- Kapitel 21 -

Märchenstunde

„Ach komm schon, Tarsuinn", drängelte Winona.

„Genau", pflichtete Luna kurz angebunden bei.

„Hab dich nicht so!", lachte Rica.

„Einmal reicht doch völlig", wehrte Tarsuinn sich energisch. „Wenn es euch so gut schmeckt, dann kann ich es doch ganz normal für euch zubereiten."

„Aber da geht das spezielle Gefühl verloren…", maulte Winona.

„…die Kunstfertigkeit…", ergänzte Luna abwesend.

„…und die Tradition!", lachte Rica noch herzhafter.

„Ist nur ein Gefühl!", sagte Tarsuinn böse. „Aber könnte es sein, dass ihr euch abgesprochen habt?"

„Nicht doch."

„Wie kommst du denn darauf?"

„Kein Gedanke."

Sie logen ihn ohne ein klein wenig Schuldgefühl an – alle drei.

„Ich hasse das!", gab Tarsuinn klein bei.

„Warum eigentlich?", fragte Winona, als wäre ihr eben erst diese Frage eingefallen. „Du kannst das doch so gut."

Tarsuinn verzog säuerlich das Gesicht.

„Ich geh alles vorbereiten", ignorierte er die Frage und spazierte betont beleidigt in die Küche des Hauses. Sie hatten das Neue Jahr in dem neuen Haus der Darkclouds gefeiert, in das diese auf Anordnung des Ministeriums hatten ziehen müssen. Es war recht lustig gewesen, wenn auch die Knallerei Tarsuinn ziemlich auf den Geist gegangen war. Aber trotzdem war er froh nicht in Hongkong zu sein, da hatte er sich immer unter seiner Bettdecke verkrochen, so laut war das dort. In London reichte es, einfach nicht aus dem Haus zu gehen.

Na ja – der Krach war vorbei und morgen, am Sonntag, ging es wieder zurück nach Hogwarts. Da konnte er seiner Schwester diesen kleinen Gefallen tun. Vielleicht war es überhaupt das letzte Mal. Ein Vorteil war, er hatte selbst die Küche für die Darkclouds eingerichtet, so dass er alles auf Anhieb finden konnte.

„Warum macht er das nicht gern, Rica?", hörte er Luna in der Wohnstube flüsternd fragen.

„Du kannst ruhig lauter reden", antwortete seine Schwester in normalem Tonfall. „Tarsuinn hört dich eh."

Für eine Weile war es still. Dann hörte er Winonas Stimme.

„Und? Warum nun?"

Wieder ertönte Ricas Lachen, was Tarsuinn so mochte, auch wenn es diesmal auf seine Kosten ging.

„Das ist schnell erzählt. Er war gerade acht geworden und ein ziemlicher Naseweis. Und er spielte gern mit Messern. Ryu-san, der Mann bei dem wir lebten, war ein japanischer Meisterkoch, der sich in Hongkong niedergelassen hatte. Tarsuinn war ganz fasziniert von ihm und von seiner Art das Essen zuzubereiten. Ich glaube, er mochte einfach das Sirren einer Klinge. Zumindest musste ich ihm alles genau erklären und dann übte er heimlich, was ich jedoch zunächst nicht wusste.

Nun – wie schon gesagt – Tarsuinn war acht, ging zu Ryu-san und verlangte eine Ausbildung am Teppan Yaki – so nennt man diese Koch-Tische auf japanisch. Natürlich war Ryu-san vollkommen dagegen. Seiner Meinung nach fehlt Rundaugen einfach die Koordinationsfähigkeit und bei blinden Rundaugen wäre dem noch schlimmer. Aber Tarsuinn blieb stur und behauptete, dass er sich eh schon das Meiste selber beigebracht habe und er könne das beweisen. Kurzum – Tarsuinn war so nervös, dass Sekunden später ein Messer in Ryu-sans Fuß steckte und dieser laut jaulend durch den Raum hüpfte. Wirklich – es war unheimlich komisch, wenn es auch sicher wehgetan hat. Die anderen Gäste fanden das auch, schließlich ist Ryu-san zwar ein guter Koch, aber ein sehr griesgrämiger Mann. Kann aber auch sein, dass die japanischen Männer alle so wirken. Alle gönnten es ihm jedoch ein wenig. Tarsuinn aber war völlig verschreckt, verängstigt und untröstlich. Er wollte nie wieder ein Messer anfassen.

Doch Ryu-san hatte etwas dagegen. Weil er lebensgefährlich verletzt war, zwang er Tarsuinn dazu für die Gäste am Teppan Yaki zu kochen. Dadurch bekam zwar Tarsuinn seine Ausbildung, aber eigentlich wollte er sie gar nicht mehr. Nur leider ließ Ryu-san das nicht gelten und knechtete ihn richtig. Auch als der Fuß längst wieder okay war, denn wie ihr gesehen habt, mein Brüderchen ist durchaus begabt. Außerdem war es für das Restaurant ein Segen, denn ein blinder kleiner Junge, der mit wirbelnden Messern hantiert und wohlschmeckendes Essen zubereitet – das war eine Attraktion. Nur dass Tarsuinn selbst das hasste wie die Pest."

„Ist es dann nicht gemein, Tarsuinn dazu zu zwingen?", fragte Lunas Stimme und Tarsuinn war dem Mädchen dafür sehr dankbar.

„Natürlich ist es das, aber es ist eine wichtige Übung für ihn. Nicht war, Tarsuinn?"

„Wenn du es sagst", erwiderte Tarsuinn und kam mit dem kleinen Teppan Yaki Tisch in die Wohnstube, auf dem das Tablett mit allen Zutaten stand. Auf seinen Schultern rannte Tikki aufgeregt hin und her, da sie das rohe Fleisch magisch anzog. Sie wusste genau, dass immer etwas für sie abfiel.

„Warten wir auf die Erwachsenen?", fragte Tarsuinn.

„Ach, und was bin ich?", stellte Rica gespielt empört die Gegenfrage.

„Frag mich das, wenn du mich nicht gerade dazu zwingst!", erwiderte er in ähnlichem Tonfall und deutete auf die getroffenen Vorbereitungen.

„Hab dich nicht so", sagte seine Schwester ernst. „Es ist eine Gabe und insgeheim gefällt es dir. Wenn du allein bist, kochst du doch gern so. Du hast nur Angst, du könntest die Konzentration verlieren und jemanden verlet…"

Ping. Pang. Pong.

„Ah – Mom, Dad und noch jemand – wahrscheinlich Lunas Dad – sind gleich da", unterbrach Winona.

„So ein Apparierglöckchen ist wirklich praktisch", erkannte Luna. „So hat man immer Zeit, sich entsprechend vorzubereiten."

„Na ja", verneinte Winona traurig. „Zehn Sekunden sind meist nicht genug, um die Beweise verschwinden zu lassen."

„Beweise für was?", wollte Tarsuinn wissen, aber da knallte es schon drei Mal laut in der Stube und eine Antwort, in Anwesenheit des Feindes jedes kindlichen Unsinns, verkniff sich Winona.

„Wie ich sehe, kommen wir gerade rechtzeitig", freute sich Mr Lovegood.

„Na – habt ihr ihn wieder überreden können?", kommentierte Mrs Darkcloud. „Sehr gut! Ich nehme Hühnchen mit dieser seltsam süß-scharfen Honigsoße."

Gequält stöhnte Tarsuinn auf. Niemand hatte anscheinend wirklich Mitleid, denn selbst Luna gab ihre Bestellung ab.

Und so mixte er die Soßen, bat Rica den Reis aus der Küche zu holen, wenn dieser fertig war und versuchte sich zu konzentrieren. Seine Schwester hatte durchaus Recht gehabt mit ihrer Behauptung, er würde heimlich gern so kochen. Nicht unbedingt wegen des Essens, sondern weil es ihm so gelang, sich vollkommen zu kontrollieren. Wenn er es richtig machte, dann gelang es ihm, sämtliche Gefühle, alle unwichtigen Gedanken und dunklen Erinnerungen beiseite zu schieben. Es war dann fast so, wie es eigentlich sein sollte. Die Ausgeglichenheit des Geistes und die Perfektion der Bewegungen, das Sirren der Klinge. Ein Zustand, in dem er sich im Reinen mit der Welt fühlte. Eine Welt, in der Rica nicht starb.

Nur war das Problem, dass es ihm viel schwerer fiel, diesen Zustand zu erreichen, wenn andere Personen im selben Raum waren und er ihre Blicke spüren konnte. Das lenkte ihn ab und drängte die Angst vor Fehlern in sein Bewusstsein. Eine Ablenkung, die man nicht gerade gebrauchen konnte, wenn man mit skalpellscharfen Messern hantierte.

Also schloss er die Augenlider (welch sinnlose Geste, aber es machte mehr Eindruck auf die Zuschauer und verdoppelte das Trinkgeld) und konzentrierte sich einzig und allein auf seine Atmung und die vor ihm liegende Aufgabe.

Nase ein, Mund aus. Immer aus dem Bauch heraus. Langsamer, bewusster. Spüre die in dir wohnende Kraft.

Es war, als würde Ryu-san neben ihm stehen und ihm die Worte ins Ohr flüstern. Alles verschwand aus seinem Bewusstsein, bis die Welt nur noch aus ihm selbst, dem Tisch, dem Teppan Yaki, den Zutaten und seinen Messern bestand. Die Platte des Teppan Yaki war heiß und so begann er mit seiner Kunst.

Als er aus seiner Trance erwachte, hörte er rings um sich herum kauende Geräusche und beifälliges Brummen und Seufzen.

„Ach, das muss man hier tun, um seine Ruhe zu haben", brummte er ironisch und suchte auf dem Tablett nach Resten für Tikki. Es war erstaunlich. Immer, wenn er so kochte, blieb genau etwas von dem übrig, was Tikki am meisten mochte – Hühnchenfleisch und rohes Ei. Er tat beides in eine kleine Schüssel und stellte sie unter den Tisch. Sofort war seine kleine Freundin von der Schulter gehüpft und machte sich über ihr Leckerli her.

„Und was isst du?", fragte Winona verwundert.

„Nun, da die Touristen versorgt sind, hole ich mir richtiges Essen!", lachte Tarsuinn, ging in die Küche zurück, machte sich selbst ein Sushi und kam damit wieder in die Wohnstube.

„Das sieht fast roh aus", sagte Winona kritisch.

„Ist es auch. Um genauer zu sein, es ist roher Fisch", grinste Tarsuinn und biss genüsslich in sein Essen. Mit Genugtuung stellte er sich vor, wie um ihn herum alle schauderten. Engländer aßen zwar ihr Fleisch am liebsten nur von der Flamme geküsst, aber wehe jemand aß in ihrer Gegenwart Fisch roh. Das war Tarsuinns kleine Rache.

Trotzdem musste er zugeben, es war eine tolle Zeit bei den beiden Lovegoods und den drei Darkclouds gewesen. Zwar hätte er auch noch gern Winonas ältere Brüder kennen gelernt, aber soweit er zwischen den Zeilen herausgelesen hatte, befanden die sich auf einer höchst geheimen Mission im Irgendwo. Mr Lovegood zumindest hatte ständig versucht, indirekt herauszubekommen wo. Nicht aufdringlich, eher mit wohl formulierten Nebensätzen, aber immer auf einen verbalen Ausrutscher hoffend. Es war schön zu begreifen, dass Mr Lovegood diese heimliche Verhörtaktik nicht bei ihm anwandte.

Als alle satt waren, hingen sie voll gefuttert in diversen Sitzmöbeln herum oder lümmelten auf dem Teppich. Tarsuinn hatte sich wieder an Ricas Schulter gekuschelt und genoss ihre Berührung, während sie ihm verspielt kleine Zöpfe in die Haare flocht.

Da es morgen wieder nach Hogwarts gehen würde, war es an Tarsuinn, wenigstens eine Frage zu stellen, die er bisher vermieden hatte.

„Mr Lovegood?", fragte er vorsichtig über die Stille hinweg.

„Ja?", kam die freundliche Antwort.

„Sie kennen doch sehr viele Geschichten und Märchen, oder?"

„Nun, ich hab mich eher mit Legenden beschäftigt, die auf wahren Begebenheiten beruhen", stellte Mr Lovegood richtig.

„Kennen sie zufällig die vom verliebten Einhorn?"

„Na, die kennt fast jedes Kind", sagte er amüsiert. „Vor allem Mädchen. Luna kann sie sehr gut erzählen, wenn du sie hören willst."

„Ich würde sie gern hören", sagte Tarsuinn. „Luna?"

„Ich will nicht", antworte diese abwehrend.

„Jemand anders?", bat Tarsuinn.

„Warum nicht, Luna?", fragte Mr Lovegood seine Tochter.

„Die Geschichte gehört nur mir!", sagte Luna unfreundlich und irgendwie auch traurig.

„Geschichten leben nur, wenn man sie mit anderen teilt, Schätzchen. Außerdem – genossen hast du doch Tarsuinns Essen auch. Er hat auch nicht den Eindruck gemacht, dass es ihm leicht gefallen ist, sich dazu durchzuringen."

„Luna muss nicht, wenn sie nicht will", mischte sich Tarsuinn ein. „Mir reicht schon ein Buch, in dem ich die Geschichte nachlesen kann."

„Ein Buch ist nicht das Gleiche", gab Mr Lovegood zu bedenken. „Dann werd ich es halt versuchen, obwohl…"

„Ich mach es!", unterbrach plötzlich Luna entschieden und war dann für einige Sekunden völlig still. Tarsuinn hörte, wie sie sich zurecht setzte und dann klang es so, als würde an ihrer Position ein Feuer brennen.
„Was tut sie?", fragte er flüsternd Rica.
„Sie malt mit ihrem Zauberstab brennende, bewegliche Bilder in die Luft", kam die flüsternde Antwort. „Sehr lebensecht."
Dann begann Luna mit leicht zittriger Stimme zu erzählen, begleitet von einem ständig sich bewegenden Knistern.

Es war in der Zeit, als noch Wälder die gesamte Insel bedeckten, die wir heute als England kennen. Muggel waren sehr selten und lebten in kleinen Dörfern. Die Herren der Insel waren Zauberer, Hexen und alle anderen Wesen dieser Welt, die voneinander zurückgezogen lebten. Es war eine friedliche Zeit. Eine Zeit, in der die Zeit noch keine Bedeutung für die Einhörner hatte.
In diesen Tagen begab es sich, dass ein einsames Einhorn die unendlich scheinenden Wälder durchstreifte. Es war ein besonders schönes Einhorn, absolut weiß, von edler Form und wehender Mähne. Kein Blatt, kein Zweig schien es beschmutzen zu können. Es war rein im Wesen und es hätte unter den Einhörnern jedes zu ihrem Gefährten erwählen können. Doch stattdessen blieb es einsam und galoppierte durch die Wälder. Es trug das traurige Lied der Einhörner von ihrem Verlust, an den sie sich nicht erinnern konnten, hinaus in die Welt und hoffte etwas zu finden, um die Leere füllen zu können Doch es fand nichts. Von seiner langen, vergeblichen Reise hielt es eines Tages inne, um zu rasten und ein Gewitter vorbeiziehen zu lassen…"

Das Geräusch von Blitz und Donner hallte durch den Raum und Tarsuinn
spürte, wie Rica mit ihm erschrocken zusammenzuckte.

„…Sein Unterschlupf lag in der Nähe eines Pfades und auf dem Höhepunkt des Gewitters sah es zwei große und einen kleinen Menschen Hand in Hand den Pfad entlang kommen. Den Körper gegen den Wind gestemmt und die Gesichter unter Kapuzen gezogen, kamen sie nur mühsam vorwärts. An einem umgestürzten Baum trennten sich die Hände der Menschen voneinander und die größte der Gestalten kletterte vorweg. Danach streckte sie gerade die Hände aus, um die kleinere Gestalt über den Stamm zu heben, die ihm entgegen gehalten wurde, als ein Blitz in die zwei kleineren Gestalten einschlug…"

Wieder krachte es, nur diesmal noch lauter. Tarsuinn fragte sich, ob er
das Märchen auch zu Ende hören wollte.

„…Die einzelne Gestalt schrie voller Pein auf, sprang über den Baum zurück, zückte ihren Zauberstab, doch das Einhorn konnte schon die Seelen einer Frau und ihres Kindes über den verbrannten Körpern schweben sehen. Egal welche Macht der Mann sein Eigen nannte, es war zu spät. Der Mann schrie seine Verzweiflung hinaus in die Welt, als er merkte, dass keine Magie der Welt den Tod besiegen konnte, wenn er sein Recht schon eingefordert hatte…"

Hier stockte Luna kurz, aber verzichtete zum Glück auf die Verzweiflungsschreie des Mannes.

„…Dieser Gefühlsausbruch verwirrte das Einhorn. Es war, als hätte der Mensch etwas sehr Wichtiges verloren – genau wie das Einhorn. Nur was war es? Neugierig drängte es etwas näher.

Und dann geschah es. Als keine Kraft mehr für einen Schrei in der Kehle des Mannes war, sah er auf und entdeckte das Einhorn. Mit verzweifelten Augen schaute er es an und er hob bittend die Hand, doch es konnte nicht helfen, es konnte nur in Trauer den Kopf senken. Nie wieder hob es den Kopf höher als nötig und es bot dem Mann den Rücken für die Hüllen der Gestorbenen. Niemals wieder erlangte es seine weiße Farbe zurück.
Es begleitete den Mann zu seiner Hütte und sah zu, wie er die Seinen der Erde zurückgab.
Die Monate vergingen und trotzdem der Winter kam und ging, blieb es in der Nähe des einsamen Mannes, der jeden Morgen früh aufstand und allein die Felder bestellte. Und jeden Morgen wartete es am Waldesrand, um seinen Gruß zu empfangen und am Abend war es erneut dort, um den Abendgruß von ihm zu hören. Das Schlimme war jedoch, mit jedem Tag der verging, fühlte das Einhorn sich leerer und nur für die kurzen Augenblicke des Grußes
schien es aufzuleben. Doch es wollte mehr und als die Jahre vergingen und nur noch Sehnsucht das Einhorn beherrschte, schlug es solange mit dem Kopf gegen einen alten, weisen Baum, bis ihr Horn abfiel und der Wald ihr eine menschliche, aber vollkommen silberne Gestalt verlieh.
Sie musste ihr Horn als Stütze nehmen, um auf den ungewohnten und empfindlichen Füßen aufrecht wie ein Mensch gehen zu können.

Als am nächsten Morgen der Mann zu seinen Feldern ging, stand sie wieder an der üblichen Stelle und wartete auf ihn. Und als er kam und ihre Blicke sich trafen, legte er seinen Mantel um ihre Schultern, nahm ihre Hand und führte sie zurück in seine Hütte.
Von diesem Tage an gab es nie wieder Leere und Trauer im Herzen des Einhornes und obwohl sie nicht sprechen konnte, war sie dem Mann, den sie liebte, eine gute Frau. Sie half ihm, wo sie nur konnte, und gebar ihm sechs Kinder. Fünf Mädchen und einen Jungen. Sie liebte ihren Mann, ihre Kinder, aber sie liebte es nicht, ein Mensch zu sein. Doch sie wusste, wenn die Zeit gekommen war, würde sie wieder ein Einhorn werden und den Einhörnern etwas bringen, womit die Trauer und Leere in ihren Herzen gefüllt werden konnte.
So lebte sie lange, aber mit der Zeit kam Trauer in die Familie, denn andere Zauberer und Hexen mieden ihre Kinder. Die Kinder verstanden nicht warum. Sie verstanden nicht, warum man sie fürchtete, warum Dinge in ihrer Gegenwart zersprangen, warum das Berühren eines Zauberstabes ihnen Schmerzen bereitete. Und da war sie wieder – die Trauer und die
Leere. Zum ersten Mal war es nicht ihr eigener Schmerz, den sie empfand, und es ward schlimmer denn je zuvor.

Überwältigt von Liebe und Schmerz nahm sie sich deshalb ihr Horn und fertigte aus diesem sechs Stäbe, die sie mit ihrem eigenen, silbernen Blut füllte und danach verschloss. Nun konnten ihre Kinder der Magie gebieten und sie nutzten diese Gabe zum Guten für die Erde und für die Menschen. Doch erst als ihre Mutter begann, wie sie zu altern, begriffen sie, was diese in ihrer Liebe für sie geopfert hatte und als dann später, weit nach dem Tod ihres Mannes, ihre Zeit kam, starb sie mit einem Lächeln im Kreise ihre Kinder, Enkel und Urenkel.
Ihre Suche brachte zwar den Einhörnern nicht die verlorene Liebe zurück, aber sie brachte den Menschen eine tiefe Verbundenheit mit den Einhörnern und da sie mehr Töchter als Jungen geboren hatte, ist diese Verbundenheit und das Vertrauen zu Mädchen stärker."

Eine Weile blieb es still, nachdem Luna geendet hatte, bis Tarsuinn sich verpflichtet fühlte etwas zu sagen.

„Dein Vater hatte Recht, Luna. Du hast wirklich wunderbar erzählt", sagte er ehrlich, obwohl ihn die Geschichte mehr mitgenommen hatte, als er sich anmerken lassen wollte. Warum meinte Tante Glenn, er solle sie kennen? War sie der Ansicht, es könnte etwas daran sein? Das war noch abwegiger als die anderen Geschichten, die er gelesen hatte! Obwohl es andererseits beängstigend gut passte. Vielleicht war beängstigend das falsche Wort, schließlich war die Geschichte besser als die meisten, die er gelesen hatte.

Luna antwortete ihm nicht, sondern stand auf und ging in das Zimmer, in dem die Mädchen schliefen. Sofort folgte ihr Mr Lovegood.

„Was ist los?", fragte Tarsuinn verwirrt.

„Sie hat geweint", flüsterte Rica und wie zur Bestätigung hörte er ein leises Schluchzen und gutes Zureden aus dem Mädchenzimmer.

„Das wollte ich nicht", fühlte Tarsuinn sich schuldig.

„Ich glaub, es ist vielleicht ganz gut so", sagte Mrs Darkcloud sanft, aber erklärte es nicht weiter. Es klang jedoch nicht nach einer gut gemeinten Lüge, um Tarsuinn zu beruhigen.

Da niemand mehr so richtig etwas sagen wollte, war es nicht weiter verwunderlich, dass schon recht bald zum Schlafengehen aufgefordert wurde. Die neue Wohnung der Darkclouds war sogar so groß, dass fast alle, bis auf Luna und Winona, ein eigenes Zimmer hatten.

Er spielte versonnen mit seinem richtigen Zauberstab und Tikki versuchte auf seinem Rücken liegend gerade die Zöpfe aufzubeißen, die ihm Rica geflochten hatte, als leise die Tür geöffnet wurde. Schnell versteckte er den Stab unter dem Kopfkissen, aber es war nur Winona.

„Kann ich reinkommen?", fragte sie leise.

„Ja", flüsterte er zurück. „Aber es ist ziemlich kalt hier."

„Kein Problem, ich hab meine Decke mit."

Er setzte sich auf, die Decke fest um seine Schultern gewickelt, und machte ihr so Platz zum Hinsetzen.

„Das mit der Geschichte war sicher kein Zufall, oder?", stellte sie fragend fest.

„Richtig", bestätigte er traurig lächelnd. „Schlechteren Zeitpunkt hätte ich wohl kaum wählen können."

„Konntest doch nicht ahnen, dass gerade dieses Märchen Luna so mitnimmt. Ich schätze, der Tod ihrer Mutter und das Leben bei ihrem Dad haben sie so werden lassen."

„Wie? So?"

„Na ja, so seltsam. Das Gespräch hatten wir doch schon."

„Aber die Lovegoods sind gar nicht so seltsam!", beharrte er.

„Weil du sie nicht siehst und Luna sich auch ein wenig anders dir gegenüber benimmt. Aber wie würdest du jemanden bezeichnen, der seine Milchzähne als Halskette an Weihnachten trägt?"

„Ein wenig seltsam"

„Genau. Und jetzt sag mir – was hat Luna wohl an Weihnachten um den Hals getragen?"

„Ihre Milchzähne?", mutmaßte Tarsuinn.

„Treffer!"

„Ich mag sie trotzdem."

„Hindert dich keiner", hörte er sie leise lachen. „Aber sei nicht erstaunt, wenn du eines Tages merkst, dass andere sich ein wenig – unwohl – in ihrer Nähe fühlen."

„Ich hab's begriffen."

„Dann zurück zum Thema – wie bist du auf das Märchen gekommen? Ich meine, es passte fast perfekt."

„Tante Glenn gab mir den Tipp."

„Tante Glenn?", fragte Winona langsam. „Die Hexe aus der Nokturnegasse? Von der du den Braukasten hast?"

„Genau die."

„Wie kommt sie denn darauf?"

„Na ja, sie war dabei als…", begann Tarsuinn, aber eigentlich wollte er es nicht erzählen. Winona würde sich nur Sorgen machen.

„Als was?", forschte sie und schubste ihn mit der Schulter.

„Ich hab das Einhorn wieder getroffen. Du weißt schon, das bestimmte."

„Wann denn?"

„In der Weihnachtsnacht, als ihr alle geschlafen habt."

„Und du hast es nicht für nötig gehalten, mir das zu erzählen?", fuhr sie ihn an. „Ich dachte, wir erzählen uns inzwischen alles und ich helfe dir?"

„Ähem…", versuchte er sie zu beschwichtigen, „…ich wollt dir davon erst in Hogwarts erzählen. Wegen deiner Eltern."

„Meine Eltern?"

„Du musst wissen…", flüsterte er ganz leise, „…Tante Glenn hat irgendwie Probleme mit dem Ministerium."

„Nicht dein Ernst!", zischte sie entsetzt zurück.

„Hast Recht!", sagte er und unterdrückte ein Grinsen. „Sie scheint ernste Probleme mit dem Ministerium zu haben."

„Und du glaubst, ihr trotzdem vertrauen zu können?"

„Und du glaubst, das Ministerium ist unfehlbar?"

„Ganz bestimmt nicht", gab sie zu. Im Angesicht dessen was ihren Eltern passiert war, auch kein Wunder. „Aber hast du auch einen so guten Grund wie ich?"

„Drei sogar. Nummer eins – Tikki mag sie. Nummer zwei – von ihr hab ich den Zauberstab. Nummer drei – sie hat mich gegen die Wilde Jagd verteidigt, obwohl sie einfach hätte abhauen können."

„Die Wilde Jagd hat dich angegriffen? Okay – erzähl mir alles genau von Anfang an oder ich marschiere gleich rüber zu meinen Eltern."

Und das tat er auch. So ausführlich er konnte und erzählte auch detailliert, wie er Tante Glenn kennen gelernt hatte.

Nachdem er geendet hatte, wartete er eine Weile, dann schubste er Winona an.

„Bist du noch wach?", fragte er leise.

„Glaub mir, bei solchen Geschichten schläft niemand ein, wenn sie einen mit betreffen", antwortete sie gedehnt und fuhr dann energisch fort: „Okay – und was machen wir jetzt?"

Das wir in ihrer Frage, tat ihm recht gut, aber machte ihm auch ein wenig Sorgen.

„Ich bin mir nicht so sicher", sagte er deshalb vorsichtig. „Solange ich keinen Fitzel Magie aus meinem, ach so besonderen, Zauberstab kitzeln kann, habe ich nicht sonderlich viele Optionen. Und eigentlich sollte das im Moment meine oberste Prio sein."

„Und? Denkst du das Märchen stimmt? Könnte es wirklich sein…?"

Zweifelnd schüttelte er den Kopf.

„Um ehrlich zu sein, das Ganze ist deutlich weiter hergeholt, als die anderen Geschichten, auch wenn diese mir mehr gefallen hat. Aber vielleicht hat sie einen wahren Kern…!"

„Welchen?"

„Na ja – vielleicht gibt es Menschen, die irgendwie – kompatible – zu Einhörnern sind. Weißt du, als ich das Einhorn berührte, habe ich mich so verbunden mit ihm gefühlt, so traurig. Wie Luna es beschrieben hat."

„Und du bist ganz sicher, dass diese Tante Glenn dich nicht manipuliert?", fragte Winona immer noch misstrauisch. „Ich meine – du kannst Geister weder sehen noch hören, vielleicht war alles nur gespielt! Wenn sie eine gute Hexe ist, kann sie dich passend bezaubern, ohne dass du es merkst."

„Den Gedanken hatte ich auch schon, aber trotzdem komme ich immer wieder zu dem Schluss, ihr vertrauen zu können. Richtig begründen kann ich es in Wirklichkeit nicht. Ist einfach nur ein Gefühl", antwortete er nach intensivem Nachdenken.

„Wenn du meinst…", sagte Winona gedehnt, „…aber da ist noch was…"

„Was?", erkundigte er sich, nachdem das Mädchen nicht weiter sprach.

„Kannst du mir sagen, ob – Die Kinder verstanden nicht warum. Sie verstanden nicht, warum man sie fürchtete, warum Dinge in ihrer Gegenwart zersprangen… – eine Bedeutung für dich und Rica hat?"

„Ich hab ihr geschrieben was passiert ist, als ich einen Zauberstab berührt habe. Das ist ihr sicher aufge…"

„Nein!", unterbrach sie entschieden und setzte vorsichtig fort. „Sie hat vorher das Gesicht verzogen! Bevor das mit den Zauberstäben kam."

„Wirklich?", fragte er zweifelnd. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich bei solchen Beobachtungen auf andere zu verlassen.

„Wir haben es alle bemerkt. Du hättest mal Mr Lovegoods neugieriges Gesicht und die Falten auf der Stirn meiner Mutter sehen sollen."

Nachdenklich zog Tarsuinn seine Decke enger um die Schultern. Sein Vertrauen in seine Schwester war absolut. Seit er vier und sie elf gewesen war, war sie ihm Schwester, Mutter und Freundin gewesen. Er war sich nur zu schmerzhaft bewusst, wie seine Existenz und die Angst vor den Leuten, die sie verfolgten, ihr mindestens die Kindheit genommen hatte.

„Ich frage sie einfach", erklärte er und stand auf.

„Jetzt?", fragte Winona.

„Nur wenn sie noch wach ist natürlich", schränkte Tarsuinn ein.

„Na dann."

Leise schlichen sie aus dem Zimmer und eine Treppe nach unten. An Ricas Gästezimmer lauschte er kurz und riss dann alarmiert die Tür auf. Winona stieß einen überraschten Schrei aus, dann eilte sie ihm hinterher.

Auf dem Bett lag Rica, ihr gesamter Körper zuckte krampfartig und der scharfe Geruch nach Erbrochenem lag in der Luft. Mit einer Ruhe, die er in keinster Weise empfand, öffnete er Ricas Medizintasche und spritzte ihr dann mit geübten Handgriffen ein Medikament, das sie seit der Tumoroperation im letzten Frühjahr nicht mehr hatte nehmen müssen. Es entspannte ihre Muskeln, egal was ihr geschädigtes Hirn sagte. Dann suchte er die Phiole mit dem magischen Stärkungstrank und verabreichte ihr auch davon eine kleine Dosis. Ohne sich um die Darkclouds oder die Lovegoods zu kümmern, die durch Winonas Schrei hinzugekommen waren, begann er, sobald das Zucken nachgelassen hatte, Rica und das Zimmer zu reinigen. Nur am Rande nahm er wahr, wie man ihm frisches Bettzeug, ein Nachthemd und einen Eimer reichte. Danach legte er sich zu ihr, nahm ihren mageren Körper in die Arme und wachte die gesamte Nacht über sie.

Am nächsten Morgen, auf dem Gleis 9 ¾, stand Rica schon wieder neben ihm und hielt seine Hand. Sie hatte kaum etwas von dem bemerkt, was letzte Nacht passiert war, obwohl sie es sicher genau wusste, als sie den blauen Fleck um den Einstich herum bemerkte.

Trotzdem hatte sie darauf bestanden mit zum Bahnhof zu kommen. Es war zwar egoistisch, aber Tarsuinn freute sich darüber, auch wenn er offiziell dagegen protestiert hatte.

Und so standen sie nun auf Gleis 9 ¾ und Rica staunte über all die Hexen, Zauberer und ihre Kinder hier. Ab und zu kicherte sie auch über die Kleidung einiger ausgewählter Exemplare. Tarsuinn wollte gerade etwas zu seiner Schwester sagen, als eine ihm bekannte Stimme das Blut in seinen Adern gefrieren ließ.

„Oh, bin ich froh Sie hier noch anzutreffen, Mr und Mrs Darkcloud", rief eine freundlich klingende Stimme quer über den Bahnsteig und schnelle Schritte kamen zu ihnen.

„Das beruht nicht auf Gegenseitigkeit, Mrs Kondagion", versicherte Mrs Darkcloud in kühlem Tonfall, als die Frau sie erreichte.

„Ich bitte Sie", entgegnete Kondagion verletzt. „Ich kann mir die Fälle nicht aussuchen, für die ich die Anklage im Auftrag des Ministeriums vertrete."

Mrs Darkcloud gab ein abwertendes Geräusch von sich, doch Mr Darkcloud mischte sich diplomatisch ein.

„Das verstehen wir", sagte er schnell. „Nur fällt es manchmal schwer daran zu denken. Im Grunde haben wir dank Ihrer guten Arbeit– bis auf unsere Kinder und die Freiheit – alles verloren. Heim, Arbeitsstelle, Ansehen."

„Nun, dann wird es Sie freuen zu hören, was ich Ihnen mitteilen kann", erklärte Kondagion verständnisvoll. „Wir haben erste Indizien gefunden, dass Ihr Verdächtiger in den Entführungsfällen tatsächlich ein Zauberer war. Wenn sich das bestätigt, dann kann ich sicher meinen Vorgesetzten überreden, Ihr Muggel-Berufsverbot wieder aufzuheben, Sie voll zu rehabilitieren und wieder in das Ministerium einzustellen."

„Das ist sehr nett von Ihnen", sagte Mr Darkcloud offensichtlich verblüfft.

„Ich dachte mir, das war das Mindeste, nachdem ich Ihnen so zu Unrecht zugesetzt habe. Außerdem wollte ich Ihnen dies hier geben. Als kleine Wiedergutmachung."

„Danke", stammelte Mr Darkcloud fast. „Aber wie…"

„Nichts für ungut. Sagen Sie, ich würde Sie empfehlen, aber ich muss jetzt weiter. Mein Chef sollte nicht bemerken, dass mein Sessel leer ist."

Es krachte kurz auf die Art, wie sie Tarsuinn inzwischen mit Apparieren verband, dann war die Frau weg.

„Was hat sie dir gegeben?", fragte Mrs Darkcloud interessiert, sobald sich die Überraschung etwas gelegt hatte.

„Ein Empfehlungsschreiben für das Nostow und Mohsl Privatnifflerbüro", staunte Mr Darkcloud. „Ich fass es nicht!"

„Glaubst du, die Frau hat wirklich Kontakte zu denen?"

„Keine Ahnung. Aber Onkel Lockshore als Anrede klingt so schlecht nicht, oder?"

„Es könnte sich also lohnen mal vorbeizuschauen?"

„Schaden kann es wohl nicht."

„Machen Sie es nicht!", mischte sich Tarsuinn leise, aber energisch ein. „Die Frau ist falsch."

„Aber sie scheint außerhalb des Gerichtes recht nett zu sein und hat sich sogar halb entschuldigt!", entgegnete Mr Darkcloud verblüfft und auch seine Frau stimmte zu.

„Bitte", flehte Tarsuinn. „Sie ist nicht wirklich nett und ihr zu vertrauen ist ein Fehler!"

„Na, na! Nicht so feindselig, Tarsuinn", sagte Mrs Darkcloud in nachsichtigem Ton. „Das im Gericht…"

„Das hat nichts mit dem Gericht zu tun!", unterbrach Tarsuinn erneut unhöflich.

„Aber warum dann?", fragte Mrs Darkcloud plötzlich ernst und forschend.

Tarsuinn biss sich auf die Lippen. Wenn er andeutete, wie er Lady Gloria Kondagion kennen gelernt hatte, dann konnte das für Tante Glenn, aber auch für die Darkclouds Probleme bringen. Selbst für ihn war es schwierig zu verstehen, wie die freundliche Frau von eben und die großkotzige von vor einem halben Jahr zusammenpassen sollten. Hatte nicht Tante Glenn eine ähnliche Verwunderung geäußert?

Vorsichtig tastete er nach dem Arm der Frau und zog sie nach unten, so dass er ihr Ohr erreichen konnte. Ihm blieb nichts anderes übrig, er musste sie warnen.

„Ich habe Kondagion dabei zugehört, wie sie in der Nokturnegasse ein Teil der Stillen Klinge kaufte", flüsterte er ihr ins Ohr. „Aber es gibt niemanden, der dies außer mir bezeugen kann und ich habe auch Angst, wenn Kondagion erfährt, dass ich sie gehört habe!"

„Und da bist du dir ganz sicher?", fragte Mrs Darkcloud zweifelnd, aber ähnlich leise.

„Woher wüsste ich sonst, dass sie Gloria mit Vornamen heißt, gern mit Lady angesprochen wird, Lucius Malfoy verabscheut und so reich ist, dass sie ohne mit der Wimper zu zucken vierhundert Galeonen bezahlen kann", gab er leise zur Antwort. „Sie ist wirklich gefährlich und hat Freunde in den höchsten Positionen."

Die letzte Bemerkung war zwar gelogen, aber Tarsuinn war bereit fast alles zu tun, um die Darkclouds vom Kontakt mit Kondagion abzuhalten.

Mrs Darkcloud richtete sich langsam auf.

„Wir werden an deine Warnung denken", versprach sie. „Aber der Express fährt gleich, wir müssen uns verabschieden."

Und so dankte Tarsuinn den Darkclouds und Mr Lovegood für die schöne Zeit, dann wandte er sich Rica zu und obwohl er sich alle Mühe gab, er konnte seine Tränen nicht zurückhalten.

„O-nee-san", flüsterte er auf japanisch, was so viel wie ältere Schwester bedeutete. „Ich…ich…"

„Ich weiß", sagte sie in der gleichen Sprache und streichelte seine Wange. „Vielleicht ist das heut ein Lebwohl, Tarsuinn-chan."

„Ich will nicht…"

„Otouto (jüngerer Bruder). Ich wäre ja auch lieber mit dir zusammen, aber ich bin so egoistisch zu hoffen, dass du noch rechtzeitig für mich das Zaubern erlernst. Außerdem – wenn ich in diesem Krankenhaus liege – dann lebe ich nur durch die Briefe, die du mir schreibst."

„Ich hab Angst", weinte er. „Du darfst nicht…! Ich weiß doch nicht, was ich ohne dich machen soll. Und ich habe Angst, dass du allein bist, wenn es…wenn es soweit…"

Sie drückte Tarsuinn an sich, so dass das letzte Wort in ihrer Jacke unterging.

„Denk nicht dran", flüsterte sie und anscheinend weinte sie jetzt auch. „Denk nur daran, dass ich dich liebe und dass du ein Zauberer sein wirst. Glaub deiner o-nee-san."

„Tue ich das nicht immer?", antwortete er und drängte seine Tränen zurück. Seine Hände tasteten wie verzweifelt über ihr Gesicht, seine Nase sog noch einmal gierig ihren Geruch ein. Es mochte sein, dass dies ihm auf ewig reichen musste. Trotzdem war da noch eine Frage.

„Rica-chan! Warum bist du bei Luna-chans Geschichte zusammengezuckt?", fragte er, doch ob er nun zu leise gewesen war oder sie ihn nicht hören wollte – zumindest stand sie gerade auf und zog ihn zum Zug, der jede Sekunde abfahren sollte.

„Schreib es mir!", bat er von der offenen Tür aus.

„Ich werde dir schreiben", rief sie ihm nach. „Leb wohl, Kleiner."

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