Kapitel 8 – Elfentraining

Am nächsten Morgen wachte Harry mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Auch die Elfen standen in diesem Moment auf. Sie gingen zum nahegelegenen Fluss und wuschen sich an dessen Ufer. Auch Harry machte sich frisch und wusch sich. Meylem ging wie zufällig an ihm vorbei und schubste ihn ins eiskalte Wasser. Seine ganzen Sachen wurden nass.

Instinktiv wollte Harry nach seinem Zauberstab greifen, doch dann erinnerte er sich, dass Merlin ihn mitgenommen hatte. Merlin meinte, das würde nur unnötige Fragen hervorrufen, denn in dieser Zeit gab es so etwas noch nicht.

Die Elfen lachten, nur Chantal sandte Meylem einen strafenden Blick zu. Die Elfen gingen zurück in die Stadt. Chantal blieb noch etwas zurück und sagte Harry: „Du musst dich beeilen. Wir haben nur zwanzig Minuten für das Frühstück, dann müssen wir zum Unterricht. Wenn du zu spät kommst, gibt es Ärger. Kann ich dir irgendwie helfen, Harold?"

Harry sah sie überrascht an, sie war nicht abweisend, sondern freundlich.

„Danke, Chantal. Das ist nicht nötig. Geh zum Frühstück, ich komme sofort nach."

„Wie du meinst." und sie verschwand.

Sobald sie außer Sicht war, führte Harry mit seiner Hand einen Reinigungs- und Trockenzauber aus und folgte Chantal.

Er kam pünktlich zum Frühstück und Meylem warf ihm erst einen überraschten, dann einen drohenden Blick zu, als er sah, dass sein Plan fehlgeschlagen war.

Harry wollte sich mit zu den Schülern setzen, doch sie blockierten ihn. Er wollte sich nicht neben Chantal setzen, damit sie keinen Ärger bekam. Er fühlte, dass auch sie nicht vollständig in der Gruppe akzeptiert wurde.

 Das Frühstück bestand aus Milch, Wasser und einem weichen hellen Brot, das die Elfen Lembas nannten. Es schmeckte überraschend gut und er fühlte sich danach wirklich gestärkt.

Es würde erst wieder abend etwas zu essen geben.

Harry sah zu Meylem und konzentrierte sich auf den Becher mit Milch. Er führte einen Bannzauber aus, nur mit Hilfe seiner Augen und der Becher rutschte vom Tisch und die Milch ergoß sich über Meylems Hosen.

Er sprang auf und rief: „Verdammt!"

Harry grinste und sah sofort unschuldig auf seinen Teller hinab.

Chantal hatte ihn beobachtet und nur gesehen, dass seine Augen kurz aufleuchteten, bevor der Becher umkippte. Hatte er das verursacht, fragte sie sich.

Der erste Unterricht bestand aus Bogenschießen.

Der Lehrer hieß Dalan und war ein sehr strenger Lehrer. Er musterte Harry mit einem abwertenden Blick und warf ihm einen Bogen und einen Köcher zu. Er deutete auf eine Zielscheibe etwa fünfzig Meter entfernt. Harry schoss nicht nur daneben, nein, sein Pfeil kam nicht mal bis zum Ziel. Die anderen Elfen lachten nicht, das würde sie vor ihrem Lehrer erniedrigen, nein, aber sie warfen ihm eindeutig höhnische Blicke zu.

„So, Mensch. Das war nichts. Wie willst du ohne Pfeil und Bogen in der Wildnis überleben? Wartest du, dass ein Tier von selbst zu deinem Feuer kommt, oder was? Hol die Pfeile."

Harry machte sich auf die Suche und hatte bald seine Pfeile eingesammelt.

Er beobachtete scharf, wie die anderen Elfen schossen. Zuerst stellte er fest, dass er völlig falsch gestanden hatte. Er musste sich seitlich zum Ziel stellen, die Füße etwa schulterbreit auseinander. Den linken Arm musste er voll durchstrecken, den Bogen in Richtung Ziel halten und dann den rechten Arm durchziehen. Er beobachtete mit einem Neidgefühl, wie Dalan jedem anderen Schüler Tipps gab und seine Haltung korrigierte, jedem Schüler, bis auf Chantal. Doch sie konnte wenigstens auch so mit den anderen mithalten.

Er zuckte mit den Schultern und übte weiter. Er versuchte umzusetzen, was er beobachtet hatte. Seine schnelle Auffassungsgabe half ihm deutlich weiter. Diesmal flogen die Pfeile weit genug, jedoch flog jeder Pfeil woanders hin. Beim dritten Versuch, konzentrierte er sich auf seinen Pfeil und auf den Bogen. Er suchte sich einen Anhaltspunkt. Zuerst achtete er darauf, dass er die Sehne immer gleich durchzog. Dann konzentrierte er sich darauf, dass die Sehne und die linke Seite des Bogens immer eine Linie bildeten. Nun zielte er über die Pfeilspitze. Der erste Schuss ging links daneben. Beim zweiten Schuss korrigierte er seinen Anhaltspunkt und er ging endlich auf die Scheibe, zu tief. Der dritte ging in die Nähe des Zentrums. Er war erleichtert. Doch was würden die anderen von ihm denken, wenn er plötzlich treffen würde?

Er zielte nicht mehr auf die Mitte der Scheibe, sondern auf zufällige Punkte der Scheibe. Obwohl er bereits nach einer Woche jeden Punkt traf, sah es für die anderen so aus, als würde er niemals die Mitte treffen. Er setzte seine Scharade fort, als die Entfernungen variiert wurden. Für Harry war das kein Problem, doch niemand wusste es.

Am Nachmittag des ersten Tages kam der Reitunterricht dran. Erst erhielten die Schüler Unterricht, wie sie die Pferde zu pflegen hatten. Dann kam der Moment, wo jeder Schüler ein Pferd auswählte. Harry wurde als letzter aufgerufen und es war nur noch ein Pferd da. Wo alle anderen Pferde weiß und schlank waren, war seines tiefschwarz und kräftig. Es war sogar etwas höher als die anderen und die waren schon beeindruckend groß. Doch als Harry dem Pferd in die Augen schaute, wurde ihm ganz anders. Aus seinen Augen, es war ein Hengst, sprach Ungestüm, Feuer und Wildheit. Als Harry nach dem Pferd griff, schnappte es nach ihm. Die anderen Schüler lachten diesmal offen, weil der Lehrer mitlachte. Alle, natürlich bis auf Chantal. Sie war vor ihm dran gewesen und hatte ebenfalls ein wildes Pferd bekommen, eine Stute.

Nun mussten sich die Schüler um die Pferde kümmern. Der Lehrer, Rigel, zeigte ihnen, worauf sie zu achten hatten. Ungesehen von den anderen beschwor Harry einen Apfel herbei. Er teilte ihn und gab eine Hälfte seinem Pferd. Er nannte es ‚Schatten' weil es so schwarz war.

Als das Pferd den Apfel nahm, streichelte Harry seine Stirn und seine Nüstern. Diesmal ließ Schatten es sich gefallen und Harry lächelte ihm zu. Schatten schnaubte.

Harry gab sich besonders viel Mühe beim striegeln und abreiben des Pferdes.

Am Abend nahm er erschöpft am Mahl teil. Er überhörte, wie sich die anderen Schüler über ihn lustig machten. Sie meinten, er würde nie das reiten lernen. Kein Elf hatte es bisher geschafft, Schatten zu zähmen, ein Mensch würde es erst recht nicht schaffen.

Nach dem Abendessen bekamen sie noch eine Stunde in der Theorie hinter der Magie der Elfen. Sie würden sie jedoch nicht praktizieren vor dem zweiten Halbjahr. Es würden auch nur die gelehrt werden, die Potential dazu hatten. Dann fielen alle erschöpft ins Bett.

Harry meditierte noch und leerte seinen Geist. Er prüfte seine Schutzmassnahmen und überlegte, wie er sich rächen würde.

Am nächsten Tag stand Schwertkampf auf dem Programm. Harry bekam das gleiche Modell, wie alle anderen Elfen. Es erinnerte ihn an ein Katana-Schwert, nur war es etwas kürzer und handlicher. Dennoch kam es ihm ziemlich schwer vor. Der Lehrer, Roule, zeigte ihnen zunächst, wie sie die Schwerter zu pflegen hatten. Dann zeigte er ihnen, wie sie zu kämpfen hatten. Roule war zwar streng, doch er behandelte alle Schüler gleich.

Am Nachmittag begannen sie mit dem spirituellen Unterricht. Die Elfen sollten lernen, die Magie um sich herum zu spüren, die Muster wahrzunehmen und sie zu manipulieren. Das war die Methode der Elfenmagie. Sie woben ein Muster um ihre Magie zu wirken.

Harry fiel zwar schnell in die Meditation, konnte die Magie jedoch nicht wahrnehmen, als er alle seine Sinne nach außen richtete.

Der Lehrer machte ihm von Anfang an klar, was er von ihm hielt:

„Du bist ein nichts, Mensch. Deine Aura zeigt, dass du nur unterdurchschnittliche magische Fähigkeiten hast. Wenn du auch nur einen Zauberbann weben kannst, bin ich wirklich überrascht."

Der Lehrer wusste natürlich nichts davon, dass er nicht seine tatsächliche Aura sah.

Ab der zweiten Woche, hatten sie abends nach dem Essen Zeit, die Bücher zu studieren. Die meisten Elfen kümmerten sich nicht um die Bücher, sondern führten Scheinkämpfe gegeneinander um zu trainieren. Einmal versuchte Harry mitzumachen. Meylem kämpfte so unfair und hinterhältig, dass es ihm eine Lehre war. Harry zog sich zu den Büchern zurück und studierte. Er lernte alles über die Elfenmagie, was er in die Finger bekam. Dann wandte er sich Büchern zu über den Schwertkampf. Er fand ein sehr altes Buch, das den ‚Tanz der Klingen' beschrieb. Außerdem stand in diesem Buch sehr viel über die Strategie des Schwertkampfes. Er lernte in den nächsten Wochen, seine Gegner genau zu beobachten, er versuchte, ihre nächsten Schritte vorauszuahnen und überlegte sich Konter dazu. Doch er führte sie nie aus. Er ließ sich immer nach einigen Blocks schlagen.

Er hatte sein Schwert verändert. Er hatte die Balance verbessert, doch er hatte es etwas schwerer gemacht, als es eigentlich sein sollte, natürlich mit einem Transfigurationszauber.

Er dachte sich, wenn er mit einem überschweren Schwert trainieren würde, könnte er schneller die nötigen Muskeln aufbauen und wäre mit einem normalen Schwert wahrscheinlich auch schneller.

Dann zog er sich nach dem Abendbrot und nach der Studienzeit in sein Bett zurück, während die anderen noch aufblieben, doch er blieb nicht im Bett. Er hatte gelernt, eine Illusion zu erschaffen, dass es schien, er läge im Bett. Tatsächlich jedoch, zog er sich in den Wald und auf eine Lichtung zurück, die zehn Minuten entfernt lag. Dort trainierte er die Schwertübungen. Außerdem hatte er ein Buch über den waffenlosen Kampf und den Kampf mit Dolchen gefunden. Auch diese Übungen trainierte er stundenlang.

Erst gegen Mitternacht kehrte er ins Lager zurück, als er sicher war, dass alle anderen bereits schliefen.

Er stand jedoch vor den anderen um vier wieder auf und begab sich in die Bibliothek.

Nach jahrelangen albtraumgeplagten Nächten, brauchte er nur wenig Schlaf.

Nach zwei Stunden ging er zu seinem Hengst und verbrachte eine Stunde bei ihm. Er redete auf ihn ein, rieb ihn ab und führte ihn aus. Der Hengst fasste langsam Vertrauen zu ihm.

Bald würde sich erweisen, ob er Harry auch reiten lassen würde.

Genaugenommen war heute der Tag, wo die Elfen lernen sollten, zu reiten.

Nach dem Frühstück führten sie ihre Pferde zur Weide und der Lehrer erwartete sie. Jeder Schüler stand neben seinem Pferd. Chantal warf ihm einen mitleidigen Blick zu.

Dann stiegen die Elfen auf. Einige der Pferde scheuten etwas, doch keines machte wirkliche Probleme. Dann war es an Harry. Auch er schwang sich auf das Pferd und er war schon erleichtert, als es ruhig blieb... für zehn Sekunden. Dann fing es an, zu bocken. Es versuchte ihn abzuwerfen und nach weiteren zehn Sekunden landete er schmerzhaft auf dem Boden.

Alle lachten mit Ausnahme von Chantal.

„Wenn du es noch schaffen solltest, auf dem Pferd zu bleiben, Mensch, dann folge uns zum See. Ich kann nicht wegen einem Menschen die ganze Gruppe in Verzug kommen lassen. Abmarsch."

Sie ritten fort. Unbemerkt von allen, wurden sie von der Königin beobachtet, ihre Stirn in Falten gezogen.

Als alle weg waren, streichelte Harry Schatten und stieg wieder auf. Wieder bockte das Pferd, doch diesmal konterte Harry mit all seinen Quidditch-Reflexen. Er ließ sich diesmal nicht überraschen, wie vorhin. Nach zwanzig endlosen schweißtreibenden Minuten beruhigte sich Schatten. Harry holte tief Luft und rief: „Jep." und reckte stolz seine Faust in die Luft.

Dann gab er Schatten mit seinen Schenkeln das Signal zum reiten und er ritt los, erst im Trab, dann im Galopp und bockte etwas... offenbar war Schatten noch nicht unterworfen. Doch Harry ritt nicht zum See, sondern in die entgegengesetzte Richtung.

Die Königin beobachtete das mit einem stolzen Lächeln, ja, dieser Mensch war etwas besonderes.

Harry war mit seinem Pferd zurück auf der Koppel vor allen anderen. Er hatte Schatten unter seine Kontrolle gebracht. Er reagierte bereits sehr gut auf Harrys Signale. Harry hingegen hatte sich, zumindest am Ende des Rittes, auf die Bewegungen des Pferdes eingestimmt. Er würde heute abend, spätestens morgen früh all seine Muskeln spüren, befürchtete er stöhnend.

Wie immer rieb Harry sein Pferd sehr sorgfältig ab und gab ihm einen Apfel zur Belohnung. Die Wildheit und Sturheit aus Schattens Blick war Treue, Zuneigung und Vertrauen gewichen und das bereits am ersten Reit-Tag .

Wieder ging Harry abend in die Bibliothek, nachdem er beim Abendessen zum Gespött der Elfen geworden war. Er ließ es an sich abprallen. Er wusste, er würde hier keine Freunde finden und sein mentales Training machte ihn immun gegen den Hohn. Er wusste, er würde gestärkt aus diesem Jahr hervorgehen und er nahm sich etwas vor. Er würde auch als bester aus diesem Jahr hervorgehen. Er würde es ihnen heimzahlen.

Er vertiefte sich in ein Buch über Meditation. Plötzlich kam Chantal zu ihm und setzte sich neben ihn.

„Hallo Chantal." grüßte Harry sie höflich. Sie war die einzige, die ihm bisher nichts getan hatte.

„Hallo Harold. Hast du es noch geschafft, auf deinem Pferd zu bleiben?"

Harry musterte sie und zuckte nur mit den Schultern.

„Wir haben gelernt, zu reiten, zu galoppieren und zu traben. Außerdem zeigte uns der Lehrer, wie man Hindernisse überwindet. Morgen werden wir unsere Bogen mitnehmen und während des Reitens schießen. Kann ich dir irgendwie helfen, Harold?"

Sie klang absolut ehrlich.

„Vielen Dank, Chantal. Doch du kannst mir nicht helfen. Ehrlich gesagt hast du mir bereits geholfen. Warum meiden dich die anderen? Ich meine, bei mir ist es klar, ich bin nur ein Mensch, doch bei dir?"

Sie blickte traurig zu Boden und in diesem Augenblick wurde ihm klar, dass er einem Mädchen gegenübersaß, dass ihr ganzes Leben unter dieser Einsamkeit gelitten hatte, fast so wie er. Doch er hatte zumindest in Hogwarts Freunde gefunden.

„Sie halten mich für minderwertig, weil ich schwarzes Haar habe, genau so, wie niemals ein Elf freiwillig dein Pferd geritten hätte nur weil es schwarz ist."

„Und hältst du dich für minderwertig?"

„Nein. Ich weiß, dass ich in den meisten Gebieten sogar besser bin als sie, doch ich vermeide es, das auch zu zeigen."

Harry lächelte bei dem Gedanken, sie dachte genau wie er.

„Das deckt sich mit meinen Beobachtungen. Du bist locker die Beste des ganzen Jahrganges. Es ist nur schade, wenn sich die Lehrer auch um dich kümmern würden, so wie sie es mit den anderen tun, dann könntest du noch besser sein."

Sie sah ihn überrascht an, „Du hast mich beobachtet?"

Er wurde etwas rot, „Ähm... ja."

„Ich muss zugeben, ich bin überrascht. Du scheinst dich nicht sonderlich zu kümmern, was wir Elfen machen. Obwohl, ich kann es nicht verdenken, da dich die anderen für minderwertig halten und sich entsprechend benehmen."

„Hältst du mich für minderwertig?" fragte er.

Sie sah ihm in die Augen und er erkannte Unsicherheit, „Ich weiß es nicht. Wir wurden alle so erzogen, das zu glauben. Doch du bist stark. Jeder wäre unter diesem Druck, den die anderen auf dich ausüben zerbrochen, doch du bleibst hart, wie ein Fels. Doch jetzt sehe ich dich lächeln und weiß, dass du auch fühlst. Ich weiß nicht, was ich von dir halten soll, Harold. Du scheinst nichts zu meistern, doch ich habe dich auch beobachtet. Irgendetwas stimmt nicht. Wenn niemand hinsieht, wirkst du sicher, selbstbewusst. Das ist zum Beispiel nach jedem Schuss mit dem Bogen geschehen, obwohl du nie die Mitte triffst."

In diesem Moment traf Harry eine Entscheidung. Er brauchte sowieso einen Trainingspartner, wenn er sich im Schwertkampf verbessern wollte.

„Chantal, vertraust du mir?"

„Ja, du hast mir keinen Anlass für etwas gegenteiliges gegeben."

„Ich wünschte, wir könnten Freunde werden. Doch was geschehen soll, wird auch geschehen. Jetzt möchte ich, dass du mitkommst."

Er führte sie in sein Schlafgemach, wie üblich war noch niemand da. Mit einem Wink seiner Hand entstand die Illusion. Chantals Augen weiteten sich. Dann ging er in ihr Schlafgemach und erzeugte eine perfekte Illusion von ihr.

„Wenn du sie später berührst, verschwindet sie. Und jetzt folge mir, leise."

Er führte sie über seinen Pfad zu der Lichtung und erzeugte mit seiner Hand einen Schallschutzzauber und eine Illusion, die sie vor neugierigen Blicken verbarg.

„Ich zeig dir mal was."

Er ging zu einem Busch und zog eine komplette Ersatz-Bewaffnung hervor.

Mit einem weiteren Wink erschien eine Zielscheibe in neunzig Metern Entfernung, beleuchtet von zwei Fackeln.

Innerhalb von dreißig Sekunden hatte er zehn Pfeile abgeschossen und jeder traf das Zentrum.

„Das ist großartig, Harold. So gut schießt niemand von den Elfen." sagte Chantal beeindruckt.

Dann nahm er das Schwert und gab Chantal ein zweites, „Halt dich diesmal bitte nicht zurück. Auch ich zeige dir mein Potential."

Sie nickte ihm zu.

Innerhalb von zehn Sekunden war sie entwaffnet.

„Wie hast du das gemacht? Nein, warte. Sag es mir nicht. Ich verspreche dir hiermit bei meinem Leben, ich werde niemandem etwas über das sagen, was heute hier geschehen ist. Ich möchte dich bitten, nicht als Gegenleistung selbstverständlich, mich zu trainieren."

Harry lächelte und nickte ihr zu, „Abgemacht!"

Von nun an trainierten Harry und Chantal jeden Abend und Morgen, nur an den Wochenenden (Ja, so etwas gibt es auch bei den Elfen) machte Chantal nicht mit, sie musste den fehlenden Schlaf nachholen. Die Wochenenden waren Harry am liebsten, es gab keinen Unterricht und er konnte sich den ganzen Tag auf seine Studien konzentrieren.

Er war nahezu besessen davon, die Magie der Elfen zu erlernen. So war es auch diesen Sonntag. Er meditierte wieder und richtete seine Sinne nach außen, doch wieder nahm er keine Muster wahr. Da es nicht klappte, richtete er seine Konzentration nun nach innen, dann könnte er wenigstens seine Stablose Magie verbessern.

Er überlegte sich, was er machen wollte, als er ohne Zauberspruch in Gedanken seine Magie aus seinem Zentrum schöpfte und nach außen richtete. Er sah die Muster.

Vor Schreck, verließ er die Trance.

Was war gerade geschehen?

Er ging wieder in Meditation und richtete seine Konzentration nach innen, dann schöpfte er aus seiner Magie und richtete sie nach außen. Ja, er konnte wieder die Muster sehen.

Er nahm die Magie um ihn herum wahr.

Er konzentrierte sich auf die Schutz- und Illusionszauber um ihn herum.

Er konnte sie fühlen, wie sie arbeiteten. Er zupfte mit seiner Magie hier und dort an dem Muster und modifizierte es. Die Illusion würde nun bestehen bleiben, auch wenn er nicht hier war. Die Magie würde aus der Natur selbst kommen.

Er hatte erkannt, was das Problem war. Die Elfen bezogen ihre gesamte Magie aus ihrer Umgebung, während sie bei den Menschen von innen kam. Er musste erst sein Zentrum der Magie finden, damit er die Magie außen manipulieren konnte. Deswegen hätte er nie die Elfenmagie gelernt, wenn er nicht zufällig über diesen Zusammenhang gestolpert wäre.

Nach zwei Monaten bei den Elfen war er wieder einen großen Schritt weiter gekommen.

Er befreundete sich immer mehr mit Chantal und Elaine beobachtete das mit Wohlgefallen.

Sie hatte sonst niemanden und der Mensch, Harold, korrigierte sie sich, hatte keine Vorurteile gegen sie, obwohl in die anderen Elfen wie den letzten Dreck behandelten.

Sie versuchte oft, seine Aura zu lesen, doch sie sah immer nur durchschnittliches Potential, selbst für einen Menschen. Wieso setzte Emrys so großes Vertrauen in ihn?

Wie würde er sich bei der letzten Prüfung schlagen?

Würde er es schaffen, die Magie der Elfen, der Bannweber zu meistern?

Sie unterhielt sich oft mit Chantal, doch sie gab ihr auch keinen Hinweis. Trotz des eisernen Willen des Menschen, zweifelte sie daran, dass seine Ausbildung hier erfolgreich verlaufen würde. Hatten sie Emrys im Stich gelassen? Schlimmer noch, hatten sie Harry im Stich gelassen?

Sie wusste keine Antwort darauf.

Chantal kam am Nachmittag zu Harrys Trainingsplatz.

Er machte gerade Pause und fütterte Schatten. Sie setzte sich zu ihm.

Harry betrachtete gedankenverloren ihre zauberhafte schlanke Gestalt und ihr schönes freundliches Gesicht. Er hatte in sich in letzter Zeit immer mehr zu ihr hingezogen gefühlt. Ihre Nähe schenkte ihm ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit, wie er es noch nie kennen gelernt hatte, nicht mal bei seinen besten Freunden.

„Hi Harold. Was fütterst du deinem Pferd?"

„Das ist ein Apfel." antwortete er lächelnd.

„So eine Frucht habe ich noch nicht gesehen."

„Kannst du auch nicht, sie existiert noch... äh hier noch nicht, jedenfalls nicht in dieser Form."

Er beschwor einen weiteren Apfel und hielt ihr eine Hälfte hin. Die andere aß er.

„Hmm. Das schmeckt gut. Sag mal, ich habe dich noch gar nicht gefragt, wie du dein Pferd genannt hast."

„Es heißt Schatten, weil es so schwarz wie die Nacht ist."

Sie musterte Schatten und streichelte ihn. Dabei fiel ihr ein Muster auf der Stirn des Pferdes auf.

„War das schon immer hier?" fragte sie Harry.

Harry strich über das blitzförmige Muster.

„Nein, es wird immer deutlicher, aber vorher war seine Stirn schwarz."

Sie musterte das Symbol, dann fiel ihr Blick auf Harrys Narbe.

„Oh, jetzt weiß ich, was das zu bedeuten hat, Harold. Du hast einen Bund mit deinem Pferd geschlossen. So etwas ist sehr selten."

„Einen Bund?"

„Ja, dein Pferd hat sich mit dir verbunden, es trägt dein Symbol."

Abwesend fuhr sich Harry über die Narbe.

„Wo hast du die Narbe her?" fragte sie und erschrak, als sie den Ausdruck von Trauer und Verzweiflung in seinen Augen bemerkte.

Er setzte sich nieder und erzählte seine Geschichte.

Am Ende weinte Chantal und er umarmte sie beruhigend. Erst nach zwanzig Minuten löste er die Umarmung, als er bemerkte, dass sie sich beruhigt hatte. Er küsste ihr auf die Stirn.

Sie sah ihn plötzlich sehr nachdenklich an, dann küsste sie ihn zärtlich auf den Mund.

Harry saß wie erstarrt. Ein Gefühl von Hitze und Zuneigung durchfloss ihn, wie er es noch nie erlebt hatte. Sein Herz stand in Flammen.

Dann löste sie sich und ihr Blick deutete an, dass sie gerade das gleiche empfunden hatte.

„Wow." meinte er.

„Ja. Wow. Harold, glaubst du an die wahre Liebe, an Seelenpartner?"

„Ich weiß nicht. Es mag sein, dass es so etwas gibt, das zwei Menschen oder Elfen füreinander bestimmt sind."

„Wir Elfen wissen, dass es so etwas gibt. Bei uns ist das häufig, da wir viel Zeit haben, nach der oder dem einen zu suchen. Ich weiß nun, dass wir Seelenpartner sind."

Harry sah sie liebevoll und glücklich an, doch dann wandelte sich sein Blick in Schrecken.

„Nein, das darf nicht sein."

„Was? Warum nicht? Stört es dich, dass ich eine Elfe bin?"

„Nein, Chantal. Ich finde dich wunderschön und ich könnte mir sehr wohl ein Leben mit dir vorstellen."
"Ist es, dass ich wesentlich älter werde, als du?"

Plötzlich hörte Harry Emrys in seinem Geiste lachen, ‚Harry, du bist etwas besonderes. Ich wage zu behaupten, dass deine Lebensspanne genau so lang ist, wie die der Elfen.'

Harry blickte irritiert.

„Was ist?" fragte Chantal.

„Das war Merlin, äh... Emrys. Er meinte, darüber müsste ich mir keine Gedanken machen. Er sagte ich könnte genau so lange leben, wie du."

„Ehrlich?" strahlte Chantal.

„Ja, aber das ist auch nicht das Problem. Chantal, Harold Evans ist nicht mein richtiger Name. Ich habe ihn geändert, weil ich nicht aus dieser Zeit komme, sondern aus der Zukunft."

„Ist... ist das wahr?" fragte sie bestürzt.

„Ja. Nach Menschenzeitrechnung haben wir jetzt das Jahr 802. Ich wurde im Jahr 1980 geboren. Und ich sage dir jetzt ganz offen und ehrlich, ich werde alles tun, dass ich in diese Zeit zurückkehren kann. Meine Freunde zählen auf mich. Ich kann sie im Kampf gegen den dunklen Zauberer nicht im Stich lassen."

Chantal saß erst einmal wie erstarrt. Wieder traten ihr Tränen in die Augen.

„Das ist ungerecht. Ich habe meinen Seelenpartner gefunden und nun höre ich, das soll nicht sein?"

„Chantal, mir geht es genau so. Ich habe mein Leben lang nicht das geringste Quäntchen Liebe gespürt. Nun treffe ich dich und du hast mein Herz entflammt. Du glaubst gar nicht, wie schwer es mir fällt, mich meinem Schicksal zu stellen. Doch wenn ich nicht zurückkehre in die Zukunft, werden meine Freunde sterben. Das kann und werde ich nicht zulassen."

Sie schluchzte, „Und wenn es anders wäre, wenn das Hindernis der Zeit nicht zwischen uns stehen würde, würdest du unserer Liebe dann eine Chance geben."

Harry dachte nach, sie waren so unterschiedlich, doch er wusste, was er fühlte, was er empfand. Er hatte tatsächlich sein ganzes Leben keine Liebe gekannt und dennoch erkannte er das Gefühl und er war sich sicher, schon nach dieser kurzen Zeit. Chantal wäre die eine, die einzige und er wusste in diesem Moment, er würde nie eine andere lieben.

„Ich habe dir meine Geschichte erzählt, Chantal. Ich bin in meiner Zeit in großer Gefahr. Mich stört das nicht so sehr, aber meine Freunde sind ebenfalls wegen mir in Gefahr und als Freundin wärst du in noch größerer."

„Das ist mir egal. Ich kann mich verteidigen. Hey, ich bin ein Paladin. Und da ich deine Geschichte kenne, weiß ich auch, worauf ich mich einlasse."

Harry seufzte und er dachte nach, vielmehr befragte sein Herz, schließlich antwortete er:

„Chantal, wenn dieses Hindernis nicht zwischen uns stehen würde, würde ich nicht nur unserer Liebe eine Chance geben, ich würde dich sogar heiraten, wenn du es wollen würdest."

„Schwörst du das?"

„Das schwöre ich dir bei meinem Leben."

Sie legte ihren Kopf an seine Schulter. Und seufzte.

Plötzlich trat ein Wolf auf die Lichtung. Harrys Kopf zuckte hoch, doch er spürte, dass von diesem Wolf keine Gefahr ausging.

Plötzlich wandelte sich der Wolf und vor ihnen stand Königen Elaine.

Harry stand auf und verneigte sich vor ihr.

„Königin Elaine."

„Harold, Chantal. Ich muss schon sagen, dass ist eine beeindruckende Illusion, die ihr da aufgebaut habt. Obwohl ich spürte, dass sie da war, konnte ich nicht durch sie hindurch treten. Erst als Tier gelang es mir."

„Mum, das ist Harrys Werk. Ich habe noch nicht so viel Magie gelernt."

Harrys Kopf flog herum, „Mum?"

Sie schaute verlegen zu Boden, „Die Königin ist meine Mutter."

„Oh Gott. Warum muss so etwas immer mir passieren. Ähh... Verzeihung Königin. Das war nicht böse gemeint."

„Harold, das habe ich nicht so aufgefasst. Nun, Chantal, ich habe deine Aufregung gespürt. Was ist los?"

„Mum, ich habe herausgefunden, dass Harold mein Seelenpartner ist."

Die Königin musterte ihn nachdenklich, „Ehen zwischen Menschen und Elfen sind selten, doch es gab sie schon. Es ist nicht das Problem, wenn ihr mit den Konsequenzen leben könnt, z. B. Harolds kürzerer Lebensspanne."

„Das ist tatsächlich nicht das Problem, Königin." antwortete Harry verlegen, „Das Problem ist, ich komme aus der Zukunft, genauer gesagt, über tausend Jahre aus der Zukunft. Aber bitte sagen sie das niemandem weiter."

„Dein Geheimnis ist bei mir sicher, Merlin hat mich schon informiert. Ihr habt recht, das ist ein Problem. Ich werde darüber nachdenken."

„Danke, Mum."

„Und eure Studien, schreiten sie voran?"

„Es geht so, Königin." antwortete Harry bescheiden.

Chantals Augen funkelten vergnügt und die Königin sah sie fragend an.

„Dann macht weiter." Damit ging sie.

Harry stieß zwei kurze schrille Pfiffe aus und zwei Minuten später kam Schatten angerannt. Zu seiner Überraschung hatte er Chantals Pferd im Schlepptau.

Harry lachte, „Scheint so, als wären wir nicht die einzigen, die ihren Seelenpartner gefunden haben, Chantal."

Er hatte sein Pferd schon ordentlich trainiert.

Sie ritten durch den Wald und unterhielten sich.

„Du bist also Prinzessin Chantal?"

„Ja. Stört es dich?"

„Nein. Trotzdem du Prinzessin bist, schließen dich die anderen Elfen aus?"

„Ja, wäre ich eine normale Elfe, hätten sie mich vielleicht davongejagt. Mit schwarzen Haaren verbinden die Elfen Unheil."

Harry grinste teuflisch, „So ein weises Volk und doch so abergläubisch. Dann werden wir ihnen wohl eine kleine Lektion erteilen. Niemand legt sich mit meinen Freunden an, so wahr ich ein Nachkomme eines Marauders bin."

„Was sind Marauder?"

Harry erzählte ihr die Geschichte der Rumtreiber, der Marauder und dass sein Vater alias ‚Krone' ein Mitglied der Scherzbolde war.

Es wurde ein schöner entspannter Sonntag für die beiden.

Es war einen Monat später, als Harry gedankenverloren auf seiner Lichtung saß und den Sonnenuntergang beobachtete. Seine durch das Elfentraining überaus geschärften Sinne schreckten ihn auf, doch ohne sich umzusehen, erkannte er Chantal, wie sie leise hinter ihn trat.

„Hallo Prinzessin." sagte er leise, „Setz dich doch und betrachte mit mir den Sonnenuntergang."

Sie setzte sich, jedoch nicht neben ihn, sondern auf seinen Schoß und umarmte ihn zärtlich.

„Harold, wann musst du uns wieder verlassen?"

„Wenn meine Ausbildung hier beendet ist, also in neun Monaten. Warum fragst du?"

„Ich habe lange nachgedacht. Ich fühle mich zu dir hingezogen, nicht nur freundschaftlich. Ich habe versucht dagegen anzukämpfen, doch es ist sinnlos. Immer wenn ich dich sehe, fühle ich Wärme und Zuneigung. Ich kann nichts dagegen tun und ich möchte es auch nicht mehr."

„Mir geht es genau so, Chantal." seufzte Harry.

„Ich habe mich entschlossen, unserer Liebe eine Chance zu geben, trotz des beschränkten Zeitrahmens, der uns bleibt." sagte sie leise und schaute ihm ängstlich in die Augen.

Sein Herz machte einen Sprung, hatte sie das gerade wirklich gesagt?

Er wünschte sich nichts mehr, als seiner Liebe nachzugeben, doch würde es sie nicht verletzen?

„Chantal, auch ich habe nachgedacht. Wenn wir diese Beziehung zulassen wird es sehr wehtun, Abschied zu nehmen."

„Ich weiß, doch es tut noch mehr weh, dich zu sehen und dich doch nicht lieben zu können. Es bricht mir das Herz. Und wir wissen beide, dass unser Glück zeitlich begrenzt ist. Der Abschied zwischen uns wird so oder so schmerzhaft."

„Willst du das wirklich?"

Sie nickte und hatte feuchte Augen.

Langsam näherten sich ihre Lippen. Diesmal war es kein scheuer überraschender Kuss, sondern ein Kuss voller Zärtlichkeit und Leidenschaft. Langsam zog er ihre zärtliche Gestalt an sich heran und erwiderte ihre Umarmung. Sanft strich er mit seiner Hand durch ihr langes schwarzes Haar und streifte dabei ganz sanft ihre spitzen Ohren.

Ein sanftes Stöhnen entschlich ihrem Mund.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie sich lösten.

„Aber eines möchte ich von vorneherein klarstellen, Chantal. Ich werde nicht das Bett mit dir teilen. Ich würde mir mein Leben lang Vorwürfe machen, dass ich die Situation ausgenutzt hätte und dich verletzt hätte."

Sie sah in seine tiefen und absolut ehrlichen Augen und nickte seufzend.

Nach weiteren neun Monaten neigte sich ihre Ausbildung dem Ende entgegen. Harry hatte gelernt, wie die Bannweber der Elfen zauberten, wie sie teleportierten und starke Wach- und Schutzzauber webten. Er hatte gelernt zu heilen und hatte sein Wissen über Kräuter und Zaubertränke vertieft. Er ritt, schoss und focht wie der beste Paladin der Elfen und seine Magie überstieg alles, was die Elfen kannten. Nur keiner der Elfen wusste es und selbst Chantal hatte nur einen kleinen Eindruck von dem, was Harry wirklich in diesem Jahr gelernt hatte.

Er hatte seine Liebe zu Chantal genossen, jede Sekunde, die er mit ihr zusammen verbringen konnte. Sie hatten sich nur heimlich getroffen auf ihrer Lichtung und nur die Königin wusste davon. Es grämte ihn, dass er sie verlassen musste, doch er musste sich seinem Schicksal stellen.

Nebenbei hatte Harry sein Abschiedsgeschenk für die Schüler vorbereitet. Er würde sich für den Hohn und die Missachtung der anderen ihm gegenüber und Chantal gegenüber rächen und ihnen gleichzeitig eine Lektion erteilen. Es würde am Abend der Zeremonie in Kraft treten.