You
can't stand the distance
You can't stand to not be afraid
You won't show resistance
You can't seem to run away
Because every time the past's awakened
Every time your soul starts breaking
The Tea Party- Soulbreaking
***
Etwas derartiges hatte er noch nicht gesehen und das war schon erstaunlich. An jede Art von Flüchen war er gewöhnt, doch als man den jungen Slytherin nach Hogwarts Heim brachte, hatte sich ihm der Magen umgedreht. Die blasse, schmale Gestalt des Jungen war von klaffenden Wunden übersät gewesen. Blut hatte seine Kleidung durchtränkt und war an wenigen Stellen erst getrocknet.
Gut, er hatte Malfoy nie wirklich leiden können. Eigentlich konnte er keinen wirklich leiden, aber das, das hätte einfach nicht passieren dürfen.
Dunkle Augen wandern ernst über die Leiche. Wo sollte er anfangen? Was verlangte man von ihm herauszufinden? Er konnte nichts tun. Es handelte sich weder um Zauberei noch um ein Giftgemisch. Egal wie sehr er sich bemühte, er konnte keine Spuren finden. Nur die Spuren des Waldes und dessen Bewohner.
Nach gut drei Tagen hatte man ihn gefunden. Ein paar Tage mehr und der Wald hätte ihn für immer geschluckt.
In diesen drei Tagen war es eine helle Aufregung in Hogwarts gewesen. Draco Malfoy war verschwunden. Manche mochten aufgeatmet haben, doch nach dem zweiten Tag stellte sich allgemeine Sorge ein.
Bald hatte es von Ministeriumsmitgliedern gewimmelt. Selbst Auroren hatte man kommen lassen. Lucius Malfoy hatte Drohungen von sich gegeben, die niemand zu Ohren bekommen wollte.
Und trotzdem stand er jetzt völlig regungslos neben ihm. Keine Träne war in seinen kalten, grauen Augen zu sehen. Nichts in seinem Gesicht ließ darauf schließen, dass er seinen Sohn verloren hatte, seinen einzigen Erben.
Hagrid war es gewesen, der den jungen Malfoy im Wald gefunden hatte. Aufgelöst war er in die große Halle gestürmt. Man hatte den bärigen Mann kaum verstehen können. Doch als er die Worte Mord und tot hervorgestoßen hatte, war jedem klar gewesen was passiert war. Nur nicht wie oder wer.
Das Wie ließ sich leicht beantworten. Eine scharfe Klinge, eine sehr scharfe. Doch wer? Wer konnte einen solchen Hass hegen? Viele hassten Draco Malfoy, doch so sehr? Es war ihm unbegreiflich. Und doch... etwas nagte an seinem Bewusstsein.
„Nun Severus?", die kühle Stimme Malfoys drang in seine Gedankengänge.
Unwirsch betrachtete er den hochgewachsenen blonden Mann neben sich. Was wollte er hören? Welche Genugtuung könnte es ihm geben? Dieser Mann war kälter als sein toter Sohn.
„Was willst du hören Lucius? Ich kann nichts weiter dazu sagen. Das Ministerium muss sich darum kümmern."
Es war eine Schande, dass er nicht weiter wusste. Eine Scham für den Meister der Zaubertränke.
Unverhohlener Spott legte sich auf die Züge des blonden Mannes. Seine kalten Augen bohrten sich in die des Zaubertränkemeisters gegenüber. „Ich habe nichts anderes erwartet Severus." Mit einem kurzen Nicken des Kopfes machte er auf dem Absatz kehrt ohne einen weiteren Blick an seinen toten Sohn zu verschwenden. Er hatte für ihn keinen Nutzen mehr. Das Einzige was er wollte war, dass der Täter gefunden wurde und er ihn bestrafen konnte.
Schwer atmend um den Zorn zu unterdrücken lehnte sich das Haupt der Slytherins an den Türrahmen. Er hasste die Malfoys, bald noch mehr als er Potter je gehasst hatte.
***
Wieder zitterte sie. Wie so oft in den vergangenen Tagen. Es lag nicht daran, dass ganz Hogwarts vor Ministeriumsmitgliedern nur so wimmelte. Keiner würde sie verdächtigen. Sie war eine vom goldenen Trio. Niemand würde ihr eine solche Tat zutrauen.
Angespannt betrachteten ihre braunen Augen die weiße Haut ihrer Hände. Sein Blut klebte an ihnen. Es würde immer dort kleben. Auch wenn sie noch so sehr schrubbte bis es blutete. Sie konnte es immer noch sehen, immer noch riechen. Waren es Schuldgefühle, die sie empfand?
Entschlossen schüttelte sie den Kopf. Keine Schuldgefühle. Er hatte es sich selbst zuzuschreiben, dass er nun kalt in den Kerkern lag. Keiner von den Schülern hatte ihn zu Gesicht bekommen. Keiner würde ihn zu Gesicht bekommen. Man sagte es wäre ein schrecklicher Anblick. Nun, war es das wirklich? Sie hatte Erleichterung empfunden. War sie deshalb grausam oder verrückt? Hatte er es nicht verdient so zu enden? Wenn sie es nicht getan hätte, es wäre unausweichlich gewesen. Jemand hätte früher oder später seinem Leben ein Ende bereitet.
Trotzdem nagte etwas in ihr das sich nicht vertreiben ließ. Etwas das langsam aber stetig an ihr fraß.
„Miss Granger nehme ich an?" Sie zuckte beim Klang ihres Namens zusammen. Die Stimme! Diese Stimme!
Unsicher wendete sie ihren Blick von ihren Händen ab und traf auf Grau. Grau das sie nur zu gut kannte. Erneut glitt ein Zittern durch ihren Körper. Tief atmete sie durch. Er ist tot Hermine! Reiß dich zusammen!, schalt sie sich selbst. Schnell flogen ihre Augen durch die fast leere Bibliothek bevor sie wieder mit dem Mann vor sich in Kontakt traten. „Guten Tag Mister Malfoy." Ein gequältes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.
Spöttisch hob er eine seiner Brauen. Etwas das sie zu oft bei seinem jüngeren Ebenbild gesehen hatte. Etwas das ihr eine Gänsehaut verursachte. „Ob der Tag gut wird... Miss Granger... wird sich zeigen."
Unausgesprochene Drohungen und Hass schlugen ihr entgegen. Wie konnte man nur mit der Stimme solche Gefühle vermitteln? Hatte der Mann vor ihr überhaupt Gefühle? Was wollte er von ihr?
„Kann ich ihnen helfen, Sir?" Und warum bei Merlin war sie so freundlich zu diesem Teufel? Er hatte nie ein freundliches Wort übrig. Schritt durch die Welt als würde sie ihm gehören. Was war los mit ihr?
Seine Augen musterten sie ausgiebig. Ein böses Grinsen erreichte seine Lippen, als er auf einem Stuhl ihr gegenüber glitt. Lange Zeit beobachtete er sie nur. Genoss es wie sie nervös hin und her rutschte. Draco hatte ihm so verteufelt ähnlich gesehen.
„Nun Miss Granger. Ich frage mich..." Er hielt inne und musterte sie mit einem Ausdruck den sie nicht deuten konnte. Er ähnelte eher einem gefährlichen Tier, als einem Menschen. Mit einer schlanken, blassen Hand griff er über den Tisch und streichelte mit dem Zeigefinger sanft über ihren Handrücken. Erschrocken zuckte sie zurück. Was wollte er? Was fragte er sich? Konnte er es wissen? Ihr Herz schlug bis zum Hals und Angst raubte ihr wie so oft die Luft zum atmen.
Was fragen Sie sich, Sir?", quetschte sie erstickt hervor.
Er schien zufrieden mit ihrer Reaktion zu sein. Langsam lehnte er sich zurück. „Ich frage mich ob Sie mir verraten könnten wo Mister Potter sich zur Zeit aufhält. Den ganzen Morgen versuche ich schon ihn zu finden. Es ist, als hätte der Erdboden ihn verschluckt."
Einen Augenblick musterte Hermine erstaunt den Mann vor sich. Was wollte er von Harry?
„Wie kommen Sie darauf, dass ich wüsste wo er ist, Sir?"
Der ältere Malfoy schenkte ihr einen finsteren Blick bevor er sich wieder auf dem Stuhl weit nach vorn lehnte. Jegliche gespielte Höflichkeit war verschwunden. „Wenn ich mich recht erinnere Miss Granger, dann gehören Sie zu diesem sagenhaften Trio dazu? Sie müssen wissen wo der werte Mister Potter sich aufhält. Es würde Ihnen gut tun es mir zu verraten."
Ein Anflug des Stolzes den sie früher einmal besessen hatte überkam sie. „Das ist richtig, aber ich hänge nicht ständig an seiner Seite. Was wollen Sie überhaupt von Harry?"
Sie konnte sehen wie es in seinem Gesicht arbeitete. Wie sich die Muskeln seines Kiefers anspannten und dann wieder entspannten. „Ich denke nicht, dass das ein kleines, dreckiges..." Er stoppte. Hermine zog nun ihrerseits die Brauen empor. Sie wusste nur zu gut was er hatte sagen wollen, was er die ganze Zeit dachte. „Ich habe ein paar Fragen an Mister Potter."
Verdächtigte er etwa Harry? Warum sollte er sonst wissen wollen wo er war? Sie wusste es, aber das Letzte was sie tun würde, wäre es diesem Bastard zu sagen. Leicht schüttelte sie den Kopf. „Es tut mir leid, Mister Malfoy, aber ich kann Ihnen nicht behilflich sein. Ich weiß nicht wo Harry steckt."
Der blonde Mann vor ihr richtete sich etwas auf in seinem Stuhl. Seine kalten Augen schienen tief bis in ihre Seele zu bohren. Ob er Gedanken lesen konnte? Wieder wurde ihr Herzschlag lauter. Sie musste sich beruhigen, wenn sie sich nicht verraten wollte. Sollte sie einfach gehen?
Bevor sie diesen Gedanken ausführen konnte erhob sich der Mann vor ihr. Ein etwas zu süßliches Lächeln hing auf seinen Lippen. Sie starrte zu ihm hinauf als er mit einem Schritt neben ihren Stuhl stand. Seine Hand schnellte nach vorn um kurz über eine ihrer seidigen Locken zu streicheln. Eine Geste, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Doch seine Berührung war so kurz gewesen das sie sich nicht sicher war ob sie wirklich passiert war. „Wirklich sehr hübsch Miss Granger", murmelte er leise; „doch meine reine Abstammung verbietet es einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden. Wir sehen uns wieder."
Mit wehenden Roben, die sie arg an Snape erinnerten ging er den langen Gang der Bibliothek hinab. Zitternd entwich die Luft ihren Lungen. Was war das Problem der Malfoys? Hatte die gesamte Familie den Verstand verloren? Schnell sprang sie von ihrem Stuhl. Sie musste Harry finden. Sie musste ihn warnen, dass Lucius Malfoy ihn für den Täter hielt und ihn suche.
***
Endlich hatten sie den Jungen aus seinen Kerkern genommen. Auch wenn er in seinem Leben schon viele Tote gesehen hatte, so war er nie gern in ihrer Nähe. Es erinnerte ihn zu sehr daran was jedem von ihnen irgendwann passieren würde. Nicht solch grausames Ende wie der junge Malfoy erlitten hatte, aber immerhin ein Ende. Und an ein Ende mochte er zur Zeit gar nicht denken. Es war an der Zeit sich zu beruhigen, an der Zeit, das eigene Unvermögen einen Mord aufzuklären, zu vergessen. Welch bessere Gelegenheit, als durch die Gänge zu schleichen um Hauspunkte abzuziehen würde sich bieten?
Er mochte es wenn seine Roben in der zugigen Luft Hogwarts wehten. Natürlich wusste er was die Schüler über ihn sagten, über ihn dachten, aber wenn er ehrlich war interessierte es ihn wenig. Sie besaßen dennoch den nötigen Respekt vor ihm und das war das wichtigste.
Seine Aufmerksamkeit lenkte sich auf Lucius Malfoy, der schnell aus der Bibliothek schritt. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als das dieser Mann endlich verschwinden würde. Seine Überraschung wuchs, als kurz nach dem Mann ein brauner Lockenkopf ebenfalls die Bibliothek verließ. Sie schien aufgeregt zu sein. Ihre Gesichtszüge, die verzweifelt versuchten die Fassung zu bewahren, verrieten sie. Nicht oft sah man die Musterschülerin Hogwarts die Gänge mit geröteten Wangen hinab stürmen. Allerdings fragte er sich was ein Lucius Malfoy mit Hermine Granger zu schaffen hatte. Was die Malfoys überhaupt mit dem Granger Mädchen hatten.
Angewidert dachte er an den Zwischenfall vor wenigen Tagen mit Draco Malfoy. Einen Malfoy schien sie los zu sein. Konnte es sein das nun der andere sie belästigte? Seine Gedanken kamen zu einem abrupten halt. Dunkle Augen verfolgten die zierliche Mädchengestalt wie so oft in den letzten Jahren in denen sie heran gewachsen war. Ohne es wirklich zu bemerken folgte er ihr leise wie ein Schatten.
Einen Malfoy war sie los... Hermine Granger? Er war versucht ungläubig den Kopf zu schütteln. Die kleine Besserwisserin? Die Granger, die versuchte alles perfekt zu machen? Konnte es sein? Seine innere Stimme schien ihm aufgeregt Recht zu geben. Es war als hätte er die Lösung für ein besonders schweres Rätsel.
Der Begriff das es einem wie Schuppen von den Augen fiel bekam für ihn eine neue Bedeutung. Er hatte sie in den letzten Tagen besonders hartnäckig beobachtet. Und wenn er es recht bedachte war sie die Einzige, die nicht geschockt von Malfoys Tod gewesen war. Sie schien eher... erleichtert zu sein?
Schnell verschwand er in den Schatten, als Hermine mit dem Potter Jungen regelrecht zusammen stieß.
***
Sie musste Harry finden bevor er es tat. Unter den überraschten Blick von Madam Pince räumte sie ihre Bücher schnell zusammen und stürmte aus der Bibliothek. Was wäre wenn Lucius Malfoy Harry etwas antat? Es wäre allein ihre Schuld. Verzweifelt versuchte sie die nahenden Tränen zu unterdrücken. Sie war an allem Schuld, sie und ihr Drang nach Freiheit.
Was sollte sie Harry erzählen? Sollte sie sich letztendlich ihrem besten Freund anvertrauen? Wäre sie überhaupt noch seine Freundin? Sie war eine Mörderin. Eine gemeine Mörderin. Keinen Deut besser, als die Malfoys.
Ihr Herz flatterte erbärmlich während eisige Hände sich um ihre Kehle legten und zudrückten. Schnell umbog sie eine der vielen Ecken und übersah Neville Longbottom, der sie freundlich grüßte. Auch bemerkte sie nicht seinen verwirrten Blick. Bei einem rasanten Ausweichmanöver um ein paar Zweitklässler stieß sie mit der gesuchten Person zusammen.
Harrys Blick traf sie neugierig, aber auch Sorge lag in seinen Augen, als sie nach Luft rang. „Harry... ich... ich habe dich gesucht!" „Was ist los. Mine?" Vorsichtig reckte er eine Hand aus um sie sanft an der Schulter zu berühren. Zu spät merkte sie wie sie seiner Berührung grob auswich, aus lauter Angst vor dem Kontakt selbst. Schnell ließ er seine Hand sinken und fragte nochmals eindringlicher. „Was hast du Mine?"
Nach endlos langer Zeit schien sie ihren Atem wieder einigermaßen unter Kontrolle zu haben. „Lucius Malfoy.. .er... er sucht dich... er.. .er..." Seine grünen Augen verfinsterten sich bei der bloßen Erwähnung des Namens. „Was ist mit ihm?" Hermine seufzte gequält. „Er denkt, dass du... dass du... Draco ermordet hast."
Harrys Mund blieb vor Überraschung offen stehen. „Warum sollte er das denken Mine?" Doch das Mädchen vor ihm reagierte nicht. Ihr Gesicht war kreidebleich geworden und ihr Blick auf einen Punkt hinter ihm gerichtet. Ihre braunen Augen wirkten leer und ihre jetzt ebenfalls bleichen Lippen bewegten sich ohne das Worte herauskamen. „Mine?" Keine Reaktion. „Mine was hast du?" Sanft rüttelte er an ihren Schultern. Erst jetzt bemerkte er wie sehr sie zitterte. Mit einem kleinen geschockten Aufschrei schüttelte sie seine Hände ab. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen stürmte sie in die andere Richtung davon.
Harry war seinerseits viel zu geschockt um ihr zu folgen. Was bei Merlin war mit ihr in letzter Zeit los? Es war beinahe so als würde sie den Verstand verlieren.
***
Überraschen zeichnete sich in seinen harten Gesichtszügen ab, als das Mädchen an ihm vorbei raste ohne ihn zu bemerken. Was hatte sie dazu bewogen dermaßen heftig auf Potter zu reagieren? Erst diskutierte sie aufgeregt mit ihm, dann starrte sie wie entgeistert auf einen leeren Punkt und schließlich wehrte sie sich gegen Potter, als wäre er ihr schlimmster Feind. Etwas stimmte ganz und gar nicht mit ihrem klugen Kopf und er war sich sicher, dass der tote Malfoy damit zu tun hatte.
Schon immer hatten sie ein Talent dafür anderer Leben bis ins kleinste Detail zu zerstören. Vielleicht sollte er zu Dumbledore gehen. Doch vielleicht bestand eine geringe Chance, dass sie sich ihm anvertraute. Ein bitteres Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Als ob einer der Schüler sich jemals ihm anvertrauen würde. Als ob Hermine Granger sich ihm anvertrauen würde. Dem meist gehassten Lehrer der Schule. Wenn sie es ihren Freunden nicht verriet, warum sollte sie es ihm verraten?
Ein Gefühl sagte ihm, dass es einen Versuch wert war. Das es besser war mit ihm zu reden, als mit irgend jemand anderen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Severus Snape den Drang wirklich jemanden zu helfen. Ihr zu helfen.
Schnell folgte er ihrer Gestalt, die sich leicht schwankend voran bewegte. Er konnte sich ausmalen wie salzige Tränen über ihre blassen Wangen rollten. Er folgte ihr auch noch als sie das große Eingangsportal verließ und den Wald ansteuerte. Eine harsche Brise ergriff ihre braunen Locken und schleuderte sie ihr immer wieder ins Gesicht. Was wollte sie im Wald? Beinahe zutiefst betrübt kam ihm der Gedanke, dass der Täter immer an den Ort des Geschehens zurückkehren wird.
Ihre zerbrechlich wirkende Figur kämpfte sich in die Finsternis des dunklen Grüns voran. Fast augenblicklich wurde sie von dem dichten Gestrüpp erfasst. Äste und Ranken schienen ihre dürren Finger nach dem Mädchen auszustrecken. Es war ein seltsamer Anblick, beinahe unheimlich am helllichten Tag. Aber dort wo sie hinging konnte man nicht mehr von Tag sprechen. Nur wenige Sonnenstrahlen verirrten sich in diesen Wald.
So leise wie möglich versuchte er mit ihr Schritt zu halten. Doch wahrscheinlich hätte sie es nicht mal bemerkt, wenn eine ganze Herde Hippogreife hinter ihr her gewesen wäre. Etwas schien sie magisch anzuziehen und ihre Umgebung vollkommen zu vergessen.
Sein Magen drehte sich beinahe um als sie die Stelle erreichte an der Hagrid den jungen Malfoy gefunden hatte. Keiner der Schüler konnte es wissen. Niemand außer den Lehren oder dem Ministerium wusste von diesem Platz. Doch sie hatte ihn wie im Schlaf gefunden. Gebannt starrte sie auf die Stelle hinab während sie unverständliche Worte murmelte.
Severus trat ebenfalls hervor. Es war an der Zeit, dass sie einige Fragen beantwortete. „Miss Granger?"
Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit wirbelte sie zu ihm herum. Ihre Augen weit aufgerissen und der Zauberstab direkt auf seine Brust gerichtet.
***
Was tat sie hier? Wie war sie hierher gekommen? Sie konnte sich nicht erinnern. Erst als ihr Name gefallen war, war sie aus erwacht. Es war als wäre sie aus einem Tagtraum erwacht. Langsam wanderten ihre Augen von ihrer ausgestreckten Hand mit dem Zauberstab zum Gesicht ihres Lehrers. Was hatte Snape hier zu suchen? Warum bedrohte sie ihn?
Der Zauberstab in ihrer Hand begann zu zittern bevor sie ihren verkrampften Arm schlaff an ihrer Seite hängen ließ. Wieder starrte sie auf die Stelle zurück ohne Snape zu beachten. Hier hatte er gelegen... tot... sie war sich ganz sicher. Es war kein Blut mehr zu sehen. Schnell war es in den Waldboden gesickert. Er hatte es mit großem Appetit in sich aufgesogen.
Ihr Körper schüttelte unkontrolliert wie so oft in den letzten Tagen. Warum war sie hier? Sie hatte mit Harry geredet... Lucius Malfoy... dann hatte sie es gesehen. Ihn gesehen! Mit einem leisen Stöhnen schloss sie die braunen Augen. Die Nacht in der Draco Malfoy starb spielte sich immer und immer wieder in ihrem Inneren ab. Seine Berührungen waren noch wie frisch auf ihrer Haut. Ihr wurde übel. Verzweifelt versuchte sie den Würgreiz zu unterdrücken. Doch er war tot, richtig? Gestorben durch ihre Hand.
Ihr Magen schmerzte. Krampfte sich zusammen. Mit einem leisen Wimmern beugte sie sich nach vorn und übergab sich.
Draco Malfoy würde nicht zurückkehren. Konnte nicht zurückkehren. Schwindel packte sie und schwer atmend lehnte sie sich an einen nahen Baumstamm. Warum hatte sie ihn vorhin gesehen? Er hatte da gestanden als wäre nichts geschehen. Dasselbe widerliche Grinsen auf dem Gesicht, das sie so sehr hasste. Er hatte ihr zugewunken und plötzlich hatte er vor ihr gestanden. So nah, so unglaublich nah. Seine Hände hatten ihre Schultern berührt.
Fest kniff sie die Augen zusammen. Nein! Er war tot. Sie hatte es gesehen.
„Miss Granger?" Ihren Augen flogen auf und starrten auf den Mann. Ruhig stand er ihr gegenüber. Keine Abwehr in seiner Haltung. Er stand nur da und sah sie an. Warum war Snape hier? Seine Gesichtszüge, die sonst nichts verrieten waren anders. Irgendwie weicher. Es war das erste Mal, dass man etwas wie Emotionen in dem Gesicht des verhassten Zaubertränkelehrers sehen konnte.
Er war ihr wohl gefolgt. Wieder entwich ihr ein leises Stöhnen. Aus! Alles war aus!
„Miss Granger...", er zögerte einen Augenblick; „Ich bin sicher er hat es verdient." Ein bitteres Lachen war von ihr zu hören. Verdient? Verdient? Niemand hatte es verdient zu sterben... nicht so. „Niemand verdient so etwas", flüsterte sie leise. Snapes Stimme war sanft. Ungewöhnlich für diesen Mann. „Für das was er Ihnen angetan hat, hat er es verdient." Heftig schüttelte sie den Kopf. „Nein! Nein!... Woher wollen Sie wissen was er getan hat? Ob er dafür den Tod verdient hat?"
Der Mann, den sie immer gefürchtet und verehrt hatte sah sie Momente unschlüssig an, dann trat er einige Schritte auf sie zu. Seine blasse Hand mit den langen Fingern begann sich ihrem Gesicht zu nähern. Erschrocken zuckte sie zurück und schnell ließ er sie wieder sinken. „Ich weiß was er getan hat. Ich weiß, dass er Sie nicht in Ruhe gelassen hätte."
Hermine sah ihn aus großen Augen an. War das derselbe Snape den sie kannte? Wo war der Alte geblieben der so kalt und gemein war? Abwehrend verschränkte sie die Arme vor der Brust und starrte zu ihm hinauf. „Ich brauche Ihr Mitleid nicht!" Überrascht von diesem Ausbruch wich er etwas zurück. „Miss Granger... Hermine... ich habe kein Mitleid. Es tut mir leid was geschehen ist, ausgerechnet Ihnen, aber alles was ich möchte ist, dass Sie mir eine Frage beantworten." „Welche?"
„Warum haben Sie niemanden erzählt was passiert ist? Warum nicht ihren Freunden oder Prof. Dumbledore? Ihnen hätte geholfen werden können. Draco Malfoy hätte seine Strafe erhalten." Ihre Schultern sackten zusammen und ließen sie noch zerbrechlicher wirken. Warum. So viele Fragen begannen mit dem einfachen Wort warum, doch wenige davon ließen sich einfach beantworten.
„Sie... sie hätten mich alle für schwach gehalten, für wehrlos. Sie wären von mir angewidert gewesen... niemand hätte mich verstanden", flüsterte sie kaum hörbar; „Ich hätte ihnen alles erzählen müssen... jede Einzelheit... und wozu? Malfoy wäre nicht bestraft worden... nicht mit diesem Einfluss... nicht mit diesem Vater."
Severus glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. „Hermine!" Er hatte gut Lust sie zu schütteln, sie anzuschreien und doch hätte er nichts lieber getan als dieses Mädchen an seine Brust zu drücken. Ihr zu versprechen das alles wieder gut werden würde. Doch er konnte es nicht. Hermine Granger war stur, so stur das sie blindlings in ihr eigenes Unglück gerannt war. „Niemand hätte Sie für schwach gehalten. Niemand hätte sich von Ihnen angewidert gefühlt. Jeder hätte Ihnen zugehört und verstanden. Malfoy hätte seine Strafe bekommen. Kein Familienname kann ein solches Verbrechen decken. Sehen Sie nur wohin Sie das geführt hat. Wir werden jetzt zu Prof. Dumbledore gehen um zu sehen was noch zu retten ist."
Hermine nickte schwach. Er hatte Recht. Sie mussten zu Dumbledore.
Das Knacken eines Astes ließ beide aufschrecken. Panisch weiteten sich ihre Augen, als Lucius aus dem Schatten der Bäume trat. Ein kaltes Lächeln auf seinen Lippen. „Ah, Severus, Miss Granger… wie rührend dieses Gespräch mitzuverfolgen. Wie ich sehe stimmt es doch, dass der Täter immer an den Ort des Verbrechens zurückkehrt. Wie praktisch für mich."
„Was willst du, Lucius?", knurrte der Zaubertränkelehrer gefährlich. Doch die Augen seines Gegenübers waren starr auf das Mädchen gerichtet, das unter seinen Augen zu schrumpfen schien. „Ich glaube Severus das ist eine Sache zwischen Miss Granger und mir." „Ich bin immer noch ihr Lehrer und ich schlage vor, dass wir alle jetzt zu Dumbledore gehen."
„Oh nein Severus! Ich denke das erledige ich allein. Schließlich hat dieses kleine Schlammblut meinen einzigen Erben auf dem Gewissen." Schützend schob sich das Haupt des Slytherin Hauses vor das stille Mädchen. „Als ob dich das wirklich interessieren würde, Lucius." Langsam zog der blonde Mann seinen Zauberstab hervor wobei er murmelte; „Ich habe Draco immer wieder gewarnt, dass schöne Frauen gefährlich sein können, wenn man sie nicht richtig unter Kontrolle hat. So Severus wenn du jetzt bitte aus dem Weg gehen würdest. Wir wollen doch nicht das einer der besten Lehrer Hogwarts verletzt wird." Seine Augenbrauen hoben sich amüsiert.
Severus konnte die junge Frau hinter sich zittern spüren. Kein Ton kam über ihre Lippen. Langsam schienen ihre Beine unter ihr nachzugeben. Wer wusste wie lange sie diesem Druck noch stand hielt. Viel zu viel war für ihre angeschlagene Seele geschehen.
„Nun Severus? Muss ich dich erst verletzen?", Lucius Malfoys Stimme schnitt scharf durch die Stille des Waldes. „Es sieht ganz so aus Lucius." Beide Männer waren kampfbereit, doch ein spitzer, schriller Schrei ließ sie inne halten.
Hermine starrte mit wilden Augen dem blonden Mann entgegen. Ohne Mühe hatte sie sich hinter dem Rücken des Slytherin hervor gekämpft. „Du bist tot... verschwinde... du bist tot...", kreischte sie ohne Unterlass und rupfte an ihren Haaren. Dicke Strähnen fielen zu Boden. Schwankend ging sie auf den Mann zu.
„Miss Granger nicht!." Doch nichts schien ihre Ohren zu erreichen. Sie sah ihn! Nur ihn!
„Es kann nicht sein...verschwinde! Lass mich endlich in Ruhe!" Wieder packte sie ihren Zauberstab fester und richtete ihn auf die Brust des Blonden. „ Es ist Schluss... ein für alle Mal... ich werde dem ein Ende machen!"
Ein lautes Lachen bahnte sich aus der Kehle des blonden Mannes. „Sie ist verrückt! Absolut verrückt. Umso besser, es wird mir ein Vergnügen sein, Miss Granger." Doch schon traf ihn der erste Fluch. Hart landete er am nächsten Baumstamm. „Aus! Aus! Aus! Verschwinde Draco! Lass mich in Frieden!" Sie würde dafür sorgen, dass er diesmal nicht zurückkam. Wenn er durch einen Dolch nicht starb, dann gewiss durch einen Fluch.
Severus schnellte nach vorn mit dem Bewusstsein was passieren würde. „Hermine, nein!" Er war zu weit weg, die Worte würden ihren Mund verlassen bevor er sie erreichte. Einen Moment war er versucht sie mit dem eigenen Zauberstab zu stoppen. Doch er konnte und wollte sie nicht verletzen. Seine Gedanken rasten.
„Avada...", sie sackte bewusstlos auf dem Boden zusammen nicht unweit von Malfoy entfernt. Der Zaubertränkelehrer hielt den Atem an und starrte auf die beiden Personen auf dem Boden. Dann wanderte sein Blick zu dem alten Zauberer mit dem weißen Bart. Albus Dumbledore hatte diesmal kein fröhliches Funkeln in den Augen. Kein Lächeln war auf seinen Lippen zu sehen. Traurig starrte er auf die Gestalt des Mädchens und schüttelte das weiße Haupt. „Bring sie zu Poppy, Severus." Der Zaubertränkemeister nickte langsam und hob die bewusstlose junge Frau in seine Arme. Ein letzter Blick auf Lucius Malfoy sagte ihm, dass dieser sich schneller erholen würde als allen lieb war.
***
„Was wird nun geschehen?" Minerva McGonagall sah von einem zum anderen und dann wieder zurück auf das Mädchen, das einst ihre beste Schülerin gewesen war. Ihr Blick war starr vor sich hin gerichtet. Langsam wiegte sie sich vor und zurück, die Arme fest um den eigenen Körper geschlossen. Auch wenn ihre Lippen sich bewegten war nichts zu hören. Sie schien mit sich selbst zu reden. Harry Potter und Ronald Weasley waren vor einer Stunde müde und geschlagen abgezogen. Alle Versuche ihre Freundin zurück ins Leben zu rufen waren gescheitert. Sie war mit ihren Gedanken an einem Ort weit entfernt von ihnen.
Poppy seufzte leise. „Sie zeigt keine Reaktionen. Ich habe alles versucht. Wir haben St. Mungos informiert dort ist sie besser aufgehoben als hier." Minerva zuckte bei diesen Worten zusammen. Es war unvorstellbar. „Armes Ding. Was haben sie nur mit ihr getan." Der Zaubertränkemeister, der still an der Wand gelehnt hatte schnaufte leise. „In der Tat. Was haben sie getan. Ein weiteres Leben, das auf Malfoys Kappe geht." Seine Augen wanderten über das Mädchen. Ein brillanter Geist, einfach ausgelöscht innerhalb von ein paar Wochen. Auch wenn er es nie offen zugeben würde zerbrach es ihm fast das Herz sie so zu sehen. Eine schöne, junge und kluge Frau verdiente ein anders Los als dieses.
„Wird man ihr den Prozess machen?", fragte Minerva und strich dem Mädchen einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Nein Minerva. Sie kann nichts erzählen, sich nicht verteidigen. Niemand weiß wirklich was geschehen ist." Albus Dumbledores Augen hingen auf dem Gesicht seines Lehrers für Zaubertränke. Nur sie beide wussten was wirklich geschehen war, sie, Hermine und Lucius Malfoy. Sie beide hatten den Dolch gefunden, der in Hermine Grangers Besitztümer gesteckt hatte. Und sie beide hatten ihn verschwinden lassen. Im stillen Einverständnis, dass die junge Frau mehr als genug mitgemacht hatte. Ein Aufenthalt in Askaban hatte sie nicht verdient. Diese ganze Geschichte war eine Tragödie, doch das schlimmste war das sie ihm nicht genug vertraut hatte. Was war er für ein Schulleiter, wenn er eine junge Hexe nicht vor solch einem Unglück bewahren konnte.
„Und was ist mit Malfoy?", Minervas besorgter Blick streifte den Schulleiter. „Nun, er hat eine Schülerin im Beisein eines Lehrers angegriffen. Ich denke er wird es sich überlegen sie noch einmal zu belästigen, geschweige denn diese Schule betreten." Viele Drohungen waren nötig gewesen um Lucius Malfoy den Hahn abzudrehen, aber er hatte mehr Angst vor schlechter Publicity, als Rachsucht für seinen Sohn. Man würde Hermine in Ruhe lassen und der Tagesprophet würde noch Ewigkeiten von dem unbekannten Mörder schreiben.
„Wann werden sie sie holen kommen?", diesmal konnte Minerva McGonagall das Schluchzen in ihrer Stimme nicht mehr verbergen. „In einer Stunde werden sie hier sein. Armes Ding", flüsterte Poppy betroffen.
Severus stieß sich kräftig von der Wand ab. Er wollte bestimmt nicht hier sein, wenn sie sie abtransportierten. Es würde genug Tränen vom Rest des goldenen Trios geben. Er würde sie besuchen um zu sehen wie es ihr ging.
Doch jetzt brauchte er Entspannung und welch bessere Entspannung gab es als Hauspunkte abzuziehen. Heute würden es einige sein.
ENDE