Reue

Die Sonne des Frühlings scheint warm auf mein Haupt, als ich am Fuße der großen Treppe stehe, die zum Palast von Gondor führt – meinem Palast. Der Krieg ist gewonnen, die letzte Schlacht geschlagen, und doch haben viele für den Sieg mit ihrem Leben gezahlt.

Heute ist der Tag meiner Krönung. Der rechtmäßige König kehrt zurück auf den Thron der Weißen Stadt, so heißt es, doch mischt sich unter die Freude über den wiederkehrenden Frieden und die neu gewonnene Aufgabe auch Trauer um die Gefallenen und Unsicherheit.

Siebenundachtzig Jahre hatte ich Zeit, mich auf diesen Tag vorzubereiten, auch wenn ich nicht immer glaubte, dass er kommen würde, doch jetzt, da die Krone des Königs auf meinem Haupt ruht, fühle ich ihr Gewicht. Ein Teil von mir sieht dies nicht als Belohnung sondern als Bürde, denn werde ich meine Tage als König allein verbringen, ohne sie, der noch immer mein Herz gehört. Ich weiß nun, dass ich nie eine andere lieben könnte, so wie ich Arwen geliebt habe, nein, wie ich sie immer liebe und lieben werde, bis der letzte Hauch des Lebens aus meinem Körper fährt.

Schwer wie die Krone ist auch die Last auf meinem Herzen, doch als ich meinen Blick über den Horizont schweifen lasse, sehe ich hinter den Bergen, die das Land des Dunklen Herrschers umschließen, keine bedrohlichen Wolken mehr, die ich für die Düsterheit auf meinem Gemüt schuldig machen könnte. Ich sehe nur strahlenden Sonnenschein und einen endlos blauen Himmel über den weiten Feldern des Pelennor. Noch sind sie dunkel und gezeichnet von den Schrecken des Krieges, doch die Wunden der geschundenen Erde werden heilen, ebenso wie die meinen, auch wenn die Narben nie vollständig verblassen werden, weder die körperlichen noch die seelischen.

Doch wer bin ich, an einem Tag wie diesem solch düstere Gedanken zu haben? Der Platz vor dem Palast ist überfüllt mit Menschen, die glücklich und erwartungsvoll zu mir aufsehen, ihren neuen König feiern und auf glorreichere Zeiten hoffen. Werde ich sie ihnen bringen können? Ich hoffe es. Und doch erfüllt mich neben der Trauer um meine verlorene Liebe auch ein Gefühl von Schuld und Reue dir gegenüber.

Ich weiß, dass du nun glücklich bist, doch oft denke ich an die Nacht zurück, die uns beide veränderte. Ich hätte es nicht geschehen lassen dürfen, doch ich war schwach, so schwach, und du so stark. In all deiner Angst und Unsicherheit hast du trotzdem eine Willenstärke ausgestrahlt, die mich überwältigt hat. Und ich habe sie benutzt, meinen eigenen Mut daran genährt und Trost gefunden in deinen Armen.

Ich habe dich entehrt und dir etwas genommen, das mir nicht zustand, habe mich von meinem Verlangen leiten lassen. Die Schuld, die ich nun fühle, ist die gerechte Strafe dafür.

Ich habe mich nie bei dir entschuldigt, nie mit dir darüber gesprochen, und doch weiß ich, dass du mir verziehen hast und dass du mich nicht dafür verachtest, doch hasse ich mich manchmal selbst dafür, denn nicht zu letzt habe ich auch Arwen verraten.

Langsam schreite ich über den Platz, zwischen den Reihen der Menschen hindurch, die mich anlächeln und bewundern. Würden sie es auch tun, wenn sie wüssten, dass ich nicht nur der starke, furchtlose Krieger bin, sondern auch ein Mann, der schwach ist und geplagt von Zweifeln? Wer bin ich, wenn ich nicht kämpfen kann, wenn es keine Truppen gibt, die ich in Schlachten führe, und keinen Feind, den es zu besiegen gilt? Wer werde ich sein, wenn ich abends die Krone ablege und mich schlafen lege – allein?

Ich weiß, wer ich sein sollte. Ein König, der erfüllt ist von Stolz auf sein Volk und Dankbarkeit gegenüber seinen Gefährten, die bereit waren mit ihm Seite an Seite in den Tod zu gehen. Und ein Teil von mir ist dieser König, und er blickt in die hoffnungsvollen Gesichter um sich herum und freut sich, sein Herz wird leichter und der freundliche Himmel über ihm erhellt sein Gemüt. Langsam schiebe ich die Schatten der Vergangenheit von mir und verschmelze mit diesem Mann, der ich sein sollte und sein kann.

Mein Blick fällt auf dich, und ich sehe dein überglückliches Lächeln, als du neben Faramir stehst. Deine Augen glänzen voller Glück und ich beneide dich, dass du es endlich für dich gefunden hast. Auch Faramir strahlt, bevor ihr beide eure Köpfe neigt, als ich an euch vorbei schreite. Bald wird eure Hochzeit sein, und ich freue mich für dich, dass du jemanden gefunden hast, der dir das geben kann, was ich nicht vermochte. Ich hoffe, er behandelt dich gut, voller Verehrung und Liebe, so wie du es dir einst von mir wünschtest.

Wieder kann ich nicht umhin, dich zu bewundern. So schön und zart du jetzt erscheinst – wie eine wahre Edelmaid – so stark und tapfer bist du doch in Wirklichkeit, eine Kriegerin, die den Hexenkönig zu Fall brachte und besiegte. Welche Willenstärke und welcher Mut muss doch in deiner Brust wohnen, dass du solches vermochtest? Mögest du dir diese Tapferkeit bewahren, auch wenn nun Zeiten des Friedens für uns alle kommen. Und du sollst nie wieder jene sterben sehen, die dir lieb und teuer sind, denn ich weiß, dass der Verlust deines Onkels, König Theoden, dich schmerzen muss.

Eine tiefe Dankbarkeit erfüllt mich, denn ich habe keinen meiner Gefährten verloren. Gimli schreitet an meiner Seite, und auch wenn er es sicherlich nicht gerne zugibt, so bemerke ich doch, dass er ergriffen ist von diesem Tag und erleichtert über den Ausgang des Krieges. Vor mir steht Legolas, und auch in seinem Blick liegt Bewunderung und Freude, und ich bin glücklich darüber, ihn als treuen Freund an meiner Seite zu haben. Wenigstens sie sind mir geblieben – meine Freunde, und so unterschiedlich sie auch sein mögen, so besteht zwischen uns allen ein tiefes Band, das auch über die Tage des Krieges hinaus erhalten bleiben wird, so bin ich mir sicher.

Plötzlich verändert sich Legolas Blick und er lächelt beinahe verschmitzt, während seine Augen andeuten, dass ich hinter ihn sehen soll. Und dort erblicke ich voller Verwunderung Elrond, der hinter dem fein bestickten Banner, das von einem noch verborgenen Elben getragen wird, hervor tritt. Er schaut mich an und wirkt eigenartig gerührt, so wie ich ihn noch nie gesehen habe, doch plötzlich wird das Banner zur Seite geschwenkt und enthüllt den Träger. Mein Herz scheint stehen zu bleiben, und meine Augen wollen nicht wahrhaben, was sie erblicken, und doch steht sie dort, so nah vor mir. Ich wage es nicht zu atmen, nicht zu blinzeln, aus Angst, sie könne dann wieder verschwunden sein.  Doch sie ist wirklich da, sie ist zu mir zurückgekommen.

Ich gehe auf sie zu, während auch sie sich mir nähert, und doch scheint es wie die Unendlichkeit, bis ich endlich vor ihr stehe. Sie schaut mich an aus ihren großen blauen Augen, in denen ungeweinte Tränen glitzern wie Sterne. Sie hält das Banner immer noch in der Hand, und ich greife es, um es dem nächst besten Freiwilligen in entgegen zu halten, der bereit ist, es entgegen zu nehmen. Doch nehme ich nicht wahr, wer es ist, denn ich sehe nur sie vor mir, höre nur das Schlagen ihres und meines Herzen. Plötzlich senkt sie das Haupt, als wollte sie sich vor mir verbeugen, nur da ich nun König bin. Ich bin doch immer noch der selbe, der ihr schon vor vielen Jahren sein Herz geschenkt hat.

Ich trete näher an sie heran. Immer noch zögernd und ängstlich, dass dies nur eine Illusion sein könnte, berührt meine Hand ihr Kinn und ich bringe sie dazu, mich wieder anzusehen. Oh Valar, sie ist so wunderschön. Jeder fein geschwungene Zug ihres Gesichts, ihre Augen, ihre Nase, ihre Lippen, die beben, als sie sie mich sanft anlächelt. Sie ist genauso verunsichert wie ich, das kann ich spüren. Auch für sie scheint es wie ein Traum, der endlich wahr wird. Ich besitze diese Gewissheit nicht, weil ich es glauben möchte, dass sie ebenso fühlt wie ich, nein, sondern weil ich es weiß. Seit dem Tag, an dem wir uns die Liebe schworen, konnte ich in ihr Herz blicken, so wie sie in das meine. Es ist nicht, als könnte ich ihre Gedanken lesen, sondern vielmehr spüre ich sie, und jeder einzelne berührt mein Herz im tiefsten Inneren.

Und auch nun fühle ich dieses Band zwischen uns und alles um uns herum verschwimmt, als ich nur noch sie wahr nehme, mich vorbeuge und ihren Mund mit meinen Lippen verschließe. Der Kuss ist voller Sehnsucht und Liebe, und sie erwidert ihn gleichermaßen, umschlingt mich mit ihren Armen.

Das Jubeln und Klatschen um uns herum nehme ich kaum wahr. Mein Herz schlägt laut in meiner Brust und ich bin erfüllt von einem Glück, das ich mir nicht mehr gewagt hatte zu erträumen. Ich spüre wie das Band zwischen uns sich festigt und jede Wunde meiner Seele heilt durch ihre bloße Gegenwart. Tränen stehen nun auch in meinen Augen, als wir uns wieder voneinander lösen und sie sanft über meine Wange streichelt, um dann wieder ihren Mund zärtlich auf meinen zu legen.

Ein leises, von Glück erfülltes Lachen kommt über ihre wundervollen Lippen, und wir umarmen uns. Sie ist endlich wieder bei mir, endlich fühle ich mich wieder ganz und all die Sorgen, all die Zweifel und Ängste weichen von mir, als ich sie in meinen Armen halte, und doch sagt eine Stimme in meinem Hinterkopf, dass ich nicht vergessen soll, was geschehen ist. Ich kann es ihr nicht verheimlichen, denn sie wird es spüren, dessen bin ich mir sicher. Und ich möchte es auch nicht vor ihr geheim halten, denn nichts soll je zwischen uns stehen. Sie wird es verstehen, so hoffe ich – nein, ich weiß es. Sie wird mir vergeben, doch wird es später einen geeigneten Zeitpunkt dafür geben, sich darüber Gedanken zu machen. Nun ist ein Moment des Glücks und ich möchte jeden Augenblick davon genießen. Sie ist wirklich hier, an meiner Seite, hält meine Hand, als wir über den Platz schreiten – meine Königin.

Wie sehr muss sie mich lieben, um die Unsterblichkeit für mich aufzugeben, doch auch ich hätte mich so entschieden, wäre ich an ihrer statt gewesen. Ich hätte es wissen sollen, dass sie zu mir zurückkommt, denn sie sagte einmal, sie verbrächte lieber ein einziges Menschenleben mit mir als die Unendlichkeit allein. Das war ihre Entscheidung, und ich bin überglücklich darüber, auch wenn ich mir für sie ein anderes Schicksal gewünscht hätte, denn ich liebe sie so sehr, dass ich sie hätte gehen lassen können.

Doch nun ist sie hier und wird mich nie wieder verlassen. Wir werden noch lange Jahre glücklich zusammen leben, dessen bin ich mir sicher. Alles was war, liegt hinter uns und soll unsere Tage nicht verdunkeln. Nicht die Reue über die Fehler der Vergangenheit soll unser Leben erfüllen, sondern das Glück des Moments und die Aussicht auf die Zukunft, denn sie allein ist veränderbar, und unsere wird wundervoll sein.

TBC

A/N: Ich hoffe auch hier, Aragorn ist mir nicht zu OOC geworden… und nicht zu weicheiig g