15. Kapitel

Am nächsten Morgen versuchte Cole die ganze Sache logisch anzugehen. Die Männer hatten drei Personen genannt. Adam Samuels, Debra White und Trisha Raymond und dann war da natürlich noch Helen. Welche Informationen hatte er also zu ihnen.

Adam Samuels war Rechtsanwalt für eine Unternehmensgruppe gewesen, zu der auch die Waffenfabrik Deacon gehörte, die Trisha Raymond Helen genannt hatte und wo Peter von dem Hund angegriffen worden war. Er war vor drei Wochen auf dem Marktplatz getötet worden, die Todesursache war unbekannt, aber er hatte eigenartige Hautabschürfungen gehabt, Peter hatte auf dem Asphalt grüne Flecken gesehen und Phoebes Schwestern waren dort gewesen.

Debra White hatten Phoebe und er aus dem fiktiven Midland Kinderhort gerettet, sie hatte ebenfalls Hautabschürfungen gehabt, Cole hatte die grünen Flecken gesehen und eine Gestalt, die plötzlich verschwunden war. Sie arbeitete für die Stadt und zwar in der Abteilung, die für die Sozialausgaben verantwortlich war. Sie hatte vorgehabt Helen mit Informationen zu versorgen, wollte aber nach ihrem "Unfall" nichts mehr davon wissen.

Trisha Raymond wollte sich mit Helen treffen, um ihr weitere Informationen zu geben, wollte dann aber ebenfalls nichts mehr davon wissen und hatte Helen angeblich eine Nachricht hinterlassen, dass sie sich in der Lagerhalle treffen wollten, welche aber eindeutig nicht von ihr gekommen war.

Tja und Helen, die war in dem Büro der Lagerhalle verschwunden und auf einmal in ihrem Büro beim Daylight Express wieder aufgetaucht und schien dies für ganz normal zu halten. Und dort wo sie hätte sein sollen, gab es nur zwei Männer, die sich ärgerten, dass irgendwer versagt hatte, es gab einen Brandfleck, ein paar grüne Flecken und natürlich Phoebes Kette.

Er schaute sich die Kette an, was Phoebe mit der ganzen Sache zu tun hatte, war ihm schleierhaft. Er brannte darauf mit ihr darüber zu reden, aber er konnte sich schon vorstellen, wie sie reagieren würde. Sie würde ihm kein Sterbenswörtchen erzählen. Er musste erst mehr Fakten haben, mit denen er sie konfrontieren konnte, dann würde sie keine Möglichkeit mehr für Ausflüchte haben.

Er musste sich mit Debra White und Trisha Raymond treffen, vielleicht konnte er von ihnen mehr erfahren. Als er in der Stadtverwaltung anrief, erfuhr er, dass Debra White krankheitsbedingt noch aussetzte. Es wollte ihm aber niemand ihre private Adresse mitteilen. Er dachte nach und begab sich schließlich zu Helen ins Büro. Nach der allgemeinem Unterhaltung zu Beginn kam er schnell auf den eigentlichen Grund seines Besuches zu sprechen.

"Sag mal Helen, hast du eigentlich die private Adresse von dieser Debra White oder von Trisha Raymond?"

"Die von Debra habe ich, die von Trisha nicht." Helen blickte ihn neugierig an. "Wieso?"

"Ach ich dachte mir, nachdem ich gestern Abend schon so versagt habe, helfe ich dir ein bisschen bei deinen Nachforschungen. Ich meine, es wäre doch eine gute Idee, wenn ich mal bei ihr vorbei schaue um sie ein wenig auszuhorchen, vielleicht sagt sie mir ja etwas, was dir weiterhilft." meinte er ganz uneigennützig.

"Hm, du meinst also du kommst mir deinem männlichen Charme weiter bei ihr als ich?" meinte Helen lachend. "Tja, warum nicht. Du kannst es ja mal versuchen." Sie kramte in ihren Unterlagen herum und fand schließlich den Zettel mit Debras Adresse. "Aber sei nett zu ihr, sie kam mir das letzte Mal am Telefon ziemlich verschreckt vor. Also sei lieber zurückhaltend."

"Bin ich das nicht immer?" fragte er sie grinsend und steckte den Zettel ein.

Helen sah ihn skeptisch an. "Na da habe ich andere Erfahrungen gemacht, aber was soll's bei Debra White habe ich sowieso nichts mehr zu verlieren."

"Vielen Dank für dein Vertrauen," meinte er ironisch. "Du wirst dich noch wundern, was ich alles aus ihr herausholen werde."

"Ja das stimmt du versetzt mich immer wieder in Erstaunen." erwiderte sie lächelnd, als er ihr Büro verließ.

Debra White wohnte in einer gutbürgerlichen Gegend in der Vorstadt, wo jedes Haus seinen eigenen kleinen Garten vor dem Haus hatte. In diesem arbeitete gerade Debra White, als Cole mit seinem Auto in die Straße einbog. Sie war zwar damals verletzt und ohnmächtig gewesen, aber er hatte sie sofort wiedererkannt. Er hatte Glück, sie vor dem Haus anzutreffen, so dass er sie in ein unverbindliches Gespräch verwickeln konnte. Er erzählte ihr er sei gerade nach San Francisco gezogen und sehe sich nach einem kleinen Haus um. Debra erzählte ihm, dass hier im Moment leider keine Häuser zum Verkauf standen.

"Das ist wirklich schade, es sieht hier so friedlich aus, und ich möchte gerne in einer sicheren Umgebung leben."

"Ja, sicher ist es hier, es passieren keine Einbrüche oder Überfälle." Sie stöhnte leicht. "Aber man kann gar nicht vorsichtig genug sein."

"Was ist?" fragte Cole nach "Geht es ihnen nicht gut?"

"Ach wissen sie" vertraute sie ihm an, "ich hatte vor kurzer Zeit einen Unfall, es kann also immer und überall passieren, man ist nie völlig sicher."

"Oh das tut mit aber leid, was ist denn passiert?" fragte er mitfühlend und fügte hinzu "Wenn sie darüber überhaupt mit einem Fremden reden wollen."

Sie schaute ihn an, er erschien ihr vertrauensvoll. "Ach, ich weiß selber nicht, was eigentlich passiert ist, es war wohl ein Unfall mit Fahrerflucht. Eine junge Frau hat mich zum Glück am Straßenrand gefunden, wer weiß was sonst noch passiert wäre." Sie schüttelte sich. "Aber das schlimmste ist, ich weiß gar nicht, wie ich dort hingekommen bin."

"Ja ich weiß wie erschreckend es ist, wenn man sich nicht erinnern kann." Sie sah ihn überrascht an. "Wissen sie, ich habe vor kurzem mein Gedächtnis verloren. Auf einmal wusste ich nicht mehr, wer ich war und wo ich mich befand."

"Tatsächlich?"

"Ja, ich erinnere mich immer noch nicht, deshalb wollte ich auch in eine neue Stadt ziehen. Wissen sie, dann fällt es nicht so auf, wenn man sich nicht erinnert."

Sie schaute ihn fasziniert an. "Ja da kann ich sie schon verstehen. Aber ich kann mich zum Glück nur an die letzten 5 Monate nicht erinnern, die Erinnerungen sind wie weggeblasen. Und alle Leute die mir behilflich sein wollen und mir erzählen, an dies musst du dich doch erinnern, oder an das, machen mich nur wütend und dann will ich mich mit aller Macht erinnern, aber es geht einfach nicht. Es ist so deprimierend. Und sie erinnern sich an gar nichts?"

"Nein, noch nicht mal an meinen Namen, obwohl ich den inzwischen weiß. Also haben sie doch Glück gehabt, ihnen fehlt wenigstens nur ein Teil ihrer Erinnerung. Und das ist durch den Unfall passiert?"

"Ja, diese junge Frau hatte mich mit nach Hause genommen und ihr Schwager war Arzt und hat mich untersucht. Ich hatte zum Glück keinerlei Verletzungen. Wir waren dann bei der Polizei, aber die hat bis jetzt auch nichts herausgefunden. Ein paar Tage später war ich nochmal bei einem Arzt, aber auch der konnte mir nicht weiterhelfen, er hat mir versichert, meine Erinnerung komme schon wieder, aber ich habe da meine Zweifel." Sie schaute ihn verzweifelt an, "Ich zermartere mir das Gehirn, was mit mir geschehen sein könnte, und ich male mir die schlimmsten Dinge aus."

"Ich versichere ihnen, es ist bestimmt nichts schlimmes passiert," versuchte er sie zu beruhigen. "Sie hat bestimmt nur jemand aus Versehen angefahren, und ist dann aus Panik geflüchtet."

"Aber warum habe ich dann keine Verletzungen gehabt, noch nicht einmal Prellungen?"

Wie kam sie nur darauf, dass sie keine Verletzungen gehabt hatte, wunderte sich Cole. Er hätte ihr gerne geholfen, aber würde es ihr helfen, wenn sie wüsste, dass sie mit irgendjemand in dem leeren Gebäude gewesen wäre, wahrscheinlich würde das ihre Ängste nur noch ankurbeln. "Waren sie denn schon bei einem Psychiater?" oh man und das aus meinem Mund, dachte er sich.

"Ja, und er hat mich überzeugt, dass es mit der Zeit besser wird. Vielleicht gehe ich auch mal zu einer Selbsthilfegruppe."

"Tun sie das, es wird ihnen bestimmt helfen."

"Ja, ich denke auch."

"Und arbeiten sie, dass lenkt ab, war bei mir jedenfalls so."

"Oh, mit meinem Arbeitgeber habe ich wirklich Glück. Ich arbeite für die Stadt, wissen sie, und ich bin im letzten Jahr befördert worden und habe im Januar eigentlich in einer neuen Abteilung angefangen. Natürlich kann ich mich an niemanden dort mehr erinnern, auch an meine Fälle nicht, das hat mir schon Angst gemacht, aber sie haben mir angeboten, dass ich wieder in meine alte Abteilung zurück kann und zwar auf einem besseren Posten. Ich bin so froh darüber."

"Sehen sie, es wendet sich doch alles zum guten." Er lächelte sie an. "Ich muss jetzt leider los, schade, dass hier keine Häuser zum Verkauf stehen."

"Ja, wirklich schade, ich hätte sie auch gerne als Nachbar gehabt."

"Auf Wiedersehen."

"Auf Wiedersehen." Sie wandte sich wieder ihren Blumen zu.

Cole ging zu seinem Wagen und dachte nach, er konnte Helen mitteilen, dass sich Debra White tatsächlich nicht mehr an sie erinnern konnte und dies keine Masche war. Wieso hatte ihr Phoebe nur erzählt, dass sie einen Unfall auf der Straße gehabt hatte. Eigenartig. Und was für ein Zufall, dass sie gerade die 5 Monate vergessen hatte, die sie in der Abteilung für Sozialausgaben gearbeitet hatte. Und das auch noch ein paar Tage, bevor sie Helen etwas darüber berichten wollte. Und nun durfte sie netterweise in ihrer alten Abteilung weiterarbeiten, damit sie auch ja nie wieder in Versuchung kam, zu plaudern. Ob es möglich war, jemandem absichtlich einen Teil seines Gedächtnisses zu löschen, vielleicht mit dieser ominösen grünen Flüssigkeit?

Helen hatte auch nicht mehr gewusst, wie sie in das Zeitungsgebäude gekommen war, sie hielt dies aber für völlig normal. Vielleicht hatte es bei ihr nicht richtig geklappt. Er musste Trisha Raymond treffen, um zu überprüfen, ob es bei ihr ähnlich gewesen war. Da Helen die Adresse nicht kannte, schaute er im Telefonbuch nach und fand sie dort. Trisha Raymond wohnte in der Oakham Road. Einer ruhigen kleinen Straße mit Eigentumswohnungen.

Inzwischen war es schon gegen Abend und er hoffte er würde sie Zuhause antreffen. Da er annahm, dass sie auch überfallen worden war, hatte er sich schon eine Geschichte zurecht gelegt. Er klingelte an ihrer Tür und hörte Hundegebell. Eine hübsche dunkelhaarige Frau öffnete die Tür. "Ja bitte," sie sah ihn fragend an. Ein kleiner Hund wuselte zwischen ihren Füßen herum und kläffte ihn böse an. "Nicht Sparki, geh wieder hinein." Sie versuchte den Hund wieder in die Wohnung zu schieben, was nicht ganz so einfach war. Als sie es geschafft hatte, wandte sie sich wieder Cole zu. Der hatte die ganze Aktion lächelnd verfolgt.

"Hallo," meinte er "ich bin Kevin Torrens," er hielt ihr kurz seinen Presseausweis hin. "Ich recherchiere wegen Überfällen, die sich in letzter Zeit in dieser Gegend ereignet haben."

"Ach tatsächlich?" Sie sah ihn überrascht an, sagte sonst aber nichts.

"Ja, ist ihnen vielleicht etwas aufgefallen, womit sie mir weiter helfen können oder sind sie sogar selbst Opfer geworden?"

Sie sah ihn zögerlich an.

Er schaute vertrauensvoll zurück und meinte. "Wenn sie nicht wollen, dass ich etwas davon schreibe, ich behandle ihre Angaben absolut vertraulich, das verspreche ich ihnen."

"Also, wenn sie es vertraulich behandeln," sie blickte sich um. "Ich möchte nicht, dass jemand etwas davon erfährt."

"Von mir nicht, versprochen."

"Also gut, ich muss sowieso meinen Hund ausführen, kommen sie doch einfach mit, dann können wir nebenbei reden." Sie leinte ihren Hund an und kam wieder hinaus. "Sie haben doch keine Angst vor Hunden?"

"Vor so kleinen jedenfalls nicht. Aber sein Gebell schlägt sicher alle Einbrecher in die Flucht."

"Oh ja, er kann ganz schön biestig werden, wenn er will."

Sie gingen ein Stück nebeneinander her. Cole wollte ihr etwas Zeit geben, bis sie von selbst anfangen würde zu reden und das tat sie dann auch. "Also sind hier schon öfter Überfälle passiert, eigenartig, ich habe noch gar nichts darüber gehört."

"Es ist auch erst vor kurzem passiert, und viele Leute wollen nicht darüber reden, wenn sie überfallen wurden." versuchte er sie zu überzeugen.

"Hm, also ich habe eigentlich nicht viel zu erzählen." Sie lächelte ihn an. "Tut mir Leid."

"Das muss ihnen doch nicht Leid tun, erzählen sie mir einfach das wenige."

"Also schön. Letzten Freitag muss es passiert sein. Ich weiß nicht so recht, wie ich es ihnen erzählen soll, so dass sie mich nicht für verrückt halten."

"Das würde mir nie einfallen, dafür sind sie viel zu hübsch und klug."

"Was hat das denn damit zu tun?" sie sah ihn fragend an.

"Nichts," meinte er lächelnd. "Aber keine Geschichte könnte meine Meinung von ihnen ändern. Und ich sage ihnen, ich habe schon viele verrückte Geschichten gehört."

Sie schüttelte lachend den Kopf. "Na gut. Letzten Freitag bin ich also am Rand des Weges zu meiner Wohnung aufgewacht. Ein Mann und eine Frau standen bei mir und haben mir aufgeholfen. Sie haben mir erzählt, dass sie mich dort so vorgefunden haben und meinten, dass mich jemand überfallen haben könnte."

"Kannten Sie die beiden? Könnten sie sie überfallen haben?"

"Nein, ich kannte sie nicht und ich denke auch nicht, dass sie mich überfallen haben, sie sahen wie ein ganz harmloses Ehepaar aus. Obwohl ich sie in dieser Gegend noch nie gesehen habe." Überlegte Trisha.

"Wie sahen sie denn aus?"

Trisha beschrieb sie ihm und er hatte die vage Vermutung dass es sich bei der Frau um Phoebe gehandelt haben könnte. Der Ehemann konnte evtl. ihr Schwager gewesen sein, da war sich Cole aber nicht absolut sicher. Ja ja, ihr ging es auf dem Ball schlecht, aber dann hatte sie noch genug Energie, Trisha nach einem Überfall zu helfen. Und er hatte ihre ganze Krankheitsgeschichte auch noch geglaubt und sie nach Hause gefahren. Aber darüber konnte er sich später den Kopf zerbrechen. Er schaute wieder Trisha an. "Und sie können sich an den Überfall nicht erinnern?"

Sie lachte trocken. "Es kommt noch viel schlimmer, ich kann mich weder an den Überfall noch an die letzten Wochen erinnern. Das ganze ist so unheimlich und verrückt, dass ich mich nicht getraut habe mit jemandem darüber zu reden." Sie sah ihn verzweifelt an. "Ich habe Angst das mich alle für verrückt halten."

"Das ist doch Blödsinn, nur weil sie sich wahrscheinlich aus Schock nicht an den Überfall und die Zeit davor erinnern können, sind sie doch lange noch nicht verrückt. Was sollte ich da sagen." Er erzählte ihr von seiner Amnesie. Eigentlich ging er nicht so offen mit dieser Sache um, aber bei diesem Fall schien ihm sein Gedächtnisverlust behilflich zu sein. Also, warum nicht die ganze Sache mit Leidensgenossen bereden. Vielleicht war er doch der Typ für eine Gruppentherapie dachte er amüsiert.

Nachdem er Trisha wieder nach Hause begleitet hatte, tauschten sie ihre Telefonnummern aus. Er konnte sich gut vorstellen, sich auch privat mit Trisha zu treffen, denn weniger verrückt als Phoebe war sie allemal. Und vor allem weniger kompliziert, dachte er sich. Was hatte sie nur schon wieder bei Trisha zu suchen gehabt. Er musste sie mit dieser ganzen Situation konfrontieren, das stand fest.