- Kapitel 25 -
Der Becher, der sich niemals leert
Toireasa wandelte an diesem Morgen zwischen dem Gefühl absoluter Erschöpfung und einem Hurra-ich-lebe-noch. Sie war nicht dazu gekommen zu schlafen. Nach einer ausgiebigen heißen Dusche und dem provisorischen Reinigen ihrer schlammverkrusteten Kleidung war auch schon wieder die Zeit zum Aufstehen gekommen. Es war das erste Mal, dass sie ernsthaft daran dachte zu schwänzen. Doch dann tröstete sie sich mit Geschichte der Zauberei, die sie am Vormittag hatte und die ihr etwas Schlaf versprach.
Aber trotzdem sie kaum aus den Augen schauen konnte, war sie doch aufgekratzt und neugierig. Tarsuinn hatte ihnen nicht wirklich gesagt, was es mit diesem Becher auf sich hatte, für den er sein und ihr Leben riskiert hatte. Er hatte nur gemeint, dass er einen Verdacht hätte und dass er Hilfe brauchen würde, um diesen zu bestätigen. Wobei er sich mit Hilfe weder auf Winona noch auf Toireasa bezogen hatte. Wahrscheinlich meinte er damit einen der Lehrer.
Aber das war eindeutig nicht sein einziges Geheimnis. Es war Toireasa durchaus aufgefallen, wie lückenhaft seine Geschichte über die Geschehnisse in der Hütte gewesen war. Auch warum ihn dieses tote Mädchen – eine alte Verwandte von Toireasa übrigens – Abkömmling genannt hatte und warum die Geister ihn so gehasst hatten, war unbeantwortet geblieben. Zumindest für Toireasa, Winona schien da einiges mehr zu wissen.
Was Toireasa aber am meisten freute, war – neben dem Gefühl etwas richtig gemacht zu haben –die Verabschiedung von den beiden Ravenclaws gewesen. Tarsuinn hatte zwar nur ein übermüdetes „Danke!" gemurmelt, aber von Winona hatte sie ein „Du hast es echt drauf!" bekommen. Außerdem befand sich ihr geliebter Zauberstab noch immer in der Ärmeltasche und – natürlich ganz wichtig – sie waren nicht erwischt wurden. Das Leben war also fast perfekt.
Gut gelaunt begrüßte sie Professor Snape auf dem Weg zur Großen Halle und sie freute sich auf ein kalorienreiches Frühstück. Sie bog gerade um eine Ecke, als sie Filchs aufgeregte Stimme hörte.
„Professor Snape, gut dass ich Sie treffe", rief der Hausmeister eifrig.
„Was ist, Mr Filch?", erkundigte sich Snape in seiner gewohnt überlegenen Art.
„Ich muss Sie informieren, dass heute Nacht Schüler unterwegs waren", erzählte Filch in verschwörerischem Tonfall. Toireasas Magen zog sich sofort schmerzhaft zusammen. Besorgt drückte sie sich an die Wand und lauschte.
„Ich habe beim morgendlichen Kontrollgang Schlammspuren gefunden", schwatzte Filch weiter. „Die waren am Abend noch nicht da."
„Die Weasley-Zwillinge", folgerte Snape eisig. „Diesmal…"
„Nein, Professor", unterbrach der Hausmeister, was er sonst nie bei einem Lehrer wagte. So aufgeregt war der Mann über seine Entdeckung. „Diesmal nicht die Rote Pest. Ich habe die Spuren zu den Ravenclaws und…"
Filchs Stimme wurde verschwörerisch und für Toireasa kaum noch hörbar.
„…in die Kerker verfolgt."
Toireasa wagte kaum Luft zu holen und schlich sich so schnell wie möglich davon.
Sie war so dumm gewesen! Und Professor Snape war das sicher nicht. Wenn sich die Schüler zweier Häuser heimlich trafen, gab es gemeinhin nur zwei Gründe. Ein kleines illegales Duell oder aber gemeinsamer Unsinn. So wie sie Snape einschätzte, würde er erst mal nach Anzeichen für Gewalttätigkeiten schauen, prüfen ob sein Slytherin mehr oder weniger abbekommen hatte und dann eventuell intervenieren. Sollte er keine Verletzungen entdecken, würde er sich wahrscheinlich überlegen, welcher Slytherin mit Ravenclaws so gut auskam, auf dass sie gemeinsam Unsinn anstellten.
Auf wen würde er da wohl kommen?
Schnell eilte sie zur Großen Halle, ging jedoch nicht hinein, sondern wartete draußen und zwar so, dass der Strom der Ravenclaws an ihr vorbeischlenderte.
Sie befürchtete schon, dass Winona und Tarsuinn gar nicht zum Frühstück kommen würden und wollte sich gerade zu deren Turm hoch schleichen, als die beiden doch noch zum Essen kamen. Verschwörerisch winkte Toireasa Winona zu.
„Was ist los?", erkundigte diese sich auch sofort, nachdem Toireasa die Ravenclaws in den Schatten der Statue von Karl dem Gebissenen gelotst hatte.
„Filch hat heut Morgen unsere Spuren entdeckt", erklärte Toireasa schnell. „Er hat Snape erzählt, dass Slytherins und Ravenclaws draußen waren. Ihr dürft einmal raten auf wen er zuerst tippt."
„Wie will er es uns nachweisen?", wehrte Winona ab. „Er kann uns gar nichts."
„Euch vielleicht nicht, aber mir. Als mein Hauslehrer kann er in die Kerker kommen und wenn er meine nassen Klamotten sieht…ihr wisst ja…die Hauselfen holen nur am Abend die schmutzige Kleidung ab. Wenn er es drauf anlegt, sind wir geliefert. Er muss nur Professor Flitwick unter Druck setzen, auch bei euch nachzusehen."
„Flitwick macht so was nicht", sagte Winona entschieden.
„Stimmt", pflichtete Tarsuinn lächelnd bei. „Aber er würde uns direkt fragen und dann ist es nicht einfach ihn anzulügen. Und du, Winona, kannst das überhaupt nicht!"
„Und was schlagt ihr stattdessen vor?", schnappte Winona etwas beleidigt. Nicht lügen zu können, war unter elfjährigen Schülern ein durchaus peinliches Manko.
„Ich dachte, wir streiten es nicht ab", begann Toireasa und hob abwehrend die Hände, als sie den kommenden Widerspruch sah. „Natürlich erzählen wir auch nicht die Wahrheit. Erklärt einfach, ich hätte euch heute Morgen zu einem Spaziergang überredet. Ist nicht verboten. Sagt, ihr wüsstet nicht warum und schaut dabei ein wenig böse auf Snape. Der begreift dann schon."
„Aber ich nicht", sagte Tarsuinn. „Was versteht Snape denn dann?"
„Ich hoffe mal…", führte sie näher aus, „…er glaubt, er hätte mich gestern mit seinen bösen Blicken eingeschüchtert, als ich bei euch am Tisch gesessen habe und deshalb hätte ich euch lieber heimlich getroffen. Wenn er nicht selbst drauf kommt, sage ich ihm das auch, falls er mich fragt."
„Ziemlich dünn", urteilte Tarsuinn. „Snape wird damit nicht zufrieden sein."
„Dann geben wir ihm doch einen besseren Grund", kicherte Winona plötzlich und ein wenig unangebracht für Toireasas Geschmack.
„Und der wäre?", fragte sie zweifelnd.
„Ganz einfach – du hast Tarsuinn eine Valentinskarte geschrieben und um ein Rendezvous gebeten. Aber da er dir nicht richtig getraut hat, hat Tarsuinn mich mitgebracht. Wir haben uns unterhalten und am Ende hast du mich überzeugt, dass du ganz lieb bist und deshalb habe ich dir deinen Zauberstab wiedergegeben."
„Das soll er mir glauben?", fragte Toireasa, entsetzt irgendjemand könne annehmen, sie würde sich heimlich mit Jungs treffen.
„Warum nicht?", lachte Winona leise, wurde dann aber plötzlich ernst. „Aber vielleicht sollten wir das doch nicht machen. Wenn Snape annimmt, du wärst zu uns nur nett wegen deinem Zauberstab, dann ist er wahrscheinlich sogar stolz auf dich. Aber wenn er denkt, du hättest dich wirklich in Tarsuinn verguckt, dann schreibt er vielleicht deinen Eltern und das könnte dich noch mehr in Schwierigkeiten…"
„Okay – machen wir es so", unterbrach Toireasa. Die letzte Möglichkeit war ihr einfach zu willkommen.
„Was? Wie?", stotterte Winona völlig überrumpelt.
„Ich sagte, okay! Ist eine gute Idee", jetzt war es an Toireasa zu kichern. „Vielleicht sollte ich mehr zu meinen Gefühlen stehen."
Sie hakte sich bei Tarsuinn unter und zog ihn Richtung Große Halle.
„Komm, Schatz!", sagte sie zuckersüß und zwinkerte der verblüfften Winona zu, während Tarsuinn sich, anscheinend unter Schock stehend, widerstandslos abführen ließ.
„Was soll das?", flüsterte er und wurde hochrot, als Toireasa ihn an einer Gruppe Hufflepuffs vorbeiführte. Was er sich wohl anhören musste?
„Glaub mir, das hilft mir mehr, als du denkst", sagte sie leise. „Bitte tu einfach so!"
„Aber weshalb?"
„Für meine Zukunft", versicherte sie ihm und lächelte gezwungen, als sie die Große Halle betrat. Am Eingang blieb sie stehen. Unschlüssig, wie weit sie gehen sollte. Schließlich zog sie eben den Jungen mit in ihre Familienangelegenheiten.
Doch Tarsuinn nahm ihr die Entscheidung ab.
„Wir sehen uns nachher", flüsterte er ihr ins rechte, dem Eingang zugewandte, Ohr. Für alle im Saal musste es so aussehen, als würde er ihr einen Kuss auf die rechte Wange geben. Nur Winona und alle, die auch hinter ihnen standen, konnten erkennen, dass dem nicht so war. Allein der Gedanke an das, was jetzt alle in der Halle glauben mussten, ließ eine solche Röte in ihr aufsteigen, dass sie damit sicher diesen Verdacht noch bestätigte. Jetzt war es sicher, dass ihre Eltern von dieser Schande erfuhren.
Halt! Korrektur Toireasa, schalt sie sich selbst. Das Wort Schande war nicht auf eine Freundschaft mit dem Ravenclaw-Jungen anwendbar. Auch wenn sie es in ihren Gedanken überhaupt nicht so gemeint hatte. Sie durfte einfach nicht in solchen Bahnen denken!
Leider dachten jedoch die Slytherins am Haustisch so. Der Abstand zu ihrem nächsten Nachbarn – an den sie sich inzwischen gewöhnt hatte – schien ihr heute deutlich größer als sonst. Noch vor wenigen Monaten hätte sie sich selbst gemieden. Das war ihr schmerzhaft klar. Und trotzdem, auf einigen – wenigen – Slytherin-Gesichtern sah sie diese Abscheu nicht. Samuel zwinkerte ihr sogar amüsiert zu.
Was das genaue Gegenteil von Snape war. In dem Augenblick, in dem ihre Augen den Professor streiften, sah er auch schon weg. Doch es reichte, um einen seltsamen Eindruck zu gewinnen.
Das Erstaunliche war, in Snapes Gesicht glaubte sie kein negatives Urteil gesehen zu haben. Eher eine gewisse Art Nachdenklichkeit. Aber da musste sie sich irren. Er war Hauslehrer von Slytherin. Und jeder wusste, dass der Hauslehrer von Slytherin immer die Wahl der Eltern und nicht die des Direktors war. So sagte man zumindest in Slytherin. Einigen Gerüchten zufolge, sollte sich Lucius Malfoy persönlich für Professor Snapes Ernennung stark gemacht haben. Toireasa zweifelte inzwischen ein wenig daran. Professor Dumbledore machte nicht den Eindruck, als würde er sich Vorschriften machen lassen. Eher…hatte der Direktor ihr eben zugeblinzelt? Wohl nicht. Im Moment bildete sie sich ein, ausnahmslos jeder im Saal würde sie anstarren.
Das Gefühl ließ erst ein wenig nach, nachdem sie es nicht mehr aushielt und ihr Frühstück frühzeitig beendete.
Obwohl die Müdigkeit immer mehr zuschlug, freute sie sich sehr auf die erste Stunde heute. Zauberkunst! Endlich wieder mit einem Zauberstab! Das hektische Üben in der Geisterhütte hatte sie nicht wirklich genießen können und zählte daher nicht.
Da die Tür zum Unterrichtszimmer noch verschlossen war, setzte sie sich auf eine der steinernen Bänke davor und nahm ein Buch zur Hand.
Leider bleib sie nicht lang allein.
Regina und ihr Hofstaat, neuerdings mit ein paar Jungs garniert, erschien unerfreulicherweise recht früh heute. Natürlich konnten sie Toireasa nicht in Ruhe lassen, nicht nach dem kleinen Auftritt in der Großen Halle.
„Es ist schon traurig, wie die Ehre mancher ehrwürdiger Zaubererfamilien in den Dreck gezogen wird", sagte Riolet laut und erntete dafür beifälliges Murmeln.
„Obwohl man nicht eine ganze Familie wegen einer Person verurteilen sollte", relativierte Regina hoheitsvoll. Toireasa nahm sich vor unbedingt Winona danach zu fragen, warum das Mädchen solchen Wert auf diese Feststellung legte. Irgendwas mit ihrem Onkel oder war es ihr Großvater? Sie erinnerte sich nicht mehr so genau. Es schien ewig her zu sein.
„Natürlich", pflichtete Riolet beflissen bei. „Ich war vorhin richtig froh, noch nichts gegessen zu haben."
Es war recht schwer diesen letzten Kommentar zu ignorieren, trotzdem tat Toireasa so, als wäre sie in ihr Buch vertieft.
„Wie mag es wohl sein, von einem Tier abgeschleckt zu werden?", stichelte Riolet weiter und diesmal gab sie nicht vor, mit jemand anderem zu sprechen. Toireasa sah an ihrem Buch vorbei die Füße des Mädchens.
„Das Haus ist eure Familie!", zitierte Riolet. „Mit euren Taten bringt ihr ihm Ehre oder zieht es in den Schmutz."
Nun – der zweite Teil des Satzes war nicht richtig zitiert, aber so falsch auch nicht.
„Ich red mit dir, Keary!", zischte das Mädchen und schlug Toireasa das Buch aus den Händen. Es fiel auf den Boden.
„Bücher sollte man mit Respekt behandeln", sagte Toireasa nur und grinste bei dem Gedanken, was sie mit Lockharts Werken die letzten Wochen über so gemacht hatte.
Seltsam ruhig stand sie auf und wollte ihr Buch wieder aufheben, doch kurz bevor sie es erreichte, kickte es Riolet zur Seite.
Kindisch, war Toireasas erster Gedanke. Sie bezwang ihren Zorn und ging erneut zu ihrem Buch. Wie erwartet flog es erneut zur Seite. Irgendeiner der Jungen hatte eine recht gutes Wingardium Leviosa hinbekommen.
„Wirklich ehrenvoll", kommentierte Toireasa.
„Jedem was er verdient!", lachte Riolet künstlich. „Wie kann man es nur zulassen, von einem Muggel berührt zu werden?"
Langsam reichte es Toireasa.
„Ich schätze, ich hab heut morgen irgendetwas von dir berührt und er wollte nur den Dreck entfernen", sagte sie eisig. „Ich zumindest fühlte mich nachher irgendwie sauberer!"
Schlagartig verstummte das Lachen.
„Das nimmst du zurück!", schrie Riolet und fuchtelte mit ihrem Zauberstab vor Toireasas Gesicht herum.
„Oder was?", erkundigte sich Toireasa und verschränkte die Arme in ihrem Umhang. „Du zählst nicht gerade zu den großen Leuchten im Zaubern."
„Du könntest überrascht sein", entgegnete Riolet. Ihre Augen funkelten Unheil verkündend.
„Furnunculus!", sagte das Mädchen mit sorgsamer Betonung. Damit war sie viel zu langsam für Toireasa, die ihren Zauberstab schon umfasst hatte. Schnell riss sie ihn hervor und rief hastig: „Avocatio!"
Riolets Fluch wurde zur Seite abgelenkt und krachte in die Wand. Der Schrecken in ihrem Gesicht war geradezu lächerlich. Sie hatte eindeutig nicht damit gerechnet, dass Toireasa sich wehren konnte.
„Furnunculus!", versuchte ihre Gegnerin es erneut, doch sie war so aus der Ruhe, dass der Zauber misslang.
„Linere!", kam Toireasa dem dritten Versuch fast zuvor. Der Boden unter Riolets Füßen wurde sofort spiegelglatt und mit Genugtuung sah Toireasa das Mädchen ausrutschen und ihren Zauberstab verlieren. Doch Riolets letzter Spruch zuckte noch unkontrolliert durch den Gang und traf Vivian.
„Wingardium Leviosa!", sagte Toireasa lächelnd und ließ Riolets Zauberstab an die Decke schweben. Bei dem Schwebezauber war sie selbst etwas überrascht, dass er funktionierte, schließlich hatte sie ihn bisher nur ohne Stab geübt. War doch gar nicht schwer! Sie ließ den Stab in der Luft hängen.
„Ich muss schon sagen…", meinte sie überlegen lächelnd zu dem am Boden liegenden Mädchen, „…du hast wirklich geübt. Beeindruckend!"
Und das konnte Toireasa mit Fug und Recht behaupten. Vivians Gesicht war inzwischen von unzähligen Pusteln extrem aufgedunsen, die immer noch weiter wuchsen. Die Augen waren schon längst zugeschwollen und aus dem Mund drangen nur unverständliche Schreckenslaute.
„Das wirst du bereuen!", keifte Regina wutentbrannt über ihre Freundin gebeugt, stand auf und zog nun ihren Zauberstab. Ihr Hofstaat folgte diesem Beispiel. Dass der Fluch eigentlich von Riolet stammte, schien niemanden zu interessieren. Toireasa machte sich keine Illusionen darüber – alle Zauber konnte sie unmöglich ablenken.
„Auf drei!", befahl Regina wütend. „Eins, zwei…"
Toireasa wappnete sich.
„Überleg dir das noch mal, Kosloff!", sagte eine Stimme aus dem Seitengang und eine Gruppe Ravenclaws kam um die Ecke. Die Szene hatte etwas durchaus Skurriles an sich. Ein paar Ravenclaw-Schüler eilten zur Rettung einer Slytherin, vor Slytherins. Irgendwie seltsam. Vor allem, da der Wortführer der Ravenclaws ein Junge namens Alec war. Das war derselbe, der sie gestern so unfreundlich am Tisch behandelt hatte. Die anderen Ravenclaws kannte Toireasa nicht beim Namen.
„Das geht dich nichts an, Lancaster!", keifte Regina, war aber in ihrer Haltung wie erstarrt. Nur ihren Kopf verdrehte sie nach hinten, um die Bedrohung einschätzen zu können.
„Leider schon", schüttelte der Ravenclaw den Kopf. „Normalerweise würde ich liebend gern zusehen, wie ihr euch untereinander fertig macht und es noch genießen Professor Flitwick die Wahrheit zu berichten, aber mein Sinn für Fairplay hält mich davon ab. Also, Kosloff, wenn du Lust hast – nur zu. Aber sollte sich noch wer anderes daran beteiligen, dann garantiere ich einige wunderschöne Veränderungen. Beispiel am Boden, weint und sollte eigentlich in den Krankenflügel."
Toireasa entspannte sich ein wenig und richtete ihren Zauberstab nun auf Regina. Riolets Stab fiel von der Decke herunter. Auffordernd sah sie das andere Mädchen an, sagte jedoch nichts. Denn im Grunde glaubte sie, dass Regina in einen Duell deutlich besser als sie war. Toireasa mochte zwar viele Schutzzauber beherrschen, aber Flüche kannte sie nur sehr wenige. Da war ihr Regina Jahre voraus.
Schließlich kam es dann doch nicht zu der Auseinandersetzung, denn man hörte laut und deutlich Professor Flitwicks helle Stimme näher kommen. Wie von Geisterhand verschwanden die Zauberstäbe in den Umhängen und Kodachi half Vivian, indem sie diese – Professor Flitwick umgehend – zum Krankenflügel führte.
Wenige Augenblicke später kam der Professor, begleitet von den restlichen Schülern der Klasse, um die Ecke, wollte zur Tür gehen – rutschte aber auf Toireasas Zauber aus – und erreichte die Tür auf dem Hosenboden.
Erschrocken sprang Toireasa hinzu. Einige Schüler kicherten unterdrückt.
„Entschuldigen Sie, Professor", bat sie erschrocken und half dem kleinen Mann auf die Füße. „Ich wollte unbedingt einen Zauber zeigen. Es war nicht meine Absicht…"
Zu Toireasas Erstaunen kicherte der Professor.
„Ich kenne diese Handschrift", sagte er. „Miss Keary! Zaubern auf den Gängen ist verboten und dieser Zauber stellt ein hohes Verletzungsrisiko dar. Ich muss Slytherin fünf Punkte abziehen."
Das störte Toireasa nicht im Geringsten.
„Aber was noch wichtiger ist…", fuhr Flitwick fort, zog seinen Zauberstab und mit einem lässigen Handwedeln entfernte er Toireasas Zauber.
„Da das jetzt auch erledigt ist, alle hinein, wir unterrichten nicht im Gang. Ach, und Miss Keary – schön dass Sie wieder einen Zauberstab haben."
Professor Flitwick schenkte ihr einen kurzen privaten Blick, dann ging er ins Klassenzimmer. Toireasa wartete an der Tür und als Alec an ihr vorbei ging, gesellte sie sich zu ihm.
„Danke für die Hilfe", sagte sie freundlich.
„Ich hab nur meine Schuld dir gegenüber abgetragen!", antwortete der Junge kühl. „Wir sind ab jetzt quitt. Das war eine einmalige Sache!"
Dann ging er davon und ließ eine verwirrte Toireasa zurück. Was hatte sie ihm denn getan?
„Nimm das nicht ernst, Schatz", flüsterte eine ironische Stimme plötzlich neben ihr. „Für ihn war das eine innere Revolution!"
Sie konnte ein Zusammenzucken nicht unterdrücken.
„Du hörst aber auch alles", beschwerte sie sich bei Tarsuinn.
„Leider", gab er zu und drängte sie auf die Ravenclaw-Seite des Klassenzimmers.
Es wurde eine der schönsten Unterrichtsstunden für Toireasa. Sie saß zwischen zwei Menschen, die sie sehr mochte, mit denen sie lachen konnte, und zauberte, was das Zeug hielt. Sie wagte es nicht Tarsuinn oder Winona zu fragen, ob sie Toireasa als Freundin sahen, aber sie hoffte es inständig. Doch zumindest fühlte es sich im Moment für sie so an und dieses Gefühl war genauso gut, wenn nicht gar besser, als das Glück wieder zaubern zu können.
Erst am Ende des Unterrichts fand sie den Mut, Tarsuinn auf eine unangenehme Tatsache hinzuweisen, die sie schon seit einiger Zeit vor sich her schob.
„Hast du mal wieder was von Tante Glenn gehört?", fragte sie ihn vorsichtig.
„Natürlich. Ich schreib ihr oft", antwortete er verwundert. „Warum?"
„Na ja – es geht um Keyx", sagte Toireasa leicht betreten. Sie wollte nicht, dass er glaubte sie würde ihm Vorwürfe machen.
„Was ist mit ihm?", erkundigte er sich und runzelte die Stirn.
„Sie hat ihn mir nicht zurückgeschickt", gestand Toireasa. „Sicher nur ein Versehen."
„Ich denke nicht", sagte Tarsuinn zu ihrem Entsetzen. „Sie liefert eigentlich immer, wenn sie ihre Bezahlung hat oder sicher ist sie zu bekommen."
„Ähem – ich dachte, sie schickt mir erst Keyx und ich wollte nicht mit Briefen drängen", gestand Toireasa verschämt ein. „Es ist nicht normal zuerst zu zahlen."
„Schick ihr einfach das Geld", lachte Tarsuinn. „Ich schätze, sie wird recht enttäuscht darüber sein. Ich glaub, sie mag Keyx sehr. Falls du Geld brauchst…?!"
„Nein, nein!", wehrte Toireasa sofort ab. „Das ist kein Problem."
Das stimmte auch. Was sie aber nicht sagte, es war auch alles was sie noch hatte, wenn man von ein paar Knuts absah. Taschengeld hatte sie natürlich seit Halloween keines mehr bekommen.
Das störte sie jedoch nicht. Sie nahm sich vor in der Mittagspause eine der Schuleulen mit dem Geld zu Tante Glenn zu schicken und durchschlief dann die gesamte Unterrichtsstunde bei Professor Binns so fest, dass am Ende William sie heimlich wecken musste. Es mochte eine kleine Geste sein, aber für einen Slytherin war sie ihr gegenüber recht gewaltig. Sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln, was er aber wahrscheinlich überhaupt nicht mitbekam, denn er war schon weitergegangen, damit niemand merkte, was er getan hatte.
Aber das konnte sie nicht stören, selbst ihr Hassfach Kräuterkunde danach nicht. Schließlich war Kräuterkunde ein Fach, das sie wie Zauberkunst mit den Ravenclaws zusammen hatte.
So kam es, dass sie auch zusammen mit den Ravenclaws zum Mittagessen ging. Es war schon erschreckend, wie wohl Toireasa sich bei den Schülern eines anderen Hauses fühlte und wie schwer es ihr fiel, sich an den Slytherin-Tisch zu setzen.
Nach einem hastig herunter geschlungenen Mahl, lief sie dann fix in den Slytherin-Kerker, schrieb einen kurzen Brief, tat die Galeone in den Umschlag und rannte hinauf zur Eulerei. Wenn die Eule sich beeilte, so hoffte sie, würde Keyx morgen zum Frühstück wieder bei ihr sein. Dann rannte sie wieder hinunter, um nicht die Flugstunde zu verpassen. Nach dieser hatte sie dann nur noch eine Zaubertrankstunde, die sie mit einem lauten Fehlschlag abschloss.
Montag war immer der längste Tag und so sehr sie es auch eigentlich mochte zu lernen – im Moment wollte sie nur noch ausschlafen.
Leider erhielt sie keine Gelegenheit dazu. Kaum war sie aus dem Klassenzimmer geschlurft und auf dem Weg zu den Slytherin-Kerker, als Winona in sie hineinrannte.
„Was ist?", nuschelte sie müde.
„Snape hat gerade Tarsuinn in der Mangel", flüsterte Winona ihr verschwörerisch zu. „Ich hab heimlich gelauscht. Sieht so aus, als hätte er die Geschichte mit dem Rendezvous geschluckt, aber im Moment versucht er Tarsuinn dazu zu bringen, dich in Ruhe zu lassen. Stimmt es, dass deine Eltern dich – ähem, na ja – verstoßen haben oder gerade dabei sind?"
Toireasas Müdigkeit war plötzlich wie weggeblasen. Wie konnte Snape nur? Was sollte sie…?
„Ich bin mir sicher, Tarsuinn sieht es genauso", fuhr das Mädchen hektisch fort und gab ihr so keine Möglichkeit die Konsequenzen zu Ende zu denken. „Wir wollen ganz sicher nicht, dass du Ärger zu Hause hast. Wenn es besser für dich ist, können wir auch so tun, als würden wir uns hassen. Du musst dich da nicht verpflichtet fühlen. Ich meine…"
„Das dürft ihr nicht!", unterbrach Toireasa viel zu laut, wie einige sich zu ihnen drehende Köpfe bewiesen.
Sie zog Winona in einen ruhigeren Gang.
„Das ist kein Problem für uns", fuhr das Mädchen heiser fort. „Heh! Falls du es nicht bemerkt hast, Tarsuinn mag dich und ich persönlich denke seit heute, dass wir vielleicht gute Freunde werden könnten, aber Familie ist wichtig und…"
„Das ist nicht meine Familie", unterbrach Toireasa erneut, aber diesmal leiser. „Sie verabscheuen mich und es sind eh nur meine Stiefeltern. Ich will mich nicht mit ihnen versöhnen!"
„Aber…"
„Nein! Sie wollen, dass ich zu Kreuze krieche", erklärte Toireasa eindringlich. „Das kann ich nicht mehr. Meine Großeltern wollen für mich sorgen, aber dazu muss ich beweisen können…"
„…dass deine Eltern dich vernachlässigt haben", vollendete Winona für sie den Satz und Begreifen schlich sich in die Augen des Mädchens. „Deshalb warst du bereit diese Show mit Tarsuinn abzuziehen! Bedeutete das…?"
In den Augen des Ravenclaw-Mädchens zogen plötzlich dunkle Wolken auf und Toireasa verstand sofort.
„Nein!", sie schüttelte energisch den Kopf. „Nicht deshalb wollte ich euch helfen oder mit euch gesehen werde. Wirklich!"
Einen langen Augenblick starrte Winona sie intensiv an.
„Hättest du denn jedem davon erzählt?", fragte Toireasa leise und schaute verlegen zur Seite, da sie diesen Blick nicht mehr ertragen konnte. „Meine Großeltern sind der Ansicht, dass meine Stiefeltern versuchen mich weich zu kochen. Das machen sie aber wahrscheinlich so lange, wie sie der festen Überzeugung sind, mein einzig möglicher Weg würde zu ihnen zurück führen. Sie wollen über mein Leben bestimmen und nicht die Kontrolle über mich verlieren. Meine Großeltern tun im Moment so, als würden sie mich genauso verachten. Und so bin ich hier fast völlig allein. Mein ältester Stiefbruder hasst mich, mein anderer Stiefbruder hat Angst mit mir gesehen zu werden."
Erste unkontrollierte Tränen liefen über ihre Wangen. Sie war einfach übermüdet.
„Die meisten Slytherins sehen mich als Schande und die paar, die das nicht tun, stellen sich nicht gegen die Mehrheit in einem sinnlosen Kampf. Ich bekomme von niemandem Briefe, außer von meinem Onkel, der nicht müde wird, mich als Abschaum zu bezeichnen. Die Einzigen, die hier nett zu mir waren, sind Hagrid und mein Pate, Professor Flit…"
Erschrocken biss Toireasa sich auf die Lippen. Vor Tränen konnte sie Winona nicht mehr richtig sehen, aber sicher hatte sie den Versprecher bemerkt. Diese dumme Müdigkeit. Die Tränen hörten einfach nicht auf zu fließen. All die Einsamkeit der letzten Zeit brach auf einmal aus ihr heraus.
Sie schrak zusammen, als sich unerwartet zwei Arme um sie legten und ihr Kopf gegen eine weiche Schulter gedrückt wurde.
„Heh", flüsterte Winona und strich Toireasa angenehm sanft über das Haar. „Willst du wissen, was in dem Liebesgruß an Snape stand?"
Entgegen ihres gegenwärtigen emotionalen Zustands, musste sie unter ihren Tränen kurz und krampfhaft lachen.
„Wer hätte das gedacht, Slytherins haben Gefühle", spottete Winona sanft.
Nach einigen Minuten hatte Toireasa sich wieder einigermaßen im Griff und löste sich peinlich berührt von dem anderen Mädchen.
„Entschuldige", flüsterte sie schniefend.
„Für was denn?", wehrte Winona ab, zog sie den Flur hinunter und zum Mädchenklo.
„Bring dich in Ordnung", sagte sie dort angekommen. „Soll ja keiner mitbekommen, dass dich das so mitnimmt."
Dankbar wischte Toireasa die Tränenspuren mit kaltem Wasser ab. Es erfrischte sie kaum, aber sie fühlte sich doch etwas besser. Aus dem Spiegel starrte sie ein rotäugiges Gespenst an.
„Ich seh furchtbar aus", stöhnte sie.
„Menschlich", urteilte Winona und setzte sich mit einem elastischen Sprung auf den Rand des Waschbeckens neben ihr.
„Wie kommt es, dass du nicht müde bist?", fragte Toireasa ein wenig angewidert.
„Ich mach mir viel zu viel Sorgen dafür", antwortete das Ravenclaw-Mädchen.
„Wieso? Haben wir nicht alles sicher hinter uns gebracht?", erkundigte sich Toireasa.
„Ich wünschte, dem wäre so", stöhnte das Mädchen. Toireasa fragte nicht weiter. Aus Winonas Blick glaubte sie entnehmen zu können, dass diese gerade mit sich im Zwist lag.
„Tarsuinn dreht vielleicht durch", sagte sie schließlich. „Oder bringt sich noch um."
Erschrocken sah Toireasa auf.
„Das meinst du nicht ernst, oder?", vergewisserte sie sich.
„Doch!", bestätigte Winona. „Hast du nicht gemerkt, wie egal ihm sein Leben ist? Ich sag dir, die Träume und die Sorge um seine Schwester machen ihn fertig."
„Was ist mit seiner Schwester?"
„Sie stirbt und sie ist das Einzige, was er noch hat."
„Kann man ihr nicht helfen?"
„Man könnte vielleicht, wenn Tarsuinn zaubern könnte. Er lässt es sich nicht anmerken, aber wenn er nicht zu zaubern lernt, dann bricht seine Welt zusammen. Seine Schwester tot, Hogwarts und wir werden aus seiner Erinnerung gelöscht. Dazu kommt das Gefühl zu versagen. Und was das Schlimmste ist, seine Träume werden schlimmer. Du erinnerst dich als Dumbledore ihn im Krankenflügel weckte? Nun – so schlimm ist es noch nicht, aber er kommt der Sache immer näher. Ich habe mir extra wegen ihm den Stillezauber beigebracht, damit es niemand mitbekommt, wenn er beim Aufwachen schreit."
„Er macht nicht den Eindruck, als würde er die Kontrolle verlieren", meinte Toireasa.
„Ich hoffe, du hast Recht", sagte Winona und sprang wieder auf den Boden. „Trotzdem wäre es gut, wenn du mir hilfst auf ihn aufzupassen."
„Gern", versprach Toireasa.
„Gut. Lust auf etwas Ärger, Lügen und so weiter?"
„Wann und wo?"
„Bald! Bei Hagrid! Komm!"
„Jetzt?"
„Hast du was anderes vor?"
„Schlafen?"
„Kannst du morgen. Wenn sie uns rausgeschmissen haben."
„Ach, darum geht es – na, dann komm ich gleich mit. Hab ich schon erwähnt, dass ich weiße Haare durch euch bekommen habe?"
„Nicht mehr als wir durch dich", lachte Winona und warf ihren rabenschwarzen Zopf schwungvoll über die Schulter.
Dann gingen sie nach draußen und fanden, nach einigem Suchen, Tarsuinn mit Tikki im Arm wartend am Schlossausgang. Toireasa ging an ihm vorbei und erwartete eigentlich, dass der Junge sich anschloss – was er nicht tat.
„Wohin willst du, Toireasa?", fragte er.
Sie blieb stehen und schaute ihn erstaunt an.
„Zu Hagrid, wohin sonst."
Dies brachte einen ziemlich unzufriedenen Ausdruck auf sein Gesicht.
„Ich dachte, wir wären uns einig gewesen…!", sagte er und meinte damit offensichtlich Winona.
„Nein, waren wir nicht!", entgegnete diese scharf. „Du wolltest es nicht und wahrscheinlich glaubst du auch dem, was Snape dir gesagt hat. Aber wenn du mitkommst und ausnahmsweise mal auf mich hörst, dann erfährst du was wirklich los ist."
„Du hast gelauscht!", warf Tarsuinn ihr vor.
„Natürlich. Ist nicht nur dein Privileg. Außerdem ist Snape nie richtig leise, wenn er mit dir spricht. Also – komm schon!"
Nur widerwillig kam er mit, das war deutlich zu sehen.
„Du weißt nicht, auf was du dich da einlässt", sagte er düster zu Toireasa.
„Genau diesen Satz kann ich dir zurückgeben", entgegnete sie.
„Stimmt", pflichtete Winona bei. „Du wirst es nicht glauben, aber wenn sie bei uns ist, ist das gut für ihre Familienbeziehung."
„Da hat Snape mir aber etwas anderes erzählt", zweifelte Tarsuinn und seine Lippen waren schmal.
„Ich erklär's dir", antwortete Winona und ohne sich um Toireasas verneinenden Blick zu kümmern, erzählte sie dem Jungen in kurzen Worten das Problem. Toireasa war das nicht sonderlich angenehm, aber anscheinend war das Ravenclaw-Mädchen der Ansicht, dies wäre nötig, um ihren Freund zu überzeugen. Als das Mädchen geendet hatte, sagte der Junge nichts, aber man konnte es hinter seiner Stirn arbeiten sehen.
„Hagrid ist noch nicht da", sagte er schließlich und völlig am Thema vorbei. „Warten wir."
„Schön!", sagte Winona und setzte sich auf die Bank vor Hagrids Hütte. „Dann hast du jetzt Zeit uns zu erzählen, was wir hier wollen."
„Hagrid treffen natürlich", erklärte er und setzte sich dazu. „Ihn um Hilfe bitten und dann auf McGonagall warten."
„Warum sollte Professor McGonagall hier vorbei kommen?", fragte Toireasa interessiert, blieb aber stehen, da sie fürchtete sonst einzuschlafen.
„Ich hab sie darum gebeten", lächelte Tarsuinn versonnen. „Sie wird kommen."
„Also ich glaube, sie war sehr skeptisch", zweifelte Winona und imitierte die Professorin: „Ich glaube nicht, Mr McNamara, dass ich Zeit für ihre kindischen Spielereien habe! Entweder Sie sagen mir konkret, was Sie wollen oder aber ich muss Ihre Bitte höchstwahrscheinlich ablehnen."
„Sie wird kommen. Sie ist ne Frau und sie ist Lehrerin. Damit bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich einzumischen. Vor allem, da ich ihr das Gefühl vermittelt habe, ich würde mich nur widerwillig an sie wenden."
„Nur das Gefühl vermittelt?", blaffte Winona amüsiert. „Du warst verdammt widerwillig. Ich hab dich praktisch zu ihr getreten. Aber ich weiß immer noch nicht wieso!"
„Naher. Versprochen", beschwichtigte Tarsuinn. „Ich weiß es doch selbst nicht richtig."
„Aber du bist dir sicher, wir brauchen McGonagall und Hagrid?"
„McGonagall brauchen wir, Hagrid ist nur zur Sicherheit", präzisierte Tarsuinn. „Komm schon – ihr werdet bei des Rätsels Lösung dabei sein, falls es ein Rätsel ist. Was wollt ihr noch?"
„Etwas Vorwarnzeit?"
„Kann ich nicht bieten."
„Ach, Mann!", fluchte Winona. „Und wenn ich jetzt drauf bestehe, dann sagst du wieder, dass es wahrscheinlich besser wäre, wenn ich mich in die Sicherheit des Gemeinschaftsraumes bringe, nicht wahr?"
„Wäre wie immer besser!", bestätigte er.
„Na so ein Pech, dass ich genauso wenig auf dich höre, wie du auf mich."
„Funktioniert deshalb unsere Freundschaft? Wir hören einander nicht zu?", frotzelte er.
„Was hast du gesagt?", kicherte Winona. „Tut mir Leid, hab nicht zugehört. Wiederhole…"
„Da kommt Hagrid", unterbrach Toireasa die beiden und winkte dem Wildhüter zu.
Hagrid winkte zur Antwort mit seiner Armbrust und kam, zusammen mit Fang, zu ihnen herüber gestapft.
„Hallo Toireasa, Tarsuinn, dich kenne ich noch nich, aber auch hallo."
„Hallo, Hagrid", begrüßten sie den Wildhüter wie aus einem Munde.
„Das ist Winona", fuhren Tarsuinn und Toireasa gleichzeitig fort und mussten kichern.
„Hallo, Winona", lachte Hagrid grollend und wandte sich dann Toireasa zu: „Wenn du wegen dem Hippogreif hier bist, es ist noch immer zu früh dafür."
„Ich weiß, Hagrid", antwortete sie sofort und versuchte sich lachend der sabbernden Begrüßung von Fang zu entziehen. „Deswegen sind wir nicht hier, Hagrid. Können wir rein gehen?"
„Wenn ihr meint. Wartet ihr schon lang auf mich?", fragte Hagrid und öffnete die Tür zu seiner Hütte.
„Ne Weile", gab Toireasa zu.
„Na, dann werd ich euch mal lieber nen Tee machen. Is immer noch recht kühl für Kinder. Setzt euch irgendwo hin."
Sie verteilten sich auf die unterschiedlichen Sitzmöglichkeiten im Raum – Tarsuinn und Winona saßen zusammen in Hagrids Sessel, der so groß war, dass immer noch viel Raum zwischen ihnen war. Toireasa hatte sich für die Bank nahe dem Kamin entschieden. In Hagrids Hütte war es nicht sonderlich ratsam herumzustehen, solange der Hausherr anwesend war. Zwar mochte die Hütte recht groß wirken, für Hagrid war sie, nach Toireasas Meinung, eigentlich viel zu klein. Das bedeutete, wenn Hagrid kochte, war es besser aus dem Weg zu sein.
Wenig später bekamen sie alle drei je eine riesige Tasse starken Kräutertees überreicht und Hagrid setzte sich neben Toireasa auf die Bank.
„Gut. Höflichkeitsbesuch is das also nich! Darf ich fragen, worum es geht?", sagte Hagrid und schaute sie der Reihe nach an.
„Ich schätze, das ist meine Frage", antwortete Tarsuinn sofort.
„Oh je. Da muss ich wohl Madame Pomfrey gleich mit alarmieren", stöhnte Hagrid, aber ein verschmitztes Lächeln verbarg sich unter seinem Bart.
„Diesmal nicht – hoffe ich", sagte Tarsuinn vollkommen ernst. „Es kann auch nichts sein."
„Weißt du was, Junge? Egal was in deinem Umfeld passiert – is niemals nichts. Bedeutet immer Ärger – erinnert mich an nen Haufen guter und nicht so guter Jungs vor euch."
Wieder lachte der Wildhüter dröhnend, doch Toireasa empfand das seltsamerweise diesmal nicht so laut.
„Ähem, Hagrid", sagte Tarsuinn. „Das macht es nicht gerade leicht, dich um etwas zu bitten."
„Sag einfach worum's geht. Werd dir schon nich gleich den Kopf abreißen, wenn's mir nich gefällt. Hauptsache, es bringt mich nich in Schwierigkeiten mit irgendwelchen Schulregeln, kann ich mir im Moment nich leisten, müsst ihr wissen!"
„Keine Sorge. Professor McGonagall wird noch kommen…"
„…hoffentlich…", warf eine schlaftrunkene Stimme ein. Toireasa öffnete mühsam die Augen, die seltsamerweise zu waren, und sah, wie Winonas Kopf an Tarsuinns Schulter lehnte.
„…und sie wird entscheiden. Ich wollt dich nur bitten, auf sie und uns ein wenig aufzupassen."
„Warum?", erkundigte sich Hagrid.
Jetzt kam es. Hagrid gegenüber musste Tarsuinn sicher etwas mehr sagen. Leider schaltete ihr Gehirn sich ab, bevor sie die Antwort des Jungen gehört hatte.
Toireasa erwachte, weil sie in ihrem Traum ein Klopfen gehört hatte. Sie war sich nicht bewusst eingeschlafen zu sein, aber sie wusste, wann sie wach war. Nur widerwillig öffnete sie die Augen und sah, wie Hagrid gerade die Tür öffnete. Tarsuinn und Winona schliefen fest, genau wie Toireasa in einer schweren Decke eingewickelt. Tikki entdeckte sie zusammengerollt neben Fang. Für einen kurzen Augenblick fragte sie sich, wie viel Schlaf die Ravenclaws eigentlich vor dem gestrigen Abend gehabt hatten. Schließlich musste die Vorbereitung einiges an Zeit gekostet haben.
Wer vor der Tür stand, konnte Toireasa zwar nicht sehen, dafür aber umso besser hören.
„Guten Abend, Hagrid", sagte die Stimme Professor Dumbledores ausgesprochen höflich. „Dürfen wir herein kommen?"
„Natürlich, Professor. Guten Abend, Professor McGonagall", flüsterte Hagrid rücksichtsvoll. Zumindest versuchte er es.
Toireasa richtete sich auf, rieb sich schwerfällig den Schlaf aus den Augen und versuchte ihr Haar ein wenig zu ordnen. Draußen war es schon dunkel.
„Bitte leise", sagte Hagrid. „Schlafen gerade. Woll'n Sie Tee? Hab welchen vorbereitet."
Hagrid trat von der Tür zurück und nun konnte sie die beiden Professoren sehen. Sie traten ein und jetzt wurde es richtig eng in der Hütte. Verlegen rutschte Toireasa etwas zur Seite, ohne dabei jedoch die Wärme der Decke aufzugeben. Die Augen Dumbledores und McGonagalls huschten aufmerksam durch die Hütte, blieben kurz bei den Ravenclaws hängen und beendeten dann ihre Reise bei Toireasa, die sich unter ihren Blicken wie ein kleines Kind fühlte. Eingehüllt in einer warmen Decke und trotzdem fröstelnd, hatte sie das Gefühl, die beiden Erwachsenen würden in ihrem Gesicht die Geschichte der letzten Nacht lesen.
„Guten Abend, Professor Dumbledore. Professor McGonagall", grüßte Toireasa leise und senkte schuldbewusst den Blick.
„Guten Abend, Toireasa", antwortete Professor Dumbledore herzlich. „Dürfen wir uns zu dir setzen?"
Außer einem verlegenen Nicken brachte Toireasa zunächst nichts zustande. Warum wachte Tarsuinn denn nicht auf? Es war an der Zeit! Sie wusste nicht, was sie erzählen sollte.
„Setzen Sie sich doch. Ich kann sie inzwischen wecken", sagte sie dann etwas zu bemüht und wollte aufspringen, doch die Hand des Professors drückte sie wieder zurück.
„Lass sie schlafen", sagte Dumbledore nur und setzte sich mit Professor McGonagall links und rechts neben Toireasa.
„Sie scheinen eine recht anstrengende Nacht gehabt zu haben, nicht wahr?", fragte der Professor allgemein in den Raum, aber Toireasa wusste, dass er damit nur sie ansprach. Sie tat so, als hätte sie es nicht bemerkt.
Wach auf, Tarsuinn! Dumbledore ist hier und ich weiß nicht, was ich sagen soll und darf!
Doch der Junge schlief weiter. Toireasa konnte das heftige Zucken seiner Augäpfel unter den Lidern sehen. Aus Verlegenheit griff sie nach ihrem – inzwischen kalten – Tee und nahm einen kräftigen Schluck. Irgendwann musste sie dem Wildhüter erzählen, dass Zucker sich in Tee manchmal recht gut machte. Vor allem, wenn dieser kalt war.
Sie war froh, als Hagrid wenige Augenblicke später den Tee für die Professoren fertig hatte und die Lehrer einige Höflichkeiten mit ihm austauschten. Das gab ihr die Gelegenheit halb in ihre Decke hineinzukriechen und so gut es ging in Vergessenheit zu geraten. Was natürlich bei einem Mann wie Professor Dumbledore nicht wirklich gelang.
„Professor Flitwick erzählte mir heut beim Mittagessen, du hättest deinen Zauberstab zurückbekommen, Toireasa. Darf ich fragen zu welchem Anlass?"
Und immer wieder in die offenen Wunde! Wie schaffte dieser Mann das nur?
Toireasa wand sich unter seinen freundlichen Augen. Sein Blick war viel schwerer zu ertragen, als der ernst-neugierige von McGonagall. Wie sollte man jemanden anlügen, der so verdammt nett war?
„Valentinstag", murmelte Toireasa und konnte sehen, dass ihr das nicht mal Hagrid abkaufte. Professor Dumbledore blieb aber trotz dieser offensichtlichen Lüge freundlich. Im Gegenteil, seine Augen strahlten mit einem seltsamen, lausbübischen Feuer.
„Ja, ein wirklich besonderer Tag", sagte er ironisch. „Vor allem, wenn er mit solcher Begeisterung organisiert wurde. Da bleibt man manchmal etwas länger wach. Selbst wir Lehrer haben uns gestern eine kleine Runde Zauberbridge gegönnt. Nicht war, Professor?"
„Ein wirklich erbaulicher Abend", pflichtete die Professorin bei und mit ihrer Begeisterung hätte man ganze Meere mit Eis bedecken können. „Professor Lockhart hat diesen Abend wirklich sehr aufwändig organisiert."
„Das hat er, wie wahr", lächelte Dumbledore noch immer. „Ich dachte schon, sein Einfallsreichtum wäre grenzenlos. Wir hätten beinahe die gesamte Nacht…"
Von Tarsuinn erklang ein ängstliches Stöhnen und unterbrach den Professor. Dessen Lächeln wurde sofort um einiges schwächer.
„Ich denke, es ist an der Zeit sie zu wecken", sagte er ernst und stand auf. Er wollte gerade Tarsuinn schütteln, als Tikki ihm in den Weg sprang. Professor Dumbledores Hand hielt sofort in der Luft still.
„Was mach ich falsch!", fragte er vollkommen ernst Tikki, die mit einem Schnattern antwortete, vom Boden rauf in den Sessel sprang und erstaunlicherweise Winonas Gesicht mit ihrer nassen Nase kitzelte. Das schlafende Mädchen versuchte Tikki beiseite zu schieben – wach wurde sie davon jedoch nicht.
„Ah, jetzt verstehe ich, werte Dame", sprach der Professor erneut mit dem Tier und begann vorsichtig das Mädchen wachzurütteln. Kaum hatte dieses die Augen geöffnet – und die weiteten sich erschrocken, als sie den Professor nur wenige Zentimeter vor ihrer Nase erkannte – wurde sie auch schon aus dem Sessel gezogen und zu Toireasa hingeschoben.
Danach versuchte Professor Dumbledore Tarsuinn zu wecken und jetzt wurde deutlich ersichtlich, warum Tikki sich eingemischt hatte. Auf Professor Dumbledores Stimme reagierte der Junge zunächst überhaupt nicht, auf die erste Berührung jedoch mit einer blitzschnellen, schlagenden Armbewegung. Der Schlag ging zwar ins Leere, aber der Arm knallte laut hörbar auf die Sessellehne. Wach wurde Tarsuinn davon immer noch nicht. Erst nach einigen Minuten, in denen er immer wieder um sich schlug oder aber sich unter der Decke zusammenrollte, wachte er mit einem leisen Schrei auf. Sein Atem raste, als wäre er gerade die hundert Yard gesprintet.
Es war bei weitem nicht so schlimm wie damals an Halloween, trotzdem konnte Toireasa jetzt Winonas Bedenken verstehen. Sie wechselte einen kurzen bedeutungsvollen Blick mit dem Ravenclaw-Mädchen, dann sah sie beeindruckt zu, wie Tarsuinn sich innerhalb von Sekunden beruhigte. Nur fünf Atemzüge brauchte er für die Kontrolle seiner Atmung, drei um die Angst von seinem Gesicht zu verbannen, zwei weitere um die Lage zu erfassen und dann…
„Guten Abend, Professor McGonagall, Professor Dumbledore", sagte er mit absolut kontrollierter Stimme und unbewegtem Gesicht. „Danke, dass Sie die Zeit gefunden haben."
Ein wenig machte diese Ruhe in seiner Haltung Toireasa mehr Sorgen, als seine panische Angst zuvor. So bar jeder Emotion hatte sie ihn noch nie erlebt.
„Nun, Mr McNamara", antwortete McGonagall in neutralem Ton. „Ich hoffe, Sie gedenken mir etwas Wichtiges mitzuteilen. Ansonsten muss ich Ihnen sagen, wäre ich sehr verärgert und enttäuscht von Ihnen."
„Wenn es so kommen sollte, dann seien Sie versichert, ich wollte nur die Zeit eines Lehrers verschwenden", erklärte Tarsuinn.
Toireasas Blick wanderte sofort zu Professor Dumbledore, der am Küchentisch lehnte. Tarsuinn hatte eben durch die Blume gesagt, dass er den Direktor nicht hier haben wollte. Für einen kurzen Augenblick sah sie, wie Dumbledores Augenbrauen sich zusammenzogen. Das Lächeln verschwand jedoch nicht von seinem Gesicht.
„Ich habe jedoch nicht wirklich vor, Ihnen etwas zu erzählen, Professor McGonagall", fuhr der Junge dann fort und wand sich langsam aus dem Sessel. „Ich wollte Sie eigentlich um etwas bitten."
„Und das wäre, junger Mann?", fragte die Professorin leicht ungeduldig.
Statt einer Antwort bückte Tarsuinn sich zunächst zu seiner Schultasche und holte den Becher hervor. Jetzt, bei mehr Licht, sah er noch unspektakulärer aus. Und um sein gewöhnliches Aussehen noch zu betonen, war er mit einigen Folien überspannt und wohl tausendmal mit Klebeband umwickelt.
Tarsuinn stellte den Becher auf den Tisch, trommelte einige Zeit auf die Folie, die das Gefäß abdeckte und begann dann extrem vorsichtig das Klebeband zu entfernen. Aufmerksam beobachtete Toireasa die Erwachsenen im Raum.
Hagrid wirkte ein wenig verwirrt und ratlos. Er schaute hilfesuchend zu Professor Dumbledore. Die Lehrerin für Verwandlungen hingegen, wurde mit jeder weiteren Lage Klebeband immer ungeduldiger. Dass Tarsuinn alle paar Sekunden mit den Fingern auf die gespannte Folie klopfte, schien zusätzlich an ihrem Geduldsfaden zu sägen.
Professor Dumbledore hingegen war die Konzentration in Person. Den Kopf leicht nach vorn gebeugt, steckte er sich gerade eine kleine Brille auf die Nase und schien vollkommen bei der Sache zu sein. Seine tiefen Augen zuckten hin und her und schienen jede Kleinigkeit des Bechers erfassen zu wollen.
Inzwischen war Tarsuinn bei der letzten Schicht Klebeband und Folie angelangt. Mit einer ans Pedantische grenzenden Gründlichkeit sorgte er dafür, dass jeder Tropfen der silbrigen Flüssigkeit, der an der Folie klebte, wieder zurück in den Becher tropfte.
Das war zuviel für Professor McGonagall.
„Und?", verlangte sie Aufklärung.
Tarsuinn zuckte sichtlich bei ihrer Stimme zusammen und für einen Augenblick sah er so aus, als wäre er von McGonagalls Anwesenheit überrascht. Doch er fing sich umgehend.
„Ich möchte Sie bitten ihn zurückzuverwandeln", flüsterte er ausgesprochen leise. „Nachher… Draußen... wenn Sie denken, dass es richtig ist."
Urplötzlich war auch McGonagall höchst interessiert und beugte sich nach vorn.
„Sie denken, das ist jemand Verwandeltes?", erkundigte sie sich ernst und von ihrer Ungeduld war nichts mehr zu spüren.
„Ja."
„Man kann einen Menschen nicht gegen seinen Willen über längere Zeit verwandeln", sagte die Professorin leicht tadelnd, nahm aber den Blick nicht von dem Becher. „Das sollten Sie inzwischen gelernt haben, McNamara."
„Mit ihn meinte ich keinen Menschen", korrigierte sich Tarsuinn schnell. „Sondern ein Tier."
„Und was für eine Art Tier ist es?", fragte McGonagall weiter.
„Ich bin mir nicht sicher", gestand Tarsuinn leise.
„Was vermutest du?", mischte sich Dumbledore überraschend ein.
Tarsuinn sah für einen Moment so aus, als würde er nichts sagen, doch dann flüsterte er – erneut kaum hörbar: „Eine Art Einhorn!"
„Wie kommen Sie darauf?", setzte wieder McGonagall das Verhör fort, doch konnte Toireasa sehen, diese Frage würde er ihr nicht beantworten. Für sie selbst ergab es jedoch plötzlich einen Sinn. Was sie an Halloween erlebt hatte! Wie Tarsuinn die Hütte finden konnte!
„Er kann es hören", mischte Toireasa sich ein. „Und das ist auch Einhornblut in dem Becher!"
Nach einem kurzen Blick auf Tarsuinn, fühlte sie sich einen Moment lang wie eine Verräterin. Doch Winona ließ ihr keine Zeit, diese Gefühle zu kultivieren.
„Das hat ihn immer wieder in den Verbotenen Wald gezogen", ergänzte das Mädchen.
Das brachte ihnen einen sehr durchdringenden Blick von McGonagall ein.
„Wollen Sie damit sagen, Sie waren häufiger im Verbotenen Wald?", fragte sie geschäftsmäßig und Toireasa wurde wieder ganz klein unter ihrem Blick. Sollte doch Winona antworten. Professor Dumbledore rettete sie aus dieser prekären Situation.
„Warum nur eine Art Einhorn, Tarsuinn?", fragte er interessiert und tauschte mit Professor McGonagall einen undefinierbaren Blick.
Der Junge hielt den Kopf gesenkt und sagte etwas.
„Noch einmal bitte", bat Dumbledore. „Das war zu leise für unsere Ohren."
„Ich sagte…", murmelte Tarsuinn „…er singt anders… und… na ja… er empfindet… irgendwie… mehr."
„Für ein Einhorn ist dieser Becher aber verdammt klein", urteilte Professor McGonagall.
„Aber möglich wäre es", gab Dumbledore zu bedenken. „Ich bin mir sicher, Sie und ich, wir könnten es schaffen."
„Natürlich ist es möglich", antwortete die Lehrerin. „Keine Frage! Aber warum sollte jemand so etwas tun?"
„Das Blut", sagte Tarsuinn, diesmal etwas lauter.
„Sie meinen, dies ist wirklich Einhornblut?"
Professor McGonagalls Zeigefinger näherte sich dem Becher und wollte ihn hineintunken, doch Tarsuinns Hand schob sich blitzschnell über den Becher.
„Nein!", befahl er scharf und laut. „Das tut weh!"
„Ich will nur die Flüssigkeit prüfen!", sagte die Lehrerin ärgerlich. Professor McGonagall war es eindeutig nicht gewohnt von einem Schüler angeblafft zu werden.
„Wenn Sie verletzt wären, würden Sie wollen, dass ich mit meinem Finger in Ihrer Wunde rühre?", entgegnete der Junge. „Ich habe einmal den Becher umgeworfen. Das reicht!"
„Und er hat sich von selbst wieder gefüllt, nicht wahr?", fragte Dumbledore mit weicher Stimme. „Du hast Schmerzen gehört?"
Tarsuinn nickte.
„Ich hab es damals nicht begriffen… nicht gewusst", entschuldigte er sich, ob beim Professor oder beim Becher schien nicht ganz klar.
„Das ist nicht deine Schuld", beruhigte der Direktor den Jungen und wandte sich dann an die Professorin. „Wären Sie bereit, eine Rückverwandlung zu versuchen?"
„Wenn Sie denken es ist richtig so? Gern! Aber ich halte es für unmöglich, was der Junge andeutet!", entgegnete McGonagall skeptisch. „Es würde auf die Legende vom Nimmer-Leeren-Becher hinauslaufen."
„Keine Legende", sagte Dumbledore ernst und kein Lächeln umspielte mehr seine Lippen. „Ich hab schon einen gesehen, aber ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, es könnte sich um ein lebendes Wesen mit einer offenen Wunde handeln. Der Zauber muss sehr kompliziert sein und das Wissen darum scheint schon lange verloren."
„Darüber sollten wir froh sein, wenn das den Tatsachen entspricht", stimmte McGonagall immer noch nicht ganz überzeugt zu. „Stellen Sie sich vor, Sie-wissen… na ja… er hätte diesen Becher im letzten Jahr besessen."
„Voldemort…", als Tarsuinn diesen Namen laut aussprach, zuckten alle Anwesenden mit Ausnahme von Dumbledore zusammen „…hätte damit nichts anfangen können. Man muss das Leben aussaugen – nicht nur kosten – um dem Tod zu entrinnen."
„Wozu, denkst du, dient der Becher dann?", wollte Dumbledore wissen.
„Um jemandem Durst auf mehr zu machen", antwortete Tarsuinn fest und obwohl das theoretisch richtig war, so wusste Toireasa doch, dass dies nicht einmal die halbe Wahrheit darstellte. Die halbe Wahrheit wäre wahrscheinlich das gewesen, was sie selbst wusste.
„Bitte, Professor McGonagall!", bat, ja bettelte, Tarsuinn fast und es lag echte Verzweiflung in seiner Stimme. „Ich kann das Lied kaum noch ertragen!"
„Wir kümmern uns darum", versprach der Direktor und berührte den Jungen beruhigend am Arm. Seltsamerweise zuckte Tarsuinn zurück, als wäre er verbrannt worden.
„Jetzt?", fragte er hoffnungsvoll.
„Jetzt!", versicherte der Direktor.
„Ich sollte Ihnen vorher sagen, dass es gefährlich sein könnte", gestand Tarsuinn widerwillig.
„Inwiefern?", fragte Dumbledore interessiert.
„Er ist wütend", erklärte Tarsuinn leise. „Er hasst und seine Stimme ist…"
„Was?", wollte McGonagall wissen, nachdem Tarsuinn nicht weiter sprach.
„Anders als bei den anderen. Viel kräftiger… irgendwie… ich kann es nicht genau sagen."
„Sie sollten nachher zu Madame Pomfrey gehen", sagte die Lehrerin mit besorgtem Blick.
„Ich glaube nicht, dass dies notwendig ist", schüttelte Professor Dumbledore den Kopf und sein Lächeln kehrte wieder auf sein bärtiges Gesicht zurück. „Ich vermute mal, Hagrid, du wurdest gebeten uns zu begleiten?"
„Ja, Professor Dumbledore, Sir", polterte der bis jetzt still gebliebene Hagrid. „Wollte, dass ich auf Professor McGonagall aufpasse und wollt wissen, ob ich einen guten Ort in der Nähe kenne."
„Na, das klingt doch nach einem Plan", meinte Professor Dumbledore amüsiert. „Professor McGonagall, könnte ich Sie bitten noch ein wenig Zeit zu erübrigen?"
„Aber natürlich, Direktor", erklärte die Angesprochene sofort und erhob sich. „Dürfte ich vorschlagen die Kinder ins Schloss…"
„Nein!", protestierten Toireasa, Winona und Tarsuinn gleichzeitig. Sehr zu Professor McGonagalls Missfallen.
Tarsuinn nahm den Becher vom Tisch und barg ihn vor der Brust.
„Ich glaube nicht, dass Sie dies zu bestimmen haben. Vor allem, da Sie uns immer noch eine Erklärung schulden, wie dieser Gegenstand in ihre Hände geraten ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einfach vom Himmel fiel. Sie werden also ohne Widerspruch…"
„Minerva!", unterbrach Professor Dumbledore sanft und legte ihr vertraulich die Hand auf den Arm. „So gefährlich wird es nicht werden."
Die Lehrerin schaute zweifelnd von einem zum anderen. In ihrem Gesicht stand deutlich geschrieben, dass sie mit dem Direktor nicht übereinstimmte. Schließlich nickte sie.
„Wie Sie meinen", sagte sie und stapfte durch die Hintertür nach draußen.
Dumbledore zwinkerte Toireasa und Winona verschmitzt zu.
„Diese Gefälligkeit wird euch etwas kosten", flüsterte er und Toireasa fühlte sich sofort verloren.
„Ihr werdet in meiner unmittelbaren Nähe bleiben", fuhr Dumbledore fort. „Und ihr werdet Professor McGonagall aus dem Weg gehen. Am besten für den Rest des Schuljahres. Kommst du, Hagrid?"
„'türlich, Professor", antwortete der Wildhüter. „Fang, bei Fuß."
Und so kam es, dass sie einige Minuten später von Hagrid auf eine kleine Lichtung im Verbotenen Wald geführt wurden.
„Etwas Licht wäre jetzt recht angebracht", sagte Professor Dumbledore sehr ruhig und schaute bei diesen Worten auf Toireasa.
„Lumos!", flüsterte sie verstehend und ihr Zauberstab begann – etwas schwach – zu leuchten.
„Beeindruckend", zwinkerte Dumbledore ihr erneut zu. „Erstklässler sind sonst nicht so ruhig, wenn sie nachts im Verbotenen Wald sind, als dass sie zaubern könnten. Auch wenn es das zweite Mal ist."
Vor Schreck verlor sie die Konzentration und das Licht verlosch. Verlegen erneuerte sie sofort den Zauber. Sie waren geliefert. Dumbledore wusste Bescheid.
Währenddessen war Tarsuinn in die Mitte der Lichtung gegangen und stellte dort sorgsam den Becher auf den Boden. Er vergewisserte sich sicherlich fünf Mal, dass dieser nicht umkippen konnte, ehe er sich widerstrebend entfernte.
Dann trat Professor McGonagall hinzu, begleitet von Hagrid, der sich schräg hinter die Lehrerin stellte.
Es war ein spannender Moment. Sicher nicht so nervenaufreibend wie die zehn Sekunden vor der Flucht aus der Geisterhütte, aber trotzdem zitterten Toireasas Hände und dementsprechend flackerte auch das Licht auf der Lichtung.
Professor McGonagall hatte ihren Zauberstab gezogen und ließ sich von der unsteten Ausleuchtung anscheinend nicht irritieren. Sie murmelte einen unendlich lang scheinenden Zauberspruch mit Bewegungen, die sich zu merken Toireasa für unmöglich hielt. Zunächst hatte sie den Eindruck, dass nichts geschah, bis sie bemerkte, wie Dumbledore besorgt Tarsuinn betrachtete, der sich mit beiden Händen die Ohren zuhielt.
Dann begann plötzlich der Becher zu leuchten. Nicht sonderlich hell, eher als hätte er eine Aura. Wenige Augenblicke später bekam die Becherwand erste Dellen nach außen. Diese wuchsen, verloren ihre silberne Farbe, wurden weiß und wuchsen zu einer unförmigen geleeartigen Masse. Dies mochte einige Minuten dauern, dann nahm der unförmige Klumpen langsam die grobe Gestalt eines Pferdes an. Einzig unverändert blieb zunächst die Öffnung des Bechers und die silberne Flüssigkeit darin. Erst als das Wesen immer größer wurde, rutschte die Öffnung immer mehr auf die Seite und ein kleiner silberner Bach tropfte zu Boden. Professor McGonagall wich vorsichtig zurück. Man konnte jetzt deutlich erkennen, dass es sich wirklich um ein Einhorn handelte, nur dass es immer noch wuchs, obwohl es schon größer war als das größte, das Toireasa an Halloween gesehen hatte. Blutrote Augen wurden sichtbar – bösartig blickende Augen.
Erst als die Schulterhöhe des Einhorns mindestens drei Meter hoch war, endete der Zauber und sofort stieg das Tier auf die Hinterläufe und versuchte Professor McGonagall mit den Vorderhufen zu treffen. Hagrid trat mit hoch erhobenen Armen dazwischen, riss die Professorin unsanft nach hinten und aus dem Gefahrenbereich heraus. Sie fiel hart auf den Boden.
„Ho, hooooh", rief der Wildhüter beruhigend und hatte Erfolg. Das Einhorn wich zurück und ließ die Vorderhufe zu Boden fallen.
Angstvoll schrie Toireasa zur Warnung auf, denn mit den Vorderhufen kam auch das Horn wie ein Hammer nach unten und fiel direkt aufs Hagrids Kopf zu. Der große Mann schaffte es zwar noch die Arme schützend über den Kopf zu legen, trotzdem wurde er zu Boden geschlagen.
„Stupor!", rief Professor Dumbledore laut und ein heller Blitz zuckte auf das Einhorn zu und wurde reflektiert. Mit einer reinen Armbewegung erschuf der Professor ein Schild, mit dem er seinen eigenen Zauber in den Nachthimmel lenkte.
„Tarsuinn! Nicht!", schrie Winona und mit Entsetzen erblickte Toireasa, wie der Junge zu dem Einhorn lief. Dieses nahm gerade Anlauf um Hagrid zu zertrampeln, der zwar noch bei Bewusstsein war, sich aber quälend langsam bewegte.
Tarsuinn blieb zwischen Hagrid und dem Einhorn stehen und streckte die Hand abwehrend nach vorn.
„Aufhören", rief der Junge bittend.
Das Einhorn stieg vor Schreck vor ihm auf und schien mitten in der Luft zu erstarren. Professor McGonagall erhob im Liegen ihren Zauberstab.
„Nicht, Minerva!", rief Dumbledore laut und Toireasa glaubte für einen Moment, der Direktor hätte sie nicht mehr alle.
Doch dann – ganz langsam – wich das Einhorn auf den Hinterläufen zurück, wie vorher auch bei Hagrid. Aber anders als bei dem Wildhüter, setzte es – geradezu vorsichtig – die Vorderläufe ab. Der Junge hob die Hände nun über den Kopf und mit ungläubigem Keuchen sah Toireasa, wie sich der riesige Kopf des Tieres senkte und zuerst die Hände und dann seinen Kopf beschnupperte.
„Niemand hier will dir etwas Böses. Sie haben alle geholfen", hörte sie Tarsuinn einschmeichelnd sagen.
Erst jetzt konnte Toireasa erkennen, wie alt das Einhorn war. Sein Horn war nicht glatt und silbrig, es war fast schwarz und es sah so aus, als wäre es mit Baumrinde überzogen. Auch die Farbe des Fells war nicht mehr weiß, sondern grau.
Und dann hörte Toireasa es. Ein Lied. Mehr in ihrem Kopf, als im Ohr. Wunderschön, traurig, anziehend. Ohne sich dessen bewusst zu sein, trat sie näher. Und dabei war sie nicht allein. Winona ging neben ihr und auch Professor Dumbledore folgte.
„Geht es Ihnen gut, Hagrid", hörte sie über das Lied hinweg McGonagall fragen.
„Nichts passiert", sagte der Wildhüter undeutlich. „Braucht schon mehr als das."
Sie erreichten das Einhorn.
„Nicht berühren", sagte Tarsuinn zu ihnen und streichelte selbst vorsichtig die Nüstern des Tieres. „Er mag es überhaupt nicht berührt zu werden."
Dies war eine seltsame Bemerkung von einem, der gerade ein Wesen streichelte, das von Hufe bis Ohrspitze sicher drei Mal so groß war wie er und das ihm den Kopf problemlos mit einem Biss oder Tritt zermalmen konnte.
„Es ist dankbar und versteht", sagte Tarsuinn, was völlig unnötig war, denn man konnte dies deutlich aus dem Lied herausfühlen.
Nach einer absolut stillen Minute, in der anscheinend jeder dem Lied lauschte, drehte das Einhorn sich um und schritt auf den Wald zu. Tarsuinn machte einen Schritt nach vorn, dem Einhorn hinterher, aber Dumbledore hinderte ihn daran.
„Das ist nicht dein Weg", sagte der Professor fest und schaute dabei dem Einhorn nach.
Dieses drehte sich um und Toireasa konnte die Verwunderung des Tieres spüren. Dann kam es langsam zurück. Mit gesenktem, riesigem Horn ging es auf den Jungen zu, der keinen Millimeter zurückwich. Auch Dumbledore zog ihn nicht weg, selbst als die Spitze Tarsuinns Stirn berührte.
Gleißendes Licht ging plötzlich von der Berührungsstelle aus. Toireasa musste sich wegdrehen und die Augen mit den Händen bedecken. Trotz dieses Schutzes war vor ihren Augen alles hellrot.
Und dann formten sich Worte in ihrem Kopf. Nicht an sie gerichtet, aber trotzdem vermochte sie sie zu hören.
Solange es Leben gibt, gibt es Hoffnung!
Dann wurde es wieder dunkel und sie öffnete die Augen. Dunkle Flecken tanzten als Nachwirkung des Lichtes vor ihren Augen und machten es fast unmöglich etwas zu erkennen. Einzig ein Stück weißes Fell glaubte sie im Wald verschwinden zu sehen.
Als ihre Sicht sich endlich völlig geklärt hatte, sah Toireasa eine besorgte McGonagall, die vor einem völlig starren Tarsuinn kniete und ihm ein nicht mehr ganz weißes Taschentuch gegen die Stirn drückte. Blut war dem Jungen die Nase herunter gelaufen und eben fiel ein dicker Tropfen zu Boden, wo sich die rote Flüssigkeit mit einer silbernen mischte. Professor Dumbledore und Hagrid waren verschwunden.
Hinter Toireasa knackte ein kleiner Zweig. Sie fuhr herum und richtete ihren Zauberstab in das Dunkel des Waldes hinein. Da war etwas! Eine kleine Gestalt.
„Da ist wer!", sagte Toireasa leise.
„Keine Sorge", beruhigte Winona und sagte laut in Richtung Wald. „Luna?"
Die kleine Gestalt trat auf die Lichtung und enthüllte das seltsame Mädchen, das recht häufig Zielscheibe für Spott und Häme war.
„Miss Lovegood?", Professor McGonagall stand energisch auf.
„Drücken Sie das Taschentuch weiter auf die Wunde!", befahl sie Tarsuinn und ging dann auf das Ravenclaw-Mädchen zu.
„Miss Lovegood!", sagte sie ärgerlich. „Wer hat Ihnen die Erlaubnis gegeben in den Verbotenen Wald zu gehen? Schüler haben hier nichts…", sie machte eine Pause und schaute sich dabei leicht sauer nach dem nicht anwesenden Dumbledore um. „…ohne die Begleitung und Erlaubnis eines Lehrers verloren."
Das Mädchen schien diese Predigt nicht zu beeindrucken, stattdessen starrte sie immer noch auf die Stelle im Wald, wo das Einhorn verschwunden war.
„Mein Vater hat immer gesagt, dass es die Großen Einhörner gibt", sagte sie mit einer fast ätherischen Singsangstimme. „Sie können sich in Menschen verwandeln, zaubern und wo ihre Hufe den Boden berühren, gedeiht der Wald."
„Schön, dass Sie die Situation bewundern, Miss Lovegood!", schnappte die Lehrerin. „Aber das erklärt nicht Ihren Verstoß gegen die Schulregeln. Was haben Sie sich dabei gedacht allein in den Verbotenen Wald zu gehen."
„Ich bin im Verbotenen Wald?", fragte das Mädchen, sich erstaunt umsehend. Bei jedem anderen Schüler wäre dies eine Frechheit sondergleichen gewesen, doch das Mädchen wirkte so extrem verwirrt, dass man ihr das sogar abnahm.
„Mein Vater wird begeistert sein, darüber zu schreiben", ließ sich das Mädchen von der Erkenntnis wo sie war nicht weiter irritieren. „Das ist richtig toll. Titelseite! Und mit Beweis…"
„Kein Beweis, Luna", sagte Tarsuinns Stimme und der Junge trat an das seltsame Mädchen heran. Ganz nah. Das Taschentuch lag vergessen in seiner Hand und jetzt konnte man eine kleine kreisrunde Wunde erkennen, die durch das verschmierte Blut schlimmer aussah, als sie in Wirklichkeit war. Dann berührte die Stirn des Jungen, die des Mädchens.
„Luna", sagte er eindringlich, fast liebevoll. „Erinnerst du dich an dein Märchen?"
„Ja! Aber es war kein Märchen…"
„Das wird es heute Nacht schon wieder sein und wenn dein Vater diese Geschichte schreibt, dann wirst du dein Märchen nicht mehr haben, aber auch niemanden, der euch im Ausgleich dafür glaubt."
Toireasa verstand überhaupt nicht, worüber die beiden da redeten. Märchen? Titelseite? Professor McGonagall sah auch irgendwie ratlos aus.
Nun – zumindest das seltsame Mädchen schien zu verstehen und es schien keine angenehme Erkenntnis zu sein.
„Du meinst…?!", flüsterte sie.
„Deine Mutter wird morgen auf dem Einhorn reiten", sagte Tarsuinn und hing damit Toireasas Verstand völlig ab. „Du musst es nur ganz fest darum bitten."
Und obwohl es völliger Schwachsinn war, dass irgendwer auf einem Einhorn reiten konnte – nun nicht völliger Schwachsinn, gestand sie sich ein – nickte Luna.
„Professor McGonagall?", fragte Tarsuinn und entfernte sich etwas von dem Mädchen. „Können wir zum Schloss zurück oder warten wir auf Professor Dumbledore und Hagrid?"
„Aber natürlich können wir zurück!", entgegnete McGonagall umgehend. „Kommen Sie alle und bleiben Sie dicht bei mir! Ach, und bevor ich es vergesse, zwanzig Punkte Abzug für Ravenclaw, Miss Lovegood! Auf dass Sie sich Ihrer Umgebung etwas bewusster werden!"
Es gab keinen Widerspruch, wenn auch die drei Ravenclaws alle nicht sonderlich begeistert aussahen. Diese zwanzig Minuspunkte brachten Slytherin und Gryffindor noch weiter in Führung.
Still kehrten sie zu Hagrids Hütte zurück. Kurz bevor sie diese erreichten, stießen dann auch Hagrid und Professor Dumbledore wieder zu ihnen. Sie sagten nicht, wo sie gewesen waren und keiner der Schüler wagte zu fragen.
An der Hütte verabschiedeten sie sich dann von Hagrid und gingen weiter zum Schloss. Toireasa wollte noch ein wenig mit ihm reden, vor allem weil er ihr wieder die Sache mit dem Hippogreif ins Gedächtnis gerufen hatte und sie wollte ihn noch unbedingt auf einen Tag festnageln. Leider ließ das die Professorin nicht zu, sondern scheuchte sie ins Schloss.
In den Mauern war es sehr ruhig und erst jetzt kam Toireasa auf den Gedanken mal auf die Uhr zu schauen. Ein wenig erschrocken stellte fest, dass es schon fast Mitternacht war. Sie mussten wirklich lange in Hagrids Hütte geschlafen haben. Nicht nur ein, zwei Stunden, wie sie geglaubt hatte.
Ihre Schritte hallten unnatürlich laut durch die Gänge und dann erreichten sie die Stelle, an der der Weg der Ravenclaws und der von Toireasa sich trennen würde, wenn sie in ihre Gemeinschaftsräume zurückkehren wollten.
Im Moment konnte Toireasa sich nichts Schöneres vorstellen als ein weiches und warmes Bett, aber, genau wie die drei Ravenclaws, getraute sie sich nicht einfach weiterzugehen, sondern blieb stehen. Unsicher schaute sie mit den anderen zu den Erwachsenen auf.
Der Direktor und die Professorin tauschten einen langen Blick, dann schaute Dumbledore ernst in die Runde.
„Ihr Mädchen geht schlafen! Winona und Luna, ihr nehmt heute nicht am Astronomieunterricht teil", befahl er und klang trotzdem eher wie ein netter Großvater. „Tarsuinn, du wirst mich in mein Büro begleiten."
Während Tarsuinn nickte, das Luna-Etwas schon zu schlafen schien und Toireasa sich nicht getraute etwas zu sagen, wollte anscheinend Winona Widerspruch anmelden. Eine Möglichkeit, der Professor McGonagall sofort einen Riegel vorschob. Ein fester Griff an den Schultern des Mädchens und schon wurde sie in Richtung nach oben führender Treppe bugsiert. Luna schlenderte selbständig und widerstandslos hinterher.
„Muss ich ähnliche Mittel anwenden, Toireasa?", fragte der Direktor offensichtlich amüsiert.
„Ich denke, ich weiß wann ich keine Chance habe", kommentierte sie. „Gute Nacht, Professor."
„Auch dir eine gute Nacht, Toireasa", verabschiedete sich Dumbledore.
Von Tarsuinn bekam sie nur so etwas wie ein abwesendes Handwedeln. Etwas enttäuscht davon, ging sie Richtung Slytherin-Kerker.
Tarsuinns Stirn pochte schmerzhaft. Er wusste nicht wirklich, wie es dazu gekommen war und was es bewirkt hatte. Es war in dem Moment, wo es geschah, recht angenehm gewesen, aber jetzt war nur ein unverständliches Gefühl übrig geblieben. Er wusste, es wäre alles anders verlaufen, wenn Dumbledore ihn mit dem Einhorn hätte gehen gelassen. Jetzt war es so furchtbar still im Büro des Direktors. Selbst Tikki in seinen Armen enthielt sich jeden Kommentars. Was sicher daran lag, dass sie fest schlief.
Tarsuinn wusste, Dumbledore saß ihm gegenüber, starrte ihn an und erwartete, dass er etwas sagte. Doch dazu hatte er keine Lust. Trotzdem war die Stille, die er sonst sehr liebte, heute unerträglich für ihn. Kein Buch, kein Bild wisperte. Im Schloss war es totenstill. Ohne zu fragen, stand er von dem Stuhl auf, legte Tikki sanft auf diesen zurück und tastete sich vorsichtig durch den Raum. Der Direktor erhob keine Einwände. Ziemlich schnell fand er im hinteren Teil des Büros was er suchte – ein Fenster. Er öffnete es und sofort fühlte er sich besser. Er hörte die Lieder wieder. Beide. Sie sangen jetzt zusammen und sein Herz klopfte vor Freude. Selbst, dass eine der Stimmen immer schwächer wurde, war eher ein süßer Schmerz, denn gleichzeitig vermittelte der einzelne Gesang ihm Dankbarkeit, die Freude der Freiheit und das Gefühl zu Hause zu sein. War der Tod vielleicht wirklich nicht so schlimm? Mochte der Tod am Ende eine Erlösung, eine Befreiung für Rica aus einem unpassenden Gefäß sein? Er wusste es nicht. Was er jedoch wusste war, dass dort draußen Leben war. Er konnte es im Bauch spüren. Der Wald war ein einziger, pulsierender, warmer Ort. Verheißungsvoll und doch mit Adern von Kälte und Tod durchzogen. Genauso fühlte sich das Schloss an, nur dass hier in der Kälte warmes Blut floss.
Das Lied des Großen Einhorns wurde inzwischen immer leiser. Und seltsamerweise auch fröhlicher. Dann, ein letztes Aufbäumen, fast wie ein Triumphschrei und sein Lied endete für immer.
Zwei einzelne Tränen liefen seine Wangen hinunter und trotzdem lächelte er. Die Tränen waren für ihn selbst, das Lächeln für das Einhorn, das so hatte sterben können, wie es sich das gewünscht hatte.
„Ist es vorbei?", fragte Dumbledores Stimme dicht hinter ihm.
„Ja", presste Tarsuinn hervor.
„Nun, dann ist es wohl jetzt an der Zeit", sagte der Direktor und schloss das Fenster. Danach schob er Tarsuinn mit sanfter Hand wieder zurück zu Tikki und dem Stuhl.
„Ich denke, du schuldest mir, und damit auch Professor McGonagall und Hagrid, eine Erklärung, Tarsuinn", sagte der Professor und ließ sich ihm gegenüber nieder.
Tarsuinn schüttelte den Kopf.
„Ich weiß nicht wie", gestand er ein.
Das bezog sich nicht unbedingt auf das was passiert war, sondern auf seine Unfähigkeit sich zu entscheiden, was und wie viel er Dumbledore erzählen sollte. Er kannte den Mann doch nicht wirklich.
„Eigentlich macht es sich immer bezahlt am Anfang zu beginnen", half Dumbledore aus, was ihn in seinem Fall jedoch keinen Schritt voranbrachte.
Schweigend saß Tarsuinn da und ließ den Professor auf seine Antwort warten. Ihm war klar, dass er irgendetwas erzählen musste. Das, was heute passiert war, konnte man als Direktor einer Schule nicht ignorieren. Und wenn man bedachte, wie viele Sorgen sich der Mann wahrscheinlich wegen der anderen Vorfälle und den Versteinerungen machte, dann war seine Nachfrage durchaus verständlich.
„Du vertraust mir nicht, nicht wahr?", erkundigte Dumbledore sich nach einer Weile.
Bestätigend nickte Tarsuinn.
„Dürfte ich fragen, welchen Anlass ich dir dazu gegeben habe?", forschte der Mann weiter.
Wieder war es für Tarsuinn unmöglich zu antworten. Sollte er Dumbledore wenigstens das sagen? Ihm die Chance geben zu erklären? Was, wenn er wütend wurde?
„Der Junge ist zu verstockt, Dumbledore", ließ sich plötzlich eine unbekannte Stimme vernehmen. „Manchmal muss man etwas direkter vorgehen!"
„Danke, Phineas", sagte Dumbledore. „Aber ich denke, wir kommen auch anders weiter."
„Es ist zu seinem Wohl und dem Wohl der Schule", beharrte dieser Phineas. Seine Stimme erklang hoch oben von der Wand. Musste wohl von einem Bild kommen.
„Mit der Schule hat das hier nichts zu tun!", zischte Tarsuinn und drehte sich dem Bild zu. „Und mein Wohl gehen ein paar Farbkleckse nichts an!"
„Ungehöriges Muggelbalg", antwortete Phineas empört. „So etwas…"
„Phineas! Bitte!", mischte sich Dumbledore ein.
„Wie der Direktor wünscht", entgegnete das Bild in recht abfälligem Tonfall, war aber still. Tarsuinn wandt sich wieder dem Professor zu.
„Würde es dir helfen, mir zuerst ein paar Fragen zu stellen?", erkundigte sich Dumbledore freundlich. „Damit wir einen Anfang finden!"
Das war ein Angebot, auf das Tarsuinn eingehen konnte. So nickte er zurückhaltend. Doch dann brauchte er eine Weile, um sich seine erste Frage zurechtzulegen. Dumbledore gab ihm die Zeit.
„Sprengen Sie immer alles, was Sie fürchten?", stellte er dann seine erste Frage mit leicht zittriger Stimme.
Und schon am ersten Zögern bemerkte er, dass Dumbledore überrascht war. Um sich herum hörte er einige Bilder scharf einatmen. Aber diesmal mischte sich niemand ein.
„Ich fürchte eigentlich nicht viel, außer ein Klo ohne Papier", sagte Dumbledore gedehnt.
„Aber ich denke, ich ahne worauf du hinaus willst."
„Dann sagen Sie mir, warum Sie damals seine Gefährtin getötet haben!", beharrte Tarsuinn.
„Was erwartest du zu hören?", entgegnete Dumbledore traurig. „Dass ich einen Fehler gemacht habe? Das stimmt! Jedoch erst heute hab ich das erkennen können."
„Sie haben sich keine Zeit genommen!", klagte Tarsuinn an und ein wenig Zorn entkam seiner Kontrolle. „Sie sind doch der größte Zauberer. Warum haben Sie das nicht erkannt? Warum haben Sie den gesamten Raum zerstört, ohne sich auch nur einen Moment Zeit zu nehmen?"
„Auch Zauberer machen Fehler, Tarsuinn. Egal, wie groß sie angeblich sind", entgegnete Dumbledore nachsichtig. „Ich war damals nicht unfehlbar und bin es heute nicht."
„Aber warum haben Sie damals so gehandelt?"
„Es war das Heim eines verhassten Mörders. Voll mit Dingen, die dazu dienten anderen zu schaden und Schmerzen zu bereiten. Und ich hatte wenig Zeit. Also habe ich alles vernichtet, damit es niemals wieder benutzt werden konnte. Und ich denke, dem Einhorn war dies im Endeffekt lieber, als weiterzuleben. Das hast du selbst gesehen."
„Das habe ich nicht!", fauchte Tarsuinn wütend. „Wäre sie noch da gewesen, er hätte die Kraft gefunden zu leben."
„Du weißt genau, dass er trotzdem gestorben wäre", erwiderte der Professor nachsichtig. „Genau wie sie, wenn ich damals das Geheimnis erkannt und sie zurück verwandelt hätte."
„Aber sie wäre vorher frei gewesen", schrie Tarsuinn fast.
„Sie ist es jetzt", sagte Dumbledore traurig und eigentlich hatte er durchaus Recht. Tarsuinn wusste, das Einhorn hätte den Tod vorgezogen, statt weiter als Becher und Drink für zwischendurch zu existieren.
„Und – ist der Narr jetzt auch frei? Oder lassen Sie ihn noch immer gefangen halten?"
Tarsuinn war vor Wut aufgesprungen, dachte aber noch daran Tikki festzuhalten, damit diese nicht zu Boden fiel.
„Ich weiß nicht…", begann der Professor verwirrt, doch Tarsuinn unterbrach ihn rüde.
„Sie haben ihn nicht getötet, aber Sie haben ihn Leuten übergeben, die ihn wieder gefoltert haben! War das auch ein Fehler?"
„Gefoltert!?"
Tarsuinn fiel bei dem Ton, den Dumbledore in dieses eine Wort legte, vor Schreck zurück auf seinen Stuhl. Der Professor klang so was von sauer und aus irgendeinem Grund schien die Luft vor Elektrizität zu kribbeln. Fühlte sich so ein zorniger Dumbledore an?
„Erkläre das, bitte!", forderte er und auch wenn seine Stimme jetzt wieder neutral klang, so war sie im Moment weit weg von Sanftheit.
Verschreckt setzte er sich zurück auf seinen Stuhl. Er konnte den Blick von Dumbledore spüren und er war fast froh, dass er das Gesicht des Mannes nicht sehen konnte.
„Der Narr!", versuchte er zu erklären. „Nachdem Sie mit ihm und diesem seltsamen Vogel fortgeploppt sind, haben Sie ihn zwei Männern und einer Frau übergeben."
„Woher weißt du das?", erkundigte sich der Professor.
Erst jetzt wurde Tarsuinn klar, was er für einen Mist quatschte.
„Ich hab es geträumt!", flüsterte er beschämt und es klang genauso dumm, wie es war.
Verlegen streichelte er Tikki. Blut rauschte in seinen Ohren und in seinen Schläfen pochten die Adern. Er klagte Dumbledore aufgrund seiner Träume an.
„Was haben die drei mit ihm gemacht?", wollte der Professor wissen. Seine Stimme klang ein wenig besorgt. Die Schärfe war fast vollständig aus ihr verschwunden.
„Sie haben mich…", Tarsuinn wollte eigentlich nicht daran denken und korrigierte sich schnell, „…ihn zunächst nur eingesperrt. In ein Art Zelle. Doch dann vergaßen sie ab und zu das Essen oder das Wasser. Wenn er sie vor Hunger rief, schockten sie ihn. Das wurde mit der Zeit immer schlimmer. Irgendwann reichten keine Schockzauber mehr. Feuer…schlimmere Zauber. Salben, die nicht wirkten, aber dafür wehtaten. Und dann begannen sie…"
Tarsuinn konnte nicht mehr weitersprechen. Die Erinnerung schmerzte furchtbar. In seinen Träumen geschah ihm das. Obwohl er wusste, es war jemand anderes.
„Sie dringen…", versuchte er einen weiteren Anlauf.
„Es reicht, Tarsuinn", verkündete Dumbledore sanft. „Das ist nicht nötig!"
„Nein!", brach es aus ihm heraus. „Sie sind in seine Gedanken eingedrungen. Haben versucht ihm sein Wissen zu entreißen. Seine Erinnerungen verwirrt. Ihm schlimmste Träume geschickt, um seinen Willen zu schwächen."
Er atmete tief durch. Nun war es heraus. Langsam schaffte er es, sich wieder zu beruhigen.
„Ich würde die Leute töten, wären Sie nicht schon Zombies", verkündete er flüsternd.
„Das solltest du nicht sagen", meinte Dumbledore fest.
„Vielleicht wäre es eine Gnade", sagte Tarsuinn. „Sofern meine Träume stimmen. Ich…ich kann meist nicht unterscheiden, was Wahrheit und was Wahn ist."
Er hörte Dumbledore aufstehen und näher kommen und als der Mann dann sprach, war seine Stimme auf derselben Höhe wie Tarsuinn. Dumbledore musste sich neben ihn gehockt haben.
„Ich würde dich das nicht fragen, wenn es nicht wichtig wäre", sagte der Professor sanft. „Weißt du, was mit dem Mann – der, den du Narr nennst – passiert ist?"
Eine berechtigte Frage. Eine Frage, die Tarsuinn selbst seit Wochen beschäftigte.
„Ich hab nie so weit geträumt", murmelte er und Traumfetzen flogen vor seinem inneren Auge vorbei. „Es ist danach alles ein einziger Alptraum. Die Reihenfolge geht verloren und es wird…unerträglich. Da ist dieser schwarze Schatten…"
„Aber es gibt ein Ende, oder?", forschte Dumbledore weiter.
Er zuckte aus Unwissenheit mit den Schultern.
„Bin ich verrückt?", fragte er ängstlich.
Eine sanfte Hand legte sich auf seinen Kopf.
„Ganz sicher nicht."
„Stimmt es, was ich träume? Sind die drei Zombies?"
„Nun – nicht gerade Zombies, sie sind tot."
„Aber warum haben Sie ihnen den Narren anvertraut?", fragte Tarsuinn leise und immer noch ein wenig eingeschüchtert.
„Das ist nicht ganz richtig", antwortete Dumbledore. „Ich habe den Mann, den Narren, nur ins St. Mungos Hospital gebracht. Ich wusste nicht, wie man dort mit ihm verfahren ist."
„Warum haben Sie nicht gefragt?"
„Stell dir vor, Tarsuinn, du würdest einen Menschen den du verachtest – präziser gesagt verabscheust – retten und ihn ins Krankenhaus bringen. Würdest du ihn besuchen?"
„Nein", gab Tarsuinn kleinlaut zu.
„Siehst du – ich auch nicht unbedingt. Vor allem war ich damals noch jung und zornig. Na ja – relativ jung. Aber recht zornig."
„Professor, können Sie mir sagen, wer der Narr wirklich war?"
„Eigentlich war er das, was du sagst, ein Narr", urteilte Dumbledore. „Er glaubte, er könne der Schüler Grindelwalds werden. Leider war er ein recht intelligenter Narr, ein guter Schüler. Es gelang ihm, das Versteck Grindelwalds zu finden. Was dann geschah, kannst vielleicht nur du sagen. Ich selbst fand ihn übel zugerichtet und am Rande des Wahnsinns, nachdem ich mich mit Grindelwald auseinander gesetzt hatte."
„Wie hieß er?"
„Silvio Adimere."
„Ist er tot?"
„Bis vor Halloween hätte ich darauf gewettet", sagte Dumbledore zu Tarsuinns Entsetzen.
„Wie komme ich an seine Erinnerungen?", fragte Tarsuinn trotzdem weiter.
„Das zweite Gesicht, vielleicht auch Seelenwanderung. Ich kann es nicht sagen."
„Ich brauche nur ein Gesicht und diese Seele will ich auch nicht!"
„Diese Entscheidung liegt manchmal nicht bei uns."
„Sollte es aber!", beharrte Tarsuinn störrisch.
Das entlockte Dumbledore ein kurzes Lachen.
„Tja – die Welt ist auch nicht perfekt."
Tarsuinn verkniff sich ein weiteres: „Sollte es aber!", welches ihm auf der Zunge lag.
„Darf ich dir jetzt auch ein paar Fragen stellen?", fragte Dumbledore freundlich. „Zu dem was heute passiert ist?"
Tarsuinn musste zugeben, Dumbledore hatte ihn soweit alles zu erzählen. Fast alles. Man konnte einfach nicht anders. Er war immer nett, freundlich und selbst wenn man unangenehme Fragen stellte, beantwortete er diese. Und das laut Tarsuinns Gehör sogar wahrheitsgemäß. Er beschloss, Wahrheit mit Wahrheit zu vergelten.
Aber vorher musste er noch etwas klären.
„Können wir uns vorher auf etwas einigen?", fragte er vorsichtig.
Das brachte Dumbledore zum Lachen.
„Verhandeln? Moment", sagte er amüsiert und Tarsuinns Kopf wurde von links nach rechts gedreht. „Nein. Kein einziges rotes Haar."
Tarsuinn hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte, aber er hielt den Mund.
„Nun denn. Auf was müssen wir uns einigen?"
„Außer mir wird niemand bestraft", bat Tarsuinn. „Nicht die Mädchen und auch nicht Ravenclaw oder Slytherin. Ich nehm gern alles auf mich."
„Glaubst du, dass Winona und Toireasa das auch wollen?", fragte Dumbledore auf eine Art, die nahe legte, dass die beiden sicherlich nicht damit einverstanden wären. Zumindest Winona würde nicht besonders begeistert sein, wenn er sie da raus hielt. Sie hatte da so einen Gerechtigkeitsfimmel.
„Die sind nicht hier und ich hab Angst, dass Sie sie rauswerfen", bestand Tarsuinn auf seinen Bedingungen. „Mich stört das nicht so."
„Du solltest wissen, dass niemand von der Schule fliegt, nur weil er im Verbotenen Wald war. Meist sind die Lehrer zu froh, dass der Schüler lebend zurückgekehrt ist."
„Abgemacht?", ging Tarsuinn nicht darauf ein.
„Du bist ein harter Verhandlungspartner, aber abgemacht", bestätigte der Direktor. Ein bestimmtes Bild machte ein sehr abfälliges Geräusch.
„Hongkong Schule", sagte Tarsuinn und seine Mundwinkel zuckten einen Moment nach oben.
Also erzählte er dem Professor alles, was seit Halloween geschehen war. Einzig die Sachen mit dem Abkömmling, Tante Glenn, seinem Feuerrubin (er wollte einfach nicht wissen, wie er Sir Oliver frei lassen konnte) und seinem Zauberstab ließ er aus. Tante Glenn hatte ihm genug Buchabschriften geschickt und so wie es aussah, waren die meisten Besitzer der Unberührbaren Zauberstäbe von eher negativem Charakter gewesen. Als er endlich, sein Mund war schon furchtbar trocken, fertig war, blieb Dumbledore einen langen Moment still.
„Könntest du mir diesen Ort zeigen?", fragte der Direktor zum Schluss.
„Nein", schüttelte Tarsuinn den Kopf. „Ohne die Stimme des Einhorns finde ich den Weg sicher nicht. Vielleicht Toireasa oder Winona."
„Ich bezweifle, dass sie diesen Ort finden können. Nicht nach dem, was ich über diesen Ort weiß."
„Und das wäre?", fragte Tarsuinn neugierig. „Ist es die Dunkle Akademie?"
„Aber nein", antwortete Dumbledore amüsiert. „Die Dunkle Akademie ist wirklich nur eine Legende. Hoffe ich. Aber das, was du entdeckt hast, ist real. Hast du jemals von den Unberührbaren Zauberstäben gehört?"
Tarsuinn schüttelte den Kopf.
„Nun, es sind uralte Zauberstäbe, die aus dem Horn eines Einhorns gefertigt wurden und mit dessen Blut gefüllt sind. Kein Zauberer oder Hexe kann sie berühren. Lange Zeit galten sie als eines der größten Mysterien der Zaubererwelt. Keiner wusste wirklich woher sie kamen oder wie man sie benutzt. Doch vor einigen hundert Jahren tauchten plötzlich Zauberer und Hexen auf, die sie benutzen konnten und sie taten mit den Stäben nichts Gutes. Ihre Magie war anders als normal und so schafften sie es oft zu überraschen und sich ganze Landstriche untertan zu machen. Doch selten bis nie überdauerten die Reiche ihren Tod und fast immer starben sie eines recht seltsamen Todes. Es gibt sogar alte Aufzeichnungen in denen behauptet wird, dass ein Zauberer plötzlich seine Zauberkraft verlor und von einer Menge aufgebrachter Muggel zu Tode befördert wurde. Viele hielten dies für eine Finte, doch der betreffende Zauberer tauchte nie wieder auf."
„Aber wie kommen Sie darauf, dass die Hütte damit etwas zu tun hat", fragte Tarsuinn, obwohl er nicht so viel Interesse zeigen wollte.
„Nun – du solltest Einhornblut trinken. Einmal aus dem Becher, einmal aus einem anderen Gefäß. Dazu noch einen Gegenstand suchen, den du eigentlich nicht berühren kannst. Das sind schon wichtige Hinweise. Dazu natürlich der Name Sir Oliver, der sehr an Oliver den Schlächter erinnert. Einer der ersten Benutzer eines Unberührbaren Zauberstabes. Dazu kommt noch, dass alle seine Nachfolger niemals als Schüler auftauchten. Wenn sie die Geschichte betraten, waren sie ausgebildete, hochtalentierte Zauberer."
„Kommt das in Geschichte der Zauberei noch dran?", erkundigte sich Tarsuinn.
„Wohl kaum. Das alles sind recht dunkle Kapitel und bewiesen oder verbürgt sind die wenigsten Geschichten. Außerdem sind alle Berichte über die Stäbe mehr als zweihundert Jahre alt. Historiker neigen daher eher dazu, sie als Folklore und Gutenachtgeschichte zu sehen."
Ein wenig beruhigte dies Tarsuinn. Auch wenn das Grundwissen der Zaubererwelt eher negativ zu den Zauberstäben war, so war es doch recht unwahrscheinlich, dass jeder ihn sofort verabscheute, wenn man seinen Zauberstab mal entdeckte. Wer keine Ahnung von der Sache hatte, wollte vielleicht erst mal reden.
„Was wird jetzt geschehen?", fragte Tarsuinn leise, nachdem er beschloss, dass er heute genug gefragt und gesagt hatte, was ihn in Schwierigkeiten bringen konnte.
„Nun, was denkst du, was du verdienst?"
Einen Arschtritt und den Wunsch eines guten Fluges? Es war gemein von Dumbledore, seine Strafe selbst aussuchen zu müssen.
„Keine Ahnung", sagte er deshalb und stellte dann doch ein paar Vermutungen an. „Strafarbeit bei Professor Sprout, McGonagall, Snape, bei Filch und Hagrid."
„Warum bei so vielen?", fragte Dumbledore erstaunt.
Und schon hatte er sich wieder mal verquatscht.
„Ähem – na ja", stotterte er etwas verlegen. „Vielleicht sollten Sie Professor Snape sagen, wenn er nicht will, dass ihm Radieschen aus den Ohren wachsen, dann sollte er nicht seine Beschleunigungspillen einnehmen."
„Und die anderen?", bohrte Professor Dumbledore weiter und Tarsuinn hätte schwören können, Dumbledore grinste gerade.
„Alle Gläser und Rucksäcke haben wir bei Mr Filch geklaut. Bei Hagrid die Schaufeln und die Spritzpumpen bei Professor Sprout."
„Du hast Professor McGonagall vergessen."
„Ihr hab ich das Taschentuch verdreckt."
„Ich bin nicht der Ansicht, dass in diesem Fall ein verschmutztes Taschentuch ein Vergehen darstellt."
„Dann lassen Sie einfach Professor McGonagall weg", bot Tarsuinn an.
„Das werd ich."
Wieder hatte Tarsuinn das Gefühl, Professor Dumbledore würde ihn intensiv anschauen, während er ungeduldig auf seine Bestrafung wartete.
„Ihr habt euer Vorgehen unheimlich gut vorgeplant und es auch für Erstklässler erstaunlich konsequent durchgeführt", lobte Dumbledore unerwartet. „Auch euer Ziel war ein Gutes."
Der Direktor machte eine Pause und Tarsuinn sah sich genötigt etwas zu antworten.
„Danke, Professor."
„Trotzdem wäre diese Sache besser in der Hand eines Erwachsenen aufgehoben gewesen. Denn wenn weder Toireasa, Winona noch du den Weg zur Hütte wieder findet, dann müssen wir hoffen, dass eure Maßnahmen ausreichen, auf dass niemand diesen Ort findet. Das war sehr dumm und es hätte euch das Leben kosten können. Ohne die Hilfe dieses Geistes wärt ihr gestorben, das ist dir doch bewusst, oder?"
„Ja, Professor", gestand Tarsuinn verlegen ein.
„Aber du würdest wieder so handeln, nicht wahr?"
„Ich weiß es nicht, Professor", antwortete er ehrlich. „Meine Schwester sagt immer: Macht korrumpiert und nur die Stärksten widerstehen ihrer Verlockung. Ich glaube erst jetzt, dass Sie einer der Wenigen sind, die widerstehen können."
„Das sagst du aber nicht weiter", flüsterte Dumbledore in verschwörerischen Tonfall.
Gegen seinen Willen musste Tarsuinn lächeln.
„Was ist Ihnen dies wert?", sagte er und hob dann aber sofort abwehrend die Hände. „War nur ein Scherz."
„So – dann muss ich mir also nur noch überlegen wie viele Punkte ich euren Häusern gebe", sagte Dumbledore und Tarsuinn wollte schon protestieren, als sich die Erkenntnis seinen Weg bahnte:
„Sie wollen uns Punkte geben?", fragte er und konnte es kaum glauben. „Pluspunkte?"
„Natürlich", lächelte Dumbledore. „Organisation, Geld, Zauber, Durchführung, Ziel und Erfolg minus übertriebenes Misstrauen, unerlaubter nächtlicher Ausflug in den Verbotenen Wald und einige recht unfeine Unregelmäßigkeiten im Umgang mit dem Eigentum der Schule und einiger Personen, ergeben immer noch ein paar Punkte auf der Habenseite. Sagen wir fünfzig pro Teilnehmer?"
Tarsuinn stand der Mund sperrangelweit offen. Fünfzig Punkte plus?! Damit wäre sein persönliches Konto wieder irgendwo bei über fünfzig minus angelangt. Das konnte vielleicht sogar Penelope gnädig stimmen. Außerdem würde Toireasa auch die Punkte bekommen und damit würden Lunas Abzüge völlig untergehen. Leider würde dies auch Slytherin in Führung bringen, aber der Abstand würde sich um dreißig Punkte verkürzen und Gryffindor hätten sie dann sogar fast eingeholt.
„Ich sehe, du bist einverstanden, Tarsuinn", sagte Dumbledore und fast klang es, als würde er kichern. „Es wird Zeit, dass du in deinen Turm zurückkehrst und dich ein wenig ausruhst. Morgen Abend versuchen wir dann, ob wir die Hütte vielleicht doch noch finden. Aber vorher bring ich dich zu deinem Turm."
„Danke, Professor", stammelte er, dann ging er mit dem Professor und Tikki zum Ravenclaw-Turm. Seine Gedanken kreisten dabei die ganze Zeit um die fünfzig Punkte und warum ihm die Hoffnung auf den Hauspokal soviel Freude bereitete. Wahrscheinlich wünschte er sich nur, dass Penelope nicht mehr sauer war und ihm und Winona verzieh.
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