Curriculum 06: Freundschaft
Saki stand vor dem Quartier der Anwärter 87-89 und wartete. Sie wollte Clay zum Training abholen - und außerdem musste sie ihm endlich gestehen, was sie für ihn empfand. Weiter zu schweigen würde nichts ändern. Als erstes verließ Hiead das Zimmer, mit mürrischem Gesichtsausdruck, wie gewöhnlich. Hinter ihm humpelte Zero heraus, ungehalten vor sich hin murmelnd:
"Was fällt den dem ein?! Was heißt hier, ich wäre zu lange aufgeblieben und hätte seine Nachtruhe gestört?! Und dann gleich ein Tritt gegen das Schienbein! Wenn er nicht mein Kumpel wäre, würde ich ihn...."
Saki schmunzelte. Dank Clay war sie bereits im Bilde. Die Rivalität zwischen den beiden flammte zwar noch ab und zu auf, doch im Grunde - und was sie auch garantiert niemals zugegeben hätten - waren sie mittlerweile zu Kameraden geworden. Wohlgemerkt nur "Kameraden", denn von einer richtigen Freundschaft, wie sie zwischen ihrem Partner, Zero, Roose und Yamagi bestand, konnte natürlich keine Rede sein, denn Hiead grenzte sich noch immer ab. Endlich erschien Clay im Türrahmen. Sie begrüßte ihn anmutig und sie marschierten los. Auf halbem Weg hielt sie an und sprach ihn an.
"Weißt du....ich....wollte dich eigentlich schon eine ganze Weile fragen, warum du mich vor sechs Tagen....also, kurz vor dem Kampf....ge....geküsst hast...." Er drehte sich nicht um.
"Warum willst du das wissen?"
"Na, also hör mal - schließlich passiert mir so was nicht gerade oft!"
"Ich....wollte dich trösten."
"Trösten? Ist das etwa....der einzige Grund?!"
Ein Zittern ergriff ihren Körper und sie ballte die Hände zu Fäusten. Ihre Augen wirkten fiebrig. Er stieß einen Seufzer aus.
"Es war doch gar kein richtiger Kuss, mehr....eine freundschaftliche Geste."
"Eine....freundschaftliche Geste?! Du machst Witze! Ich....ich glaube dir nicht!" stieß sie hervor. Er antwortete nicht, statt dessen setzte er sich wieder in Bewegung, in Richtung PRO-ING-Gelände. Saki konnte einen Moment nur sprachlos hinter ihm her starren. Dann lief sie ihm nach.
"Was erwartest du denn von mir?!" fuhr er plötzlich heftig auf. "Ich....will nicht, dass du mein Herz an mich hängst!! Wenn du das tust, wirst du leiden, sobald ich kämpfe! Letztens, als du mir in die Arme gefallen bist, ist es mir klar geworden - dass ich dich nicht traurig machen will, dass ich dich nicht weinen sehen will! Und deshalb....müssen wir Freunde bleiben....denn wenn....wenn wir ein Liebespaar sind, würdest du bei meinem Tod noch trauriger sein....Ich will das nicht...."
"Idiot!" Saki traten Tränen in die Augen. "Ich....ich....ich habe doch mein Herz schon längst an dich verloren! Selbst, wenn du die distanziertere Rolle eines Freundes behältst, was würde es an meinen Gefühlen für dich ändern?!"
"Aber....aber...."
"Kein aber! Warum verstehst du denn nicht? Ja, du bist ein Besserwisser, ein Bücherwurm, ein Oberlehrer und ein wandelnder Computer, aber....aber ich liebe dich!"
Nun schluchzte sie hemmungslos. Es schmerzte ihn, die sonst so fröhliche und vergnügte Saki dermaßen aufgelöst zu sehen. Sein Herz begann wie wild zu pochen.
"Was....soll ich denn tun?" erkundigte er sich verzweifelt, denn er fühlte sich schwach werden angesichts der herrlichen Rubine, die nun in durchsichtiges Silber getränkt waren. Sie war wunderschön und stets an seiner Seite, stark, tapfer und intelligent.
"Hör doch einmal in deinem Leben auf das, was dein Gefühl dir rät", flüsterte das Mädchen und blickte ihn durch feuchte Wimpern heraus an. Sie spürte, dass es in ihm arbeitete und je länger sie ihn betrachtete, desto mehr versank sie in seinen braunen Augen, die sie an dunkle Topase erinnerten. Ihr Partner. Ihr Freund. Ihre Liebe.
"Du glaubst, dass ich auf diese Weise eine Lösung finde?"
"Ich weiß es. Was befiehlt dir dein Herz?"
Sie wischte sich die Tränen nachlässig fort und wartete auf seine Reaktion, darauf hoffend, dass das Schicksal mit ihr war. Während des Tanzes auf dem Ball hatte sie deutlich eine machtvolle Emotion in ihm wahrgenommen. Sie war so glücklich gewesen in jenen Minuten, die der Tanz gewährt hatte, und sie wollte nicht glauben, sich in dieser warmen Aura getäuscht zu haben. Er musste sie lieben, eine andere Erklärung gab es nicht dafür! Warum sagte er es nicht endlich?
"Was mir mein Herz befiehlt? Es...."
Er legte die Hand auf die Brust und schwieg, als müsse er tatsächlich in sich hineinhorchen. Auf einmal, Saki wusste kaum, wie ihr geschah, trat er auf sie zu, umfasste ihre Taille und küsste sie. Allerdings bei weitem nicht so dezent, wie er es vor ein paar Tagen getan hatte, sondern richtig, heiß und stürmisch. Ihr Widerstand erlahmte praktisch sofort. Hingegeben und verzaubert durch die Wonne des Moments, zog sie ihn mit den Armen eng an sich, schloss die Augen und öffnete sich seinem leidenschaftlichen Werben. In diesem Kuss erkannte sie mit bestechender Klarheit das verborgene Feuer, das in ihm schlummerte, und von dem sie bisher nicht einmal etwas geahnt hatte. Es war ihr, als würde sie in ein Meer aus Flammen getaucht, die sich in ihr Fleisch brannten, ohne sie zu verletzen. Das Feuer war überwältigend, zärtlich, gebieterisch und sanftmütig in einem und verschlang sie. Nachdem er sich von ihr gelöst hatte, strich er mit dem Finger leicht über ihre geröteten Wangen. Sie rang ein wenig nach Atem und hatte Mühe, in die Realität zurückzufinden.
"Wow....War....war das dein erster Kuss?" Er nickte.
"Im Ernst? Ich....eh....hatte den Eindruck, du....wüsstest bereits, wie das....eh....funktioniert...."
"Ich lese auch Romane mit Liebesgeschichten. Manche Autoren sind in diesem Punkt der Beschreibung recht ausführlich. Aber es ist nicht so, dass ich bisher....praktische Übung darin hatte."
Er hustete etwas verlegen, lächelte sie jedoch dabei an.
"So....hm. Nun, deine....Umsetzung von gelesenen Dingen ist sehr....beeindruckend."
"Ach wirklich?"
"Was nicht heißt, dass du dir jetzt was darauf einbilden sollst!!"
Clay schmunzelte und zog sie erneut in eine feste Umarmung. Er drückte seinen Mund spielerisch auf ihre Nase, während Saki sich so leicht fühlte, dass sie hätte davonfliegen können.
"Ich liebe dich." hauchte er sanft in ihr Ohr und sie schmiegte sich an ihn und wünschte sich, dass dieser Augenblick nie enden möge.
"Seid ihr fertig, ihr Turteltauben?"
Die beiden fuhren auf wie gestochen. Vor ihnen stand ein grinsender Zero, der es sich nicht nehmen ließ, seinen Freund mit vielsagenden Blicken zu mustern, worauf dieser mit dem betont langsamen Hochschieben seiner Brille zu verstehen gab, dass jede eventuelle Nachfrage in höchstem Grade unpassend sei. Unter Clays Adleraugen (Zero begann, sich ein kleines bisschen ungemütlich zu fühlen) begaben sich die drei zu den PRO-INGs, wo man bereits auf die Nachzügler mit der Nummer 89 gewartet hatte. Kizuna und Ikhny genügte ein Blick in Sakis Gesicht, um zu verstehen. Lediglich Wrecka beschwerte sich lauthals über die Verspätung. Roose gebot ihr, still zu sein und sie war eigentümlich bestürzt über seinen harten Ton. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was ihn in solche Wut versetzt haben mochte. Überhaupt geschahen in ihrer Umgebung immer häufiger merkwürdige Dinge - zum Beispiel fiel für Yamagi heute das Training aus, da es Tsukasa nicht gut ging. Sein Partner, der feminine Jacques, kämpfte deshalb mit Hiead, worüber er nicht besonders erfreut war. Bereits während des Frühstücks hatte ihre Zimmergenossin und Freundin sich seltsam verhalten, noch zurückhaltender und kühler als normalerweise. Na ja, darüber konnte sie sich auch später noch den Kopf zerbrechen!
Tsukasa saß auf ihrem Bett und grübelte. Was zum Teufel war nur mit ihr los?! Sie hatte das Training ausfallen lassen, durch eine Ausrede, eine Lüge! Verärgert über sich selbst, warf sie sich zurück auf die frisch gemachten Laken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
RÜCKBLENDE
Yamagi traf auf der Krankenstation ein. Dr. Croford untersuchte sofort seine Beinverletzung und entschied, die Wunde auf der Stelle zu nähen. Währendessen wartete Tsukasa auf die Ärztin und darauf, dass man sie zu ihrem Partner lassen würde. Als Dr. Croford zu ihr kam, schlüpfte ein Mädchen zur Tür herein, das Lotsenanwärterin Nr. 86 noch nie aufgefallen war. Dennoch schien sie ihr irgendwie bekannt und schließlich wusste sie auch, warum - sie hatte eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Rick, ihrem großen Schwarm!
"Nanu, wen haben wir denn hier?" |"Ich bin Miranda Solares, Frau Doktor, die Schwester | |von Anwärter 97. Ich wollte fragen, wie es Yamagi-kun | |geht, weil er doch verwundet worden ist. Kann ich ihn | |sehen?" | |"Eh, natürlich, aber ich hatte eigentlich gedacht, | |seine Partnerin...." | |Den Rest ihres Satzes hörte Miranda schon nicht mehr, | |sie war wie der Blitz im Krankenraum verschwunden. | |"Ja, also, das ist doch....keine Manieren, diese jungen| |Dinger!" | |Tsukasa war sichtlich verwirrt. Was wollte Ricks | |Schwester von Yamagi? Und woher kannte sie überhaupt | |seinen Namen? Von irgendeinem irritierenden Gefühl | |aufgewühlt, folgte sie der anderen. Das Bild, das sich| |ihr bot, nachdem sie das Patientenzimmer betreten | |hatte, traf sie wie ein harter Schlag. Miranda hatte | |neben dem Bett Platz genommen, hielt die Hand des | |Jungen und strich liebevoll über seine Stirn. Er | |blinzelte und fragte, wer sie sei. Mit einem warmen, | |herzlichen Lächeln stellte sie sich ihm vor und | |erklärte, dass sie sich um ihn kümmern würde, bis er| |entlassen werden könne. Verblüfft richtete er sich | |auf. | |"Aber....warum willst du das tun? Wir kennen uns doch | |gar nicht!" | |"Noch nicht. Aber....aber ich finde dich wahnsinnig | |süß! Und, na ja, irgendwie....hatte ich gehofft, du | |könntest mich auch ein bisschen gern haben...." | |Tsukasa hatte genug gehört. Sie machte auf dem Absatz | |kehrt und rannte, als gälte es das Leben. Ihr Herz | |klopfte schwer gegen ihren Brustkorb. Sie meinte, einen| |schmerzhaften Stich in sich zu spüren, schluckte ihre | |Tränen wütend hinunter und lief weiter. Sie lief | |beinahe durch ganz GOA, bevor sie endlich, erschöpft | |und nach Atem ringend, stehen blieb. Etwas in ihr | |schrie auf wie ein Vogel in einem Käfig. Es tat weh! | |Grauenhaft weh! | |Nach diesem Vorfall brachte sie es nicht mehr fertig, | |Yamagi zu besuchen. Das zweite und dritte Mal, als sie | |noch den Mut gehabt hatte, ihn zu sehen, hatte sie | |jedes Mal Miranda angetroffen. Sie hatte neben seinem | |Bett einen Strauß bunter Blumen aufgestellt | |(vermutlich aus der Erholungsanlage; wenn Azuma das | |gewusst hätte!), las ihm etwas vor und erzählte ihm | |vom Training der Anwärter. Und er schien sich wirklich| |wohl in ihrer Gesellschaft zu fühlen.... Hatte er | |jemals so gelacht, wenn sie mit ihm zusammen war? | |Tsukasa verglich sich widerwillig mit Miranda und | |schnitt schlecht ab. Miranda war kleiner als Yamagi, | |was ihm, wie sie sich missmutig eingestehen musste, | |sicher wesentlich lieber war, außerdem war die | |Schwarzhaarige mit dem langen geflochtenen Zopf viel | |weiblicher als sie, nicht so reserviert und viel | |offener und humorvoller. Natürlich, ihr Partner war | |binnen der letzten zwei Jahre beachtlich gewachsen, | |aber größer als sie war er immer noch nicht, nur | |gleich groß. Dieses Thema wurmte ihn nach wie vor, das| |wusste sie. Dr. Croford entfernte schließlich die | |Fäden und ließ mit Hilfe ihrer medizinischen | |Ausrüstung auch die kleinsten Anzeichen der Verletzung| |verschwinden. Ursprünglich hatte Tsukasa ihn abholen | |wollen, doch als sie um die Ecke bog, entdeckte sie | |Miranda, die Yamagi an der Hand genommen hatte und ihn | |zur Feier seiner Entlassung zum Essen einlud. Aber das | |war nicht das schlimmste....das schlimmste kam erst am | |nächsten Tag.... | | | |Mit energischen Schritten durchmaß Lotsin Nr. 86 die | |Korridore des Schulungszentrums auf der Suche nach | |ihrem Partner, der bereits vor einer geschlagenen | |halben Stunde beim Training hätte erscheinen sollen! | |Sie fand ihn. Er war in eine Unterhaltung mit Ricks | |Schwester vertieft und bemerkte sie nicht einmal. | |"Yamagi! Ich warte schon seit 30 Minuten auf dich! | |Ausbilder Azuma springt vor Wut im Dreieck! Kommst du | |endlich?!" | |Es war selten, dass sie ihn so anfuhr. | |"Hä? Oh, scheiße! Entschuldige, ich hab total die | |Zeit vergessen!" | |Er gab Miranda einen flüchtigen Kuss auf die Wange und| |entschwand. | |"Was....was sollte denn das?!" | |"Was?" | |"Du....hast sie geküsst!" | |"Na und? Wenn du ihren Zwillingsbruder anhimmelst wie | |einen Engel persönlich, hast du ja sicher nichts | |dagegen, wenn ich mit einem anderen Mädchen gehe?" | |"...." | |Da sie nichts erwiderte, blieb er stehen und warf einen| |Blick über die Schulter. In seinen Augen war keine | |Regung zu lesen, doch sie meinte, eine Spur von | |Verbitterung darin zu erkennen. | |"Du gehst mit ihr?" | |Kam es nur ihr so vor, oder klang es wie ein Schrei? | |"Ja. Ich bin dir über nichts, was ich tue, | |Rechenschaft schuldig, Tsukasa. Wenn ich eine Freundin | |habe, ist das ganz allein meine Sache. Du hast doch | |Solares. Also." | |Damit ging er weiter, ohne darauf zu achten, dass sie | |immer noch wie zu einer Statue erstarrt im Gang stand | |und ungläubig vor sich hin stierte. Plötzlich brach | |ihre eigenartige Trance. Ein unerträglicher Schmerz | |explodierte in ihrem Inneren. | |"Ya....ma....gi...." | | | | ENDE DER RÜCKBLENDE | | | |Ein Schatten fiel auf ihr Gesicht. Eine neue | |Tränenflut wallte in ihr auf und drohte sie zu | |überschwemmen. Ihre Hand krampfte sich in das | |Bettlaken. Warum quälte sie das sosehr? Warum? WARUM?!| | | | | |Rick sah sich suchend um. Es konnte doch nicht so | |schwer sein, Ikhny-chan zu finden! Obgleich er es ihr | |gegenüber wohl nicht so rasch zugeben würde, hatte er| |sich tatsächlich in sie verliebt. Das passierte ihm | |zum ersten Mal und umso verwirrter war er, denn bisher | |hatte er es mit keiner wirklich ernst gemeint. Seine | |übliche Selbstsicherheit hatte ihn im Stich gelassen. | |Außerdem war da noch dieses "störende Subjekt", Hiead| |Gner! An einem zähnefletschenden Victim vorbeizukommen| |war einfacher! Zu seiner großen Freude entdeckte er | |auf einmal einen rosafarbenen Schopf mit Katzenohren. | |Wo Kizuna-san war, konnte ihre beste Freundin auch | |nicht weit sein. Ja - sie lief neben ihr her. Das | |Training war also vorbei (Ist natürlich ein kleiner | |Zeitsprung drin, klar?). So schnell ihn seine Beine | |trugen, rannte er auf die beiden Mädchen zu und | |verbeugte sich elegant, um einen guten Eindruck zu | |machen (der allerdings an Kizunas Meinung über ihn | |nicht viel geändert hätte, und wäre der Eindruck | |zehnmal so gut gewesen). | |"Ikhny-chan. Ich wollte gerade zu dir. Würdest | |du....würdest du heute Abend mit mir ausgehen?" | |Diese Frage verblüffte sie über die Maßen. Meinte es| |das ernst? Der umschwärmte Rick Solares, von seinen | |Geschlechtsgenossen als "Playboy" und "Macho" | |eingestuft (womit sie auch irgendwo recht hatten) und | |der Traummann ihrer Freundin Wrecka, bat sie, | |ausgerechnet sie, um eine Verabredung? Sie zögerte, | |zuzustimmen. | |"Kizuna!" | |Es war Zero, der bereits auf seine Partnerin wartete, | |um mit ihr das Mittagessen einzunehmen. Sie warf Ikhny | |noch einen beschwörenden Blick zu, ignorierte Rick | |geflissentlich und folgte Zero. Die beiden waren | |allein. | |"Ich....ich weiß nicht, was ich sagen soll...." | |"Sag einfach Ja! Ich würde mich sehr freuen, wenn du | |mit mir kämst. Nun?" | |Sie senkte die Lider und blickte zur Seite, | |durcheinander wie sie war. Sie wusste nicht, was sie | |davon halten sollte. Gewiss, sie verurteilte ihn bei | |weitem nicht so rigoros wie Kizuna es tat, aber sie war| |sich nicht sicher, ob sie ihn genug mochte, um mit ihm | |auszugehen. Rick war fasziniert von ihrer Schönheit. | |Die warmen braunen Augen mit den langen, wundervoll | |geschwungenen Wimpern, die süße Nase, die rosigen | |Wangen, das wallende Haar und die matt glänzenden, | |schimmernden Lippen....Er musste schlucken. Eine | |eigentümliche, ihm völlig unbekannte Hitze | |bemächtigte sich seiner und vernebelte seinen | |Verstand. Mechanisch ergriff er ihre Schultern, beugte | |sich hinunter und küsste sie. Ikhny erschrak zutiefst.| | | |"DIR GEHT'S WOHL ZU GUT!!!!" | |Eine starke Hand packte Anwärter Nr. 97 von hinten und| |schleuderte ihn rücksichtslos gegen die | |gegenüberliegende Wand. Nur langsam vermochte er, aus | |seinem Dämmerzustand aufzuwachen. Als er wieder klar | |sehen konnte, erhob sich drohend über ihm - wer wohl? | |- Hiead Gner, der natürlich im unpassendsten Moment | |auftauchen musste! Rick verbiss sich einen Fluch. Der -| |Kerl - nervte - ihn!! | |"Ikhny!" wandte sich Hiead gleich darauf an seine | |Lotsin, "Du wirst nicht mit ihm ausgehen! Ich verbiete | |es!" | |Sie sah ihn mit plötzlichem Widerwillen an und | |Ablehnung lag in ihrer Stimme. Sie klang kühler als er| |sie je vernommen hatte und er musterte seine Partnerin | |mit einer Mischung aus seiner gewohnheitsmäßigen | |Verachtung und einer unbestimmten Furcht. | |"Du....VERBIETEST es?!" | |Der silberhaarige Junge war ebenso überrascht über | |seinen (für ihn) unverständlichen Besitzanspruch wie | |über Ikhnys anklagenden Blick. Nie hatte sie erboster | |gewirkt als jetzt - und nie, gab er insgeheim zu, hatte| |sie schöner und stärker ausgesehen. | |"Wenn das so ist", entgegnete sie spitz, "dann werde | |ich mit Rick ausgehen. Heute Abend?" | |"Eh, ja. Du willst also? Super! Ich hole dich um acht | |ab, in Ordnung?" | |Sie nickte und er verließ sie mit einem glücklichen | |Grinsen. | |"Ikhny! Was soll das?! Der Kerl ist ein Schwindler! Er | |ist nicht an dir als Person interessiert, sondern an | |dir als hübsches Mädchen! Weißt du eigentlich, was | |du da tust?!" | |Sie schwieg. Hieads Temperament ging mit ihm durch. Er | |drückte sie gewaltsam - wie schon einmal zu Beginn | |ihrer Ausbildung - gegen die Wand und zischte leise: | |"Du wirst nicht mit ihm ausgehen, hörst du?! Du bist | |MEINE Partnerin! Dein Job ist es, mich zu unterstützen| |und nicht, irgendwelchen Volltrotteln | |hinterherzurennen! Ich...." | |*!KLATSCH!* | |Stille. | |Seine granatfarbenen Augen waren geweitet. Er wich | |zurück. Unwillkürlich legte sich seine Hand auf die | |Wange, auf der die Ohrfeige gelandet war. | |"Jetzt reicht es mir! Zwei Jahre lasse ich mir nun | |schon deine Missbilligung, deine Verachtung, deine | |Gleichgültigkeit, deine Unfreundlichkeit und deine | |Kaltherzigkeit gefallen! Ich habe immer mein Bestes | |getan, um dir zu helfen, aber ich habe kein einziges | |Mal ein Dankeswort erhalten! Auf dem Ball war in mir | |die Hoffnung gekeimt, du würdest endlich deine eisige | |Maske fallen lassen, aber das war ein Irrtum! Ich habe | |mir eingeredet, ich könnte deine Fassade eines Tages | |durchbrechen und dich von all den schlimmen und | |furchtbaren Ereignissen, die dein Herz so brutal | |verletzt haben, befreien und dich lehren, wieder | |Vertrauen zu anderen Menschen zu fassen! All meine | |Bemühungen waren umsonst! Was bin ich für dich?! | |Immer noch nichts weiter als ein Gegenstand?! Ich will | |nicht mehr, verstehst du?! Ich....ich hasse dich!!" | |Danach lief sie davon. | |Hiead lehnte sich an die Wand, an der Ikhny zuvor noch | |gestanden hatte. Langsam, fast wie in Zeitlupe, | |rutschte er daran hinunter und hockte schließlich, mit| |angewinkelten Beinen, auf dem kalten Fußboden. Dann | |umschlang er seine Knie mit den Armen, beugte seinen | |Kopf vor und verbarg sein Gesicht. Es war bleich. Alles| |schien sich um ihn zu drehen. Niemand außer ihm war im| |Korridor. Er war allein. Schrecklich allein. | |"Ich hasse dich!" hatte sie ihn angeschrieen. | |Und es war ihm, als würde etwas in ihm zerbrechen. | | | |Wie lange er so saß, vermochte er nicht zu sagen. | |Hiead verlor jegliches Zeitgefühl. Er schien nichts | |und niemandem mehr Beachtung zu schenken, und so kam | |es, dass er auch die Schritte nicht vernahm, die | |gemächlich auf ihn zusteuerten. | |"Nanana, was hat dir denn die Petersilie verhagelt? Du | |siehst ja aus wie ein ganzes Jahr Regenwetter! | |Probleme?" | |An der fröhlichen Stimme erkannte Hiead seinen Rivalen| |(und Kameraden, ja doch, verdammt!), Zero Enna. | |"Was willst du?" | |"Deine Laune ist hervorragend wie immer! Aber nein - | |wenn ich' s mir genauer überlege, ist sie sogar noch | |mieser als sonst! Komm schon, spuck's aus! Was hast | |du?" | |"Du erwartest doch wohl nicht, dass ich glaube, dass du| |mir helfen willst?" | |"Und warum glaubst du das nicht?" fragte sein | |Gegenüber mit einem spitzbübischen Grinsen. | |"Wir sind Gegner, vergiss das nicht." Zero schwieg eine| |Weile. | |"Sind wir das?" Ein schwer zu deutendes Lächeln | |huschte über sein Gesicht. "Dabei hast du mir das | |Leben gerettet, Hiead. Weißt du noch? Du hast zwar | |behauptet, du hättest es nur getan, um dein EX | |auszuprobieren, aber irgendwie konnte ich dir das nie | |so recht abnehmen. Immerhin hast du dich dabei selbst | |in Gefahr gebracht. Das hätte verflixt schief gehen | |können, das ist dir klar, neh? Du hast mich | |beschützt, habe ich recht?" | |"Blödsinn!" giftete Anwärter Nr. 87 schroff zurück. | |"Einen Idioten wie dich würde ich niemals beschützen!| |Allein der Gedanke!" | |"Ich bin kein Idiot." | |"Doch. Das bist du." | |"Meinst du? Du weißt zu wenig von mir, als dass du dir| |darüber ein Urteil bilden könntest. Früher hielt | |auch ich dich für widerwärtig und unmöglich - aber | |in Wahrheit ist da etwas in dir, das ich erst später | |bemerkt habe. In deinen Augen liegt eine große | |Einsamkeit. Man hat dir wehgetan, nicht wahr?" | |Hiead atmete geräuschvoll durch die Nase. | |"Viele halten mich für oberflächlich und kindisch. | |Aber....nur weil deine Fassade als solche erkennbar | |ist, bedeutet das nicht, dass es nicht auch eine andere| |Art von Fassade geben kann - wie meine. Nein, ich werde| |dir nicht erklären, was das heißt. Wenn du es nicht | |selbst verstehst, hat das keinen Sinn. Wir sind gar | |nicht so verschieden, wie es auf den ersten Blick | |scheinen mag. Wir beide besitzen ein aufbrausendes | |Temperament und wir beide wollen um jeden Preis Pilot | |werden. Auch den Durst nach echten Gegnern teilen wir. | |Wir unterscheiden uns jedoch in unserer Denkweise: Du | |denkst nicht mit dem Herzen, weil du zu oft verletzt | |worden bist. Für dich gibt es nur Verstand und | |Vernunft, und deswegen gibst du dich nach außen auch | |so hart und unnahbar. Du willst niemanden an dich | |heranlassen, weil du Angst hast, dein Vertrauen könnte| |aufs Neue betrogen werden. Darin bin ich dein | |Gegensatz. Mein Verstand mag sich täuschen lassen, | |aber mein Herz niemals. Ich sehe nicht nur mit den | |Augen, ich sehe vor allem mit dem Herzen....und das ist| |der Grund, warum ich dich mit der Zeit immer weniger | |als meinen Rivalen betrachten konnte, einfach deshalb, | |weil deine Maske mir nichts mehr entgegenzusetzen hat. | |Ich durchschaue dich, mehr als du vermutlich geahnt | |hast. Also hör auf, dich allein zu quälen. Sag mir, | |was los ist." | |"...........Warum....interessiert dich das?" | |Er lächelte wieder. | |"Wir sind doch Freunde." | |"Seit wann? Ich kann mich nicht erinnern, mich mit dir | |angefreundet zu haben. Denkst du denn im Ernst, dein | |Mitgefühl und deine Freundschaft würden mir etwas | |bedeuten?! Mach dich nicht lächerlich!" | |Hieads Worte klangen gereizt und höhnisch, doch Zero | |ließ sich davon nicht beeindrucken. Er setzte sich | |neben den anderen und platzierte seine Hand auf dessen | |Schulter. Der silberhaarige Junge versteifte sich | |darunter. | |"Du hasst dich selbst. Warum, kann ich nicht sagen. Du | |verfluchst alle Menschen, weil du einmal vertraut hast | |und dein Vertrauen verraten wurde. Wie, kann ich nicht | |sagen. Etwas in dir wurde durch die Grausamkeit der | |Welt zerstört. Wann, kann ich nicht sagen. Jemand hat | |dir sehr wehgetan. Wer, kann ich nicht sagen. Aber | |Liebe, Mitgefühl und Freundschaft sind so viel | |stärker als der Hass und die Traurigkeit, Hiead! Sie | |können alles überwinden! Ich weiß es!" | |"Ha. Werd endlich erwachsen. Das Leben besteht nur aus | |Dunkelheit. Wer würde schon für einen anderen die | |Hand ins Feuer legen, wer würde einem zur Seite | |stehen, wenn alle ihn verlassen haben? Glücklichsein, | |Liebe, Freundschaft, dieses ganze Getue, ist nicht | |real! Nichts weiter als Theater, das man vorgespielt | |bekommt, solange man noch ein Kind ist, unwissend und | |dumm! Du kapierst wirklich gar nichts!" | |Er lachte zornig auf. | |"Liebe", begann Zero im Flüsterton, "zeigt sich in | |vielen Formen. Die Liebe der Eltern zu ihren Kindern. | |Die Liebe zwischen Geschwistern. Die Liebe zwischen | |Mann und Frau. Selbst Freundschaft ist eine Art der | |Liebe, denn auch Freunde können einander viel | |bedeuten. Es gibt Freundschaften, die unzählige Jahre | |überdauern, ein ganzes Leben lang halten. Doch Liebe | |ist etwas, das wir tun müssen, nicht etwas, das wir | |bekommen. Erst wenn wir gelernt haben, nicht mehr | |danach zu fragen, was wir als Belohnung für unseren | |Einsatz erhalten, wenn wir nicht verlangen und fordern,| |dann haben wir begriffen, was lieben heißt. Wenn Liebe| |für dich nichts anderes ist als ein Warten auf etwas, | |auf Zärtlichkeit, Wärme, Aufmerksamkeit, Anteilnahme | |- dann hat das mit Liebe nichts zu tun. Jeder straft | |sich im Grunde selbst, Hiead. Indem er hasst. Indem er | |sich außerhalb der Gemeinschaft stellt. Indem er sich | |einsam und unglücklich macht. Wer könnte ihn | |schlimmer bestrafen, sag? Ich reiche dir eine Hand, die| |bereit ist, dich von dieser Strafe zu befreien, die du | |dir selbst auferlegt hast. Ich erwarte nicht, dass es | |schnell geht, dass du in wenigen Tagen zu einem neuen | |Menschen wirst....aber auf einen Versuch kommt es an, | |meinst du nicht? Menschen können nicht ganz allein | |leben. Weil ich meine Freunde habe - Clay, Roose und | |Yamagi - und weil Kizuna an meiner Seite ist, kann ich | |stark sein und mich jeder Herausforderung stellen. Sich| |aufzugeben ist der falsche Weg. Nur selten vermag | |jemand, wieder umzukehren, wenn er einmal eine | |bestimmte Richtung eingeschlagen hat. Nimm meine Hand, | |Hiead. Dreh um, bevor es zu spät ist. Vielleicht ist | |das deine letzte Chance....deine ALLERletzte Chance." | |Es blieb fast unerträglich lange geradezu | |beängstigend still. Zero war aufgestanden und streckte| |Hiead die Hand hin. Keiner von beiden rührte sich. Sie| |schienen nicht einmal die schemenhafte Gestalt zu | |bemerken, die sie aus einer Ecke heraus beobachtete. | |Schließlich, es war, als hätte es eine Ewigkeit | |gedauert, ergriff er Zeros Hand und ließ sich | |aufhelfen. Nachdem dies geschehen war, verschwand | |Anwärter Nr. 87 in einem der zahllosen Flure. Ein | |seltsames Beben durchlief ihn. Nummer 88 blickte ihm | |einen Moment nach und wandte sich endlich an die Person| |im Schatten. Es war Azuma. | |"Wie war ich?" erkundigte er sich respektvoll und | |freundlich, ganz anders, als es seine freche Manier | |für gewöhnlich zuließ. | |"Nun - für ,Nicht der Vertrauenslehrer' war das | |wirklich....sehr gut." | | | |Hiead stolperte in das Gemeinschafts-Quartier. Clay war| |offensichtlich noch mit Saki unterwegs. Er fühlte sich| |leer und verbraucht. Das Gespräch mit Zero hatte ihn | |erschöpft. Kraftlos ließ er sich auf sein Bett fallen| |und seufzte tief. Der Krieg....die Victims....die | |Göttinnen....Solares....Zero....und Ikhny, Ikhny, | |IKHNY. Sie hatte gesagt, sie würde ihn hassen. |
Er verstand sich selbst nicht mehr. Warum hatte er einen solchen Besitzanspruch auf sie erhoben? Ja. Ikhny und Zero. Diese beiden Menschen sahen durch ihn hindurch wie durch Glas. Diese beiden Menschen, einzig diese beiden Menschen, hielten ihn nicht für einen kaltblütigen, verachtenswerten Krieger. Und genau deshalb hatte er sich ihnen gegenüber immer am härtesten und unversöhnlichsten gezeigt, weil sie mit ihren klaren Augen durch seine Fassade direkt in sein Herz blicken konnten. Niemand durfte sein Herz sehen, niemand! Und doch....wie oft hatte er darauf gehofft, jemand möge ihn auffangen, bevor er für immer von dem Abgrund seines Selbsthasses, seines Misstrauens und seiner Einsamkeit verschluckt werden würde. Gab es auch für ein Leben, das lebenswert war? Gab es das für ihn? Liebe? Freundschaft? Er hatte Ikhny wütend gemacht und sie früher behandelt wie ein Stück Abfall. Diese Chance hatte er wohl vertan. Aber vielleicht war es wenigstens für eine Freundschaft noch nicht zu spät....
"Deine Augen waren sehr ernst. Du glaubst an diese eventuelle Freundschaft. Und zum ersten Mal in meinem Leben bin ich keine Ausnahme. Dein Herz ist wirklich rein. Rein und unendlich stark. Mit dir haben wir Hoffnung....Rei."
We got the power
Get ready to go
We stand united
The energy flows
We got the power
The moment has come
Nothing can stop us
When we stand as ONE
Wer träumt, dem wachsen Flügel.
Die nächste Folge heißt: "Curriculum 07: Seelen"
Saki stand vor dem Quartier der Anwärter 87-89 und wartete. Sie wollte Clay zum Training abholen - und außerdem musste sie ihm endlich gestehen, was sie für ihn empfand. Weiter zu schweigen würde nichts ändern. Als erstes verließ Hiead das Zimmer, mit mürrischem Gesichtsausdruck, wie gewöhnlich. Hinter ihm humpelte Zero heraus, ungehalten vor sich hin murmelnd:
"Was fällt den dem ein?! Was heißt hier, ich wäre zu lange aufgeblieben und hätte seine Nachtruhe gestört?! Und dann gleich ein Tritt gegen das Schienbein! Wenn er nicht mein Kumpel wäre, würde ich ihn...."
Saki schmunzelte. Dank Clay war sie bereits im Bilde. Die Rivalität zwischen den beiden flammte zwar noch ab und zu auf, doch im Grunde - und was sie auch garantiert niemals zugegeben hätten - waren sie mittlerweile zu Kameraden geworden. Wohlgemerkt nur "Kameraden", denn von einer richtigen Freundschaft, wie sie zwischen ihrem Partner, Zero, Roose und Yamagi bestand, konnte natürlich keine Rede sein, denn Hiead grenzte sich noch immer ab. Endlich erschien Clay im Türrahmen. Sie begrüßte ihn anmutig und sie marschierten los. Auf halbem Weg hielt sie an und sprach ihn an.
"Weißt du....ich....wollte dich eigentlich schon eine ganze Weile fragen, warum du mich vor sechs Tagen....also, kurz vor dem Kampf....ge....geküsst hast...." Er drehte sich nicht um.
"Warum willst du das wissen?"
"Na, also hör mal - schließlich passiert mir so was nicht gerade oft!"
"Ich....wollte dich trösten."
"Trösten? Ist das etwa....der einzige Grund?!"
Ein Zittern ergriff ihren Körper und sie ballte die Hände zu Fäusten. Ihre Augen wirkten fiebrig. Er stieß einen Seufzer aus.
"Es war doch gar kein richtiger Kuss, mehr....eine freundschaftliche Geste."
"Eine....freundschaftliche Geste?! Du machst Witze! Ich....ich glaube dir nicht!" stieß sie hervor. Er antwortete nicht, statt dessen setzte er sich wieder in Bewegung, in Richtung PRO-ING-Gelände. Saki konnte einen Moment nur sprachlos hinter ihm her starren. Dann lief sie ihm nach.
"Was erwartest du denn von mir?!" fuhr er plötzlich heftig auf. "Ich....will nicht, dass du mein Herz an mich hängst!! Wenn du das tust, wirst du leiden, sobald ich kämpfe! Letztens, als du mir in die Arme gefallen bist, ist es mir klar geworden - dass ich dich nicht traurig machen will, dass ich dich nicht weinen sehen will! Und deshalb....müssen wir Freunde bleiben....denn wenn....wenn wir ein Liebespaar sind, würdest du bei meinem Tod noch trauriger sein....Ich will das nicht...."
"Idiot!" Saki traten Tränen in die Augen. "Ich....ich....ich habe doch mein Herz schon längst an dich verloren! Selbst, wenn du die distanziertere Rolle eines Freundes behältst, was würde es an meinen Gefühlen für dich ändern?!"
"Aber....aber...."
"Kein aber! Warum verstehst du denn nicht? Ja, du bist ein Besserwisser, ein Bücherwurm, ein Oberlehrer und ein wandelnder Computer, aber....aber ich liebe dich!"
Nun schluchzte sie hemmungslos. Es schmerzte ihn, die sonst so fröhliche und vergnügte Saki dermaßen aufgelöst zu sehen. Sein Herz begann wie wild zu pochen.
"Was....soll ich denn tun?" erkundigte er sich verzweifelt, denn er fühlte sich schwach werden angesichts der herrlichen Rubine, die nun in durchsichtiges Silber getränkt waren. Sie war wunderschön und stets an seiner Seite, stark, tapfer und intelligent.
"Hör doch einmal in deinem Leben auf das, was dein Gefühl dir rät", flüsterte das Mädchen und blickte ihn durch feuchte Wimpern heraus an. Sie spürte, dass es in ihm arbeitete und je länger sie ihn betrachtete, desto mehr versank sie in seinen braunen Augen, die sie an dunkle Topase erinnerten. Ihr Partner. Ihr Freund. Ihre Liebe.
"Du glaubst, dass ich auf diese Weise eine Lösung finde?"
"Ich weiß es. Was befiehlt dir dein Herz?"
Sie wischte sich die Tränen nachlässig fort und wartete auf seine Reaktion, darauf hoffend, dass das Schicksal mit ihr war. Während des Tanzes auf dem Ball hatte sie deutlich eine machtvolle Emotion in ihm wahrgenommen. Sie war so glücklich gewesen in jenen Minuten, die der Tanz gewährt hatte, und sie wollte nicht glauben, sich in dieser warmen Aura getäuscht zu haben. Er musste sie lieben, eine andere Erklärung gab es nicht dafür! Warum sagte er es nicht endlich?
"Was mir mein Herz befiehlt? Es...."
Er legte die Hand auf die Brust und schwieg, als müsse er tatsächlich in sich hineinhorchen. Auf einmal, Saki wusste kaum, wie ihr geschah, trat er auf sie zu, umfasste ihre Taille und küsste sie. Allerdings bei weitem nicht so dezent, wie er es vor ein paar Tagen getan hatte, sondern richtig, heiß und stürmisch. Ihr Widerstand erlahmte praktisch sofort. Hingegeben und verzaubert durch die Wonne des Moments, zog sie ihn mit den Armen eng an sich, schloss die Augen und öffnete sich seinem leidenschaftlichen Werben. In diesem Kuss erkannte sie mit bestechender Klarheit das verborgene Feuer, das in ihm schlummerte, und von dem sie bisher nicht einmal etwas geahnt hatte. Es war ihr, als würde sie in ein Meer aus Flammen getaucht, die sich in ihr Fleisch brannten, ohne sie zu verletzen. Das Feuer war überwältigend, zärtlich, gebieterisch und sanftmütig in einem und verschlang sie. Nachdem er sich von ihr gelöst hatte, strich er mit dem Finger leicht über ihre geröteten Wangen. Sie rang ein wenig nach Atem und hatte Mühe, in die Realität zurückzufinden.
"Wow....War....war das dein erster Kuss?" Er nickte.
"Im Ernst? Ich....eh....hatte den Eindruck, du....wüsstest bereits, wie das....eh....funktioniert...."
"Ich lese auch Romane mit Liebesgeschichten. Manche Autoren sind in diesem Punkt der Beschreibung recht ausführlich. Aber es ist nicht so, dass ich bisher....praktische Übung darin hatte."
Er hustete etwas verlegen, lächelte sie jedoch dabei an.
"So....hm. Nun, deine....Umsetzung von gelesenen Dingen ist sehr....beeindruckend."
"Ach wirklich?"
"Was nicht heißt, dass du dir jetzt was darauf einbilden sollst!!"
Clay schmunzelte und zog sie erneut in eine feste Umarmung. Er drückte seinen Mund spielerisch auf ihre Nase, während Saki sich so leicht fühlte, dass sie hätte davonfliegen können.
"Ich liebe dich." hauchte er sanft in ihr Ohr und sie schmiegte sich an ihn und wünschte sich, dass dieser Augenblick nie enden möge.
"Seid ihr fertig, ihr Turteltauben?"
Die beiden fuhren auf wie gestochen. Vor ihnen stand ein grinsender Zero, der es sich nicht nehmen ließ, seinen Freund mit vielsagenden Blicken zu mustern, worauf dieser mit dem betont langsamen Hochschieben seiner Brille zu verstehen gab, dass jede eventuelle Nachfrage in höchstem Grade unpassend sei. Unter Clays Adleraugen (Zero begann, sich ein kleines bisschen ungemütlich zu fühlen) begaben sich die drei zu den PRO-INGs, wo man bereits auf die Nachzügler mit der Nummer 89 gewartet hatte. Kizuna und Ikhny genügte ein Blick in Sakis Gesicht, um zu verstehen. Lediglich Wrecka beschwerte sich lauthals über die Verspätung. Roose gebot ihr, still zu sein und sie war eigentümlich bestürzt über seinen harten Ton. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was ihn in solche Wut versetzt haben mochte. Überhaupt geschahen in ihrer Umgebung immer häufiger merkwürdige Dinge - zum Beispiel fiel für Yamagi heute das Training aus, da es Tsukasa nicht gut ging. Sein Partner, der feminine Jacques, kämpfte deshalb mit Hiead, worüber er nicht besonders erfreut war. Bereits während des Frühstücks hatte ihre Zimmergenossin und Freundin sich seltsam verhalten, noch zurückhaltender und kühler als normalerweise. Na ja, darüber konnte sie sich auch später noch den Kopf zerbrechen!
Tsukasa saß auf ihrem Bett und grübelte. Was zum Teufel war nur mit ihr los?! Sie hatte das Training ausfallen lassen, durch eine Ausrede, eine Lüge! Verärgert über sich selbst, warf sie sich zurück auf die frisch gemachten Laken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
RÜCKBLENDE
Yamagi traf auf der Krankenstation ein. Dr. Croford untersuchte sofort seine Beinverletzung und entschied, die Wunde auf der Stelle zu nähen. Währendessen wartete Tsukasa auf die Ärztin und darauf, dass man sie zu ihrem Partner lassen würde. Als Dr. Croford zu ihr kam, schlüpfte ein Mädchen zur Tür herein, das Lotsenanwärterin Nr. 86 noch nie aufgefallen war. Dennoch schien sie ihr irgendwie bekannt und schließlich wusste sie auch, warum - sie hatte eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Rick, ihrem großen Schwarm!
"Nanu, wen haben wir denn hier?" |"Ich bin Miranda Solares, Frau Doktor, die Schwester | |von Anwärter 97. Ich wollte fragen, wie es Yamagi-kun | |geht, weil er doch verwundet worden ist. Kann ich ihn | |sehen?" | |"Eh, natürlich, aber ich hatte eigentlich gedacht, | |seine Partnerin...." | |Den Rest ihres Satzes hörte Miranda schon nicht mehr, | |sie war wie der Blitz im Krankenraum verschwunden. | |"Ja, also, das ist doch....keine Manieren, diese jungen| |Dinger!" | |Tsukasa war sichtlich verwirrt. Was wollte Ricks | |Schwester von Yamagi? Und woher kannte sie überhaupt | |seinen Namen? Von irgendeinem irritierenden Gefühl | |aufgewühlt, folgte sie der anderen. Das Bild, das sich| |ihr bot, nachdem sie das Patientenzimmer betreten | |hatte, traf sie wie ein harter Schlag. Miranda hatte | |neben dem Bett Platz genommen, hielt die Hand des | |Jungen und strich liebevoll über seine Stirn. Er | |blinzelte und fragte, wer sie sei. Mit einem warmen, | |herzlichen Lächeln stellte sie sich ihm vor und | |erklärte, dass sie sich um ihn kümmern würde, bis er| |entlassen werden könne. Verblüfft richtete er sich | |auf. | |"Aber....warum willst du das tun? Wir kennen uns doch | |gar nicht!" | |"Noch nicht. Aber....aber ich finde dich wahnsinnig | |süß! Und, na ja, irgendwie....hatte ich gehofft, du | |könntest mich auch ein bisschen gern haben...." | |Tsukasa hatte genug gehört. Sie machte auf dem Absatz | |kehrt und rannte, als gälte es das Leben. Ihr Herz | |klopfte schwer gegen ihren Brustkorb. Sie meinte, einen| |schmerzhaften Stich in sich zu spüren, schluckte ihre | |Tränen wütend hinunter und lief weiter. Sie lief | |beinahe durch ganz GOA, bevor sie endlich, erschöpft | |und nach Atem ringend, stehen blieb. Etwas in ihr | |schrie auf wie ein Vogel in einem Käfig. Es tat weh! | |Grauenhaft weh! | |Nach diesem Vorfall brachte sie es nicht mehr fertig, | |Yamagi zu besuchen. Das zweite und dritte Mal, als sie | |noch den Mut gehabt hatte, ihn zu sehen, hatte sie | |jedes Mal Miranda angetroffen. Sie hatte neben seinem | |Bett einen Strauß bunter Blumen aufgestellt | |(vermutlich aus der Erholungsanlage; wenn Azuma das | |gewusst hätte!), las ihm etwas vor und erzählte ihm | |vom Training der Anwärter. Und er schien sich wirklich| |wohl in ihrer Gesellschaft zu fühlen.... Hatte er | |jemals so gelacht, wenn sie mit ihm zusammen war? | |Tsukasa verglich sich widerwillig mit Miranda und | |schnitt schlecht ab. Miranda war kleiner als Yamagi, | |was ihm, wie sie sich missmutig eingestehen musste, | |sicher wesentlich lieber war, außerdem war die | |Schwarzhaarige mit dem langen geflochtenen Zopf viel | |weiblicher als sie, nicht so reserviert und viel | |offener und humorvoller. Natürlich, ihr Partner war | |binnen der letzten zwei Jahre beachtlich gewachsen, | |aber größer als sie war er immer noch nicht, nur | |gleich groß. Dieses Thema wurmte ihn nach wie vor, das| |wusste sie. Dr. Croford entfernte schließlich die | |Fäden und ließ mit Hilfe ihrer medizinischen | |Ausrüstung auch die kleinsten Anzeichen der Verletzung| |verschwinden. Ursprünglich hatte Tsukasa ihn abholen | |wollen, doch als sie um die Ecke bog, entdeckte sie | |Miranda, die Yamagi an der Hand genommen hatte und ihn | |zur Feier seiner Entlassung zum Essen einlud. Aber das | |war nicht das schlimmste....das schlimmste kam erst am | |nächsten Tag.... | | | |Mit energischen Schritten durchmaß Lotsin Nr. 86 die | |Korridore des Schulungszentrums auf der Suche nach | |ihrem Partner, der bereits vor einer geschlagenen | |halben Stunde beim Training hätte erscheinen sollen! | |Sie fand ihn. Er war in eine Unterhaltung mit Ricks | |Schwester vertieft und bemerkte sie nicht einmal. | |"Yamagi! Ich warte schon seit 30 Minuten auf dich! | |Ausbilder Azuma springt vor Wut im Dreieck! Kommst du | |endlich?!" | |Es war selten, dass sie ihn so anfuhr. | |"Hä? Oh, scheiße! Entschuldige, ich hab total die | |Zeit vergessen!" | |Er gab Miranda einen flüchtigen Kuss auf die Wange und| |entschwand. | |"Was....was sollte denn das?!" | |"Was?" | |"Du....hast sie geküsst!" | |"Na und? Wenn du ihren Zwillingsbruder anhimmelst wie | |einen Engel persönlich, hast du ja sicher nichts | |dagegen, wenn ich mit einem anderen Mädchen gehe?" | |"...." | |Da sie nichts erwiderte, blieb er stehen und warf einen| |Blick über die Schulter. In seinen Augen war keine | |Regung zu lesen, doch sie meinte, eine Spur von | |Verbitterung darin zu erkennen. | |"Du gehst mit ihr?" | |Kam es nur ihr so vor, oder klang es wie ein Schrei? | |"Ja. Ich bin dir über nichts, was ich tue, | |Rechenschaft schuldig, Tsukasa. Wenn ich eine Freundin | |habe, ist das ganz allein meine Sache. Du hast doch | |Solares. Also." | |Damit ging er weiter, ohne darauf zu achten, dass sie | |immer noch wie zu einer Statue erstarrt im Gang stand | |und ungläubig vor sich hin stierte. Plötzlich brach | |ihre eigenartige Trance. Ein unerträglicher Schmerz | |explodierte in ihrem Inneren. | |"Ya....ma....gi...." | | | | ENDE DER RÜCKBLENDE | | | |Ein Schatten fiel auf ihr Gesicht. Eine neue | |Tränenflut wallte in ihr auf und drohte sie zu | |überschwemmen. Ihre Hand krampfte sich in das | |Bettlaken. Warum quälte sie das sosehr? Warum? WARUM?!| | | | | |Rick sah sich suchend um. Es konnte doch nicht so | |schwer sein, Ikhny-chan zu finden! Obgleich er es ihr | |gegenüber wohl nicht so rasch zugeben würde, hatte er| |sich tatsächlich in sie verliebt. Das passierte ihm | |zum ersten Mal und umso verwirrter war er, denn bisher | |hatte er es mit keiner wirklich ernst gemeint. Seine | |übliche Selbstsicherheit hatte ihn im Stich gelassen. | |Außerdem war da noch dieses "störende Subjekt", Hiead| |Gner! An einem zähnefletschenden Victim vorbeizukommen| |war einfacher! Zu seiner großen Freude entdeckte er | |auf einmal einen rosafarbenen Schopf mit Katzenohren. | |Wo Kizuna-san war, konnte ihre beste Freundin auch | |nicht weit sein. Ja - sie lief neben ihr her. Das | |Training war also vorbei (Ist natürlich ein kleiner | |Zeitsprung drin, klar?). So schnell ihn seine Beine | |trugen, rannte er auf die beiden Mädchen zu und | |verbeugte sich elegant, um einen guten Eindruck zu | |machen (der allerdings an Kizunas Meinung über ihn | |nicht viel geändert hätte, und wäre der Eindruck | |zehnmal so gut gewesen). | |"Ikhny-chan. Ich wollte gerade zu dir. Würdest | |du....würdest du heute Abend mit mir ausgehen?" | |Diese Frage verblüffte sie über die Maßen. Meinte es| |das ernst? Der umschwärmte Rick Solares, von seinen | |Geschlechtsgenossen als "Playboy" und "Macho" | |eingestuft (womit sie auch irgendwo recht hatten) und | |der Traummann ihrer Freundin Wrecka, bat sie, | |ausgerechnet sie, um eine Verabredung? Sie zögerte, | |zuzustimmen. | |"Kizuna!" | |Es war Zero, der bereits auf seine Partnerin wartete, | |um mit ihr das Mittagessen einzunehmen. Sie warf Ikhny | |noch einen beschwörenden Blick zu, ignorierte Rick | |geflissentlich und folgte Zero. Die beiden waren | |allein. | |"Ich....ich weiß nicht, was ich sagen soll...." | |"Sag einfach Ja! Ich würde mich sehr freuen, wenn du | |mit mir kämst. Nun?" | |Sie senkte die Lider und blickte zur Seite, | |durcheinander wie sie war. Sie wusste nicht, was sie | |davon halten sollte. Gewiss, sie verurteilte ihn bei | |weitem nicht so rigoros wie Kizuna es tat, aber sie war| |sich nicht sicher, ob sie ihn genug mochte, um mit ihm | |auszugehen. Rick war fasziniert von ihrer Schönheit. | |Die warmen braunen Augen mit den langen, wundervoll | |geschwungenen Wimpern, die süße Nase, die rosigen | |Wangen, das wallende Haar und die matt glänzenden, | |schimmernden Lippen....Er musste schlucken. Eine | |eigentümliche, ihm völlig unbekannte Hitze | |bemächtigte sich seiner und vernebelte seinen | |Verstand. Mechanisch ergriff er ihre Schultern, beugte | |sich hinunter und küsste sie. Ikhny erschrak zutiefst.| | | |"DIR GEHT'S WOHL ZU GUT!!!!" | |Eine starke Hand packte Anwärter Nr. 97 von hinten und| |schleuderte ihn rücksichtslos gegen die | |gegenüberliegende Wand. Nur langsam vermochte er, aus | |seinem Dämmerzustand aufzuwachen. Als er wieder klar | |sehen konnte, erhob sich drohend über ihm - wer wohl? | |- Hiead Gner, der natürlich im unpassendsten Moment | |auftauchen musste! Rick verbiss sich einen Fluch. Der -| |Kerl - nervte - ihn!! | |"Ikhny!" wandte sich Hiead gleich darauf an seine | |Lotsin, "Du wirst nicht mit ihm ausgehen! Ich verbiete | |es!" | |Sie sah ihn mit plötzlichem Widerwillen an und | |Ablehnung lag in ihrer Stimme. Sie klang kühler als er| |sie je vernommen hatte und er musterte seine Partnerin | |mit einer Mischung aus seiner gewohnheitsmäßigen | |Verachtung und einer unbestimmten Furcht. | |"Du....VERBIETEST es?!" | |Der silberhaarige Junge war ebenso überrascht über | |seinen (für ihn) unverständlichen Besitzanspruch wie | |über Ikhnys anklagenden Blick. Nie hatte sie erboster | |gewirkt als jetzt - und nie, gab er insgeheim zu, hatte| |sie schöner und stärker ausgesehen. | |"Wenn das so ist", entgegnete sie spitz, "dann werde | |ich mit Rick ausgehen. Heute Abend?" | |"Eh, ja. Du willst also? Super! Ich hole dich um acht | |ab, in Ordnung?" | |Sie nickte und er verließ sie mit einem glücklichen | |Grinsen. | |"Ikhny! Was soll das?! Der Kerl ist ein Schwindler! Er | |ist nicht an dir als Person interessiert, sondern an | |dir als hübsches Mädchen! Weißt du eigentlich, was | |du da tust?!" | |Sie schwieg. Hieads Temperament ging mit ihm durch. Er | |drückte sie gewaltsam - wie schon einmal zu Beginn | |ihrer Ausbildung - gegen die Wand und zischte leise: | |"Du wirst nicht mit ihm ausgehen, hörst du?! Du bist | |MEINE Partnerin! Dein Job ist es, mich zu unterstützen| |und nicht, irgendwelchen Volltrotteln | |hinterherzurennen! Ich...." | |*!KLATSCH!* | |Stille. | |Seine granatfarbenen Augen waren geweitet. Er wich | |zurück. Unwillkürlich legte sich seine Hand auf die | |Wange, auf der die Ohrfeige gelandet war. | |"Jetzt reicht es mir! Zwei Jahre lasse ich mir nun | |schon deine Missbilligung, deine Verachtung, deine | |Gleichgültigkeit, deine Unfreundlichkeit und deine | |Kaltherzigkeit gefallen! Ich habe immer mein Bestes | |getan, um dir zu helfen, aber ich habe kein einziges | |Mal ein Dankeswort erhalten! Auf dem Ball war in mir | |die Hoffnung gekeimt, du würdest endlich deine eisige | |Maske fallen lassen, aber das war ein Irrtum! Ich habe | |mir eingeredet, ich könnte deine Fassade eines Tages | |durchbrechen und dich von all den schlimmen und | |furchtbaren Ereignissen, die dein Herz so brutal | |verletzt haben, befreien und dich lehren, wieder | |Vertrauen zu anderen Menschen zu fassen! All meine | |Bemühungen waren umsonst! Was bin ich für dich?! | |Immer noch nichts weiter als ein Gegenstand?! Ich will | |nicht mehr, verstehst du?! Ich....ich hasse dich!!" | |Danach lief sie davon. | |Hiead lehnte sich an die Wand, an der Ikhny zuvor noch | |gestanden hatte. Langsam, fast wie in Zeitlupe, | |rutschte er daran hinunter und hockte schließlich, mit| |angewinkelten Beinen, auf dem kalten Fußboden. Dann | |umschlang er seine Knie mit den Armen, beugte seinen | |Kopf vor und verbarg sein Gesicht. Es war bleich. Alles| |schien sich um ihn zu drehen. Niemand außer ihm war im| |Korridor. Er war allein. Schrecklich allein. | |"Ich hasse dich!" hatte sie ihn angeschrieen. | |Und es war ihm, als würde etwas in ihm zerbrechen. | | | |Wie lange er so saß, vermochte er nicht zu sagen. | |Hiead verlor jegliches Zeitgefühl. Er schien nichts | |und niemandem mehr Beachtung zu schenken, und so kam | |es, dass er auch die Schritte nicht vernahm, die | |gemächlich auf ihn zusteuerten. | |"Nanana, was hat dir denn die Petersilie verhagelt? Du | |siehst ja aus wie ein ganzes Jahr Regenwetter! | |Probleme?" | |An der fröhlichen Stimme erkannte Hiead seinen Rivalen| |(und Kameraden, ja doch, verdammt!), Zero Enna. | |"Was willst du?" | |"Deine Laune ist hervorragend wie immer! Aber nein - | |wenn ich' s mir genauer überlege, ist sie sogar noch | |mieser als sonst! Komm schon, spuck's aus! Was hast | |du?" | |"Du erwartest doch wohl nicht, dass ich glaube, dass du| |mir helfen willst?" | |"Und warum glaubst du das nicht?" fragte sein | |Gegenüber mit einem spitzbübischen Grinsen. | |"Wir sind Gegner, vergiss das nicht." Zero schwieg eine| |Weile. | |"Sind wir das?" Ein schwer zu deutendes Lächeln | |huschte über sein Gesicht. "Dabei hast du mir das | |Leben gerettet, Hiead. Weißt du noch? Du hast zwar | |behauptet, du hättest es nur getan, um dein EX | |auszuprobieren, aber irgendwie konnte ich dir das nie | |so recht abnehmen. Immerhin hast du dich dabei selbst | |in Gefahr gebracht. Das hätte verflixt schief gehen | |können, das ist dir klar, neh? Du hast mich | |beschützt, habe ich recht?" | |"Blödsinn!" giftete Anwärter Nr. 87 schroff zurück. | |"Einen Idioten wie dich würde ich niemals beschützen!| |Allein der Gedanke!" | |"Ich bin kein Idiot." | |"Doch. Das bist du." | |"Meinst du? Du weißt zu wenig von mir, als dass du dir| |darüber ein Urteil bilden könntest. Früher hielt | |auch ich dich für widerwärtig und unmöglich - aber | |in Wahrheit ist da etwas in dir, das ich erst später | |bemerkt habe. In deinen Augen liegt eine große | |Einsamkeit. Man hat dir wehgetan, nicht wahr?" | |Hiead atmete geräuschvoll durch die Nase. | |"Viele halten mich für oberflächlich und kindisch. | |Aber....nur weil deine Fassade als solche erkennbar | |ist, bedeutet das nicht, dass es nicht auch eine andere| |Art von Fassade geben kann - wie meine. Nein, ich werde| |dir nicht erklären, was das heißt. Wenn du es nicht | |selbst verstehst, hat das keinen Sinn. Wir sind gar | |nicht so verschieden, wie es auf den ersten Blick | |scheinen mag. Wir beide besitzen ein aufbrausendes | |Temperament und wir beide wollen um jeden Preis Pilot | |werden. Auch den Durst nach echten Gegnern teilen wir. | |Wir unterscheiden uns jedoch in unserer Denkweise: Du | |denkst nicht mit dem Herzen, weil du zu oft verletzt | |worden bist. Für dich gibt es nur Verstand und | |Vernunft, und deswegen gibst du dich nach außen auch | |so hart und unnahbar. Du willst niemanden an dich | |heranlassen, weil du Angst hast, dein Vertrauen könnte| |aufs Neue betrogen werden. Darin bin ich dein | |Gegensatz. Mein Verstand mag sich täuschen lassen, | |aber mein Herz niemals. Ich sehe nicht nur mit den | |Augen, ich sehe vor allem mit dem Herzen....und das ist| |der Grund, warum ich dich mit der Zeit immer weniger | |als meinen Rivalen betrachten konnte, einfach deshalb, | |weil deine Maske mir nichts mehr entgegenzusetzen hat. | |Ich durchschaue dich, mehr als du vermutlich geahnt | |hast. Also hör auf, dich allein zu quälen. Sag mir, | |was los ist." | |"...........Warum....interessiert dich das?" | |Er lächelte wieder. | |"Wir sind doch Freunde." | |"Seit wann? Ich kann mich nicht erinnern, mich mit dir | |angefreundet zu haben. Denkst du denn im Ernst, dein | |Mitgefühl und deine Freundschaft würden mir etwas | |bedeuten?! Mach dich nicht lächerlich!" | |Hieads Worte klangen gereizt und höhnisch, doch Zero | |ließ sich davon nicht beeindrucken. Er setzte sich | |neben den anderen und platzierte seine Hand auf dessen | |Schulter. Der silberhaarige Junge versteifte sich | |darunter. | |"Du hasst dich selbst. Warum, kann ich nicht sagen. Du | |verfluchst alle Menschen, weil du einmal vertraut hast | |und dein Vertrauen verraten wurde. Wie, kann ich nicht | |sagen. Etwas in dir wurde durch die Grausamkeit der | |Welt zerstört. Wann, kann ich nicht sagen. Jemand hat | |dir sehr wehgetan. Wer, kann ich nicht sagen. Aber | |Liebe, Mitgefühl und Freundschaft sind so viel | |stärker als der Hass und die Traurigkeit, Hiead! Sie | |können alles überwinden! Ich weiß es!" | |"Ha. Werd endlich erwachsen. Das Leben besteht nur aus | |Dunkelheit. Wer würde schon für einen anderen die | |Hand ins Feuer legen, wer würde einem zur Seite | |stehen, wenn alle ihn verlassen haben? Glücklichsein, | |Liebe, Freundschaft, dieses ganze Getue, ist nicht | |real! Nichts weiter als Theater, das man vorgespielt | |bekommt, solange man noch ein Kind ist, unwissend und | |dumm! Du kapierst wirklich gar nichts!" | |Er lachte zornig auf. | |"Liebe", begann Zero im Flüsterton, "zeigt sich in | |vielen Formen. Die Liebe der Eltern zu ihren Kindern. | |Die Liebe zwischen Geschwistern. Die Liebe zwischen | |Mann und Frau. Selbst Freundschaft ist eine Art der | |Liebe, denn auch Freunde können einander viel | |bedeuten. Es gibt Freundschaften, die unzählige Jahre | |überdauern, ein ganzes Leben lang halten. Doch Liebe | |ist etwas, das wir tun müssen, nicht etwas, das wir | |bekommen. Erst wenn wir gelernt haben, nicht mehr | |danach zu fragen, was wir als Belohnung für unseren | |Einsatz erhalten, wenn wir nicht verlangen und fordern,| |dann haben wir begriffen, was lieben heißt. Wenn Liebe| |für dich nichts anderes ist als ein Warten auf etwas, | |auf Zärtlichkeit, Wärme, Aufmerksamkeit, Anteilnahme | |- dann hat das mit Liebe nichts zu tun. Jeder straft | |sich im Grunde selbst, Hiead. Indem er hasst. Indem er | |sich außerhalb der Gemeinschaft stellt. Indem er sich | |einsam und unglücklich macht. Wer könnte ihn | |schlimmer bestrafen, sag? Ich reiche dir eine Hand, die| |bereit ist, dich von dieser Strafe zu befreien, die du | |dir selbst auferlegt hast. Ich erwarte nicht, dass es | |schnell geht, dass du in wenigen Tagen zu einem neuen | |Menschen wirst....aber auf einen Versuch kommt es an, | |meinst du nicht? Menschen können nicht ganz allein | |leben. Weil ich meine Freunde habe - Clay, Roose und | |Yamagi - und weil Kizuna an meiner Seite ist, kann ich | |stark sein und mich jeder Herausforderung stellen. Sich| |aufzugeben ist der falsche Weg. Nur selten vermag | |jemand, wieder umzukehren, wenn er einmal eine | |bestimmte Richtung eingeschlagen hat. Nimm meine Hand, | |Hiead. Dreh um, bevor es zu spät ist. Vielleicht ist | |das deine letzte Chance....deine ALLERletzte Chance." | |Es blieb fast unerträglich lange geradezu | |beängstigend still. Zero war aufgestanden und streckte| |Hiead die Hand hin. Keiner von beiden rührte sich. Sie| |schienen nicht einmal die schemenhafte Gestalt zu | |bemerken, die sie aus einer Ecke heraus beobachtete. | |Schließlich, es war, als hätte es eine Ewigkeit | |gedauert, ergriff er Zeros Hand und ließ sich | |aufhelfen. Nachdem dies geschehen war, verschwand | |Anwärter Nr. 87 in einem der zahllosen Flure. Ein | |seltsames Beben durchlief ihn. Nummer 88 blickte ihm | |einen Moment nach und wandte sich endlich an die Person| |im Schatten. Es war Azuma. | |"Wie war ich?" erkundigte er sich respektvoll und | |freundlich, ganz anders, als es seine freche Manier | |für gewöhnlich zuließ. | |"Nun - für ,Nicht der Vertrauenslehrer' war das | |wirklich....sehr gut." | | | |Hiead stolperte in das Gemeinschafts-Quartier. Clay war| |offensichtlich noch mit Saki unterwegs. Er fühlte sich| |leer und verbraucht. Das Gespräch mit Zero hatte ihn | |erschöpft. Kraftlos ließ er sich auf sein Bett fallen| |und seufzte tief. Der Krieg....die Victims....die | |Göttinnen....Solares....Zero....und Ikhny, Ikhny, | |IKHNY. Sie hatte gesagt, sie würde ihn hassen. |
Er verstand sich selbst nicht mehr. Warum hatte er einen solchen Besitzanspruch auf sie erhoben? Ja. Ikhny und Zero. Diese beiden Menschen sahen durch ihn hindurch wie durch Glas. Diese beiden Menschen, einzig diese beiden Menschen, hielten ihn nicht für einen kaltblütigen, verachtenswerten Krieger. Und genau deshalb hatte er sich ihnen gegenüber immer am härtesten und unversöhnlichsten gezeigt, weil sie mit ihren klaren Augen durch seine Fassade direkt in sein Herz blicken konnten. Niemand durfte sein Herz sehen, niemand! Und doch....wie oft hatte er darauf gehofft, jemand möge ihn auffangen, bevor er für immer von dem Abgrund seines Selbsthasses, seines Misstrauens und seiner Einsamkeit verschluckt werden würde. Gab es auch für ein Leben, das lebenswert war? Gab es das für ihn? Liebe? Freundschaft? Er hatte Ikhny wütend gemacht und sie früher behandelt wie ein Stück Abfall. Diese Chance hatte er wohl vertan. Aber vielleicht war es wenigstens für eine Freundschaft noch nicht zu spät....
"Deine Augen waren sehr ernst. Du glaubst an diese eventuelle Freundschaft. Und zum ersten Mal in meinem Leben bin ich keine Ausnahme. Dein Herz ist wirklich rein. Rein und unendlich stark. Mit dir haben wir Hoffnung....Rei."
We got the power
Get ready to go
We stand united
The energy flows
We got the power
The moment has come
Nothing can stop us
When we stand as ONE
Wer träumt, dem wachsen Flügel.
Die nächste Folge heißt: "Curriculum 07: Seelen"
