Kapitel V: Unter der Plane

Snape musste nicht lange auf Regen warten. Schon bald verdunkelte sich der Himmel, bis man meinen könnte es wäre 8 Uhr abends und nicht 12 Uhr mittags, und in der Ferne grollte leiser Donner, der rasch näher kam. Lupin brachte sich wieder auf gleiche Höhe mit Snape und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Freihändig fahren hielt Snape für bloße Angeberei, und sicher war dabei ohnehin Magie im Spiel. Er knurrte Lupin an, noch bevor der überhaupt den Mund aufgemacht hatte. Der schien das jedoch gar nicht zu merken, oder es störte ihn nicht.

„Bald kommen Bänke!", sagte er zu Snape. „Wir rasten dort und warten, bis der Regen vorüber ist."Die ersten schweren Tropfen fielen schon, und Snape fuhr ein bisschen schneller, weil er seinen Hintern möglichst bald von diesem harten Sattel befreien wollte. Er bekam des öfteren Panikattacken, weil er es für möglich hielt, dass der dünne Stoff seiner Hose bald durchgescheuert wäre, und jedes Mal wenn er wieder das Gefühl hatte, zwischen ihm und dem Sattel wäre nichts mehr, musste er einen Aufschrei unterdrücken und nach unten sehen.

Die Bänke kamen in Sicht, und als sie ankamen, öffnete der Himmel wie auf Kommando sämtliche Schleusen und erschlug sie mit einem Regenguss, der selbst Lupin zu beeindrucken schien. Rasch setzte Snape sich hin, und Lupin warf eine Plane über ihn und schlüpfte dann auch mit darunter. Eng zusammengekauert saßen sie da und schwiegen. Snape hätte es nie gesagt, aber jetzt war er doch froh, dass Lupin da war. Er fürchtete sich vor Gewitter. Und darüber ärgerte er sich. Er ärgerte sich, dass er jetzt auf Lupin angewiesen war, dass der ihn in diese Lage gebracht und in diese Klamotten gesteckt hatte, und er wollte diesem Ärger Luft machen. Aber wenn er Lupin jetzt anpöbelte, würde der ihm vielleicht die Plane wegnehmen, und er fror jetzt schon in seinen dünnen Sachen. Wenn er auch noch nass wurde, würde er sich wahrscheinlich eine Erkältung holen.

Lupin saß neben ihm, die Knie an den Körper gezogen, und wippte leicht auf und ab. Snape ignorierte das, bis das Wippen langsam vehementer wurde. Irritiert sah er Lupin an.

„Was ist?", fragte er. „Hör auf damit!"

Lupin sah ihn an, und er verstand anscheinend nicht, was er meinte. „Dieses Wippen!", sagte Snape. „Das macht mich krank!"

„Oh", sagte Lupin, und hörte auf. Snape konnte es sich auch einbilden, aber er war ziemlich sicher, dass Lupin errötete. Das machte ihn aus irgend einem Grund sauer, und er beschloss, jetzt doch ein wenig Stress zu machen. Sein Ärger schnürte ihm die Luft ab.

„Warum machst du das?", fragte er herausfordernd.

„Was?"

„Wippen!"Snape war genervt, allein schon von diesem ‚Was?'.

„Nur so", murmelte Lupin und sah weg.

„'Nur so'", äffte Snape ihn nach. „Wie blöd ist das denn, einfach so ohne Grund vor sich hinzuwippen?"

Lupin sagte nichts. Das fand Snape, der gerne einen großen Krach mit viel Geschrei gehabt hätte, sehr unbefriedigend. „Hat es dir die Sprache verschlagen? Oder drückst du dich jetzt nur noch durch Wippen aus?", fragte er mit einem bösartigen Lächeln.

„Nun hör schon auf, ich wippe doch überhaupt nicht mehr", entgegnete Lupin, und für Snape klang er nicht so sauer wie er ihn gerne gehabt hätte. Eigentlich klang er überhaupt nicht sauer. Nur ein bisschen frustriert, und irgendwie müde. Snape fühlte sich herausgefordert.

„Machst du das in deiner Freizeit?", stichelte er weiter. „Remus Lupin; Hobbies: Radfahren in albernen Kostümen und Wippen! Vorzugsweise bei Gewitter, unter Planen."

Lupin sah ihn an und verdrehte ein wenig die Augen. „Severus, nun mach dich nicht lächerlich. Ich werde ganz sicher keinen Streit mit dir anfangen."

„Warum nicht?", fragte Snape gereizt.

„Weil ich nicht mit dir streiten möchte, deswegen. Weil ich mir nicht wie du von jeder Kleinigkeit den Tag vermiesen lasse."

„Ich bin eine KLEINIGKEIT?", brauste Snape auf. „Das ist ja wohl die Höhe!"

„Nein!", widersprach ihm Lupin sofort. „Nein, du bist keine Kleinigkeit. Ich wollte nur sagen, ich werde meine gute Laune nicht so schnell aufgeben wie du."

„Gute Laune?!", schnaubte Snape. „Ich hatte überhaupt keine gute Laune, von Anfang an!"

„Ja, und genau das ist der Punkt! Versuch doch wenigstens mal, es ein bisschen schön zu finden!", sagte Lupin mit einer für Snape unverständlichen Ernsthaftigkeit. So etwas konnte doch nur ein Scherz sein.

„Ich soll es schön finden?"Er deutete sich auf die Brust. „Mir den Hintern wund zu scheuern und mir mit dem schweren Rucksack die Schultern auszurenken, um dann in strömendem Regen unter einer Plane zu landen – mit dir?! Entschuldige, dass ich nicht sprühe vor Begeisterung!"

Lupin sah ihn an. Dann sah er weg. Er sah zu Boden und sagte nichts mehr. Snape lehnte sich zufrieden zurück – oder zumindest dachte er, er wäre zufrieden. Aber er war es nicht. Es war seltsam, aber er fühlte sich zunehmend unbehaglicher, je länger sie dasaßen und Lupin mit diesem Gesichtsausdruck zu Boden starrte. Schließlich gab er sich einen Ruck.

„Oh, um Himmels Willen, gleich wirst du anfangen zu weinen, nicht wahr?", fragte er sarkastischer als er beabsichtigt hatte. „Ein weinender Werwolf, das hat mir noch gefehlt."Lupin sah ihn an, und für einen Augenblick hatte Snape Angst, er würde vielleicht tatsächlich anfangen zu heulen. Aber dann sah er, dass er sich getäuscht hatte. Lupins Mundwinkel kletterten langsam nach oben, bis seine Lippen sich spalteten und er grinste, und dann lachte er. Snape sah ihn an, als wäre er geisteskrank.

„Du bist unverbesserlich", sagte Lupin und beugte sich vor. Snape wich automatisch zurück, als Lupin ihm gefährlich nahe kam, aber der streckte nur die Hand unter der Plane ins Freie und sah erwartungsvoll ins Leere. Dann zog er die Hand zurück, grinste und zog die Plane von ihren Köpfen.

„Wir können weiter!", strahlte er.

„Hurra", murmelte Snape.