerst pessimistisch und die betreffenden Pateneltern machen sich Sorgen. Sie stellen Fragen und ich weiß nicht, wie ich sie noch länger hinhalten soll."
„Sag ihnen, dass ihr Kind dank uns schon länger lebt als erwartet und sie unserem Ratschluss vertrauen sollen. Es befindet sich in spezieller Behandlung."
„Gut! Und was ist die Wahrheit?", fragte Gloria interessiert. Ihr Mentor ermunterte sie, sich um seine Interessen zu kümmern und wenn es nichts ganz Spezielles war, dann bekam sie immer die gewünschte Auskunft.
„Die Wahrheit ist, wir haben keine Spur", erklärte er nachdenklich und beendete seine Wanderung durch den Saal. Stattdessen stellte er sich an eines der Fenster und blickte in die Ferne.
„Ich habe sogar noch einmal einen Ortungszauber versucht, doch ich habe nur die zwei üblichen Orte gefunden. Es ist, als wäre er vom Erdboden verschwunden. Selbst außerhalb Großbritanniens haben wir gesucht. Wenn wir es nicht besser wüssten, würde ich glauben er sei tot."
„Ihre Muggel haben versagt?"
„Muggel wie Zauberer, wobei es doch eigentlich kein Problem sein sollte, einen blinden Jungen mit einem Mungo zu finden."
„Einen blinden…", begann Gloria ungläubig. „Sieht ein Mungo einem Wiesel ähnlich?"
„Etwas ungenau betrachtet – ja!", kam seine Antwort und er drehte sich zu ihr um. Er schaute sie nachdenklich und erstaunt an.
„Wie lautet sein Name?", fragte sie.
„Was vermutest du?"
„McNamara. Ähem – Tamurin oder so ähnlich."
„Tarsuinn!", korrigierte ihr Mentor. „Woher kennst du seinen Namen? Ich hab ihn nie erwähnt."
„Der Junge, der die Verhandlung gegen die Darkclouds durch seine Bemerkung gewendet hat, hieß so. Außerdem war er blind und hatte ein wieselähnliches Tier dabei!"
„Und wo ist er jetzt?", fragte Banefactor locker in einem Tonfall, als würde er eine Tasse Tee ordern, anstatt sich nach einer Information zu erkundigen, die er seit Monaten suchte.
„Er hatte eine Schuluniform von Hogwarts an. Ravenclaw, wenn ich mich recht entsinne. Ich vermute er ist da."
„Hogwarts?", nun schien er doch verblüfft zu sein. „Das ist unmöglich! Er besitzt keine Magie! Was hat er in Hogwarts verloren?"
„Nun, soweit ich mich erinnern kann, meinte der kleine Flitwick, er würde sich im Probejahr befinden. Anscheinend glauben er und Dumbledore, der Junge wäre ein Spätzünder. Keine Ahnung, ich hab mich nicht darum gekümmert. Aber ich werde das nachholen."
„Vorsicht!", warnte ihr Mentor scharf. „Unter der Obhut Dumbledores zu stehen, ist ein mächtiger Schutz und ich will ganz sicher nicht, dass gerade er auch nur eine Ahnung von uns bekommt."
„Ich werde vorsichtig nachfragen und sehen, ob wir über das Gesetz etwas arrangieren können."
„Keine Alleingänge in dieser Sache, Gloria!", beschwor er sie intensiv. „Finden wir heraus, was man in Hogwarts weiß, und sehen dann weiter. Den Jungen dort zu belassen mag zwar gefährlich sein, aber wenn wir ihn von da entfernen, werden sich einige genötigt sehen ihn zu suchen. Wir können es nicht gebrauchen, dass ihn jemand mit einem Auffindungszauber aufspüren will."
„Und was ist mit den Paten?"
„Kein Wort. Erzähl ihnen, wir hätten ihn gefunden und er wäre in den besten Händen."
Jetzt lachte Banefactor sarkastisch.
„Wirklich – in den besten Händen – leider! Wir müssen uns auf alle Eventualitäten vorbereiten. Das ist eine recht unerwartete und interessante Wendung. Ich schätze, Gloria, wir werden dieses neue Jahr sehr arbeitsreich beginnen. Du wirst ein paar Tage Urlaub im Ministerium anmelden müssen. Ich brauche deine Hilfe bei der Organisation einiger wichtiger Vorkehrungen…wir brauchen Notfallpläne und Ersatz."
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