- Kapitel 24 -

Zurück zur Geisterhütte

Es mochte seltsamere Dinge zu erzählen geben, als einem blinden Führer zu folgen, aber sicher nicht allzu viele. Und sicher gab es auch Leute, die Toireasa für verrückt erklärt hätten, wenn sie allen Ernstes behauptete, sie hätte sich nie Sorgen um ein mögliches Verlaufen gemacht. Eher machte sie sich Sorgen um das Ziel. Vor allem, da sie nicht wagte danach zu fragen. Die Nacht war so still und dunkel im Wald, dass sie fürchtete ihre Stimme könnte unerfreuliche Wesen anlocken. Das hielt sie aber nicht davon ab, sich ständig neugierig das ganze Zeug anzusehen, das sie tragen durfte. Abgesehen von einem Arme auskugelnden Gewicht, bestand ihre Ausrüstung aus einer Spritzpumpe, die offensichtlich aus dem Kräuterkundeunterricht geklaut worden war und einem Spaten, der aus irgendeinem Grund im Dunkeln glänzte. Außerdem hatte man ihr auch noch einen der Beutel mit den Bücherwürmern in den geleeartigen Kugeln gegeben. Sie fragte sich, wie die beiden Ravenclaws das ohne ihre Hilfe hatten tragen wollen.

Vor allem die Bücherwürmer beschäftigten ihre Gedanken. Für sie gab es eigentlich nur eine vorstellbare Verwendung, was wieder nur einen Schluss zuließ – Tarsuinn und Winona führten sie zu einer Bibliothek mitten im Verbotenen Wald und wollten diese zerstören. Alle anderen Erklärungen zweifelten an der geistigen Gesundheit der Ravenclaws. Obwohl das eine das andere vielleicht auch nicht ausschloss.

Der Weg zu ihrem Ziel war auch nicht sonderlich Vertrauen erweckend. Zuerst ging es zwar nur immer tiefer in den Wald, doch dann führte Tarsuinn sie durch einen hohlen umgestürzten Baum, nach dessen verlassen die Welt irgendwie recht anders aussah, danach an einem zehn Meter tiefen Abgrund vorbei und zu guter Letzt mitten durch eine dornige Hecke, die sich jedoch, wie im Märchen, vor ihnen teilte. Heimlich bezweifelte Toireasa, dass Tarsuinn irgendetwas von diesen Besonderheiten ihres Weges mitbekam. Dazu wirkte er einfach zu unbekümmert. Ganz im Gegensatz zu Winona. Das Mädchen fürchtete sich offensichtlich, folgte jedoch trotzdem ihrem Freund. Toireasa wusste nicht, ob sie diesen Mut bewundern oder bemitleiden sollte, aber sie wusste, mit Winona statt Regina und Vivian, wäre es niemals zu dem Einhorndesaster gekommen.

Und als Toireasa ihr Ziel das erste Mal sah, wusste sie, dies hier konnte noch schlimmer enden. Die halb verfallene Hütte in dem kleinen Talkessel, ließ ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Das Gefühl verstärkte sich noch, als sie die Gespenster unter dem kleinen Vordach erblickte, die ihnen freundlich zuwinkten.

Toireasa hielt sich etwas im Hintergrund, als sie in das Tal kletterten. Solange sie nicht genau wusste, auf was sie sich hier eingelassen hatte, beschloss sie, äußerst vorsichtig zu sein.

Misstrauisch beobachtete sie, wie Tarsuinn ganz nah an die Gespenster heranging, die alle wunderschön waren und unheimlich aufwendige Geisterkleider trugen.

Die Geister hatten aufgehört freundlich zu winken und schauten interessiert und ein wenig feindselig den Jungen an. Tarsuinn drehte sich um, ging zu Winona und Toireasa konnte ihn flüstern hören.

„Sind da Geister vor der Tür?"

„Ja", flüsterte sie leise zurück. „Soll ich…?"

„Moment", schüttelte er leicht den Kopf und wandte sich wieder den Geistern zu. Minutenlang passierte gar nichts.

„Okay", sagte Tarsuinn plötzlich. „Jetzt kann ich sie auch irgendwie sehen. Fangen wir an."

Er wandte sich an Toireasa.

„Könnte ich bitte die Spritzpumpe haben?", bat er lächelnd und sie händigte ihm diese aus.

„Dürfte ich jetzt wissen, warum wir hier sind?", fragte Toireasa so beiläufig wie möglich.

„Nichts Schlimmes!", grinste er schelmisch. „Nur ein wenig im Schlamm wühlen und mit Zeug rumspritzen. Fast wie auf einem Kindergeburtstag. Möchtest du helfen?"

„Nur wenn ich etwas genauer weiß, was das soll", betonte sie und verschränkte ihre Arme. Zu spät dachte sie daran, dass diese Geste ihn mangels Sicht nicht sonderlich beeindrucken konnte.

„Ich möchte diesen Ort ein wenig besser verstecken", erklärte er jedoch freundlich. „Er ist noch zu einfach zu finden."

Toireasa schaute zu der Hütte und ihre Gänsehaut teilte ihr sehr genau mit, was sie von dieser Idee hielt.

„Abgemacht. Ich helfe", erklärte sie und griff sich den Spaten. „Was plant ihr?"

„Nun", ergriff diesmal Winona das Wort. „Wir haben die Spritzpumpen mit etwas gefüllt, was Geister nicht durchdringen können. Das heißt, wenn man uns nicht betrogen hat."

„Bei dem Preis hoffe ich das nicht", lächelte Tarsuinn milde. „Ansonsten wäre ich wirklich gereizt."

Dann begann er die Hütte einzusprühen, indem er mit der linken Hand pumpte und mit der rechten Hand erstaunlich zielgerichtet die Wand einsprühte.

„Wie viel hast du eigentlich dafür bezahlt?", erkundigte sich Winona neugierig, wobei sie seinem Beispiel auf der anderen Seite der Hütte nachkam. Die Geister an der Tür schauten böse blickend, aber still zu.

„Das willst du nicht wissen", antwortete Tarsuinn nur.

„Wie viel?", verlangte das Mädchen zu wissen.

Tarsuinn murmelte etwas.

„Wie bitte?", fuhr Winona ihn an.

„Knapp zehntausend", sagte er nun etwas lauter.

„Zehntausend was?"

„Galeonen, was dachtest du denn?", erklärte Tarsuinn und trotz der Dunkelheit sah Toireasa, dass er tiefrot wurde.

Sie konnte verstehen warum. Genau wie ihr, stand Winona vor Erstaunen der Mund offen.

„Nicht dein Ernst!", fand zuerst Winona ihre Sprache wieder.

„Heh, es ist keine Abzocke. Die Materialien sind äußerst teuer. Der Verkäufer hat kaum Gewinn gemacht."

„Das meinte ich nicht", zischte Winona. „Woher hast du so viel Gold?"

„Ein reicher Muggel ist auch ein reicher Vielleicht-Zauberer", erklärte er betreten.

Winona schien diese Erklärung immer noch nicht zu reichen.

„Du hast nie erzählt, dass du reich bist! Warum?"

„Weil Reichtum für mich etwas anderes ist als blödes Geld", sagte er traurig.

Dies sagte zwar Toireasa nicht viel, aber Winona schien sofort zu verstehen.

„Ahh", sagte sie leise, ließ das Thema sofort fallen und konzentrierte sich aufs Sprühen.

Es dauerte nur wenige Minuten, dann glänzte die Hütte – bis auf die Tür – im fahlen Licht des Mondes. Das Sprühzeug war zu einer Art gläsernem Überzug geworden.

„Nicht, dass ich euch kritisieren möchte", sagte Toireasa mit gerunzelter Stirn. „Aber die Hütte sieht man jetzt viel besser als vorher."

„Na dann bist du jetzt dran. Den Spaten hast du ja schon in der Hand", sagte Tarsuinn. „Bitte viel Erde aufs Dach und an die Wände."

Er machte eine einladende Handbewegung und begann dann selbst in seinem Rucksack zu wühlen.

Schulterzuckend machte Toireasa sich daran Winona zu helfen und die Hütte mit Erde zu bedecken. Das war eine genauso anstrengende Sache, wie damals während ihrer Strafarbeit bei Hagrid. Der Boden war halb durchgefroren, halb aufgeweicht und gab nur widerwillig seine Erde her. Es war Knochenarbeit, obwohl der glänzende Überzug über dem Spaten anscheinend ein wenig das Graben erleichterte, indem das Eis im Boden schmolz. Ein wenig bedauerte es Toireasa, dass sie nur zwei Spaten hatten. Es ging ihr gegen den Strich, wie Tarsuinn sie fröhlich pfeifend arbeiten ließ und stattdessen irgendwelche mysteriösen Vorbereitungen traf.

Zwei Stunden und mehrere Blasen später – Tarsuinn hatte sich dann doch noch ab und zu an der Arbeit beteiligt – waren sie fertig und die Hütte sah wie ein großer Erdhaufen aus. Wenn man von der Tür absah, die – beunruhigenderweise – bei den Arbeiten ausgelassen worden war.

Sie traten ein wenig von ihrem Werk zurück.

„Wir haben einen Dreckhügel erschaffen, der beim nächsten Regen zerläuft", sagte Toireasa zweifelnd und stützte sich ein wenig erschöpft auf den Spaten.

„Daran haben wir aus Zufall sogar gedacht", erklärte Tarsuinn, nahm einen kleinen Beutel zur Hand und holte eine Hand voll kleiner Körner hervor.

„Wenn Madame Sprout das wüsste, würde sie uns bestimmt Sonderpunkte dafür geben", grinste Winona Toireasa an, während Tarsuinn die Körner über den Erdhügel und die Umgebung verteilte. Danach zog er sich Handschuhe an und tat dasselbe noch einmal mit einem grün leuchtenden Pulver.

„Jetzt bist du dran", sagte Tarsuinn, nachdem er fertig war, zu Winona. Diese hob ihren Zauberstab und sagte laut: „Incitare!"

Der Effekt war durchaus auch für ein Mädchen aus einer Zaubererfamilie beeindruckend. Rund um den Hügel, der einmal eine Hütte gewesen war, sprossen Farne und kleine Nadelbäume aus dem Boden. Die Bäume schoben sich dabei recht langsam in die Höhe, während die Farne mehrmals verwelkten und wieder von neuem in die Höhe wuchsen. Erst nach fünf Zyklen endete dies.

„Wow", staunte Toireasa. „So würde mir Kräuterkunde auch Spaß machen!"

„Lohnt nicht wirklich", schüttelte Tarsuinn den Kopf. „Da müsste man schon Gold anbauen, damit sich das rechnet."

„Ich frag lieber nicht, was das gekostet hat", kommentierte Winona trocken.

„Besser ist das!", sagte Tarsuinn ernst. „Wollen wir?"

„Geht ja wohl nicht anders", sagte Winona ebenso ernst. „Toireasa – ruh dich aus. Die Arbeit haben wir hinter uns."

Dafür war Toireasa dankbar. Sie war inzwischen ziemlich müde. Interessiert sah sie zu, wie sich die beiden Unmengen Zeug zurecht legten. Am Ende ging Tarsuinn mit der Spritzpumpe auf die Geister zu. Drohend den Schlauch erhoben.

„Wenn ihr nicht die nächsten Jahrzehnte als Statuen verbringen wollt, dann verzieht Euch nach drinnen!", drohte er kurz angebunden. In leichter Panik schwebten die Geister umgehend durch die Tür davon.

„So – Winona, der Weg ist frei", sagte er und öffnete die Tür. Neugierig reckte Toireasa den Hals und konnte so einen Blick in das Innere erhaschen. Als Kind von Zauberern war sie nicht sonderlich überrascht in einen viel größeren Raum hineinzusehen, als es das Äußere der Hütte vermuten ließ, aber trotzdem war die Größe des Raumgewinns durchaus ungewöhnlich, wenn auch nicht beeindruckend. Interessanter fand sie da schon den relativ gut erhalten wirkenden Saal, die kunstvollen Geländer an Treppe und oberer Balustrade, die vielen bewegten Bilder, die unzähligen Geister. Es sah aus wie ein kleines Hogwarts.

„Ist das die Dunkle Akademie?", stammelte sie entsetzt. „Die, welche es niemals gegeben haben soll?"

Niemand beachtete sie. Stattdessen warf Winona einige Flaschen durch die Tür, während Tarsuinn die Geister in Schach hielt. Die Flaschen zersplitterten und weißer Rauch füllte langsam den Raum. Danach schlossen sie die Tür wieder.

„Hast du gesehen, ob die zweite Tür links oben offen war?", fragte Tarsuinn Winona.

„Einen Spaltweit nur", antwortete das Mädchen. „Wird recht schwer."

„Wir haben lang genug geübt. Wird schon klappen", sagte er und fühlte nach seiner Uhr. „Das dürfte gereicht haben. Sehen wir zu. Fangen wir mit den Sprintwürmern an."

Die beiden Ravenclaws banden sich ein Tuch vor Mund und Nase. Danach nahmen sie ein seltsames Gerät zur Hand - ein daumendicker Handgriff auf dem ein U angebracht war und an den Enden des U's hing ein langes und breites Gummiband.

Zu diesem seltsamen Ding nahmen sie je eine Kugel mit den Bücherwürmern und legten sie in das Band. Dann öffneten sie erneut die Tür, aus der sofort dicker Rauch quoll. Man konnte keinen halben Meter mehr in den Saal sehen.

Tarsuinn und Winona knieten sich an der Schwelle nieder, hielten das komische Gerät mit dem linken Arm weit von sich und zogen das – sehr elastische - Band mit der anderen Hand bis zur rechten Schulter zurück. Auf ein unausgesprochenes Kommando hin ließen sie die Bänder los und Toireasa sah kurz die Kugel mit den Bücherwürmern in dem Nebel verschwinden. Kleine Wirbel zogen die Bahn der Kugeln im Nebel nach.

„Ich Wand, du links davon ein Bild. Allgemein zu weit rechts", sagte Tarsuinn leise und lud eine weitere Kugel in das Band.

„Gut – ich weiter links, du dazwischen", kommentierte Winona und es klang wirklich so, als hätten sie das geübt.

Wieder ließen sie die Kugeln fliegen. Eine Weile immer nach demselben Muster. Bis irgendwann…

„Du hast Holz erwischt", jubelte Tarsuinn. „Und diesmal nicht das Geländer. Das muss die Tür sein."

„Wurde auch Zeit!", grinste Winona.

Danach verschossen sie noch weitere Kugeln, diesmal Toireasas geisterresistente Würmer, wobei Tarsuinn immer die Schüsse des Ravenclaw-Mädchens korrigierte.

Irgendwann war jedoch Schluss und sie schlossen die Tür wieder.

„Ich glaube, eine deiner Kugeln ist direkt durch den Spalt geflogen!", sagte Tarsuinn anerkennend. „Hoffentlich liegen keine zu guten Schutzsprüche auf den Büchern."

„Selbst wenn, ist es egal", wehrte das Mädchen ab. „Wir machen hier jetzt dicht und sehen dann zu…"

„Nein!", sagte Tarsuinn entschieden und so laut, dass die Mädchen unisono zusammenzuckten.

„Wenn wir jetzt gehen, schaffen wir es noch vor dem Aufstehen zurück", fuhr Winona ihn an.

Der Junge schüttelte jedoch entschieden den Kopf.

„Das war nicht ausgemacht!"

„Aber es ist so gut gelaufen. Du musst nicht immer einem verdammten Gefühl folgen!"

„Ich lebe von und nach Gefühlen", fauchte er. „Das mag für einen Ravenclaw ungewöhnlich sein…"

„So kannst du mir nicht kommen! Du gehst wie jeder Ravenclaw nur mit einem Plan aufs Klo. Und du weißt auch genau, wie bescheuert das ist, was du machen willst!"

„Deshalb kommst du auch nicht mit. In dem Saal siehst du im Moment genauso viel wie ich, nur bist du es nicht gewohnt damit umzugehen und warst dort noch nicht drin! Ergo – ich geh da rein, du bleibst mit Toireasa draußen."

„Du sollst da aber nicht rein! Verdammt noch mal! Wir sind Erstklässler, du kannst noch nicht mal zaubern und wir machen gerade etwas, was Sache von Professor Dumbledore sein sollte, wenn du nicht so extrem paranoid wärst."

„Warum hast du mir dann überhaupt geholfen?"

„Das weißt du genau."

„Gut – dann ist ja alles klar!"

Tarsuinn schulterte den inzwischen recht leeren Rucksack und eine der Sprühpumpen, nahm Tikki auf den Arm, richtete sich auf und führte eine Hand zum Mund.

„Toireasa – halt ihn bitte auf!", bat Winona.

Doch was immer Toireasa auch tun sollte, sie rührte sich keinen Millimeter. Tarsuinn jedoch, war plötzlich wie ein verwaschener Schemen an der Tür und nach einem Zwinkern durch diese hindurch.

„Mist!", fluchte Winona herzhaft. „Wo hat er denn das Schnelligkeitszeug her? Und warum zur Hölle hast du ihm nicht die Schnürsenkel zusammen gebunden. Wozu hab ich dir denn den Zauberstab wiedergegeben?"

Toireasa brachte erst keine Regung zustande. Dann hob sie mit Mühe die Hand und deutete auf etwas, was Winona nicht sehen konnte. Diese fuhr herum und stieß einen lästerlichen, undamenhaften und sicher viel zu erwachsenen Fluch aus, der selbst einen Müllsammler zum Erröten gebracht hätte.

„Lauf!", schrie Winona, ergriff Toireasas Hand und riss diese aus ihrer Erstarrung, hin zu dem einzig sicher scheinenden Ort.

Schade, dass die Wirkung der Schnelligkeitspillen so kurz war und dass man nur eine pro vierundzwanzig Stunden schlucken durfte. Kaum war Tarsuinn in dem Saal, ging er ein paar Schritte zur Seite, damit ihn Winona nicht mit ein paar schnellen Schritten wieder zurückholen konnte. Der Rauch biss furchtbar in seinen Augen, aber das war nichts gegen das, was die Geister hoffentlich empfanden. Laut Werbeprospekt, sollte das Zeug Geister aller Art problemlos und dauerhaft vertreiben. Die Frage war nur, galt das auch für Geister, welche A, nicht weg konnten oder B, was war, wenn der Rauch sich verzog? Er beschloss keine Zeit zu verlieren. Sein Ziel war gut hörbar.

Er wollte gerade los, als die Tür an seiner Seite erneut aufging und zwei bekannte Mädchen in den Raum stolperten. Konnten die denn nicht aufpassen? Sie waren viel zu laut!

„Tarsuinn?", flüsterte Winona fragend.

War das ein Trick? Es klang irgendwie nicht so. Eher nach ehrlicher Angst.

„Seht zu, dass ihr hier rauskommt!", schimpfte er leise und schlich zu den Mädchen. „Ihr behindert mich und Tikki nur!"

„Geht nicht!", erklärte Toireasa mit zittriger Stimme. „Da draußen waren Geister…"

„…die Wilde Jagd um genau zu sein…", warf Winona ein.

„…die uns umbringen wollten!"

„Aber ich dachte, die sind nur hinter mir her!", sagte er beunruhigt. In seinem Plan kam die Wilde Jagd nicht vor.

„Das Gefühl hatte ich aber nicht, als die uns angriffen", zischte Winona und ihre Stimme schwang zwischen Angst und Vorwurf. „Ich weiß nicht wie viele durch mich durchgeflogen sind, aber es war, als würden sie immer ein Stück Leben aus mir rausreißen."

„Ja, das können die gut", murmelte Tarsuinn leise.

„Was machen wir jetzt?", flüsterte Toireasa und sprach damit die Frage aller Fragen aus.

Tarsuinns Gedanken rasten. Sein eigentliches Ziel war soeben völlig in den Hintergrund getreten und es ging ihm vorerst nur noch um die Sicherheit der Mädchen. Verzweifelt suchte er in seinen Erinnerungen einen halbwegs sicheren Ort.

„Gebt mir eure Hände", flüsterte er und fühlte, wie zitternde Finger sich in die seinen schoben. „Und seid ganz leise."

Langsam, ganz langsam, tasteten sie sich voran. Tarsuinn konnte das Wispern von einzelnen Geisterstimmen hören, die in den oberen Räumen ausharrten. Anscheinend machten sich das Training bei Madame Pomfrey und die Übungen aus dem Buch langsam bezahlt. Schon draußen vor der Tür hatte er mit äußerster Konzentration die Geister fast gesehen.

Dass die Toten oben waren, war kein Zufall, denn der Nebel war etwas schwerer als Luft. Aus diesem Grund führte Tarsuinn sie auch eine kleine Treppe nach unten in den Keller, der laut seiner Führung durch Sir Oliver die Quartiere der Bediensteten enthielt. Unten gewesen war er noch nicht, aber so wie seine Schritte hier klangen, hatte er das Gefühl zu Snapes Zaubertrankstunde unterwegs zu sein. Hier musste sich der Nebel am längsten halten, vermutete Tarsuinn. Vorsichtig tastete er nach einer Tür, öffnete diese und schob die beiden Mädchen hinein. Für einen kurzen Augenblick war er versucht sie hier allein zu lassen und seine eigentliche Aufgabe zu erfüllen, aber das wäre verantwortungslos gewesen, jetzt, wo er sie in große Gefahr gebracht hatte. Deshalb ging er mit hinein und verschloss die Tür. Sofort ließ das Brennen in seinen Augen ein wenig nach. Fast synchron hörte er die Mädchen, Lumos, murmeln.

Tarsuinn hielt Winona seine Spritzpumpe hin.

„Könntest du bitte die Wände einsprühen? Aber pass auf, dass du die Tür nicht zuklebst", bat er.

„Geht klar", erwiderte das Mädchen.

„Und was mach ich?", erkundigte sich Toireasa.

„Mach es dir gemütlich", antwortete er sarkastisch und setzte sich auf den Fußboden, mit dem Rücken zu einer schon eingesprühten Wand. „Ich schätze, wir bleiben hier eine Weile."

„Das meinst du nicht ernst, oder?", erkundigte sich das Mädchen sehr beunruhigt.

„Doch", antwortete Winona an Tarsuinns Stelle. „Das ist unsere beste Chance. Die Wilde Jagd soll nur des Nachts unterwegs sein und wir haben für Professor Flitwick einen Brief für den Fall hinterlassen, dass wir nicht pünktlich zurückkommen."

„Nehmt es mir nicht übel", sagte Toireasa nicht gerade überzeugt klingend. „Aber wir haben vorhin kaum die fünfzehn Meter bis zur Tür geschafft, wie sollen wir die fünfzig Meter zurück inklusive Treppe schaffen?"

„Ich hab noch ein paar der Schnelligkeitspillen übrig", versuchte Tarsuinn sie etwas aufzumuntern, verschwieg jedoch, dass er selbst keine mehr nehmen konnte. „Mit freundlichen Empfehlungen von Professor Snape."

„Was hat Snape damit zu tun?", erkundigte sich Winona, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen.

„Er hat die Pillen gespendet. Als Bezahlung für meine Hilfsdienste", erklärte Tarsuinn vollkommen ernst.

„Freiwillig?", hakte Toireasa nach.

„Mal ehrlich, was erwartest du?", stellte Tarsuinn ironisch die Gegenfrage.

„Oh, klasse!", stöhnte Winona theatralisch, aber leise und ließ sich links neben Tarsuinn zu Boden sinken. „Wenn wir das also überleben und nach Hogwarts zurückkommen, wird Snape uns an den Ohren aufhängen."

„Wenn es nur das wäre!", fluchte Toireasa und setzte sich zu seiner Überraschung an seine rechte Seite. „Wir werden von der Schule fliegen."

„Nein, werdet ihr nicht", schüttelte Tarsuinn den Kopf. „Sagt einfach, ich hätte euch gezwungen, was ich bei dir ja auch irgendwie gemacht habe. Sorry."

Entschuldigend drehte er seinen Kopf Winona zu.

„So ein…", begann sie energisch, aber Tarsuinn unterbrach sie.

„Ob das nun deiner Ansicht nach stimmt oder nicht ist doch egal. Wenn ich fliege, ist das nicht so schlimm, als wenn es euch beide erwischt."

„Aber ich kann doch nicht…"

„Doch, du kannst. Schlicht und einfach weil es logisch ist. Warum sollen wir alle drei fliegen, wenn einer reicht. Ich habe mal ein Angebot von Tante Glenn bekommen, bei ihr zu leben, und den Rest meines Probejahres kann ich auch bei ihr die Luft mit meinem Zauberstab umrühren. Vielleicht habe ich sogar bei ihr bessere Chancen. Mein Ziel ist irgendein unbedeutender Zauber und wenn es nur ein Funken ist. Ihr aber seid auf Hogwarts angewiesen! Also – ich fliege und ihr sagt mir dafür, in was für einer Art von Raum wir hier eigentlich sind?"

Winona blieb still, während das Slytherin-Mädchen sofort die Möglichkeit ergriff das Thema zu wechseln.

„Sieht wie eine Behausung eines niederen Bediensteten oder ein komfortables Gefängnis aus", erklärte sie. „Ein gemachtes Bett, ein leerer Eimer. Ansonsten nichts. Außer vielleicht…?"

Sie machte eine kleine Pause und krabbelte irgendwohin.

„Was ist das?", erkundigte sich Winona interessiert.

„Irgendwelche Zeichen", murmelte Toireasa. „Sehen irgendwie seltsam aus."

„Das sehe ich auch!"

„Ich meinte, das sieht nicht wie eine normale Schriftsprache aus. Keine lateinischen, keine kyrillischen oder arabischen Zeichen. Tarsuinn, kennst du dich mit asiatischen Schriftzeichen aus?"

„Nicht wirklich", gab er naserümpfend zu. „Aber erkennen kann ich sie."

Er kroch vorsichtig zu den Mädchen und tastete nach den Schriftzeichen. Eine kleine Hand half ihm dabei ein wenig, nachdem er nicht sofort fand was er suchte.

Rätsel leider nur auf meiner Webseite verfügbar, da ich nicht weiß, wie und ob man hier Bilder einbinden kann

„Das ist sicher nicht Japanisch oder Chinesisch. Indisch auch nicht", brummte er. „Aber das fühlt sich wie ein Pi an und das da könnte ein Omega sein. Ein W, ein U, eine 8, ein seltsames A, eine 1 oder ein I, eine liegende 8. Der Rest ist irgendwie seltsam."

„Geheimcode!", urteilte Toireasa. „Aber warum?"

„Das ist doch offensichtlich", schnappte Winona. „Um etwas geheim zu halten."

„Das meinte ich nicht!", antwortete Toireasa, anscheinend ohne sich am Ton des anderen Mädchens zu stören. „Warum sollte hier jemand eine geheime Nachricht hinterlassen? Und für wen? Das ist doch unlogisch! Es sei denn, das hier ist wirklich eine Gefängniszelle."

„Du meinst, es könnte…?", begann Tarsuinn hoffnungsvoll, doch dann zwang er die aufkeimende Hoffnung zurück. „Bei unserem Glück ist das ein schmutziger Limerick."

„Versuchen wir es einfach zu entschlüsseln. Kann doch nicht so schwer sein oder habt ihr was Besseres zu tun?", schlug Winona vor.

„Ich schau mal in meinen Terminkalender", flüsterte Tarsuinn, mit dem Versuch eines Lächelns. Er war froh, dass es eine Ablenkung vom Warten gab.

Nur leider war Tarsuinn nicht sonderlich gut in solchen Dingen. Was bedeutete – die Mädchen diskutierten leise über besonders häufige Buchstaben und Zahlenspielereien, während er versuchte, sich nicht allzu viele Gedanken über ihre Situation zu machen. Denn was er den Mädchen nicht sagte – er konnte die Geister und vor allem das Lied draußen hören. Sie sprachen über den Nebel und was dieser hatte bezwecken sollen. Einige schienen sogar nach Eindringlingen zu suchen. Glücklicherweise anscheinend vor allem in den oberen – weil wichtigen – Räumen.

Und so war es nur folgerichtig, dass irgendwann ein so lautes Geschrei durch die Gänge hallte, dass selbst die beiden Mädchen es hören konnten.

„Was ist los?", fragte Toireasa beunruhigt.

„Sie haben die Würmer gefunden", erklärte Tarsuinn. „Und versuchen sie zu töten."

„Zu früh!", sagte Winona enttäuscht.

„Nicht unbedingt", gab Toireasa ihre Meinung zum Besten. „Der Blutige Baron hat sich durch den Scheintod der Bücherwürmer täuschen lassen. Vielleicht auch die hier."

„Meinst du?", erkundigte sich Winona.

„Sie dürfen nur nicht dabei sein, wenn die Würmer wieder aufwachen", sagte Toireasa ein wenig unsicher. „Ansonsten fällt das auf."

Eine Ablenkung wäre zu dem Zeitpunkt perfekt, dachte er und drängte sofort den Gedanken zurück. Überleben hatte Priorität eins! Dass er unbedingt Sir Oliver eins auswischen wollte, musste dafür zurücktreten.

„Wenigstens sind sie von uns abgelenkt", flüsterte Tarsuinn. „Wie weit seid ihr denn?"

„Na ja", sagte Winona zweifelnd. „Wenn das nicht wirklich mit Zahlen verschlüsselt ist, sondern nur mit Symbolen, die normale Buchstaben ersetzen, dann ist die Acht da ein E weil es am häufigsten vorkommt. Aber der Text ist zu kurz für weitere sichere Schlussfolgerungen. Das I könnte wirklich ein I sein oder aber das N. Oder das N ist dieser Doppelkrakel an dritter und vierter Stelle. Ich weiß nicht…"

„Ach, Mist!", fluchte Toireasa und setzte sich wieder zu Tarsuinn. „Es muss was relativ einfaches sein…"

„…etwas logisches…", ergänzte Winona.

„Und so offensichtlich, dass man es übersieht", führte das Slytherin-Mädchen den Gedanken zu Ende. „Wie würdest du jemand Unbekanntem etwas geheim mitteilen Tarsuinn?"

„Keine Ahnung. Für einen Blinden wahrscheinlich mit Punkten. A sind drei Punkte im Dreieck, B sind sechs Punkte, welche zwei Quadrate bilden und so weiter. Oder vielleicht das Morsealphabet."

„Und du, Winona?"

„Ich würde vielleicht von hinten nach vorn, alles hintereinander weg schreiben und jeder zweite Buchstabe wäre irgendein Unsinn."

„Okay – wir würden also alle normale Buchstaben verwenden", fuhr Toireasa fort. „Warum also hat…ach das ist ja zu einfach!"

Fast warf Toireasa sich nach vorn zu dem Bett und dabei kicherte sie so furchtbar, wie es nur Mädchen konnten. Natürlich hielt sie es nicht für nötig mitzuteilen, was sie da entdeckt hatte. Eine Minute später klatschte Toireasa dreimal leise in die Hände.

„Und?", fragte Winona nach mindestens dreißig Sekunden atemloser Stille.

„Das ist Beschiss!", beschwerte sich Toireasa. „Warum klappt das nicht? Ach – Moment!"

Sie klatschte einmal in die Hände, dann kurz hintereinander zweimal und nach einer Pause noch dreimal.

„So, und jetzt…?"

Tarsuinn hörte ein Plonk, dann ein „Au!" und Sekunden später schob sich etwas von unten durch den Fußboden. Toireasa sprang erschrocken vom Bett zurück.

„Klasse gemacht", kommentierte Winona sarkastisch.

Was hätte Tarsuinn in diesem Moment für ein wenig mehr Übung im Sehen von Geistern gegeben. Alles, was er erblickte – wenn man das überhaupt so nennen konnte – war ein heller, sich bewegender Fleck, mitten im Schwarz.

„Was in Morganas Namen habt ihr denn hier zu suchen?", zischte eine leise, kindliche Mädchenstimme. „Ich dachte, du hättest begriffen, dass eine vorzeitige Rückkehr mehr als unklug ist, Abkömmling!"

„Sorry", flüsterte Tarsuinn, der eine gewisse Vorstellung hatte, wer da mit ihm sprach.

„Ihr kennt euch?", erkundigte sich Winona. „Davon hast du nichts erzählt."

„Kennen ist übertrieben", wehrte er ab. „Wenn sie ein kleines, hübsches Mädchen ist, dann besteht die minimale Chance, dass sie uns nicht umbringen will."

„Da bringt man sich in Gefahr, indem man subtil mit den Augen klimpert und dann bekommt man nur Misstrauen zum Dank?", beschwerte sich das Geistermädchen.

„Ich bin nicht sonderlich geübt im Deuten von visuellen Hinweisen!", verteidigte sich Tarsuinn. „Zumindest aber bist du nicht schreiend losgezogen und hast uns die anderen auf den Hals gehetzt. Das muss ich dir zugute halten."

„Was noch nicht ist…", zweifelte Toireasa.

„…wird auch nicht sein, edle Slytherin", fauchte der Geist. „Ich werde mein Bestes geben, euch aus diesem Haus zu geleiten. So schnell als möglich."

„Das geht nicht!", wandte Tarsuinn ein. „Draußen wartet die Wilde Jagd."

„Ach?", war das Geistermädchen erstaunt. „Das verkompliziert die Sache nur unwesentlich!"

„Wir wollten bis zum Morgen warten", erklärte Winona und bewies damit mehr Vertrauen, als es Tarsuinn hatte.

„Dies ist leider eine Handlungsmöglichkeit, welche an den Gegebenheiten scheitern wird", kommentierte jedoch das tote Mädchen umständlich. „Die Tür bleibt ab Sonnenaufgang verschlossen. Für die Lebenden, wie auch für die Toten. Selbst für mich."

„Selbst für dich?", fragte Tarsuinn überrascht. „Zählst du nicht zu den Toten?"

„Ich zähle nicht zu diesen Toten!", ereiferte sich das tote Mädchen. „Ich hab mich früh genug selbst vom Leben zum Tode befördert, um nicht vollständig verflucht zu sein. Und das nur, um solch armen Irren wie euch eine Hilfe zu sein, die richtige Entscheidung zu treffen. Und wenn es sein muss, wird dies die Entscheidung sein, die ich auch getroffen habe."

Tarsuinn hörte, wie die beiden lebenden Mädchen laut und vernehmlich schlucken mussten. Er konnte es ihnen nicht verdenken.

„Aber soweit wollen wir es nicht kommen lassen", fuhr das Geistermädchen fort. „Zuerst –Mädchen mit dem Zopf – du wirst auch noch den Boden mit dem Zeug einsprühen, das ihr für Wand und Decke benutzt habt. Wobei du eine zwei mal zwei Fuß große Ecke frei lassen wirst, damit ich zu euch kommen kann. Um jedoch vor weiterem Besuch sicher zu sein, wirst du die Bettdecke da auch behandeln und damit den Eingang abdecken, bis ich klopfe.

Du – Slytherin – ich gehe davon aus, dass du schon mehr Magie gelernt hast als normale Kinder. Wenn sich in den letzten hundert Jahren nicht allzu viel geändert hat, dann solltest du mehr über die Dunklen Künste und deren Abwehr wissen, als gut für dich ist. Nimm deinen Zauberstab und folge meinen Bewegungen… Larva scutum…noch mal…die Qualität der Slytherins hat stark nachgelassen…noch mal… Larva scutum… genauer… senkrecht… nicht diagonal… noch mal… na endlich… üb das… es hilft, wenn du an etwas Lebendiges denkst…etwas, das dich in Aufregung versetzt…das dein Herz zum Rasen bringt… das stärkt den Zauber…macht das Schild für Geister undurchdringlich."

Tarsuinn fühlte sich furchtbar überflüssig.

„Warum kannst du dann hindurch gehen?", hörte er Toireasa zweifeln.

„Dummerchen", kicherte das Geistermädchen und es erklang ein Geräusch, das frapierend nach einer Kopfnuss klang. „Bin ich durchscheinend – nein! Hat das wehgetan – sicherlich! Also was bin ich?"

„Ein Poltergeist?", kam die unsichere Antwort.

„Genau, Dummerchen. Und nun üb weiter! Jetzt zu dir."

Der helle Fleck in seiner Wahrnehmung schwebte wieder näher. Er war erstaunt, wie selbstsicher und erfolgreich das Geistermädchen die Führung übernommen hatte. Wie alt war sie überhaupt? Ihre Worte legten nahe, dass sie mehr als einhundert Jahre hier weilte. Es war schwer, diese Zeit mit dem kleinen Mädchen aus seinen Erinnerungen in Einklang zu bringen.

„Wir wissen, warum du zurückgekommen bist, nicht wahr?", flüsterte es in sein Ohr und eine eiskalte Hand streichelte kurz über seine Wange. Er nickte nur.

„Obwohl du offensichtlich nicht zaubern kannst?"

Wieder nickte er.

„Du hast ein mutiges Herz, denn du weißt, sie werden dich nicht gehen lassen! Für dich gibt es keinen einfachen Fluchtweg."

„Was kann ich tun?", hauchte er, in der Hoffnung, dass die beiden Mädchen ihn so nicht hören konnten.

„Tu, wozu du hier bist. Was du suchst, ist in der Schatzkammer. Dorthin können nur Sir Oliver und ich dir folgen."

„Ich komme nicht durch den magischen Schutz!", erinnerte er sie.

„Doch! Nutze deinen Zauberstab."

„Wie? Ich kann nicht zaubern!"

„Du sollst ja auch nicht zaubern. Lass den Stab seine Arbeit tun. Nutze ihn wie ein Messer. Sir Oliver kannst du mit dem Geistergefängnis in Schach halten – ich hoffe, den Stein hast du noch?"

„Ja", bestätigte Tarsuinn.

„Gut", sagte sie nur und schwieg.

„Und was mache ich dann?", erkundigte er sich nach einer langen Minute.

„Verhandeln, improvisieren, was weiß ich", nahm sie ihm fast jede Hoffnung und schwebte davon. „Dummerchen! Was habe ich über senkrecht gesagt? Von oben nach unten. Bei Merlin, da rotiert ja der olle Slytherin in seinem Grab. Zopfmädchen! Komm her und mach es besser."

Lange Zeit hörte Tarsuinn zu, wie die zwei Mädchen einen Zauber übten, der eigentlich weit über ihr Alter hinausging. Und ihre geringen Fortschritte, die sie dabei machten, gaben nicht gerade Anlass zu Hoffnung. Doch Tarsuinn hatte inzwischen begriffen, dass das Geistermädchen überhaupt nicht auf diesen Zauber setzte. Die Mädchen sollten einfach nur abgelenkt sein, wenn es ernst wurde. Eigentlich ging es auch gar nicht anders. Er musste zugeben, ihnen waren die Tricks ausgegangen. Bis auf die Beschleunigungspillen für Winona und Toireasa hatten sie nichts mehr, was man als As bezeichnen konnte. Krampfhaft versuchte er sich etwas zu überlegen, womit er sich seinen Weg frei handeln konnte.

Aber vielleicht – machte er sich selbst Hoffnung – gab es in der Schatzkammer etwas, was er benutzen konnte.

Irgendwann schien das Geistermädchen mit den Fortschritten der Mädchen zufrieden und sie verließ den Raum durch den kleinen unbehandelten Fleck im Boden. Tarsuinn legte die Decke – die inzwischen hart wie ein Brett war – über die Stelle.

Keine fünf Minuten später war sie wieder da. Tarsuinn hatte ihr leises Klopfen problemlos gehört. Inzwischen schien er Geister genauso gut hören zu können, wie Menschen.

„Gut, ich hab die Wilde Jagd weggeschickt", eröffnete das Geistermädchen. „Und die Verfluchten hier ahnen noch nichts von eurer Anwesenheit. Wenn ihr länger hier verweilt, können die Bedingungen nur noch schlechter werden!"

Toireasa und Winona stellten sofort ihre Übungen ein und auch Tarsuinn erhob sich mit Tikki im Arm.

„Ich würd dir gern drohen, für den Fall, dass du uns verrätst", sagte Toireasa ernst zu dem Geistermädchen. „Aber mir fällt kein Druckmittel ein, das nicht lächerlich klingen würde."

Das brachte die Angesprochene zum Lachen.

„Gut gesprochen, Dummerchen. Aber jetzt Aufstellung. Ihr Mädchen zuerst. Da euer kleiner Freund hier die Fähigkeit zu zaubern verloren hat, müsst ihr die Verfluchten von ihm ablenken. Alles klar?"

Tarsuinn nickte und auch seine beiden Begleiterinnen schienen zuzustimmen.

„Gut. Dann jetzt noch ein paar Tipps. Konzentriert euch auf das Leben, auf Leidenschaft. Das muss nicht unbedingt ein gutes Gefühl sein. Das hier ist kein Patronus-Zauber. Wenn ihr jemanden leidenschaftlich hasst, ist das auch ein stärkendes Gefühl. Desweiteren – dreht euch nicht um. Stolpert ihr, seid ihr tot. Lauft schnell. Es gibt hier noch drei weitere Poltergeister, die Gegenstände nach euch werfen werden. Seid ihr schnell, treffen sie schlechter.

Kleiner Abkömmling! Du hältst dich an deine Vertraute. Sie hat mehr Verstand, als ihr drei zusammen. Sollte ich erleben, dass du nicht ihren Befehlen gehorchst, werde ich meine destruktiven Anwandlungen nicht beherrschen und wie jeder normale Poltergeist sehr poltrig werden! Klar?"

„Denk schon", bestätigte Tarsuinn. „Aber bevor es losgeht, hab ich noch Fragen."

„Wir haben nicht viel Zeit!", drängte das Geistermädchen.

„Nur ganz kurz", bat er. „Wie heißt du eigentlich?"

„Marie-Ann", antwortete sie kurz angebunden.

„Und? Wie weiter?"

„Nichts weiter."

„Sie heißt Marie-Ann Holt", mischte sich Toireasa gedämpft ein.

„Woher weißt du?", fragte das tote Mädchen verblüfft.

„Familienchronik", antwortete die Slytherin. „Du hast dort einen eigenen Absatz."

„Ach – ich hoffe doch einen todtraurigen", kicherte sie nun.

„Durchaus."

„Na, dann bin ich ja zufrieden. Können wir endlich?"

„Eine Frage noch", beeilte sich Tarsuinn. „Was hat es mit dieser Abkömmling Sache wirklich auf sich?"

„Oh je. Das würde jetzt etwas zu lange dauern, das alles zu erklären", antwortete sie abwehrend.

„Aber niemand sonst kann es mir sagen", jammerte er ein wenig.

„Na ja – wenn es sein muss – die harte Kurzversion. Du bist eine Absonderlichkeit. Die andere Seite eines Magneten sozusagen. Nicht stärker – nur anders. Und Andersartigkeit bringt Vorurteile, Missverständnisse und Begierden mit sich. Und wenn Begierden zur Besessenheit werden, dann gibt es auch Zauberer, die Einhornblut trinken, um sich diese anderen Kräfte zunutze zu machen! Selbst wenn es bedeutet, verflucht über den Tod hinaus zu sein."

„Aber du hast doch auch getrunken?", unterstellte Tarsuinn.

Damit schien er einen empfindlichen Nerv getroffen zu haben, denn das tote Mädchen betonte jetzt jedes Wort und klang völlig unterkühlt.

„Ich habe getrunken, aber nicht getötet. Mein Körper ist verflucht, aber nicht meine Seele! Ich war elf und hatte keine Freunde. Und ich hatte auch niemanden, der mich davon abgebracht hat aus diesem Becher zu trinken! Also…"

„Ich wollte dir keinen Vorwurf machen", warf Tarsuinn schnell ein, da sie ziemlich laut geworden war. „Ich wusste nur nicht, dass man halb verflucht sein kann."

Ein Strom kalter Luft blies über Tarsuinn hinweg.

„Entschuldige bitte. Ein unangenehmes Thema", sagte sie deutlich gefasster. „Es ist der vierte Schritt von dem Sir Oliver sprach. Der Trank aus einem anderen Gefäß. Eine harmlose Beschreibung für den Mord an einem Einhorn und den Raub dessen Seele, indem man das Blut trinkt, während es stirbt. Damit verflucht man sich auf ewig. War es das jetzt endlich an Fragen?"

Eigentlich war das noch nicht alles, doch Tarsuinn fürchtete inzwischen die Antworten.

„Wir sollten aufbrechen!", sagte er deshalb.

„Gut!", freute sich Marie-Ann. „Zopfmädchen, verwandtes Dummerchen! Zaubert! Los!"

Nach einigen Versuchen konnte Tarsuinn ein leises Summen von da hören, wo die Mädchen standen.

„Gut", kommentierte Marie-Ann trocken. „Muss wohl reichen. Ich zähle bis drei – drei und jetzt rennt!"

Eines der Mädchen riss die Tür auf und dann rannten beide los. Tikki sprang aus Tarsuinns Armen und folgte. Das war auch sein Aufbruchssignal, nur war er etwas langsamer als der Rest. Trotzdem war er immer noch schneller, als eigentlich gesund für ihn war und er verließ sich vollkommen auf Tikkis Anweisungen. Die Mädchen waren schon weit enteilt, als er endlich die Treppe nach oben in den Saal hinter sich gebracht hatte. Sie machten mehr Krach als eigentlich nötig, anscheinend um die im Saal anwesenden Geister von ihm abzulenken. Er konnte nur zu gut die vielen kleinen hellen Flecken im Dunkel seiner Welt sehen. Dort wo sie waren – ein Bollwerk der Kälte – war auch die Tür nach draußen. Tikki wandte sich von der trügerischen Sicherheit der Tür ab und führte ihn die Treppe weiter hinauf. Er folgte hastig und ignorierte, dass er durch zwei Geister lief, die sofort zu schreien anfingen. Zum Glück war in dem Saal ein solcher Radau, dass deren Warnungen zunächst im Lärm untergingen. Fast unbehelligt – drei Angreifer konnte man bei Geistern wirklich nicht als ernsthafte Opposition betrachten – erreichte er die Tür zur Schatzkammer. Fast beiläufig zog Tarsuinn seinen Feuerrubin und fing einen der Geister damit. Es war einfach, wenn man sie kommen sah. Dann öffnete er die Tür und schlüpfte mit Tikki hinein. Für einige Sekunden war er mit seiner kleinen Freundin allein. Wie ein richtiger Zauberer zog er seinen echten Zauberstab und lief auf die magische Barriere zu.

Benutze ihn wie ein Messer, hatte Marie-Ann gesagt und so stieß er den Stab in den Zauber und tat so, als würde er ein großes Loch hineinschneiden. Zu seinem Erstaunen schien es zu funktionieren, denn Tikki sprang mitten durch den magischen Schirm.

Ein laut gebrülltes: „Nein!", von der Tür, lenkte ihn für einen Augenblick ab, dann sprang er selbst hinterher. Keinen Moment zu spät, aber fast, denn das Loch schloss sich schon wieder, sein Fuß blieb halb hängen und für einen Moment brannte sein linkes Hosenbein. Hektisch drückte er mit den Händen die Flammen aus, dann schnappte er sich wieder Zauberstab und Feuerrubin, die er hatte fallen lassen müssen. Einen Moment später fühlte er sich, als würde ein Eiszapfen sein Herz durchbohren. Er kannte das Gefühl nur zu gut.

Tarsuinn sprang auf und hielt den Feuerrubin wie eine Waffe vor sich.

„Komm doch, Oliver!", schrie er und seine Stimme überschlug sich vor Angst. „Noch mal! Bringen wir es hinter uns!"

Kontrolliere dich! – forderte die Stimme seine Schwester. Sei ruhig und gefasst.

Leichter gesagt als getan, dachte er bei sich, versuchte aber trotzdem seinen Atem zu beruhigen. Hier konnte er sich den Ausweg nur frei quasseln, nicht kämpfen.

Sir Oliver", fuhr der Geist ihn an, machte aber keine Anstalten für einen weiteren Angriff.

„Mir egal", erklärte Tarsuinn und versuchte Überlegenheit in seine Stimme zu legen. „Ich hab zu tun."

Mit ausgestrecktem Arm tastete er sich langsam auf den Geist zu, dessen Lichtschemen rechtzeitig zur Seite auswich, bevor der Feuerrubin ihn berührte.

„Brav", flüsterte Tarsuinn. Der Geist hatte sich vorher genau vor seinem Ziel befunden, der Quelle der verführerischen Musik. Leider stießen seine tastenden Finger kurz vor dem Becher auf unerwarteten Widerstand – eine Wand. Er unterdrückte einen Fluch und begann – gleichzeitig Sir Oliver in Schach haltend – nach einem Schloss oder Hebel zu tasten. Doch er fand nichts dergleichen, was ein lautes Lachen bei seinem Feind provozierte.

„Es gib keinen Ausweg mehr für dich, Abkömmling!", freute sich der Geist. „Siehst du, wie sie dich erwarten?"

„Wie könnte ich diese Bande Idioten ignorieren, die alle auf dich hereingefallen sind!", sagte Tarsuinn kühl und registrierte erst jetzt die hellen Flecke, die außerhalb des magischen Schirms auf ihn warteten.

Erstaunlicherweise störte ihn die Anwesenheit der anderen Geister wirklich keine Sekunde, mehr machte ihm zu schaffen, dass er nichts fand, um die Wand zu öffnen. Es musste doch etwas geben. Warum musste dieser Raum so verdammt groß sein? Das war frustrierend. Wahrscheinlich war es auch noch ein offensichtlicher Mechanismus, denn Sir Olivers Lachen wurde immer hämischer und auch die Geister draußen kicherten verhalten.

Nach einer Viertelstunde gab Tarsuinn auf und begab sich wieder zu der Stelle, an der er dem Lied am nächsten war. Er öffnete ein wenig sein Hemd und hing sich den Feuerrubin wieder um den Hals, so dass dieser kühl auf seiner Haut lag.

Geist und Träger müssen den Rubin gleichzeitig berühren. So hatte es im Buch gestanden und er fragte sich, warum er die ganze Zeit hektisch den Stein durch die Gegend zeigte, wenn es auch so ging. Das sah sicherlich sofort etwas souveräner aus – hoffte er.

„Hält jetzt wieder die Vernunft Einzug?", fragte Sir Oliver.

Tarsuinn beschloss ihn erst mal zu ignorieren. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Magie um sich herum, so als würde er mit Tikki – Find den Rubin – spielen. Das hier sollte doch der Schatzraum schlechthin sein. Voll mit tollen magischen Dingen.

Und es war einfach! Jetzt – etwas ruhiger – stellte er fest, was für ein kleines Licht doch sein Rubin darstellte. Die Schwärze seiner Wahrnehmung, in der nur ein paar Geisterleuchten waren, wurde langsam grau und richtig helle Flecken blendeten ihn fast.

Ein fast euphorisches Gefühl überkam ihn. Langsam ging er auf ein Leuchten zu, bückte sich, griff danach…und zuckte schmerzerfüllt zusammen. Tikkis Zähne bohrten sich in seine Hand und zogen diese zurück. Es war, als würde er aus einer Trance erwachen. Er kannte das Gefühl nur zu gut.

Hör auf Tikki!

Auch das hatte man ihm schon häufiger geraten.

„Ich brauch was für brutale, sinnlose Gewalt", flüsterte er Tikki zu und streichelte sie dankbar. Sicher hatte sie ihn vor etwas Schlimmem bewahrt.

Sie schimpfte kurz mit ihm, fauchte hemmungslos in Richtung Sir Olivers und lotste ihn dann in eine der hinteren Ecken, wo er einen Gegenstand ertastete.

„Was ist das denn?", fragte er. „Verrückte, kleine, größenwahnsinnige Herrscher schummeln beim Quidditch?"

Amüsiert prüfte er das Gewicht des Schlägers, den er dank Tikki gefunden hatte und der auch ein heller Fleck in seiner visuellen Wahrnehmung war.

„Danke, Tikki", grinste er. „Du kannst Gedanken lesen."

Er schlenderte wieder zum Lied zurück.

„Nachher versuch ich das mit dir", versprach er Sir Oliver und begann beherzt auf die Wand einzudreschen. Es tat unheimlich gut, die Holzverkleidung splittern zu hören und es kostete ihn einiges an Selbstbeherrschung, es nach den ersten Schlägen etwas vorsichtiger anzugehen. Schließlich wollte er den Becher unter keinen Umständen beschädigen. Immer wieder prüfte er seine Fortschritte und nachdem es ihm gelungen war ein Loch zu schlagen, brach er den Rest mit den Händen weg. Dabei zog er sich einige Holzsplitter in die Haut, doch das interessierte ihn nur am Rande. Nur wenige Minuten später hielt er in der Hand, wofür er hergekommen war. Und im Gegensatz zum ersten Mal, nahm er sich diesmal die Zeit zu erfühlen, was er da hielt.

„Und jetzt trink", befahl Sir Oliver. „Sieh es ein. Dafür bist du bestimmt. Es ist für dich der einzige Weg Magie zu erlangen."

„Lieber sterbe ich", verkündete er und es klang so ungeheuer pathetisch, dass ihm fast die Ohren wehtaten.

„Nicht nur du, wie wir ja wissen", schoss der Geist einen hinterhältigen Pfeil ab.

„Besser zu sterben, als auf ewig hier zu leben!", wehrte Tarsuinn ab.

Mit dem Schlips seiner Schuluniform und einem undefinierten Gegenstand, den Tikki ihm gebracht hatte, versuchte er den Becher fest zu verschließen, auf dass dessen Inhalt nicht auslaufen würde.

„Und sterben wirst du recht bald", versprach Sir Oliver.

„Ja, darüber mache ich mir auch schon so meine Gedanken", gab Tarsuinn zu.

Inzwischen hatte er sich beruhigt. Er hatte einen Plan. Und wenn etwas einem Ravenclaw gut tat, dann war es das Wissen nach Plan vorzugehen. Selbst wenn er absolut wacklig war und auf eingeseiftem Marmorboden stand.

Zuerst öffnete er seinen Gürtel und verschloss ihn dann wieder, wobei jetzt der Gürtel nicht nur seine Hose, sondern auch den verschlossenen Becher fest an seine Hüfte band.

„Weißt du Olli…?", sagte Tarsuinn frech. „Dränge niemanden soweit in die Ecke, dass er keinen Ausweg mehr sieht. Alte japanische Weisheit."

„Wie meinst du…", begann Sir Oliver, aber Tarsuinn ignorierte ihn und schwang locker den Schläger durch die Luft.

„Wissen ist wirklich etwas Feines, meinst du nicht auch? Ach, wie habe ich manchmal die Schule gehasst. Wer hätte je gedacht, dass meine destruktive Ader irgendwann mal so gut mit meinem akademischen Wissen kooperieren würde. Ich meine…"

Er holte mit dem Schläger aus und zertrümmerte irgendetwas leicht Magisches.

„…wenn man einen mächtigen Gegenstand zerstört, dann soll es zu furchtbaren magischen Nebenwirkungen kommen."

NICHT!"

Er schwang den Schläger zum zweiten Mal und etwas aus Glas zersplitterte.

„Ach Mist – wieder nicht. Aber irgendwann treff ich schon was mit mehr Magie. Es würde mich ernsthaft interessieren, ob dann hier wirklich die Hölle losbricht. Theoretisch müssten doch auch alle anderen, schwächeren Sachen, mit hochgehen."

Diesmal brauchte er mehrere Schläge, um ein metallenes Irgendwas aus seiner Wahrnehmung zu löschen. Und diesmal gab es einen unangenehmen Blitz, der seine Arme hinauffuhr und ihn beinahe lähmte.

„Na Olli? Irgendwelche Wetten?"

Tarsuinn schüttelte das Kribbeln aus seinen Armen, dann baute er sich vor einem der stärksten magischen Gegenstände auf. Und das war kein wirklicher Bluff, es war eher eine letzte Chance. Er holte weit und theatralisch aus…

Aufhören!", schrie Sir Oliver.

„Wieso?", erkundigte sich Tarsuinn, den Schläger noch immer erhoben. „Wir sind doch eh tot. Ich wähle nur eine Art, die möglichst viel Schaden bei euch anrichtet."

„Vielleicht finden wir doch eine andere Lösung", bot Sir Oliver an. Er klang recht besorgt, vielleicht auch etwas geschockt.

„Ich höre?", gab Tarsuinn sich verhandlungsbereit und versuchte dabei seine Erleichterung zu verbergen.

„Ich garantiere dir freies Geleit hier heraus!"

„Schwaches Angebot!", urteilte Tarsuinn. „Wo sind unsere Sicherheiten?"

Er holte wieder aus.

„Ich halte mein Wort!", beeilte sich Sir Oliver zu versichern. „Aber ich kann deine Bedenken durchaus verstehen. Was wünschst du denn als Sicherheit?"

„Das ist deine Spielwiese. Aber wie wäre es mit dir, hier drin."

Tarsuinn deutete auf seinen Anhänger.

„Niemals!", schrie Sir Oliver.

„Warum nicht? Ist doch eine perfekte Lösung. Soweit ich weiß, kann man hier drin etwa fünf Geister einsperren. Zwei sind mindestens schon drin. Mit dir dann drei oder mehr. Und wie du vielleicht weißt – wenn nicht, solltest du es fix in der Bibliothek nachlesen – falls ihr die Würmer rechtzeitig getötet habt – wird der Stein zerstört, wenn zu viele Geister drin sind und sie werden aus der Geschichte gelöscht. Soweit ich gelesen habe, auf eine recht schmerzhafte und langwierige Art und Weise. Eine perfekte Möglichkeit deine Freunde da draußen zurückzuhalten. Natürlich, falls sie nicht nach deinem Thron streben."

„Ich würde euch erlauben, das Schwert dort mitzunehmen…"

Tarsuinn konnte leider dem Fleck, der Sir Oliver war, nicht entnehmen, auf was er deutete.

„…Es kann Geister abwehren."

„Können wir es mal austesten?", fragte Tarsuinn misstrauisch.

„Warum nicht?", stimmte Sir Oliver zu. Viel zu schnell, wie Tarsuinn fand.

„Muss nicht sein. Mir gefallen meine beiden Lösungen dieses Patts besser."

„Was soll ich denn sonst anbieten? Es gibt keine sichere Lösung für deine Lage, Kind."

„Dann wirst entweder du dich für deine Sache opfern müssen oder ich uns, auf eine Weise, wie sie mir gefällt. Jetzt musst du dich fragen, ist unser Leben und deine Freiheit wert, was ich zu vernichten gedenke?"

Eine Weile sagte Sir Oliver nichts. Tarsuinn ließ ihm die Zeit zum Nachdenken. Immerhin verlangte er ziemlich viel.

„Du wirst mich wieder freilassen, wenn ihr in Sicherheit seid!", verlangte er.

„Mein Wort drauf", versprach Tarsuinn.

„Und warum sollte ich deinem Wort vertrauen?", zweifelte nun der Geist seinerseits.

„Ich bin der Gute, vergessen? Wir halten unser Wort", grinste Tarsuinn frech.

„Sobald ihr in Sicherheit seid?"

„Ich werde sofort alles Nötige tun!", präzisierte Tarsuinn ernsthaft.

Wieder eine längere Pause.

„Du lässt alles hier, außer dem, was du mitgebracht hast!", forderte der Geist.

„Der Becher kommt mit!", wehrte Tarsuinn entschieden ab. „Er gehört euch nicht!"

„Damit liegst du falsch."

„Darüber diskutiere ich nicht!"

„Dann muss ich das wohl akzeptieren!", sagte Sir Oliver langsam. „Aber ich muss vorher mit den anderen sprechen. Damit es keine Missverständnisse gibt."

„Bitte so, dass ich es hören kann", verlangte Tarsuinn und war erstaunt über das Einlenken des Geistes. So etwas wie Hoffnung keimte wieder in ihm auf. Eigentlich hatte er sich nur darauf konzentriert, möglichst effektvoll abzutreten.

„Aber natürlich!", stimmte der Geist seiner Bedingung zu.

„Merkt alle auf!", verkündete er dann sehr laut. „Ihr werdet den Abkömmling und seine Vertraute nicht anrühren und sie sicher nach draußen lassen. Ich garantiere ihnen sicheres Geleit! Vergesst nicht, meine Zauber existieren weiter, auch wenn ihr mich vernichtet. Ich denke, keiner von euch ist erpicht auf die Ewigkeit in der unteren Ebene! Meine Bilder würden euch lehren, was es heißt mich zu hintergehen. Habt ihr das alle verstanden?"

Murrende Zustimmung war zu vernehmen. Sir Olivers Fleck schwebte wieder näher.

„Bringen wir es hinter uns", sagte er hoheitsvoll.

Tarsuinn runzelte die Stirn.

„Ich bin erstaunt…", begann er, doch der Geist schnellte nach vorn und wurde sofort in den Stein hineingezogen. Nicht jedoch, ohne Tarsuinn vorher noch einen schmerzhaften Stich ins Herz zu versetzen. Überrascht kam ein Schrei aus seiner Kehle. Doch dieser eine Schmerz war alles. Eine gemeine Geste, nichts weiter.

Fast abwesend ließ er den Schläger fallen. Etwas splitterte.

„Ähem… ja… gut", stotterte er, immer noch über seinen Erfolg erstaunt. „Tikki, was hältst du von einem gepflegten Hinausschlendern? Ah – das dachte ich mir. Komm!"

Wie ein Angeber ging er zu dem magischen Schirm. Tikki hüpfte voraus. Mit viel überflüssigem Schwung zog er seinen Zauberstab heraus und zeichnete eine große Öffnung für sich und Tikki. Dann hüpften sie durch den Schirm, bevor dieser sich wieder schloss, und standen nun einer Wand aus Geistern gegenüber.

Ohne ein Wort ging er mit Tikki auf diese Wand zu. Erst kurz bevor er sie berührte, wichen die Geister zur Seite. Gemurmelte Beschimpfungen prasselten auf ihn nieder. In vielen unterschiedlichen Sprachen zwar, aber auch wenn er nicht alle verstand, im Grunde sagte der Ton genug. Sie schafften es nicht, dass er sich schlecht fühlte. Nicht wie sie der Versuchung nachgegeben zu haben – und er musste zugeben, es war schwer für ihn gewesen – bedeutete ihm viel zu viel, als dass sie ihn verletzen konnten. Außerdem war ihm im Moment seine körperliche Unversehrtheit wichtiger, als sein Selbstwertgefühl.

Als er eine Minute später die Tür nach draußen öffnete, dankte er allen möglichen westlichen und östlichen Göttern, in dem er erschöpft im Matsch auf die Knie sank.

Tarsuinn!", begrüßten ihn zwei Mädchenstimmen besorgt und jemand der nach Orange und Schweiß roch, umarmte ihn stürmisch.

„Wir dachten, sie hätten dich erwischt!", sagte Winona und klang ein wenig verweint.

„Das dachte ich auch", gab er zu und löste sich, da er sich ein wenig unwohl fühlte. Mädchen, die ihn umarmten und nicht Rica hießen, hatten aus irgendeinem Grund diese Wirkung auf ihn.

Er stand vorsichtig auf und zog das Mädchen mit aus dem Dreck.

„Ähem – ja", sagte Winona betreten. „Geht es dir gut?"

„Ich denke schon", lächelte Tarsuinn aufmunternd. „Und euch beiden?"

„Jetzt wieder gut", beantwortete Winona seine Frage und haute ihm mit der flachen Hand eine runter, dass es hallte.

„Du hast uns belogen!", fauchte sie jetzt ärgerlich. „Ich hab gesehen, dass du überhaupt nicht versucht hast wegzulaufen. Du hast uns belogen!"

Seine rechte Gesichthälfte brannte mehr aus Scham, denn vor Schmerz, obwohl er sicher war, dass sich alle ihre Finger gut auf seiner Haut abzeichneten.

„Wir wussten, ich würde nicht wie ihr wegkommen", erklärte er ruhig. „Deshalb haben wir einen anderen Weg gewählt! Außerdem musste ich unbedingt das mitnehmen."

Er schlug seinen Umhang zur Seite und gewährte den Mädchen einen Blick auf den Becher in seinem Gürtel.

„Wegen so einem armseligen Becher waren wir hier?", erkundigte sich Toireasa, die deutlich gefasster als Winona schien.

„Ich erkläre euch das auf dem Rückweg so gut ich kann", versprach Tarsuinn. „Nachdem wir hier die Tür dicht gemacht haben! Okay?"

„Du musst vorher Sir Oliver freilassen!", forderte ein Geist von der offenen Tür her.

Nickend trat Tarsuinn hinzu.

„Stimmt ja!", sagte er dabei. „Sobald ich weiß, wie man das macht, bekommt ihr ihn wieder."

Dann knallte er die Tür vor ihren Nasen zu und trat zurück.

„Wenn das der Hut wüsste, hätte er mich nach Slytherin gesteckt", murmelte er dabei und fühlte einen kleinen Stich der Schuld, doch er konnte Sir Oliver nicht frei lassen, er wusste wirklich nicht wie. Aus der Hütte hörte er wütendes Geschrei.

„Ich schätze, du musst uns nachher viel erzählen", urteilte Winona und er konnte hören, wie sie die Tür wie das restliche Haus präparierten. Erst der Geisterschutz, dann Erde, dann der Pflanzenbewuchs. Tarsuinn fühlte nach der Uhr und stellte fest, dass beiweiten nicht soviel Zeit vergangen war, wie er geglaubt hatte. Wenn sie sich beeilten, konnten sie es noch vor dem Frühstück zurück zur Schule schaffen.

17

story by Tom BörnerGeheimnisse der Vergangenheit

www.storyteller-homepage.dedd.12.yyyy