Kapitel 28: Aufbruch

Am nächsten Morgen wurden alle recht früh von Aragorn geweckt.

„Wir müssen Bree so schnell wie möglich verlassen. Es ist zu gefährlich hier", sagte er mit grimmiger Miene.

Als sie fertig angezogen waren und gepackt hatten, folgten ihm alle hinunter ins Gasthaus, wo sie auf den Wirten, Herrn Butterblüm, trafen. Der arme Kerl war ganz durch den Wind, noch nie hatte es jemand gewagt in seinen Gasthof einzubrechen oder die Gäste zu bedrohen, doch beides war letzte Nacht geschehen. Bill und Gwens Anwesenheit brachte ihn zusätzlich durcheinander, da er nichts von ihrer Ankunft in seinem Gasthaus wusste. Er war jedoch zu verschreckt um Fragen zu stellen und außerdem sichtlich erleichtert, die vier Hobbits lebend zu sehen.

Butterblüm rief nach einem seiner Mitarbeiter und befiel ihm, die Ponys der Hobbits zu satteln. Währenddessen organisierte er ein schnelles Frühstück für die siebenköpfige Bande.

Nach einigen Minuten wurde die angenehme Ruhe jedoch erneut gestört. Butterblüms Mitarbeiter kam völlig zerstört auf seinem Herrn zugerannt. „Oh Meister, es haben sich schreckliche Dinge zugetan... Alle Ponys und Pferde sind verschwunden! Der Stall ist leer." Butterblüm sah aus, als wäre er einer Ohnmacht nahe. Das waren einfach zuviele schlechte Nachrichten an ein und demselben Tag.

Butterblüm entschuldigte sich mehrmals bei den Hobbits und bot ihnen Geld als Wiedergutmachung für den Verlust ihrer Ponys an.

„Es hätte sowieso keinen Sinn gemacht, auf Ponys weiterzureiten. Wir sind zuviele und zu Fuß lässt es sich viel schneller reisen. Ponys eignen sich nicht um durchs Gestrüpp zu wandern,"sagte Aragorn nachdenklich. Er blickte in die Runde, setzte ein furchtbar ernsthaftes Gesicht auf und meinte: „Wir müssen bald aufbrechen, die Sonne steigt schon am Horizont entlang und wir müssen ein gutes Stück Weg hinter uns bringen."

„Aber ein Pony wäre doch nicht schlecht. Ich meine um all unser Gepäck zu tragen. Ja ja, ein Pony müsste man haben", murmelte Sam.

„Vielleicht kann ich da was arrangieren". Butterblüm eilte davon und kam erst nach einer Viertelstunden völlig außer Atem zurück.

„Ich habe ein Pony gefunden. Ich musste den dreifachen Preis seines eigentlichen Wertes dafür zahlen und es ist kein perfektes Exemplar, doch es ist ein Pony."

Merry, Pippin, Sam, Frodo, Aragorn, Bill und Gwen gingen hinaus an die frische Luft. Gwen atmete tief ein. Es roch wundervoll. Die warme Luft und der Regen hatten sich zu einem erfrischenden Duft vereint. Als Gwen jedoch auf das Pony blickte, verflog ihre gute Laune gleich wieder.

„DAS soll ein Pony sein?"Zweifelnd sah sie Butterblüm an. „Ich habe gesagt, dass es nicht ganz perfekt ist", meinte der nur und ging zurück in sein Wirtshaus.

„Nicht ganz perfekt ist ein wenig untertrieben. Es ist abgemagert bis auf die Knochen, kam kaum noch stehen und ist furchtbar hässlich. Das reinste Auslaufmodell!!"Gwens Laune befand sich wirklich im Keller.

„Was hast du für ein Problem? Das arme Tier kann doch nichts dafür. Du musst immer nur an allem rumnörgeln, wärest du doch bloß nie aufgetaucht", sagte Sam erbost über ihr Verhalten. Er packte dem altersschwachen Tier ihr Gepäck auf den Rücken und kümmerte sich rührend um Bill, wie er das Pony nannte.

´Passt irgendwie, der Name`, dachte sich Gwen. Sie war beleidigt weil der kleine dicke Hobbit sie so angefahren hatte. Es war doch nicht ihre Schuld wenn das Pony so unbrauchbar war.

Doch Gwen hatte sich geirrt. Das Pony hatte allem Anschein nach ungeahnte Kraftreserven und war recht munter.

„Lasst uns aufbrechen! Der Tag ist noch jung und der Weg sehr lang. Lasst uns nicht unnötig Zeit vergeuden", kommandierte Streicher.

Auf dem Weg zum Stadttor schauten unzählige Gestalten, Menschen und Hobbits, Zwerge und sogar einige Elben, dem kleinen Grüppchen tuschelnd nach.

Am letzten Haus der Stadt, bemerkte Gwen, dass ein grimmig dreinblickender Mann sie hinter der Gardine hervor beobachtete. Als er bemerkte, dass Gwen ihn gesehen hatte, verschwand er. Doch nicht für lange.

„He, du da! Der Dicke da. Pass mir bloß auf meinen Bill auf. Behandle ihn gut!" Der Mann war wieder erschienen und zwar hinter einer Mauer. Er sah Sam mit Abscheu in den Augen an. Sein Blick fiel auf Aragorn. Die Augen des Griesgrams füllten sich mit Hass. „Ich hoffe ihr seid euch im Klaren darüber, wen ihr da mitnehmt. Ich würde nicht einmal mit so einem reden. Streicher nennt man ihn, das sagt doch schon alles."

„An Ihrer Stelle würde ich mich vorsehen. Wer so vorlaut ist wird leicht verletzt", erwiderte Sam. „Ich sage dir, wer hier vorlaut wird du Lümmel", schrie der Griesgram.

Sam warf den Apfel den er in der Hand hatte nach dem Mann und traf ihn mitten auf die Nase. „Was für eine Verschwendung", grinste Sam. Der Griesgram war fluchend in sein Haus geflüchtet.

„Der Wald bietet uns mehr Sicherheit als die Straße. So kommen wir schneller und vor allem unbemerkt zur Wetterspitze."

Aragorn bahnte sich seinen Weg durchs Gestrüpp und ging hastig voran. Gwen bemühte sich mit ihm Schritt zu halten, doch mehr als einmal verhedderte sie sich im Unterholz und fiel hin. Sam grinste jedesmal schadenfroh, er mochte Gwen nicht besonders. Er wusste nicht einmal was sie überhaupt hier machte und es war ihm auch egal.

Gwen war es gelungen, endlich Seite an Seite mit Aragorn zu gehen. Verängstigt blickte sie ihn an. „Werden wir uns nicht verirren? Der Wald ist so groß und unübersichtlich..." Gwen schaute panikartig umher, als erwarte sie, dass jeden Augenblick Ungeheuer über sie herfallen würden. „Nicht wenn ICH euch führe. Vergiss nicht, ich bin der beste Waldläufer aus ganz Mittelerde!", sagte er stolz. Bill verdrehte entnervt die Augen. ´Dass der aber auch immer so angeben muss...`

Bill ging neben Frodo und Sam. Im Gegensatz zu ihnen, hatte er jedoch die gleichen Schwierigkeiten wie Gwen im Vorankommen. Die beiden Nichtmittelerdebewohner waren es nun mal nicht gewohnt, durch den Wald zu marschieren und durchs Unterholz zu stolpern. Bald waren beide zerkratzt und erschöpft. Den andern jedoch stand nicht die geringste Spur von Anstrengung im Gesicht. Die Hobbits und Streicher schienen sich so richtig wohl zu fühlen.

Die Nacht verbrachten sie im Wald, jedoch fiel es den meisten schwer sich zu entspannen. Während Aragorn Wache hielt, versuchten die andern zu schlafen, doch Pippin und Sam waren die einzigen denen es gelang. In den frühen Morgenstunden überkam die Müdigkeit dann auch noch die restlichen vier.

Am nächsten Morgen ging der Marsch nach einem sehr knappen Frühstück, was vor allem die Hobbits ärgerte, unerbittlich weiter. Gegen Mittag, als die Sonne am höchsten stand, erreichten sie eine sich bis zum Horizont ausdehnende Sumpflandschaft.

„Wir müssen doch nicht etwa da durch, oder?", fragte Sam argwöhnisch. Das Ganze gefiel ihm kein bisschen.

„Leider ja. Wenn wir die Sümpfe durchquert haben, sind wir am Fuße der Wetterspitze. Mit ein wenig Glück erreichen wir sie schon heute Abend." Aragorn war weitergegangen, ohne sich von seinen nörgelnden Begleitern aufhalten zu lassen.

Als sie die Sümpfe betraten, war es als wären sie in eine riesige Wolke eingetaucht, die die Sonnenstrahlen nicht durchdringen ließ. Ein warmer, modriger Gestank stieg ihnen in die Nase und auch sonst war der Marsch durch die Sümpfe nicht gerade angenehm. Es war schwierig, nicht mit den Füßen stecken zu bleiben und im Nu waren ihre Kleider von der miefigen, matschigen Brühe durchtränkt. Außerdem hatten viele kleiner Mücken es auf das Blut der Reisenden abgesehen.

„Dumme Viecher! Wieso stand denn da vorne kein Schild ´Vorsicht Mücken`?", meckerte Pippin, der von den ewigen Stichen und Bissen genervt war.

Es schenkte ihm niemand Beachtung und so ging er leise vor sich hinfluchend weiter.

Am Horizont bermerkte Gwen, dass der Nebel der über den Sümpfen schwebte dünner wurde. Sie sah Steine und ein wenig Gras. Sie jubelte auf, sie waren fast am Ende der Sümpfe. „Das wird auch langsam Zeit", sagte sie und wurde etwas fröhlicher.

Auch die andern hatten bemerkt, dass ihre Reise nun bald unterbrochen werden konnte. Nach einer halben Stunde standen sie zerkratzt, müde, hungrig, aber erleichtert vor ihrem Ziel.

Dort war sie, die sich in den Himmel streckende, furchteinflößende, atemberaubende, einmalige, unbeschreibliche – Wetterspitze.

Auf einem schmalen steinernen Pfad kletterten sie stetig empor und konnten ihren Augen kaum glauben, als sie die Sicht von oben genossen. Sie hatten es geschafft.

Sie waren hier.

Auf der sich in den Himmel streckenden, furchteinflößenden, atemberaubenden, einmaligen, unbeschreiblichen – ja, wo denn – ja genau dort – Wetterspitze.