- Kapitel 29 -
Tikkis Tag
Durch fast geschlossene Augen beobachtete Fragt Viel die Gestalt, die vor ihrem Sessel stand, mit einem kleinen Stock in der Luft herumfuchtelte und unverständlich in einer der unzähligen Zweibeinersprachen brabbelte.
„Nicht so laut!", beschwerte sie sich in der Richtigen Sprache.
„Tut mir Leid, Tikki", sagte ihr Junges und gab seine vergeblichen Versuche auf, irgendetwas zu bewirken, wie die anderen Zweibeiner in dieser großen künstlichen Höhle über dem Erdboden. Entschuldigend strich er mit der Hand über ihren Kopf. Fragt Viel war sehr stolz auf ihn und sich, dass er sie verstand. Im Allgemeinen hieß es, Zweibeiner wären zu dumm, um die Richtige Sprache zu verstehen. Obwohl sie bezweifelte, dass es nur ihre Stimme war, die ihn verstehen ließ, denn irgendwie verstand nur er sie wirklich gut.
„Ruhe deine Augen aus", befahl sie ihrem Jungen.
„Ist ja schon okay", gehorchte er. „Es ist wohl an der Zeit und es funktioniert ja doch nicht."
Fragt Viel wusste, wie müde er war und wie sehr er sich vor dem Ausruhen seiner Augen fürchtete. Doch er musste seine Augen schließen. Jeder musste das.
Ungeduldig sah sie zu, wie er sein momentanes Fell auszog, sich wusch und dann sein Fell für die Nacht anlegte. Sie half ihm dabei mit leisen Zurufen und warnte ihn auch vor einem dieser eckigen und glitschigen Gegenstände auf dem Boden. Dann machte er sich ein Nachtlager in einer Ecke des großen Raumes, in dem es tagsüber niemals Ruhe gab. Nachdem er endlich ruhig da lag, schlüpfte Fragt Viel in seine Arme und brachte ihn mit einem kleinen Schlaflied dazu die Augen zu schließen. Sobald sein Atem ruhig geworden war, huschte sie wieder davon und bugsierte diesen Ding-Bären in seine Arme.
In seinen Träumen war ihr Junges selbst für Fragt Viel gefährlich. Näherte man sich ihm im Schlaf, dann konnte er schneller als ein Flachkopf zuschlagen. Eine schmerzhafte Erfahrung, die Fragt Viel schon vor langer Zeit hatte machen müssen. Glücklicherweise war er damals nicht so stark gewesen.
Traurig beobachtete sie kurz, wie seine Augen unter den Lidern zu zucken begannen. Sie bedauerte, dass alles was er je sah grauenvolle Dinge waren, und er ihnen immer allein gegenübertreten musste.
Dass zusätzlich auch noch seine Schwester sterben würde, machte die Sache nicht besser. Auch Fragt Viel bedauerte dies. Sie mochte Halbes Gesicht sehr. Das Zweibein war stark und hatte sich immer gut um Fragt Viels Junges gekümmert.
Nach einem letzten Blick wandte sie sich ab und schob mit aller Kraft die Tür nach draußen auf. Nachts war diese oberirdische Höhle ihr Gebiet und seitdem diese humorlose Katze keine Pfote mehr rührte, sogar unbestritten.
Schnell machte sie sich auf ihren Kontrollgang. Dabei nutzte sie sämtliche Abkürzungen, die dieser Bau sonst verbarg. Ratten und auch diese besonders kleinen und dünnen Zweibeine hatten dafür gesorgt. Für die anderen Bewohner dieses Hogwarts-Baus mochten sie unsichtbar sein, aber nicht für Fragt Viel.
Zuerst hinunter, dann hinauf. Auf ihrem Weg schaute sie auch noch bei Zittrig vorbei, einer uralten Ratte.
„Heda!", begrüßte Fragt Viel das heruntergekommene und grauhaarige Wesen, das sich bei ihrem Erscheinen im Rattenbau ängstlich in eine Ecke drückte. „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst denen fernbleiben, die ihre Köpfe im Kreis drehen können?"
„Ich war nicht…", stammelte das alte Wesen.
„Du warst!", stellte Fragt Viel fest. „Ich hab deinen Geruch gestern aufgeschnappt. Ich sag es ungern zweimal. Bleib den Eulen fern oder ich fresse dich."
Das war zwar nur eine leere Drohung, da Fragt Viel niemals – bis auf eine Ausnahme – ein Wesen tötete, das viele Antworten hatte. Im Grunde genommen tat ihr die alte Ratte sogar etwas Leid. Soweit sie es erfahren hatte, war diese mehrmals ihrem Herrchen (welch obszönes Wort) entflohen und wieder eingefangen worden. Mit recht schmerzhaften Konsequenzen, wie einige lange Kerben im Fell der Ratte zeigten.
Trotzdem zeigte Fragt Viel kein Mitleid. Ratten waren Beute und wenn sie eine davon leben ließ, die nicht einem der kleinen Zweibeine gehörte, dann sollte diese auch erkennen, welch wunderbares Privileg das war.
„Warum gehst du nicht zu den mickrigen Zweibeinen, die für die größeren Zweibeiner die Nahrung bereiten?", fragte sie, als die Ratte nichts sagte.
„Ich hab Angst hinunter zu gehen!", antwortete Zittrig.
Als ob das was Neues war.
„Warum?"
„Böse Dinge gehen vor. Viele meines Volkes sterben unten!"
„Natürlich, weil deine dummen Vettern in diese primitiven Zweibein-Fallen gehen."
„Es ist furchtbar da unten!", sagte Zittrig daraufhin erstaunlich entschieden. So als würde ihm die Angst den Mut geben, gegen Fragt Viel zu bestehen. Ziemlich unerhört fand sie.
„Du wirst heut unten dein Essen suchen!", befahl sie und bleckte die Eckzähne. „Ansonsten werde ich dich einem Zweibein bringen."
„Nein!", jammerte die Ratte. „Nur das nicht."
„Dann gehorche. Ich hab Wichtigeres zu tun, als einer Ratte ihren Platz zu zeigen, klar?"
„Ja, große Jägerin", gab er schließlich nach. „Wirst du heute wieder meine Vettern jagen?"
„Vielleicht!", antwortete sie und die Jagdlust ihres eigenen Volkes regte sich in ihr. „Ich werd sehen, ob es zu viele geworden sind, und dann entscheiden."
„Du wirst sehen, es gibt nur noch wenige von uns", rief Zittrig ihr hinterher, als sie davonlief.
Womit er durchaus Recht hatte. Obwohl Fragt Viel nur wenige Ratten fing, gab es kaum noch eine dieser Plage im Schloss. Sie hatte schon lange keine mehr gefangen.
In gestrecktem Galopp lief sie hinauf zu den Eulen und schlüpfte, durch ein Loch im Holz, in den Raum unter dem Himmel. Nicht viele der geflügelten Wesen waren im Moment anwesend. So wie Fragt Viel liebten sie es des Nachts zu jagen.
„Gute Nacht zum Jagen!", grüßte sie die wenigen Anwesenden. Wie üblich ignorierten die meisten der Vögel sie, was Fragt Viel jedoch nicht störte. Sie wusste genau, man fürchtete sie hier und bemühte sich, sie nicht zu reizen. Die Eulen hatten inzwischen herausgefunden, dass man eine vom Volke nicht gegen sich aufbrachte, wenn man selbst seine Jungen aus Eiern zog. Doch genau wie der Ratte sagte auch hier Fragt Viel niemandem, dass Wesen die Antworten hatten nichts von ihr zu befürchten brauchten. Das schloss natürlich ihre Jungen ein. Auch hier von einer Ausnahme abgesehen.
„Dein Freund die Ratte war hier", beschwerte sich eine weiße, große Eule. „Ich werde sie töten, wenn sie es noch einmal wagt."
„Er wird euch ab jetzt fern bleiben", versprach Fragt Viel. „Wie die anderen Ratten im Bau auch. So, wie ich es versprochen habe."
„Einem Eierfresser kann man nicht vertrauen", sagte eine alte Eule kalt.
„Dann stell du dich doch dem Schwarz-Weiss-Gestreiften das nächste Mal", fauchte Fragt Viel drohend und spielte damit auf einen kleinen Zwischenfall mit einem Dachs im letzten Jahr an. „Ich helfe euch und ihr helft mir. Warum sollte ich euch schaden?"
„Vierbeiner Zunge, Vierbeiner List", meinte die alte Eule erneut und wandt den Kopf.
Dich beiße ich irgendwann, versprach ihr Fragt Viel in Gedanken.
„War eine von euch in der stinkenden Stadt, welche die Zweibeiner London nennen und hat nachgeschaut?", erkundigte sich Fragt Viel, statt der unverschämten Eule die Meinung zu beißen.
„Ich war da. Ich war da. Ich war da", erklärte eine sehr junge und extrem kleine Eule, die soeben durch die Dachluke flog und aufgeregt umher flatterte. „Er ist nicht da. Er ist nicht da. Er ist nicht da."
„Halt den Schnabel, Nervtöter!", fauchte die missgelaunte, alte Eule den Neuankömmling an und diesmal hatte Fragt Viel nichts dagegen einzuwenden.
„Miesepeter. Miesepeter. Miesepeter", schilpte die kleine Eule mit dem treffenden Namen und umkreiste die große Eule dreimal in atemberaubendem Tempo.
Fragt Viel wandte sich ab, um ja nicht zuviel Beachtung von der kleinen Eule zu bekommen. Wenigstens gehörte diese kleine Eule nicht zu dem Hogwarts-Bau, sondern zu der Ansammlung kleiner Zweibeinerbaue in der Nähe. So musste Fragt Viels Geduld sich nicht allzu oft beweisen.
Sie wandt sich ab und durchsuchte den Raum nach einer bestimmten Eule, die sie auch problemlos fand. Natürlich wieder in einem neuen Versteck. Ein Loch hoch oben in der Wand.
„Komm raus, Schattenblitz", sagte sie. „Ich weiß, du bist da."
„Was willst du schon wieder?", erklang eine leise Eulenstimme nach einiger Zeit widerwillig und ein dunkler Kopf schob sich aus dem Loch.
„Mich nur vergewissern, dass du nicht wieder einen Brief verspätet ablieferst", erklärte Fragt Viel laut, damit es auch die anderen Eulen hörten. Es war eine Ehrensache für die meisten von ihnen, Päckchen und Briefe so schnell als möglich auszuliefern. Nicht so Schattenblitz.
„Ich habe noch nie einen Brief später als eine andere meines Volkes abgeliefert", verteidigte sich die Eule, hatte aber den Nachteil, dass sie selbst niemals laut sprach. Natürlich stimmte es, was Schattenblitz sagte. Genau wie alle anderen lieferte er immer pünktlich zum morgendlichen Essen. Doch Fragt Viel wusste inzwischen, er war fast immer schon am Abend mit dem Brief zurück. Er war extrem schnell unterwegs, doch aus Angst vor zu viel Arbeit – bekanntermaßen schnelle Eulen bekamen die meisten Aufträge – lieferte er meist zu den normalen Zeiten. Fragt Viel war es egal, wenn er so verfuhr, solange es nicht die Briefe ihres Jungen betraf.
„Zeig dich ganz", forderte sie deshalb.
„Ich hab nichts", erklärte Schattenblitz.
„Dein Kopfinhalt ist mir egal", sagte sie böse. „Mach mich nicht ungeduldig. Du weißt, du bist vor mir nirgends sicher."
Auf diese Drohung hin schob sich äußerst widerstrebend auch der Rest des Eulenkörpers aus dem Loch, wobei ein kleines Päckchen etwas Probleme machte.
„Für wen ist das?", wollte Fragt Viel wissen.
„McGonagall."
„Das Zweibein, das auch eine Katze ist?"
„Ja!"
„Welche auch gerade das Oberhaupt des Hogwarts-Baus ist?"
„Ähem – ja."
„Und du denkst nicht, dass man ihr auch eine bevorzugte Behandlung zukommen lassen sollte?"
„Nein!"
„Selbst wenn es das Ende dieses Baus hier bedeuten könnte?"
Missmutig starrte die kleine Eule sie an. Die anderen Anwesenden hingegen gaben deutlich ihr Missfallen zur Arbeitsauffassung von Schattenblitz kund.
„Du fragst zu viel!", sagte die kleine Eule dann und flatterte durch die Dachluke davon.
„Das sagte meine Mutter auch immer", rief Fragt Viel ihm hinterher und lief lachend aus dem Heim der Eulen. Sie musste sich beeilen. Der Bau war groß und sie hatte einen langen Weg vor sich.
Zunächst hieß es jedoch sich zu stärken. Also ab in die Tiefen des Baues und zu den kleinen, zerbrechlich aussehenden Zweibeinern. Diese erwarteten Fragt Viel schon, denn sie kam fast jede Nacht vorbei. In einer tiefen Schale erwartete ein Ei seiner Bestimmung – in ihrem Magen. Ein zweites, das die kleinen, netten Zweibeiner ihr immer anboten, lehnte sie ab. So gut es auch schmeckte, sie wollte nicht träge werden. Auch wenn es im Moment ruhig für sie und ihr Junges war. Mehr als eine Mondphase lang keine ernsten Gefahren, das war schon ungewöhnlich.
Nach dem Essen ging sie schnell nach draußen, um den Hund des Wildhüters zu besuchen. Der war zwar nicht der Hellste und ganz sicher nicht mutig, aber er war groß und kräftig. Dafür zollte ihm Fragt Viel den Respekt, den sie für den Stärkeren immer hatte. Außerdem war der Hund ähnlich einem Jungen, dem man seine Mutter weggenommen hatte. Todtraurig und hilflos. Sie musste ihn mühsam zum Essen überreden, das ihm ein rothaariger Zweibeiner abends immer vorbeibrachte.
Danach beendete sie ihren Ausflug außerhalb des Baues mit einem Patrouillengang am Waldesrand. Das tat sie immer, wenn auch nur aus Gewohnheit. Die Schlangen in diesem kalten Land waren einfach nur lächerlich. Ihr war noch keine einzige über den Weg gelaufen, die zu töten sie stolz gewesen wäre. Klein, schwach und vom Geschmack her absolut widerlich.
Wie üblich fand sie draußen nichts Erwähnenswertes. Keine Schlangen, keine Ratten und seltsamerweise auch keine Spinnen. Sie grüßte kurz das Einhorn, das immer da stand, und den Wasserzweibeiner ohne Beine, der auch immer da schwamm, wo er eben schwamm. Fragt Viel freute sich jedes Mal sie zu sehen, denn sie wusste, dass sie nur da waren, um ihr Junges zu beschützen. Bei den Wasserzweibeinern ohne Beine wusste Fragt Viel nicht warum und trotz all ihrer Fragen waren die Antworten immer unverständlich ausgefallen. Zweibeinergebrabbel war zwar primitiv, aber das von den Wasserzweibeinern ohne Beine war auch noch unheimlich schmerzhaft für die Ohren. Aus diesem Grund hatte sie es recht bald aufgegeben zu fragen.
Inzwischen war es Zeit geworden. Sie hetzte wieder die Treppen hinauf. Er würde bald aufwachen. Kaum erreichte sie die große Statue des Adlers, zog dieser auch schon den linken seiner ausgebreiteten Flügel ein und gab so den Weg frei. Langhaar, die Freundin ihres Jungen, schaute aus müden Augen auf Fragt Viel herab.
„Komm schnell rein, Tikki", drängelte das Mädchen. „Ich will keinen Ärger."
Als ob Fragt Viel es war, die hier ständig für Aufregung sorgte! Sie war nur immer mit dabei, weil sie ihrem Jungen zwar befehlen konnte, aber eigentlich nicht die Kraft hatte, sich durchzusetzen. Manchmal konnte ihr Kleiner aber auch stur sein. Sie fand sich meist damit ab und sorgte dafür, dass nichts Schlimmeres geschah.
Sie folgte Langhaar hinein, die sich in die Nähe ihres Jungen setzte und herzhaft gähnte. Ihren kleinen Stock hielt sie schon in der Hand. Fragt Viel sprang neben sie und schaute genauso auf ihr schlafendes Junges.
Dabei fragte sie sich wie jedes Mal, welchen Name sie ihm geben sollte. Es gab eigentlich genug passende Namen für ihn, aber leider gab es keinen, den Fragt Viel ihm geben wollte. Sie wünschte sich einen schönen und starken Namen für ihn. Träum Schlecht, Läuft gegen Bäume oder Kann nicht Zaubern, sagten ihr einfach nicht zu. Schon mit Halbgesicht für seine Schwester hatte sie sich schwer getan.
Das übliche starke Zucken ihres Jungen begann und schon flüsterte Langhaar ein leises: „Silencio!"
Ein dünner Silberfaden spann sich um seinen Kopf und sofort wurde es leise.
„Ich geh dann wieder", murmelte Langhaar und schlurfte wieder in ihre Schlafhöhle. Kurz danach erwachte ihr Junges mit einem – dank der Silberfäden – lautlosen Schrei. Kaum war ihm seine Umwelt wieder bewusst, schlüpfte sie in seine Arme. Vordergründig, weil sie festgestellt hatte, wie sehr es ihn beruhigte ihr übers Fell zu streicheln, heimlich jedoch, weil sie es sehr genoss. Sie liebte die Liebkosungen durch die felllosen Hände der Zweibeiner, wenn ihr auch immer bewusst blieb, wie gefährlich diese auch sein konnten. Sie ließ sich nur von Zweibeinern berühren, denen sie vertraute.
Nach einiger Zeit setzte ihr Junges sie ab und zog sich ein anderes Fell an.
Er fragte irgendetwas, aber, aufgrund der silbernen Fäden um seinen Kopf, bewegten sich nur still seine Lippen.
Fragt Viel wusste trotzdem, was er wollte und war deshalb nicht begeistert. Doch dies war einer der Punkte, an denen sie der Sturheit ihres Jungen nicht Einhalt gebieten konnte. Also musste sie wohl oder übel mitmachen.
„Ich geh voran", bestimmte sie und ging zuerst nach draußen. Er folgte mit für einen Zweibeiner leisen Schritten.
Vorsichtig führte Fragt Viel ihn in den Keller, wich ständig irgendwelchen erwachsenen Zweibeinern aus, hinunter zu der großen Tür, hinter der die großen hohlen Baumstämme im Wasser schwammen.
Er holte einen dieser metallenen und unverdaulichen Dinger hervor und öffnete die Tür. Danach schloss er wieder ab und sie schwammen zum Strand unter dem Schloss. Im Sichtschutz der Klippen lief er dann in seinem nassen Fell immer am Strand hin und her. Fragt Viel fand das unheimlich langweilig und genoss lieber die ersten Strahlen der Morgensonne und putzte ihr Fell. Erst als ihr Junges erschöpft anhielt und begann diese seltsam langsamen Bewegungen zu vollführen, wandte Fragt Viel ihm wieder ihre Aufmerksamkeit zu. Immer, wenn er das tat, war sie kurz davor einen Namen für ihn zu finden. Er wirkte dabei so konzentriert. Seine Atmung war langsam und regelmäßig, sein Gesicht entspannt. Die Augen geschlossen schien es Ungleichgewicht nicht zu geben. Fragt Viel konnte sehen, wie sich jetzt die silbernen Fäden um seinen Kopf lösten, wie sich etwas um ihn herum aufbaute…
…und dann – wie immer – war der Moment vorbei. Irgendetwas hemmte, fehlte ihrem Jungen. Sie hatte gehofft, in dieser Umgebung hier wäre es nicht so. Wenigstens war er danach immer fertig mit seinem Ausflug und sie konnten zurückkehren. Genauso ungesehen, wie schon auf dem Hinweg. Was das Schleichen anging, machte sich hierbei ihre jahrelange gemeinsame Routine bemerkbar.
Eine Weile später warteten sie dann im Bau – gemeinsam mit all den anderen Zweibeinern, die einen Adler als Abzeichen trugen – auf die Ankunft des kleinen, aber mächtigen Zweibeiners. Sie nannte ihn Kurz und Fragt Viel mochte ihn. Im Grunde genommen mochte sie prinzipiell erst mal jeden, über den sie aus dem Stand springen konnte. Außerdem war er nett und soweit es Fragt Viel verstanden hatte, so etwas wie ein Leih-Onkel für ihr Junges hier im Hogwarts-Bau.
Als Kurz endlich erschien, führte er sie hinunter zum Essen, wo die Frau, die auch eine Katze war, eine erfreuliche Ankündigung machte, deren Sinn sich Fragt Viel nicht ganz erschloss. Irgendetwas mit einem Ding namens Alraunen.
Danach wurden sie in die Räume gebracht, wo die kleinen Zweibeine von erwachsenen Zweibeinen lernten. Und auch für Fragt Viel war es meist recht interessant.
Besonders freute sie sich immer über die Stunde oben im Turm, die man Wahrsagen nannte, wenn man von dem in den Augen beißenden Rauch absah. In diesem Punkt war sie sich mit ihrem Jungen einig, in der Begeisterung für die Stunde jedoch nicht. Er war ungern mit den relativ unbekannten älteren Schülern zusammen und die Wahrsagerin mochte er auch nicht sonderlich. Vor allem, weil diese ihm immer wieder sagte, er solle sich endlich anstrengen und etwas sehen. Das brachte ihn regelmäßig fast zur Weißglut. Dementsprechend suchte er sich immer eine abgelegene Ecke am Fenster, öffnete es und verbrachte die Zeit damit, den anderen beim Flugunterricht zuzuhören.
Fragt Viel hingegen konzentrierte sich vollständig auf die gläserne Kugel vor ihr. Nebel waberte in ihr, doch nur für kurze Zeit, dann formte sich das Grün des heimatlichen Dschungels aus dem Nebel. Freudig bemerkte sie Tapsig und seine neue Gefährtin zwischen den Pflanzen. Tapsig war ihr Sohn und stammte aus ihrem zweiten Wurf. Er war der Erste gewesen, der, genau wie Fragt Viel, anders als die meisten des Volkes gewesen waren. Hätte ihr jetziges Junges ihn kennen gelernt, hätte er ihn wahrscheinlich Timtim genannt, denn so klang es immer, wenn ihr Sohn versuchte sich zu entschuldigen.
Tapsig war leider auch das einzige ihrer eigenen Kinder, welches noch lebte. Alle anderen aus den ersten zwei Würfen waren inzwischen an Altersschwäche oder durch Feinde gestorben. Doch Tapsig war, wie sie, mit Antworten und einem langen Leben gesegnet. Es freute Fragt Viel, dass er eine neue Gefährtin gefunden hatte. Aber es versetzte ihr auch einen schmerzhaften Stich, denn es erinnerte sie an ihren dritten Wurf. Sie hatte drei besondere und drei normale Kinder bekommen und alle waren sie gesund gewesen. Doch dann war ihr Gefährte von einem Tiger getötet worden und aus diesem Grund hatte sie zur Jagd ihre Jungen allein zurücklassen müssen. Als sie dann von einer dieser Jagden zurückkehrte…
Das Bild in der Kugel hatte sich geändert und zeigte ihr nun was damals geschehen war. Nicht in der Lage die Augen zu schließen, sah sie noch einmal zu, wie ihre Kinder durch das Gift der Schlange starben und wie ihr jetziges Junges – klein, blind und schwach – nach dem Flachkopf schlug. Erneut spürte sie die Kampfeswut, als sie sich selbst auftauchen sah und den Flachkopf tötete.
Überraschend wechselte in diesem Moment das Bild in der Kugel und Fragt Viel starrte in zwei riesige gelbe Augen, die wie ein Eishauch über sie hinweg glitten. Das Bild glitt zurück und so konnte sie den Schlangenkörper erkennen.
„Wo ist das?", fragte sie die Kugel im Gedanken. Das Bild glitt durch eine Wand in eine große Höhle mit Wasser, steinernen Säulen in Schlangenform und einer großen, runden, metallenen Tür. Sie zwang ihre Gedanken durch diese Tür und…
„Meine Lieben! Schaut doch", ertönte die Stimme der Lehrerin erfreut und kam auf Fragt Viel zu. Diese hatte sich von dem Ausbruch ablenken lassen und als sie jetzt wieder in die Kugel sah, war da nichts mehr als Nebel.
„Mein Lieber", fuhr das große Zweibein fort und fasste ihr Junges an, das überrascht zurückwich. „Das hast du toll gemacht. So klare Bilder. Ich habe die Schwingungen durch den ganzen Raum gespürt!"
„Still!", sagte Fragt Viel schnell, als sie sah, wie ihr Junges den Mund öffnete. Sie war sich sicher, er wollte etwas sagen, was ihr überhaupt nicht in den Kram passte. Er schloss den Mund wieder.
„Mmh!", brummte er nur.
„Hervorragend. Unglaublich. Zehn Punkte für Ravenclaw. Du hast die Gabe, mein lieber Junge. Das wird Professor Dumbledore freuen. Erzähl mir genau, was du gesehen hast."
Wieder sah Fragt Viel, wie sein Gesicht sich verkrampfte. Erneut griff sie ein.
„Lüge einfach", raunte sie ihm zu.
Langsam bewegte er den Kopf auf und nieder. Eine Geste der Zustimmung, wie Fragt Viel wusste.
„Ich habe mich selbst auf einem Besen fliegen sehen", erklärte ihr Junges mit leiser Stimme.
„Das sah mir aber irgendwie eher nach einer Höhle aus", zweifelte die große Frau.
„Ich war ja auch noch nicht fertig", sagte er. „Danach war ich bei Gringotts. In der Gruft 12 im Verließ 13-1-1 liegt ein unglaublicher Schatz, bewacht von einer Hydra."
Irgendwo kicherte wer unterdrückt.
„Klappe!", kommentierte ihr Junges das und seine Mundwinkel zuckten verräterisch nach oben. Fragt Viel hatte keine Ahnung warum.
„Lass dich davon nicht verunsichern, mein Lieber. Üb nur schön weiter und versuche die Bilder zu steuern. Und du solltest versuchen, dich von solchen Orten wie Gringotts fernzuhalten. Die Kobolde reagieren sehr ärgerlich auf magische Ausspähung und ich werde am besten gleich nach der Stunde ihnen eine Eule schicken damit sie sich keine Sorgen machen."
„Das wäre sehr nett", erklärte ihr Junges. „Ich hab gehör,t die Kobolde hätten üble Flüche drauf, die Glaskugeln zerstören können, die zur Spionage benutzt wurden, und die Splitter würden dann alle Umstehenden töten."
„Da wollte man dir sicher nur ein wenig Angst machen", erwiderte die Wahrsagerin, ergriff aber sofort die Kugel und schloss diese in eine große stabile Truhe.
„Du kannst dich entspannen, mein Lieber", sagte die Große dann. „Für heute war dies genug. Ihr anderen, nehmt euch ein Beispiel. Ihr seht, es ist möglich mit der richtigen Gabe und Konzentration."
Fragt Viel war von diesem Ende nicht begeistert. Sie wollte wissen, wo diese Schlange mit dem eisigen Blick war. Ihr Junges hingegen war anscheinend ganz zufrieden mit dieser Regelung. Woher sollte er auch wissen, was sie gesehen hatte und er konnte die Richtige Sprache nicht gut genug, um eine detaillierte Beschreibung von Fragt Viel zu verstehen.
So musste sie ungeduldig auf das Ende des Unterrichtes warten und während dieser Zeit wurde sie immer unruhiger. Irgendetwas war in Bewegung und Fragt Viel wollte – musste – wissen was!
Sofort nachdem der Unterricht beendet war, lief sie um ihr Junges herum und zog die Luft so tief ein, wie sie nur konnte. Sie wusste, damit machte sie ihr Junges nervös, denn dieses Verhalten kannte er nur zu gut. Normalerweise bedeutete dies, dass Zweibeiner in der Nähe waren, die Fragt Viel ihr Junges wegnehmen wollten. Sie bemerkte, wie er alarmiert lauschte und seine Hand nahe dem eisernen Zahn an seiner Hüfte ruhte. Sie begrüßte diese Vorsicht.
Wenig später waren Fragt Viel und ihr Junges allein. Das erwachsene Zweibein hatte vergessen, dass ihr Junges in einen anderen Unterricht gehörte. Sie protestierte zwar dagegen, aber ohne die Hilfe ihres Jungen verstand Fragt Viel niemand.
„Komm", flüsterte ihr Junges. „Wir versuchen kurz mit Toireasa zu sprechen."
Wieder so eine Idee, welche Fragt Viel nicht mochte.
„Nein", sagte sie.
„Komm schon", drängelte er. „Ich kann kaum noch mit ihr sprechen, seit wir hier wie in einem Käfig leben."
Sie war noch immer nicht dafür.
„Bitte. Nur kurz", bettelte er. „Ich hab gehört, Malfoy und Kosloff machen ihr das Leben schwer. Vielleicht braucht sie mal ein wenig Zuspruch."
Noch immer war sie nicht überzeugt, doch ihr Widerstand bröckelte. Eigentlich war sie nicht unbedingt gegen das Vorhaben, sondern nur gegen das Ziel. Sie war immer noch sauer auf War Böse. Vor allem, weil Fragt Viel sie in dem schnaufenden Zug gemocht und dann plötzlich feststellen musste, wie sehr sie sich geirrt hatte. Dass jetzt alles wieder gut war, mochte vielleicht für ihr Junges gelten, aber sie misstraute War Böse noch immer. Schließlich war es dem Zweibein gelungen, selbst sie zu täuschen. Das konnte vielleicht wieder geschehen. Wie sollte sie das ausschließen?
Aber egal. Sie war ja bei ihm und da er sie im Moment ausnahmsweise darum bat, konnte sie auch nachgegeben.
„Folge mir!", sagte sie und lief ihm voraus.
Sie brachte ihn in Rekordzeit in die Nähe von War Böse. Sie versteckten sich in einem dunklen Seitengang und als Zweibeiner mit der Schlange und dem Dachs an ihnen vorbei gingen, rief ihr Junges leise nach War Böse:
„He, Toireasa. Pst!"
„Tarsuinn, verdammt! Was machst du denn hier?", sagte War Böse, schlüpfte jedoch heimlich zu ihnen in den Gang.
„Dich besuchen. Hören, wie es dir geht."
„Ich bin sauer auf dich. So geht's mir im Moment! Du riskierst zu viel für ein paar Worte."
Fragt Viel pflichtete ihr sofort bei.
„Es ist passiert", lachte ihr Junges leise. „Also, wie geht es dir? Aber ehrlich!"
„Beschissen ist noch geprahlt", antwortete sie dann doch. „Es gibt ein paar, mit denen ich inzwischen gut auskomme. Die meisten kennst du vielleicht von deiner Geburtstagsfeier. Aber ich bekomme ziemlich viele Heuler in unseren Gemeinschaftsraum geschickt. Vivian stellt regelmäßig ihre Eule – du weißt schon welche – dafür zur Verfügung. Das nervt ziemlich. Und ohne euch besteht die Gefahr, dass ich in Kräuterkunde nen totalen Reinfall erlebe. Aber ansonsten geht es mir gut. Wie geht es euch? Aber ehrlich!"
Ihr Junges schluckte schwer.
„Na ja. Ich glaube, Winona hat ein paar Schuldgefühle wegen Penelope. Rica stirbt und ich versage. Fast alles so wie immer. Und Tikki ist wegen irgendetwas besorgt. Aber ansonsten geht es uns gut."
„Also kann es bei uns beiden im Grunde genommen nur noch besser werden", sagte sie nachdenklich.
„Oder in der totalen Katastrophe enden", schloss er das Fazit pessimistisch ab.
Fragt Viel mochte es nicht, wenn er so redete.
„Das verhindern wir!", sprach War Böse Fragt Viels Gedanken aus. „Ich meine…"
Das Mädchen unterbrach sich und starrte den Gang entlang. Fragt Viel hatte nicht darauf geachtet, was da war.
„Was ist?", erkundigte sich ihr Junges.
„Nichts", antwortete das Mädchen und Fragt Viel wusste, sie log. „Hab mich geirrt. Wir sind alle etwas nervös im Moment, nicht nur Tikki. Wir sollten sehen, dass wir in unsere Klassen zurückkommen. Bis nachher beim Essen."
Und schon lief sie den Gang entlang davon. Fragt Viel schaute ihr misstrauisch nach. Eigentlich wollte sie dem Mädchen hinterher, doch ihr Junges…
„Ich schaff es schon allein", las er ihre Gedanken. „Ich glaube, es wäre gut, wenn du ihr nachschleichst."
Für einen Moment schaute sie ihn erstaunt an. Wie konnte er wissen was sie wollte? Sie hatte nichts gesagt.
„Mir passiert nichts! Es ist nicht weit. Geh schon, wenn du es für richtig hältst."
Immer noch zweifelte sie. Sie hatte schon einmal ihre Kinder auf der Jagd verloren.
„Auf direktem Weg!", befahl sie.
„Natürlich", versprach er und schlich wie zum Beweis in Richtung der Unterrichtshöhlen. Einen kurzen Moment schaute sie ihm hinterher. Er wurde langsam erwachsen. Es wurde Zeit, ihm endlich einen Namen zu geben.
Dann stürmte sie dem Mädchen hinterher. Sie musste einiges an Vorsprung aufholen. Ein paar Ecken später war sie wieder dran und wurde sehr vorsichtig. Es roch hier seltsam.
„Weasley", hörte sie War Böse leise rufen, ohne dass eine Antwort ertönte.
„Ginny!", versuchte es das Mädchen erneut und ging jetzt langsamen Schrittes wieder vorwärts. „Ginny Weasley! Ich weiß, dass du hier bist. Warum bist du nicht bei den anderen gebli…oh Mist! Riesen-Doppel-Ober-Mist!"
Neugierig lugte Fragt Viel um die Ecke und entdeckte das Mädchen, wie es eine Wand anstarrte, auf der Zweibeinerzeichen gemalt waren.
„Ginny!", rief War Böse jetzt laut und holte ihren Holzstab hervor. „Das ist jetzt nicht mehr witzig. Hier ist es gefährlich!"
Trotzdem lief das Mädchen nicht zurück, sondern suchte lange Zeit in den Gängen und hinter Türen. Doch nachdem sie trotz intensiver Suche nichts fand, überlegte sie es sich anders, lief zurück und an Fragt Viel vorbei, ohne diese zu bemerken. Fragt Viel hatte Probleme ihr zu folgen.
Doch weit musste sie nicht laufen. Wenige Gänge später riss das Mädchen eine Tür auf.
„Professor McGonagall", rief sie laut durch die Tür. Unzählige Köpfe wandten sich ihr zu und sicher fragten sich alle, warum das kleine Mädchen den Unterricht störte.
„Miss Keary", ertönte ihre vorwurfsvolle Stimme. „Was machen Sie allein da draußen."
„Wenn Sie bitte herkommen könnten, erkläre ich das gern, Professor!", sagte War Böse. „Es ist wirklich wichtig!"
Gespannt wartete Fragt Viel. Die Lehrerin erschien recht schnell an der Tür. Das Mädchen bedeutete der Frau ungeduldig den Raum zu verlassen, schloss die Tür und ging ein Stück weg.
„Was ist, Miss Keary?", fragte die Frau.
„Der Erbe!", flüsterte War Böse dann, sich ängstlich nach Zuhörern umsehend. „Er hat wieder eine Nachricht an die Wand geschrieben und ich fürchte…"
„Was?", wollte die Lehrerin erschrocken wissen.
„…dass er Ginny Weasley hat. Kommen Sie, ich zeig es Ihnen."
Fragt Viel hatte noch nie die Frau, die auch eine Katze war, so schnell laufen sehen, als sie erneut zu den Zeichen an der Wand rannten.
„Ihr Skelett wird für immer in der Kammer liegen", las die Frau dort leise vor. Sie roch nach Angst und Sorge.
„Ich habe Ginny hier lang gehen sehen", erklärte War Böse leise. „Sie war in Trance und anscheinend hat sie die Schrift völlig ignoriert."
„Warum glauben Sie, dass sie in Trance war", erkundigte sich die Frau.
„Mein Stiefvater arbeitet im Magischen Unfallumkehr-Kommando. Ich hab schon zwei Mal gesehen, wie er Muggel woanders hingeführt hat. Die liefen ähnlich."
Für einen langen Moment stand die Frau steif im Gang, dann sah Fragt Viel, wie sie sich zusammenriss und ihren Blick von der Wand löste.
„Sie begeben sich sofort in Ihren Gemeinschaftsraum, Miss Keary, und bewahren Sie Stillschweigen", befahl die Lehrerin. Dann richtete sie ihren Holzstab auf sich selbst und sagte: „Sonorus!"
Danach warf plötzlich jede Wand des Baues ihre Stimme zurück.
„Die Schüler kehren sofort in ihre Schlafsäle zurück. Die Lehrer versammeln sich im Lehrerzimmer. Unverzüglich, bitte."
Aus irgendeinem Grund fühlte Fragt Viel sich verpflichtet, das kleine Mädchen sicher nach unten zu begleiten. Das Gefühl der Gefahr war inzwischen fast greifbar geworden. All ihre Sinne waren bis zum Zerreißen gespannt. Kaum hatte sie War Böse in dem Schlangennest abgeliefert – Fragt Viel mochte diese Bezeichnung, die sie mal von jemandem gehört hatte – schon machte sie sich wieder auf zu ihrem Jungen. Sie hoffte, seine Zweibeiner-Freunde würden auf ihn aufgepasst haben, was sich zum Glück als richtig herausstellte. In der Höhle ihres Jungen herrschte ein nervöses Summen.
„Weißt du, was los ist?", fragte ihr Junges, als sie in seine Arme sprang.
„Nein!", log sie dreist. Das fehlte noch, dass ihr Junges jetzt durch den Bau stromerte. Sie kannte ihn gut genug um zu wissen – er war genauso neugierig – wie einer von Fragt Viels eigenem Volk.
„Was hat Toireasa gemacht?"
„Sie ist zurückgekehrt", antwortete sie diesmal wahrheitsgemäß.
„Ich hasse es, eingesperrt zu sein!", grummelte er.
„Du wirst hier bleiben", befahl sie ihm. „Das ist nicht dein Kampf!"
„Es ist unser aller Kampf hier", sagte er nicht zu Unrecht.
„Aber keiner, den du führen kannst", beharrte sie.
„Sag mal, Tarsuinn", fragte Haar wie die Sonne dazwischen. „Tust du nur so, als würdest du mit Tikki reden oder verstehst du sie wirklich?"
„Ich tue nur so", log ihr Junges. „Mach ich immer, wenn ich nervös bin."
„Ob sie die Schule jetzt schließen?"
„Keiner sagt, dass dies wieder der Erbe Slytherins war, Cassandra", bemerkte Langhaar.
„Komm schon, Winona", entgegnete Haar wie die Sonne. „Das glaubst du doch selbst nicht! Immer, wenn sie uns auf unseren Turm beschränken, hat der Erbe zugeschlagen."
„Schließen sie wirklich die Schule?", fragte ihr Junges.
Fragt Viel hatte ihm eben dieselbe Frage gestellt.
„Was sollen sie sonst tun?", antwortete Haar wie die Sonne. „Wenn sie den Erben nicht finden und dieses Monster immer weiter versteinert oder gar tötet, müssen sie einfach die Schule schließen."
„Aber wenn der Alraunentrank fertig ist, dann kann uns Penelope sicher erzählen, wer es war", hoffte Langhaar.
„Und wenn nicht? Keiner von ihnen hatte einen Zauberstab gezogen. Ist eigentlich ein gutes Indiz dafür, dass sie überrascht wurden. Wahrscheinlich von hinten. Ich persönlich halte es für unwahrscheinlich, dass wir etwas von den Versteinerten erfahren."
„Was wird werden, wenn sie die Schule schließen?", stellte ihr Junges Fragt Viels nächste Frage.
„Es wird ein großes Durcheinander geben", vermutete Haar wie die Sonne nachdenklich. „Wahrscheinlich wird das Ministerium Hogwarts von oben bis unten durchkämmen lassen. Vielleicht baut das Ministerium eine neue Schule, vielleicht werden auch mehrere entstehen. Meine Mutter glaubt, es wird viele Leute geben, die versuchen eine Schule nach ihrem Geschmack aufzubauen und deshalb wird es zu heftigen Auseinandersetzungen kommen. Nächstes Jahr würde es dann wahrscheinlich kein Schuljahr geben."
„Also, wenn ich bisher gesagt hätte, ein Jahr Ferien wäre toll, möchte ich das hiermit zurücknehmen", sagte Langhaar. „Bei einem Jahr Wartezeit werden viele Eltern, die welche es sich leisten können, ihre Kinder auf ausländische Schulen schicken und auch die meisten Lehrer würden woanders Anstellung suchen müssen."
Fragt Viel freute diese Vorstellung überhaupt nicht. Sie hatte ihr Junges hierher gebracht, weil er hier recht sicher war. Diesen Schutz aufzugeben, gefiel ihr überhaupt nicht.
„Was ist mit Dumbledore, Flitwick und den anderen Hauslehrern?", erkundigte sich ihr Junges. „Sie können das doch nicht zulassen!"
„Werden sie auch nicht", sagte Langhaar entschieden. „Aber es wird nie dasselbe…"
„Bitte hören Sie mir alle zu", piepste Kurz Stimme durch die Höhle. Schlagartig kehrte Totenstille ein.
„Es tut mir Leid Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir Sie dieses Jahr früher nach Hause schicken müssen und eventuell muss die Schule auch ganz geschlossen werden. Sie werden deshalb morgen früh mit dem Express nach Hause fahren. Wir haben Ihre Eltern schon informiert und Sie sollten den Rest des Tages damit verbringen Ihre Sachen zu packen."
Der kleine Mann stand für einen Augenblick ruhig da und Fragt Viel konnte Wasser über sein Gesicht rinnen sehen.
„Und Sie sollten die Zeit auch nutzen, sich voneinander zu verabschieden. Für einige ist es sicher ein längerer Abschied. Sie brauchen sich heut nicht an die Schlafenszeiten zu halten. Nutzen Sie die Zeit."
Er wandte sich zum Gehen.
„Professor!", rief ein älteres Mädchen. „Bleiben Sie doch! Sie gehören doch auch zu uns."
„Oh – danke für das Angebot, Miss Stone, aber ich hab leider noch zu tun", antwortete der kleine Mann. Ein Proteststurm brandete auf.
„Was ist eigentlich passiert?", wollte Fragt Viels Junges laut wissen.
Sofort war es wieder still. Alle starrten wissbegierig den kleinen Mann an. Der schien nach den richtigen Worten zu suchen.
„Nun…es ist so…wahrscheinlich ist es besser, Sie erfahren das jetzt."
Er holte tief Luft.
„Der Erbe hat eine weitere Nachricht hinterlassen. Eine Gryffindor-Schülerin wurde entführt und wahrscheinlich hat der Erbe sie getötet oder wird es noch tun. Die anderen Lehrer und ich, wir versuchen sie zu finden."
„Wir helfen, Professor", sagte einer der fast erwachsenen Jungen. Viele pflichteten bei.
„Sie helfen am besten, wenn Sie alle hier bleiben!", bestimmte der kleine Mann jetzt fest. „Niemand verlässt den Turm. Die Älteren sind verantwortlich für die Jüngeren. Ich möchte, dass Sie verstehen. Wir Lehrer werden jeden, den wir im Schloss antreffen, behandeln als wäre er der Erbe. Wir werden gefährliche Zauber einsetzen. Zauber, die helfen können, aber auch schaden. Doch dazu müssen wir sicher sein, dass jeder von Ihnen im Turm bleibt. Verstehen Sie das?"
Widerwilliges Einsehen war im Raum zu erkennen. Keine große Begeisterung, aber wenigstens Einsehen.
Der Nachmittag verging und während ihr Junges und die anderen traurig packten, staute sich Wut und Verzweiflung in Fragt Viel. Das hier lief falsch! Was hatte sie getrickst und ihr Junges durchleiden lassen, um es hierher zu bekommen. Sie wusste nicht, wie es ausgehen würde, sie wusste nur, die einzige Chance für seine Schwester und ihn war, bis zum Ende hier zu bleiben. Egal wie schwer und gefährlich es war.
Natürlich hatte Fragt Viel selbst sehr oft Zweifel an dieser Entscheidung gehabt, vor allem als ihr Junges ein langes Horn in den Bauch gerammt bekommen hatte. Am liebsten hätte sie ihn damals hier fort geschafft und zuvor noch War Böse getötet.
War sie damals sauer gewesen! Und jetzt war sie es wieder. Sie spürte, wie sich alles zum Schlechten wandelte und musste etwas unternehmen. Möglichst unauffällig schlich sie sich zur Tür, in deren Nähe einige ältere Zweibeiner aufpassten, die jedoch eher die anderen Zweibeiner im Auge behielten. Sie erreichte ungesehen die Tür und wollte sie aufstoßen, als…
„Tikki, wohin willst du?", rief ihr Junges quer durch den Raum. Sie sah ihn aufspringen und in ihre Richtung laufen. Dabei stieß er mit anderen Zweibeinern zusammen, fiel über einen Stuhl, schlug schwer auf und rappelte sich wieder hoch.
Fragt Viel rammte mit ihrer Schulter die Tür auf und sprang nach draußen. Aus dem Augenwinkel sah sie noch, wie einige der älteren Schüler ihr Junges festhielten und ihn an einer weiteren Verfolgung hinderten.
„Bleib hier!", rief sie ihm noch zu. Dann hetzte sie davon. Sie musste etwas tun und war überzeugt, dass er sich bei seinen Freunden in guten Händen befand. Händen, die auch in der Lage waren, ihn mit Gewalt von einer Dummheit abzuhalten. Besser als Fragt Viel dies konnte.
Sie rannte quer durch den Hogwarts-Bau, wich unzähligen silbrigen Fäden und Wänden aus, umging viele dieser Fallen, indem sie die geheimen Wege ausnutzte, und erreichte Zittrigs Bau.
„Zittrig – komm her!", befahl sie und schaffte es nicht, das Jagdfieber aus ihrer Stimme zu vertreiben.
„Ich war nicht bei den Eulen!", verteidigte sich die Ratte und wollte verschwinden.
Fragt Viel warf sich auf ihn, bevor er in einen der zu kleinen Gänge abhauen konnte. Ihre Zähne zwickten kurz das Genick der Ratte. Dann glaubte sie genug Eindruck geschunden zu haben und löste die Zähne wieder etwas. Trotzdem ließ sie Zittrig nicht unter sich weg.
„Ich sagte: Komm her! Nicht: Geh weg!", fauchte sie ungehalten.
„Bitte nicht töten!", flehte Zittrig.
„Ich werde dich nicht töten,…", versprach sie „…wenn du meine Fragen beantwortest!"
„Frag", entgegnete die Ratte und machte ihrem Namen dabei alle Ehre.
„Du sagtest, unten werden die deines Volkes getötet. Richtig?"
„Ja?"
„Wer tötet sie?"
„Ich weiß es nicht."
„Woher weißt du dann, dass sie getötet wurden?"
„Ich weiß es."
„Sag mir woher!"
„Ich hab ihre Reste gesehen."
„Wo?"
„Unten!"
„Wo unten?"
„Ganz unten!"
„Wo genau?!"
„Unter dem Schloss!"
Das führte zu nichts.
„Du wirst mich hinbringen!", erklärte sie.
„Nein. Bitte nicht", bettelte Zittrig. „Meine Zeit ist noch nicht gekommen."
„Das werden wir sehen", erklärte Fragt Viel kalt.
Sie packte die Ratte am Genick und hob diese, wie ein Junges beim Nestwechsel, auf. So konnte Zittrig ihr nicht entkommen. Die Ratte konnte ziemlich flink sein für ihr Alter.
„Woo laangch?", nuschelte sie. Reden mit einer Ratte in der Schnauze war nicht einfach.
„Oh bitte."
„Woo laannggh!!!", sagte sie erneut und verlieh ihren – na ja – Worten mit den Zähnen Nachdruck.
„Nach unten. Ganz nach unten", erklärte die Ratte ängstlich und gab damit ihren Widerstand auf. Ohne dass sie weiter fragen musste, leitete Zittrig sie in die unteren kalten Gänge des Baues. Irgendwann stand sie in einer abgelegenen Ecke vor einem kleinen Loch, aus dem es übel roch und durch das sie nicht mit einer quer in der Schnauze liegenden Ratte passen konnte.
„Hier!", meinte Zittrig. „Einfach da hinunter und du wirst sie finden."
Fragt Viel setzte die Ratte ab.
„Wohin führt dieses Loch?", erkundigte sie sich.
„Dahin, wo das schlechte Wasser abfließt. Die Hauselfen werfen da auch die Essensreste hinein, die der Kraken mag. Wir Ratten holten uns immer unseren Anteil, doch nie zuviel, damit wir den Großen mit den vielen Armen nicht verärgern."
„Seit wann geht das nicht mehr?"
„Seit dem Tag, an dem man überall Kürbisse essen konnte."
Das passte.
„Gut. Kannst abhauen!", sagte sie gönnerhaft.
Wie der Blitz war er verschwunden. Sie neidete es ihm ein wenig. Er war niemandem verpflichtet und seine Angst beherrschte ihn. Fragt Viel könnte ihr Leben nicht so führen, aber das musste jeder für sich selbst entscheiden.
Sie schlüpfte durch das enge Loch und lief dann eine lange Rampe hinunter. Der Gestank war nicht gut für ihre empfindliche Nase, aber er war auch interessant. Sie hatte das Gefühl über einen Friedhof zu schleichen. Fischskelette, Rattenknochen, ausgesaugte Spinnen. Die schwache Spur von Kröten und auch…
…Zweibeiner waren hier unten.
Vorsichtig schlich sie weiter. Sie hörte Steine rollen, eine jugendliche Stimme fluchen und als sie um die Biegung linste, erblickte sie die dazugehörige Person. Ein rothaariges, junges Zweibein versuchte Steine von einer Schuttlawine wegzuräumen, um ein kleines Loch zu erweitern. Immer wieder nachrutschende Steine machten die Sache anscheinend nicht einfach.
Neben dem Jungen hockte auf dem Boden einer der erwachsenen Zweibeiner. Zuerst freute sich Fragt Viel darüber, doch dann erkannte sie den Mann und ein abfälliges Geräusch rang sich aus ihrer Kehle. Sie mochte ihn nicht.
Nicht, dass er böse war. Er war nur so arrogant und absolut unnütz bei der Ausbildung ihres Jungen. Und dass er sich gerade dümmlich und bewundernd in einem Spiegel anschaute, als hätte er sein hässliches Aussehen noch nie gesehen, erzeugte Abscheu in ihr. Mit Augen sollte man in die Welt blicken, nicht seine furchtbar trockene Nase bewundern. Irgendwie wirkte er heute sogar noch unfähiger als sonst.
Vorsichtig schlich sie näher. Sie musste diesen Weg gehen, auch wenn er kaum Deckung bot. Erst als sie den Geröllhaufen erreichte, bemerkte sie der Mann über seinen Spiegel hinweg.
„Wer bist du denn?", fragte er erstaunt, als hätte er Fragt Viel noch nie gesehen. „Bist aber niedlich."
„Was?", fuhr der rothaarige Junge mit einer Rechtsdrehung herum. Fragt Viel lief nach links, um in seinem Rücken zu bleiben. Sie nutzte die Gelegenheit und huschte durch die kleine unsichere Öffnung.
„Was ist hier niedlich?", fauchte der Junge und Fragt Viel war erstaunt, einen Kleinen so mit einem Großen reden zu hören. Normalerweise beschwor dies immer ein Donnerwetter herauf.
„Ist doch niedlich dieses kleine Fellbündel", sagte der Lehrer naiv. „Nicht wahr?"
„Das nennt man Haare, Sie unnützer Tropf!", hörte sie den Jungen noch fauchen, dann zog etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich. Vor ihr lag etwas, was sie nur zu gut kannte.
Eine abgestreifte Schlangenhaut.
An sich nichts Besonderes, wenn man außer Acht ließ, dass diese hier viele Male länger als Fragt Viel war. Länger sogar als die Große Würgerin. Und viel dicker. Interessiert beschnupperte sie die Haut. Diese war schon alt, mehrere Monate sicher, aber von einer unheimlichen Härte.
Mit einem noch schlechteren Gefühl als zuvor, folgte sie weiter dem Gang. Eingemeißelte Schlangenreliefs mit Smaragdaugen beobachteten sie dabei. Silberne Fäden führten von diesen Augen zu den Wänden rechts und links einer Öffnung.
Fragt Viel hörte zwei Stimmen und folgte ihrem Klang. Dazu musste sie eine große Höhle durchqueren, in der steinerne Säulen in Form von sich windenden Schlangen die Sicht versperrten. Genau diesen Raum hatte sie in der gläsernen Kugel gesehen.
„Dumbledore ist durch mein bloßes Gedächtnis aus diesem Schloss vertrieben worden", sagte eben eine arrogante Stimme.
„Er ist nicht so fern, wie du glauben möchtest!", antwortete eine andere.
Dann erblickte Fragt Viel auch die beiden Sprecher. Ein großer und ein kleiner Junge, zu deren Füßen eine regungslose Mädchengestalt lag. Fragt Viel war davon etwas verwirrt. Sie konnte nur den kleinen Jungen und das Mädchen riechen, während der dritte Zweibeiner irgendwie nur zu sehen und zu hören war. Silberne Fäden durchzogen seine Gestalt, die mit einem Buch und dem Mädchen verbunden waren. Es war, als würde man eine Qualle betrachten, die über Tentakel ihr Opfer aussaugt. Misstrauisch beäugte sie die Sache aus sicherer Entfernung. Ihre Mutter hatte ihr beigebracht, eine Situation nicht vorschnell zu beurteilen. Beobachten, schlussfolgern und wenn man wusste woran man war, ohne lähmende Zweifel agieren.
Im Moment tendierte sie dazu den Großen nicht zu mögen, weil sie ihn nicht erschnuppern konnte. Aber das konnte auch daran liegen, dass diese Höhle extrem penetrant nach Schlange roch. Nur auf eine Art, die Fragt Viel nicht kannte. Einen großen Bogen schlagend, durchforstete sie die Umgebung. Was hatten Kröten und Hühner hier zu suchen, von denen ihre Nase zeugte?
Ein melodisches Klingen durchdrang plötzlich den Raum. Keine Musik, wie sie Zweibeiner mochten, sondern wirklich mit echtem Gefühl. Es brachte Hoffung. Dann eine Flamme hoch oben in der Luft und ein Vogel erschien.
Auf solche Auftritte folgten normalerweise sofort irgendwelche hektischen Handlungen. Nicht hier. Zuerst redeten die beiden Jungen wieder und verwendeten Begriffe, die Fragt Viel zwar die letzten Monate über kennen gelernt, aber noch immer nicht verstanden hatte. Man nannte hier Zweibeiner ohne Magie Muggel – was für ein Blödsinn! Alles Leben war ein Zeichen der Magie. Aber das begriffen die Zweibeiner nicht. Und dann redeten sie auch noch über halbes Blut. Was der größte Schwachsinn war. Zweibein mit Zweibein konnte doch gar kein Halbblut sein? Das Ergebnis einer Verbindung aus Pferd und Esel, das war ein Halbblut! Aber so etwas Offensichtliches sahen die Zweibeiner irgendwie auch nicht.
Zumindest brachten die Worte sie dazu, dann doch etwas zu unternehmen. Der Größere wandte sich einem steinernen Abbild eines Zweibeins zu und redete.
Zunächst glaubte Fragt Viel ihren Ohren nicht trauen zu können. Die Worte einer Schlange kamen ihm über die Lippen. Ihr wurde schlecht. Sie konnte zwar nicht verstehen, was er sagte, aber sie verachtete diese Sprache. Schlangen wollten so sein wie die Zweibeiner, aber konnten es nicht zugeben. Deshalb hatten sie ihre eigene Sprache und sie verachteten alle Völker, welche die Richtige Sprache sprachen.
Die Worte brachten den Kopf der steinernen Statue zum Leben und dann spie der Mund – grotesk vergrößert – die gewaltigste Schlange aus, die Fragt Viel jemals gesehen hatte. Und eigentlich hatte sie auch keinen Wert darauf gelegt, jemals so einen riesigen Feind zu sehen.
Vor allem nicht, wenn dieser auch noch vor Gift nur so triefte. Ihr Hass bekam eine heftige Abkühlung.
Die Schlange war einfach zu groß. Der ultimative Killer. Fragt Viels Kiefer konnte nicht einmal eine der Schuppen umspannen. Einziger Vorteil den man vielleicht hatte war, dass die Schlange sich sehr langsam bewegte. Sie war alt und schwer. Die Schuppen waren offensichtlich verhärtet und rieben schmerzhaft aneinander. Zumindest glaubte das Fragt Viel aus der Stimme der Schlange herauszuhören, die sich im Übrigen sofort auf den kleineren Jungen stürzte. Damit war für Fragt Viel die Entscheidung gefallen, auf wessen Seite sie stand. Nur konnte sie leider nichts tun. Diese große Schlange kannte sie aus den Erzählungen ihrer Mutter und sie war machtlos.
Von der Ferne beobachtete Fragt Viel den Kampf. Sie sah keinen Sinn darin sich in Gefahr zu bringen, solange sie nicht wusste, was sie bewirken konnte.
Sie sah, wie der Junge die Augen geschlossen hielt, bis der Vogel der Schlange die Augen ausgehackt hatte, wie er einen riesigen Zahn aus einem viel zu kleinen Hut zog und wie er die Schlange damit tötete. Lange bevor Fragt Viel sich auch nur zu einer Handlung entschließen konnte. Schließlich war das da nicht ihr Junges.
Sie sah Blut zu Boden tropfen, roch tödliches Gift in der Wunde und wusste, dass der Junge sterben würde.
Doch dann ließ sich der seltsame Vogel neben dem Jungen nieder und legte den Kopf gegen die vergiftete Wunde. Mit unsäglichem Erstaunen stellte Fragt Viels Nasefest, wie der giftige Geruch nachließ und sie konnte erkennen, wie wieder gesundes Blut die Leichenblässe im Gesicht des kleinen Jungen vertrieb. Was für ein nützlicher Freund! Sobald Fragt Viel wusste, wo dieser Vogel lebte, würde sie versuchen seine Freundschaft zu gewinnen.
Der große Junge schien mit dieser Entwicklung nicht sonderlich zufrieden zu sein und er vertrieb den Vogel mit seinem Holzstab und einem lauten Knall. Dann richtete er den Stab auf den kleinen Jungen, der jedoch in einer zunächst sinnlos scheinenden Geste das Buch mit dem Giftzahn der Schlange durchbohrte, das ihm der Vogel zuwarf. Doch dann konnte Fragt Viel erkennen, wie effektiv diese Aktion war. Bisher hatte sie einfach angenommen, die silbernen Fäden zwischen dem großen Jungen, dem Buch und dem Mädchen gingen von dem Jungen aus, aber jetzt sah sie, dass das Buch der Schlüssel war. Die Fäden zerfaserten und eine unheimliche Mischung aus Blut, Tinte und Gift ergoss sich über den Boden.
Dann verschwand der große Junge urplötzlich und Stille kehrte in der Halle ein. Bewegungslos beobachtete sie weiter, wie der Kleine seine Sachen einsammelte, das Mädchen zu sich kam, sie ein paar kurze Worte wechselten und dann mit dem Vogel den Raum verließen.
Fragt Viel wollte ihnen unauffällig folgen, doch dann kehrte ihr Blick noch einmal zu der großen Statue zurück. Sie stockte, der Mund war jetzt nicht mehr so grotesk geöffnet, doch richtig geschlossen war er auch nicht. Er formte immer noch ein großes O. Beunruhigt kehrte sie um und begann noch einmal den Raum zu durchforschen. Lange Zeit ohne Erfolg, doch dann – ganz hinten und kaum sichtbar – entdeckte sie ein ungewöhnlich kleines Relief einer Schlange, das vollständig mit den üblichen silbernen Fäden umsponnen war. Versuchsweise packte sie einen davon mit der Schnauze, zog daran und sah, wie sich kurzzeitig ein dünner Spalt öffnete. Sie zerbiss den Faden und der Riss wurde größer. Ein kleiner, katzengroßer Gang öffnete sich vor ihr, der noch weiter nach unten führte. Vorsichtig folgte sie dem Weg. Von hier kam der Geruch nach Kröte, Huhn und Schlange. Am Ende ihres Weges weitete sich der Gang in eine kleine Höhle. Kampfgeräusche und das Schaben von Schuppen waren hier allgegenwärtig. Aufs höchste gespannt lugte sie hinein und zuckte erschrocken zurück.
Neben einer Unmenge zerbrochener Hühnereier und einer toten Kröte hatte sie unzählige dieser Schlangen gesehen. Viel kleiner diesmal, fast wie frisch geschlüpft.
Neugierig wagte sie noch einen Blick.
Immer zwei der Schlangen kämpften jeweils gegeneinander. Mit Abscheu sah Fragt Viel, wie sie die Zähne ineinander schlugen, sich gegenseitig töteten und der Sieger den Besiegten verschlang. Noch größer wurde ihr Entsetzen, als sie sah, wie der Sieger nach dem Mahl deutlich wuchs und dabei seine Haut abstreifte.
„Sie töten einander, bis nur noch der Stärkste übrig ist", drangen ihr die Worte ihrer Mutter ins Gedächtnis. „Töte sie, solange sie jung und ihre Haut weich ist. Wenn du allein bist, warte und töte den Letzten, doch wenn du kannst, hole andere des Volkes und töte sie vorher. Doch achte auf ihre Zähne. Ihr Gift und ihre Augen sind eine tödliche Waffe von Geburt an."
Zweifelnd starrte Fragt Viel auf das Kampfgewühl. Nur noch ein Viertel der ursprünglichen Zahl an Schlangen war übrig und wenn sie deren Länge zusammenzählte, dann würden sie sicher gewaltiger als ein Flachkopf werden und die waren schon drei oder vier Sprünge weit. Das hielt sie zwar immer noch für besiegbar, aber die letzte gefährliche Schlange hatte sie vor mehr als fünf Jahren gejagt. Sie war ein wenig aus der Übung.
Sorgsam studierte sie ihre zukünftigen Gegner. Analysierte ihre Schnelligkeit, die Kraft und auch die Taktiken und bereitete sich auf den Kampf vor. Doch dann, kurz vor der Entscheidung, geriet der Kampf der Schlangen ins Stocken.
Wer immer die Hühnereier gesammelt hatte, um diese Missgeburten wachsen zu lassen, hatte einen Fehler gemacht und eine ungerade Anzahl an Eiern ausbrüten lassen. Drei Schlangen von etwa drei Sprüngen Länge zischten sich mit aufgerichteten Köpfen an. Sie steckten in einem Dilemma. Das konnte Fragt Viel durchaus verstehen. Wahrscheinlich stritten sie darüber, wer den nächsten Zweikampf führen sollte, denn der Sieger würde deutlich größer als sein letzter Gegner sein.
Die einzige Möglichkeit die ihnen blieb, war ein Dreikampf. Doch das machte die Sache kaum einfacher. Mit wiegenden Köpfen versuchten die Schlangen immer beide Gegner im Auge zu behalten. Einem peitschenden Angriff folgte immer ein schneller Rückzug, da fast immer der Nichtangegriffene versuchte, diesen Moment zu einer eigenen Attacke zu nutzen. Für Fragt Viel war dies ein recht belustigender Anblick und es gab ihr die Möglichkeit für weitere Studien. Inzwischen war sie der Überzeugung, eine einzelne dieser Schlangen – selbst wenn sie sechs oder noch mehr Sprünge lang war – besiegen zu können.
Doch dann wurde ihr Plan durchkreuzt.
„Tikki!", hörte sie ihr Junges. Obwohl er sicher laut rief, war seine Stimme hier unten kaum zu hören. Leider besaßen die Schlangen – eigentlich untypisch – ein gutes Gehör. Sie beendeten den Kampf und fuhren herum.
„Menschenfleisch!", sagte eine von ihnen deutlich in der Richtigen Sprache. „Lasst uns es holen."
„Ja", pflichteten die beiden anderen blutgierig bei.
Ohne groß zu überlegen, sprang Fragt Viel aus dem Gang heraus und versperrte diesen mit ihrem Körper.
„Lauf weg, Junges", schrie sie laut aus. Die Schlangen zuckten überrascht vor ihr zurück.
„Welch leckere Überraschung", zischte eine der Schlangen. „Schau mir in die Augen und stirb."
Fragt Viel tat ihr den Gefallen.
„Und?", fragte sie arrogant und tänzelte umher. Der eisige Hauch des Todes, den die Augen ihrer Feinde ausstrahlten, glitt von ihr ab. „Kein kampfloser Sieg diesmal!"
Sie klang dabei zuversichtlicher, als sie eigentlich war. Gegen drei Schlangen anzutreten, war reine Verzweiflung. Fragt Viel musste ihrem Jungen Zeit verschaffen.
„Ihr rührt mein Junges nicht an!", fauchte sie deshalb. „Ich bin ein Schlangenjäger und ihr seid meine Beute!"
Das brachte ihr ein belustigtes Zischen ein, nachdem sie kurz ein wenig Angst in den todbringenden Augen gesehen hatte.
„Ein Mensch ist dein Junges? Nur schade, dass er dich nicht verstehen kann. Aber sei beruhigt, du wirst nicht mehr erleben, wie wir ihn töten."
Ein Schlangenkopf stieß nach ihr. Fragt Viel sprang sofort zurück an die Wand und entging dem Angriff. Eine andere Schlange nutzte diesen Moment und versuchte ebenfalls sie zu erwischen, doch ein Tänzeln zur Seite ließ das aufgerissene Maul an ihr vorbei, gegen den Stein krachen.
„Daneben, daneben!", lästerte Fragt Viel und spürte wie die Kampfeslust die Kontrolle übernahm. Dem dritten Angriff wich sie nicht aus. Nein – sie sprang vorwärts, über den angreifenden Kopf hinweg, landete auf dem Schlangenkörper und biss kurz und heftig hinein. Leider deutlich zu weit hinten. Einige Wirbel der Schlange brachen zwar, aber das empfindliche Genick blieb unverletzt. Schnell sprang sie wieder fort, um kein einfaches Ziel zu sein.
„Reingelegt!", lachte der Wortführer der Schlangen und huschte durch die Öffnung, die Fragt Viel im Eifer freigegeben hatte. Mit einem Wutschrei folgte sie und hatte dabei Glück, dass die eine Schlange sich in Schmerzen wand und die zweite noch etwas betäubt vom Kontakt mit der Wand war. Sie folgte der Schlange den Gang nach oben und erst jetzt wurde ihr klar, wie gefährlich das war. Wenn sich die führende Schlange jetzt umwandte und die anderen beiden ihr folgten, dann saß sie in der Falle und war tot. In dem schmalen Gang war ans Ausweichen nicht zu denken.
„Ich töte dein Junges und dann dich", zischte es vor ihr.
Dicht hinter Fragt Viel waren nun gleitende Schuppengeräusche zu hören.
„Ihre Augen töten!", schrie Fragt Viel ihrem Jungen zu.
„Ja, warne ihn nur", amüsierten sich die Schlangen. „Fast alle Menschen sind taub und dumm!"
Sie erreichten wieder die große Höhle mit den Schlangensäulen. Fragt Viels Junges lag regungslos auf dem Boden. Die Zahnhülle war leer.
„Und jetzt stirbst du!", begrüßte sie die Schlange. Doch das war leichter gesagt als getan. Fragt Viel hatte hier viel mehr Platz und mit ihrer Schnelligkeit konnte es keine der Schlangen aufnehmen. Trotzdem sie extrem wütend war, dachte sie noch daran, die drei Schlangen von ihrem Jungen wegzulocken, während diese versuchten Fragt Viel den Weg nach draußen zu verwehren.
Es lief im Endeffekt auf ein Patt hinaus. Sie hatte keine Chance eine der Schlangen zu töten und diese waren zu langsam sie zu fangen. Im Endeffekt würde der sterben, der zuerst müde wurde und das würde wohl Fragt Viel sein.
Sie sprang auf ein Podest außerhalb der Reichweite der Schlangen, um ein wenig zu verschnaufen. Obwohl nicht außerhalb ihrer Reichweite, taten es die Schlangen ihr nach. Fragt Viel konnte nur froh sein, dass sie nicht wirklich zusammen arbeiteten, wie es die Flachköpfe getan hätten, welche die Zweibeiner Königskobras nannten.
„Komm runter spielen", zischte eine der Schlange atemlos.
„Komm doch mit dem Kopf rauf", bot Fragt Viel als Alternative an.
„Warum schiebst du nur das Unvermeidliche hinaus. Komm – ich mach es schnell und schmerzlos, wie bei deinem Jungen."
„Mindestens einen nehme ich noch mit", fauchte sie wütend. „Vielleicht auch zwei, wenn euer Gift genauso langsam wirkt, wie das eures Vorgängers."
„Solange einer übrig bleibt, wird unsere Mission weiterleben. Unser nächster Herr wird zurückkehren."
„Den gegenwärtigen habe ich sterben sehen", lachte Fragt Viel und betrachtete wachsam die Schlangenleiber, die um ihr Podest kreisten.
„Das macht mich hungrig!", sagte schließlich eine der Schlangen lauernd. „Ich werd mal schauen, ob ihr Junges eine gute Mahlzeit abgibt. Ihr anderen passt auf."
Sie glitt davon, wobei sie sich immer wieder nach Fragt Viel umsah. Der Körper ihres Jungen lag nicht weit entfernt regungslos auf dem Boden. Sie wusste, was die Schlange damit bezweckte, doch damit konnte sie Fragt Viel nicht in Wut versetzen.
„Mein Junges ist fort", sagte sie zornig, aber überlegen. „Du kannst ihm nicht mehr wehtun."
„Aber ich kann seine Hülle zerfetzen. Vielleicht habe ich ihn ja nicht ganz getötet. Sieh nur. Da ist doch sein Herz, oder? Ich werd mal sehen, wie es aussieht. Noch ist es warm und…"
„Jetzt!", schrie Fragt Viel und sprang selbst zur Ablenkung auf die beiden Schlangen in ihrer Näher herunter. Diese schnappten nach ihr, doch sie war schon wieder weggehüpft. Fort von ihrem Jungen, damit ihre beiden Gegner nicht sahen, was ihr Junges eben getan hatte.
„Fang mich!", jauchzte sie heiser im Triumph und sprang rückwärts. Mit einem kurzen Blick sah sie, wie ihr Junges seinen metallenen Zahn aus dem Kopf der Schlange zog, die ihn hatte fressen wollen. Ihr Körper zuckte und wand sich noch im Todeskampf.
„Spring zurück!", schrie sie ihrem Jungen zu, damit er nicht doch noch verletzt wurde. Und endlich befolgte er einmal einen Befehl. Aber dann kam er in großem Bogen auf sie zugelaufen.
Seine Schritte waren gut hörbar. Einer ihrer Gegner fuhr herum und Fragt Viel nutzte diesen Moment der Ablenkung, um die andere Schlange anzugreifen. Eine Finte, ein ablenkender Schrei und dann senkten sich ihre Zähne in das Genick der Feindin, die sie schon einmal gebissen hatte. Zu ihrer Befriedigung knackte es laut und deutlich. Dann sprang Fragt Viel erneut zur Seite.
„Und jetzt du!", verkündete sie der letzten Schlange.
Doch diese dachte gar nicht daran sich zu stellen. Mit einer unerwarteten Drehung schoss sie auf die steinerne Gestalt des Zweibeins mit dem offenen Mund zu, glitt an ihr hoch und in ihren Mund. Fragt Viel sprintete in der Hoffnung hinterher, noch den Schwanz zu erwischen. Aber es schien zu spät.
Plötzlich rauschte der Zahn ihres Jungen an ihr vorbei und blieb wie durch ein Wunder im Schwanz und dem Stein darunter stecken, bevor die Schlange ganz im Mund verschwinden konnte. Fragt Viel nutzte dieses Geschenk, sprang hinauf, packte den Schwanz mit den Zähnen und riss daran.
Aus der Mundhöhle drangen Schmerzensschreie, dann kam die Schlange zurück und Fragt Viel brachte sich für einen Moment wieder in Sicherheit.
Die übrig gebliebene Schlange glitt wieder aus der Höhle, fiel auf den Boden und begann sofort nach ihr zu stoßen, wobei ihr Schwanz immer noch auf halber Höhe fest hing. Sie versuchte sich loszureißen.
„Warum stirbt er nicht?", zischte sie dabei.
Fragt Viel befand, dass die Schlange eine Antwort verdiente.
„Weil er blind ist", rief sie und sprang vor.
Scharfe, giftige Zähne berührten ihr Fell, rissen ein paar Haare weg, aber ihre Haut blieb unverletzt. Fragt Viels Angriff hatte mehr Erfolg. Sie erwischte den Hals der Schlange, jedoch so ungünstig, dass sie das Genick nicht zerbrechen konnte. Doch diesmal ließ sie nicht los. Der Körper der Schlange war ungewöhnlich stark und sie wurde herumgewedelt. Dabei schlug sie mehrfach schmerzhaft gegen den harten Stein der Statue.
Inzwischen war ihr Junges näher gekommen. Durch die zusammengepressten Zähne hindurch konnte sie ihm jedoch nicht sagen was er tun sollte, und so stieß er mit dem Bündel aus Schlangenkopf und Fragt Viel zusammen. Sein Blut floss und sie konnte nur hoffen, dass dies von dem Zusammenstoß und dem darauf folgenden Sturz kam und nicht von einem Schlangenzahn. Doch das schien ihn nicht zu schrecken. Seine Hände suchten den Schlangenkörper in der Nähe des Messers, drückten diesen fest gegen den Stein und schoben sich immer weiter Richtung Kopf und Fragt Viel. Begrenzte so immer mehr den Bewegungsspielraum der Schlange. Diese erkannte die Gefahr und schlug nun noch mehr auf ihn ein. Zu Fragt Viels Befriedigung bemerkte sie jedoch, dass die Schlange dank ihres Bisses ihr Maul nicht mehr öffnen konnte.
Dann endlich berührten die Hände ihres Jungen Fragt Viel. Die Schlange war jetzt fast bewegungslos.
„Töte sie", keuchte er vor Anstrengung und presste seinen gesamten Körper gegen Schlangenkörper und Stein.
Sie löste blitzschnell ihre Zähne und setzte einen neuen Biss. Diesmal erwischte sie die richtige Stelle. Es knackte erneut und warmes, widerwärtig schmeckendes Blut schoss in ihre Schnauze. Diesmal gab es kein Zittern. Der Tod kam schnell.
Erschöpft ließ Fragt Viel los und leitete ihr Junges ein Stück von den toten Körpern weg. Dort befahl sie ihm sich zu setzen und beschnüffelte intensiv alle seine Wunden. Zu ihrer Freude stellte sie fest, dass es zwar schlimm aussah, aber nicht wirklich lebensbedrohlich war. Zerfetzte Kleidung, eine Platzwunde am Kopf, blaue Flecken und Schnitte überall, aufgeschürfte Hände. Nichts, was er nicht schon kannte.
Erst als sie ganz sicher war, dass ihm nichts fehlte, baute sie sich vor ihm auf und hielt ihm die längste und heftigste Standpauke ihres Lebens. Um das zu unterstützen zwickte sie ihm entschieden und sicher schmerzhaft in die Hände. Sie hatte ihm befohlen im Bau zu bleiben. Er hatte das nicht beachtet und so wäre er beinahe hier gestorben. Noch nie war sie so wütend und besorgt gewesen. Natürlich verstand er wahrscheinlich nicht mal die Hälfte von dem was sie sagte, aber der Sinn war ihm nur zu deutlich klar. Er hielt den Kopf gesenkt und zog auch seine Hände vor ihr nicht zurück. Erst als sie endlich endete, wagte er etwas zu sagen.
„Aber ich hatte solche Angst um dich, als man uns das von dem Basilisken erzählte", sagte er mit zitternder Stimme.
Fragt Viel schaute ihn für einen Moment an, dann begann sie ihm besänftigend die Wunden mit der Zunge zu reinigen.
Sie liebte ihn und deshalb vergab sie ihm auch genauso schnell wieder, wie sie wütend geworden war. Er war mutig und er war neugierig. Eigenschaften, die er von ihr hatte. Wie konnte sie ihm dies zum Vorwurf machen? Er war halt noch ein Junges!
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