Curriculum 08: Versprechen
Phil Phleira näherte sich ihrer Freundin Tune sehr umsichtig. Sie hoffte inständig, dass sie ihr helfen konnte. Behutsam legte sie ihr die Hand auf die Schulter und die junge Frau drehte sich um.
"Wie geht es dir?"
Zaghaft öffnete Tune den Mund. "Ich habe über das nachgedacht, was du und Rio mir gesagt habt. Und ich habe auch über Gareas nachgedacht. Es....es tut mir leid, dass ich Rioroute und dich so verurteilt habe....Du....ihr....liebt euch wirklich, nicht wahr?"
"Ja. Ich bin so glücklich darüber, dass wir zueinander gefunden haben. Wenn ich ihn verlieren würde, würde ich gewiss genauso traurig und verzweifelt sein wie du. Aber auf ewig in deinem Schmerz gefangen zu sein, zerstört dich ganz langsam von innen. Du musst neuen Lebensmut fassen, Tune. Wir alle werden dich dabei unterstützen. Vertrau uns und vertrau dir selbst. Noch ist es nicht zu spät, umzukehren, meine Freundin."
Phil Phleira umarmte sie und unterdrückte ihre Tränen. Sie wollte jetzt nicht weinen, sie musste jetzt stark sein! Die Lotsin der Reneighd Klein spürte ihre Wärme, ihren Beistand und ihren Wunsch, sie von dem Abgrund des Leids zurück zu reißen. Ein Gefühl der Scham stieg in ihr hoch. Wie hatte sie nur jemals an den Menschen zweifeln können, mit denen sie Schrecken und Furcht während des Krieges geteilt hatte? Und Galew....er litt genauso wie sie. Auch er hatte Ernest....geliebt, und ihn genauso verloren. Und er lebte in dem Bewusstsein, dass Ernest gestorben war, um ihn zu schützen. Verbitterung. Hass. Wut. Sie hatte sich blenden lassen, sich aufgegeben. Das musste ein Ende haben!
"Ich....ich danke euch....euch allen...."
Sie brach in Tränen aus und Phil Phleira strich ihr fürsorglich über den Rücken.
"Es ist alles gut. Du bist nicht allein. Wir sind alle bei dir. Wenn du Probleme hast, kannst du zu uns kommen, jederzeit. Du hast uns durch deine Güte, deine Sanftheit und deine Ruhe viel Kraft gegeben. Jetzt ist es an uns, dir etwas davon zurückzugeben."
Unterdessen war Rio auf der Krankenstation. Er besuchte Yu, der, einen Verband um Schulter und Brust gewickelt, aufrecht in seinem Bett saß.
"Wie fühlst du dich?"
"Etwas besser. Dr. Croford ist eine hervorragende Ärztin. Kazuhi war schon hier. Sie macht sich große Sorgen um mich, obwohl ich beteuert habe, dass es mir gut geht. Arme kleine Schwester."
"Das wundert dich doch wohl nicht, oder? Immerhin bist du der einzige, der ihr noch geblieben ist. Eure Eltern sind tot. Als ihr großer Bruder bist du für sie verantwortlich. Sie liebt dich sehr. Dich zu verlieren wäre das schlimmste, was ihr passieren könnte. Du beschützt sie vor allen Gefahren....und vor dummen Anmachen anderer Leute." Er grinste. Yu schmunzelte (!).
"Ach? Meinst du etwa dich damit?"
"Ja. Aber mal ehrlich, du hast doch gemerkt, dass es mir nicht ernst war, es sollte bloß eine Neckerei sein. Schließlich gehört mein Herz nur einer und das für immer."
"Phil Phleira?"
"Bingo! He, du kriegst ja doch mehr mit, als ich dachte! Außerdem ist Kazuhi nun mal...."
"Du brauchst nicht weiterzureden. Ich weiß, dass sie süß ist. Übrigens, worüber ich sowieso mit dir sprechen wollte...." Rio nickte ermunternd.
"Du warst in unmittelbarer Nähe während des Kampfes. Sag mir die Wahrheit - Kallisto hat mich gerettet, oder?"
"Das hat sie. Die Göttinnen sind etwas Besonderes, keine Frage."
"Ich....bin ohnmächtig geworden."
"Du warst verletzt, da kann das schon mal passieren! Du....Yu?"
"Es ist nicht nur das. Während des Gefechts fühlte ich mich schwächer als sonst....ich....ich habe Angst, dass....dass...."
"....dass dein EX nachlässt? Damit quäle ich mich schon lange. Unsere Zeit als Piloten ist dabei, abzulaufen, daran können wir drehen und wenden, wie wir wollen, das ist eine Tatsache. Wir wussten doch von Anfang an, dass wir diesen Job nicht lange machen würden. Deswegen existiert GOA, deshalb werden neue Piloten ausgebildet. Aber ich bin nicht böse darum. Wenn wir nicht mehr durchhalten, ist es gut zu wissen, dass es andere gibt, die Zion gegen die Victims verteidigen können und dass unsere Arbeit nicht umsonst war, sondern weitergeführt werden wird. Wer weiß, vielleicht werde ich Ausbilder auf GOA, wenn meine Pilotenkarriere endet? Es gibt genug Anwärter, die diesen Weg gegangen sind. Ich bin sicher, meine Schüler würden mich lieben!"
"Wie meinen?"
".....HE?! Soll das heißen, du traust mir den dynamischen Junglehrer nicht zu?! Eine bodenlose Unver...."
Ein schriller Alarm unterbrach seine Entrüstung.
"Zwei Victims gesichtet! Sie sind in Zone 6 eingedrungen! Piloten bereitmachen!"
"Na toll...."
Die Fluglotsen hatten vor den Kontrollpulten der Ingrids Stellung bezogen. Leena überprüfte noch einmal die Bewaffnung und den Atomic-Kern. Phil Phleira zeigte ein entschlossenes Gesicht. Sie hatte ihren Partner stark gemacht, er würde zurückkommen und sie wieder in seine Arme schließen! Tune, deren Augen immer noch gerötet waren, wirkte wieder heiterer und gelöster und schien sich mit vollem Einsatz auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.
"Eeva Leena bereit!"
"Agui Keameia bereit!"
"Reneighd Klein bereit!"
Teela traf ein. Ihre türkisfarbenen Augen richteten sich ruhig und unerschütterlich auf die Weiße Göttin. Es war soweit. Heute würde sich ihr Schicksal erfüllen....
"Ernn Laties bereit! Telia Kallisto bleibt wegen des verwundeten Piloten zurück! Alle Maschinen fertig? Piloten auf ihre Plätze!"
Erts lächelte Tune freundlich zu, bevor er im Inneren seiner Einheit verschwand und sie erwiderte es zögernd. Er wiegte leicht mit dem Kopf. Ja. Ihr Sturz in den Abgrund war gebremst worden, sie hatte sich auffangen lassen. Dieser Gedanke erzeugte eine tiefe Erleichterung in ihm, denn wie stets schmerzte es ihn, wenn seine Freunde litten.
Bevor Rio in die Keameia einstieg, gab er seiner Partnerin noch einen süßen Kuss und drückte ihr fest die eisigen Hände.
"Sorge dich nicht. Du weißt...."
".....dass du zurückkehren wirst? Natürlich. Dennoch - sei nicht leichtsinnig, mute dir nicht zu viel zu und...."
Er legte ihr den Finger auf den Mund.
"Sag nichts mehr. Ich bin unbesiegbar, weil ich dich habe, weil du mich liebst und auf mich wartest. Bei so einem Ansporn kann ich ja gar nicht verlieren!" Mit einem letzten, fröhlichen Zwinkern verabschiedete er sich von ihr und das Cockpit schloss sich.
Gareas kam zu spät. Leena hatte die Arme verschränkt und stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. Wo blieb dieser verantwortungslose, hitzköpfige, absolut taktlose Kerl? Zu ihrem Ärger beobachtete sie, wie die drei anderen Göttinnen ihre Stellplätze bereits verließen - logisch, Teela war ja auch schon an Bord! Endlich erschien er, nach Atem ringend und um mindestens einen Meter zusammenschrumpfend, als er Leenas dunkelblaue Augen erbost blitzen sah.
"Entschuldige, ich....eh....also, ich hab meine Ohrringe nicht gefunden...."
"Bravo, Galew, bravo! Steig endlich ein, du hältst den ganzen Verkehr auf!"
"Wie die Herrin befehlen!"
Das Training der Top-Schüler ging seinen gewohnten Gang. Azuma nickte zufrieden und zündete sich eine Zigarette an. Seine Kadetten waren wirklich gut geworden! Nachdem Zero seinen ersten Kampf für heute beendet hatte (Yamagi war irgendwie schlecht gelaunt gewesen, er konnte den Grund dafür nur vermuten), verließ er mit Kizuna das Übungsgelände. Schweigend liefen sie nebeneinander her. Kizunas Herz klopfte zum Zerspringen. In seiner Nähe zu sein, verwirrte und beglückte sie zugleich. Plötzlich nahm er sie bei der Hand und sagte:
"Ich muss etwas mit dir besprechen. Komm mit."
Ohne auf ihre protestierenden Ausrufe zu achten, zog er sie hinter sich her zu dem Quartier, das er sich mit Clay und Hiead teilte. Dort drückte er sie aufs Bett und marschierte vor ihr auf und ab. Sie wusste nicht, was sie von diesem Benehmen halten sollte.
"Erinnerst du dich an das Gefecht, in dem Yamagi verletzt wurde? Mir ist dabei etwas Seltsames....widerfahren, und ich wollte dich fragen, was du davon hältst....Hör zu."
Er erzählte ihr, was an jenem Tag im Cockpit seines PRO-ING vorgefallen war.
"......Ich....ich weiß nicht. Das klingt alles sehr mysteriös. Und du bist dir sicher, dass es Teela Zain Elmes war?"
"Wenn sie es nicht war, war es jedenfalls eine hervorragende Nachahmung. Aber im Ernst: Sie war es, hundertprozentig. Ich weiß, was sie gesagt hat, aber ich weiß nicht, was sie meint." Hm. Da kann ich dir auch nicht weiterhelfen, ich bin mindestens so schlau wie du. Wie lautet dein richtiger Name gleich noch mal?"
"Rei. Das ist der Name, den mein Vater mir gab. Er bedeutet ,Null'. Die Kinder auf meiner Kolonie sagten immer, dieser Name sei veraltet, deshalb nannten sie mich ,Zero'. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt, so sehr, dass ich den Namen übernahm. Aber eigentlich heiße ich Rei. Das ist der Name, auf den ich stolz sein wollte, und ihn statt dessen ablegte. Woher könnte Teela ihn kennen? Ich bezweifele, dass sie geraten hat."
"Rei....das ist ein schöner Name." meinte Kizuna nach einer Weile.
"Vielen Dank. Aber ich mache mir Vorwürfe, dass ich ihn nicht aufrecht und ehrlich getragen habe. Ich wollte ihn immer in Ehren halten und was habe ich letztendlich getan? Ich habe das Erbe meines Vaters verleugnet und....und meine Mutter allein gelassen."
Ein harter Zug erschien um seinen Mund und mit einem Mal wirkte er wie jemand, der ernst zu nehmen war. Kein Kind mehr, sondern ein junger Mann. Der Eindruck war so intensiv, dass das Mädchen nervös schlucken musste. Unter seiner fröhlichen und ausgelassenen Fassade verbarg sich so viel; eine Stärke und Reife, die sie nie in ihm vermutet hätte und ein tapferes Herz.
"Na ja, irgendwie werde ich des Rätsels Lösung schon finden. Spätestens wenn ich Teela wieder begegne. Mein Kopf ist voll und entsetzlich schwer. Und das Training war anstrengend. Ich glaube, ich dusche noch eine Runde."
"Das ist eine gute Idee. Ruh dich ein wenig aus und versuch, dich zu entspannen. Darüber nachgrübeln kannst du.....immer...........noch........." Kizunas Gesicht vollführte mit einem Mal eine beachtliche Bandbreite an Verfärbungen, die meisten davon eine Variation von rot. Zero hatte sein Hemd ausgezogen und es auf sein Bett geworfen. Nun suchte er in den Wirren seines Schrankes nach einem Handtuch. Es war weniger seine von ihr kaum erwartete plötzliche Offenherzigkeit, die sie anrührte, als die Schönheit seines königlichen Rückens. Sie, die, obwohl sie es nie zugegeben hätte, eine schwer zufrieden stellende Ästhetin und es außerdem gewohnt war, die Schönheit der Männer zu zergliedern, war durch sie geblendet worden. Hier, im Halbdämmer des Zimmers, traf diese sie mit unbändiger Kraft. Der Glanz seiner gebräunten Haut, die Bewegung der vollen, fleischigen und dennoch anmutig und rein geformten Schultern, die glatten, kräftigen Arme, das schimmernde Haar, ein fließender Schmuck aus dunklem Holz, der aus dieser Pracht sich lösende Nacken....all das drohte ihr den Atem zu rauben. Wie schön er doch war!
"Hey, Kizuna, meinetwegen musst du wirklich nicht hier bleiben. Du kannst ruhig gehen."
Da sie nichts erwiderte, wandte er sich um und musterte sie fragend.
"Was ist los? Du siehst so....ernst aus."
Er betrachtete ihr Gesicht, die fein geschnittenen Züge, die langen Wimpern, die glatte, weiche Haut und die rosigen Lippen, die ihn an köstliche frische Früchte erinnerten. In ihren großen, ausdrucksvollen Augen, die im Licht der Lampe strahlten, spiegelten sich Sehnsucht und....und Liebe? Konnte das sein? Ihr warmer weiblicher Duft drohte ihn um den Verstand zu bringen. Noch niemals zuvor war er sich seiner Männlichkeit so bewusst geworden wie in diesem Moment. Wie hypnotisiert starrten sie einander an. Mehrere Sekunden verstrichen. Dann löste sich die Spannung. Zero zog Kizuna zu sich herauf und küsste sie hingebungsvoll. Als sein Mund den ihren berührte, erfasste sie ein Schwindel. Sie hatte nicht gewusst, dass die Lippen eines jungen Mannes diese Blütenfrische, diese schmelzende Weichheit haben konnten. Gegen seinen entblößten Oberkörper gepresst, spürte sie ein Feuer in sich aufsteigen, das sie verzehrte. Schließlich löste er sich von ihr und strich mit dem Finger über ihre erhitzten Wangen. Aufgewühlt öffnete sie die Augen, schwankend und sich danach sehnend, noch einmal geküsst zu werden.
"Warum....?"
"Warum?" Er schloss die Arme um sie und bettete sein Kinn in ihrem rosafarbenen Haar. "Du kennst doch die Antwort. Weil ich....weil ich dich liebe, Kizuna Towryk. Für immer."
Ihr Glück überrollte sie wie eine Flutwelle. Sie drückte sich an ihn und umschlang ihn, als wolle sie ihn nie mehr loslassen.
"Ich....ich liebe dich auch....Rei."
Er lächelte zärtlich, als sie ihn bei seinem richtigen Namen nannte. Wie sehr wünschte er, dieser Augenblick möge endlos sein....
"Zwei Victims in Zone 6 gesichtet! Die Göttinnen fordern Hilfe an! Schüler und PRO-INGs bereitmachen!"
"Wie schade." grinste sie schelmisch und küsste ihn auf die Nasenspitze. Er zuckte die Schultern. Seine Dusche musste er wohl oder übel verschieben. Er stülpte sich sein Hemd wieder über und beide rannten zur Gefechtsbrücke der Anwärter.
Yamagi war bereits eingestiegen, doch er schien Tsukasas traurigen Blick nicht zu bemerken. Er war mit Miranda zusammen, daran konnte sie nichts ändern. Im Grunde konnte es ihr egal sein. Aber es war ihr nicht egal! Wieso nur?! Auch Wrecka, normalerweise vergnügt und locker, schien Sorgen zu haben. Als Roose in seiner Einheit verschwunden war, verkrampften sich ihre Hände. Verloren! Bei Gott, sie hatte ihn verloren! Wie hatte sie nur so unsäglich dumm sein können?! Zu spät! Es war zu spät!
"Verfluchte Oberflächlichkeit! Du bist so eine blöde Kuh, Wrecka!" schalt sie sich selbst. "Rick hat dir nie wirklich etwas bedeutet! Du wolltest ihn, weil er gut aussieht! Dabei hattest du die ganze Zeit einen Jungen an deiner Seite, dem du tausendmal wichtiger warst! Du bist so blöd, so hoffnungslos blöd!"
Ikhny war noch stiller als sonst. Sicher, sie hatte Rick abblitzen lassen, aber noch schlimmer war der Grund, warum sie ihm einen Korb gegeben hatte. Nachdem sie Hiead ihre Meinung gesagt und ihn angeschrieen hatte, dass sie ihn hasse, hatte sie den restlichen Tag nur noch weinen können. Er war dabei gewesen, ihr sein Herz zu öffnen und jetzt hatte sie selbst wieder alles zerstört! "Ich hasse dich" - eine Lüge, nichts als eine grauenhafte Lüge! Sich zu dieser Erkenntnis durchzuringen, war schwer genug gewesen. Sie hörte ein Klacken und wusste, dass ihr Partner in seinen PRO-ING geklettert war. Hassen! Wie könnte sie ihn je hassen, ihn, der doch nur nach Hilfe schrie, der sich nichts weiter wünschte, als Liebe und Geborgenheit, ihn, der an seiner eigenen Einsamkeit zu zerbrechen drohte! Tränen traten ihr in die Augen und sie wischte sie rasch fort, damit keiner es mitbekam. "Ich liebe dich, Hiead!" pochte ihr Herz unglücklich. "Ich liebe dich!"
Kizuna fühlte ein kaltes, mitleidloses Gefühl nach ihrer Seele greifen. Angst kroch in ihr hoch. Ein Kampf. Und Zero - nein, Rei - musste ausrücken! Ihre Finger zitterten, als sie die nötigen Daten eintippte. Er warf ihr einen letzten Blick zu, den sie mit erzwungenem Lächeln erwiderte.
"Bitte komm wieder!" flehte sie leise. "Bitte komm wieder!"
Saki war noch nicht eingetroffen. Sie wartete auf Clay, der irgendetwas in seinen Laptop einspeicherte.
"Meine Theorien über die Göttinnen und warum man sie als ,lebende Mechas' bezeichnet."
"Ich fasse es nicht! Das hättest du auch nachher machen können!"
Sie schob ihn zur Gefechtsbrücke, begrüßte die anderen und trat an ihr Kontrollpult.
"Typ und Anzahl der Victims?" erkundigte sich Clay, bevor er zu seiner Einheit eilte.
"Es sind zwei. Vom Typ....Typ R!"
Also die gefährlichste Sorte (ich nehme das mal an, angesichts Tunes erschrockener Reaktion aus der Serie)! Kampfeswille zeichnete sich in seinen Zügen ab und er wollte eben gehen, als Saki ihn noch einmal zurückhielt.
"Ich weiß, ich soll mir keine Sorgen machen - aber ich kann nicht anders! Es ist nicht so einfach, die erforderliche emotionale Distanz zum Kampfgeschehen einzunehmen, wenn man.... wenn man seinen Partner....von ganzem Herzen liebt...." Er schwieg eine Minute.
"Komm mit."
Rasch führte er sie vor die Tür der Brücke, denn er wollte nicht, dass alle Umstehenden mitbekamen, was er vorhatte. Saki war verwirrt, doch sie wartete geduldig ab. Clay nahm seine Brille ab und reichte sie dem Mädchen.
"Was....was soll ich damit? Du brauchst sie doch!"
Er schüttelte den Kopf.
"Nein. Ich brauche sie nicht. Nicht in dem Sinn. Ich bin kurzsichtig geboren worden, das stimmt. Aus diesem Grund erhielt ich zwei Atomics, eins für jedes Auge."
"Ja, aber.....wenn es so ist, warum trägst du dann überhaupt eine Brille?"
"Mein Vater war Kapitän eines Handelsschiffes, das viele Güter zu anderen Kolonien transportierte. Seine Flüge waren nie ohne Risiko, denn die Victims lauerten überall. Eines Tages wurde sein Schiff von einer dieser Kreaturen angegriffen und er und seine gesamte Besatzung getötet. Ich war drei Jahre alt, als ich ihn verlor. Alles, was man von meinem Vater fand, als die Wachposten unserer Kolonie eintrafen, um das Wrack und die toten Menschen zu bergen, war seine Brille. Ich habe keine richtige Erinnerung mehr an ihn, aber ich weiß, dass ich ihn geliebt habe, Saki. Und deshalb trage ich seine Brille, denn sie ist das letzte Erinnerungsstück an ihn und alles, was mir noch von ihm geblieben ist." "Aber....ich kann doch unmöglich....ich kann sie doch unmöglich annehmen, wenn sie dir so wichtig ist!"
"Doch, das kannst du. Du musst sogar. Ich werde jetzt da rausgehen und kämpfen. Vergiss also nicht, mir diese Brille unter allen Umständen wiederzugeben! Hast du verstanden?"
Sie sah ihn an, mit bebenden Lippen.
"Ich will sie auf alle Fälle wiederhaben! Versprich mir, dass du gut darauf aufpasst. Du musst sie mir heil wieder in die Hand drücken, wenn ich zurückkomme. Versprich es mir!"
"Ja, Clay. Ich....ich verspreche es."
Sie küsste ihn zum Abschied und er begab sich endlich zu seinem PRO-ING. Sorgsam verwahrte sie die Brille in ihrer Jackentasche und suchte ihren angestammten Platz auf, um ihrem Partner beizustehen. Kapitän Hijikata Azuma erschien und musterte die kampfbereite Reihe der Top-Schüler.
"Maschine #85!"
"Ja!"
"Maschine #86!"
"Ich bin soweit!"
"Maschine #87!"
"Bereit!"
"Maschine #88!"
"Es kann losgehen!"
"Maschine #89!"
"Alles klar!"
"Gut! Der Countdown läuft!"
Roose konzentrierte sich. Wrecka hatte traurig ausgesehen. Ob er sich das nur eingebildet hatte? Offensichtlich lief ihre Beziehung mit Solares nicht ganz so, wie sie sich das vorgestellt hatte. Oder sollte sie etwa....?
"10 - 9 - 8 -...."
Yamagi grübelte missmutig vor sich hin. Er war wütend auf sich selbst. Warum zum Teufel hatte er sich mit Miranda eingelassen? Sicher, sie war sehr hübsch und nett, aber eigentlich war sie ihm für seinen Geschmack zu leichtherzig. Außerdem war er ja auch in eine andere verliebt! Tsukasa hatte ihn aus tränenverhangenen Augen betrachtet. Ob sie eifersüchtig war? Aber sie war doch an Solares interessiert, deswegen war er doch mit Miranda zusammen, um seine Partnerin aufzurütteln! Rah, was war er bloß für ein Idiot!
"....7 - 6 - 5...."
Hiead musterte seine Partnerin. Ihrem Gesicht nach zu urteilen, hatte sie Angst um ihn. Aber warum sollte sie? Sie hatte ihm deutlich gesagt, was sie von ihm hielt! Er spürte einen schmerzhaften Stich in der Brust. Oh Ikhny....! Wieso....?
"....4 - 3 - 2...."
Zero grübelte. Was würde passieren, wenn er Teela heute ein zweites Mal sah? Ob sie ihm Antworten auf seine Fragen geben würde? Das schien ihm eher unwahrscheinlich. Sein Blick ruhte auf Kizuna. Egal, was ihn erwartete, er musste zu ihr zurück, so oder so!
"....1 - 0!!! Start!"
Clay fühlte den vertrauten Ruck im Körper, als der Mecha nach unten gefahren wurde. Er wollte seine Brille hochschieben, bis ihm einfiel, dass er sie gar nicht trug. Sie war bei Saki und sie hatte ihm versprochen, sie ihm zurückzugeben. Da empfing das All die fünf Top-Schüler und die anderen Anwärter. Zion erhob sich über GOA wie eine blaue Perle, davor die beiden Victims, die es den Göttinnen ziemlich schwer machten. Die PRO-INGs gingen in Formation....
Wer träumt, dem wachsen Flügel.
Die nächste Folge heißt: "Curriculum 09: Bestimmung"
Phil Phleira näherte sich ihrer Freundin Tune sehr umsichtig. Sie hoffte inständig, dass sie ihr helfen konnte. Behutsam legte sie ihr die Hand auf die Schulter und die junge Frau drehte sich um.
"Wie geht es dir?"
Zaghaft öffnete Tune den Mund. "Ich habe über das nachgedacht, was du und Rio mir gesagt habt. Und ich habe auch über Gareas nachgedacht. Es....es tut mir leid, dass ich Rioroute und dich so verurteilt habe....Du....ihr....liebt euch wirklich, nicht wahr?"
"Ja. Ich bin so glücklich darüber, dass wir zueinander gefunden haben. Wenn ich ihn verlieren würde, würde ich gewiss genauso traurig und verzweifelt sein wie du. Aber auf ewig in deinem Schmerz gefangen zu sein, zerstört dich ganz langsam von innen. Du musst neuen Lebensmut fassen, Tune. Wir alle werden dich dabei unterstützen. Vertrau uns und vertrau dir selbst. Noch ist es nicht zu spät, umzukehren, meine Freundin."
Phil Phleira umarmte sie und unterdrückte ihre Tränen. Sie wollte jetzt nicht weinen, sie musste jetzt stark sein! Die Lotsin der Reneighd Klein spürte ihre Wärme, ihren Beistand und ihren Wunsch, sie von dem Abgrund des Leids zurück zu reißen. Ein Gefühl der Scham stieg in ihr hoch. Wie hatte sie nur jemals an den Menschen zweifeln können, mit denen sie Schrecken und Furcht während des Krieges geteilt hatte? Und Galew....er litt genauso wie sie. Auch er hatte Ernest....geliebt, und ihn genauso verloren. Und er lebte in dem Bewusstsein, dass Ernest gestorben war, um ihn zu schützen. Verbitterung. Hass. Wut. Sie hatte sich blenden lassen, sich aufgegeben. Das musste ein Ende haben!
"Ich....ich danke euch....euch allen...."
Sie brach in Tränen aus und Phil Phleira strich ihr fürsorglich über den Rücken.
"Es ist alles gut. Du bist nicht allein. Wir sind alle bei dir. Wenn du Probleme hast, kannst du zu uns kommen, jederzeit. Du hast uns durch deine Güte, deine Sanftheit und deine Ruhe viel Kraft gegeben. Jetzt ist es an uns, dir etwas davon zurückzugeben."
Unterdessen war Rio auf der Krankenstation. Er besuchte Yu, der, einen Verband um Schulter und Brust gewickelt, aufrecht in seinem Bett saß.
"Wie fühlst du dich?"
"Etwas besser. Dr. Croford ist eine hervorragende Ärztin. Kazuhi war schon hier. Sie macht sich große Sorgen um mich, obwohl ich beteuert habe, dass es mir gut geht. Arme kleine Schwester."
"Das wundert dich doch wohl nicht, oder? Immerhin bist du der einzige, der ihr noch geblieben ist. Eure Eltern sind tot. Als ihr großer Bruder bist du für sie verantwortlich. Sie liebt dich sehr. Dich zu verlieren wäre das schlimmste, was ihr passieren könnte. Du beschützt sie vor allen Gefahren....und vor dummen Anmachen anderer Leute." Er grinste. Yu schmunzelte (!).
"Ach? Meinst du etwa dich damit?"
"Ja. Aber mal ehrlich, du hast doch gemerkt, dass es mir nicht ernst war, es sollte bloß eine Neckerei sein. Schließlich gehört mein Herz nur einer und das für immer."
"Phil Phleira?"
"Bingo! He, du kriegst ja doch mehr mit, als ich dachte! Außerdem ist Kazuhi nun mal...."
"Du brauchst nicht weiterzureden. Ich weiß, dass sie süß ist. Übrigens, worüber ich sowieso mit dir sprechen wollte...." Rio nickte ermunternd.
"Du warst in unmittelbarer Nähe während des Kampfes. Sag mir die Wahrheit - Kallisto hat mich gerettet, oder?"
"Das hat sie. Die Göttinnen sind etwas Besonderes, keine Frage."
"Ich....bin ohnmächtig geworden."
"Du warst verletzt, da kann das schon mal passieren! Du....Yu?"
"Es ist nicht nur das. Während des Gefechts fühlte ich mich schwächer als sonst....ich....ich habe Angst, dass....dass...."
"....dass dein EX nachlässt? Damit quäle ich mich schon lange. Unsere Zeit als Piloten ist dabei, abzulaufen, daran können wir drehen und wenden, wie wir wollen, das ist eine Tatsache. Wir wussten doch von Anfang an, dass wir diesen Job nicht lange machen würden. Deswegen existiert GOA, deshalb werden neue Piloten ausgebildet. Aber ich bin nicht böse darum. Wenn wir nicht mehr durchhalten, ist es gut zu wissen, dass es andere gibt, die Zion gegen die Victims verteidigen können und dass unsere Arbeit nicht umsonst war, sondern weitergeführt werden wird. Wer weiß, vielleicht werde ich Ausbilder auf GOA, wenn meine Pilotenkarriere endet? Es gibt genug Anwärter, die diesen Weg gegangen sind. Ich bin sicher, meine Schüler würden mich lieben!"
"Wie meinen?"
".....HE?! Soll das heißen, du traust mir den dynamischen Junglehrer nicht zu?! Eine bodenlose Unver...."
Ein schriller Alarm unterbrach seine Entrüstung.
"Zwei Victims gesichtet! Sie sind in Zone 6 eingedrungen! Piloten bereitmachen!"
"Na toll...."
Die Fluglotsen hatten vor den Kontrollpulten der Ingrids Stellung bezogen. Leena überprüfte noch einmal die Bewaffnung und den Atomic-Kern. Phil Phleira zeigte ein entschlossenes Gesicht. Sie hatte ihren Partner stark gemacht, er würde zurückkommen und sie wieder in seine Arme schließen! Tune, deren Augen immer noch gerötet waren, wirkte wieder heiterer und gelöster und schien sich mit vollem Einsatz auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.
"Eeva Leena bereit!"
"Agui Keameia bereit!"
"Reneighd Klein bereit!"
Teela traf ein. Ihre türkisfarbenen Augen richteten sich ruhig und unerschütterlich auf die Weiße Göttin. Es war soweit. Heute würde sich ihr Schicksal erfüllen....
"Ernn Laties bereit! Telia Kallisto bleibt wegen des verwundeten Piloten zurück! Alle Maschinen fertig? Piloten auf ihre Plätze!"
Erts lächelte Tune freundlich zu, bevor er im Inneren seiner Einheit verschwand und sie erwiderte es zögernd. Er wiegte leicht mit dem Kopf. Ja. Ihr Sturz in den Abgrund war gebremst worden, sie hatte sich auffangen lassen. Dieser Gedanke erzeugte eine tiefe Erleichterung in ihm, denn wie stets schmerzte es ihn, wenn seine Freunde litten.
Bevor Rio in die Keameia einstieg, gab er seiner Partnerin noch einen süßen Kuss und drückte ihr fest die eisigen Hände.
"Sorge dich nicht. Du weißt...."
".....dass du zurückkehren wirst? Natürlich. Dennoch - sei nicht leichtsinnig, mute dir nicht zu viel zu und...."
Er legte ihr den Finger auf den Mund.
"Sag nichts mehr. Ich bin unbesiegbar, weil ich dich habe, weil du mich liebst und auf mich wartest. Bei so einem Ansporn kann ich ja gar nicht verlieren!" Mit einem letzten, fröhlichen Zwinkern verabschiedete er sich von ihr und das Cockpit schloss sich.
Gareas kam zu spät. Leena hatte die Arme verschränkt und stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. Wo blieb dieser verantwortungslose, hitzköpfige, absolut taktlose Kerl? Zu ihrem Ärger beobachtete sie, wie die drei anderen Göttinnen ihre Stellplätze bereits verließen - logisch, Teela war ja auch schon an Bord! Endlich erschien er, nach Atem ringend und um mindestens einen Meter zusammenschrumpfend, als er Leenas dunkelblaue Augen erbost blitzen sah.
"Entschuldige, ich....eh....also, ich hab meine Ohrringe nicht gefunden...."
"Bravo, Galew, bravo! Steig endlich ein, du hältst den ganzen Verkehr auf!"
"Wie die Herrin befehlen!"
Das Training der Top-Schüler ging seinen gewohnten Gang. Azuma nickte zufrieden und zündete sich eine Zigarette an. Seine Kadetten waren wirklich gut geworden! Nachdem Zero seinen ersten Kampf für heute beendet hatte (Yamagi war irgendwie schlecht gelaunt gewesen, er konnte den Grund dafür nur vermuten), verließ er mit Kizuna das Übungsgelände. Schweigend liefen sie nebeneinander her. Kizunas Herz klopfte zum Zerspringen. In seiner Nähe zu sein, verwirrte und beglückte sie zugleich. Plötzlich nahm er sie bei der Hand und sagte:
"Ich muss etwas mit dir besprechen. Komm mit."
Ohne auf ihre protestierenden Ausrufe zu achten, zog er sie hinter sich her zu dem Quartier, das er sich mit Clay und Hiead teilte. Dort drückte er sie aufs Bett und marschierte vor ihr auf und ab. Sie wusste nicht, was sie von diesem Benehmen halten sollte.
"Erinnerst du dich an das Gefecht, in dem Yamagi verletzt wurde? Mir ist dabei etwas Seltsames....widerfahren, und ich wollte dich fragen, was du davon hältst....Hör zu."
Er erzählte ihr, was an jenem Tag im Cockpit seines PRO-ING vorgefallen war.
"......Ich....ich weiß nicht. Das klingt alles sehr mysteriös. Und du bist dir sicher, dass es Teela Zain Elmes war?"
"Wenn sie es nicht war, war es jedenfalls eine hervorragende Nachahmung. Aber im Ernst: Sie war es, hundertprozentig. Ich weiß, was sie gesagt hat, aber ich weiß nicht, was sie meint." Hm. Da kann ich dir auch nicht weiterhelfen, ich bin mindestens so schlau wie du. Wie lautet dein richtiger Name gleich noch mal?"
"Rei. Das ist der Name, den mein Vater mir gab. Er bedeutet ,Null'. Die Kinder auf meiner Kolonie sagten immer, dieser Name sei veraltet, deshalb nannten sie mich ,Zero'. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt, so sehr, dass ich den Namen übernahm. Aber eigentlich heiße ich Rei. Das ist der Name, auf den ich stolz sein wollte, und ihn statt dessen ablegte. Woher könnte Teela ihn kennen? Ich bezweifele, dass sie geraten hat."
"Rei....das ist ein schöner Name." meinte Kizuna nach einer Weile.
"Vielen Dank. Aber ich mache mir Vorwürfe, dass ich ihn nicht aufrecht und ehrlich getragen habe. Ich wollte ihn immer in Ehren halten und was habe ich letztendlich getan? Ich habe das Erbe meines Vaters verleugnet und....und meine Mutter allein gelassen."
Ein harter Zug erschien um seinen Mund und mit einem Mal wirkte er wie jemand, der ernst zu nehmen war. Kein Kind mehr, sondern ein junger Mann. Der Eindruck war so intensiv, dass das Mädchen nervös schlucken musste. Unter seiner fröhlichen und ausgelassenen Fassade verbarg sich so viel; eine Stärke und Reife, die sie nie in ihm vermutet hätte und ein tapferes Herz.
"Na ja, irgendwie werde ich des Rätsels Lösung schon finden. Spätestens wenn ich Teela wieder begegne. Mein Kopf ist voll und entsetzlich schwer. Und das Training war anstrengend. Ich glaube, ich dusche noch eine Runde."
"Das ist eine gute Idee. Ruh dich ein wenig aus und versuch, dich zu entspannen. Darüber nachgrübeln kannst du.....immer...........noch........." Kizunas Gesicht vollführte mit einem Mal eine beachtliche Bandbreite an Verfärbungen, die meisten davon eine Variation von rot. Zero hatte sein Hemd ausgezogen und es auf sein Bett geworfen. Nun suchte er in den Wirren seines Schrankes nach einem Handtuch. Es war weniger seine von ihr kaum erwartete plötzliche Offenherzigkeit, die sie anrührte, als die Schönheit seines königlichen Rückens. Sie, die, obwohl sie es nie zugegeben hätte, eine schwer zufrieden stellende Ästhetin und es außerdem gewohnt war, die Schönheit der Männer zu zergliedern, war durch sie geblendet worden. Hier, im Halbdämmer des Zimmers, traf diese sie mit unbändiger Kraft. Der Glanz seiner gebräunten Haut, die Bewegung der vollen, fleischigen und dennoch anmutig und rein geformten Schultern, die glatten, kräftigen Arme, das schimmernde Haar, ein fließender Schmuck aus dunklem Holz, der aus dieser Pracht sich lösende Nacken....all das drohte ihr den Atem zu rauben. Wie schön er doch war!
"Hey, Kizuna, meinetwegen musst du wirklich nicht hier bleiben. Du kannst ruhig gehen."
Da sie nichts erwiderte, wandte er sich um und musterte sie fragend.
"Was ist los? Du siehst so....ernst aus."
Er betrachtete ihr Gesicht, die fein geschnittenen Züge, die langen Wimpern, die glatte, weiche Haut und die rosigen Lippen, die ihn an köstliche frische Früchte erinnerten. In ihren großen, ausdrucksvollen Augen, die im Licht der Lampe strahlten, spiegelten sich Sehnsucht und....und Liebe? Konnte das sein? Ihr warmer weiblicher Duft drohte ihn um den Verstand zu bringen. Noch niemals zuvor war er sich seiner Männlichkeit so bewusst geworden wie in diesem Moment. Wie hypnotisiert starrten sie einander an. Mehrere Sekunden verstrichen. Dann löste sich die Spannung. Zero zog Kizuna zu sich herauf und küsste sie hingebungsvoll. Als sein Mund den ihren berührte, erfasste sie ein Schwindel. Sie hatte nicht gewusst, dass die Lippen eines jungen Mannes diese Blütenfrische, diese schmelzende Weichheit haben konnten. Gegen seinen entblößten Oberkörper gepresst, spürte sie ein Feuer in sich aufsteigen, das sie verzehrte. Schließlich löste er sich von ihr und strich mit dem Finger über ihre erhitzten Wangen. Aufgewühlt öffnete sie die Augen, schwankend und sich danach sehnend, noch einmal geküsst zu werden.
"Warum....?"
"Warum?" Er schloss die Arme um sie und bettete sein Kinn in ihrem rosafarbenen Haar. "Du kennst doch die Antwort. Weil ich....weil ich dich liebe, Kizuna Towryk. Für immer."
Ihr Glück überrollte sie wie eine Flutwelle. Sie drückte sich an ihn und umschlang ihn, als wolle sie ihn nie mehr loslassen.
"Ich....ich liebe dich auch....Rei."
Er lächelte zärtlich, als sie ihn bei seinem richtigen Namen nannte. Wie sehr wünschte er, dieser Augenblick möge endlos sein....
"Zwei Victims in Zone 6 gesichtet! Die Göttinnen fordern Hilfe an! Schüler und PRO-INGs bereitmachen!"
"Wie schade." grinste sie schelmisch und küsste ihn auf die Nasenspitze. Er zuckte die Schultern. Seine Dusche musste er wohl oder übel verschieben. Er stülpte sich sein Hemd wieder über und beide rannten zur Gefechtsbrücke der Anwärter.
Yamagi war bereits eingestiegen, doch er schien Tsukasas traurigen Blick nicht zu bemerken. Er war mit Miranda zusammen, daran konnte sie nichts ändern. Im Grunde konnte es ihr egal sein. Aber es war ihr nicht egal! Wieso nur?! Auch Wrecka, normalerweise vergnügt und locker, schien Sorgen zu haben. Als Roose in seiner Einheit verschwunden war, verkrampften sich ihre Hände. Verloren! Bei Gott, sie hatte ihn verloren! Wie hatte sie nur so unsäglich dumm sein können?! Zu spät! Es war zu spät!
"Verfluchte Oberflächlichkeit! Du bist so eine blöde Kuh, Wrecka!" schalt sie sich selbst. "Rick hat dir nie wirklich etwas bedeutet! Du wolltest ihn, weil er gut aussieht! Dabei hattest du die ganze Zeit einen Jungen an deiner Seite, dem du tausendmal wichtiger warst! Du bist so blöd, so hoffnungslos blöd!"
Ikhny war noch stiller als sonst. Sicher, sie hatte Rick abblitzen lassen, aber noch schlimmer war der Grund, warum sie ihm einen Korb gegeben hatte. Nachdem sie Hiead ihre Meinung gesagt und ihn angeschrieen hatte, dass sie ihn hasse, hatte sie den restlichen Tag nur noch weinen können. Er war dabei gewesen, ihr sein Herz zu öffnen und jetzt hatte sie selbst wieder alles zerstört! "Ich hasse dich" - eine Lüge, nichts als eine grauenhafte Lüge! Sich zu dieser Erkenntnis durchzuringen, war schwer genug gewesen. Sie hörte ein Klacken und wusste, dass ihr Partner in seinen PRO-ING geklettert war. Hassen! Wie könnte sie ihn je hassen, ihn, der doch nur nach Hilfe schrie, der sich nichts weiter wünschte, als Liebe und Geborgenheit, ihn, der an seiner eigenen Einsamkeit zu zerbrechen drohte! Tränen traten ihr in die Augen und sie wischte sie rasch fort, damit keiner es mitbekam. "Ich liebe dich, Hiead!" pochte ihr Herz unglücklich. "Ich liebe dich!"
Kizuna fühlte ein kaltes, mitleidloses Gefühl nach ihrer Seele greifen. Angst kroch in ihr hoch. Ein Kampf. Und Zero - nein, Rei - musste ausrücken! Ihre Finger zitterten, als sie die nötigen Daten eintippte. Er warf ihr einen letzten Blick zu, den sie mit erzwungenem Lächeln erwiderte.
"Bitte komm wieder!" flehte sie leise. "Bitte komm wieder!"
Saki war noch nicht eingetroffen. Sie wartete auf Clay, der irgendetwas in seinen Laptop einspeicherte.
"Meine Theorien über die Göttinnen und warum man sie als ,lebende Mechas' bezeichnet."
"Ich fasse es nicht! Das hättest du auch nachher machen können!"
Sie schob ihn zur Gefechtsbrücke, begrüßte die anderen und trat an ihr Kontrollpult.
"Typ und Anzahl der Victims?" erkundigte sich Clay, bevor er zu seiner Einheit eilte.
"Es sind zwei. Vom Typ....Typ R!"
Also die gefährlichste Sorte (ich nehme das mal an, angesichts Tunes erschrockener Reaktion aus der Serie)! Kampfeswille zeichnete sich in seinen Zügen ab und er wollte eben gehen, als Saki ihn noch einmal zurückhielt.
"Ich weiß, ich soll mir keine Sorgen machen - aber ich kann nicht anders! Es ist nicht so einfach, die erforderliche emotionale Distanz zum Kampfgeschehen einzunehmen, wenn man.... wenn man seinen Partner....von ganzem Herzen liebt...." Er schwieg eine Minute.
"Komm mit."
Rasch führte er sie vor die Tür der Brücke, denn er wollte nicht, dass alle Umstehenden mitbekamen, was er vorhatte. Saki war verwirrt, doch sie wartete geduldig ab. Clay nahm seine Brille ab und reichte sie dem Mädchen.
"Was....was soll ich damit? Du brauchst sie doch!"
Er schüttelte den Kopf.
"Nein. Ich brauche sie nicht. Nicht in dem Sinn. Ich bin kurzsichtig geboren worden, das stimmt. Aus diesem Grund erhielt ich zwei Atomics, eins für jedes Auge."
"Ja, aber.....wenn es so ist, warum trägst du dann überhaupt eine Brille?"
"Mein Vater war Kapitän eines Handelsschiffes, das viele Güter zu anderen Kolonien transportierte. Seine Flüge waren nie ohne Risiko, denn die Victims lauerten überall. Eines Tages wurde sein Schiff von einer dieser Kreaturen angegriffen und er und seine gesamte Besatzung getötet. Ich war drei Jahre alt, als ich ihn verlor. Alles, was man von meinem Vater fand, als die Wachposten unserer Kolonie eintrafen, um das Wrack und die toten Menschen zu bergen, war seine Brille. Ich habe keine richtige Erinnerung mehr an ihn, aber ich weiß, dass ich ihn geliebt habe, Saki. Und deshalb trage ich seine Brille, denn sie ist das letzte Erinnerungsstück an ihn und alles, was mir noch von ihm geblieben ist." "Aber....ich kann doch unmöglich....ich kann sie doch unmöglich annehmen, wenn sie dir so wichtig ist!"
"Doch, das kannst du. Du musst sogar. Ich werde jetzt da rausgehen und kämpfen. Vergiss also nicht, mir diese Brille unter allen Umständen wiederzugeben! Hast du verstanden?"
Sie sah ihn an, mit bebenden Lippen.
"Ich will sie auf alle Fälle wiederhaben! Versprich mir, dass du gut darauf aufpasst. Du musst sie mir heil wieder in die Hand drücken, wenn ich zurückkomme. Versprich es mir!"
"Ja, Clay. Ich....ich verspreche es."
Sie küsste ihn zum Abschied und er begab sich endlich zu seinem PRO-ING. Sorgsam verwahrte sie die Brille in ihrer Jackentasche und suchte ihren angestammten Platz auf, um ihrem Partner beizustehen. Kapitän Hijikata Azuma erschien und musterte die kampfbereite Reihe der Top-Schüler.
"Maschine #85!"
"Ja!"
"Maschine #86!"
"Ich bin soweit!"
"Maschine #87!"
"Bereit!"
"Maschine #88!"
"Es kann losgehen!"
"Maschine #89!"
"Alles klar!"
"Gut! Der Countdown läuft!"
Roose konzentrierte sich. Wrecka hatte traurig ausgesehen. Ob er sich das nur eingebildet hatte? Offensichtlich lief ihre Beziehung mit Solares nicht ganz so, wie sie sich das vorgestellt hatte. Oder sollte sie etwa....?
"10 - 9 - 8 -...."
Yamagi grübelte missmutig vor sich hin. Er war wütend auf sich selbst. Warum zum Teufel hatte er sich mit Miranda eingelassen? Sicher, sie war sehr hübsch und nett, aber eigentlich war sie ihm für seinen Geschmack zu leichtherzig. Außerdem war er ja auch in eine andere verliebt! Tsukasa hatte ihn aus tränenverhangenen Augen betrachtet. Ob sie eifersüchtig war? Aber sie war doch an Solares interessiert, deswegen war er doch mit Miranda zusammen, um seine Partnerin aufzurütteln! Rah, was war er bloß für ein Idiot!
"....7 - 6 - 5...."
Hiead musterte seine Partnerin. Ihrem Gesicht nach zu urteilen, hatte sie Angst um ihn. Aber warum sollte sie? Sie hatte ihm deutlich gesagt, was sie von ihm hielt! Er spürte einen schmerzhaften Stich in der Brust. Oh Ikhny....! Wieso....?
"....4 - 3 - 2...."
Zero grübelte. Was würde passieren, wenn er Teela heute ein zweites Mal sah? Ob sie ihm Antworten auf seine Fragen geben würde? Das schien ihm eher unwahrscheinlich. Sein Blick ruhte auf Kizuna. Egal, was ihn erwartete, er musste zu ihr zurück, so oder so!
"....1 - 0!!! Start!"
Clay fühlte den vertrauten Ruck im Körper, als der Mecha nach unten gefahren wurde. Er wollte seine Brille hochschieben, bis ihm einfiel, dass er sie gar nicht trug. Sie war bei Saki und sie hatte ihm versprochen, sie ihm zurückzugeben. Da empfing das All die fünf Top-Schüler und die anderen Anwärter. Zion erhob sich über GOA wie eine blaue Perle, davor die beiden Victims, die es den Göttinnen ziemlich schwer machten. Die PRO-INGs gingen in Formation....
Wer träumt, dem wachsen Flügel.
Die nächste Folge heißt: "Curriculum 09: Bestimmung"
