- Kapitel 35 -

Epilog (Alles Absicht)

Gloria fühlte sich furchtbar unwohl. Nicht weil es ihr körperlich schlecht ging, dieser Mangel war behoben, sondern weil ihr die Situation nicht gefiel. Zuerst war sie erstaunt gewesen, wie elegant und ohne ihr eigenes Zutun sie diesen Job bekommen hatte. Doch schon bei der ersten Einweisung im Ministerium wurde sie überrascht. Zuerst natürlich davon, dass des Ministers Best Girl, Erste Untersekretärin des Ministers, Dolores Umbridge, die Beurteilung leiten sollte. Im Ministerium für magische Strafverfolgung gab es viele Gerüchte über sie. Sie sollte eine der grauen Eminenzen des Ministeriums allgemein sein und mehr als nur ein Ohr von Zaubereiminister Fudge besitzen.

Die zweite Person beim Briefing hingegen war bekannt dafür, sich Gehör beim Minister zu kaufen. Lucius Malfoy! Gloria hatte sich extrem beherrschen müssen, ihre Abscheu nicht zu zeigen. Sie kannte Malfoy schon aus ihrer Schulzeit und schon damals war er lieber offen brutal, als raffiniert gewesen. Folgerichtig hatte er sich mit Voldemort eingelassen und auch wenn er dann doch intelligent genug gewesen war, sich da wieder herauszureden, so wusste Gloria, es war nur eine Verstellung, die der Mann selbst hasste.

Sie bemitleidete ihn.

Bei der Einweisung hatte Malfoy, genau wie Umbridge, ihr klar gemacht, was man von Gloria erwartete und dass sie nur dank Malfoys Fürsprache eine Teilnahme an dieser wichtigen – karrierefördernden – Anhörung bekommen hatte. Seine Beweggründe dafür waren so klar, dass sie einfach nur lächeln musste, als er ihr das eröffnete. Da er sich bei der versuchten Ablösung Dumbledores, während der Krise um den Erben Slytherins, verspekuliert hatte, konnte er selbst nicht teilnehmen. Die Gefahr, sich ein zweites Mal zu blamieren, wollte er unbedingt vermeiden.

Beinahe hätte sie ihm erklärt, er solle das Intrigenspiel jenen überlassen, die etwas davon verstanden. Stattdessen hatte sie ihm liebenswürdig gedankt und die Glückwünsche zum kommenden Nachwuchs entgegen genommen.

Und so saß sie jetzt statt Malfoy links von Umbridge und schielte an dieser vorbei zum zweiten Beisitzer – Severus Snape. Auch er war auf Empfehlung von Lucius Malfoy hier.

Snape jedoch schien von seiner Auswahl nicht sonderlich begeistert zu sein. Er starrte düster und distanziert vor sich hin und sagte nur etwas, wenn die Höflichkeit es erforderte. Auch ihn kannte Gloria aus der Schulzeit, aber auch fast nur vom Sehen. Sie hatte ihn als verschlossenen älteren Jungen in Erinnerung, der nicht viel sagte und den die Mädchen nicht beachteten.

Ihr Blick zuckte von Snape zu Umbridge und dann zu dem kleinen Jungen, der ihnen gegenüber saß und schrieb. Vor acht Stunden war er still in diesen Raum gekommen, hatte von Madame Umbridge den Befehl bekommen sich zu setzen und alle Aufgaben, die dort auf ihn warteten, innerhalb von zehn Stunden zu lösen. Das klang unfair, war es auch und trotzdem protestierte der Junge in keinster Weise. Er hatte sich gesetzt, seine Feder hervorgeholt und angefangen die Fragen aus allen Themenbereichen einmal zu lesen. Erst nach einer Stunde war er dazu übergegangen sie auch zu beantworten. Seitdem schrieb er ohne Unterlass oder Pause zum Nachdenken. Dass er dabei die Augen nach vorn und nicht auf sein Blatt gerichtet hielt, schien vor allem Umbridge ein wenig nervös zu machen.

Dazu kam auch noch, dass der braun- und kurzhaarige Junge nicht in der Schuluniform erschienen war, sondern in einem Zaubereranzug, der von oben bis unten mit gestickten Einhörnern übersäht war, die alle recht feindselig zu schauen schienen.

Plötzlich stand der Junge auf und brachte den Stapel Papier nach vorn, auf dem seine Antworten standen.

„Es sind noch zwei Stunden, Kind!", stellte Umbridge mit einer falschen Sanftheit in der Stimme fest.

„Ich habe alle Fragen so gut ich konnte beantwortet", sagte der Junge emotionslos.

„Dann setz dich wieder still hin. Professor Snape, bitte die besprochene Trankaufgabe."

Während Snape dem Jungen einen Kessel und alle nötigen Utensilien für einen viel zu komplizierten Zaubertrank auf den Tisch stellte, verteilte Umbridge die Lösungen zur Korrektur auf Snapes und Glorias Tisch. Die Untersekretärin jedoch behielt kein einziges der Blätter, sondern holte aus ihrer Tasche ein Service hervor und begann sich einen Tee aufzubrühen. Gloria nahm das hin und korrigierte einfach die Texte. Doch schon nach wenigen Minuten hörte sie damit auf und schaute erstaunt nach vorn.

In einem unheimlichen Stakkato flog das Messer des Jungen über das Schneidbrett und zerkleinerte eine Wurzel in quadratische kleine Würfel. Ständig fragte man sich, wann er einen seiner eigenen Finger mit zerhacken würde, doch nichts dergleichen geschah. Nach der Wurzel folgte eine Frucht, mehrere hochgiftige Buglarschnecken, deren Giftblasen vorher entfernt werden mussten, und zum Abschluss musste auch noch eine Tomate über einem Brenner getrocknet werden. Das alles machte der Junge innerhalb von zehn Minuten, was normalerweise eine gute Stunde in Anspruch nahm. Und genau deshalb hatte Umbridge diese Aufgabe eigentlich ausgewählt. Sie war theoretisch nicht in einer Stunde machbar, da die letzte Zutat schon nach 45 Minuten in den Kessel musste.

Gloria verbarg ein Lächeln in der Hand, als der Junge mit gelangweiltem Gesichtsausdruck die erste Zutat in den Trank gab und genehmigte sich einen Seitenblick. Während Umbridge ziemlich sauer schien, hatte Snape nicht einmal von seiner Korrekturarbeit aufgeblickt.

Gloria musste wohl ihr Urteil über ihn revidieren. Als Umbridge den Trank als Prüfungsaufgabe vorschlug und er es nur gelangweilt abnickte, hatte sie ihn sofort auf Umbridges Linie geschoben. Doch jetzt – nach dem was sie eben gesehen hatte – war sie der Ansicht, dass die Fähigkeiten seines Schülers ihn keinesfalls überraschten. Was man ja auch erwarten konnte, wenn man sein Lehrfach bedachte. Natürlich hatte Umbridge Snape nicht eingeweiht. Bei einem Vertreter der Schule war Einflussnahme nicht ratsam. Dies würde Dumbledore nur die Möglichkeit geben alles anzufechten. Es reichte ja, zwei von drei Stimmen zu haben.

Trotzdem schien Umbridge sauer zu sein und sie warf misstrauische Blicke hin zu Snape.

Inzwischen konzentrierte Gloria sich wieder auf die Korrektur. Sie hatte Geschichte, Astronomie und einen Teil Kräuterkunde erwischt. Und dafür, dass die Fragen wirklich schwierig waren, waren die Antworten einfach perfekt, wenn man von vielen Fragen in Bezug auf Astronomie absah.

Bei der Aufgabe – Zeichnen sie die Form des größten Mondkraters auf – hatte der Junge einfach einen Kreis hingemalt. Grinsend gab ihm Gloria die halbe Punktzahl dafür, denn schließlich stimmte die Grundform.

Als die Stunde dann um war und auch der Trank fertig, reichte Gloria die Benotung ihrer Ergebnisse an Umbridge, was ihr einen tadelnden Blick einbrachte. Sie zuckte jedoch nur ganz leicht mit den Schultern und schenkte der kleinen, unschönen Frau einen Blick, als wollte sie sagen: Ich betrüge doch nicht, wenn man es mir so einfach nachweisen könnte.

Gloria wusste, warum Umbridge selbst nichts korrigiert hatte. Die Frau dachte ähnlich primitiv wie Malfoy. Wobei Malfoy wahrscheinlich gar nicht mal so dumm war. Kam der Betrug heraus, war es Gloria. Blieb sie fair, um das zu vermeiden, dann würde ihre Karriere wahrscheinlich ein wenig gebremst werden.

„Fertig", verkündete der Junge, löschte den Brenner und goss den Inhalt des Kessels in ein großes Glas und obwohl Snape noch kein einziges Wort gesagt hatte, steuerte McNamara direkt auf den Lehrer zu und stellte das Glas vor ihm ab. Snape prüfte es, dann nickte er Umbridge zu. Zu dem Jungen sagte er kein Wort und trotzdem lächelte dieser zufrieden für einen Moment. Er baute sich vor Umbridge auf und schaute diese an. Natürlich war das ein falscher Eindruck, denn seine Augen waren blind. Doch so, wie er sie durch den Raum wandern ließ, konnte man fast denken, er könne sehen.

Er sagte nichts, doch seine Haltung zeigte ein herausforderndes: Und was nun?

Von Wahnsinn oder emotionaler Instabilität konnte Gloria keine Spur entdecken. Mr Banefactor hatte ihr einige – wie die Muggel es nannten – Filmaufzeichnungen von mehreren armen Teufeln gezeigt, die das Pech hatten mit ihrem Meister kompatibel zu sein. Sie würde diese rotgeränderten Augen und den panisch umherzuckenden Blick niemals wieder vergessen. McNamara jedoch wirkte eher überkontrolliert für ein Kind. Wenigstens ein Zeichen von Nervosität wäre angebracht gewesen.

„Lass diese Tasse schweben!", befahl Umbridge und ihre Stimme war bar jeder schleimigen Freundlichkeit. Anscheinend wollte sie den Jungen einschüchtern.

McNamara wollte nach der Tasse tasten, doch Umbridge zog sie aus seiner Reichweite.

„Ohne anfassen!", sagte sie.

Es war unfair. Zuerst eine leicht zerbrechliche Tasse hinstellen und dann einem Blinden verwehren, ihre genau Position zu finden. So konnte er nicht zielen. Gloria war gespannt, wie er reagieren würde.

„Dann kann ich es nicht!", erklärte der Junge.

„Kannst du es nicht oder hast du Angst mich zu treffen?", fragte Umbridge lauernd.

„Ich habe Angst…", begann der Junge und wartete genau die Sekunde um auf Umbridges Lippen ein Lächeln zu zeichnen „…dass ich die wunderschöne und zerbrechliche Tasse kaputt mache."

Umbridge entglitt das Lächeln.

„Könnte er nicht etwas anderes schweben lassen, Madame Umbridge?", ergriff zum ersten Mal Professor Snape das Wort, wobei er nicht mal von den Lösungen aufsah, die er noch immer korrigierte.

„Ich hab einen Gummiball mit", bot der Junge an und holte aus seinem dunkelblauen Zaubererumhang den genannten Gegenstand. Er warf ihn hoch und sagte den Schwebezauber. Der Ball hörte auf zu Boden zu fallen, blieb jedoch nicht in der Luft hängen, sondern sauste quer durch den Raum.

„Ups!", sagte der Junge, als würde ihn die ganze Sache nichts angehen. Der Ball knallte gegen Wände, das Tintenfass des Jungen zerschellte am Boden und Umbridges Teekanne wurde zerstört.

„Oh, Entschuldigung", sagte McNamara. „Zehn Tage waren wirklich nicht viel Zeit den Zauber zu lernen."

Der Ball fiel zu Boden.

„Das hast du mit Absicht gemacht!", unterstellte Umbridge aufgebracht.

„Wie soll das gehen, Madame?", fragte er und klang ehrlich verletzt. „Ich kann nicht sehen, was auch immer da kaputt gegangen ist."

„Es war Absicht!", beharrte Umbridge. „Du magst mich nicht und deshalb hast du etwas von mir zerstört."

„Bedeutet das, ich wäre vom Selbsthass zerfressen, weil mein Tintenfass auch zerbrochen ist?", fragte er und lächelte freundlich.

„Werd nicht frech, Kind!", fauchte Umbridge.

Gloria wusste, was die Frau vorhatte. Sie versuchte den Jungen zur Weißglut zu treiben. Doch Gloria zumindest begriff, dass sie sich offensichtlich nicht wirklich mit dem Jungen und seinem Hintergrund beschäftigt hatte. Hätte sie das getan, dann hätte sie auch gewusst, dass man dieses Kind nicht mit normalen Drohungen schrecken konnte. Allein ein Blick in die Schulakte und jedem wäre klar gewesen, wo die Schwachstellen McNamaras lagen.

„Bitte entschuldigen Sie", sagte der Junge freundlich. „Meine Ironie ging mit mir durch. Es ist nur lange her, dass mir jemand unterstellt, ich könne sehen. Eigentlich sollte ich mich geschmeichelt fühlen."

„Du gibst also zu, dass es Absicht war", beharrte Umbridge noch immer auf einer unhaltbaren Position.

Er zuckte zur Antwort mit den Schultern.

„Wenn Sie das so sehen wollen, Madame", sagte er mit einer Ruhe, die so langsam Umbridge aufregte. „Ich kann es nicht!"

„Darüber urteile…"

„Madame Umbridge", unterbrach Gloria sanft und vergaß beinahe, was sie noch sagen wollte, denn die Reaktion des Jungen lenkte sie ab. Beim Klang ihrer Stimme war er zunächst furchtbar zusammengezuckt und hob dann sogar den Zauberstab ein Stück in ihre Richtung, den er jedoch sofort wieder senkte.

„Ja, Mrs Kondagion?", sagte Umbridge, die anscheinend nichts davon bemerkte. Ganz im Gegensatz zu Snape.

„Sollten wir nicht erst den Prüfungsteil abschließen, bevor wir uns den anderen Fragen zuwenden?", führte Gloria ihren Gedanken zu Ende und riss endlich den Blick von dem Jungen los. „Die Form sollte doch gewahrt bleiben!"

Für einen Augenblick starrte Umbridge sie böse an. Gloria hielt dem stand und versuchte einen mahnenden Blick zustande zu bekommen, obwohl sie lieber gegrinst hätte. Sie wusste nicht wirklich, wo das Problem der Frau war, aber es war überdeutlich, dass irgendetwas nicht stimmte.

Und es half. Umbridge entspannte sich etwas, sank auf ihren Stuhl zurück und sagte fast gnädig: „Zeig die Zauber, die du gelernt hast, Kind."

Der Junge trat sofort ein paar Schritte zurück und begann mehr schlecht als recht zu zaubern. Viele Versuche waren einfach nur erbarmungswürdig. Ein wenig schien seine Konzentration gestört.

Eines jedoch fiel auf, es war nichts von dem zu sehen, was man ein Wildes Talent nennen konnte. Eher traf die Bezeichnung Kaum vorhandenes Talent zu. Obwohl der Junge die richtigen Worte deutlich aussprach und fast perfekte Gesten benutzte, war das Ergebnis meist nicht vorhanden oder nur traurig.

„So, mehr kann ich nicht!", sagte der Junge nach einer Weile.

„Was ist mit Flüchen?", erkundigte sich Umbridge sofort.

„Professor Lockhart hat uns keine beigebracht", antwortete er. „Er bevorzugte die Theorie."

Gloria musste wieder ein Lächeln in der Hand verbergen. Natürlich log der Junge nicht, aber er sagte auch nicht die Wahrheit. Gloria hatte die Berichte der Muggel aus dem Krankenhaus gelesen, die diese hatten schreiben müssen, bevor ihnen das Gedächtnis verändert worden war. Er konnte Flüche anwenden, wenn er nur wollte.

„Du lügst doch", unterstellte Umbridge und wieder konnte Gloria innerlich nur den Kopf schütteln, wie schlecht vorbereitet diese Frau war.

„Es entspricht der Wahrheit", mischte sich Snape ein und reichte nun endlich seinen Teil der Korrekturen an Umbridge.

Diesmal ging Umbridge sofort zum nächsten Thema über.

„Gut, dann haben wir den schulischen Teil abgehakt. Du wirst mir jetzt einige Fragen wahrheitsgemäß beantworten, Kind."

Der Junge nickte.

„Erkläre deine Loyalität dem Ministerium gegenüber", verlangte Umbridge.

Er schüttelte entschieden den Kopf.

„Die Erklärung ist notwendig für deinen Verbleib in Hogwarts!"

Seine Entschiedenheit bröckelte, jedoch nur für einen Augenblick.

„Ich kann keinem Ministerium loyal sein", entgegnete er und schluckte schwer. „Nur einzelnen Personen."

„Dann erkläre deine Loyalität dem Zaubereiminister gegenüber!"

„Ich kenne den Minister nicht!", schüttelte er erneut den Kopf.

„Und?"

„Was und?"

„Wo liegt da das Problem?"

„Kann man jemandem, den man nicht kennt, gegenüber wirklich loyal sein?", erwiderte der Junge ernsthaft.

„Du sprichst über den Zaubereiminister. Er ist über jeden Zweifel erhaben."

„Schön für ihn."

„Hüte deine Zunge, Kind!", fuhr Umbridge ihn schon wieder geladen an. „Wirst du nun deine Loyalität erklären?"

„Nein."

„Gut", freute sich Umbridge. „Nächste Frage. Was ist wichtiger, die Geheimhaltung der Zaubererwelt oder ein Anverwandter."

„Der Anverwandte", kam die kurze Antwort.

„Hogwarts oder das Ministerium?"

„Hogwarts."

„Muggel oder Zauberer?"

„Je nach dem, wer es verdient."

Umbridge hakte etwas auf einer Liste ab.

„Empfindest du Dankbarkeit für das Ministerium?"

„Sollte ich?", erkundigte sich McNamara.

„Wir haben dir erlaubt hier zu bleiben!"

„Ich dachte, das hätte ich einem alten Gesetz zu verdanken?"

„Wir hätten diesen überholten Paragrafen ändern können."

„Rückwirkend?"

„Ja!", fauchte Umbridge, inzwischen sehr gereizt.

Gloria beschloss, dies als guten Zeitpunkt für ihr nächstes Eingreifen zu erwählen.

„Von Rechtswegen ist dies nicht richtig", gab sie zu bedenken und genoss es, das unsichtbare Messer im Rücken von Umbridge noch herumzudrehen. „Außerdem ist diese spezielle Regelung eine Schulregel, die nur durch einstimmiges Einvernehmen vom Direktor der Schule, dem Elternrat und dem Zaubereiminister geändert werden kann."

„Danke, dass Sie mich korrigieren", entgegnete Umbridge eisig.

„Ich helf doch gern", lächelte Gloria freundlich, was ihr einen prüfenden Blick der Untersekretärin einbrachte.

Jetzt langsam musste Umbridge kapieren, dass sie der sicher geglaubten zweiten Stimme nicht gar so sicher sein konnte und deshalb reagierte sie genauso, wie Gloria es erwartet hatte.

„Du darfst gehen, Kind", sagte Umbridge kühl. „Warte draußen vor der Tür."

McNamara ging ohne ein Wort. Draußen erwarteten ihn schon sein Tier und der kleine Professor Flitwick.

Sobald er draußen war, ergriff Umbridge das Wort.

„Ungewöhnlich schlechte Leistung, nicht wahr, Professor Snape?", wandte sie sich an den Lehrer. Dieser zog beiläufig seinen Zauberstab und richtete ihn auf die Eingangstür.

„Sie erlauben, Madame?", fragte er kurz angebunden und Umbridge nickte leicht verwirrt.

Erst als der Professor eine Schallbarriere vor die Tür und die Wand zauberte, nickte sie verstehend.

„Um Ihre Frage zu beantworten, Madame", fuhr er dann fort. „Seine Leistungen in einigen Fächern waren schlecht, jedoch im Durchschnitt, der für die Erste Klasse entscheidend ist, hätte er bestanden. Zumindest gilt das für den Teil des Tests, den ich korrigiert habe."

„Ich hatte kein einziges Durchgefallen als Ergebnis", ergänzte Gloria und lächelte den Professor freundlich an. Das schien ihn jedoch nicht zu berühren, der düstere Gesichtsausdruck blieb.

„Aber seine Zauber waren erbärmlich", beharrte Umbridge.

„Dies kann durch sehr gute Leistungen in anderen Fächern ausgeglichen werden", erklärte Snape mit einer Miene, als würde er das sehr bedauern.

Umbridge schaute auf ihre Zettel.

„Ein perfektes Ergebnis in Geschichte der Zauberei kann wohl kaum das Versagen in Zauberkunst, Verteidigung gegen die Dunklen Künste und Verwandlungen ausgleichen."

Zum ersten Mal suchten Snapes Augen die von Gloria, so als wolle er, dass sie etwas sagte.

Wann hatte er denn begriffen, auf wessen Seite sie stand? Und wie kam es, dass Snape den Jungen unterstützte? Tat er nur das, was Dumbledore von ihm verlangte?

„Nun, ich denke, da Professor Lockhart die Prüfungen auf seinem Lehrplan aufgebaut hätte, können wir darüber nicht urteilen. Dieser Standpunkt wäre zu angreifbar und der Geisteszustand Professor Lockharts macht die Sache auch nicht einfacher", sagte Gloria in einem Ton, als würde auch sie es bedauern.

„Selbst wenn wir also Verteidigung gegen die Dunklen Künste aussparen, bleibt da noch immer ein Fach über", akzeptierte Umbridge. „Damit könnte man sagen…"

„Die Zaubertrankaufgabe war perfekt", unterbrach Snape.

„War sie nicht!", entgegnete Umbridge bedeutungsvoll und deutete mit einem extrem kurzen Zauberstab auf das Glas vor Snape und sagte: „Evanesco!"

Der Trank löste sich in Nichts auf.

Snape verzog keine Miene.

„Wunderbare Idee, Madame", sagte er emotionslos.

„Nicht wahr, Professor", freute sich Umbridge.

„Leider gibt es da ein Problem", fuhr Snape unbeirrt fort.

„Ich sehe keines", entgegnete Umbridge und auch Gloria ahnte nicht, worum es ging.

„Ich habe diesmal selbst nicht hingesehen,…", erklärte Snape „…aber McNamara hat die Angewohnheit, immer einen Teil seiner Arbeit mitzunehmen."

„Wieso?", fragte Gloria neugierig, obwohl es eigentlich besser gewesen wäre den Mund zu halten. Man sollte ihr nicht zu viel Interesse anmerken. Schließlich war sie nur auf Anweisung des Ministeriums hier.

„Er macht Madame Pomfrey gern Geschenke."

„Und das lassen Sie ihm durchgehen?", fragte Umbridge angewidert.

„Ich habe Ihre Vorgehensweise nicht vorhersehen können, Madame", entgegnete Snape. „Ich wurde hier nur zu einer Prüfung bestellt."

Umbridge wollte frustriert einen Schluck aus ihrer Tasse nehmen, nur um mit säuerlichem Gesicht festzustellen, dass diese leer und die Kanne mit dem Nachschub zerbrochen war.

„Trotzdem, denke ich, ist es eindeutig, dass dieses Kind zukünftig eine Gefahr darstellt. Für die Schüler hier in Hogwarts, wie auch für unsere Welt", stellte Umbridge fest.

„Dem stimme ich zu", meinte Snape und verwirrte damit Gloria ungemein. Auf welcher Seite stand der Mann eigentlich?

„Das freut mich zu hören", lächelte Umbridge. „Stimmen Sie auch zu, Mrs Kondagion?"

„Um ehrlich zu sein, Madame Untersekretärin", erklärte Gloria mit echter Besorgnis in der Stimme. „Wird es schwer werden das zu erklären."

„Er ist ein verfluchter Bedlam!", zischte Umbridge und verwendete damit die negative Bezeichnung für das Wilde Talent. „Das sollte Grund genug sein."

„Nicht vor einem Gericht", sagte Gloria entschieden. „Madame Umbridge! Man wird dies anfechten und hätte damit gute Aussichten auf Erfolg. Wir würden uns unmöglich machen."

„Werden wir nicht", lächelte nun Umbridge überlegen. „Nicht, wenn man diesen Bericht der Krankenschwester von Hogwarts vorbringt."

Sie zog eine Schriftrolle aus ihrem Umhang hervor und schwenkte sie siegessicher.

„Unkontrollierte Ausbrüche gefährlichster Magie während des Schlafes, Alpträume, mögliche Auswirkungen auf den Geisteszustand."

„Wie sind Sie da herangekommen?", fragte Snape begeistert lächelnd.

„Eine Eule lieferte an den falschen Adressaten", erklärte Umbridge leichthin.

„Ein glücklicher Zufall", kommentierte Snape. „Aber mögliche Auswirkungen reichen wohl nicht, um eine Einlieferung ins St Mungos zu rechtfertigen, oder?"

„Es reicht, um ihn zum Schutz und zum Wohle der Schüler von Hogwarts zu nehmen", stellte Umbridge klar. „Der Zaubergamot wird sicher zustimmen, dass man eine potentielle Gefahr nicht auch noch stärken und ausbilden sollte."

Und damit saß Gloria in der Zwickmühle. Egal, ob die Eule der Krankenschwester abgefangen worden war oder wirklich fehl ging (sie selbst kannte den Bericht schon lange), er würde viele Zauberer und Hexen überzeugen.

Damit war es eigentlich sinnlos noch gegen Umbridge zu stimmen und es würde ihr nur Ärger bringen, statt irgendetwas zu bewirken, aber da war etwas in Snapes Lächeln, was sie zögern ließ.

„So weit ich das einschätzen kann, könnte dieses Dokument Sie auch vor dem Zaubergamot in arge Bedrängnis bringen", versuchte sie es erst mal mit Vernunft.

„Natürlich werde ich es nicht vorlegen", erklärte Umbridge überlegen. „Aber viele werden es zu sehen bekommen."

Gloria schaute leicht entsetzt in die Augen der Frau und wenn Malfoy das im Voraus gewusst hatte, dann hasste sie ihn jetzt noch mehr.

Sie straffte sich, denn jetzt blieb ihr keine Wahl mehr. Egal, welche sie vorher noch zu haben geglaubt hatte, jetzt blieb ihr keine mehr. Sie konnte es sich nicht leisten, durch diese Frau erpressbar zu werden, indem sie bei einem offensichtlichen Gesetzesbruch half. Und genau das hatte Malfoy beabsichtigt. Dieser Bastard. Vielleicht war er doch nicht ganz so dumm, wie sie immer hatte glauben wollen. Aber trotzdem würde sie die Sache gegen ihn wenden.

Und wenn Snape nur einigermaßen intelligent war, dann sah er dies genauso. Bei seiner Vergangenheit.

„Ich möchte Sie hiermit auffordern, den Brief und sämtliche Kopien an seinen Adressaten oder den Absender zurückzugeben, Madame Umbridge", sagte sie kühl und geschäftsmäßig. „Ansonsten sähe ich mich gezwungen, dies zur Anzeige zu bringen."

„Was?!", entfuhr es Umbridge geschockt. Damit hatte sie wohl überhaupt nicht gerechnet. In ihrem Rücken wurde Snapes Lächeln für einen Moment noch breiter, bevor er seinen Kopf abwandte.

„Was haben Sie denn nach der Empfehlung von Mr Malfoy erwartet?", erklärte Gloria förmlich und konnte sich einfach den Seitenhieb auf den Mann nicht verkneifen. „Ihr Vorgehen ist für mich als Anwältin des Ministeriums nicht akzeptabel oder tolerierbar."

Einen langen Augenblick starrte Umbridge sie an, doch dann nahm sie sich zurück.

„Ich bin wohl in meiner Sorge etwas zu weit gegangen", gab die kleine Frau mit einem gehässigen Blick zu und schob den Brief über den Tisch. „Ich werde wohl eine ärztliche Beurteilung beantragen."

„So weit ich weiß, hat das schon Professor Flitwick als Vormund getan", mischte sich Snape, wieder traurig scheinend, ein. „Die Heiler dort meinen, mit gewissen Sicherheitsvorkehrungen des Nachts, könnte sich die Kontrolle und Erziehung, die der Junge hier genießt, positiv auf seine Entwicklung auswirken. Sie raten von einer wilden Ausbildung ab und man hätte hier auch die rechtliche Handhabe für regelmäßige Untersuchungen."

„Ist das auch Ihre Meinung, Professor?", erkundigte sich Umbridge ungnädig.

„Ich halte ihn für gefährlich", wiederholte der Professor sich. „Aber ich würde mich erheblich unwohler fühlen, wenn ich nicht genau weiß, wo er sich befindet und wer ihm das Zaubern beibringt."

Langsam machte es wieder Spaß Umbridges Gesicht zu beobachten. Gloria genoss es heimlich, wobei sie Snape dafür beneidete, dass er bessere Möglichkeiten hatte, sich aus der Affäre zu ziehen. Er musste sich einfach weniger frontal gegen Umbridge stellen.

„Nun – wenn ich das richtig einschätze, wären Sie beide eher für einen Verbleib des Kindes hier in Hogwarts?", fragte Umbridge und erkannte zum ersten Mal die Lage, wie sie wirklich war.

„Ich zumindest sehe keine rechtliche Möglichkeit anders zu entscheiden", sagte Gloria und wusste, wenn sie es darauf angelegt hätte, dann hätte sie McNamara von Hogwarts fernhalten können.

„Und Sie, Professor?"

„Fachlich hat er bestanden", urteilte Snape.

„Bedeutet dies ein Ja?", vergewisserte sich Umbridge.

„Es bleibt mir wohl nichts anderes über", erklärte Snape widerwillig.

„Gut, dann rufen Sie das Kind herein, Mrs Kondagion", forderte Umbridge.

Innerlich lächelnd stand Gloria auf und ging zur Tür. Eine schwangere Frau zur Tür zu schicken, wenn ein gesunder Mann anwesend war, schien Umbridges kleinliche Art zu sein, ihr Missfallen auszudrücken.

Gloria trat durch Snapes Schallmauer, öffnete die Tür und spähte hinaus. Sie entdeckte den Jungen, wie er gerade über etwas lachte, was der kleine Professor Flitwick gesagt hatte. Seinen Mungo hielt er fest im Arm.

„McNamara", rief Gloria. „Kommen Sie bitte."

Wieder zuckte er beim Klang ihrer Stimme zusammen und sein Gesicht verzog sich. Der Ausdruck verschwand erneut recht schnell, aber Gloria konnte schwören, sie sah ein feindseliges Blitzen in seinen Augen.

„Immer noch sauer wegen der Darkclouds?", fragte sie schmunzelnd, als er an ihr vorbei ging und diesmal sein Tier mitbrachte.

„Professor Flitwick?", fragte Gloria höflich lächelnd. „Wollen Sie auch hereinkommen?"

„Aber gerne", freute sich der kleine Mann und hüpfte von der Bank, auf der er gestanden hatte.

Gloria gab es nicht zu, aber schon zu ihrer Schulzeit hatte sie heimlich den kleinen Professor gemocht, obwohl sie selbst zunächst größte Schwierigkeiten mit Zauberkunst gehabt hatte. Aber als Kind Slytherins konnte man das natürlich damals nicht zugeben.

Lächelnd trat Gloria wieder in den Raum. Flitwick hereinzubitten, war einfach nur eine Retourkutsche für Umbridge. Auf diese Weise nahm Gloria ihr die Möglichkeit, doch noch einen letzten Trick zu wagen.

Doch Umbridge lächelte milde McNamara und Flitwick an, wobei sie sich erhob. Was mehr oder weniger bedeutete, dass sie nicht größer wurde.

„Ich möchte es kurz machen", verkündete sie salbungsvoll. „Ich bin zu der Meinung gekommen, dass Ihr Verbleib hier in Hogwarts wünschenswert ist."

Ach – jetzt war es Umbridges Idee.

„Wobei ich jedoch als Bedingung des Ministeriums auf regelmäßige ärztliche Beurteilungen drängen muss", fügte Umbridge freundlich hinzu.

„Warum?", erkundigte sich der Junge, doch diesmal reagierte Umbridge abgeklärt.

„Nun – ein Wildes Talent ist recht selten und wir wollen doch gefährliche Auswirkungen vermeiden, oder?"

„Eine gute Idee", erwiderte Professor Flitwick schnell, offensichtlich um seinem Schützling zuvorzukommen. „Ich werde einen Heiler unseres Vertrauens um regelmäßige Besuche bitten."

„Tun Sie das, Professor", sagte Umbridge hoheitsvoll.

Der Junge wandte sich auf dem Absatz um und verließ den Raum. Er sagte nicht danke, er schien nicht beleidigt oder stur. Anscheinend ging er, weil seiner Meinung nach alles gesagt war und vielleicht auch, weil er Angst hatte das Falsche zu sagen. Die mangelnde Höflich- und Herzlichkeit des Jungen machte jedoch Professor Flitwick mehr als wett. Er schüttelte jedem freudig die Hand, bedankte sich in einem unheimlichen Redeschwall und lud alle Anwesenden nach Hogsmeade in die Drei Besen ein.

Eine Einladung, die alle, bis auf Gloria, mit fadenscheinigen Ausreden ablehnten.

Es war ein wunderschöner Tag in Toireasas Leben. So voller Aufregung, Spannung und einem guten Ende. Unglaublich stolz lehnte sie am Gatter und blickte auf ihr Werk. Hagrid trat neben sie.

„Wunderschöne Wesen diese Hippogreife, nich?"

„Mehr als das. Sie wirken so…na ja…edel!"

„Sind die auch", bestätigte Hagrid. „Und stolz!"

„Warum darf ich dann nicht mit ihnen fliegen?", fragte Toireasa, doch Hagrid schüttelte zum wiederholten Mal den Kopf.

„Professor Flitwick hat erlaubt, dass du mir beim Fangen hilfst, aber das Reiten hat er ausdrücklich verboten. Is nu mal leider so."

„Ich hab in die Lockpfeife gepustet und ein wenig gestreichelt, während du die ganze Arbeit gemacht hast, Hagrid!"

„Is ne wichtige Sache, Toireasa. Nen wildes Wesen muss erst einmal beruhigt werden, wenn man es gefangen hat und dafür hast du wirklich nen Händchen."

Das Lob schmeichelte Toireasa sehr.

„Wenn man sie gut behandelt, dann ist es einfach mit ihnen umzugehen", wehrte Toireasa ab. „Sie täuschen oder hintergehen einen nicht."

„Das is mit jedem Tier so, Toireasa", erklärte Hagrid. „Respektiere es, kenne seine Eigenheiten und dann kann dir nichts geschehen."

„Und kenne deine Grenzen", ergänzte Toireasa.

„Ja, das auch", stimmte Hagrid eher automatisch zu. „Welcher gefällt dir am meisten?"

„Der da!", antwortete Toireasa und deutete auf einen der angeketteten Hippogreife.

„Warum grade der?"

„Er ist der Stolzeste von allen, der Anführer. Er kam freiwillig herunter, als du seine Herde gefangen hast. Er will bei ihnen bleiben, er fühlt sich für sie verantwortlich."

„Gib ihm einen Namen", forderte Hagrid sie auf.

„Ach, nein", schüttelte sie den Kopf. „Du hast ihn gefangen."

„Okay, dann nenn ich ihn Winnifreddy", erklärte Hagrid.

„Was?", begehrte Toireasa auf. „Das kann doch nicht dein Ernst sein. Das ist doch kein Name für ihn!"

„Mir gefällt er und einen Namen muss er wohl haben!", zuckte Hagrid mit den Schultern.

„Aber doch nicht so einen!", beharrte sie.

„Hast du nen besseren?", lachte Hagrid gutmütig.

„Na ja, ich hab ihn vorhin Seidenschnabel genannt, als ich ihn gestreichelt habe. Wie wär es denn damit?"

„Seidenschnabel, hm?", brummte Hagrid nachdenklich. „Gefällt mir, Schnäbelchen wird ihm sicher auch gefallen."

Schnäbelchen?"

Toireasa sah wieder entsetzt auf den Wildhüter.

„Na, irgendeine Koseform muss man doch finden, oder?", meinte Hagrid.

Toireasa sah dem riesigen Mann in sein freundliches Gesicht.

„Na ja, damit kann er sicher leben", gab sie schließlich zu. „Ich glaub bei Winnifreddy würde er sich eher was antun."

„Na, da sind wir uns doch einig", schloss Hagrid die Diskussion ab.

„Ja", stimmte Toireasa leise zu und schaute wieder hinüber zu den Hippogreifen. Sie waren wunderschön und ihr Gefieder um den Adlerkopf schimmerte im Abendlicht in den unterschiedlichsten Farben, während ihr Pferderumpf unruhig und wild auf den Boden stampfte.

Sie kletterte auf das Gatter und drückte dem Mann einen Kuss auf den Bart. Es kratzte furchtbar.

„Danke, Hagrid", flüsterte sie dem Mann zu. „Für alles."

Es schien ihn sehr verlegen zu machen und sie glaubte ein wenig Rot unter dem Gestrüpp zu erkennen, das er Bart nannte.

„Morgen ist dein großer Tag?", fragte er nach einer Weile.

Sie nickte.

„Wird ein riesiger Reinfall", seufzte sie traurig. Morgen war der Tag, an dem sie ihre Stiefeltern verlassen könnte.

„Warum?"

„Meine Stiefeltern sind wieder da und laut meinen Großeltern werden sie mich morgen abfangen, bevor ich den Antrag stellen kann."

Toireasas gute Stimmung war verflogen und sie fühlte, wie ihr Blick langsam wässrig wurde.

„Ich glaub nicht, dass sie mich nach Hogwarts lassen. Professor Flitwick blockt zwar…"

Hagrid schwieg eine Weile und sah sie an, dann tätschelte er ihr sanft den Kopf.

„Ich soll dich fragen…", begann er vorsichtig „…willst du wirklich von ihnen weg?"

Toireasa rieb sich energisch das Wasser aus den Augen und schaute den großen Mann an.

„Was meinst du damit?", fragte sie verwundert und fügte hinzu: „Und ja, ich will weg. Ich will zu meinen Großeltern. Ich will mit Tarsuinn und Winona in Hogwarts sein. Ich will nicht in dieses zu Hause zurück."

„Sicher?"

„Ganz sicher!"

Wieder blieb Hagrid eine Weile still.

„Weißt du, dass deine Eltern dich nich als vermisst gemeldet hab'n?", fragte er dann.

„Warum sollten sie? So weit ich weiß, wissen sie wo ich bin."

„Trotzdem ist es wichtig. Wenn Mrs Darkcloud dich heut abgeholt hat, bitte sie, dich gleich ins Ministerium zu bringen. Sie kennt da einige Leute, in deren Büro ihr sicher heimlich übernachten könnt. Danach geht ihr ganz früh in die Abteilung für Zaubererfamilien-Angelegenheiten und du bringst deinen Einspruch vor."

„Aber da werden doch meine Stiefeltern warten!", wiederholte Toireasa. „Es ist der logischste Ort um mich abzufangen, ohne dass ich sie umgehen kann."

„Glaub mir einfach. Sie werden morgen früh sehr zeitig bei den Darkclouds auftauchen."

„Aber das ist unlogisch!", beharrte sie.

„Vertrau mir einfach", sagte Hagrid eindringlich und sah sich um, als würde er Lauscher fürchten. „Du musst nur deine kleine Eule mit einem Brief an Winona und die anderen schicken, damit sie deine Stiefeltern so lange wie möglich aufhalten und sie den Dienstbeginn im Ministerium verpassen."

Sie starrte ihm lange in die Augen.

„Ist das dein Plan?", fragte sie ihn nachdenklich.

„Oh, nein", schüttelte er energisch den Kopf. „So was kann ich nich!"

Sie wollte Hagrid nicht vor den Kopf stoßen, aber diese letzte Info beruhigte sie ein wenig. So lieb der Wildhüter war, er war einfach kein Mann für Intrigen und komplizierte Pläne. Aber er war absolut vertrauenswürdig.

Sie rief Keyx herbei, der sofort neben ihr auf dem Gatter landete, und dann schrieb sie einen kurzen Brief an Winona. Kaum war sie fertig, streichelte sie Keyx ein paar Mal über sein Federkleid und dann war auch ihr großer, starker, heldenhafter Postbote bereit, für sie durch die Hölle zu fliegen – oder zumindest nahe daran vorbei.

Sie starrte eine Weile ihrem kleinen Freund hinterher und winkte sogar, als er eine kleine Ehrenrunde flog.

„Ach, da wäre noch was", holte Hagrid ihren Blick auf den Erdboden zurück. „Ich hab noch etwas für dich, was sich morgen als nützlich erweisen könnte."

Er reichte ihr einen Briefumschlag, dessen Siegel schon gebrochen war. Sie nahm einen kleinen, förmlichen Zettel heraus, an dem noch Spuren von Erde klebten und las:

Toireasa Davian-Keary ist nicht mehr ein Teil der Familie Davian-Keary!

„Könnte im Ministerium den Ausschlag geben, nich wahr?", fragte Hagrid.

Mit Tränen in den Augen umarmte sie ihn erneut. Nichts konnte so überzeugend sein, wie dieser Brief, unterschrieben von ihren Stiefeltern.

Tarsuinn mochte das Ministerium immer weniger. Erst diese blöde Befragung, bei der er vor Angst und Nervosität beinahe zusammengebrochen wäre, und dann hatten sie ihm auch noch das Reisen durchs Flohnetzwerk verboten. Angeblich, weil diese verwirrende Erfahrung ihm schaden könnte. Was für ein verdammter Stuss!

Leider hatte Professor Flitwick ihm empfohlen das Schreiben vom Ministerium zu akzeptieren und einfach seinen Ärger herunterzuschlucken.

Aber das war gar nicht so einfach. Statt heute Morgen endlich einen kurzen Trip mit dem Flohnetzwerk zu machen, musste er sieben Stunden lang im Hogwarts-Express aushalten. Dabei fragte er sich gelangweilt, wie die Bahnlinie überhaupt Gewinn machen konnte. Der gesamte Zug war bis auf ihn, den Zugführer, die Hexe, die Süßigkeiten und Tee verkaufte, und ein altes Ehepaar leer.

Dass er etwas unleidlich war, hatte dazu geführt, dass er das ältere Ehepaar verschreckt hatte. Sie hatten ihn nett gefragt, warum er nicht mit den anderen Schülern heimgefahren war und da er seine Ruhe haben wollte, hatte er etwas von einer ansteckenden Krankheit gemurmelt.

Ein wenig bedauerte dies Tarsuinn auf der langen Fahrt, denn sie war unheimlich langweilig, ohne mit seinen Freunden reden oder aus dem Fenster schauen zu können.

Na wenigstens betätigte sich Tikki als gute Alleinunterhalterin und die Süßigkeiten, die er gekauft hatte, waren auch nicht schlecht, wobei Berti Botts Bohnen für ihn den Reiz des Ungewissen nicht aufwiesen. Er konnte sehr genau riechen, was sich da auf dem Weg in seinen Mund befand und er konnte sich einfach nicht überwinden Fußschweiß zu kosten.

Aber irgendwann endete selbst die längste Fahrt und als der Zug kurz nach zehn auf dem Gleis 9 ¾ einfuhr, konnte er es kaum noch erwarten.

Doch zunächst wurde er enttäuscht – nur Mr Darkcloud wartete auf dem Bahnsteig.

„Rica ist noch ein wenig wacklig auf den Beinen", erklärte der freundliche Mann nach einer kurzen Begrüßung und kam damit Tarsuinns Frage zuvor. „Sie wollte dich abholen, aber Mrs Darkcloud war strikt dagegen und niemand wagt, ihr bei uns zu Hause zu widersprechen."

„Nicht mal Winona?", fragte Tarsuinn erstaunt.

„Ähem, doch", gestand Mr Darkcloud lachend. „Aber dies bedeutet nicht, dass sie damit was erreicht."

Sie gingen durch den Tunnel, von dem er inzwischen wusste, dass es sich um eine Wand handelte, und betraten den lauten Muggelteil des Bahnhofs. Im frischen Hogwarts hatte er ganz vergessen, wie schwer die Luft in der Großstadt war.

Mr Darkcloud und Tikki führten ihn durch die Menschenmenge. Danach stiegen sie in den Bus. Winonas Vater entschuldigte sich während der Fahrt dafür nicht mit dem Auto gekommen zu sein, aber in London war ein Bus das schnellere Verkehrsmittel. Tarsuinn hatte damit kein Problem.

Als sie dann endlich ausstiegen und sich dem Heim der Darkclouds näherten, wurde Tarsuinn dann doch ein wenig nervös. Ungebeten kamen ihm Gedanken an Ricas Plan, den er ungewollt vereitelt hatte. Ob sie deswegen wirklich so sauer auf ihn war, wie er in dunklen Momenten befürchtete? Flitwick hatte gesagt, sie könne nicht einfach akzeptieren, dass nun ein anderer Unschuldiger unter ihrer Krankheit litt. Doch jetzt war dem sicher so und deshalb fühlte er sich schlecht, denn er konnte es nicht wirklich bedauern. Rica noch zu haben, war ihm deutlich wichtiger.

Trotzdem zögerte Tarsuinn an der kleinen Treppe vor der Tür. Tikki drängelte ihn weiterzugehen, doch je länger er so dastand, desto unschlüssiger wurde er. Mr Darkcloud hemmten jedoch keine solchen Probleme. Er zog seinen Schlüssel heraus, aber noch bevor er ihn ins Schloss stecken konnte, ging die Tür auf.

„Hallo, Mr Darkcloud", sagte eine jugendliche, sanfte Frauenstimme, die ihm vage bekannt vorkam.

„Hallo, ich hoffe Winona war artig", entgegnete Mr Darkcloud.

„Sie ist ein Engel", erwiderte die Frau freundlich, die anscheinend das Kindermädchen war.

„Dann kann es sich nicht um meine Tochter handeln", lachte Mr Darkcloud.

„Dad!", schalt die vorwurfsvolle Stimme seiner Freundin sofort. „Hallo, Tarsuinn."

„Hallo, Winona", entgegnete Tarsuinn freudig.

„Möchtest du nicht reinkommen, mein Kleiner?", fragte die Frau.

Tarsuinn runzelte die Stirn, so wie die Frau ihn mein Kleiner genannt hatte…er zog die Luft tief ein und roch einen zarten Hauch von Lotusblüten.

„Rica?", flüsterte er unsicher.

„In Fleisch und Blut", lachte die Stimme. „Gefällt dir meine alte Stimme?"

Er antwortete nicht darauf, sondern stürzte einfach die Treppe hoch und in ihre Arme. Ihre Stimme mochte zwar nicht vertraut klingen, aber ihre Haut, ihr Geruch und die Berührungen, wie sie ihn umarmte – das war eindeutig seine Schwester.

„Ich hab dich so vermisst, Kleiner", flüsterte sie in sein Ohr.

„Ich dich auch!", entgegnete er genauso leise und wollte sie nie wieder loslassen.

Natürlich ging das nicht und sie zog ihn schon bald ins Haus. Aber ihre Hand – immer noch furchtbar knochig – ließ er nicht los. Sie zog ihn auf ein Sofa und er drängte sich sofort an sie.

„Und, wie geht es dir?", fragte sie neugierig.

„Gut, aber das ist nicht wichtig", entgegnete er. „Erst mal musst du mir sagen, wie es dir geht."

„Auch gut, wenn man bedenkt, wie kurz die Heiler brauchten, um mich aufzupäppeln. Und Mr und Mrs Darkcloud unternehmen alles um mich zu verwöhnen und zu mästen."

„Das hast du dringend nötig", stimmte er zu und streichelte die dünne Hand. „Ist auch…?"

Er hob die Hand zu ihrem Gesicht, wagte aber nicht es zu berühren.

Sie ergriff die Hand und ließ ihn über ihre Haut tasten.

„Es ist noch immer so, wie du es kennst!", sagte sie traurig und führte seine Hand unter das Seidentuch, mit dem sie ihre eine Gesichtshälfte immer verbarg.

„Deine Stimme ist wunderschön", sagte er betreten. „Und auch du bist wunderschön."

„Als mein Bruder bist du verpflichtet so etwas zu sagen", lachte sie gutmütig, aber Tarsuinn kannte sie gut genug um zu wissen, dass sie gern ihre Stimme gegen ein vollständig schönes Gesicht eingetauscht hätte. Eine kratzige Stimme war sicher einfacher zu verkraften, als ein entstelltes Gesicht, das ständig angestarrt wurde.

Er lehnte sich an sie und hielt sich fest.

„Du bist viel zu dünn", sagte er leise. „Ich werde für dich kochen."

„Mit allem Drum und Dran?", fragte sie neckend.

„Mit allem Drum und Dran!", versprach er. „Bis du wieder so rund wie vorher bist."

„Ich war niemals rund!"

„Dann brauch ich ja auch nicht so lange", lächelte er.

Es tat so gut, sie wieder bei sich zu wissen.

„Ich glaube, da will auch mal jemand anderes einen kleinen Teil deiner Aufmerksamkeit", sagte Rica nach einer Weile und strich ihm übers Haar. „Du kannst dich ruhig zu uns setzen, Winona."

„Ich wollte nicht stören", sagte das Mädchen verlegen von der Tür her.

„Warum solltest du stören?", entgegnete Rica sanft. „Ich geb dir gern ein Stück Tarsuinn ab."

„Ich schmecke nicht", betonte Tarsuinn grinsend, als er das hörte.

Winona setzte sich zu ihnen.

„Na los!", drängte Rica. „Frag ihn schon! Man sieht doch, dass es dir auf der Zunge brennt."

„Meinst du? Okay!", sagte Winona aufgeregt und wippte auf dem, worauf sie saß. „Kannst du wirklich zaubern? Und stimmt das mit dem Wilden Talent? Und was ist mit dir im Krankenhaus passiert? War es wirklich Aidan? Wie ist die Prüfung gelaufen? Hast du wirklich den gesamten Krankenflügel in einen Scherbenhaufen verwandelt?"

Tarsuinn wartete noch eine Weile, nachdem Winona mit ihrer Fragerei aufgehört hatte.

„Wie war doch gleich die erste Frage?", erkundigte er sich danach.

„Ach, komm schon", drängelte sie ungeduldig und so erzählte er alles, nur in einer etwas chronologischeren Reihenfolge.

Winona kommentierte seine Geschichte mit jeder Menge Wows, Tolls und wie fies.

Danach erzählte sie ihm, was er alles verpasst hatte, als er sich im Krankenhaus von Toireasa und Rica getrennt hatte. Bisher hatte er immer nur ein paar allgemeine Floskeln zu hören und zu lesen bekommen und so war es doch recht interessant zu erfahren, wie seine beiden Freundinnen hatten kämpfen müssen, was für ein Aufwand es war Ricas Siegel zu brechen, wie wütend Heiler Cutter geworden war, als das Ministerium alles für Unsinn erklärte und dass Toireasa heute Morgen zu Hagrid gereist war, um Hippogreife einzufangen.

Irgendwann zwischendurch brachte Mr Darkcloud das Mittagessen – ein wildes Durcheinander vom Chinesen zwei Straßen weiter – und sie verbrachten danach den gesamten Nachmittag mit reden, wobei sie zwischendurch auch mal einen kurzen Spaziergang machten. Aber nur so lange, wie es Ricas geringe Kräfte zuließen.

Es war spät am Abend, als ein bekanntes Geräusch seine Aufmerksamkeit auf sich zog.

„Ich glaube, Keyx kommt", sagte er und Sekunden später klopfte ein Schnabel an das Fenster.

„Mit dieser Nummer solltest du auftreten", meinte Mr Darkcloud beeindruckt.

„Das hab ich schon mal", entgegnete Tarsuinn und dachte eigentlich nur ungern daran zurück, obwohl es ihm einen vollen Magen eingebracht hatte.

Eine Art Zirkus-Kuriosität zu sein, gefiel ihm nicht sonderlich. Das Staunen war immer mit Mitleid verbunden gewesen.

„Von Toireasa!", erklärte Winona, nachdem sie Keyx hereingelassen und ihm den Brief abgenommen hatte.

„Hört euch das an!", sagte das Mädchen dann erstaunt.

Hallo an alle, hi Tarsuinn,

ich hab eben von einem Freund den Tipp bekommen, die Nacht im Ministerium zu verbringen und da auf die Öffnungszeit zu warten. Ich weiß, dies ist nicht geplant, aber wie Ihr wisst sind meine Stiefeltern zurück.

Seltsamerweise behauptet aber mein Freund auch zu wissen, dass meine Stiefeltern nicht ins Ministerium gehen werden, um mich abzufangen, sondern sie werden morgen ganz früh zu Euch kommen.

Ich möchte Euch bitten, sie lange genug aufzuhalten, auf dass ich meine Sache regeln kann. Bitte.

Toireasa

„Sie hätte auch noch dazuschreiben sollen, wie sie sich das Aufhalten vorstellt", sagte Winona ein wenig ungnädig.

„Mit nem Schockzauber?", schlug Tarsuinn vor.

„Das geht auch anders!", widersprach Mr Darkcloud energisch.

„War nur ein Scherz", redete sich Tarsuinn raus, obwohl es nicht stimmte. Er hatte gute Gründe, keine hohe Meinung von Toireasas Stiefeltern zu haben.

„Aber was können wir tun?", fragte Winona.

„Nun zuerst natürlich müssen wir bei Juan anrufen", erklärte Mr Darkcloud.

„Warum das?", erkundigte sich seine Tochter verwirrt.

„Der Kühlschrank ist leer und du willst sicher nicht, dass ich einkaufe und koche, oder?"

„Alles, nur das nicht, Dad!", stimmte Winona zu. „Bestellen wir lieber beim Mexikaner. Aber was machen wir nach dem Essen?"

„Na ja, normalerweise macht deine Mutter die Pläne und ich halt mich dran. Da sie wahrscheinlich aber bei Toireasa bleibt, müssen wir das wohl erledigen. Ich bin für sämtliche Vorschläge dankbar."

„Vielleicht sollten wir ihnen vorspielen, dass Toireasa hier ist", schlug Rica sofort vor.

„Werden die das nicht merken?", fragte Tarsuinn.

„Irgendwann schon, aber solange wir so tun, als wolle sie nicht mit ihren Stiefeltern sprechen und wir eine Tür dazwischen halten, könnte das sicher einiges an Zeit bringen."

„Aber so was hört man doch."

„Nicht jeder hat dein Gehör."

„Sobald jedoch die Zeit auf acht Uhr zugeht, werden sie sicher misstrauisch."

„Wir müssen es schaffen, dass sie die Zeit vergessen", warf Winona nachdenklich ein. „Wir könnten die Uhren verstellen."

„Das fällt aber auf, wenn sie hier reinkommen", zweifelte Mr Darkcloud.

„Dann lassen wir die Uhren doch richtig gehen, wenn sie ankommen", sagte Rica. „Wir müssen nur dafür sorgen, dass sie danach langsamer laufen."

„Und wie wollen wir das bewerkstelligen?", fragte Mr Darkcloud.

„Na ja", sagte Rica nachdenklich. „Wir müssten alle Ihre digitalen Uhren wegräumen und nur die alte mechanische Uhr deutlich im Blick lassen, bei der wir das Pendel einfach verlängern. Damit geht sie dann langsamer und wir können Zeit gewinnen."

„Und was ist mit den Uhren, die sie mitbringen werden?", erkundigte sich Winona.

„Ich schätze, dafür haben Rica und ich auch eine Lösung", sagte Tarsuinn. „Nicht wahr, Rica? Vorausgesetzt du traust dir das noch zu."

„Das schaff ich schon noch. Aber es wird problematisch, wenn wir ihre Uhren mehrmals verstellen müssen."

„Darf ich fragen, worüber ihr redet?", wollte Mr Darkcloud wissen.

„Wir reden darüber ihnen ihre Uhren zu klauen", erwiderte Tarsuinn lächelnd. „Rica war da mal richtig gut drin."

„Ich will gar nicht wissen, wo ihr das gelernt habt", sagte Winonas Vater verblüfft. „Aber wisst ihr was – wenn ihr das wirklich schafft, dann gebt mir die Uhren und ich versuche sie zu verzaubern, so dass sie langsamer laufen. Ich weiß zwar nicht, ob ich beide synchron langsamer bekomme, aber in etwa sollte das klappen."

„Okay, und wie…?"

So planten sie bis spät in die Nacht hinein. Diskutierten, bastelten, sprachen Abläufe und Texte ab. Rica übte sogar wieder Uhren und Brieftaschen zu klauen, was ihr bei Tarsuinn nie, aber bei den beiden Darkclouds immer gelang.

Währenddessen dachte Tarsuinn immer wieder an die Zeit zurück, bevor sie nach Europa gekommen waren. Rica hatte so viel getan, um ihn zu ernähren. Sie hatte gebettelt, gestohlen und sich mit kleineren Betrügereien durchgeschlagen und erst gegen Ende bei Ryu-san, hatten sie sich mit Kochen und Servieren ihren Unterhalt verdienen können. Natürlich hatte Tarsuinn ihr so gut er konnte geholfen, aber er war klein und blind gewesen. Seine Schwester hatte immer die Hauptlast getragen. Mehr noch als jeder andere, verdiente Rica ein gutes Leben, denn im Grunde genommen, war ihre Zeit bisher nur Mühsal und Sorge um ihren kleinen Bruder gewesen. Das würde sich ab jetzt ändern, schwor er sich.

Kurz nach Mitternacht beendete Mr Darkcloud das Planen und Üben und schickte alle ins Bett. Tarsuinn bekam ein eigenes, leeres und sehr stabiles Zimmer im Keller. Es war trostlos und kalt, aber er beschwerte sich nicht. Madame Pomfrey hatte ihm erzählt, was er alles so im Schlaf anstellte, was wahrscheinlich an seinen Alpträumen lag, und er war deshalb mehr als einverstanden gewesen, als man ihn in Hogwarts, wie auch hier, wegsperrte. Er bestand nur darauf, dass er selbst von Innen abschloss. Das Seltsame war, dass Tikki trotzallem darauf bestand mit ihm in einem Raum zu bleiben, was er jedoch erst zugelassen hatte, nachdem sie ihn mit ihrem Radau vor der Tür nicht hatte schlafen lassen.

Er hatte sich schon hingelegt, als es leise an der Tür klopfte. Wie es nicht anders sein konnte, stand Winona an der Tür.

„Ich muss mit dir noch etwas besprechen", flüsterte sie leise.

Er ließ sie herein und sie setzten sich nebeneinander aufs Bett.

„Was ist?", fragte er.

Ihr Ton hatte ihm nicht sonderlich gefallen. Sie klang, als wäre sie nicht gern hier.

„Es ist wegen…"

Sie verstummte und setzte erneut an.

„Ich hab nachgedacht…"

Auch der zweite Ansatz schien ihr nicht richtig zu sein.

Er störte sie nicht. Es schien etwas Wichtiges und Unangenehmes zu sein. Vielleicht hatte sie Angst vor ihm? Aber dann wäre sie sicher nicht allein zu ihm geschlichen.

„Ich will sicher nicht…Ach verdammt! Hilf mir endlich!"

„Bei was?", fragte er lächelnd.

„Na, wie zum Teufel sagt man einem Freund etwas Unangenehmes über einen Freund, den man eigentlich mag?", erkundigte sie sich frustriert.

„Man versucht es mit der Wahrheit und hofft das Beste", entgegnete er etwas ernster. „Glaub ich zumindest."

„Wenn du meinst, na gut", sagte sie etwas entschlossener. „Weißt du, ich hab mir immer Gedanken gemacht, über den Rubin meine ich und – na ja – über das Wie und Warum. Und als dann Toireasa mir erzählt hat, was alles so passierte ist, habe ich über etwas nachgedacht, über etwas, was mich schon immer gestört hat. Und das war…"

„…dass er manchmal leuchtet", vollendete Tarsuinn düster.

„Hat er bei Aidan auch…?"

„Ja!"

„Dann…!"

Er legte ihr sanft die Hand auf den Mund und schüttelte den Kopf.

„Sie darf es nie erfahren, Winona", bat er sie. „Bitte!"

Das Mädchen blieb eine Weile still. Dann schob sie seine Hand von ihrem Mund und sagte leise, aber entschieden: „Ich bin mir sicher, sie hat keine Ahnung…"

„Das weiß ich", bestätigte er.

„Seit wann?"

„Seit mir Dumbledore bedeutete, dass da noch etwas zu klären sei, bevor der Rubin zu Rica gebracht wird", gab Tarsuinn zu.

„Warum hast du dann nicht…?"

„Glaubst du, sie könnte damit leben blind zu sein?", stellte er die Gegenfrage.

„Nein", flüsterte Winona.

„Siehst du. Für mich ist das nicht gar so schlimm."

„Ich hab es mir selbst schon ein paar Mal versucht vorzustellen", entgegnete sie betreten. „Es hat mir unheimliche Angst gemacht."

„Muss es nicht", sagte er und stellte irritiert fest, wie sie immer noch seine Hand hielt. Es war durchaus angenehm. Anders als bei Rica, aber auch angenehm. Irgendwie…

„Ich war aber in Versuchung", gab er etwas zu, was sich einzugestehen nicht einfach war.

„Ist es richtig, ihr nichts zu sagen?", fragte Winona angespannt. „Vielleicht wäre es besser, wenn sie es wüsste."

„Ich weiß es nicht", gestand er ein. „Seit einer Woche denke ich darüber nach."

„Und was ist mit Dumbledore?"

„Er hat damals nichts gesagt, obwohl sie dabei stand. Er hat es nur angedeutet. Ich hab das so interpretiert, dass er mir die Entscheidung lassen will."

„Wie nett von ihm!", fand Winona sarkastisch.

„Ja. Ich weiß auch nicht, ob das ein Segen war", stimmte er zu. „Aber du hast Toireasa ja auch nichts gesagt."

„Ich hatte zu viel Angst und sie war so glücklich", entgegnete Winona. „Also wollt ich lieber, dass du die Verantwortung trägst."

„Ich nehm dir das nicht übel", lächelte er traurig. „Sobald du mir versprichst, ihr nichts zu sagen."

„Versprochen", schwor sie nach einem Augenblick des Nachdenkens. „Bis du dich anders entscheidest."

Tarsuinn hoffte, dieser Tag würde niemals kommen.

„Ich denke, wir sollten jetzt schlafen", sagte er. „Wäre dumm, wenn Toireasas Stiefeltern hier auftauchen und ich bin noch nicht wach."

„Na, so wichtig bist du nun auch nicht!", warf Winona lachend ein und ließ – zu seiner Erleichterung und seinem Bedauern – Tarsuinns Hand endlich los.

„Das sicher nicht", gab er grinsend zu. „Aber es wird lustig werden."

„Weißt du – Toireasa würde jetzt sagen, wir sollten das ernster nehmen und nicht so selbstsicher sein", lachte Winona.

„Oh ja, das fehlt mir auch so und nun raus mit dir!"

Sie wünschten sich noch einmal eine gute Nacht, dann legte er sich schlafen und versuchte ausnahmsweise mal so schnell wie möglich zu seiner schlechten Nachtgeschichte überzugehen.

Pünktlich vier Stunden später war er wieder wach. Er zog sich jedoch nicht um, sondern schnappte sich sein Bettzeug und legte sich mit Tikki in der Wohnstube auf die Couch. Dann warteten sie beide angespannt. Ein wenig störte Tarsuinn das Brummen des seltsamen Gerätes, das sich Mr Darkcloud von einem alten Bekannten geborgt hatte, der ihm irgendetwas schuldete. Wenn es wirklich funktionierte – so sicher war sich da anscheinend niemand – verhinderte es, dass irgendwer auf magischem Weg eine Wohnung betrat. Es sollte da auch sicherere Wege geben, aber diese sollten recht aufwändig, schwierig und teuer sein. Nichts, was sich die Darkclouds leisten konnten. Na ja – als alternative Vorwarnung waren ja Tarsuinn und Tikki jetzt vor Ort. So als eine Art vorgeschobener Horch- und Warnposten.

Er spielte dabei nervös mit seinem Messer. Zwar hatte Mr Darkcloud versichert, es wäre ganz schlechter Stil einfach in eine fremde Wohnung zu apparieren und schon so mancher unwillkommene Eindringling hatte durch Abwehrmaßnahmen an Gesundheit verloren, trotzdem war dies die Möglichkeit, die Tarsuinn überhaupt nicht behagte. Man war so leicht zu überraschen. Aus diesem Grund hatte Winona einige Bereiche der Wohnung, die sich besonders gut als Punkte zum Apparieren eigneten, mit Glasmurmeln garniert. Das machte es zwar für Tarsuinn recht schwer, sich in der Wohnung zu bewegen, aber solange er mit den Füßen über den Boden schlurfte, konnte eigentlich nichts passieren.

Es war halb sieben Uhr morgens, als es vor der Tür leise knallte. Tarsuinn sprang vor Schreck auf und stieß so Tikki unabsichtlich zu Boden. Doch er erholte sich schnell von der Überraschung und entschuldigte sich bei Tikki.

Sekunden später klopfte es, was ein deutlicher Hinweis auf Zauberer war. Muggel hätten die elektrische Klingel benutzt. Da das Klopfen jedoch recht leise war, wartete er noch einen Augenblick. Beim zweiten Versuch war es dann schon lauter und beim dritten war es ein gut vernehmliches Donnern.

Erst jetzt schlurfte Tarsuinn zur Tür und verbarg dabei sein Messer.

„Wer ist da?", fragte er laut, aber möglichst verschlafen klingend.

„Wir sind hier um Toireasa abzuholen", antwortete von draußen eine recht hohe, weibliche Stimme.

„Das ist noch viel zu früh", entgegnete Tarsuinn und hoffte, sein Lächeln war nicht in seiner Stimme hörbar. „Das Ministerium macht erst um acht oder um neun auf. Kommen Sie später wieder."

„Wir sind ihre Eltern!", kam die erwartet scharfe Antwort. „Und wir wollen sie nach Hause holen."

„Oh!", sagte Tarsuinn gespielt überrascht und legte eine Effektpause ein. „Ich hole Mr Darkcloud. Bitte warten Sie einen Moment."

„Lass uns sofort rein", forderte nun eine beherrschte männliche Stimme.

„Bitte entschuldigen Sie, aber ich darf keine Fremde einfach so hereinlassen", wehrte Tarsuinn ab. „Gedulden Sie sich einen Moment."

Geruhsam schlurfte er wieder durch das Wohnzimmer und klopfte laut und hörbar an die Schlafzimmertür, hinter der Mr Darkcloud schlief. Er konnte schon hören, wie sich jemand hinter der Tür umzog. Trotzdem rief er laut:

„Mr Darkcloud? Da sind Leute an der Tür, die behaupten Toireasas Eltern zu sein."

„Bin wach", sagte Mr Darkcloud drinnen überflüssigerweise. „Halt sie noch eine Weile hin."

Alles wie abgesprochen also. Er ging zu der Tür der Mädchen und klopfte auch da.

„Mr Darkcloud wachen Sie bitte auf!", rief er dabei laut, so als wäre dieser nicht wach geworden. Auch die Mädchen regten sich alsbald.

Dann begab er sich wieder zurück zur Tür.

„Hören Sie!", rief er hindurch. „Mr Darkcloud zieht sich nur etwas an und öffnet Ihnen dann gleich."

Er erhielt ein unleidliches – Gut! – dann ging es für ihn schon wieder ins Wohnzimmer und zum Ticken der Standuhr. Diese war einer der wenigen uralten und nicht muggeltypischen Einrichtungsgegenstände der Wohnung. Die Darkclouds waren, obwohl sie mehrheitlich von Zauberern abstammten, extrem angepasst an das normale Muggelleben. Sie hatten sogar einen Videorecorder und konnten ihn bedienen, wobei sie diesen im Moment hatten entfernen müssen, weil man dessen Uhr nicht langsamer laufen lassen konnte.

Tarsuinn klappte die Glasscheibe vor der Standuhr beiseite und fühlte nach den Zeigern. Statt sechs Uhr dreißig, zeigte sie im Moment nur fünf Uhr fünfundzwanzig an. Das bedeutete, dass der Zauber wirkte und dass – da die Uhr um Mitternacht zuletzt genau gestellt worden war – diese um etwa zwölf Minuten pro Stunde nachging. Nicht schlecht, nur vielleicht ein wenig zuviel. Er stellte die Uhr auf die aktuelle Zeit.

Inzwischen war Mr Darkcloud aus seinem Zimmer gekommen.

„Zwölf Minuten pro Stunde", flüsterte ihm Tarsuinn zu, als der Mann zur Tür ging.

„Na dann…", flüsterte Mr Darkcloud zurück und drückte aufmunternd Tarsuinns Schulter, „…auf ins Gefecht."

Mr Darkcloud ging zur Tür, schaute dann wahrscheinlich durch den Spion und öffnete danach die magieresistenten Schlösser.

„Ja bitte?", fragte er leicht unfreundlich.

„Bitte verzeihen Sie unser morgendliches Eindringen", antwortete die Frau vor der Tür mit einer Höflichkeit, von der Tarsuinn nichts zu spüren bekommen hatte, als er sich mit ihr durch die Tür unterhalten hatte. „Wir sind Mr und Mrs Davian und wir wollen Toireasa nach Hause holen."

„Ihr zu Hause ist sicher nicht bei Ihnen!", ließ sich Tarsuinn laut vernehmen. Er hatte die Rolle des unfreundlichen Kindes, die er sich mit Winona teilen würde. Alles andere wäre völlig unglaubwürdig gewesen. Außerdem musste er diese Rolle auch nicht spielen, sondern konnte einfach seiner Abneigung freien Lauf lassen.

„Achten Sie nicht auf Tarsuinn", forderte Mr Darkcloud auf, der als Erwachsener den Vernünftigen geben musste. „Er glaubt Toireasa beschützen zu müssen."

„Wie könnten wir ihm das vorwerfen?", erwiderte Mrs Davian zuckersüß.

„Dann kommen Sie doch herein und machen Sie es sich bequem", forderte Mr Darkcloud die Besucher auf. „Tarsuinn, könntest du bitte Toireasa wecken?"

Darauf antwortete Tarsuinn nicht, zeigte aber einen eingeschnappten Gesichtsausdruck und ging zu dem Mädchenzimmer. Er klopfte dreimal im richtigen Rhythmus, wartete auf das Herein und erst dann schlüpfte er hinein, wobei er die Tür nur einen Spalt öffnete und sie sofort wieder hinter sich schloss. Rica und Winona erwarteten ihn bereits.

„Und?", fragte Winona ungeduldig.

„Sie sind aus irgendeinem Grund nervös und etwas zu spät dran", entgegnete Tarsuinn flüsternd und wandte sich Rica zu.

„Die Frau hat keine Uhr, die ich hören kann", erklärte er. „Aber der Mann trägt eine in der rechten Hosentasche."

„Das macht es hoffentlich einfacher", kommentierte Rica. „Dann werd ich wohl mal das ungeschickte Muggelmädchen geben."

Sie ging in die Wohnstube. Winona und Tarsuinn begannen angestrengt an der Tür zu lauschen.

Mr Darkcloud hatte sich bisher nur um den Smalltalk gekümmert und den Gästen Getränke angeboten.

Rica gab sich extrem höflich und begrüßte die Gäste entsprechend. Angestrengt lauschte Tarsuinn, doch da sich keiner der Davians lauthals beschwerte, ging er davon aus, dass Rica die Taschenuhr hatte.

Er wartete eine Weile, dann ging auch er wieder in die Wohnstube.

„Toireasa will nicht herauskommen", sagte er feindselig. „Nicht nach dem, was Sie ihr angetan haben."

„Es sind ihre Eltern!", entgegnete Rica, bevor die Davians etwas sagen konnten. „Sie sollte wenigstens mit ihnen reden!"

„Ich werd ihr nicht dazu raten", fuhr Tarsuinn sie an.

„Dann mach ich das!", kommentierte Rica nur und ging wieder zurück zur imaginären Toireasa. Da sie dort drin schlief, brauchte sie nicht zu klopfen.

„Nicht, dass dies was bringen wird", rief ihr Tarsuinn nach und fläzte sich aufs Sofa, die Arme abwehrend vor der Brust verschränkt.

„Du solltest dich etwas besser benehmen", tadelte Mr Darkcloud erneut. „Wobei ich natürlich zugeben muss, Mr und Mrs Davian, es ist schon etwas ungewöhnlich, ein Kind fast zwei Wochen auf sich allein gestellt zu lassen. Ohne Geld und Dach überm Kopf."

„Ein unglücklicher Irrtum", sagte Mrs Davian leicht beschämt klingend. „Nachdem sie nicht im Hogwarts-Express war, haben wir ihre Großeltern gebeten sie aus Hogwarts abzuholen und sich um sie zu kümmern, da wir los mussten, um das Muggelschiff zu erreichen. Leider werden ihre Großeltern langsam sehr alt und haben sie vergessen. Erst als wir gestern aus dem Urlaub zurückkamen und sie abholen wollten, fiel das auf. Wir haben die ganze Nacht nach ihr gesucht. Wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie sich um sie gekümmert haben."

„Und was ist mit dem netten Brief, den Sie ihr geschickt haben!?", zischte Tarsuinn. „Von wegen, sie gehört nicht mehr zur Familie! War das auch ein Missverständnis?"

„Was für ein Brief?", erkundigte sich Mr Davian erstaunt, so als ob er das nicht wüsste.

„Nun, Toireasa erzählte uns, Sie hätten sie verstoßen", erklärte Mr Darkcloud. „Ich konnte mir das nicht vorstellen, aber sie beharrte darauf."

„Haben Sie denn diesen ominösen Brief gezeigt bekommen?", fragte Mrs Davian betont lässig.

„Nein", gab Mr Darkcloud zu. „Sie meint, sie habe ihn fallengelassen, nachdem sie ihn gelesen hatte."

„Sehen Sie", sagte Mrs Davian überzeugt. „Ich gebe zu, wir hatten einige Meinungsverschiedenheiten und einige Kinder in der Schule haben zu einer Verschärfung des Tones beigetragen, aber dass wir sie deshalb verstoßen haben, hat sie sich nur eingebildet."

„Könnten Sie mir erklären, wie es überhaupt so weit kommen konnte?", fragte Mr Darkcloud. „Ich meine, Toireasa wollte heute Morgen eigentlich los und sich beim Ministerium wegen mangelnder Fürsorge von Ihnen lösen. Das ist ziemlich extrem, aber ich muss sagen, ein wenig habe ich ihr geglaubt, da Sie ihr nicht einmal einen Brief aus dem Urlaub geschickt haben."

„Wir haben die Eule an ihre Großeltern geschickt!", beeilte sich Mrs Davian zu versichern.

Dass sie sich damit selbst der Lüge überführte, schien sie nicht oder nur zu spät zu begreifen. Erst wollte Tarsuinn sie darauf hinweisen, doch er verkniff sich den Kommentar, ob denn die Großeltern nicht hätten nachdenklich werden müssen, wenn plötzlich Briefe an Toireasa bei ihnen auftauchten.

„Das sehe ich ein", sagte Mr Darkcloud stattdessen und für Tarsuinns Ohren klang er ein wenig so, als müsse er mit demselben Kommentar kämpfen, der sich Tarsuinn aufgedrängt hatte. „Aber warum überhaupt dieser ausufernde Streit?"

Auf diese Frage hin mussten die Davians ziemlich weit ausholen und weil ihre gesamte Ausführung eine komplizierte Lüge war, war sie auch recht lang. Tarsuinn hielt sich mit Kommentaren zurück, sondern beschränkte sich darauf, an manchen Stellen abfällig zu schnauben. Solange die Erwachsenen redeten, verging Zeit. Leider war es aber noch nötig die Uhr von Mr Davian zu verzaubern und sie ihm wieder zuzustecken. Weshalb irgendwann Winona hinzukam.

„Dad?", unterbrach das Mädchen eine unheimlich traurige Lüge Mrs Davians. „Könntest du mal kommen? Toireasa macht Schwierigkeiten. Durch die offene Tür konnte man Rica beruhigend auf jemanden einreden hören.

„Entschuldigen Sie mich bitte", sagte Mr Darkcloud daraufhin.

„Vielleicht wäre es an der Zeit, dass wir mit ihr reden", sagte Mr Davian vernünftig. „Sie wird sicher auf uns hören."

„Würden Sie auf jemanden hören, der Sie verraten und belogen hat?", kommentierte Winona genauso feindselig, wie Tarsuinn es gemacht hätte.

„Winona!", rief Mr Darkcloud sie zur Ordnung. „Die Davians sind unsere Gäste."

„Aber sie haben Toireasa über ihre leiblichen Eltern belogen!", beschwerte sich Winona deutlich kleinlauter.

„Wir dachten, es wäre das Beste für sie, wenn sie ohne diese Belastung aufwachsen würde, Mädchen", erklärte Mrs Davian wieder mit einer um Verständnis heischenden Stimme. „Wir wollten sie nicht mit diesem traurigen Wissen aufwachsen lassen. Dass sie nun diese leicht eingefärbte Wahrheit erfahren hat, ist bedauerlich und man sieht ja jetzt recht deutlich, was es angerichtet hat."

Also, wenn Tarsuinn nicht die ganze Geschichte aus erster Hand miterlebt hätte, diese Erklärung wäre so schlecht nicht gewesen.

„Trotzdem ist es wohl besser, ich versuche erst mal mein Glück", sagte Mr Darkcloud. „Wir haben doch Zeit und wenn wir sie zu etwas zwingen, läuft sie nur bei nächster Gelegenheit weg. Glauben Sie mir – ich hatte in meiner Zeit bei der Muggelpolizei genug solcher Ausreißerfälle. Da ist Druck oftmals genau das Falsche."

„Wenn Sie meinen, Mr Darkcloud", gab Mrs Davian widerwillig nach.

Dies war jetzt der kritischste Moment für alle, die auf Toireasas Seite standen. In dem Augenblick, wenn Mr Darkcloud weg war, war der logische Zeitpunkt für die Davians, um verstohlen auf die Uhr zu sehen. Wie geplant stellte sich Winona deswegen so, dass man die Standuhr im Blick hatte, wenn man sie selbst ansah.

„Warum können Sie Toireasa nicht in Ruhe lassen?", fragte das Mädchen scharf, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Es war Ihnen doch mehrere Monate lang egal, was aus ihr wird!"

„Wir sind ihre Eltern!", entgegnete Mrs Davian, jetzt deutlich unfreundlich, seitdem Mr Darkcloud aus dem Wohnzimmer war. „Das verstehst du nicht, Mädchen."

„Ja!", giftete Winona mit Inbrunst. „Weil meine Eltern mich lieben!"

„Wer sein Kind liebt, der straft es auch, wenn es nötig ist", entgegnete die Frau kühl.

„Und wer straft die Eltern, wenn diese falsch liegen?", mischte sich Tarsuinn emotionslos ein.

„Wir haben nichts falsch gemacht", fand Mrs Davian.

„Das sollte das Ministerium entscheiden", entgegnete Tarsuinn gehässig. „Am besten mit einer Dosis Veritaserum, denken Sie nicht auch?"

„Sei vorsichtig mit dem was du sagst!", warnte Mr Davian deutlich beherrschter, als seine Frau.

„Oder was?", forderte Tarsuinn ihn heraus.

„Das willst du…"

„Noch etwas zu trinken, Mrs und Mr Davian?", mischte sich Rica sofort in den Streit, die eben wieder den Raum betrat und fast ohne auf eine Antwort zu warten die Gläser vor den beiden Gästen einsammelte. Als Resultat davon hörte Tarsuinn wieder Mr Davians Uhr in seiner Tasche ticken. Erneut erfolgte keine hörbare Reaktion auf diesen umgedrehten Diebstahl und Tarsuinn musste ein Lächeln hinter der Hand verbergen. Rica war wirklich gut.

Nachdem seine Schwester den Davians Tee gebracht hatte, lenkte sie das Gespräch wieder in eine weniger aggressive Richtung.

„Toireasa fragt,…", sagte sie vernünftig an die Davians gewandt „…ob sie nicht erst einmal zu ihren Großeltern kann. Sie scheint vor allem Angst vor ihren Brüdern zu haben."

„Das lässt sich sicher einrichten", nahm Mrs Davian sofort die Möglichkeit an.

„Die sind doch genauso schlimm!", entrüstete sich Winona sofort.

„Winona, Tarsuinn!", sagte Rica als Reaktion. „Wäret ihr bitte so freundlich das Frühstück vorzubereiten? Sofort!"

Murrend zogen sie ab in die Küche. Das war nicht geplant, aber sicher hatten Rica und Mr Darkcloud eine Idee gehabt. Während Winona mit dem Geschirr Krach machte, lauschte Tarsuinn angestrengt. Ein wenig machte er sich Sorgen, die Davians könnten Rica mit irgendeinem Fluch oder Zauber belegen, solange sie allein mit ihr waren.

„Sie sagt, ihre Großeltern leben nahe London", hörte er Rica sagen. „Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir Toireasas Eule zu ihren Großeltern schicken und diese bitten hierher zu kommen? Ich glaube, mit denen würde sie im Moment eher reden. Wenn ich Ihre Reisemöglichkeiten recht verstanden habe, dann könnten die Großeltern innerhalb weniger Minuten hier sein, oder lieg ich da falsch?"

„Das wäre durchaus möglich", meinte Mr Davian und klang sogar ein wenig erfreut über die Idee. Irgendwie verwirrte der Mann Tarsuinn. Manchmal klang er wirklich so, als würde er sich nicht verstellen.

„Könnten Sie dann schnell einen kurzen Brief schreiben?", erkundigte sich Rica freundlich. „Ich bringe Ihnen Papier und Stift."

Amüsiert lauschte er, wie Rica einen auf unwissende Muggel machte und die Davians zunächst mit einem Füllfederhalter und danach mit einem schon leeren Kugelschreiber quälte. Als dann endlich ein zaubererkompatibler Zwischenweg mit einem Bleistift gefunden war, dauerte es danach noch angenehm lange, bevor die Davians Keyx überzeugen konnten zu Toireasas Großeltern zu fliegen. Es war schon erschreckend zu hören, wie die Stiefeltern nicht mal wussten, dass Keyx nie einen Flügelschlag tat, bevor er nicht ein oder zwei Streicheleinheiten bekommen hatte. Da war er sehr eigen und noch schlimmer als selbst Tikki, die schon ziemlich verschmust war. Keyx hatte das geradezu zu einem Prinzip erhoben.

Die nächsten zwanzig Minuten verbrachten die Davians mit angespanntem Warten, während Tarsuinn und Winona in aufreizender Langsamkeit das Frühstück bereiteten.

Er konnte hören, wie die beiden Gäste mit der Zeit immer nervöser wurden. Mr Darkcloud hatte zwischendurch wieder die Position mit Rica getauscht und gab den besorgten Erwachsenen und Vater, der die Probleme der Davians gut nachvollziehen konnte. Zwischendurch schaute er auch einmal nach, wie denn sein eigener Nachwuchs sich bei der Zubereitung des Frühstücks machte und in diesem Augenblick schnappte die Falle zu, auf die Tarsuinn sich schon den ganzen Morgen freute.

Den unbeobachteten Augenblick, als Mr Darkcloud in der Küchentür stand, hatte Mrs Davian nutzen wollen, um zu ihrer Tochter zu gelangen. Mr Darkcloud rief ihr zwar noch ein besorgtes: „Vorsicht!" zu, doch das war so gut abgepasst, dass es schon zu spät war. Ein riesiger Schwall von ekligem Schleim klatschte herunter und ein furchtbarer Schrei bestätigte, dass das richtige Ziel getroffen wurde.

Als dann auch noch der besorgte Mr Davian aufsprang und auf ein paar Murmeln ausrutschte und krachend zu Boden fiel, war das Glück für einen Moment perfekt.

Während Tarsuinn und Winona sich keine Mühe gaben ihr Gelächter zu unterdrücken, betätigte sich Mr Darkcloud einer unglaublichen Selbstbeherrschung.

„Alles in Ordnung mit Ihnen?", fragte er besorgt seine Gäste, nur um dann wütend in die Küche zu rufen. „Hört auf damit! Wie oft habe ich euch gesagt, ihr sollt euer Spielzeug nicht hier rumliegen lassen. Irgendwann verletzt sich mal jemand wirklich! Das gibt diesmal eine Woche Hausarrest."

Ein Zauber ließ die Küchentür zuknallen.

„Einen Moment bitte, Mrs Davian", hörte Tarsuinn Mr Darkcloud sagen, dann reinigte Winonas Vater die leicht hysterische Frau mit einem: Scourgify!

Was sie zu Tarsuinns Enttäuschung etwas beruhigte.

„Entschuldigen Sie", fuhr Mr Darkcloud erklärend fort. „Aber auf dem Kinderzimmer liegt bei uns immer dieser Zauber. Er lässt niemanden herein, der nicht von dem Bewohner erwünscht ist."

„Das war Absicht!", keifte Mrs Davian.

„Es ist Winonas Zimmer", sagte Mr Darkcloud. „Solange sie es ordentlich hält, gehört es ihr und wir sind darin nur Gäste und so muss man sich auch verhalten. Kommen Sie, setzen Sie sich wieder."

Es klingelte an der Tür.

„Moment bitte!", entschuldigte sich Mr Darkcloud. „Das werden Toireasas Großeltern sein."

Tarsuinn – mit dem Ohr an der Tür – hörte ihn zur Eingangstür gehen, während Mrs Davian einen gewissen Grad an Lernunfähigkeit an den Tag legte. Sie klopfte diesmal zuerst an die Kinderzimmertür und wollte dann die Klinke herunterdrücken. Die zweite Schleimdusche war um einiges ausgiebiger. Wer nicht hören will…

Man musste schon das Herein abwarten und – in diesem speziellen Fall – auch auf die richtige Weise klopfen. Leider war die Reaktion ohne die erste Überraschung weit weniger spektakulär, doch das glichen Toireasas Großeltern aus.

„Aber Pádraigín!", sagte eine ältere, aber fröhliche und vitale männliche Stimme. „Bist du aus diesem Alter nicht heraus? Nicht, dass ich das verurteile. Ich bin nur erstaunt, dass du gerade jetzt deinen Schleimtrieb entdeckst."

Die Reaktion darauf war ein halb unterdrückter, frustrierter Schrei. Danach ertönte das amüsierte Scourgify einer älteren Frau.

„Also wirklich, Samuel", tadelte die Frau, die eben gezaubert hatte. „Pádraigín kann sicher nichts dafür. Vor allem würde sie keinen solchen Aufstand machen, während das Ministerium nach ihr sucht. Nicht wahr?"

„Das ist nur ein Missverständnis, Großmutter Keary", beeilte sich Mrs Davian zu versichern.

„Ach, und deshalb haben wir heute Besuch von zwei Ministeriumshexen gehabt? Wegen eines Missverständnisses?", fragte die Großmutter in einem Ton, als würde sie mit einem Kind reden. „Sie haben uns erzählt, man hätte euch angezeigt, weil ihr eure Tochter im Ausland verkauft habt! Also – wo ist unsere Enkelin?"

„Deswegen sind wir ja hier", erklärte Mrs Davian erstaunlich kleinlaut. „Toireasa ist hier."

„Wo?", kam sofort die Frage zurück.

„Im Kinderzimmer, Madame", erklärte Mr Darkcloud höflich. „Sie weigert sich mit ihren Eltern zu reden."

„Und deshalb wurden wir gerufen? Damit wir mit ihr reden?", stellte Großmutter Keary mehr fest, als dass sie fragte. „Gut, wie gelangen wir in den Raum, ohne uns so zu blamieren wie meine Schwiegertochter?"

„Klopfen Sie einfach und treten Sie erst ein, wenn man Sie hereinbittet", erklärte Mr Darkcloud.

Sekunden danach klopfte es und Tarsuinn hörte ein leises: „Wer da?" von Rica, woraufhin die Großmutter ihren Namen und den ihres Mannes nannte und hereingebeten wurde. Winona zappelte derweilen neben ihm am Schlüsselloch.

„Wie werden sie reagieren, wenn sie sehen, dass Toireasa nicht da ist?", fragte sie besorgt.

„Laut Toireasa stehen sie auf unserer Seite", antwortete Tarsuinn. „Und ich denke, je länger sie bei Rica bleiben, desto wahrscheinlicher ist, dass sie mitspielen."

Und das taten sie offenbar, denn alsbald hörte Tarsuinn die Stimmen der Großeltern recht laut, wie sie so taten, als würden sie auf Toireasa einreden.

Sie waren dabei sehr kreativ musste er zugeben, selbst nach einer halben Stunde langweilten sie ihn nicht. Einzig der Großvater war ab und an etwas zu albern. Sehr zu Tarsuinns Vergnügen.

„Wir haben es gleich geschafft", sagte plötzlich Winona. „Fünf Minuten noch."

„Dann lass uns endlich das Frühstück rüber bringen. Wir wollen doch nicht das Finale verpassen."

Sie brachten zwei große Tabletts in die Wohnstube.

„Na endlich", begrüßte sie Mr Darkcloud. „Dann können wir ja endlich frühstücken."

„Frühstück?", ertönte die schalkhafte Stimme von Toireasas Großvater. „Immer her damit."

Er und die Großmutter kamen gerade aus Winonas Zimmer.

„Sie zieht sich eben an!", erklärte die alte Frau. „In fünf Minuten kommt sie mit nach Hause."

Alle setzten sich auf Sofa und Sessel, während Winona und Tarsuinn zu bedienen gedachten. Doch dazu kam es nicht.

„Haben Sie schon bemerkt, dass ihre Uhr furchtbar falsch geht?", fragte Toireasas Großvater unschuldig Mr Darkcloud.

Für einen langen Moment herrschte geschockte Stille im Raum, während Tarsuinn und Winona sich langsam Richtung Eingangstür schlichen. Er konnte hören, wie Mr Davian hektisch seine Taschenuhr hervor holte.

„Ich glaub, es wäre besser, wenn wir zum Ministerium gehen, Schatz", sagte Mr Davian so ruhig er anscheinend konnte. „Das Missverständnis schnellstmöglich aufklären. Mr Darkcloud, Großmutter und Großvater Keary, bitte entschuldigt uns."

Die Umhänge der beiden rauschten.

„Man kann in diesen Räumen nicht disapparieren", erklärte Mr Darkcloud freundlich. „Das geht nur draußen."

Zwei Personen kamen schnell auf Tarsuinn und Winona zu. Doch Tarsuinn und Winona stellten sich ihnen in den Weg.

„Bevor Sie gehen…", sagte Tarsuinn und diesmal ließ er seinem Zorn auf Toireasas Stiefeltern fast freien Lauf. In der Wohnstube schepperten einige Gläser. „…wollt ich nur wissen, wie es Aidan geht?"

„Es geht ihm natürlich gut, trotz des Fluches, der auf ihn gesprochen wurde."

„Ja!", brachte Tarsuinn zwischen zusammengebissenen Zähnen vor. „Ziemlich fieser Fluch."

„Von unwertem Leben", zischte Mrs Davian.

Das Scheppern und Klirren wurde lauter.

„Gut genug für Ihren Sohn!", fauchte er.

Eine Vase splitterte.

In diesem Augenblick ging die Eingangstür auf und Mrs Darkclouds Stimme ertönte:

„Wir sind wieder zu Hau…oh Besuch! Hallo Tarsuinn. Hallo Mäusezahn."

Sie umarmte erst Tarsuinn und dann Winona von hinten, woraufhin Tarsuinns Zorn sich etwas abschwächte.

„Irgendeine Feier, die ich verpasst habe?", erkundigte sich Mrs Darkcloud fröhlich.

„Darf ich vorstellen Ma, Mr und Mrs Davian", erklärte Winona. „Sie wollten gerade gehen."

„Ach, wie schade", sagte Mrs Darkcloud ironisch. „Na, dann wollen wir sie doch nicht aufhalten. Komm auch rein, Toireasa. Hier ist niemand vor dem du dich fürchten musst."

Hinter Mrs Darkcloud war eine zweite Person zu hören.

„Toireasa!", rief Mrs Davian erfreut aus, drängte Tarsuinn rüde beiseite und wollte auf ihre Stieftochter zugehen. „Wir haben so nach dir…"

„Fassen Sie mich nicht an, Mrs Davian!", knallte Toireasas Stimme voll Abscheu durch den Flur. „Ich habe nichts mehr mit Ihnen zu schaffen."

„Was redest du da, Kindchen?", säuselte Mrs Davian. „Wir gehen jetzt nach Hause."

„Lassen Sie mich los!", rief Toireasa und Tarsuinn wollte schon eingreifen, als eine unglaublich harte Stimme durch den Raum peitschte.

„Du wirst deine Finger von ihr nehmen!", befahl Toireasas Großmutter. „Ja, sie wird nach Hause gehen, aber in ein richtiges zu Hause. Dort, wo man sie liebt und sich um sie kümmert!"

Aus dem Wohnzimmer brandete ein solches Gefühl von Macht über Tarsuinn hinweg, dass seine Haut kribbelte. Ohne groß nachzudenken ging er auf die Knie und machte sich ganz klein. Er wollte nicht im Weg sein, wenn es gleich knallte.

Doch der Moment der Gefahr verging und dann ließ das Kribbeln nach. Toireasas Ex-Eltern waren gegangen und rings herum drang entspanntes Aufatmen an sein Ohr.

Toireasa weinte glücklich in den Armen ihrer Großeltern, Rica streichelte ihm anerkennend über den Kopf und Mr Darkcloud ärgerte Winona mit der Feststellung, dass der Hausarrest ernst gemeint war.

„Mir ist nach feiern zu Mute!", sagte plötzlich Großvater Keary und unvermittelt war der Raum erfüllt von fröhlicher Musik, kreischenden Feuerwerkskörpern und in der Nase krabbelndem feinem Konfetti, das zum Niesen reizte. Tarsuinn hielt sich lachend die Ohren zu, als Toireasas Großmutter ihren Mann einen verrückten alten Knacker schalt, was den alten Mann nicht hinderte, großzügig Aufmunterungs- und Lachzauber durch den Raum zu jagen. Zwar war Tarsuinn neugierig, warum Toireasa früher als erwartet aus dem Ministerium zurückgekehrt war, aber er konnte dank eines unkontrollierbaren Lachanfalls einfach kein Wort herausbringen und verschob eine solch unwichtige Frage auf später. Im Moment wollte er einfach den Augenblick genießen, denn im Moment war das Leben einfach perfekt.

Ein Narr ging durch dunkle Gänge, doch für seine Augen, welche die Wärme und Kälte der Wände sehen konnten, war es taghell. Trotzdem hätte er diesen Vorteil gern wieder gegen die Freude des normalen Sehens eingetauscht. Er wusste kaum noch, wie ein Gesicht wirklich aussah, wie die Farbe grün wirkte und ob die Sonne wirklich gelb war.

Er trat an eine Tür, die er seit Jahren nicht mehr besucht hatte, und öffnete sie mit seiner –starken, gepanzerten, aber gefühlsarmen – Drachenklaue. Aus dem Raum hinter der Tür drangen ihm äußerst unangenehme Gerüche in die viel zu empfindliche Nase. Seine gespaltene Zunge züngelte angewidert. Zwei an die Wand gekettete Gestalten sahen ihn an. Violette Wärmeschimmer zuckten über ihre Haut, was von der Angst der beiden zeugte.

„Bitte!", flehte eine kaum noch menschlich zu nennende Stimme. „Gewährt uns die Gnade und tötet uns endlich."

Der Narr hob seinen Zauberstab und richtete ihn auf die beiden verwahrlosten und verlausten Gestalten.

„Bitte!", flehte die Stimme, schwankend zwischen Hoffnung auf den Tod und der Angst vor weiteren Leiden.

Mit einer sparsamen Geste ließ er einen Strom von Energie auf die beiden Angeketteten zufliegen, die vor Angst aufschrien – nur um dann verwundert zu verstummen. Die Gestalten fielen zu Boden, da die Ketten sich aufgelöst hatten.

„Folgt mir!", befahl er. „Ihr erhaltet heut die Chance auf ein neues Leben oder darauf, für immer in Qualen zu leben. Ich erwarte euch in meinem Privatraum."

Dann wandte er sich ab und ging wieder davon. Hinter sich hörte er, wie der menschliche Abfall, am Boden kriechend, ihm folgte.

Er beschloss, ihnen zwei Stunden Zeit zu geben, um zu ihm zu kommen. Wenn er Verrätern eine letzte Chance gab, dann sollten sie sich die auch mehrfach verdienen!

London hatte sich verändert. Nicht zum Guten, wie er fand. Gut – die Towerbridge, der Buckingham Palast, Big Ben, das Nelson-Denkmal und ein paar andere Dinge waren noch da wo sie hingehörten, aber alles dazwischen war einfach hässlich und laut. Dazu kamen auch noch viel mehr Muggel, als er jemals auf der gesamten Insel zusammen gesehen hatte. Und weder modisch noch intellektuell hatten sie sich weiterentwickelt. Ihre Frisuren waren lächerlich, ihre Kleider unanständig und ihre Musik einfach nur noch Krach. Man sah ihnen an, dass sie seit Jahrhunderten keine rechte Führung mehr gehabt hatten. Traurig schaute er vom Dach des Buckingham Palastes hinunter und wandte sich dann seinen Untergebenen zu.

„Habt ihr jemanden gefunden?", fragte er befehlsgewohnt. Eine Gestalt zuckte unter der Last seiner Stimme zusammen, während die andere sofort etwas zu wachsen schien.

„Oh ja. Zuerst habe ich ein paar Leute in die Themse gejagt, dann ist eine alte Frau so erschrocken, dass ihr Herz stehen blieb und ein paar Kinder werden nie wieder richtig…"

„Ich meinte den Auftrag, den ich dir gab!", donnerte er den Mann an, der ein Loch im Bauch hatte.

„Nein!", gab der zu. „Aber ich dachte, ein wenig Spaß nach so langer Zeit…!"

„Wir sind hier nicht zum Vergnügen", bellte er und sah den stillen Geist an. „Du hast auch niemanden gefunden? Nein? Dann macht euch wieder auf den Weg. Alle beide. Sucht außerhalb dieser Stadt und seid vorsichtig. Klar?"

Die zwei nickten beflissen und flogen davon.

Er starrte ihnen kurz nach, dann erschuf er sich einen Schaukelstuhl und setzte sich hinein. Er war selbst erstaunt, wie elegant alles funktioniert hatte. Sich selbst in den Rubin zu stürzen war ein großes Risiko gewesen, aber es hatte sich gelohnt. Schlussendlich hatte der Abkömmling begriffen, was das wirklich für ein Stein war und hatte ihn genutzt. Zwar nicht so wie erwartet, aber das Ergebnis blieb sich gleich.

Er – Sir Oliver – war seinem verfluchten Gefängnis entkommen, das die Hütte darstellte, und auch dem Rubin, als dieser sich auflöste. Nun endlich konnte er sich jemanden suchen, den er in seinem Sinne formen und dem er zu Macht verhelfen konnte. Jemanden, der die natürliche Ordnung der Dinge wiederherstellte. Jemand, der die Akademie aufleben ließ und seiner verfluchten Existenz wieder Sinn gab. Jemand, der den – und jeden anderen – Abkömmling töten konnte. Inklusive Freunde und Familie, wenn man schon dabei war. Gründlichkeit zahlte sich immer aus.

Sir Oliver ließ seinen Schaukelstuhl verschwinden, dann flog er selbst in die Nacht. Er würde diesen Jemand finden, schließlich hatte er alle Zeit der Welt.


Sir Oliver und Mister Banefactor kehren zurück in:

Das Geheimnis der Dementoren"