~°~°~°~Briefe aus Askaban~°~°~°~
8.
:Vergangenheit:
(2 Jahre zuvor)
Der Vollmond schien hell auf das alte Anwesen hinab. Und doch war es stockfinster.
Harry tastete sich vorsichtig an den Wänden entlang. Kurz dachte er daran, Lumos zu zaubern, aber diesen Gedanken verwarf er schnell wieder. Er durfte es nicht riskieren, entdeckt zu werden.
Hinter sich hörte er Moodys leises Atmen. Er war vielleicht nicht mehr der Jüngste, doch bei solchen Aktionen war er mit seiner Erfahrung einfach unentbehrlich. Moody hatte nach Harrys letztem Schuljahr sein Lehramt niedergelegt, um sich an Harrys Ausbildung zum Auror zu beteiligen.
An diesem Nachmittag war die Nachricht von einem Treffen der Todesser im Büro der Auroren gelandet. Ja, ihre wenigen Spione, zu denen auch Snape, Harrys alter Lehrer, gehörte, leisteten wirklich hervorragende Arbeit. So hatten sich Harry, Moody und noch zehn weitere Auroren auf den Weg gemacht. Das Treffen fand in einem alten Herrenhaus statt, in einem Ort namens Little Hangleton. Beim Erkunden der Umgebung hatte Harry den Friedhof hinter dem Hügel wiedererkannt; hier war er Voldemort in seinem vierten Schuljahr begegnet.
Wieso war er nicht schon früher auf die Idee gekommen, hier nach den Todessern zu suchen?
Doch dann drängte er diese Gedanken beiseite. Er musste sich vollkommen auf ihren Angriff konzentrieren. Nur ein winziger Fehltritt könnte bereits seinen Tod bedeuten. Ein paar Meter vor ihm vernahm Harry gedämpfte Stimmen; sofort deutete er den anderen, anzuhalten.
Er schlich weiter vorwärts, auf die angelehnte Tür zu. Durch den kleinen Spalt schien das warme Licht des Kamins und als er die Augen leicht zusammenkniff, konnte er die dunklen Silhouetten der Figuren in dem Raum erkennen. Es schienen viele zu sein.
„...Und ich lasse dir die Ehre zuteil werden, ihn töten zu dürfen. Als Beweis deiner Treue."
Harrys Atem stockte als er diese Stimme vernahm. Er erkannte sie sofort.
Voldemort.
Zu oft hatte er sie schon hören müssen, zu oft hatte er bei ihrem Klang gezittert. Dann vernahm er plötzlich eine weitere wohlbekannte Stimme und sein Herz begann zu rasen. „Auch wenn du mich umbringen lässt, wirst du nie siegen, Tom. Es wird andere nach mir geben."
Dumbledore!
Harry warf einen eiligen Blick über seine Schulter zu Moody, der ihm verstehend zunickte. Langsam schlich er neben ihn. Harry zückte seinen Zauberstab, dann zählte Moody leise bis 3. „Eins.... zwei...." Auf drei stieß Harry die Tür mit einem Kick auf. In dem Moment ertönte ein Schrei, dann hallte eine grausame Stimme durch den Raum. „Avada Kedavra".
Es war, als hätte jemand die Zeit verlangsamt. Harry sah, wie die Todesser sich in einem Kreis aufgestellt hatten. Er sah, wie sein alter Schulleiter vor seinen Augen zusammensackte, als hätte man einer Marionette die Fäden durchtrennt.
Unfähig zu reagieren, richtete er seinen Blick auf die Person, die den Fluch ausgesprochen hatte. Dort, nur einige Meter von ihm entfernt, stand Draco Malfoy, den Zauberstab noch erhoben. Er war kalkweiß im Gesicht und zitterte.
Plötzlich schien die Zeit wieder normal zu laufen. Auroren stürmten in den Raum und schossen mit Schockzaubern um sich. Die Todesser schrieen wild durcheinander. Neben Harry fiel ein Auror tot auf den Boden. Voldemort, der bis jetzt nur als Beobachter in seinem Sessel gesessen hatte, wandte sich amüsiert lächelnd Harry zu.
„Zu spät, mein Freund." Damit lachte er grausam und disapparierte. Die Todesser, durch die Flucht ihres Meisters entmutigt, versuchten ebenfalls zu fliehen. Harry, der endlich aus seiner Erstarrung aufgewacht war, hob seinen Zauberstab und richtete ihn auf Draco. „Stupefy", schrie er ohne lange zu überlegen. Draco wurde sofort starr und fiel nach hinten um. Eilig rannte Harry zu ihm hinüber und riss ihm den Zauberstab aus der steifen Hand. Das Treiben um ihn herum bemerkte er kaum noch. Nach einigen Sekunden verebbte der Lärm. Eine bleierne Stille breitete sich wie eine Decke über den Raum.
Moody trat neben ihn und blickte ihm ernst ins Gesicht. „Hat er den Fluch ausgesprochen, Harry?" Darauf hin nickte er unsicher. „Es sah jedenfalls so aus." Da nahm Moody Dracos Zauberstab. „Das können wir leicht nachprüfen." Damit richtete er seinen eigenen Zauberstab auf Dracos. „Prior Incantato". Sogleich raste ein grauer Lichtstrahl aus dem Stab heraus. Harry wusste, dass er normalerweise grün gewesen wäre. „Offensichtlich der Todesfluch", schloss Moody sachlich. Harry blickte zu Dracos starrem Gesicht. ‚Ich dachte immer, dass er gemein ist, aber fähig zu töten?' Harry führte den Gedanken nicht weiter. Es erschien ihm unbegreiflich. Wie konnte Draco einfach Leben auslöschen?
Moody wandte sich an die übrigen Auroren. „Okay Leute, bringen wir den restlichen Abschaum ins Ministerium." Dann drehte er sich wieder zu Harry um. „Alles in Ordnung, Potter?", fragte er mit forscher Stimme. Harry, unfähig zu sprechen, nickte nur.
:Gegenwart:
„Das ist ja schrecklich, Harry." Hermine hatte die ganze Zeit über geschwiegen, während er von den Ereignissen vor drei Jahren erzählte. Während all der Zeit hatte er sie nicht ein einziges Mal angesehen.
„Vier unserer Leute sind in dieser Nacht gestorben. Sechs Todesser konnten wir fangen, der Rest war geflohen." Harry blickte abwesend zu Boden. Sein Tonfall war sachlich, als würde er einen eingeübten Text hinunter rasseln. Doch Hermine wusste es besser. Das Gleiche war nach Cedrics Tod im vierten Schuljahr geschehen. Er versuchte, die Ereignisse zu verdrängen. Sie bekam Mitleid für ihn. Wie oft hatte er schon den Tod erleben müssen? Seit er ein kleiner Junge war, kannte er nichts anderes mehr.
„Es war nicht deine Schuld, Harry", flüsterte sie ihm beruhigend zu. Harry riss seinen Blick vom Boden. „Ja, da hast du wohl recht", sagte er, doch es klang nicht sehr überzeugt. Dann stand er auf und ging zu dem Kamin hinüber, um einige Holzscheite nachzulegen. „Außerdem sollte ich mich freuen. Sechs Todesser in nur einer Nacht ist ein voller Erfolg. Und einige von ihnen hatten bei ihrer Verhandlung noch weitere Namen genannt. Besser konnte es für uns gar nicht laufen." Es klang, als versuchte er verzweifelt, sich selbst zu überzeugen. Hermine stand auf und kniete sich neben ihn auf den Boden. Dann legte sie ihre Arme tröstend um ihn.
„Es lag nicht an dir. Du hättest Dumbledore nicht helfen können. Wenn du mitten in den Raum geplatzt wärst, hätten sie dich sofort getötet, und das hätte ihm auch nicht mehr geholfen." Wie in Trance wandte Harry seine Augen von den lodernden Flammen ab und sah Hermine an. Die Verzweiflung in seinen Augen schien langsam zu verschwinden; stattdessen lächelte er leicht.
„Danke", sagte er schließlich, nachdem er sie eine Weile betrachtet hatte. „Wofür?", fragte sie verwundert. „Dafür, dass du immer für mich da bist. Dass du versuchst mir zu helfen. Dafür, dass ich mich als dein Freund bezeichnen darf." Hermine fand keine Worte. So schenkte sie ihm nur ein warmes dankbares Lächeln. Noch spät bis in die Nacht saßen beide so da, und hielten sich einfach nur fest.
Später daheim lief Hermine schnurstracks in ihr Arbeitszimmer, nahm sich ein Blatt Papier und Tinte, und schrieb:
‚Liebster Draco,
ich habe beschlossen, dass ich dich in zwei Tagen besuchen komme. Bis dann.
In Liebe
Hermine'
