~°~°~°~Briefe aus Askaban~°~°~°~

11.

Unsicher stand Hermine am nächsten Tag vor der Tür mit der Aufschrift Harry Potter. Es hatte einige Zeit gedauert, bis sie sein Büro in dem weit verzweigten Ministeriumsgebäude gefunden hatte. Schließlich klopfte sie vorsichtig und öffnete langsam die Tür. Dahinter befand sich ein weißer runder Raum, ähnlich dem Büro, welches Dumbledore in Hogwarts gehört hatte.  

Die Wände waren bis auf ein paar eingerahmte Diplome fast völlig kahl. Sie erkannte sofort das Abschlusszeugnis von Hogwarts, denn das bunte Emblem der Schule hob sich deutlich von dem weißen Pergament ab.

Harry saß hinter einem großen Schreibtisch in der Mitte, sein Haar verwuschelt wie immer. Der Tisch war über und über mit Akten bedeckt, so dass die eigentliche Tischplatte kaum noch zu sehen war. Trotz dessen konnte sie zwischen Aktenstapeln ein gerahmtes Foto von Harry, Ron und sich selbst ausmachen. Es war in der siebten Klasse entstanden und alle drei winkten fröhlich lächelnd in die Kamera. Harry blickte gerade mit angestrengtem Gesicht auf eine Akte hinunter. Doch als sich die Tür hinter ihr mit einem Klicken schloss, blickte er überrascht auf.

 „Und du willst ein Auror sein? Hörst nicht einmal, wenn jemand in dein Büro kommt?" Harry grinste und deutete dann auf die Akte vor ihm. „Entschuldige, ich war gerade ziemlich vertieft." „Die Akten von den Todessern, die ihr neulich gefangen habt?", fragte sie verständnisvoll. Er nickte, nahm dann seine Brille ab und rieb sich müde mit dem Handrücken über die Augen. „Wird aber auch langsam Zeit, dass du kommst. Mein Magen hat schon ganz laut geknurrt", beschwerte sich Harry. Hermine ließ sich lächelnd in einen Stuhl vor dem Schreibtisch sinken. Ihr Blick wanderte über seinen Schreibtisch zu dem Foto von ihnen.

„Wo ist Ron eigentlich hin? Ich hab ihn schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen." Harry richtete sich in seinem Drehstuhl auf. „Er ist seit einem halben Jahr bei Charlie in Rumänien. Ron wurde von seiner Abteilung zum Außendienstmitarbeiter befördert, also darf er sich mit den rumänischen Ministeriumsleuten rumquälen, um die nächste Quidditch-Weltmeisterschaft zu planen", erklärte er. „Und wieso schreibt er dann nicht?", fragte Hermine leicht enttäuscht. „Keine Ahnung, ich hab während der ganzen Zeit auch erst zwei Eulen von ihm erhalten, und da stand hauptsächlich drin, dass er die rund um die Uhr beschäftigt ist." „Und du scheinst ja auch einiges zu tun zu haben. Vielleicht sollten wir unser Essen lieber auf ein andermal verschieben?", fragte sie zögernd und stand auf. „Nein, auf keinen Fall", sagte Harry hastig und erhob sich ebenfalls. „Es ist schön, einfach mal wieder Zeit mit dir zu verbringen. Wir sehen uns doch eh schon so selten", sagte er leise. „Ich mach nur noch schnell diese Seite hier fertig, und dann gehen wir Mittagessen, ja?", schlug Harry vor. Hermine setzte sich wieder.

Derweil in einer anderen Abteilung des Ministeriums, schlich ein unsichtbarer Hauself durch die Flure. Immer wieder tastete er prüfend unter sein Gewand, wie er es bezeichnete, um sich zu versichern, dass es noch da war. Schließlich fand er den Raum, nach dem er suchte.

„Abteilung für magische Reisen", stand auf einem Schild, das an der angelehnten Tür befestigt war. Vorsichtig blickte er in das Zimmer, worin sich einige wenige Zauberer und eine Hexe befanden. Einer von ihnen stand und starrte aus dem Fenster, die anderen Beiden andere saßen auf Stühlen, die an den Seiten des sonst leeren Raumes aufgestellt waren. An den Raum grenzte ein Weiterer, der mit diesem durch eine Tür verbunden war. In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet, und ein streng aussehender Zauberer mit korrektem Bart trat in den Raum, in der einen Hand eine braune Kugel, die wie ein alter Quaffel aussah.

 „Meine Dame, meine Herren. Ich bitte Sie, näher zu treten. Der Portschlüssel wird in einer Minute aktiv."

Die Magier traten zu ihm hin und berührten den Ball mit einem Finger. Schnell schlich der Hauself in den Raum hinein und ging vorsichtig auf die Leute zu. Einer von ihnen sah sogar genau auf die Stelle, an der er stand, doch er sah durch ihn hindurch, da er immer noch unsichtbar war. Vorsichtig darauf bedacht, niemanden zu berühren, schritt er zwischen sie und hielt einen seiner langen Finger an den Ball.

„Und es geht los", sagte der bärtige Zauberer und sofort spürte der kleine Hauself ein ruckartiges Zerren, als ob jemand vorne an seinem Tischtuch zog...

Harry hatte ein gemütliches kleines Restaurant ausgesucht, in dem er nach eigener Aussage öfter seine Mittagspausen verbrachte.

„Erzähl mir mehr von deiner Arbeit, Harry", sagte sie, nachdem sie sich gesetzt hatten und ihnen die Karten gebracht wurden. „Was willst du denn wissen?" „Zum Beispiel, ob dir deine Arbeit Spaß macht. Mit wem du so alles zusammenarbeitest." Harry bedachte sie mit einem belustigtem Blick. „Ob mir meine Arbeit Spaß macht? Nun, es ist eher anstrengend als spaßig. Aber es ist irgendwie immer befriedigend, wieder einen der Bösen einzufangen." Hermine nickte verständnisvoll. „Ich arbeite meistens mit Moody zusammen. Aber manchmal kommt auch Remus Lupin mit. Er ist fast die ganze Zeit unterwegs und versucht, andere Werwölfe davon zu überzeugen, für unsere Seite zu kämpfen." Ein Gast am Nachbartisch warf Harry bei dem Wort Werwolf einen seltsamen Blick zu. „Uups, Muggel in der Nähe", flüsterte Harry und brachte Hermine damit zum Lachen. Nach einer Weile beruhigten sie sich wieder.

„Aber da gibt es natürlich noch die schlechten Seiten des Jobs", sagte Harry schließlich, und sein Gesicht verfinsterte sich. „Zum Beispiel, den Hinterbliebenen mitzuteilen, dass ihr Ehemann, ihr Sohn oder ihre Tochter gestorben ist. Das ist am Härtesten. Nicht immer sind wir rechtzeitig da, um jemanden zu retten." Harry zupfte mit gesenktem Blick an seiner Serviette herum. „So wie bei Dumbledore?", fragte Hermine leise. Er blieb still, doch nach einer Weile nickte er. „Ja, wir haben einfach nicht rechtzeitig eingegriffen", sprach er wie zu sich selbst. Eine bedrückende Stimmung lag über ihnen, doch keiner von beiden konnte sich ihr entziehen.

„Dumbledore tot zu sehen muss doch schrecklich für dich gewesen sein?", fragte sie mitfühlend. Doch Harry schüttelte zu ihrer Überraschung den Kopf.

„Ich hatte keine Gelegenheit mehr, mir seine Leiche anzusehen. Irgendjemand aus der Truppe hatte sich sofort um ihn gekümmert."

In dem Moment kam der Kellner an ihren Tisch und nahm ihre Bestellung auf. Als er weg war, seufzte Hermine auf und sah Harry traurig an. „Ich kann einfach nicht glauben, dass er weg ist", flüsterte sie leise.

„Und es ist alles meine Schuld", sagte er daraufhin und starrte abwesend auf seine mittlerweile in kleine Teile zerpflückte Serviette hinunter. Sie blickte ihn überrascht an. „Red doch keinen Unsinn. Sein Tod ist nicht deine Schuld, Harry!" „Auf eine gewisse Weise ist es das doch", erwiderte er stur. „Es war mein Kampf, nicht Dumbledores." Hermine starrte ihn nur unverständlich an.

Sein Kampf? Was hatte das zu bedeuten? Als er ihren verwirrten Gesichtsausdruck sah, begann er zu erklären. „Dumbledore hatte mal erwähnt, dass Professor Trelawney bisher nur zwei richtige Prophezeiungen gemacht hatte. Er hatte mir am Abend der Abschlussfeier von ihrer ersten Offenbarung erzählt, die sie kurz vor meiner Geburt gehabt hatte. Sie war der Grund dafür, dass Voldemort mich töten wollte." Hermine hörte erstaunt zu; davon hatte sie nie zuvor etwas gehört. Voldemorts Beweggründe, Harry umbringen zu wollen, waren ihr nie eingefallen.

„Kennst du die Prophezeiung noch?", fragte sie neugierig. Harry nickte. „Ich weiß den Text nicht mehr genau. Aber das hier habe ich noch in Erinnerung:

... Und es wird erwachen

Ein noch dunkler Stern;

Dessen Schicksal ungewiss;

Einer der dem Bösen trotzt

Mehr weiß ich nicht mehr", schloss er. Hermine betrachtete ihn aufmerksam. „Was soll denn diese Zeile vom ungewissen Schicksal bedeuten?", wollte sie wissen. Er zuckte nur müde mit den Schultern. „Ich habe auch keine hundertprozentig richtige Erklärung dafür. Das Einzige, was mir dazu einfällt, ist dass der Sprechende Hut sich damals nicht sicher war, ob er mich nach Gryffindor oder Slytherin stecken sollte. Wer weiß, wenn ich nach Slytherin gekommen wäre, dann wäre Malfoy bestimmt mein bester Freund geworden", sagte er amüsiert. Hermine betrachtete ihn überrascht, ignorierte aber wissentlich den Malfoy-Kommentar.

„Der Hut wollte dich nach Slytherin stecken?", fragte sie erstaunt. Er nickte. „Und diese Prophezeiung ist der Grund, weshalb es meine Schuld ist, dass Dumbledore tot ist. Er hätte nicht sterben müssen. Voldemort wollte ihn aus dem Weg haben, damit er an mich ran kam."

Als schließlich ihr Essen servierte wurde, aßen sie schweigend, beide in Gedanken versunken.

Draco lag auf seiner harten Liege; die Augen geschlossen; die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Er schlief nicht wirklich, döste nur vor sich hin. Das tat er meistens, wenn die Hitze des Nachmittags in seine Zelle zog. Viel anderes gab es auch nicht zu tun. Ab und zu lieh ihm einer der Auroren ein Buch, mit dem er sich die Zeit vertreiben konnte. Ansonsten gab es für ihn nur essen und schlafen. Und natürlich die Briefe an Hermine...

Beim Gedanken an sie stahl sich ein Lächeln auf Dracos Lippen. Eine Woche war es her, seit sie bei ihm gewesen war. Seitdem war sein Herz von einem schmerzhaften Sehnen erfüllt.

Hinter seinen geschlossenen Augenlidern erschien ihr Bild. Braune Haare, die noch wie in der Schulzeit leicht buschig waren. Warme braune Augen, die ihn mit einem liebevollen Blick bedachten. Ein sinnlich geschwungener Mund, der ihn nachts im Schlaf verfolgte...

Sie trug keine Schminke, war vollkommen natürlich, vollkommen sie selbst. Sie versuchte nicht, wie jede andere zu sein. Sie war einfach nur Hermine. Und dafür liebte er sie.

Während seiner Zeit als Todesser hatte er viele dieser überschminkten „Püppchen" getroffen, die seinem Vater passten, nur weil sie reinblütig waren. Sie sahen alle so gleich aus, mit ihren rot angemalten Lippen und ihren kalten, starren Augen...

Langsam spürte er, wie er an der Grenze zum Schlaf stand, da raschelte es plötzlich, als wäre jemand auf trockenes Stroh oder totes Laub getreten.

Draco störte sich nicht daran. Seltsame Geräusche waren hier keine Seltenheit. Doch als ein kalter Hauch über seine Haut strich, fühlte er sich, als ob jemand neben seinem Bett stand, und Draco regte sich.

Gerade, als er seine Augen langsam öffnen wollte, legte sich eine kühle, raue Hand über seinen Mund. Erschrocken sog er die Luft durch die Nase ein, und seine Augenlider flogen auf. Sein Herz pochte so laut, dass es in seinen Ohren zu hämmern schien.

Als sich sein verschwommener Blick klärte, sah er eine kleine Gestalt mit großen Augen, die neben dem Bett stand und sich über ihn gebeugt hatte.

„Psst! Meister Draco muss still sein, sonst wird Crabby entdeckt", sprach der Hauself leise. Dann nahm er langsam seine Hand von Dracos Mund. Dieser starrte ihn verwirrt an.

„Crabby? Was tust du denn hier drin? Weißt du, was mit dir passiert, wenn man dich erwischt?", flüsterte er aufgeregt.

Crabby zupfte verlegen an dem fleckigen Tischtuch herum, das als seine Kleidung diente.

„Crabby versucht, Euch zu retten, Meister", erklärte der Hauself, sein Blick auf seine dreckigen Füße gerichtet. „Aber das kannst du nicht", hisste Draco ihm entgegen. „Das hier ist Askaban! Man kommt hier nicht einfach raus!" Crabby blickte auf und bedachte Draco mit einem Gesichtsausdruck, der wie ein seltsam verzerrtes Lächeln wirkte. „Aber Crabby ist doch auch reingekommen, Meister", erwiderte der kleine Elf mit selbstsicherer Stimme. Dann griff er unter sein Tischtuch und zog etwas hervor. „Crabby hat Euch etwas mitgebracht", sagte er und steckte ihm ein dünnes Buch entgegen. Draco starrte verständnislos darauf. „Du brichst hier ein, begibst dich in größte Gefahr, nur um mir etwas zu lesen zu bringen?", fragte er ungläubig. Crabby schüttelte den Kopf, wobei seine Ohren hin- und herschlackerten.

„Crabby hat Meister Draco einen Portschlüssel gebracht. So kann Meister Draco entkommen." Draco spürte, wie ihm die Kinnlade hinuntersackte. ‚Ein Portschlüssel?' Sein Erstaunen wuchs. ‚Wie ist er an einen Portschlüssel gekommen?' Dann erst ging ihm die gesamte Tragweite dieser Sache auf. Er konnte fliehen! Er würde frei sein!

„Wann wird er aktiviert?", fragte er leise; die Aufregung in seiner Stimme war kaum verborgen. „Wenn Meister Draco ihn berührt."

Dracos Hand hob sich langsam, wie in Trance. Doch bevor er das Buch berühren konnte, das ihm die Freiheit schenken würde, ertönte vor seiner Zelle ein Geräusch, und sein Kopf fuhr herum. Durch die Gitterstäbe starrte ihn einer der Wärter an. Dracos Hand sank langsam herab.

„Ist alles in Ordnung bei dir, Malfoy?", fragte der Auror mit misstrauischer Stimme. Draco glaubte sich zu erinnern, dass er Hank hieß. Er war einer der Wärter, die ihn am wenigsten leiden konnten. Manchmal, wenn er kurz vorm Einschlafen war, lief Hank an seiner Zelle vorbei, und strich dabei mit seinem Zauberstab über die Gitterstäbe. Er hatte ihm auch damals Hermines ersten Brief gegeben.

Hank trat näher an die Zelle heran. „Was machst du da?", wollte er  wissen. Draco blickte panisch zu der Stelle, wo Crabby stand... oder besser, wo er eigentlich hätte stehen müssen. Denn der kleine Hauself war nicht mehr da. Als wäre er lautlos im Boden versunken. Doch noch während er auf die Stelle starrte, hatte er das Gefühl, als ob sich die Luft dort bewegen würde. Verfügte Crabby etwa über die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen?, ging es ihm durch den Kopf.

„Hey, bist du im Sitzen eingepennt, oder was?", ertönte die Stimme von Hank. Er klang verärgert. Draco wandte sich wieder zu ihm. „Äh, nein. Ich hab nur nachgedacht", erwiderte er schnell. Hank schüttelte verächtlich den Kopf und wandte sich ab. „Verrückter Kerl", hörte er ihn beim Weggehen verächtlich murmeln.

Draco wartete, bis er sicher war, dass Hank weg war, dann griff er mit seiner Hand nach der Stelle, wo Crabby gestanden hatte. Seine Finger trafen auf feste, unnachgiebige Luft. Im nächsten Augenblick erschien Crabby wieder. Einfach so, als hätte er dort seit Ewigkeiten gestanden. Grinsend stand der Hauself vor ihm, das Buch immer noch Draco entgegen gestreckt.

„Meister Draco möchte doch fliehen?", fragte Crabby nach. Draco nickte eilig. „Natürlich! Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, hier drinnen gefangen zu sein." „Dann lassen Sie uns gehen, Meister", schlug er vor und schob ihm das Büchlein zu.

„Wo führt uns der Schlüssel hin?", fragte Draco noch und hielt mit seinen Fingern kurz bevor er das Buch berührte inne.

„Nach Hause", erwiderte der Hauself schlicht. Dann schob er das Buch in Dracos ausgestreckte Finger und im nächsten Moment packte beide der starke Sog...

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So Leute, morgen fahr ich bis Donnerstag auf Klassenfahrt, deshalb stelle ich euch vorher noch mal ein Kapitel rein.

Bin zur Zeit mit der Überarbeitung der ersten Kapitel beschäftigt, und hoffe, dass ich sie bald fertig habe.

Denjenigen, die Buch 5 schon gelesen haben, möchte ich sagen, dass ich mir die Prophezeiung lange vorher ausgedacht habe, bevor ich das Buch gelesen habe.

Danke fürs Reviewen an:

@ Cosma: Hmm, Hauselfen sind wozu da? Um sich um den Haushalt zu kümmern, dazu gehört u.a. auch Aufräumen. Sagen wir also, der Hauself hat die Schublade zwanghaft schließen müssen...

@Viciousdragon: Bei der anderen Geschichte hänge ich im Moment ein wenig hinterher. Sorry.

@ Leaky Cauldron anno1985: Ich weiß selbst nicht, ob er die Briefe geklaut hat, aber gelesen hat er sie auf jedenfall.

@ beckymalfoy: Auf dein Happy end musst du noch warten (wenns überhaupt eins gibt, hehe)